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Was sucht eine junge Frau bei einem älteren Mann? Vaterersatz? Und was kann sie finden, wenn er sich von ihrem Charme faszinieren lässt? Freundschaft? Eine Affäre? Liebe? Wer jemals den Fehler gemacht hat, die Liebe für ein Spiel zu halten, wird in diesem Roman eines Besseren belehrt. Aus dem Spiel wird Ernst. Liebe ändert alles.
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Für Bernhard
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Taschenbuchausgabe
4. Auflage 2012
ISBN 978-3-492-96023-6
© 2005 Piper Verlag GmbH, München Umschlaggestaltung: R.M.E Roland Eschlbeck und Kornelia Rumberg Umschlagmotiv: Kornelia Rumberg Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Tell me that you’ve got everything you want
And your bird can sing
But you don’t get me
You don’t get me
John Lennon / Paul McCartney
1 Wie schnell sich doch die Dinge ändern. Vor weniger als drei Wochen war ich noch ein zufriedener Pessimist in einem aufgeräumten Leben, der glaubte, sich zu kennen, und nicht wußte, daß man auch verlieren kann, was man nie besaß.
Es war der neunte Januar, und ich war fünfzig Jahre und zwei Tage alt und so wenig begierig, den Tag zu pflücken, daß ich mich wieder und wieder im Bett umdrehte und bis zum Anschlag weiterschlief. Erst als es mir auch mit Kraft nicht mehr gelang, die Lider geschlossen zu halten, klappte ich die Decke weg und schlurfte ins Bad, um den Morgenmantel zu holen, und dann in die Küche, um mit erwachenden Lebensgeistern an der nagelneuen chromblitzenden Gaggia-Espressomaschine, meinem Geburtstagsgeschenk, zu hantieren.
Sie war schon eingeschaltet und damit aufgewärmt, eine Tasse stand davor, und daneben lag eine Notiz: Mülltüten, Glühbirne, OB, Buttermilch, die tägliche Einkaufsliste. Ich ging in den Flur zur Garderobe und steckte den Zettel gleich ins Jackett, sonst würde ich ihn vergessen, wie ich mittlerweile nahezu alles vergaß, wenn es nicht aufgeschrieben an der richtigen Stelle klebte, steckte oder lag.
Um mich nicht vor Alzheimer fürchten zu müssen oder den Folgen meines Alkoholkonsums, erkläre ich mir diese Vergeßlichkeit neuerdings damit, daß mich die Dinge, an die ich denken soll, einfach nicht mehr interessieren. Das ist eine Ausflucht, wie so vieles, was ich mir zum Herunterspielen meiner Defizite herbeiimprovisiere – falls Alzheimer und Alkohol tatsächlich keine Rolle dabei spielen, ist das Vergessen von Namen, Verabredungen und Erledigungen eine der Peinlichkeiten, die ich seit meinem Geburtstag unaufhaltsam auf mich zukommen sah: eine Alterserscheinung.
Die Zeitung fehlte wie immer – meine Frau nimmt sie mit zur Arbeit, um sie dort in Ruhe zu lesen, also trank ich meinen Espresso stehend, frierend und rauchend auf dem Balkon, duschte, zog mich an, verließ die Wohnung und ging zur Garage.
Und fuhr zum Büro.
Und schaltete die Espressomaschine an, eine Saeco, die der Gaggia nicht ganz ebenbürtig ist, fuhr den Rechner hoch, holte die E-Mail ab, stellte den Anrufbeantworter aus und warf die Millionengewinne, Sonderangebote und Spendenaufrufe, die ich aus dem Briefkasten gezogen hatte, in den Papierkorb. Und zündete mir eine Zigarette an.
Nachdem ich all die Kredit-, Viagra- und Softwareangebote gelöscht hatte, blieben noch vier Mails, die ich der Reihe nach öffnete.
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Von Walter: Ich weiß, daß es dir gar nichts ausmacht, seit vorgestern ein alter Sack zu sein, aber ich drück dir trotzdem mal mein Beileid aus. Vielleicht erinnerst du dich noch: Letztes Jahr, als es bei mir soweit war, kam ich äußerst scheiße drauf, und du hast mich getröstet. Falls du Bedarf hast, revanchier ich mich jetzt. Denk dran, in unserem Alter schmeckt der Wein besser, klingt die Musik schöner (natürlich nicht durchs Hörgerät, soweit sind wir ja noch nicht), hält man das Feuilleton für eine tolle Sache und Sex für überschätzt, und das, obwohl einem die schönsten Frauen nachpfeifen, weil sie auf graue Schläfen stehen, kurz: Es ist eindeutig, daß man sich zurücklehnen darf, weil man aus all den bisher absolvierten Dummheiten was gelernt hat. Glückwunsch.
