Spielt der schwarze Jonny falsch? - Heinz Böhm - E-Book

Spielt der schwarze Jonny falsch? E-Book

Heinz Böhm

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Beschreibung

Spielt der schwarze Jonny falsch? Eine Schulklasse, die mit ihrem Studienrat im Schwarzwald Ferien macht, begegnet dem »schwarzen Jonny«. Der reinste »Zigeunerkönig« kommentiert einer der Jungen, und dieser Name sitzt. Doch dann entpuppt »Jonny« sich als waschechter Christ. Die Jungen sind stark beeindruckt. Im folgenden jedoch geschehen Dinge, die den Verdacht nachlegen, dass »Jonny« ihnen allen was vorspielt. Vier von den Burschen wollen es genau wissen. Sie lassen den »schwarzen Jonny« nicht mehr aus den Augen. Tino auf fremden Straßen Tino, ein kleiner italienischer Gastarbeiterjunge in Deutschland, leidet so sehr unter der herzlosen Behandlung durch den Wohnungsvermieter seiner Familie, dass er beschließt, sich zu rächen. Doch bei der Verwirklichung seines Planes wird er durch eine gefährliche Begebenheit gestört. Jagt den wilden Michel Der Siegerländer Geldfälscher »Ohm« Michel war im letzten Jahrhundert ein gefürchteter Mann. Im Zuchthaus verlor der »wilde Michel« mehr und mehr den Sinn des Lebens. Diese Finsternis brach eine Predigt des Gefängnispfarrers auf. Jane und Shirley setzen sich durch Der Schwarze Jim Parker wird als Whiskyschmuggler verhaftet, denn in der kleinen Stadt am Mississippi werden die Schwarzen noch immer verachtet. Doch Jane und Shirley, die Zwillinge des neuen Pfarrers, kommen den wahren Schmugglern auf die Spur. 4 spannende Abenteuer in einem Band

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Spielt der schwarze Jonny falsch?

4 spannende AbenteuerAbenteuer-Band 3

Heinz Böhm

Impressum

© 2017 Folgen Verlag, Langerwehe

Autor: Heinz Böhm

Cover: Caspar Kaufmann

ISBN: 978-3-95893-081-0

Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

Kontakt: [email protected]

Shop: www.ceBooks.de

 

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Inhalt

Titelblatt

Impressum

SPIELT DER SCHWARZE JONNY FALSCH?

1. Pommel protestiert

2. Ferien in »Haus Waldfrieden«

3. Pommels Schreckensnacht

4. Herr Stolzenbeck bleibt unerbittlich

5. Was keiner gedacht hätte

6. Spielt der schwarze Jonny nur frommes Theater?

7. Der geplante Einbruch

8. Polizei taucht auf

TINO AUF FREMDEN STRAßEN

1. Eine großartige Leistung

2. Eben Gastarbeiter!

3. Die bedeutende Entdeckung

4. Tino gerät in Konflikte

5. Für immer Fremde bleiben?

6. Die Rache muss sein

7. Ein abenteuerliches Unternehmen

8. Achtung: Rauchvergiftung

9. Der veränderte Radier

10. Eine neue Situation

JANE UND SHIRLEY SETZEN SICH DURCH

1. Die neue Heimat am Mississippi

2. Eine mutige Begrüßungsrede

3. Prügel liegen in der Luft

4. Die Freundschaft mit Jenny

5. Der Zusammenstoß

6. Whiskyschmugglern auf der Spur

7. Das hätte niemand gedacht

JAGT DEN WILDEN MICHEL!

1. Lockendes Leben

2. Geldfälscher am Werk

3. Ein verwegener Ausbruch

4. Nächtlicher Besuch

5. Die Polizei überlistet

6. Angst vor dem wilden Michel

7. Abgesetzt nach Frankreich

8. Ein letzter Fluchtversuch

9. 15 Jahre Zuchthaus

10. Mach Schluss, August

11. Eine entscheidende Predigt

12. Nachtgedanken

13. Der endgültige Durchbruch

14. Bewährter Glaube

15. Reichsgraf Prinz Karl von Salm-Horstmar

16. Hart am Tode vorbei

17. Eine überraschende Einladung

19. Ein Zeuge seines Herrn

20. Gehalten und geborgen

21. Das Ende ist Herrlichkeit

Unsere Empfehlungen

SPIELT DER SCHWARZE JONNY FALSCH?

