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Henrik Henriksons Geschichte beginnt Mitte des neunzehnten Jahrhunderts im spärlich besiedelten Norwegen, im Dorf Dale, gelegen zwischen Bergen und Fjorden. Nach dem Feuertod seiner Familie verschlägt es den Jungen mit den silberblauen Augen in ein Waisenhaus am Arnafjord, in dem Kinder gezüchtigt und eingesperrt werden. Sie sollen keine Kosten verursachen und dem Waisenhausherrn Profit durch Verkauf einbringen. Zudem gibt es für jedes Kind Geld vom »Jungen Norwegen«. Dem sechsjährigen Marten retten Henrik und sein Freund das Leben. Im Baumversteck erzählt Henrik von einer wundersamen Weltreise, vermischt zunehmend Traum und Realität, die zarte Freundschaft zum Mädchen Mikaela flammt auf. Um die Kinder zu vereinen, denkt er sich Zaubereien aus und wird von den Freunden als »Sonnemacher« geachtet. Eines Tages wird das abgelegene Waisenhaus kontrolliert und Henrik Zeuge am Mord des Herrn aus Kristiania. Beschwerliche Zeiten brechen an. Und die aufregende Reise wartet noch immer auf ihr unerwartetes Ende. Lesen Sie eine ergreifende und spannende Erzählung über Freundschaft, Liebe, Erziehung, Abenteuer, Leben und Tod. Empfohlen ab dem zwölften Lebensjahr.
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Seitenzahl: 860
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Tino Hemmann
Die Erzählung einer abenteuerlichen Kindheit
Zeichnungen von Hans Kunze
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
eISBN: 978-3-86901-557-6
Copyright (2009) Engelsdorfer Verlag
Alle Rechte beim Autor
Titelfoto © godfer – Fotolia.com
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Ich widme dieses Buch
Hans Kunze
aus Leipzig-Engelsdorf
dem Zeichner der Bilder in diesem Buch der im Jahr 2009 von uns ging.
unvergessen
Die Vorgeschichte
Retter in höchster Not
Der Schwarze Arne
Nyne
Tuniels
Rache
Hunger
Helmönd
Odahl
Die Schwedenhöhle
In Dale
Entführt!
Das Waisenhaus in Arnafjord
Niels
Auf dem Meer
Krank
Flaute
Niels’ Geheimnis
Schiffbruch
Begegnung mit den Raufern
Die Ranch
Der Besucher
Jonny
Die Strafe
Der fremde Pistoléro
Henrik auf Raubzug
Hass
Marten
Die Schule
Fieber
Ein Fluchtversuch
Auf und ab
Eine Ballonfahrt
Marten wird Marte
Der Sohn Allahs
Mord im Herrenhaus
Der Löwe mit den silbernen Augen
Die Strafe der Raufer
„Mann“ über Bord
Briefe und Träume
Streit
Kampf und Taler
Der blinde Passagier
Der Sonnemacher
Eine Seefahrt, die ist anstrengend
Aufruhr
Licht
Glück und Unglück
Bei den Indios
Finale
Dale, ich komme wieder!
Die Wahrheit
Schwarz und bizarr ragen riesige Steinmassen aus dem Wasser, unsere Höhe lässt uns die ganzen Ausmaße und die wundervollsten Reize der norwegischen Natur erahnen. Die kleinen und großen Wasserläufe der Fjorde schweben brodelnd dahin, gleich glänzenden Silberfädchen in einer anmutig bedeckten Wiege.
Entfaltet eure Flügel und seht mit Adleraugen, dann werdet ihr staunen, was es doch da unten zu entdecken gibt! Ihr seht die sanfte Versuchung einer Regung im seichten Uferbett eines Fjordes, beobachtet die gezeitenabhängigen Strömungen des Wasserlaufes, die dem Nass das Wandern lehren. Diese Natur, zwischen den hohen Gipfeln der Berge und den glatten Flächen der großen Gewässer, gleicht einem paradiesischen Anblick. lange, weit reichende grüne Wiesen und Wälder, die jene riesigen Hänge der steilen Gebirgszüge gleich seidenen Tüchern überzogen haben und glücklich rollende Bächlein, die wie Silberfäden im Sonnenlicht glitzern. Nur höchst selten wirst du die liebliche Hütte einer der Holzfällerfamilien zu sehen bekommen, eher noch einen Holzflößer auf einem der breiten Fjorde, der geschickt seine riesige Last durch die Wassermassen lenkt. Kaum ein angelegter Weg ist zu finden, denn die Holzfäller nutzen die natürlichen Schneisen, die Schneelawinen im Winter schufen.
Im Angesicht dieser traumhaften Landschaft willst du nicht wahrhaben wollen, dass irgendwo dort unten ein Unheil geschieht, mit dem der Herr im Himmel nichts zu tun haben will. Obwohl er von jenen Geschehnissen wissen muss, denn warum sonst, würde er uns mit einer sanftmütigen Naturerscheinung in die Irre führen wollen?
Zwischen den Ausläufern eines skandinavischen Gebirgszuges, inmitten eines kleinen Tales, finden wir ein Stückchen englischer und norwegischer Vergangenheit. Das Leben in einem sehr eigenen Stil, abgesondert von ähnlicher menschlicher Zivilisation jener Zeit.
Im Nebental des Lustlerfjords, der sich majestätisch zwischen den stählernen Bergen ausbreitet, leben einige Menschen, deren Weg vor vielen Generationen in diese Welt gelenkt wurde. In den Erzählungen, die durch die Holzfällerhütten wandern, wird oft davon berichtet. An manchem kalten Abend treffen sich die Holzfäller mit ihren Familien in einer der Hütten und redeten über ihre Vergangenheit.
So wurde von Generation zu Generation übertragen, dass die ersten Siedler auf einem langen Weg aus dem Süden das ungastliche, kalte Land im Norden erreichten, nachdem sie über Fjorde hinwegsetzten und riesige Steinwüsten und dunkle Wälder durchqueren mussten.
Auf diesem schweren Weg lernten jene, die den Marsch überlebten, Land und Leute kennen. Sie machten Bekanntschaft mit anderen, neuen Sprachen. Bald erfuhren sie, dass diese raue Welt als Land der Fjorde bezeichnet wurde.
Eines Tages kamen die Siedler in eine Gegend, in der sie unbehelligt und einsam leben wollten. Keine Menschenseele belästigte ihr tägliches Dasein. In diesem Tal, umgeben von riesigen Bergen, sollten sie eine neue Heimat finden. Sie nannten den Ort einfach nur Tal. Die Einheimischen änderten diesen Namen viele Jahre später in Dale.
Schon bald hatten sie ihre kleine Zivilisation gefestigt, alle jagten, fischten und ernteten genau das, was sie zum Überleben benötigten. Abgeschieden von jeder anderen Gesellschaft lebten die Siedler viele Jahre lang, mehr recht als schlecht, in ihrem kleinen Dorf, die Hütten großzügig verteilt entlang der unendlichen Bergwiesen.
Die gute Zeit verging, bis eines Tages fremde Menschen erschienen, die sich als Landbesitzer ausgaben. Sie erklärten den Siedlern, dass sie das Land, auf dem die ehemaligen Einwanderer lebten, für viel Gold von einem König gekauft hätten. Der übte seine Macht, weit entfernt in Gottes Landen Danmark aus. Diesem König gehörten bis dahin alle Berge und Täler, alle Fjorde und Inseln, all das, was diesen Landstrich ausmachte. Er nahm sich daher das Recht heraus, das Land zu verkaufen und zu verpachten, wie es ihm gefiel.
Bald schon verkündeten die neuen Herren von Dale, dass die Siedler eine Pacht zu zahlen hatten. Die Holzfäller berieten sich am Abend in einer der Holzhütten und beschlossen, die Gegend in Richtung Norden zu verlassen. Als die Pächter das vernahmen, lachten sie und meinten, dass auch alles Land, jenseits von Dale, längst verkauft sei, und dass dort vielleicht weniger gnädige Herren warten würden.
Welche Wahl blieb den Siedlern? Sie verweilten in Dale und fristeten von nun an ein unterwürfiges Leben, mussten fast alles, was sie zum Überleben schufen, an ihre neuen Herren abliefern. Wer die Steuern nicht zahlen konnte, wurde gejagt und gequält und musste meist mit dem Leben bezahlen.
Wieder gingen viele Tage, Monate und Jahre ins Land. Ein unzerstörbares System der Ausbeutung entstand in der einst so ruhigen Welt der Holzfäller. Neue Menschen kamen ins Tal, die Sippe vergrößerte sich, auch Händler und die Kirche siedelten sich an. Dabei entstand der Name Henrikson, den etliche Familien führten.
In dieser Gegend wurde nicht mit Tieren und Getreide gehandelt. Das Gold der Pächter hieß Holz. Gott wollte die allabendlichen Bitten der ausgebeuteten Holzfäller nicht erhören, er hatte keine Lust, das Unheil aufzuhalten, das die Henrikson immer heftiger traf. Die Macht in Dale besaßen die kaltherzigen und eitlen Grundbesitzer. Die Holzfällerfamilien dagegen wurden bis auf den letzten Blutstropfen ausgequetscht.
Die Henriksons lebten noch immer in den alten Holzhütten, die die ersten von ihnen einst am Ostufer des Lustlerfjords gebaut hatten. Doch längst gehörten ihnen diese Hütten nicht mehr, sie zählten zum Besitz der Herren Pächter, die sich diese armseligen Hütten angeeignet hatten. Und wenn es den Pächtern passte, dann brannten sie mit ihren Helfern eine Hütte nieder.