Alles andere, das nahende Abkratzen, Gebrechen, Bustourismus, ist nicht wegzureden, also stellen wir uns und rufen höhnisch unserem Schöpfer zu: Fang mich doch, da bin ich doch. Aber ganz leise. So leise, daß er es nicht womöglich noch hört. In diesem Sinne. Walter
P.S. Hab deinen Weihnachtsfilm gesehen. War scheiße.
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Von Ingrid: Lieber Chris, wie ist es? Alles wie immer, oder merkt man doch was? Ich wünsch dir jedenfalls alles Gute, daß du dir noch Sehnsüchte bewahrst und Pläne verfolgst, daß du dich abends aufs Heimkommen freust und morgens aufs Abhauen. Hihi. Du siehst, ich bin verlegen, weil ich nicht weiß, was ich schreiben soll. Ich wünsch dir, daß du glücklich bist. Basta. Und bitte sei so gut, sag mir, daß es überhaupt nicht schlimm ist, fünfzig zu werden, ich mach mir nämlich in die Hosen vor Angst – bei mir ist es im April soweit. Weißt du ja. Wie immer: alles Liebe, Ingrid
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Von Emilio: Hallo Christian, kannst du mir die Adresse deiner Agentur noch mal schicken? Ich hab sie schon wieder verloren. Und wenn du schon dabei bist, auch die von Sönke Wortmann und der FFA. Danke. Hast du nicht demnächst Geburtstag?
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Und von einer Unbekannten: Hallo Herr Uhlig, da sitz ich am 22. Dezember allein zu Hause, alle sind weg zu ihren Eltern, zum Skifahren oder in die Wärme geflüchtet, das Wetter vor der Tür ist grauslich grau, und mir wird so seltsam trüb im Herzen, daß ich denke, der einzige Weg, diesen Abend zu überstehen ist: Kuschelrock und Alkohol, und zwar so lange, bis ich den erstbesten Bekannten anrufe und ihm ein Zwei-Stunden-Gespräch aufdränge, nach dem er glaubt, meine große Liebe zu sein.
Problem eins: Im Kühlschrank ist nur Sekt. Den hat mir irgendwer, der mich nicht gut genug kennt, mitgebracht, weil er hoffte, mich damit rumzukriegen, aber ich habe ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen, den Sekt genommen und als Geschenk für irgendwen sonst gebunkert. Ich hasse Sekt.
Problem zwei: Ich hasse auch Kuschelrock, und deshalb habe ich so was nicht im Haus.
Was tun also? Fernsehen.
Ich war auf Trash aus und wurde fündig. »Wenn alle Herzen schmelzen« bei RTL. Der Abend war gerettet. Dachte ich. Ich saß also erwartungsvoll, Kakao vor mir, Gebäck im Mund und Krümel schon überall auf dem Sofa verteilt, vor der Glotze und freute mich auf Sülze à la Pilcher, und was kam da? Ein Lastwagenfahrer klaut seinen Sohn und will ihm was Wichtiges zeigen. Und nach ein paar Minuten wird mir klar, daß man mich um mein kitschiges Mädchenfutter betrügt – ich sehe einen guten Film. Einen, der mir ans Herz geht, bei dem ich den Figuren zurufen möchte, sie sollen doch mal hinhören, sie sollen doch mal nachdenken, sie sollen sich doch nicht so dumm weh tun gegenseitig, dann wären sie auch nicht so hilflos, wenn sie mal versuchen, was Liebes hinzukriegen. Kurz: Ich war angerührt, begeistert, mitgenommen von der Traurigkeit und Wärme dieser Geschichte und saß am Ende, wie im Kino, so lange da, bis ich den ganzen Abspann gelesen hatte. Das ist heutzutage eine Leistung, wie Sie sicher wissen, weil man parallel dazu schon die Ohren vollgebrüllt kriegt mit der Ankündigung des nächsten Films.
