Eine kurze Geschichte vom Glück - Thommie Bayer - E-Book
SONDERANGEBOT

Eine kurze Geschichte vom Glück E-Book

Thommie Bayer

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Euphorie und Verzweiflung liegen für Robert Allmann sehr nah beieinander: Am selben Tag, an dem er ein unvorstellbares Vermögen gewinnt, verliert er das Wichtigste in seinem Leben – und ist endlich gezwungen herauszufinden, wer er wirklich ist. Wo liegt das Glück, und wie hält man es fest? Raffiniert und mitreißend erzählt Thommie Bayer von seinem verzweifelten Helden und dessen überraschender Antwort auf eine uralte Frage.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Thommie Bayer

Eine kurze Geschichte vom Glück

Roman

Piper München Zürich

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Für Jone

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Taschenbuchausgabe

2. Auflage Januar 2010

© Piper Verlag GmbH, München 2007

Umschlag: semper smile, München

Umschlagillustration: Roland Eschlbeck

Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-492-95071-8

Glück hat keinen Plural.

Peter Bamm

Der Anruf kam kurz nach elf. Ich hatte bis dahin schon sieben Zigaretten geraucht, trank eben den vierten Espresso und dachte darüber nach, ob ich ein Aspirin schlucken sollte. Falls mein Kopfweh von dem billigen Wein herrührte, den ich am Abend zuvor getrunken hatte, dann würde es auch so weggehen – aber wenn es am Wetter lag, der bleigrauen Wolkenwand, die sich von Westen, von Frankreich her, langsam näher schob, aber partout nicht ankommen wollte, dann nähme es zu und überschritte bald den Punkt, an dem keine Tablette mehr hilft. In diesem Fall musste ich rechtzeitig gegensteuern. Schmerzmittel sind Drogen, ich gehe sparsam damit um, weil ich nicht in Abhängigkeit geraten will. Nicht auch noch davon. Alkohol, Zigaretten und Kaffee, das ist genug. Laster braucht der Mensch, die unterscheiden ihn vom Roboter, aber man muss auch seine Grenzen kennen.

Ich konnte es nicht lassen, immer wieder Weine vom Discounter zu probieren, obwohl ich nur alle Schaltjahre mal einen anständigen fand – fast immer war es gefärbtes Wasser mit Fusel, Kirschsaft mit Bitterstoff oder anderer flüssiger Müll. Und ich trank diesen Müll, anstatt ihn wegzuschütten, weil ich so viel Soße nicht kochen konnte und der Überzeugung war, Wein sollte nur auf dem Umweg durch den menschlichen Körper in den Wasserkreislauf zurückgelangen. Immer nach solchen Selbstversuchseskapaden kehrte ich eine Zeit lang reumütig zu meinem Sechs-Euro-Cabernet aus dem Bioladen zurück, bis mich wieder die Sparwut juckte und ich dachte, die Regale sind voll, da muss doch einer trinkbar sein.

Ich drehte das Aspirinpäckchen in den Fingern, stellte es hochkant auf den Schreibtisch, damit es mir in die Augen fallen würde, sozusagen zur Wiedervorlage, da klingelte das Telefon, und ich nahm ab.

»Hallo?«, sagte ich, obwohl ich mich sonst eigentlich immer mit Namen melde, aber ich rechnete mit einem Anruf meiner Frau, der ich vor einer halben Stunde auf die Mailbox gesprochen hatte, sie solle mir die Versionsnummer ihrer Praxissoftware durchgeben, damit ich das richtige Update herunterladen konnte. Das würde ich ihr dann auf CD brennen und am Wochenende installieren.

»Herr Allmann?«, fragte eine Frauenstimme. »Spreche ich mit Herrn Robert Allmann?«

»Ja«, sagte ich und hörte selbst, wie reserviert meine Stimme klang. Telefonvermarkter am Vormittag? Wollten die jetzt auch noch Arbeitslose für Geldanlagen gewinnen? Oder Zeitschriften? Oder Lottosysteme? Bei Lotto macht es Sinn, dachte ich noch, Lotto und arbeitslos passt, da sprach die Stimme weiter:

»Mein Name ist Voula Perides, ich rufe im Auftrag der Baden-Württembergischen Lottogesellschaft an. Ich habe eine erfreuliche Nachricht für Sie.«

Na klar, die Sorte erfreulicher Nachricht kannte ich: Für nur soundso viel Euro im Monat erhielte ich die Chance, reich zu werden. Das war die Standarderöffnung.

Ich mache mir einen Sport daraus, diese Leute höflich abzuwimmeln, sie tun nur ihre Arbeit, und die macht sicher keinen Spaß, also sagte ich: »Danke, das ist nett, aber ich spiele schon Lotto. Zu irgendeinem System oder so etwas bin ich nicht mehr zu überreden.«

»Das weiß ich«, sagte sie.

Und dann sagte sie erst mal nichts mehr. Und daran merkte ich, irgendwas war anders. Die wollte mir nichts verkaufen. Sie schwieg einfach und wartete, bis ich mich entschlossen hatte, den Mund wieder aufzumachen.