Hinzu kamen noch die kriegerischen Zeiten. Ein blutiger Feldzug der benachbarten Schweden vernichtete viele Hütten in und um Dale. Der dünn besiedelte Norden wurde zeitweise vom südlichen Danmark abgetrennt. Und so kam es, dass die Pächter im Namen des Königs herrschten, der gleiche König aber längst nicht mehr über diese Länder verfügte.
Die Eidsvolder Verfassung und die brüderliche Teilung der Macht mit den Schweden, waren schon kurze Zeit nach ihrem Ausruf zum Untergang verurteilt. Schweden bekam das „Junge Norwegen“ zu spüren, eine neue politische Kraft, die die Unabhängigkeit Norwegens verfolgte. Obwohl es immer wieder zu Konflikten zwischen den nordischen Ländern kam, behielten die Herren Pächter weiterhin das Land und das Gesinde als ihr Eigentum, weil sie das „Junge Norwegen“ unterstützten. In Wirklichkeit aber handelten sie mit den kriegerischen Schweden hinterlistige Verträge aus. Die Schweden konnten auf ihren Raubzügen die Hütten der Armen plündern und ließen die Herren Pächter als Gegenleistung in Ruhe. Zweifach bekamen die Holzfäller die Macht der Mächtigen zu spüren – die unerschöpflichen Forderungen der Pächter und die Härte der schwedischen Schergen.
Weitere Zeit ging ins Land, das Leben der Henriksons quälte sich dahin, gleich einem Bergquellchen, das sich seinen Weg durch die unzerstörbaren Felssteine zwängen musste, aber trotzdem nie versiegte.
Doch halt! – Genau an dieser Stelle will unsere Geschichte beginnen. Wir schreiben das Jahr 1854, in dem der Faden unserer Abenteuer an die unendlich lange Vorgeschichte der Menschheit anknüpft.
Mutter Sonne versuchte ein letztes Mal, diesen bereits verloren geglaubten Sommer noch einmal zu beleben und ließ den windstillen, freundlichen Tag in einer ungewöhnlichen Ruhe vergehen, mit einer solchen Wärme, so dass selbst die Reichen friedlich gestimmt wurden.
Was blieb ihnen, als sich an einen der kleinen Bergseen zu begeben, den der Regen der vergangenen Wochen anschwellen ließ und den die Sonne ein wenig erwärmt hatte. Sie faulenzten, und die Herren Pächter dachten währenddessen darüber nach, wie sie noch mehr Profit aus den Holzfällern herausquetschen konnten. Die gierigen Schweden wollten bezahlt werden, damit die wohlhabenden Norweger ihr Leben ungestört fristen konnten. So saßen und lagen sie mit ihren Frauen und Kindern am See, streckten die Hälse der Sonne entgegen und klagten sich gegenseitig ein Leid über die schlechten Zeiten, über die unwilligen Holzfäller und die blutrünstigen Schweden. Dabei stopften sie sich Kuchen in ihre Münder und die Kinder tummelten sich derweil am Rand des glasklaren Sees. Betrachtete man diese ungehaltenen Würmer, man konnte nicht glauben, dass sie eines Tages den Holzfällern das Leben zur Hölle machen würden.
Wehrlos wirkte die kleine Menschenansammlung, doch wen wohl sollten sie in der Mittagssonne fürchten? Die Schweden kamen erst in der schwarzen Nacht. Und die Holzfäller schufteten in der Glut, damit sie die Steuergelder der Pächter bezahlen konnten. Selbst wenn die Arbeiter sich eine Pause gönnten, würden sie diese nutzen, Kräfte für die weitere Arbeit zu sammeln, anstatt sich gegen die Unterdrückung zu wehren.
Die stechende Sonne, die klare Luft und das weiche, hohe Gras taten das Ihrige dazu, der kleinen Gesellschaft bis dahin einen guten Tag zu bescheren.
Nur der alte Öle Pojgreson und sein junger Neffe Holger Holgerson waren in eines ihrer langen und unnachgiebigen Streitgespräche vertieft.
Mit seinem Handrücken wischte sich Pojgreson den triefenden Schweiß von der Stirn. „Heute haben wir Ruhe vor den Schweden“, flüsterte er. „Besaufen werden die sich bei der Hitze und am Abend werden sie von ihren Beinen nicht mehr getragen! Haha!“ Der alte Herr lachte laut.
Sein Neffe hob die Schultern leicht an, verzog das Gesicht zu einer grinsenden Grimasse. Dem Onkel musste er gut Freund sein, das war ihm bewusst, denn nur so würde er eines Tages den großen Reichtum des Öle Pojgreson erben, ob er den Onkel nun leiden mochte oder nicht. Noch ein paar Jährchen, dann würde seine Zeit zweifellos kommen.
Mit einem starren Lächeln glotzte Holgerson dem Onkel ins Gesicht. Der jedoch hielt die Augen wieder geschlossen, versunken in seinen Gedanken. Holgerson ließ deshalb das Lächeln sein und starrte den Alten einfach nur an.
Soll der doch bald unter die Erde kommen. Dann bin ich ein gemachter Mann. Und aus den faulen Holzfällern hole ich das Doppelte raus. Bei dieser Überlegung zog Holgerson den rechten Teil der Oberlippe ein wenig hoch und ließ sich rückwärts ins Gras plumpsen.
Gelangweilt schaute er zu den Kindern hinüber. Drei davon waren die Eigenen. Im Getümmel am See konnte er nicht ausmachen, welches die seinen waren. Um Nachwuchs und Haus hatte sich das Weib zu sorgen. Was sollte er sich damit befassen? Es gab schließlich wichtigere Dinge im Leben.
Dicht neben Holgersons Kopf raschelte etwas. Behäbig drehte er den Kopf nach rechts. Neben seiner Wange saß ein leuchtender Falter, der aufgeregt die Flügel zusammenschlug und dabei an einer Blüte schnupperte. Vorsichtig hob Holgerson eine Hand und ließ sie aus geringer Höhe auf das arme Tier fallen. In der Faust spürte er eine kribbelnde Bewegung.
„Viehzeug“, knirschte er zwischen den Zähnen hindurch. Bald hielt er den Falter mit Daumen und Zeigefinger beider Hände an den Flügeln. In größter Angst zappelte das Tier mit den Beinchen. Holgerson beobachtete dies und zerrupfte langsam den Falter. Der quälte sich kurz und gab dann seine Lebensgeister auf. Verächtlich warf Holgerson die Teile des Tieres ins Gras.
„Du bist klug, Onkel! Ich wäre nie darauf gekommen, dass die Schweden bei dieser Wärme keine Lust zum Kämpfen verspüren und stattdessen saufen, was das Zeug hält. Wirklich sehr klug von dir! Dass ich darauf nicht gekommen bin…“ Hochnäsig blickte er auf den alten Onkel, der Mühe hatte, den Oberkörper aufzurichten.
Pojgreson zog seine große, blaue Fliege vom Hals weg, wischte mit dem Daumen Schweiß vom Kehlkopf und ließ die Fliege an den Hals zurückschnipsen.
Da die beiden zu müde zum Reden waren, wurde das Gespräch nach langen Pausen fortgesetzt. Pojgreson starrte in das braungelbe Gras, als hätte er dort ein Goldstück entdeckt. Es schien, als versuchte er, die Gedanken zu einem komplizierten Satz zu formen. Holgerson streckte sich mit einem lang anhaltenden Gähnen und hielt die speckigen Arme über dem Kopf in die Luft.
Endlich schien Pojgreson den passenden Satz gefunden zu haben.
„Du weißt, Holger, ich kann dich gut leiden. Wenn du willst, dann bereite dich darauf vor, dass du im nächsten Jahr meine Geschäfte übernehmen wirst.“ In einer weiteren langen Pause entstand der nächste Satz. „Ich kann dich in diesem Jahr noch weiter anlernen. Dir fehlt die Erfahrung im Geschäft. Aber mit meiner Hilfe wirst du es schaffen. Bestimmt.“ Pojgreson versuchte, ehrlich zu lächeln. Allein, es gelang ihm nicht so recht. Stattdessen hoben sich die Fettfältchen aus seinem erstaunlich glatten Gesicht hervor. Sie bewiesen das tatsächliche Lebensalter des Onkels. Ohne körperliche Arbeit und durch ständigen Aufenthalt in geschützten Räumen, durch Unmengen von Pudern und Salben, mit denen er täglich die Haut beschmierte, wirkte er jünger, als er in Wirklichkeit war.
Holgerson verzog das Gesicht. Längst hatte er mit solchen Worten gerechnet, doch bisher wurde das Warten nicht belohnt. Nun endlich sollte es soweit sein! Er nahm es selbstverständlich als arge Beleidigung auf, dass der Alte ihn noch anlernen wollte. Längst hatte Holgerson sich Gedanken gemacht und Pläne geschmiedet, wie er seinen Reichtum vermehren würde. Wäre das Geschäft erst in seinen Händen, er würde – im Gegenteil zu seinem Onkel – ein Vielfaches mehr aus den Holzfällern quetschen! Holgerson war es ein Vergnügen, andere Menschen zu unterwerfen, zu quälen und zu ächten. Deshalb hassten die armen Leute den Holger Holgerson, und nur wenige achteten ihn, und dann eher aus Angst, statt aus Überzeugung.