Im Abspann stand Ihr Name, den gab ich dann bei Google ein und landete irgendwann auf der Homepage Ihrer Agentur, dort fand ich Ihre E-Mail-Adresse, und hier kommt meine Frage: Wie kann man einen so ekelhaften Titel für einen so schönen Film verwenden? Jana Brüggemann
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Jetzt war auch die Saeco warm, und ich machte mir den ersten Cappuccino des Tages. Ich las die Mail noch mal. Fanpost. Das war mir noch nie passiert. Niemand kommt auf die Idee, sich an einen Drehbuchautor zu wenden. Man hält den Regisseur für den Urheber eines Films und denkt, wenn er gut war, das liege an den Schauspielern. Diese Frau war intelligent. Oder sie kannte sich im Metier aus. Und sie lobte mich.
Ich antwortete der Reihe nach.
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An Walter: Danke. Brauchst mich nicht zu trösten – ich steh das schon durch. Aber wann hast du je eine Frau mir nachpfeifen gehört? Wüßte ich das nicht? Hab ich was an den Ohren? Das würde ja passen. Servus. Christian
P.S. Der Film war ausnahmsweise mal nicht scheiße – entweder hast du ihn nicht gesehen und dir gedacht »ist ja immer Mist, kann ich auch diesmal behaupten«, oder du hast keinen Geschmack. Das allerdings befürchte ich schon länger. Mach dir nichts draus. Ohne lebt man besser.
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An Ingrid: Liebe Ingrid, mach dir keine Sorgen – alles ist normal. Das Gesicht im Spiegel erinnert noch immer an Ralph Siegel und noch immer nicht an Richard Gere, mental tut sich auch nichts, die Stimmung changiert wie immer in dieser Jahreszeit zwischen mürrisch und melancholisch, die Arbeit macht nur sekundenlang Spaß, die Karre braucht zuviel Öl, und das Wetter ist wie von der Rheumaliga bestellt – alles wie immer. Alles in Ordnung. Gute Antwort? Danke für deine lieben Grüße, Chris
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An Emilio: Nein, ich hab nicht Geburtstag in der nächsten Zeit. Die Adressen häng ich dran. Gruß, C.
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Und an Jana Brüggemann: Ja, das frage ich mich allerdings auch. Aber nur rhetorisch, denn ich weiß ja, daß es Leute gibt, die ihr Geld damit verdienen, sich beschissenstmögliche Titel für die Privatsender auszudenken. Das Traurige ist: Die verdienen auch noch richtig gut. Wenn es arme Schweine wären, die auf diese Weise Rache an der Welt, am Sender, an den Autoren, an ihren Eltern oder wasweißichanwem nehmen würden, dann könnte ich’s leichter nachvollziehen. Ich hoffe, Sie haben nicht gedacht, der Titel wäre von mir.
Und ich möchte Sie unbedingt was fragen: Wieso schreiben Sie an den Autor? Das tut niemand. Ich vermute, 99,8 Prozent der Menschheit weiß nicht, daß Filme von Autoren ausgedacht werden, und die übrigen null Komma zwei Prozent SIND Autoren.
Danke für Ihr schönes Lob, es hat, wie der Ami sagen würde, »meinen Tag gemacht«.
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Ich schickte alle vier Mails ab. Und nahm mir vor, in der nächsten halben Stunde nicht ins Postfach zu sehen. Dann rief ich bei der Autowerkstatt an und vereinbarte einen Termin. Die Beifahrertür reagierte nicht mehr auf die Zentralverriegelung. Das war lästig. Das paßte nicht zu einem Rover, das war Schrottkarrenstil.
Und dann sah ich doch in die E-Mail. Online-Casino, Last-Minute-Reise, Schnäppchenangebot und eine Mail von meiner Frau:
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Mockel, du kannst im Sportstudio gezielt Rückentraining machen. Die haben extra Übungen und Geräte dafür. Das wollte ich dir eigentlich schon gestern abend sagen, aber du mußtest ja unbedingt diesen Gewaltfilm sehen, da hab ich’s vergessen. Heiner sagt, er gibt dir eine kostenlose Einführung und macht mit dir ein Probetraining, wenn du willst. Sollst dich nur auf mich berufen.
Ich sag das nicht, weil ich an deiner Figur was auszusetzen hätte, ich kann bloß nicht verstehen, wie man sich andauernd mit schmerzverzerrtem Gesicht ins Kreuz fassen kann und trotzdem nichts unternehmen.
Muß weitermachen, Arbeit ruft. Bis heut abend, dein Fussel
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Daß wir einander Mockel und Fussel nennen, weiß niemand. Diese zärtlichen Namen sind reserviert für Briefe, Zettel und Geflüster.