»Sie wollen mir nichts verkaufen?«, fragte ich.

»Nein«, sagte sie.

»Hab ich etwa gewonnen?«

»Stellen wir die Frage noch kurz zurück? Ich habe selbst noch zwei Fragen, die Sie mir vorher beantworten müssen. Die erste: Wann sind Sie geboren?«

»Am fünfzehnten April zweiundsechzig.«

»Und wo haben Sie Ihre Kundenkarte eingetragen?«

»Bei Rose in der Günterstalstraße. Hier in Freiburg.«

»Gut. Sie sind es selbst.«

»Wer denn sonst? Die Putzfrau?«

Sie lachte: »Zum Beispiel. Ja. Oder sonst jemand, von dem Sie nicht wollen, dass er erfährt, was ich Ihnen zu sagen habe.«

»Jetzt wär’s aber auch nett, Sie würden’s endlich sagen. Sonst fang ich an mit Nägelkauen.«

»Tun Sie’s nicht, das gibt Entzündungen«, sagte sie. Offenbar machte es ihr Spaß, mich hinzuhalten.

»Bitte.« Ich klang fast ärgerlich, aber ich musste lachen.

Sie auch, ich hörte ein Glucksen: »Entschuldigung. Ja, Sie haben gewonnen. Ich gratuliere.«

»Mann …«, ich musste noch mal neu anfangen, das war kein brauchbarer Text, aber inzwischen war ich aufgeregt, es kam nicht viel besser, ich fragte nur: »Wie viel denn?« Mein Zwerchfell vibrierte.

»Ich will Sie nicht auf die Folter spannen, aber vielleicht setzen Sie sich erst mal. Die Summe ist hoch. Es könnte ein Schock für Sie sein.«

»Okay«, sagte ich und zündete mir eine Zigarette an. Das tu ich immer, wenn ich telefoniere, es ist ein Reflex, aber diesmal dachte ich, die brauch ich jetzt. »Hatte schon mal jemand einen Herzinfarkt?«

»Nein, aber wir fürchten so was. Es könnte passieren. Ich will das nicht erleben. Normalerweise kommt jemand von uns vorbei, aber Herr Storck, unser Glücksbote, hat schon zweimal vergeblich bei Ihnen geklingelt, deshalb rufe ich an. Sitzen Sie?«

»Ja. Wie heißt der Mann? Storch?«

»Storck, mit k.«

»Ich hör zu.«

»Herr Allmann, Sie teilen sich den Jackpot mit einem einzigen anderen Gewinner. Auf Sie entfallen sechs Komma zwei Millionen.«

Ich weiß, dass ich erst mal nichts dachte und nichts sagte, ich weiß, dass ich spürte, wie die Zeit verging, dass mir irgendwann auffiel, wie geduldig sie am anderen Ende der Leitung auf meine Reaktion wartete, und ein Schwall von Zuneigung für diese fremde Frau, die nur eine Stimme war, allerdings die eines Engels, wollte aus mir heraus. »Sie haben vielleicht den schönsten Beruf der Welt«, sagte ich.

»Das könnte sein.« In ihrer Stimme klang ein Lächeln mit.

»Darf ich Ihnen was abgeben? Damit Sie sich mitfreuen?«

»Aber nein, Herr Allmann, ich bitte Sie. Das ist nett von Ihnen, aber das sollen Sie nicht. Ich freue mich auch so mit. Herzlichen Glückwunsch.«

»Ich glaube, mir wird schlecht.«

»Atmen Sie tief durch, legen Sie die Zigarette weg, versuchen Sie, sich zu beruhigen, und hören Sie mir zu, wenn Sie wollen. Ich würde Ihnen gern den einen oder anderen Rat geben, wenn ich darf.«

»Ja, gern. Sicher. Bitte.« Meine Stimme klang anders als sonst. Ohne Atemluft. Oder so, als wären meine Ohren auf einmal viel weiter weg vom Mund.

»Tun Sie einfach erst mal gar nichts. Sagen Sie niemandem etwas davon, überlegen Sie in Ruhe, wie Ihr Leben weitergehen soll. Könnten Sie sich für ein paar Tage zurückziehen, irgendwo einen Kurzurlaub machen, allein sein und gründlich darüber nachdenken? Verstehen Sie, warum ich Ihnen das rate?«

»Ich glaube, ja. Neid vermeiden.«

»Nicht nur, es geht auch um das Ausmaß der Veränderung. Manche Leute werden nach der ersten Euphorie depressiv, manche verlieren den Halt und schlittern in eine psychische Leere. Oder sie kaufen sich sinnlose Dinge, markieren den spendablen Krösus und vergraulen ihre Freunde, anstatt sie glücklich zu machen, oder sie finden sich in falscher Gesellschaft wieder – es kann alles passieren. Unsere Erfahrung ist, dass diejenigen, die erst mal gar nichts geändert haben, nur vielleicht ihre Schulden bezahlt und ein neues Auto gekauft oder eine schöne Reise gebucht, am besten damit klarkommen.«