„Ich bin dir sehr dankbar, Onkel“, setzte Holgerson das Gespräch fort. „Aber anlernen musst du mich wahrlich nicht. Wenn ich das Geschäft übernommen habe, verlange ich von dir lediglich Zurückhaltung. Mehr nicht.“ Wie ein Gaul fletschte er die Zähne. „Setz dich in den Wald und sieh zu, wie mir die Holzfäller einen viel größeren Reichtum schaffen als dir! Unter meinem Joch werden sie tatsächlich arbeiten müssen! Sie werden froh sein, am Morgen nach jeder Nacht noch leben zu dürfen. Es wird sich einiges ändern, Onkelchen. Ich lass mich von dieser faulen Bande nicht übers Ohr hauen. Ich nicht!“ Und er setzte nochmals hinzu: „Ich bestimmt nicht!“
Pojgreson blickte sehr ernst drein, als er die Worte vernahm. Wieder musste er die Gedanken erst formen. „Überspann den Bogen nicht, Junge“, flüsterte er nach einer langen Pause. „Wenn ich nicht ein bisschen daran glauben würde, dass du das Geschäft aufrechterhalten kannst, dann hätte ich dich längst in den Süden gejagt.“
Daraufhin ließ er seinen Oberkörper wieder nach hinten kippen und schloss die Augen.
Pojgresons letzte Worte hallten in Holgersons Ohren nach, für lange Zeit, bis er begriff, dass der Onkel keinen anderen für sein Geschäft vorgesehen hatte. Und das gefiel ihm außerordentlich.
Der Holzfäller Thomas Henrikson drückte derweil die Hände fest in die Hüften und stemmte den Oberkörper dagegen. Einen Moment lang ließ er die Sonne in sein Gesicht blicken. Der Tag war schön genug, um die Mittagspause genießen zu können. Henrikson war in den besten Jahren und große Muskelpakete säumten die braungebrannten Arme des Mannes.
So machte er sich auf den Weg, die Axt über der Schulter und schwer mit den Stiefeln stampfend. Er kam an der Gesellschaft der Pächterfamilien vorüber, die sich am Wasser des Bergsees tummelten.
Holgerson sah den Holzfäller und beobachtete ihn aus den Augenschlitzen heraus. Thomas Henrikson hingegen wollte der Gesellschaft keinen Blick opfern. Die Herren Pächter hasste er zutiefst!
Zerrissene Hosen hingen schlaff an den Holzfällerbeinen herab. Die Hose, die nur einen schwachen Schimmer ihrer ehemals schwarzen Farbe zurückbehalten hatte, trug er schon viele Jahre. Sie war von seinem Blut fleckig und von spitzen Holzsplittern zerschlissen. Die schweren, alten Stiefel jedoch waren das Schlimmste, was Henrikson zu tragen hatte. Tagein und tagaus litt er unter ihnen. Bei Regen waren sie voller Wasser und Schlamm, bei Frost frohren die Zehen schrecklich und in der Hitze war es kaum in ihnen auszuhalten. Die Füße brannten, waren wund und rieben auf dem rauen Leder. Gerade aus diesem Grunde zog der Holzfäller in diesem Moment die Stiefel aus, knotete sie zusammen und warf sie sich über die Schulter. Auch des dünnen, grauen Hemdes hatte er sich entledigt, es hing, an den Ärmeln zusammengebunden, um die Hüfte des großen Mannes.
Eigentlich wollte sich Henrikson ein erfrischendes Bad im See gönnen. Allein die Anwesenheit der Pächterfamilien machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Niemals würde und dürfte er gleichzeitig mit denen im See baden!
Keiner kannte den Bergsee besser als Henrikson. Deshalb wollte er den Reichen etwas mitteilen, um sein reines Gewissen zu behalten. Schon längst hatte er erfahren müssen, dass sich in dem Bergsee ein Wasserstrudel befand, der ihm schon einmal, ganz in der Nähe des Ufers, die Beine weggezogen hatte. Unter Anstrengung all seiner Kräfte gelang es ihm damals, der Gefahr zu entrinnen und mit dem Schrecken davonzukommen. Scheinbar wusste kein Pächter von dem gefährlichen Wasserloch, durch das ein Kind blitzschnell in die Tiefe gerissen werden konnte, denn niemand scherte sich darum.
Thomas Henrikson konnte beobachten, dass sich einige der Kinder in die Nähe der gefährlichen Stelle bewegten. Es war Eile geboten. Trotzdem ging er verhalten auf den jungen Holgerson zu, um ihn vor der Gefahr zu warnen. Er kannte dessen gemeinen und menschenverachtenden Charakter nur zu gut, doch Herz und Seele setzten sich über den Hass hinweg. So schritt er auf Holgerson zu, der kurz aufblickte und dann verächtlich die Augen zukniff, sich einfach schlafend stellte.
Der Holzfäller bemerkt aber, dass sich Holgerson nur verstellte, und sprach ihn mit tiefer Stimme an: „Im See ist ein gefährlicher Strudel. Eure Kinder spielen sehr nahe dort. Ihr solltet die Kinder warnen und nicht an dieser Stelle baden lassen, Herr!“ Ungeduldig sah er den zukünftigen Oberpächter an, der noch immer mit geschlossenen Augen vor ihm lag. „Ihr solltet die Kinder dort wegholen! Sie sind in größter Gefahr, Herr!“, bat Henrikson fast verzweifelt. Aufgeregt sah er zum See hinüber. Eines der Kinder hatte sich gefährlich nahe auf die Stelle zu bewegt, an der es ihm einst die Beine weggerissen hatte. „Glauben sie mir, Herr!“, wiederholte Henrikson deutlich lauter. „Die Kinder sind in größter Gefahr!“
Keine Regung. Henrikson wollte sich nunmehr an Pojgreson wenden, der schnarchend im Gras lag und fest schlief. In diesem Moment zog Holgerson kurz die Beine an und trat mit voller Wucht gegen die Schienbeine des Holzfällers, so dass Henrikson im hohen Gras zu Boden ging und dessen Stiefel davonflogen. Er spürte einen stechenden Schmerz im rechten Wadenbein, sammelte die Sinne und erhob sich stöhnend. Holgerson jedoch lag noch immer mit verschlossenen Augen da, als wäre nichts geschehen.
Henrikson machte sich auf die Suche nach seinen Stiefeln, als ihn ein Schreck durchfuhr. Für einen Augenblick hörte er eine helle Kinderstimme um Hilfe rufen!
Blitzschnell erkannte er, dass einer der Buben ertrinken würde! Holgerson hielt die Augen noch immer geschlossen, als ginge ihm das Unglück nichts an.
Rasch rannte Henrikson auf den See zu, vergaß alle Schmerzen und stürzte sich kopfüber in das klare Wasser.
Die anwesenden Frauen, die gestikulierend und schreiend am Ufer standen, sahen in Thomas Henrikson einen rettenden Engel, den der Herrgott geschickt hatte, um das Leben des Kindes zu retten. Ein letztes Mal hallte die Stimme des Jungen über den See. Die Frauen schrien noch lauter, Pojgreson rappelte sich auf. Doch Holgerson stellte sich weiterhin schlafend. Als hätte der Herrgott seine Hand im Spiel gehabt, so handelte es sich doch um den leiblichen Sohn des Holger Holgersons, der fast zu ertrinken drohte!
Für einen Moment tauchte Henrikson wieder am Ufer auf, schleppte in seinen Armen einen halben Baum zum Wasser, warf ihn auf die Wasserfläche und sprang erneut in die Fluten.
In diesem Moment wurde der achtjährige Junge vom Wasserloch angesaugt und verschwand unter der Oberfläche. Henrikson schwamm auf die gefährliche Stelle zu, zog mit kräftigen Armen den Baumstamm mit sich. Noch einmal holte er tief Luft und ließ sich dann mit dem Wasser in die Tiefe ziehen. Er tauchte mit offenen Augen, sah um sich Tausende von Wasserperlen aufsteigen, vielleicht die letzte Atemluft des ertrinkenden Knaben. Endlich berührten Henriksons Fingerspitzen den Körper des Kindes, das mit der geballten Angst eines Ertrinkenden um sich schlug. In diesem Moment wurde Henrikson eine gewaltige Kraft verliehen, er zog den Körper des Jungen an sich heran und kämpfte sich Fuß um Fuß nach oben. Bald gewahrte er das Sonnenlicht, die Oberfläche war nicht mehr weit. Er schob den Körper des Jungen über seinen eigenen und stemmte ihn weiter hoch. Der Junge spürte plötzlich einen harten Gegenstand und klammerte sich daran. Doch auch das große Holzstück wurde mit dem Jungen unter die Oberfläche gezogen. Für den Bruchteil einer Sekunde schnappte der Junge jedoch nach Luft. Henrikson war es, der mit seinem Gewicht den Jungen samt Baumstamm nach unten zog. Er begriff, dass nur er das Leben des Jungen retten konnte. Deshalb lösten sich seine Hände von den Waden des Jungen, der samt Baumstamm aus dem Wasser schnellte und von seiner weinenden Mutter näher an das Ufer gezogen wurde.
Nachdem Henrikson den Jungen freigegeben hatte, riss ihn eine gewaltige Kraft hinab in die Dunkelheit der Tiefe. Es wurde eiskalt um den Holzfäller, er kämpfte mit aller Kraft, schon schwanden ihm die Sinne, ein Würgen durchschnitt seine Kehle, der Druck auf die Lungen wurde größer. Zug um Zug kämpfte er sich hinauf, schaffte es endlich, der Hölle zu entweichen, erreichte das rettende Ufer und stürzte heftig atmend ins Gras. Liegend beobachtete er aus dem Augenwinkel, dass der gerettete Junge bereits saß, sich bewegte und zu ihm schaute.