Was sollte ich denn im Sportstudio. Zappeln, schlechte Musik hören, schwitzen und mich lächerlich machen? Was für eine absurde Idee. Aber sie würde so lang bohren, bis ich wenigstens den Probetermin absolviert hätte. Sie gibt nie auf. Sie ist erstens immer im Recht, meint es zweitens immer gut und hält es drittens nicht aus, wenn man sich ihren Manipulationen widersetzt.
Ich muß immer alles (außer meiner Arbeit) gleich erledigen. Briefe beantworten, Rechnungen bezahlen, Anrufe erwidern – ich kann es einfach nicht ertragen, wenn sich Chaos auf meinem Schreibtisch ausbreitet. Also schrieb ich:
˜
Lieber Fussel, muß das sein mit dem Training? Der Gedanke, mit Bewegung ein Problem zu lösen, das ich durch Bewegung erst gekriegt habe, kommt mir einfach nicht logisch vor.
Ist es okay, wenn ich heut abend nur Kartoffeln mit Quark mache? Mir will einfach nichts anderes einfallen. Bis dann, Mock
˜
Eigentlich hätte ich mich an das viel zu lang hinausgeschobene Exposé für Zeppo-Film setzen müssen, ich hatte es bis zum nächsten Tag abzuliefern versprochen, aber da waren erst noch wichtige Updates zu machen, Firewall, Virusdefinitionen, Windows, das muß man alles pflegen, sonst hackt einem irgendein teigiges Bürschchen das Plus vom Konto. Und außerdem würde bei Zeppo niemand im Büro sein. Die Branche kurierte jetzt ihre Après-Ski- oder Après-Malediven-Depression. Oder Knochenbrüche. Und das mit der Zentralverriegelung war auch wichtig. Nur wegen eines Abgabetermins läßt man nicht den Haushalt verkommen. Und schon gar nicht den Rover.
»Sie haben Post«, sagte die Software, als ich die Mail an Fussel abschickte. Jana Brüggemann hatte geantwortet:
˜
Oha, das klingt aber frustriert. Haben Sie denn keinen Einfluß darauf, wie Ihre Filme gemacht werden? Und auf die Titel? Dumme Frage, Sie haben mir die Antwort ja schon gegeben.
Ich gestehe, ich habe mich außerordentlich gefreut über Ihre Antwort. Das hätte ich nicht erwartet. Ich dachte, Sie kriegen sicher täglich Post von Bewunderern und winken müde ab, wenn sich schon wieder ein Haufen Elogen auf ihrem Bildschirm stapelt. Aber: Sind Sie frustriert?
Und bin ich dann ein Dummerle, daß ich Ihren Weihnachtsfilm so schön fand? Finden Sie ihn selber vielleicht den letzten Mist und lassen verächtlich die Unterlippe hängen, wenn Sie sich die kleine Spießerin vorstellen, die nicht nur schlechte Filme gut findet, sondern auch noch die Leute belästigt, deren Herzblut daran verschwendet wurde?
Bin ich Ihnen lästig mit diesen Fragen?
Aber Sie haben mich ja auch was gefragt, nämlich, wie ich darauf komme, einem Autor zu schreiben. Ich weiß es nicht. Ich dachte, es wäre die richtige Stelle für Fragen. Ihre prozentuale Aufteilung der Menschen kann nicht ganz stimmen – ich bin keine Autorin und denke trotzdem, daß Filme von Drehbuchautoren geschrieben werden. Aber die Abweichung liegt im Promillebereich und ist nicht weiter tragisch.
Aus Ihrer Beschreibung der Titelerfinder scheint mir eine ordentliche Portion Zorn herauslesbar. Vielleicht sogar mehr Zorn, als einem Verstümmler Ihres Werkes gebührt. Sind Sie eventuell neidisch? Verdient so ein Trashlieferant mit seinen Titeln mehr als Sie? Oder unterschätze ich die Wut, die man als kreativer Mensch hat, wenn andere einem hineinpfuschen?