»Darf ich Ihnen nicht wenigstens ein Auto schenken? Irgendein schniekes Cabrio? Roter Käfer? Grüner Mini?«

»Nein. Eine Flasche Wein, wenn Sie wollen.«

»Rot oder weiß?«

»Gern rot. Aber bitte keinen teuren. Gut darf er sein, teuer nicht. Ich will kein Geld trinken. Das würde mir den Genuss verderben.«

»Okay. Ich schick Ihnen den, den ich selber mag.«

»Einen Rat noch, wenn Sie erlauben. Eröffnen Sie ein Konto woanders, in einer Stadt, in der man Sie nicht kennt, oder bei einer anderen Bank. Besprechen Sie Ihre Finanzen nicht mit Freunden oder Bekannten, so lange, bis Sie wissen, was Sie wollen und wem Sie vertrauen.«

»Also erst mal gar nichts tun. Nur freuen. Und Klappe halten.«

»Genau.«

»Und dann? Wenn ich weiß, was ich will? Was tu ich dann?«

»Sie wenden sich an mich. Wir regeln alles nach Ihren Wünschen. Meine Telefonnummer ist null-sieben-elf-zwei-null-null-eins-null-eins. Und mein Name …«

Ich unterbrach sie: »Voula Perides. Den vergess ich nicht mehr.«

Sie lachte. »Ist Ihnen immer noch schwindlig?«

»Nur noch im Geiste. Oder in der Seele. Körperlich ist alles infarktfrei abgegangen.«

Sie lachte wieder: »Dann bin ich ja froh. Bis bald also. Melden Sie sich.«

&

Mein Kopfweh war weg. Und es regnete. Also war der Wein nicht schuld gewesen. Darüber musste ich mir nun nie wieder Gedanken machen. Flüssiger Müll würde in Zukunft keines meiner Probleme sein. Mein Magen fühlte sich an, als hätte ich zu viel Aspirin genommen. Flau. Zittrig. Ich musste versuchen zu kapieren, was los war. Aber ich konnte nicht denken.

Solange ich noch mit Frau Perides geredet hatte, war ich mir einigermaßen zurechnungsfähig vorgekommen, aber jetzt schien mir alles schwammig und schlierig, irgendwie diffus. Ich wusste, dass ich glücklich war, ich spürte es auch, aber wie genau sich das anfühlte, hätte ich niemandem beschreiben können. Eben schwammig. Nein, nicht nur. Die Zigarette, die ich mir jetzt anzündete, schmeckte großartig. Nicht wie irgendeine. Eher vielleicht wie die nach dem phantastischsten Sex meines Lebens. Allerdings weiß ich nicht mehr, wie die geschmeckt hat, denn die größten Erlebnisse gehen unerkannt vorüber. Man rechnet mit noch größeren und erfasst den Punkt nicht, an dem die Welle abschwingt und das Glück sich verringert, bis es irgendwann mehr und mehr zum Echo eines Moments, zu einer Erinnerung geworden ist. Und diese Erinnerung ist vage, weil man den Moment nicht festgehalten hat. Nicht einmal bemerkt.

Ich wusste, wer der andere Gewinner war. Mein ehemaliger Kompagnon Ecki in Heidelberg.

Es war absurd, lächerlich, der Erhabenheit oder Glückseligkeit des Augenblicks in keiner Weise angemessen, aber was ich fühlte in dem Moment, als mir klar wurde, dass Ecki vielleicht in genau dieser Sekunde ebenso verdattert, glücklich und reich sein musste wie ich, war: Das steht dem nicht zu. Das darf einfach nicht wahr sein, dass diese dumme Sau nun erst recht auf den Putz hauen kann.

Jetzt hob sich mir der Magen, das lag nicht an Ecki, es lag am Schock, den die Nachricht ausgelöst hatte. Ich rannte ins Bad und schaffte es gerade noch bis zum Klo, um ein halbes Brötchen und vier Espressi zu erbrechen. So euphorisch und so gern, so heiter und gelassen habe ich noch nie gekotzt.

Und dann legte ich mich auf das mit verschlissenem und hässlichem lilafarbenen Stoff bezogene Sofa und schlief. Das ist meine Art von Schutzschaltung: Im größten Stress, im schlimmsten Streit, wenn alles übersteuert ist, dann gehe ich auf Stand-by und schlafe mich in Deckung.

&

Als ich aufwachte, war mir sofort klar, ich hatte das nicht geträumt, ich musste nicht am Telefon die letzte Nummer aufrufen oder den üblen Geschmack in meinem Mund als Beweis heranziehen, ich konnte mir sofort überlegen, wie ich das Sofa neu beziehen wollte. Ich konnte auch ein neues kaufen, aber das war nicht nötig. Beziehen reichte. Das Sofa war noch gut.