Henrikson erhob sich unter den Blicken der schweigenden Frauen, holte Stiefel und Axt und verschwand wortlos.
Erst, als die Reichen ihn nicht mehr sehen konnten, lehnte er sich an den Stamm eines großen, alten Baumes und sammelte die Kräfte für den Heimweg.
„Es war ein Holzfäller!“, schrie eine Stimme am Ufer.
Holgerson tat, als würde er gerade erwachen und rieb sich die Augen. „Was ist das für ein Durcheinander?“, fragte er mit einem unnatürlich lauten Gähnen, obwohl er nur zu genau wusste, was geschehen war.
„Dein Junge wäre fast ertrunken, aber ein Holzfäller hat ihn gerettet!“, rief jemand.
„Dann ist ja nichts passiert.“ Holgerson nickte. Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt.
Dessen Frau griff ihm an die Schultern. „Edvard wäre fast ertrunken!“ Der zukünftige Pächter strich ihre Hände von sich ab.
„Er ist es aber nicht. Pass gefälligst besser auf ihn auf, Weib!“
„Du bist ein Scheusal, Holgerson!“, flüsterte die Frau und kümmerte sich um den Jungen, der noch immer hustete, aber über den Berg war.
„Henrik, wo bist du schon wieder?“
Die Mutter blickte mit einigen Anstrengungen durch das viereckige Loch in der Wand, das als Fenster diente.
„Henrik!“
Wenn es das Wetter verlangte, konnte man von innen ein Brett vor das Loch in der Wand schieben.
Besorgt rief die Mutter nochmals: „Henrik!“
Nichts bewegte sich, abgesehen von einem kleinen, hellen Sonnenfleck, der durch das Fenster in die dunkle Hütte hineinäugte und sich unaufhaltsam auf die gegenüberliegende Wand zu bewegte.
„Henrik?“
Im Gesicht der Mutter war Angst. Warum antwortete der Junge nicht? Unruhig bewegte sich sich hin und her. Wenn sie doch nur hätte aufstehen können!
Sie sah sich flüchtig in der Hütte um. Die bestand aus zwei Räumen, die die Väter der Thomas-Henrikson-Familie ihren Söhnen von Generation zu Generation vererbt hatten. Solange die Großeltern von Thomas Henrikson noch lebten, durfte kein Wort über eine Veränderung der Räume fallen. Später jedoch, als sie das Zeitliche gesegnet hatten, machte sich der Vater von Thomas Henrikson Gedanken über einen vorteilhaften Umbau des Hauses. Niemals würde Thomas Henrikson das Haus vergrößern, die Pächter hätten ihm das Leben zur Hölle gemacht! Er änderte nur die Innenräume, teilte eine Kammer in zwei Etagen, die jeweils als Betten dienten. Oben schliefen die Kinder und unten die Eltern.
Vor wenigen Wochen erst hatte Marie-Tresen Henrikson eine kleine Tochter namens Nyski zur Welt gebracht. Henrik, der große siebenjährige Bruder, war stolz auf die kleine Schwester.
Einst war Marie-Tresen Henrikson, eine gebürtige Norwegerin, zum Gesinde einer reichen Familie gehörend, in diese nordischen Landstriche gekommen und hatte dort Thomas Henrikson, den Holzfäller kennen und lieben gelernt und schlussendlich geheiratet. Seit der Geburt der kleinen Tochter war sie ans Bett gefesselt, trotzdem schien sie sehr glücklich. Nur eines machte sie unglücklich: Die geschundene Erscheinung des Ehemannes, wenn der Abend für Abend ermüdet und kraftlos von der schweren Arbeit aus dem Wald nach Hause kam und wortlos ins Bett fiel. Sie vergaß am Tage ihre Trauer, denn da war noch Henrik, der kleine, muntere Bursche, der seine Eltern maßlos liebte. Insgeheim wünschte sich Marie-Treson Henrikson, dass Henrik diesem schweren Holzfällerschicksal entfliehen könnte. Ständig war sie in großer Sorge um den Unruheherd.
Viel zu lange schon lief Henrik mit der kleinen Schwester auf dem Arm im Freien herum. Wie leicht konnte dem Baby etwas zustoßen!
Der Junge trug kurze Hosen und war barfuß. Er war ein schmächtiger, dunkelhaariger Knabe, mit sehr hellen, graublauen Augen, die jeden warm anstrahlten, sein Gesicht aus größerer Entfernung jedoch seltsam wirken ließen, so dass so mancher eilig ein Kreuz schlug, wenn er Henrik Henrikson das erste Mal sah. Auf diese Weise erhielt der Junge auch seinen mitunter genutzten Rufnamen „Silberauge“.
Die Mutter verwarf jedoch alle Sorgen, wusste sie doch nur zu gut, dass der kleinen Nyski in den schützenden Armen Henriks nichts passieren konnte. Der Junge würde die Schwester verteidigen, und sei es bis in den Tod!
„Henrik! Komm her, Henrik, ich will dir etwas sagen!“, rief Marie-Treson.
Da kam das lebendige, quirlige Kerlchen durch die Tür hereingeflitzt, mit dem Baby auf den Armen und setzte sich auf die Bettkante zur Mutter.
„Was ist Mama?“, fragte Henrik, holte tief Luft, ohne dass er auch nur einen Blick von dem kleinen Würmchen in seinen Armen ließ, das sich gerade die Freiheit nahm, herzhaft zu schreien.
„Es ist so schwül und drückend geworden. Schau nach, ob Gewitterwolken heranziehen.“ Das Baby hatte die Stimme der Mutter vernommen und beruhigte sich zusehends. Marie-Treson streckte die Arme aus und bat leise: „Gib sie mir!“
Vorsichtig, gerade so, als würde er ein zerbrechliches Glas auf einen Felsen stellen, bettete der Junge das kleine Schwesterchen neben der Mutter. Dann küsste er beiden die Stirn und flitzte augenblicklich wieder hinaus.
„Ich kann nichts sehen, Mama!“, rief er nach einiger Zeit.
„Dann lass es gut sein, Henrik!“, antwortete die Mutter, obwohl sie fühlte, dass ein Unwetter in der Luft lag.
„Warte Mama! Ich glaub, ich sehe jetzt doch dicke Wolken.“
„Sind sie noch weit weg, die Wolken? Oder treiben sie auf uns zu? Sag schon, Henrik!“ In den Worten der Mutter schwang Angst mit.
„Ich kann es nicht sagen, Mama. Die Sonne scheint mir genau in die Augen. Ich glaube aber fast, die dummen Wolken decken bald die Sonne zu.“
Marie-Treson musste lächeln, denn sie hörte ein leises Niesen.
„Mama, die Sonne kitzelt in meiner Nase. Ich glaube schon, dass die bösen Wolken zu uns kommen. Es sind wirklich böse, dicke, schwarze Wolken. Bestimmt hat sie der Schwarze Arne geschickt!“
Die Umgebung der Thomas-Henrikson-Hütte wurde in einen Schatten getaucht. Die Freundlichkeit des bisherigen Tages verflog mit einem Schlag, ein Rauschen fegte durch die Natur.
„Mama, sie kommen immer näher und haben jetzt die Sonne zugedeckt! Mama, was macht Papa jetzt?“
„Er wird wahrscheinlich auch die Wolken sehen. Und wenn sie ihm bedrohlich erscheinen, wird er sofort nach Hause kommen, um uns zu beschützen.“
„Vor den Wolken?“, fragte Henrik.
„Ja, vor den Wolken. Mit den Wolken kommt der Schwarze Arne. Und der schickt wutgeladen Blitze herunter und grollt mit seinem Donner, um uns Angst zu machen. Papa wird uns vor Arne beschützen!“
„Und wenn Papa nicht kommt? Wer beschützt uns dann vor dem Schwarzen Arne?“ Henrik glaubte an die Geschichte des Geistes, von dem die Holzfäller oft erzählten. Schlug ein Gewitterblitz in einer Hütte ein, so hieß es immer, der Schwarze Arne wäre dran schuld gewesen.
Die Mutter in der Hütte ging nicht auf Henrik ein. Stattdessen fragte sie wieder: „Wie nah sind die Wolken jetzt?“
„Sie kommen schon hinter den Bergen hervor.“
Ein dumpfes Grollen erschütterte die Umgebung.
„Hast du das gehört, Mama? – Es ist schon sehr dunkel. Überall ist jetzt der Himmel schwarz!“ Traurig kam Henrik ins Haus zurück. Er hatte ein bisschen Angst.
Auf dem Bauch der Mutter zappelte der kleine Wurm Nyski. Henrik streichelte das Schwesterchen und dann die Mutter. Flugs meinte er mit einer sehr ernsten Stimme, wobei die hellen Augen kugelrund wurden: „Ihr braucht aber keine Angst zu haben. Wenn Papa nicht kommt, dann werde ich euch beide eben beschützen!“ Er sprang mit beiden Beinen gleichzeitig in der Hütte herum, boxte in die Luft und rief: „Komm her, Schwarzer Arne, wenn du dich traust!“ Der kleine Junge atmete tief durch und rannte aus dem Haus. Von irgendwoher hatte er Stimmen gehört.
„Mama, ich kann Papa nicht sehen, aber dort unten laufen die Männer vom Südhang.“ Und so laut er konnte, rief Henrik: „Hallo! Wo ist mein Papaaa?“
„Der ist doch bei euch!“, riefen die Holzfäller zurück und setzten eilig ihren Weg fort, um rechtzeitig vor dem Gewitter die eigenen Hütten zu erreichen.