Das sind eine Menge Fragen. Wenn Sie keine Lust haben zu antworten, bin ich nicht böse. Höchstens enttäuscht. Jana
˜
Ich drückte auf den Antwortknopf und tippte los: In Wirklichkeit hab ich keine Ahnung, was so ein Titelheinz verdient, ich hab das einfach mal behauptet. Vielleicht, weil ich glaube, niemand dürfte sich für so etwas hergeben, wenn nicht für viel Geld und weil ich irgendwo mal einen Artikel gelesen habe über Leute, die Namen wie »Zafira« oder »Meriva« für einen Opel erfinden und sich vom Honorar einen Maybach leisten können. Vielleicht herrscht ja in diesem Falle (beim Fernsehen, meine ich) doch eine gewisse höhere Gerechtigkeit, und es gibt nur 100 Euro pro Titel. Mein Zorn kommt, wie Sie ganz richtig erkannt haben, von Herzen und hat nichts mit Neid zu tun. Es ist so, als hätte man ein begabtes, hübsches Kind, und die Frau tauft es Detlef. Oder Rolf-Ralf.
Sie sind mir nicht lästig. Es macht Spaß, mit Ihnen zu plaudern, weil ich eigentlich dringend arbeiten müßte und Sie mich davon abhalten. Das ist eine gute Tat.
Ja, ich bin frustriert. Wie vermutlich die meisten meiner Kollegen. Ich kenne nicht so viele, aber die, die ich kenne, haben alle so ein leicht zerquältes Kummergesicht und den verhuschten Blick geprügelter Hunde. (Pardon – die Formulierung mußte sein, sie ist Standard –, ich hab noch nie einen Hund geprügelt.) Sie erinnern alle eher an Nicolas Cage oder Andy Garcia als an Johnny Depp. Und die Frauen an Susan Sarandon. Sie haben alle zu oft ein gutes Buch schlecht werden sehen, um noch an das Gute im Menschen, speziell im Redakteur, zu glauben. Und sie haben den Satz »Es gibt hierzulande einfach keine guten Drehbücher« zu oft gelesen oder gehört, um nicht in stiller Verzweiflung oder mit sarkastischem Keckern ihren Rückzug aus der ohnehin desinteressierten Öffentlichkeit angetreten zu haben.
Außer natürlich die Jungautoren, die zappeln noch vor lauter Hoffnung, daß Hollywood anruft und Winona Ryder sich in sie verliebt. Oder sie spüren schon das Knistern der Anzahlung für den Porsche in ihrer Dolce-und-Gabbana-Jackentasche.
Sie sind kein Dummerle, Sie sprechen mir aus dem Herzen. Ich mag den Film selber, hab ihn schon zweimal auf Video und jetzt bei der Ausstrahlung genossen und wünschte nur, so was käme öfter vor. Daß man sich unter Autor, Producer und Regisseur so gut versteht, jede Drehbuchfassung besser wird als die vorhergehende und der Sender sich freundlicherweise raushält. RTL hat am Anfang die Ansage gemacht: »Blauer Himmel, Schnee und Kerzenlicht« und uns dann in Ruhe gelassen. Das war ein Blick ins Paradies.
Natürlich tut es mir leid, daß wir als Truck nur diesen glamourfreien gelben MAN bekommen konnten – stellen Sie sich vor, ein silberner MACK zöge majestätisch seine Bahn durch die Alpen, aber es gibt Grenzen. So ein Film kostet Geld, und für alles reicht es nie.
Sie schreiben so flott und elegant – sind Sie Journalistin? Ein Wort wie »Elogen« kommt doch außerhalb des Zeit-Feuilletons allenfalls noch in antiquarischen Büchern vor. Das ist keine Kritik. Es gefällt mir.
Danke für die Ablenkung, und bis hoffentlich bald, C. U.
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Wäre ich im selben Tempo, in dem ich diese Mail geschrieben hatte, das Exposé angegangen, dann kämen bis zum Abend acht Seiten Gebrauchsprosa aus dem Drucker, die ihren Zweck erfüllte, nämlich den Rotstift des Redakteurs zum Tanzen zu bringen. Aber das war was anderes. Diese E-Mail-Plauderei machte Spaß, eine Filmidee in lesbare Form zu bringen war dagegen Arbeit. Und daß Arbeit Spaß machen sollte, davon hatte ich mit etwa fünfundzwanzig noch geträumt. Diese Flause war mir ausgetrieben worden.
Nein. Ich hatte sie mir austreiben lassen. Oder besser: selber ausgetrieben. In meinem ständigen Streben nach Realismus und Erwachsensein hatte ich jeden Kindertraum bei der ersten Überprüfung, beim ersten Scheitern oder auch nur, wenn sich die Erfüllung anders als erwartet anfühlte, von der Liste gestrichen. Als sei ich nur darauf aus gewesen, mich selbst zu widerlegen, mir zu beweisen, daß alles, wonach man sich sehnt, im wirklichen Leben nicht vorkommt, war ich in eiliger Beflissenheit zur Entsorgung bereit, wann immer sich die Gelegenheit ergab.