Niemandem etwas sagen, hatte Frau Perides mir eingeschärft, sollte das heißen, auch meiner Frau nicht? Meinte sie, ich müsse mir erst mal überlegen, ob ich sie verlassen wollte? Das wollte ich nicht. Nein, Unsinn, sicher hatte sie nur Nachbarn, Freunde, Familie gemeint, nicht die eigene Frau. Unmöglich, ihr das zu verheimlichen. Ich schämte mich für den Gedanken.

Sie würde sich wie verrückt freuen, sofort Pläne schmieden, sich ein spontanes Fest ausdenken, nur für uns beide, und wenn es ein Picknick am Waldrand mit der teuren Ananas aus dem Feinkostladen, einer Flasche Primitivo für mich und Perrier für Wespe wäre. Wespe ist meine Frau. Sie heißt Regina, will aber seit Jahren nur mit ihrem zweiten Namen Sabine gerufen werden, ich habe sie irgendwann mal Sawespe genannt, als ich sauer auf sie war, und das hat sich dann, zu Wespe verkürzt, eingebürgert. Es passt zu ihr. Schlanke Taille, schöne Erscheinung, gefährlicher Stachel. Sie trinkt nur Tee und Mineralwasser, nie Kaffee, nie Alkohol.

Und sie träumt schon lange davon, ihre Hausarztpraxis abzugeben und ihr Leben mit Studieren, Lesen und Reisen zu verbringen, aber obwohl sie immerhin kontinuierlich verdient, wird es doch mit jeder Gesundheitsreform weniger, und sie arbeitet immer mehr. Seit einiger Zeit fährt sie auch noch Nachtschichten mit dem Notarztwagen. Das zurückgelegte Geld reicht nirgendwohin. Die Steuer, unsere schöne Wohnung, eine anspruchsvolle Garderobe, das alles zehrt von der Substanz. Sie arbeitet viel zu viel, kommt erschöpft nach Hause und hat keine Energie mehr für ein Leben diesseits der Tretmühle. Ich versuchte schon seit Jahren, sie zur Lässigkeit zu überreden, aber ihre Angst, den erreichten Zustand nicht halten zu können, und ihr Misstrauen gegenüber meiner Fähigkeit, mit Geld umzugehen, machten sie harthörig gegenüber meinen Vorschlägen. Und jetzt war ihr Traum in Erfüllung gegangen. Endlich konnte sie so leben, wie sie wollte, musste nicht mehr fürchten, zu verlieren, zu scheitern, abzusteigen. Diese Nachricht war nicht aufschiebbar. Keine Stunde. Keinen Tag.

Glück muss man teilen. Es reicht, wenn man Ärger, Scham und Trauer schluckt, Freude muss raus in die Welt. Dass allerdings Ecki das Arschloch, jetzt ebenso glücklich sein würde wie ich, das war bitter. Ein Webfehler.

&

Ich hatte vor Jahren einen Lottoschein, der von Eckis Schreibtisch geflattert war, auf den Kopierer gelegt und seither seine Zahlen mitgespielt. Er ging mir ständig auf die Nerven mit seiner Begeisterung über diese raffinierte Reihe – wenn sie mal gewinnt, war sein Mantra, dann gewinnt sie richtig –, ein Mathematiker hatte ihm die Zahlen als die am seltensten getippten aufgeschrieben. Die meisten Menschen nehmen Lebensdaten oder machen Muster, und dadurch häufen sich bestimmte Ziffern. Ecki spielte diesen Schein damals schon seit Jahren und hütete ihn argwöhnisch. Nicht argwöhnisch genug allerdings. Nicht für mich.

Er ist der Typ, der vor einem halben Jahrhundert noch nass gekämmte Locken über der attraktiven Affenstirn und ein geziertes Menjoubärtchen unter seiner arrogant gerümpften Nase getragen hätte. Heutzutage erkennt man die Sorte an zu engen Jacketts mit zwei zu kurzen Schlitzen überm durchtrainierten Apfelhintern, Polohemden mit angesagtem Signet und geschmacklosen Armbanduhren, die noch in einer Wassertiefe funktionieren sollen, in der der Kopf ihres Trägers schon längst geplatzt und zu Fischfutter geworden ist.

Ich konnte seine Blenderei und sein Geschwätz schon seit geraumer Zeit nicht mehr ertragen und dachte, als ich den Lottoschein da liegen sah, wenn du absahnst, dann weiß ich, wie viel, und will mein Geld zurück. Er schuldete mir einiges. Von dem er später nichts mehr wissen wollte. Inzwischen ist es verjährt.

Ein Glück, dass ich ihn los bin, dachte ich und strich den Bezug des Sofas glatt. Ganz in Weiß wäre es toll. Das ist allerdings so heikel, dass man den Bezug gleich zweimal kaufen muss, weil einer immer in der Reinigung ist. Aber das mach ich. Weiß.

Und die Billy-Regale fliegen endlich raus.

Und diese mittlerweile scheußlich verdreckten Jalousien aus hauchdünnem Blech.

Und die Vorhangschienen kriegen endlich eine Blende.

Und die Wände einen Anstrich. Vielleicht in Blassrot?