Das verstand Henrik nun gar nicht. Die anderen Holzfäller behaupteten, Papa sei zu Hause? Papa war aber nicht zu Hause, obwohl er mit diesen Männern zusammen gearbeitet hatte und sie doch wissen müssten, dass Papa nicht zu Hause war.
„Was ist denn, Henrik? Was haben sie gesagt?“, rief die Mutter.
„Papa wird gleich nach Hause kommen.“
„Na, dann wird ja alles gut!“, überspielte sie ihre Angst. Die Mutter fühlte sich nicht gut. Aufregung kostete ihr nach wie vor viel Kraft, und ehe sie sich versehen hatte, war sie wie ihr Töchterchen Nyski eingeschlafen.
Henrik dagegen rannte unruhig hinaus und kam sogleich zurück. Wo Papa nur blieb? Was würde der jetzt machen? Papa würde Nyski in die neue Wiege legen, die er für sie gebaut hatte. Henrik nahm vorsichtig das kleine Bündel und verstaute es in der hölzernen Wiege. Das Schwesterchen bemerkte davon ebenso wenig wie die Mama.
Wo blieb nur Papa?
Irgendetwas ist geschehen. Dies schien Henrik sehr sicher. Nur was? Vielleicht ist Papa auf dem Heimweg etwas zugestoßen, vielleicht liegt er ja am Wegrand und wartet auf Hilfe? Henrik konnte helfen, doch Mama und Nyski allein zu lassen, erschien ihm nicht sinnvoll. Die Gedanken des Jungen schwankten zwischen Schutz und Rettung.
Plötzlich rumorte es wieder am Firmament, lauter und deutlicher als zuvor. Er schlich sich mit laut schlagendem Herzen hinaus und sah die gefährlich zusammengeballten Wolken. In den Bergen zuckten bereits jede Menge Blitze mit feurigen Strahlen durch die Finsternis. Der Tag war zur Nacht geworden.
Papa! – Henrik hatte beschlossen, ihm zu helfen. Mama und Nyski waren im Haus ziemlich sicher, aber Papa musste bestimmt geholfen werden!
Der Junge schob ein Brett vor die Fensterluke und verriegelte die Haustür von draußen sturmsicher. Flink setzte er sich in Bewegung, rannte quer über die Wiesen, kletterte Steilhänge hinauf und hinunter. Immer größer wurde seine Angst vor dem Schwarzen Arne, der mehr und mehr Blitze zur Erde schickte. Oft schaute er hinauf in die dunklen Wolken, die sich zu einer ungemütlichen Masse verbündet hatten. Jedem Blitz folgte ein krachend berstender Donner. Henrik schwitzte, obwohl es merklich kühler geworden war. Blätter, Gräser und ganze Äste flogen durch die Luft, ein fürchterlicher Sturm kam auf. Henrik kämpfte Schritt für Schritt und kam doch kaum vorwärts. Er wusste genau, an welcher Stelle die Holzfäller vom Südhang gearbeitet hatten. Ohne sich vom Weg abbringen zu lassen, steuerte er genau dahin. Jedoch fand er nirgends eine Spur des Vaters. Auch der Gedanke, Papa könnte irgendwo am Wegesrand liegen, wurde in dem Moment begraben, als der Junge den Schlagplatz erreichte. Er fand auch hier keine Menschenseele. Die Spuren aber sagten ihm, dass die Holzfäller vor nicht allzu langer Zeit, genau an dieser Stelle Bäume gefällt hatten!
Erst ganz leise, dann immer lauter fuhr Henriks Stimme durch den Wald. „Papa? – Papa!“ Sie brüllte nach dem Vater und flehte den lieben Gott an, er möge Henrik gefälligst zeigen, wo er seinen Papa finden könnte.
Doch der liebe Gott antwortete ihm nicht. Henrik ließ sich in die frischen Späne fallen, fast ohnmächtig glaubte er, der Schwarze Arne hätte den Vater längst geholt.
Die Angst in Henrik wandelte sich in Wut. Tapfer erhob er sich, ballte die Fäuste dem Himmel entgegen und schrie mit hoher Stimme: „He ihr dummen, schwarzen Wolken, kämpft mit mir, gebt meinen Papa wieder her! Traut ihr euch etwa nicht, gegen mich zu kämpfen?“ Die schwarzen Wolken aber machten sich lustig über ihn und begannen sich zu entleeren, erst mit dicken Tropfen und dann mit nicht enden wollenden Wassermassen.
Henrik kniete unter einer großen Eiche, dem einzigen Baum, den die Holzfäller auf dieser neuen Lichtung verschont hatten. Und dann machte er etwas, dass er nur höchst selten freiwillig tat: Er bete zu dem Herrn, den man meistens den lieben Gott nannte.
Der heilige Vater im winzigen Dalener Gotteshaus, hatte oft zu den Kindern gesprochen: „Gott ist unser wahrer König. Er hat die Macht und er wird eure Wünsche hören und er wird sie erfüllen, wenn sie in seinem Sinn sind, und er wird euch eines Tages zu sich ins Paradies holen, wenn ihr nur an ihn glaubt.“
Henrik hatte sich oft gewünscht, der liebe Gott möge doch endlich die Reichen zu sich holen, damit die Holzfäller Ruhe vor ihnen hätten, jedoch wurde dieser Wunsch nicht erfüllt. Und als Henrik den heiligen Vater danach fragte, sagte der: „Die Fügung wollte es eben nicht so.“ Deshalb dachte sich der Junge, die Fügung wäre stärker als der liebe Gott, oder der liebe Gott hatte gar keine Lust, auf die Fügung zu hören.
Aber vielleicht könnten sich heute die da oben darauf einigen, ihm zu helfen? Henrik kniete unter der Eiche und begann leise aber unerbittlich zu beten: „Ach mein lieber, lieber Gott, ich weiß, dass ich nicht immer schön an dich geglaubt habe, und nun ist der schwarze Brei da oben, und ich merke, dass ich gegen ihn nichts ausrichten kann. Und ich dachte mir, dass ich dich jetzt darum bitte, dass du vielleicht den schwarzen Brei überreden kannst, dass er den Arne fragt, ob er meinen Papa wieder freilässt. Lieber, lieber Gott, bitte schenk mir meinen Papa wieder, wenn du das tust, dann will ich bestimmt immer an dich glauben und jeden Tag beten!“
Henrik ließ sich auf den Rücken fallen, dicke Tränen liefen ihm aus den Augen quer über die Wangen und vermischten sich mit Regenwasser. Er blickte in den Himmel und wartete gespannt, was passieren würde.
Ein Grollen, anfangs leise – bald schon ohrenbetäubend laut – näherte sich. Der Schwarze Arne war da!
Ein gewaltiger Feuerstrahl zuckte aus dem Himmel, gleichzeitig ertönte ein Krachen, das die Erde beben ließ. Arnes Ross landete mitten in der Eiche über dem Kind. Henrik hörte Arne brüllen: „Der schwedische Tod! Ich bin der schwedische Tod!“ Er hielt sich die Augen zu. Schattenhaft stürmte Arne vorüber, durch die Wassermassen hörte man die Schreie der Seelen, die den Schweif des hölzernen Pferdes bildeten, das blutige Silberstahlmesser hing an einem Strick, geknüpft aus Tränen, vor Arnes Brust. Mit diesem Messer hatten ihm die Dänen das einzige Auge ausgestochen und seitdem irrte der Geist umher; krank und ziellos. Er sammelte die Seelen, um sich an den Menschen zu rächen, die in sein Reich eingedrungen waren. Und wo er auftauchte, folgte der Tod! Die riesigen Hufe von Arnes Pferd zertraten die Eiche, unter der Henrik lag, fällten sie mit einem unbarmherzigen Schlag. Dann verschwand Arne ebenso rasch, wie er gekommen war, vergaß jedoch die Seele des kleinen Jungen Henrik Henrikson, der all dies wahrhaftig gesehen hatte! Sein kleiner Körper, durchweicht, von klebrigen feuchten Spänen bedeckt und kaum vom restlichen Boden zu unterscheiden, lag unter einer riesigen Baumkrone, versteckt im Eichenlaub, eingehüllt in stinkenden Qualm, der aus dem einst so mächtigen Stamm der gebrochenen Eiche quoll. Wie durch ein Wunder wurde Henrik Henrikson davor bewahrt, vom Blitz getroffen, von der Eiche erschlagen, von den Wassermassen ertränkt oder von den Flammen verbrannt zu werden. Der ungleiche Kampf endete in einem Remis. Er erhielt den Vater nicht zurück und der Schwarze Arne bekam Henrik nicht.
Der Himmel lockerte sich nur langsam auf und Henrik erwachte aus der Ohnmacht. Sein Körper zitterte, aber er lebte und atmete wieder. Langsam kamen die Gedanken zurück. Mama und Nyski würden warten, vielleicht hatte Papa in einer anderen Hütte Unterschlupf gefunden oder war längst zu Hause!