Jetzt wehleidig zu werden, stand mir einfach nicht zu. Als Realist und als Mann jammert man nicht. Und man schiebt die Schuld nicht anderen zu. Dem bösen Fernsehen zum Beispiel.
Also raffte ich mich auf und begann mit dem Exposé. Aber schon mit der Wahl des Namens für die Hauptperson hatte ich solche Schwierigkeiten, daß ich minutenlang auf und ab ging und schließlich sogar das Vornamenbuch aus dem Regal zog, denn Filmfiguren heißen immer besonders. Und es ist nicht einfach, einen besonderen Namen zu finden, der auch noch glaubhaft klingt. Sie heißen nicht Winfried Gurkner oder Bärbel Schmidt. Eher vielleicht Konrad, besser noch: Konstantin von Bruckheim und Julia Fink. Das Telefonbuch hilft nicht in solchen Fällen. Zumal das Alter auch noch stimmen muß. Eine Julia ist höchstens Ende Zwanzig, ein Konrad oder Konstantin eher Ende Vierzig.
Zwei Mails im Postfach.
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Von Walter: Ach herrje, das hätt ich mir ja denken können, daß du empfindlich reagierst. Kritik ist wohl nicht so dein Ding. Kann ich ja verstehen, aber ein offenes Wort unter Freunden sollte doch möglich sein. Bevor ich dich anlüge, halt ich also in Zukunft lieber den Mund.
Was nun aber meinen »schlechten Geschmack« betrifft, muß ich dir doch erwidern: Wenn sich die Schauspieler wie ausgemachte Zombies über den Bildschirm quälen, wenn sich die Bilder zäh und mühsam abwechseln und wenn die Musik eine Nullachtfünfzehn-Phrase nach der anderen abnudelt, dann darf man das doch scheiße finden, oder?
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Das mußte augenblicklich beantwortet werden. So was kann man nicht einfach stehen lassen. Ich kopierte die ersten drei Sätze und fügte sie ins Antwortformular ein: Ach herrje, das hätt ich mir ja denken können, daß du empfindlich reagierst. Kritik ist wohl nicht so dein Ding. Kann ich ja verstehen, aber ein offenes Wort unter Freunden sollte doch möglich sein. In meinem Fall das Wort vom schlechten Geschmack.
Du darfst das scheiße finden. Dochdoch. Das erlaube ich dir. Und du darfst das auch sagen. Aber diesmal darfst du halt nicht auch noch Lob dafür erwarten, weil ich das eben anders sehe. So einfach ist das. Kein Problem. Ich bin weder sauer noch empfindlich, zumal du ja nicht mal mein Drehbuch kritisierst, sondern nur dessen Umsetzung, ich bin nur ausnahmsweise mal überzeugt, daß der Film gelungen ist und deshalb taub für Unkenrufe. 1 Gruß C.
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Von Jana: ROLF-RALF??? Das hatten Sie doch irgendwo auf einem Zettel stehen, oder? Das ist Ihnen nicht gerade spontan einfach so eingefallen. Ich lach mich jedenfalls kringelig darüber. So läßt sich ein mieser Tag rumbringen.
Nachdem ich vorhin glasklar analysiert habe, daß Sie frustriert sind, entnehme ich jetzt Ihren (locker als gütig getarnten, aber in Wirklichkeit herablassenden) Zeilen über Jungautoren, daß Sie selbst nicht mehr ganz jung sind. Wenn ich also mit dem Neid auf die Titelerfinder falsch lag, lieg ich dann jetzt mit Neid auf die Jugend richtig?
Falls das so wäre, täte es mir leid und bräche Ihnen einen Zacken aus der Krone. Meine Hochachtung vor dem Mann, der einen so herzlichen und lebensklugen Film schreiben kann, bekäme einen Knacks, wenn er nicht souverän, stolz auf das Erreichte und sich seiner Fähigkeiten sicher wäre.
Jetzt bin ich gespannt, was Sie darauf antworten werden. Schließlich hab ich Sie in die Falle gelockt. Antworten Sie »Neinnein, ich bin nicht neidisch«, weil ich Sie mit Achtungsreduktion bedrohe, dann glaube ich vielleicht, Sie sind nicht ehrlich, antworten Sie das Gegenteil, dann fällt das Respektsverlust-Beil. Gemein von mir. Aber vielleicht nehme ich mich auch zu wichtig, und Sie sehen darin gar kein Dilemma. Ich laß mich überraschen.