Und ich mache wieder Musik.

Und Wespe kann träumen und reisen. Dann bin ich endlich mein schlechtes Gewissen los, bin endlich der Ritter, der ich immer sein wollte und nur so selten war, der ihr die Welt zu Füßen legt, Geschenke bringt und ihr Glück vollkommen macht.

&

Ich wollte allerdings meine Zeit nicht mit Reisen vertun. Ich wollte arbeiten. Endlich wieder ein klares Ziel haben, ein Ziel mit mehr Würde, als nur den Dispokredit wieder aufzufüllen oder die Zinsen fürs Darlehen ranzuschaffen. Von einer Tilgung hatte ich schon lange nicht mehr zu träumen gewagt.

Ich muss nicht vor den Pyramiden stehen. Oder in Angkor Wat. Ich brauche kein Bali, Patagonien und keinen Grand Canyon zum Glücklichsein. Eigentlich, das wurde mir in diesem Augenblick klar, wollte ich nur mein Leben weiterführen. Ohne Geldsorgen.

Und wenn Wespe sich eine Villa wünschte? Ich liebte unsere Wohnung. Es gab für mich keinen schöneren Ort. Sie hatte schon manchmal gestöhnt, es sei zu eng, man habe für nichts Platz, man müsse jedes halbe Jahr irgendwas ausräumen, weggeben, umsortieren. Mich hat das nie gestört. Es erhält die Schönheit. Mehr Platz verschiebt das Problem nur in die Zukunft. Man hat es ein Jahr später.

Und wenn sie immer nur mit mir verreisen wollte? Wenn sie nicht allein losziehen mochte oder keine passenden Gefährten fand?

&

Das Telefon klingelte. Es war Wespe mit der Versionsnummer. Ich wartete ungeduldig, bis sie ausgeredet hatte, überlegte mir, schon während ich die Zahlen auf ein Stück Notizpapier kritzelte, wie ich ihr eröffnen würde, dass in diesem Augenblick ihr neues Leben anfing, ob ich einfach sagen sollte: »Wir sind reich« oder eher einen Umweg einlegen und so was wie: »Kannst du ein paar Tage freinehmen, ich hab eine Suite im Waldorf« daherplaudern und mich eine Sekunde lang an ihrem Unverständnis weiden, bis ich die Bombe platzen ließe, da hörte ich im Hintergrund einen Schrei, »Frau Doktor! Schnell!«, und Wespe legte nach einem hastigen »Muss Schluss machen, das klingt nach Notfall, tschüss, Daggl« auf.

Sie nannte mich Daggl. Das kommt aus dem Schwäbischen. Ich bin Schwabe. Meine Vorfahren stammen aus Ludwigsburg, und die Verwandtschaft hat ihr beigebracht, dass Dackel ein zärtliches Wort ist.

&

Eigentlich wollte ich das Update herunterladen, aber einmal im Netz, sah ich mir Autos an. Zuerst den Siebener BMW. Von dem träumte ich, seit er auf dem Markt war, obwohl er ein bisschen hässlich und idiotisch teuer ist. Aber er hat Charakter, und ich stellte mir vor, dass er sich großartig fahren würde. Und auf einmal wusste ich nicht mehr, ob es mir ernst damit war. Seltsam.

Solange ich über meine Verhältnisse gelebt hatte, waren diese Limousinen mein Traum gewesen. Bentley, Maybach, BMW, Jaguar, und jetzt, da er in Erfüllung gehen konnte, zuckte ich zurück? Ich versuchte es noch mit Jaguar und Bentley, der Continental GT war doch wundervoll, aber ich wollte ihn nicht. Es wäre peinlich, mit so einer Geldbesitzerschleuder herumzugondeln. Jeder Mensch, den ich gern haben könnte, würde mich verachten. Und jeden, der mich wegen dieses Autos respektieren würde, könnte ich gerade deshalb nicht gern haben. Ich wollte nicht mit Stephanie von Monaco brunchen, mit Heidi Klum segeln oder neben Tina Turner wohnen und keinesfalls mit Donald Trump oder Adnan Kashoggi verwechselt werden. Ein Porsche? Porsche ist schön, aber die Fahrer scheinen mir zu oft ein bisschen betont selbstsicher, als läge ihnen an der Behauptung ihrer Überlegenheit so viel, dass etwas damit nicht stimmen kann. Es gibt auch Ästheten in Porsches, aber die prägen nicht das Bild. Ein Cayenne? Nein, Geländewagen sind neureich für Realschüler. Und Jaguar? Ist nur noch ein verkleideter Ford Mondeo. Das geht auch nicht. Vielleicht ein Lexus? Der ist edel, und niemand weiß es. Aber nein, unmöglich. Null Fehler. Wie der Audi. Null Fehler heißt auch null Charme.

Es regnete nicht mehr. Ich ging raus.