1. Pommel protestiert

Seit Studienrat Stolzenbeck den Religionsunterricht hielt, waren die Jungen hell begeistert. Die Burschen hätten es kaum für möglich gehalten, dass ein solches »Abseitsfach«, wie der lange Otto es zu bezeichnen pflegte, derart an Farbe gewinnen konnte. Obwohl sich der alte Studienrat Wells alle Mühe gegeben hatte – das musste man ihm zugestehen -, hatte er es nicht geschafft, unter den Schülern auch nur halbwegs Interesse wecken zu können.

Dietmar Breith, Sohn des bekannten Arztes Dr. Breith, hatte seinem Vater einmal vorgeschlagen, er solle seinen Patienten, die an Schlaflosigkeit litten, eine Wellssche Religionsstunde verschreiben.

So war es für beide Seiten eine Befreiung, als Herr Wells durch den jungen Studienrat Stolzenbeck abgelöst wurde.

Ursprünglich hatte Herr Stolzenbeck Pfarrer werden wollen, aber nach einigen Semestern Theologie hatte er seine Neigung für Germanistik entdeckt. Besonders in der modernen Dichtung kannte er sich aus wie in seiner Hosentasche. Neben dem Religionsunterricht gab er noch Deutsch und Geschichte. Obwohl ihm beinahe die ganze Klasse Anerkennung zollte, so bestätigten auch hier gleich drei Ausnahmen die Regel.

Werner Gessner, dessen Bruder Gerhard und schließlich Pommel, ein dicker, verschmitzt aussehender rotbackiger Junge, waren zwar auch begeistert über die Art, in der Herr Stolzenbeck unterrichtete, und sie gaben zu, dass bei dem Studienrat keine Langeweile aufkommen konnte, aber seine Thesen erschütterten ihren Glauben.

Schon in der ersten Stunde hatte Herr Stolzenbeck die Bibel als ein völlig normales Buch bezeichnet, der man keine Sonderstellung einräumen dürfe. Sie sei, so hatte er den lauschenden Schülern erklärt, von früheren Generationen durch eine heilige Tradition beinahe unantastbar gemacht worden. Niemand habe es gewagt, über das Leben Jesu, seine Wunder und überhaupt seine Person kritisch nachzudenken. Nach und nach aber seien doch verschiedene Menschen zu der Frage gekommen, ob denn alles so gewesen sei, wie es die Bibel berichtet. So habe ein kluger Theologe in Bezug auf die Wunder Jesu eindeutig unterschieden zwischen den Menschen zur Zeit Jesu und dem Denken des modernen, aufgeklärten Zeitgenossen.

Für Otto Baum, Sohn des Universitäts-Buchhändlers, waren diese neuen Thesen wie eine Erleichterung. Viele Aussagen Stolzenbecks deckten sich mit der Kritik seines Vaters, endlich würden auch die Theologen gescheit; wenigstens die besten. So hatte dieser einmal mit einem überlegenen Lächeln gesagt. Für den denkenden Menschen sei es eine Zumutung, die mythologischen Elemente als wirklich Geschehenes serviert zu bekommen.

Anfangs hatte Otto die seltsamen theologischen Fachbegriffe seines Vaters nicht verstanden, aber inzwischen waren sie ihm durch den Unterricht so geläufig geworden, dass er sie sogar richtig aussprechen konnte.

Heute, zwei Tage vor den großen Sommerferien, herrschte unter den Schülern eine ausgelassene Stimmung. Otto führte das große Wort. Wie so oft hatte er es auch heute auf den dicken Pommel abgesehen. Er bewegte seine langen Arme wie zwei Windmühlenflügel. »Pommelchen, ich muss deine Freude auf unsere Schwarzwaldtour ein wenig dämpfen.«

Otto sprach bewusst laut, um die Aufmerksamkeit seiner Klassenkameraden auf sich zu lenken. Der Angeredete wandte sich um und blickte stirnrunzelnd zu dem Langen hin. Der dämpfte geheimnisvoll die Stimme: »Dort oben im Feldberggebiet soll das Hexen noch große Mode sein.«

Einige grölten los. Es war kein Geheimnis, dass Pommel nicht zu den Mutigsten gehörte. Aber über sein rundes Gesicht lief ein verschmitztes Lächeln: »Gar nicht schlimm für dich. Vielleicht bekommst du bei dieser Gelegenheit ein wenig Verstand in dein Gehirn gehext …«

Nun hatte Pommel die Lacher auf seiner Seite. Dietmar klopfte sich vergnügt auf die Oberschenkel.