Der Junge sammelte die Kräfte, schob mit dem Ellenbogen Zweige nach oben und kroch Elle für Elle unter der riesigen Eichenbaumkrone hervor. Um ihn herum war der Tag einer Nacht gewichen, die Gewitterwolken hatten sich verzogen, Sterne beleuchteten den Himmel. Henrik nahm nun erst wahr, wie es am Schlagplatz aussah. Er zog das an vielen Stellen zerrissene, blutige und nasse Hemd vom Körper und versuchte es auszuschütteln. Sein Oberkörper leuchtete wie ein Lämpchen in der Dunkelheit. Und trotzdem eine Wade schrecklich schmerzte, machte sich Henrik auf den Weg zur Thomas-Henrikson-Hütte. Erst langsam und müde – bald aber schnell und schneller – trugen ihn die Beinchen vorwärts. Er nahm keine Notiz von der zerstörten Welt um sich herum, der Körper wurde von Zitteranfällen und Kälte durchfahren, er stieg achtlos über zerschmetterte Bäume, watete durch angeschwollene Flüsschen, vorbei an leblosen Tieren, stolperte und lief, mal schluchzend, mal tief Luft holend oder gar schimpfend.
Näher und näher brachte es ihn an die heimatliche Hütte, wie in einem Albtraum durchschwebte er die Gräser. Hinter gefallenen Bäumen sprangen Schattengestalten hervor, die er ignorierte, als gäbe es sie nicht. Ein Rauschen war hörbar, das in Wirklichkeit seinem Atem entsprang, es vermischte sich mit dem lauten Knistern und Knacken von irgendwoher.
Eine Feuerzunge schimmerte am Horizont, kam näher und näher, und mit ihr ein Flackern und Kreischen, das die Schattengestalten höllisch tanzen ließ. Der Junge erwachte in der Gegend, die er bestens kannte, aus einer Trance, denn das feurige Licht schlug ihm ins Gesicht, gleich einem Geist und ebenso wenig fassbar.
Eine klebrige Masse, durch die er waten musste, machte Henrik das Weitergehen unmöglich, Angst bedeckte die hellen Augen, in denen sich der Feuerschein einer gigantischen Fackel widerspiegelte. Henrik konnte nicht verstehen, was ihm die Augen zeigten: Ein verhasstes Bild, das sich in sein Gehirn fressen würde, bis in alle Ewigkeit stets zugegen.
Es war das Bild der brennenden Hütte, die gerade in sich zusammenbrach und in einem entsetzlichen Funkenregen zerbarst.
Es war dunkel. Nur ein fernes Rauschen schien Henrik, aus der tiefen Ohnmacht zu wecken. Der verschwommene Horizont einer Zimmerdecke schaukelte im hinteren Teil seines Gehirns, einmal scharf und deutlich, ein anderes Mal wieder verschwommen und unkenntlich. Dann verschwand der Hauch des Daseins für lange Zeit.
Henrik glaubte, er hätte mit aller Macht die Augen aufgerissen. Es blieb jedoch dunkel. Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken, kalter Schweiß klebte an seinem Körper. Er suchte eine Bewegung, doch seine Glieder waren wie festgefroren. Mühsam wollte er die Lippen öffnen, wollte versuchen, das Bruchstück eines Satzes mit der Stimme zu erzeugen, als ein Licht grell seine Augen blendete.
„Du bist erwacht, mein Junge?“, fragte eine bekannte, vertraute Stimme aus dem Lichtschein.
Henrik wollte ein „Ja“ antworten, doch es misslang ihm, ein böser Geist nahm ihm wieder die Sinne und erneut folgte eine lange Schlafphase.
Es war ein kleiner, notdürftig eingerichteter Raum. Es roch nach altem Holz, doch alles war aufgeräumt und ordentlich. Erneut schlug der Junge die Augen auf, fühlte sich stärker und wischte sich den Schlaf aus den Augen. Durch kleine Fensterlöcher grüßte das Tageslicht.
Vorsichtig hob er den quälenden Kopf und schaute sich neugierig in der Hütte um. Neben dem Bett, von ihm abgewandt, saß ein altes Mütterchen, das in sich zusammengerutscht auf einem klapprigen Holzstuhl schlief. An der gegenüberliegenden Wand befand sich eine leere Holzpritsche. Der Anblick war Henrik bekannt. Es war Großmutter Nyne, eine Tante von Henriks Vater. Und auf der leeren Pritsche lag sonst immer Onkel Odahl, den er gar nicht leiden mochte.
Großmutter Nyne schlug erschrocken die Augen auf. Henrik hatte ihr mit dem Zeigefinger in die Hüfte gepiekst. Etwas ungläubig blickte sie auf ihn hinab, bis sie endlich verarbeitet hatte, dass der Kleine erwacht war.
„Oh Gott, mein Junge, du lebst!“, flüsterte sie mit zitternder Stimme. „Oh mein Gott, ich bin so froh! Wie fühlst du dich, mein Henrik? Oh, ich danke dem Herrn, dass er dich verschont hat!“
Die alte Nyne küsste den Jungen und weinte schrecklich.
„Großmutter, was mach ich hier?“, fragte Henrik, dessen Lebensgeister zurückkehrten. „Wo sind Mama und Papa und Nyski? Großmutter, was ist geschehen? Großmutter, sag es schon, sag schon, was ist!“
Nyne wurde ganz still, als würde sie überlegen. Dann flüsterte sie: „Ich werde dir alles erzählen, mein Junge“, sie atmete tief durch die Nase, „aber erst musst du essen, musst dich stärken, mein kleiner Herumtreiber. Dann sag ich dir alles, verstehst du?“ Großmutter Nyne wendete sich ab und stellte ein Süppchen auf den kleinen Ofen, nachdem sie etwas Holz nachgelegt hatte. Die Flammen züngelten in das Holz hinein. Gerade als sie ein wenig Brot in die Suppe bröckelte, hörte sie wieder Henriks dünne Stimme.
„Großmutter, ich kann nicht stehen, mir knicken immer die Beine weg! Großmutter, warum kann ich nicht stehen? Komm doch schnell, ich kann nicht stehen!“
„Leg dich wieder hin, Junge!“, rief die alte Nyne. „Ich bring gleich die Suppe. Und wenn du sie schön auflöffelst, wirst du bald wieder bei Kräften sein und stehen können.“ Nynes Stimme klang herzlich und überzeugend, aber auch ängstlich. Die nächste Frage des kleinen Burschen versetzte ihr einen Stoß ins Herz, so dass sie sich an einem Stuhl festhalten musste.
„Ich hab mich wieder hingelegt, Großmutter, sag mir nun bitte endlich, was passiert ist und warum ich hier bei dir bin und nicht zu Hause bei Mama und Papa! Sag mir bitte, warum ich nicht stehen kann und warum ich nicht bei Mama und Papa und Nyski bin! Bitte sag es mir, Großmutter!“, bettelte Henrik.
Nyne ließ sich auf einem Holzschemel nieder. Sie hatte große Angst vor den Fragen des kleinen Jungen, sie wusste nicht, wie sie Henriks Fragen ausweichen sollte.
Sie selbst war am Vortag zusammengesunken, als sie die schreckliche Nachricht vernehmen musste. Zunächst dachten alle, auch der Junge würde nicht mehr leben, doch dann entdeckte man ihn in den Nachtstunden völlig entkräftet, durchnässt und über und über voller Sägespäne. Ein Holzfäller, der den Brand in der Thomas-Henrikson-Hütte bemerkt hatte, als jedoch alles schon zu spät war, fand den Jungen unweit der Brandstätte und dachte zunächst, es wäre nur die sterbliche Hülle des kleinen Henrik Henrikson. Dann aber wurde der Junge plötzlich vom Fieber geschüttelt und quälende Wortfetzen drangen aus seinem Mund.
Einige meinten, dass es für den Jungen besser gewesen wäre, wenn auch ihn das Feuer geholt und auch er den Schreckenstag nicht überlebt hätte. Andere sagten, Gott hätte den armen, kleinen Knaben verschont, weil er so gut und lieb war und weil ihn alle Holzfällerfamilien in ihr Herz geschlossen hätten.
Der Doktor meinte, so etwas Schauderhaftes hätte er noch nie gesehen. Als der Blitz die Hütte traf, muss ein herabstürzender Balken den Vater erschlagen haben, der die Hütte vor seinem Sohn erreicht hatte, ohne dass beide aufeinandertrafen. Die verkohlten Leichen der Mutter und des Babys fand man in ihren Betten.
„Ich werd dir alles erzählen“, flüsterte Nyne, „es hat doch keinen Sinn darüber zu schweigen! Aber nur, wenn du mir versprichst, dass du ganz ruhig bleibst und so stark, wie dein Papa bist. Oh Gott, steh mir bei“, flehte sie, „dass der Junge es überlebt! Fader vår, du som er i himmelen! Lat namnet ditt helgast. Lat riket ditt koma. Lat viljen din råda på jorda som i himmelen. Gjev oss i dag vårt daglege brød. Forlat oss vår skuld, som vi òg forlet våre skuldmenn. Før oss ikkje ut i freisting, men frels oss frå det vonde. For riket er ditt, og makta og æra i all æve. Amen!“
Sie betete das Vaterunser in einem Atemzug in der alten Sprache. Dann stand Nyne wieder am Herd und rührte, den Holzlöffel in zitternden Händen, langsam die Suppe, die sich drehte und drehte…
Großmutter Nyne war an Henriks Bett getreten. Sie erschrak, als sie in seine silbernen Augen blickte, in denen sich dicke Tränen sammelten. Sie wusste, dass die Erinnerung in den Kopf des Jungen zurückgekehrt war. Nyne legte eine ihrer faltigen Hände unter Henriks Hinterkopf, hob ihn sanft an und sprach: „Sie sind nun im Paradies, mein Junge. Gottes Wege sind unergründlich, er hat sie alle zu sich genommen, alle. Es geht ihnen ganz bestimmt gut.“ Minutenlang blickte die alte Nyne in die weit geöffneten Augen des schmächtigen Jungen. Fast schien es ihr, als könnte sie darin die alles verzehrenden Flammen sehen. Immer wieder quollen Tränen aus seinen Augen, liefen über die Wangen und tropften auf das Kissen, wo sie verschwanden.