&

Ich nahm mir fest vor, nie zu vergessen, wie ich mich in diesem Augenblick fühlte. Vermutlich waren meine Endorphinreserven alle auf einmal freigesetzt worden und fluteten jeden erreichbaren Rezeptor. Ich war klar im Kopf, und alles schien mir hell und bunt und glänzend. Dies war der schönste Tag in meinem Leben. Eins steht fest, dachte ich, wer auch immer behauptet, Geld mache nicht glücklich, lügt oder täuscht sich. Ich bin glücklich. Wäre dies ein Kinofilm, dann bekäme ich morgen die Nachricht, dass ich Krebs und nur noch ein halbes Jahr zu leben habe. Aber es ist keiner. Ich lebe noch lange. Ohne je wieder Angst vor dem Ruin zu haben, Angst davor, Wespe eines Tages auf der Tasche zu liegen, Angst vor dem Anruf des Bankers, der leider keine andere Möglichkeit mehr sieht, als das Konto zu sperren und auf Ausgleich des Dispokredits zu bestehen. Und dann müsste ich es Wespe sagen, und sie wäre gezwungen, ihr Sicherheitsdepot fürs Alter zu plündern, nur weil ich unfähig war, ausreichend Geld heranzuschaffen. Und ich könnte ihr nicht mehr in die Augen sehen. Das alles hatte ich in den letzten Jahren alle paar Wochen befürchtet und mich irgendwie weitergemauschelt, das alles konnte mir jetzt nicht mehr passieren.

Ich gab jedem Bettler und Straßenmusikanten auf meinem Weg einen Zehner, hatte extra beim Geldautomaten getankt und im Tabakladen einen Fünfziger gewechselt. Ich konnte mein bisheriges Limit vergessen: Jeder kriegt einen Euro, und wenn drei weg sind, ist Schluss. Jetzt spendierte ich locker die Scheine und musste nicht bei dreißig aufhören.

Aber nachdem ich mich zum vierten Mal gebückt hatte, um rötliches Papier in eine Mütze oder ein Becherchen zu legen, begann ich, mir peinlich zu werden, und fand mich ostentativ und theatralisch. Als erfüllte ich irgendeine Auflage, und jemand sähe zu. Wer denn? Der liebe Gott? Den nächsten Bettler mied ich, indem ich die Straßenseite wechselte. Und hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Und ärgerte mich darüber. Und hatte das nächste schlechte Gewissen wegen des Ärgers.

Dann stand ich vor dem Weinladen, den ich sonst nur auf der Suche nach Geschenken betrat, ging hinein und kaufte zwei Flaschen Salento-Primitivo von 2001. Eine für mich, eine für Voula Perides. Am liebsten würde ich ihr die persönlich überreichen. Und zum Beispiel in einem gemieteten BMW nach Stuttgart gleiten. Der Primitivo ist phantastisch. Er war mir immer zu teuer für mich selbst. Sieben fünfzig.

Nein, ich glaube, der schönste Tag in meinem Leben war der, an dem sich Wespe für mich entschieden hat. Dieser hier war nur der zweitschönste.

&

Noch schimmerte der Boden von der Nässe des vorübergezogenen Schauers, aber der Himmel war schon wieder blau und leer, und die Passanten hatten den Regen ignoriert. Leichte Kleider, offene Hemdkragen, nabelfreie Teenager, oft auch ihre Mütter, denen diese Mode zwar weniger schmeichelte, umso mehr aber blitzte ihnen der Stolz auf sich selbst aus den Augen. Auch wenn das in manchen Fällen von einem Missverständnis zwischen ihnen und ihrem Spiegel herrührte, sich ein Schwimmring über den hüfttiefen Hosenbund wölbte oder der vorgezeigte Bauch nicht unbedingt zum Trumpfass ihrer Anziehungskraft taugte, ich fand es reizend. Ich war glücklich und hatte sie alle gern. Ich setzte mich in ein Straßencafé und versuchte, mir meine Zukunft als Flaneur vorzustellen. Durchaus gern in Florenz, Rom, Venedig, Paris, diese Sorte Reisen würde ich mit Freuden unternehmen. Aber Wespe zog es eher in die Einsamkeit. Und ich wusste nicht, was ich dort sollte. Einen Bergrücken bewundern?

Den Espresso würde ich vielleicht wieder nicht bei mir behalten, aber was soll’s, dachte ich, und wenn schon. Kotzen vor Glück. Das hat doch was.

Venedig. Das würde ich Wespe vorschlagen. Zur Feier unseres Reichtums. Wohnen im Danieli und uns gemütlich zwischen all den Kirchen und Museen, die wir besuchten, nach einer Palazzo-Etage umsehen, die wir in Zukunft hin und wieder mieten konnten.

In Florenz das Carlton.

In Rom das Hassler an der Spanischen Treppe.

Und in Paris das George V.

Freunde würden wir dort nicht finden. Vielleicht konnten wir uns einbilden, es wären die Zwanzigerjahre und uns umgäbe nicht nur die Elite des Standes der Geldbeschaffer, -besitzer und -vermehrer, sondern auch geistvolle, kulturinteressierte, in irgendeiner Hinsicht aufregende Menschen. Wieso dachte ich eigentlich, alle mit Geld müssten dumm sein? Langweilig? Mir peinlich? Und würde dann so nicht jeder von mir denken, der sieht, was ich mir leisten kann?