»Gut, Pommel, gib’s dem Langen!«

Unbemerkt war Studienrat Stolzenbeck eingetreten. Hinter seinen Brillengläsern blitzten ein Paar hellblaue, lebhafte Augen. Herr Stolzenbeck klatschte in die Hände.

»Ihr meint wohl, die Ferien hätten bereits begonnen!« Mit zwei großen Schritten war er beim Lehrertisch angelangt und warf seine pralle Ledertasche auf die Platte. Prüfend glitten seine Blicke über die Köpfe der Jungen hin.

»Entschuldigt, dass ich euch am vorletzten Schultag noch mit Religion plagen muss, aber ich hätte gern die angerissenen Fragen mit euch noch durchgesprochen. Irgendwie ist es mir zu Ohren gekommen, dass eine ängstliche Großmutter über meinen Unterricht starke Bedenken geäußert hat.«

Ein amüsiertes Gemurmel ging bei diesen Worten durch die Reihen. Nur Pommel spürte ein komisches Gefühl in der Magengegend.

Herr Stolzenbeck lächelte den Dicken freundlich an. »Es war doch deine Oma, nicht wahr?«

Der Angesprochene nickte.

»Sie hat mir nur gesagt, ich sollte bei dem alten Liedvers bleiben, den ein christlicher Graf geschrieben hat.«

Das Lächeln des Studienrats verstärkte sich, wurde heraus-fordernd, überlegen. So jedenfalls empfand es Dietmar. Die Hilflosigkeit seines Klassenkameraden Pommel brachte ihn in Hitze. Entschlossen streckte er seinen Arm in die Höhe.

»Ja?«

»Den gleichen Vers hat auch meine Mutter zitiert, als ich ihr von dem neuen Religionsunterricht erzählte.«

»So?« Der Lehrer sprach leise vor sich hin: »Wenn dein Wort nicht mehr soll gelten, worauf soll der Glaube ruhn; mir ist nicht um tausend Welten, aber um dein Wort zu tun …«

Pommel nickte. »Ja, das war’s, Herr Stolzenbeck.«

»Meine Herren!«

Der Studienrat trat hinter seinem Tisch hervor und wanderte in dem hellen Klassenzimmer hin und her. Das Lächeln aus seinem Gesicht war verschwunden.

»Dieser bekannte Liedvers – er stammt tatsächlich von einem Grafen, dem Grafen Zinzendorf – wird pausen-, bedenken- und vor allen Dingen gedankenlos beschworen, sobald es irgend jemand wagt, die christlichen Aussagen kritisch unter die Lupe zu nehmen. Wie ich euch bereits in der ersten Religionsstunde sagte, und ich halte es aufrecht, wollte und will ich niemandes Glauben zerstören. Im Gegenteil: Ich möchte euch Raum für einen Glauben schaffen, den ihr nicht dauernd mit einem angeschlagenen Gewissen verantworten müsst. Kurz, um es in einem bekannten Bonhoeffer- Wort auszudrücken, ihr sollt intellektuell nicht unredlich werden.«

Vor Pommels Bank unterbrach er seine Wanderung und legte seine rechte Hand freundschaftlich auf die Schulter des Schülers.

»Ich verstehe die Sorgen deiner Großmutter. Sie meint es gut. Sie hat Angst, dass ich dir und wohl auch manchem anderen die Glaubensfundamente zerstöre, aber nun hört einmal genau hin …«

Sein Blick kreuzte sich mit dem Dietmars.