Henrik krallte die Hände in die dünne Decke und schluchzte tief.
„Bitte iss“, flüsterte Nyne. Ihre Hände hielten zitternd das Suppenschälchen. Aus den wenigen Zutaten, die sie besaß, hatte Nyne das Süppchen gekocht. „Irgendwann wirst du sie alle wieder sehen. Doch ich glaube, das hat noch viel Zeit. Es ist nicht zu ändern. Du musst jetzt stark sein. Komm, mein Henrik, ich weiß, dass du stark bist, so wie alle Henriksons.“ Sie half dem Kind, sich etwas aufzurichten. Sie hielt ihm den Teller vor den Mund und begann ihn zu füttern. Die letzten Tränen des Jungen tropften in die dampfende Suppe und Henrik war sich nicht bewusst, dass er die Suppe schluckte, die Gedanken waren an einem völlig anderen Ort.
Von sehr weit her vernahm Henrik Henrikson die Stimme der Großmutter.
„Ich bin schuld“, murmelte Henrik, „ich habe Papa nicht gefunden. Ich habe Mama und Nyski allein gelassen. Nur ich bin schuld an dem Unglück.“
„Ach was! Nein, nein, mein Junge. Du trägst kein bisschen Schuld“, beteuerte Nyne. „Der Blitz entfachte das Haus, es war ausgetrocknet und brannte sehr schnell. Glaub mir Henrik, du hättest nichts dagegen tun können. Du trägst keine Schuld. Es war so bestimmt. Die Vorsehung wollte, dass du ein Waisenknabe wirst.“
Der kleine Junge benötigte noch ein geraumes Weilchen, bis er sich beruhigen konnte. Als die Tränenflut endlich verebbte, schaute er lang in Nynes gealtertes Gesicht.
„Ein Waisenkind? Was ist das? Und ich bin bestimmt nicht schuld daran?“, fragte er endlich leise.
„Nein, mein Junge. Im Gegenteil, du warst sehr tapfer und hast alles getan, was du tun konntest. Wir alle sind Sklaven der Vorsehung. Du bist nicht schuldig, mein Henrik, glaub es mir. Schau dich an, ein kleines Kind bist du noch, hast großen Mut bewiesen und dich dem Schwarzen Arne entgegen gestellt.“
Es dauerte noch einen Moment bis Henrik endlich nickte. Er hob die müden Beinchen aus dem Bett und setzte sich auf den Bettrand. Von da aus ließ er sich in die Arme der alten Frau fallen, die den Jungen fest an sich drückte. Sie umschloss den kleinen, zarten Körper des Kindes herzlich mit den Armen und legte ihre Lippen auf Henriks Stirn.
„Ist schon gut, mein Junge“, meinte sie unter Tränen, „alles wird gut. Ganz bestimmt, alles wird eines Tages gut, mein kleiner Henrik.“
Später legte sie ihn zurück ins Bett und deckte ihn sorgfältig zu. Sollte er sich neue Kräfte anschlafen! Das viele Weinen hatte Henrik geschwächt, denn sogleich schlief er fest und traumlos ein.
Nyne beobachtete das Gesicht des Jungen. Als sie die Ruhe bemerkte, die es ausstrahlte, fühlte sie große Erleichterung. Sie wusste, dass von nun an das böse Geschwür in Henriks Herzen allmählich verheilen würde.
Diese Augen! Immer wieder waren es Henriks Augen, die jeden Menschen faszinierten. Nicht die kleinen, schmalen Lippen, die im Traum unruhig zuckten, die dick schmollen und breit lachen konnten, nicht das dunkle, wirre Haar, das sich um den ganzen Kinderkopf wirbelte, auch nicht die bebenden Flügel seiner kleinen Nase, es waren immer wieder die großen hellen Augen. Sie konnten leuchten, in einem glasklaren Hellblau. Vom Zentrum der Pupillen verliefen dünne, graue Linien, die den Augen einen silbernen Ausdruck gaben. Manchmal leuchteten die Augen warm und herzlich, ein anderes Mal blendeten sie hassend. Sie konnten in einer deutlichen Sprache reden und drückten Henriks Laune drastisch aus. Manche Leute behaupteten, der liebe Gott hätte diese Augen aus seiner Schatztruhe geholt. Thomas Henrikson war sehr stolz auf seinen Sohn, ein wenig auch der Augen wegen, die nicht nur in der Henrikson-Familie einmalig waren. Wenn Henrik zwinkerte, wurden die Augen von langen, schwarzen Wimpern bedeckt und die winzigen Augenbrauen verliehen ihm ein Engelgesicht.
Doch nun waren Henriks Augen geschlossen und die alte Nyne saß auf dem Schemel und lächelte.
Das friedliche Gemälde, das ein kleines, junges und ein alterndes Leben darstellte, ward jäh zerstört, als die Tür aufgerissen wurde, so dass selbst die Wände wackelten.
„Schläft der Bengel etwa immer noch? Viel zu zaghaft hat man ihn erzogen! Als ich in seinem Alter war, musste ich Bäume fällen! Und nach einem Gewitter durfte ich nicht schlafen, als wäre ich krank gewesen.“ Noch schallte die laute, krächzende Stimme durch den Raum. Der alte Odahl starrte störrisch wie ein Esel auf den unsanft aus dem Schlaf gerissenen Jungen, der sich ängstlich unter die Decke zurückzog.
„Als hättest du jemals einen Baum gefällt…“, bemerkte Nyne flüsternd und fing sich einen wütenden Blick des Onkels ein.
Henrik kannte den Anblick des Onkels. Und Henrik hasste diesen Mann, wie ihn alle Holzfäller hassten! Jeder wusste doch, dass Odahl niemals eine Axt in den Händen gehalten hatte! Er war ein stinkendes Faultier. Auch er hatte einst zum Gesinde der Reichen gehört und es hieß, Odahl wäre der Liebling der Reichen, denn er war ihr Schnüffler und ihr Spürhund. Alles, was er ausspionierte, erzählte er den Pächtern, mitunter verriet er schlimme Dinge, die er sich einfach nur ausgedacht hatte, um von den Reichen Geld und Schnaps zu bekommen, denn mit Schnaps wurde er meist bezahlt, mit schlecht gebranntem Fusel, den die Pächter zusammenpanschen ließen.
Häufig taumelte Odahl besoffen durch die Gegend, steif und voll bis zum Eichstrich. Und immer wenn Odahl besoffen war, dann hatte er schlechte Laune. Es glich einem Wunder, dass er noch nicht ertrunken, abgestürzt oder anderweitig verunglückt war.
Eines Tages, als Odahl, der in Nynes Haus lebte und Nynes Brot aß, wieder einmal bis zum Überlaufen abgefüllt war, lief ihm Henrik versehentlich in die Arme. Sofort begann der Onkel auf den kleinen Jungen einzuschlagen. Er prügelte ohne Unterlass und fluchte, dass Henrik der Hurensohn eines Rebellen wäre. Nur mühsam konnte sich der Junge aus den schmutzigen Händen des Alten befreien und sein Leben mit einer Flucht retten. Er hatte es jedoch nie gewagt, dem Vater davon zu erzählen. Henrik befürchtete, der Vater würde Odahl etwas antun. Und was dann passiert wäre, konnte er sich lebhaft ausmalen. Damals erlebte der Junge gerade seinen fünften Winter.
Jedenfalls machte er seit jenem Tag einen großen Bogen um den Odahl. Und wenn er ihn unerwartet traf, rannte Henrik sofort weg und versteckte sich, bis die Luft rein war. Papa hatte immer gesagt, von einem tollwütigen Wolf darf man sich nicht beißen lassen. Es ist nicht mutig, an ihn heranzutreten, sondern dumm. Und es ist nicht feige, davonzulaufen, sondern klug.
Von nun an aber musste Henrik mit diesem Teufel zusammenwohnen! In ihm wuchs eine Angst, die er in den folgenden Jahren nicht verdrängen konnte. Begegnete er den schielenden Augen des Alten, so wurde ihm jedes Mal klar, dass er nur ein schwaches, wehrloses Kind war.
Acht Jahre waren keine große Zeitspanne in einem Menschenleben.
Nass, und wie die Sterne einer klaren Winternacht, leuchteten Henriks Augen, wenn er vor dem großen Holzkreuz kniete, das man für Mama, Papa und Nyski aufgestellt hatte. Er flüsterte mit ihnen, seine Brust bebte im heißen Hauch des Atems. Diese Flammen! Immer wieder sah Henrik die Flammen jener Nacht. Die Holzfäller hatten den schwarzen Flecken Erde eingeebnet, auf dem einst die Thomas-Henrikson-Hütte stand, und in der Mitte des Hügels das weithin sichtbare Holzkreuz errichtet.
Henrik drehte sich um und stolperte mit kleinen Schritten und geschlossenen Augen davon. Niemand sollte seine Tränen sehen.
Allmählich aber kehrte das Leben in Henriks Körper zurück. Das Lied der Zukunft erklang. Bald lief er so flink wie früher über die Wiesen, durch die Wälder und kletterte auf Felsen und Berge.