Vielleicht sollten wir das alles erst mal beschnuppern und ausprobieren. Wir mussten ja nicht gleich die Welt wechseln – es reichte, dass wir in der anderen zu Gast sein konnten, wann immer uns danach wäre.

Wenn ich ein dickes Auto hätte, musste ich das dann verstecken? Immer ein paar Querstraßen weiter weg parken oder irgendwo eine Garage mieten? Und dann mit hochgeschlagenem Mantelkragen davonhuschen, damit mich kein Nachbar sieht? Quatsch. Oder vielleicht doch kein Quatsch. Es käme auf das Auto an. Mit einem Bentley wäre ich ein Freak. Allerdings hatte mich bisher nicht gekümmert, was die Nachbarn von mir dachten, wieso sollte sich das ändern?

Und wozu überhaupt ein Auto? Ich lebte doch in der Stadt, konnte zu Fuß einkaufen, Bäcker, Supermarkt, Aldi, alles nahebei.

Aldi?

Das war jetzt nicht mehr zwingend.

Wespe brauchte ihren Golf. Ich würde ihr den schönsten Smart, Käfer, Mini oder Klein-BMW schenken. Als Ärztin darf sie kein Protzauto fahren, sonst bestätigt sie das längst überholte Klischee vom reichen Mediziner mit Pferd und Boot und Villa. Aber sie wollte die Praxis ja aufgeben. Dann durfte sie fahren, worauf sie Lust hatte.

Ich konnte doch eine halbe Million für Geschenke reservieren. Jedem, den ich mag, das, was er sich wünscht, frei Haus liefern lassen, mit einem Schleifchen oder einem Kärtchen, auf dem steht, Gruß von Robbi. Aber wer wäre das? Mein Vater, meine Schwestern, ein paar Freunde? Jetzt noch nicht. Frau Perides hatte mich ermahnt, ich solle nichts überstürzen. Gut. Ich überstürzte nichts. Ich dachte nur nach.

Meinem Vater konnte ich gar nichts schenken. Er war irgendwann in seinem Rentnerdasein zum Konsumverächter geworden, nachdem er uns und vor allem unsere Mutter jahrzehntelang mit seinem Geiz verfolgt hatte. Sein Abendvergnügen war es immer gewesen, die Sonderangebote in der Zeitung ausfindig zu machen und für meine Mutter anzustreichen, damit sie am nächsten Tag nicht im Laden um die Ecke, sondern irgendwo in der Stadt achtzig Pfennig sparen würde, die sie dann allerdings für die Busfahrten hinlegen musste. Er war ein Asket der missionarischen Sorte, lebte von Brot, Salami und Tütensuppen, sparte Licht, Wasser, Heizung und Seife und hatte mit seinen Vorträgen darüber, wie man mit Geld umzugehen habe, noch die paar Freunde vergrault, die ihm nicht von allein weggestorben waren. Jedenfalls glaubte ich das. Er hatte einfach keine Wünsche. Höchstens einen Hund. Dem konnte man Befehle geben. Aber das machte sein Vermieter nicht mit, und ein Umzug kam nicht mehr infrage. Eine Reise vielleicht, das Reisen hat er immer geliebt, obwohl er hinterher nur von Strapazen, Zumutungen und Plagen erzählte. Geschenke, wenn er doch mal welche bekam, behandelte er als Angriff auf die Ordnung seines Lebens, reagierte ärgerlich, als belästige man ihn mit etwas, das er dann doch nur wegschmeißen müsse. Nicht mal ein schönerer Fernseher hätte ihn erfreut. Nur Bücher durfte ich ihm mitbringen oder schicken. Vorzugsweise Thriller. Am besten mit Verschwörungshintergrund. Ich tat das schon seit einiger Zeit, musste nur jetzt nicht mehr in den Ramschkisten der Antiquariate stöbern, sondern konnte ganz einfach in der Buchhandlung einsammeln.

Vielleicht ist sein Geiz die Folie, auf der ich um jeden Preis großzügig sein muss. Nein, nicht um jeden Preis. So würde Wespe das vielleicht ausdrücken, aber sie hat nicht recht. Ich bin nicht leichtfertig. Ich bin nur nicht so wie er.

Sollte ich meinen Schwestern je eine Million geben? Das würde Wespe vielleicht nicht gefallen. Es wäre wieder ein Beweis dafür, dass ich noch immer so achtlos mit Geld umging, dass ich noch immer ein Risiko war, ein Unsicherheitsfaktor. Eine halbe vielleicht?