»Dieser Graf Zinzendorf lebte von 1700 bis 1760. Unter Umständen hat er sein Trutz- und Schutzlied aus einer Vorahnung heraus gedichtet; denn …«, Herr Stolzenbeck machte eine kleine Pause, »… erst um das Jahr 1778 kam die historisch-kritische Methode durch Hermann Samuel Reimarus zur Diskussion. Dieser Mann hat es gewissermaßen als erster gewagt, zwischen dem wirklichen Jesus und zwischen den Berichten über Jesus zu unterscheiden. Er stellte einfach fest, dass die Jünger aus Jesus etwas gemacht haben, was Jesus selbst nicht war und wohl auch nicht sein wollte. Sie haben ihm den Zimmermannsrock abgestreift und den Königsmantel umgehängt.

Solche ›Frivolität‹ löste unter den damaligen Theologen gewaltige Empörung aus. Die Zeit und Vernunft aber sollten ihm recht geben. Aus dieser winzigen Quelle wurde ein Fluss, der zum Strom anschwoll. Fortan …

Herr Stolzenbeck brach ab. An den Gesichtern seiner Schüler bemerkte er, dass sie ihn offenbar nicht verstanden hatten. Er rieb sich nachdenklich über die Stirn. Verstehen sollten ihn die Jungen schon. Fiel ihm kein Beispiel ein, um es auch dem letzten zu erklären, worauf es im Wesentlichen ankam? Es war wirklich nicht leicht, das herkömmliche Denken abzubauen.

»Wer hat eine Bibel bzw. ein Neues Testament bei sich? – Wir wollen einmal eine Geschichte lesen, aufmerksam, nachdenkend, und es werden euch gewisse Zusammenhänge auffallen. Ich hoffe es wenigstens.

Wir wählen eine sogenannte Wundergeschichte, und zwar die aus Johannes 6: Die wunderbare Speisung. Bitte, Ulf Breith.«

Dietmars Bruder begann zu lesen. Beim fünfzehnten Vers unterbrach ihn der Studienrat.

»Gut. Nun noch die Verse einundvierzig bis achtundvierzig.«

Als der Lesende geendet hatte, blickten alle Jungen erwartungsvoll auf ihren Lehrer.

»Was fällt euch auf. Bitte erst nachdenken.«

»Dass bei Gott kein Ding unmöglich ist«, rief Werner Gessner in die Klasse.

»Richtig einerseits. Hier haben wir die alte Auffassung: Jesus, der große Magier, der die Brote hervorbringt wie ein Zauberer die Kaninchen aus einem Hut.«

Zögernd hob Dietmar seinen Arm.

»Ja?«

»Mir fällt auf – Sie sprachen ja von gewissen Zusammenhängen -, dass Jesus nach dem Zeichen der Brotvermehrung sich am anderen Tage selbst als das Brot des Lebens versteht. Ich würde folgern: Die Brotvermehrung soll auf seinen eigentlichen Auftrag hinweisen.«

Der Studienrat blickte den mit Abstand besten Schüler der Klasse anerkennend an.

»Alle Achtung! Genau auf diesen Zusammenhang kommt es in den Wundergeschichten an. Johannes will uns kein spektakuläres Ereignis berichten, sondern in echt orientalischer Erzählweise kleidet er die Bedeutung dieses Jesus in die bildhafte Geschichte von der Brotvermehrung ein. Johannes weiß auch: Von nichts kommt nichts. Ihm geht es lediglich um ein helfendes Beispiel, wer Jesus von Nazareth sei.«

Herr Stolzenbeck trat hinter sein Pult.

»Für den wissenschaftlich geschulten Menschen ist es ohnehin nicht mehr möglich, die neutestamentliche Geister- und Wunderwelt als real anzunehmen. Hier braucht nicht mehr diskutiert zu werden. Trotzdem flammt von den Alt-, oder sagen wir es richtiger, von den Naivgläubigen heftiger Protest auf. Sie folgern, dann haben die Jünger gelogen. Und dass ein Jünger gelogen hat, kann man sich schlecht vorstellen.«

Der Studienrat lächelte. »Und nun fallt nicht um: Sie haben tatsächlich nicht gelogen.«

»Der Baum ist mir zu hoch«, stöhnte Pommel.

»Er wird sich gleich biegen, mein Junge. In der historischen Forschung wird unterschieden zwischen Wirklichkeit und Deutung. Wirklich ist nur das Mögliche. Nehmen wir zwei Beispiele: Wenn heute das Wasser bergab fließt, dann ist es vor zweitausend Jahren auch bergab geflossen. Wenn heute Kirschen auf einem Kirschbaum hängen, dann waren es vor zweitausend Jahren keine Pflaumen. Verstanden?«

Über vielen Gesichtern ging die Sonne auf. Besonders Otto grinste geradezu befreiend.