Danke für das Kompliment, ich würde elegant schreiben. Nein, ich bin keine Journalistin. Ich lese viel und schreibe gern, das ist alles. Ansonsten bin ich noch gar nichts. Ich WERDE vielleicht mal Architektin. Wenn ich das Studium nicht irgendwann noch schmeiße und heirate, Kinder kriege, Hausfrau werde und mir nur noch Gedanken darüber mache, ob ich den Carport mit Efeu, Fleißigen Lieschen oder Wildem Wein begrüne.
Und jetzt schließen SIE messerscharf, daß ich noch jung bin. Ja, bin ich. Genauer gesagt: zweiundzwanzig. Deshalb die Empfindlichkeit gegenüber eventueller Herablassung. Ich nehm so was gleich persönlich. Reife ist doch nicht alles, oder?
Ich nehme an, ein Mack ist ein Lastwagen. Keine Ahnung, wie der aussieht. Aber silbern wäre schön gewesen.
Anworten Sie noch mal? Oder hab ich’s mir jetzt verscherzt? Jana
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Erst als die Zigarette schon brannte, sah ich, daß eine halbgerauchte im Aschenbecher lag. Dummes Klischee. Das würde ich nie verwenden. Aber vielleicht lohnte sich’s, doch noch mal gründlicher darüber nachzudenken. Klischees existierten ja nicht ohne Grund. Eigentlich sind sie so was wie die Verhaltens-Top-Ten, und jeder Erzähler, der sie immerzu vermeiden wollte, wäre ein Kitschproduzent, wenn er versuchte, den Leuten die Wirklichkeit als etwas Originelles zu verkaufen. Das ist sie nicht. Sie ist voller abgeschmackter Gemeinplätze. Alle tun, denken, reden, essen und kaufen, was alle tun, denken, reden, essen und kaufen, und daß sie sich dabei noch für Individualisten halten, ist ihnen auch allen gemein.
Wäre das der Schlüssel zum Seelenfrieden? Platitüden? Ich wollte den Gedanken nicht weiterdenken. Da drohte eine anhaltende depressive Verstimmung. Ohnehin hatte ich Besseres zu tun.
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Liebe Jana, schön, daß ich Sie zum Lachen bringe – ich geb’s zu: Rolf-Ralf lag schon parat. Nicht auf einem Zettel zwar, aber doch zur gefälligen Verwendung bei Gelegenheit in meinem Kopf. Ein Freund von mir hatte behauptet, seinen Sohn so nennen zu wollen. Es wurde ein Mädchen. Er mußte seinen Mut (und seine Grausamkeit) nicht beweisen.
Jetzt steh ich vor dem Problem, mir Ihren Respekt erhalten zu wollen, meine Souveränität nachzuweisen und Ihnen den Verdacht, ich könnte mogeln, auszureden. Dafür braucht es vielleicht ein paar Worte mehr. Mal sehen.
Sie haben recht. Ich bin alt. Zumindest bin ich nicht mehr jung. Und Sie haben auch recht, mir Herablassung vorzuwerfen, zu vieles wiederholt sich in immergleicher Gestalt, wenn man dem Leben mal eine Weile lang zugesehen hat. Und die großmannsüchtigen Träume junger Autoren kenne ich ja von mir selbst, da ist es kein Wunder, daß ich glaube, sie an anderen auch sicher diagnostizieren zu können.
Bin ich neidisch? Allenfalls auf manches. Auf anderes nicht. Vielleicht mach ich mal eine Liste.
Neidisch bin ich auf:
den Glauben, die Welt sei voll mit besonderen Menschen, die kennenzulernen aufregend sein wird,
die Überzeugung, man selber sei zu großen Leistungen ausersehen und in der Lage,
die Chance, Venedig, Paris, Rom, New York oder Amsterdam das erste Mal zu sehen, die Beatles oder eine Nachtigall das erste Mal zu hören, das Fell einer Katze zum ersten Mal zu streicheln oder den Geruch des Meeres zum ersten Mal einzuatmen,
den Traum mit immer neuen Frauen (in Ihrem Fall natürlich Männern – falls Sie nicht lesbisch sind) ins Bett zu gehen, und jede wird sich anders bewegen, anders lachen, anders riechen, anders stöhnen und natürlich anders aussehen, von etwas anderem träumen und auf andere Art aus Ihrem Leben verschwinden als alle anderen,
und dann der eine Mensch, der nicht verschwindet, die große Liebe, ewige Leidenschaft, tiefe Verbundenheit und dauerndes Glück,
undundund – ich werde schlapp vor Nostalgie und breche hier ab. Das wird mir zuviel.