&

Wie oft hatte ich mir das ausgemalt. Mitunter zweimal in der Woche, mittwochnachts und samstagnachts, immer wenn mein Lottoschein in der Schublade hätte zappeln können. Ich hatte nie nach der Ziehung oder am nächsten Morgen darauf nachgesehen, hatte den Schein einfach jeden Monat verlängert und die kleineren Gewinne eingesteckt. Es war ein festes Ritual, so wie man früher am Monatsanfang die Miete zum Vermieter brachte. Seit einiger Zeit ging alles automatisch – das Geld für den Schein wurde abgebucht, die Gewinne wurden überwiesen.

Immer hatte ich mir vorgestellt, in einem Traumauto die Außenposten meines Lebens abzufahren, als spendabler Glücksbringer überall aufzutauchen, mit einem Scheck zu wedeln und Jauchzer auszulösen. Aber Voula Perides hatte mich gewarnt. Wenn meine Schwestern nun neidisch wären? Trotz der halben Million? Wir sind einander nicht sehr nah, sind keine verschworene Familie, wir brauchen uns nicht, und ich würde weder Sigrid noch Karin in einer Notlage um Geld bitten. Ich glaube, Karin mag mich nicht mal. Sie mochte mich noch nie, schon als Kind hat sie mich wie etwas angesehen, das man abkratzen muss. Aber keinesfalls mit der Hand.

Sigrid, die Ältere, lebt auf einem anderen Stern. Irgendetwas an ihr stammt noch aus den Fünfzigerjahren, vielleicht ist die eine oder andere ihrer Lebensregeln in der Originalformulierung von Peter Kraus oder Caterina Valente in ihrem Gehirn gespeichert. Ich mag sie, aber wir wissen nichts voneinander. Sollte ich einfach ein Testament machen, in dem ich sie beide bedachte? Mal sehen. Langsam. Alles erst mal gut überlegen.

&

Oder anonym? Ich konnte eine Stiftung gründen, die sich diskret und scheinbar neutral da einmischte, wo ich den Nikolaus geben wollte, Kinder in der Dritten Welt unterstützte, meinen Nichten und Neffen das Studium ermöglichte, Sigrid das Haus abzahlte und Karin einen Volvo vor die Tür stellte oder einen lebenslangen Lottoschein in den Briefkasten warf. Das war ein bisschen märchenhaft. Hollywoodkino. Und ich brauchte dafür einen Menschen, dem ich vertraute, der mich nicht betrog, der die Geschäfte führte, das Stiftungsgeld vermehrte und Gutes tat, wo ich Gutes getan haben wollte. Kannte ich so einen? Vielleicht Yogi. Er war mein Freund, lebte wie ein Rentner, hatte keine Geldsorgen und alle Zeit der Welt, ihm konnte ich vertrauen. Aber würde er mich noch mögen, wenn er wusste, dass ich reich war?

Ich selbst wollte mein Leben nicht als hauptberuflicher Gutmensch bestreiten, ich wollte endlich wieder der Musiker sein, den ich viel zu lange unterdrückt hatte.

&

Mein Handy klingelte. Brauchte ich ein neues? Nein, es gab keine schönen zurzeit, und ich liebe diesen Klingelton. Frau Firnhaber von der Kreuzfahrtgesellschaft bedauerte, mir mitteilen zu müssen, dass die eigentlich mir zugedachte Suite vergeben worden sei und ich mit einer normalen Kabine vorliebnehmen müsse. Das täte ich nicht, sagte ich und bedauerte meinerseits, sie bitten zu müssen, sich wieder zu melden, wenn die Suite frei sei. Das fand sie nicht sehr kooperativ. Ich antwortete ihr, dehnbare Abmachungen seien nicht mein Stil und sollten auch nicht ihrer sein. Und legte auf, nachdem sie ein sehr verschnupftes »Da muss ich Rücksprache halten. Auf Wiedersehen« gebellt hatte. Und genoss den Augenblick. Und bestellte noch einen Espresso. Rücksprache halten, dachte ich, was hat die denn für ein Deutsch.

Der Anruf kam genau richtig, wie in der Werbung, nur dass ich nicht irgendeinem Chef kündigte, sondern ganz entspannt auf dem Respekt bestand, den man mir entgegenbringen soll. Und dass nirgendwo Frank Elstner auftauchte, um das schöne Bild kaputt zu grinsen. Beschämend eigentlich, dass mein Selbstwertgefühl mit dem Kontostand zusammenhing. Ohne den Gewinn hätte ich das klaglos geschluckt. Darüber musste ich noch mal genauer nachdenken. Das gefiel mir nicht. Aber jetzt war das wohlfeil, nein, es war sogar hinfällig, die Gedanken hätte ich mir früher machen müssen. Jetzt hatte ich Geld und konnte nicht mehr so tun, als käme es darauf nicht an. Zu spät.

Frau Firnhaber ist die Marketingleiterin von Panda-Cruise, einer Gesellschaft, die Kreuzfahrten in der Ostsee, ums Nordkap und im Mittelmeer anbietet. Ich sollte für sie den neuen Prospekt schreiben und anstelle eines Honorars meine Frau mitnehmen dürfen. Dafür brauchte es die Suite. Ich wollte Wespe was bieten.

&

Ende der Leseprobe