Nur in den Nächten besuchten ihn die Träume der Vergangenheit, dann lastete der Tod auf dem Jungen, stampfte bösartig auf seinem Herz herum, immer und immer wieder.
Manchmal weinte Henrik, wenn der besoffene Onkel Odahl die arme Nyne anschrie und beschimpfte. Nicht zu selten schlug er in seinem Rausch auf die alte Frau und Henrik ein.
Nyne dagegen pflegte und hegte Henrik, als wäre er ihr eigenes Kind. Drei mehr oder minder ruhige Jahre flossen ins Land und Henrik wuchs, er wurde reifer, ein richtiger Junge.
„Ach Herr, wie sind meiner Feinde so viel, und setzen sich so Viele wider mich!“, las Nyne aus der Bibel vor.
Was wohl machte ein Junge in drei Jahren seines Lebens? Er bewegte sich wie der Wind, mal sacht und mal stürmisch brausend, mal der Sonne entgegen, mal von der Sonne fort. Manchmal konnte Nyne für ein paar Tage die Schule bezahlen, in der Henrik alles in sich aufsog, was er erfahren konnte. Dann warf man ihn wieder hinaus und er hatte kein Problem damit. Schließlich hatte Nyne genug damit zu tun, jeden Tag etwas Essbares auf den Tisch zu bringen, so dass keiner verhungern musste. Nyne lehrte Henrik all das, was sie selbst wusste. Und das war nicht wenig. Sie erzählte ihm viel über die Verhältnisse im Tal und in der Welt. Irgendwann verstand er ihre Worte besser.
Wenn Nyne arbeitete und Henrik ihr nicht helfen konnte, dann traf er sich mit Tuniels, der schon bald sein bester Freund wurde. Gemeinsam veranstalteten sie so manches Abenteuer, wenngleich nur in der ausschweifenden Fantasie. Weiß der liebe Gott, wie sie zusammengefunden hatten, jedenfalls passten sie zueinander und waren dicke Freunde.
Der kleinere Tuniels war eine Anführerseele, in seinem Gehirn schlummerte manch gefährliche Idee, sein Mut war häufig größer als die Vernunft. Wenn es nach Tuniels ginge, dann würden die Holzfäller das Land regieren. Henrik schloss sich dieser Meinung rasch an, und gemeinsam übertrumpften sie sich mit klugen Sprüchen. Tuniels war nicht nur kleiner, sondern auch jünger als Henrik. Und seine Stimme klang ungewöhnlich hoch. Trotzdem setzten sich meist gerade seine verrückten Ideen durch.
Oftmals trafen sich die beiden Jungen, um spannende Abenteuer zu bestehen. Sie kämpften gegen alles, was ihnen böse und bedrohlich erschien, lieferten sich Schlachten mit imaginären Geistern, Ungeheuern und teuflischen Kriegern und besiegten ganze schwedische Heerscharen. Dabei kannte die Fantasie der Jungs keine Grenzen, sie brachten sich selbst in Gefahren, aus denen sie sich letztendlich mit Gewandtheit und Schnelligkeit retteten. Dass ihre Kleidung bei diesen Kampfhandlungen ruiniert wurde, ließ sich nicht verheimlichen, doch viel konnten sie an ihr nicht verderben, bestand diese doch meist nur aus einer Leinenhose. Lediglich im Winter trugen sie zusätzlich ein dünnes Hemd, dicke Strickjacken, lange, ausgeleierte Wollsocken und die schweren Holzpantinen, auf die sie lieber verzichtet hätten.
Die Herzen der beiden Knaben schlugen angesichts der ständig drohenden Gefahren höher, und wenn sie einen Tag lang richtig gewütet hatten – das sah man dann auch ihren schwarzen Gesichtern deutlich an – erst wenn ihnen der Schweiß über Stirn und Rücken lief und sich die ersten Schürfwunden zeigten, dann waren sie zufrieden mit dem vollbrachten Tageswerk.
Manchmal wanderten sie stundenlang, entfernten sich weit von den verstreuten Hütten Dales. Sie beobachteten die Tiere des Waldes und suchten nach versteckten Höhlen. Eines Tages wurden sie fündig, Tuniels hatte sich durch einen langen, engen Felsspalt gezwängt und Henrik ihn schon fast aufgegeben, als Tuniels’ Kopf wieder zum Vorschein kam.
„Eine Höhle! Und es sind ganz viele Schweden drin versteckt!“ Von diesem Tag an hieß die Höhle Schwedenhöhle und die Jungs erlebten so manches Gefecht in ihrer Nähe. Sie kletterten aber auch auf die höchsten Bäume, sprangen von Felswänden, krochen über Sommerwiesen, ohne dass auch nur die geringste Spur von ihnen zu sehen war. Ein anderes Mal schmierten sie sich die Gesichter mit Schlamm ein, spielten Waldgeist und erschreckten Pächter und Holzfäller. Sie taten all das, was jeder Junge in ihrem Alter gern gemacht hätte. Im Sommer gingen sie in den glasklaren Gewässern der Fjordausläufer baden und warfen Steine ins Wasser, im Winter prüften sie die Dicke des Eises und schleuderten Schneebälle auf andere Kinder. Sie stellten sich auf einen Felsvorsprung, hoch über dem Tal und versuchten sich im Weitpinkeln. All diese Dinge machten sie zu einem unzertrennlichen Paar.
Henrik Henrikson war bei Tuniels’ Eltern gern gesehen, denn er ging mit Tuniels’ kleinem Bruder einfach kindlich um.
Tuniels’ Brüderchen Leevly war zwei Jahre jünger als Tuniels. Er hatte von Geburt an mit einer schweren Krankheit zu leben: Die Beine waren gelähmt. Das hinderte Leevly jedoch nicht daran, hinauszukriechen, sich mit Krücken zu bewegen und an den Abenteuern der beiden größeren Jungen teilzunehmen. Tuniels war zwar recht klug, doch die besseren Ideen hatte Leevly, der außerdem immer lustig und drollig war. Deshalb mochten ihn alle gut leiden.
Zweieinhalb Jahre vergingen, dann nahm diese wunderschöne Zeit in Henriks Kindheit ein jähes Ende.
Der Sommer machte sich gerade bemerkbar und die Sonne lockte in die Natur hinaus. Losgelöst und frei schwebten die Wolken am Himmel, ließen der Sonne genügend Freiraum, ihre warmen Strahlen zum Boden zu schicken.
In der Hütte von Tuniels Eltern war es nicht gerade warm und deshalb wollte Leevly draußen spielen. Schließlich konnte er mit den Krücken fast so gut laufen, wie die anderen Kinder.
So kroch er ein Stückchen hinaus und setzte sich ins weiche Gras. Der Vater war im Wald und die Mutter am Fjord Wäsche waschen. Für den kleinen Leevly war es etwas Wunderschönes, im Gras zu sitzen, zu träumen, die frische, warme Luft zu atmen, den Vogelstimmen zuzuhören und sich die aufgehenden Bäume anzuschauen. Eine friedliche Stille lag in der Luft, es roch von irgendwo nach Essen. Diese Welt war für den kleinen Leevly in Ordnung.
Er angelte nach den Krücken und lief ein Stückchen weiter, immer auf dem Weg entlang, der die weit verstreuten Hütten Dales miteinander verband.
Auf halber Strecke durchzuckte ein Schrecken den kleinen Jungen und er wankte. Der neue Oberpächter Holger Holgerson, über den Leevly bisher nur Schlechtes gehört hatte, kam mit großer Geschwindigkeit angefahren. Er saß hoch auf dem Bock einer dieser neumodischen Kutschen. Leevly wollte schnell ausweichen, denn er lief bis dahin mitten auf dem Weg. Holgerson musste den Jungen gesehen haben, schließlich saß er weit oben, doch verminderte er die Geschwindigkeit des Fuhrwerkes nicht.
Schon hörte Leevly die beiden Pferde schnauben, die von Holgersons Peitsche angetrieben wurden! Eine der Krücken rutschte Leevly aus der Hand, er ruderte hektisch mit dem Arm, fiel um, wie vom Blitz getroffen und hielt sich die Hände schützend vor das Gesicht. Er glich nun dem kleinen Falter, hilflos einem bösen Mann ausgeliefert.
Der Schlag eines stählernen Hufes nahm Leevly die Sinne, dann rollte der schwere Wagen mit ungeminderter Geschwindigkeit über den regungslosen Körper des Jungen hinweg, die zweite Krücke, die auf Leevly lag, zerbrach auf seiner Brust.
Während Blut auf den Weg lief und sich mit Staub vermischte, verschwand Holgerson mit der Kutsche und großer Geschwindigkeit am Horizont. Er hatte sich nicht einmal umgeschaut! Nur eine Staubwolke zeugte noch von seiner Anwesenheit.
Niemals hätte jemand erfahren, wer der Mörder des kleinen Leevlys war, wenn nicht Tuniels und Henrik den ersten Schrei des Kindes gehört und den davon eilenden Holgerson auf seiner Kutsche erkannt hätten.
Zitternd knieten beide neben dem leblosen, blutüberströmten Körper. Tuniels beugte sich hinunter, rüttelte an seinem Bruder, schrie und weinte.
Niemand mehr konnte dem kleinen Leevly helfen, in das Leben zurückzufinden. Auch nicht der Doktor, der Stunden später nur noch den Tod des Jungen feststellen musste.
Zornig starrte Tuniels in das Grasbüschel vor seinen Füßen. „Ich werden Holgerson umbringen!“ Diesen Entschluss hatte er gefasst. Und nichts und niemand würden ihn davon abbringen können.