Nicht neidisch bin ich auf:
dieses immer wiederkehrende Erlebnis, unterschätzt, nicht wahrgenommen, nicht ernstgenommen, nicht aufgenommen zu werden, und die Zweifel am eigenen Wert, die daraus entstehen,
die bescheuerte Mode, der man sich anpaßt,
die dumme Musik, zu der man tanzt,
den albernen Selbstdarstellungskult, den man pflegt, bevor man noch eine Ahnung hat, wer man überhaupt ist,
die Ignoranz und Arroganz gegenüber klügeren, älteren, gebildeteren und erfahreneren Menschen,
die Manierenlosigkeit, die man mit Freiheit verwechselt,
den verdammten Lärm, ohne den es anscheinend nicht geht, Auspufflärm, Musiklärm, Lachlärm, Spaßlärm, Kreischlärm, immer ist alles laut,
die Bereitschaft, jederzeit anderen weh zu tun,
die Stinkfüße, die man von Turnschuhen bekommt,
etc., etc., etc. – auch hier mach ich vorzeitig Schluß, weil ich das Gefühl habe, es wird öde.
So. Was gedenken Sie jetzt in bezug auf meine Ehrlichkeit oder Souveränität zu entscheiden? Bin ich durchgefallen? Muß ich jetzt mit weniger Achtung Ihrerseits leben? Wär schade. Aber ich steh’s durch, wenn es denn so kommt.
Warum ist der Tag heute mies für Sie? Irgendwas schiefgelaufen? Kummer? Haben Sie Lust, mir davon zu erzählen? Ich will nicht indiskret sein, aber der Ausblick auf Heiraten, Kinderkriegen und Carportbegrünen klang für mich nicht gerade wie von inneren Jauchzern begleitet. Also, wenn Sie wollen, erzählen Sie. Ich höre zu.
Übrigens fällt es mir schwer, zu glauben, daß Sie erst zweiundzwanzig sein sollen. Sie klingen für mich klug und wach – das paßt nicht zu dem Klischee von Jugend, das ich hege und pflege. Ich bin überrascht. Und erfreut. Und habe jetzt schon fast den halben Tag mit Ihnen verplaudert, anstatt zu arbeiten. Und könnte noch stundenlang so weitermachen. Christian
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Inzwischen hatte ein Dauerregen eingesetzt, der spätestens bis zum Abend für Glatteis sorgen würde. Ich mußte rechtzeitig, bevor es anzog, einkaufen, damit ich noch den Berg hochkam – wenn ich den Zeitpunkt verpaßte, konnte ich’s vergessen. Hoffentlich war Fussel so schlau, früher Schluß zu machen. Sie arbeitet in einer Basler Maklerfirma und hat eine halbe Stunde Fahrt nach Hause, wenn sie den täglichen Stau auf der A 5 umfährt und den kleinen Grenzübergang in Hüningen nimmt.
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Lieber Fussel, es wär mir lieber, du landest nicht im Graben oder sonstwo, sondern wie sich’s gehört zu Hause. Fahr bitte rechtzeitig los, bevor der Regen zu Glatteis wird. Wärst du so nett? Dein besorgter, dich liebender und zufrieden schmatzen hören wollender Mockel
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Von Walter: Irgendwie scheint heut nicht dein Tag zu sein. Lassen wir’s lieber dabei bewenden. Vielleicht ein andermal. Wenn du wieder besser drauf bist.
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Das ging eindeutig bergab, aber ich hatte keine Lust, auf die Bremse zu treten. Wenn Walter so lässig austeilen wollte, dann sollte er auch lässig einstecken. Ich tippte: Okay, wie wär’s ab dem 17. April?
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Man sollte nicht schriftlich streiten. Der Ton verrutscht, der falsche Hals giert nach Nahrung, es geht immer schief. Man macht einen Witz, und der andere schickt seinen Sekundanten. Man will löschen und nimmt Öl. Wieso reagierte ich eigentlich so harsch, ich kannte ihn doch. Bisher hatte ich mir nie was draus gemacht, wenn er sich so knirschend und kurz angebunden gab. Wieso sollte das auf einmal ein Drama sein?
Ende der Leseprobe