»Das hieße also, Herr Stolzenbeck, der Maßstab für die Wunderkritik bleibt die unveränderliche Natur und ihre Gesetze.«

»Genau. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.«

Nun heimste Otto bewundernde Blicke ein. Der Studienrat atmete befreit auf. Nun schienen sie endlich zu begreifen, zumindest einige.

»Den gleichen Maßstab dürfen wir an alle Wunder legen. Schließen wir mit dem Wunder des Petrus, der auf dem Meer gewandelt ist: Weil er kein Luftballon war, wäre er auf jeden Fall untergegangen. Was will Matthäus mit seiner Geschichte aussagen? Er will verdeutlichen, dass Geschichtsstürme über die Gemeinde hinbrausen werden und dass die Glaubenden in das große Zittern kommen. Sie sollen aber nicht auf die Wogen blicken, sondern auf Jesus, der ihnen auf dem Meer der Zeit entgegenkommt und sie bewahrt. Die unkritischen Menschen haben es für bare Münze genommen, aber Matthäus hat es nur als Einkleidung verstanden.«

»Und ich glaube – wie es geschrieben steht!« rief Werner Gessner in die Klasse. Er fuhr erschrocken zusammen, als die Meute losgrölte. Dieses Gebrüll sollte nebenbei dem Lehrer bestätigen, dass sie so naiv wie Werner Gessner nicht waren.

Dietmar blickte auf die geduckte Gestalt des Bekennenden: »Vielleicht hast du recht; denn dabei gewesen ist damals niemand von uns.«

Der Studienrat wechselte die Farbe. Ein unverschämter Bursche, dieser Breith! Mit beherrschter Stimme wandte er sich Dietmar zu.

»Dabei war keiner von uns, aber die Menschen damals hatten ein völlig anderes Denken. – Nach den Ferien können wir auf all diese Fragen eingehen – oder …«, er warf einen schnellen Blick auf seine Armbanduhr, »… oder wir können bei unserer Schwarzwaldfreizeit einen oder zwei Abende einschalten, an denen wir über diese Probleme offen und schonungslos diskutieren.«

Durch das Stichwort Schwarzwaldfreizeit schienen plötzlich alle Probleme gelöst. Herr Stolzenbeck war froh, dass ihm dieses Wort zugeflogen war. Er hatte vor, in der ersten Ferienzeit mit zwanzig Schülern eine vierzehntägige Freizeit in der Nähe des bekannten Scharzwaldkurortes Hinterzarten zu verbringen. Die Schüler waren begeistert auf seinen Plan eingegangen. Es wäre schade, wenn die letzten Schulstunden durch Spannungen gestört würden. Immerhin zeigten die heftigen Reaktionen mancher Schüler, dass sie im traditionellen Denken ganz schön verhaftet waren.

Herr Stolzenbeck trat an das große Fenster und blickte über das sonnige, weite Land. »Wenn wir solch ein Wetter im Schwarzwald haben, dann …« Er lächelte vielsagend. »Ich hoffe, dass ich euch nicht zu viel versprochen habe.«

2. Ferien in »Haus Waldfrieden«

Herr Stolzenbeck hatte nicht zu viel versprochen. Der Ferienort war herrlich gelegen. Mit ihren Koffern und den prall gefüllten Reisetaschen standen die Schüler auf dem Bahnhofsvorplatz und blickten sich erwartungsvoll um.

»Bis zum Heim müssen wir noch etwa 25 Minuten wandern«, erklärte der Studienrat.

»Ich nehme ein Taxi«, stöhnte Otto und suchte nach seinem Portemonnaie.

Herr Stolzenbeck klatschte zweimal in die Hände: »Nur Geduld, meine Herren, das schwere Gepäck wird uns abgenommen. Herr Leible hat zugesagt, es mit seinem VW-Bus abzuholen.«

Pommel seufzte erleichtert. Einige andere setzten sich auf ihre Koffer und starrten die Straße hinunter. Da, hinter einer Kurve, tauchte ein grauer VW-Bus auf.

»Hurra, sie kommen!«

Der Studienrat trat an den Bordsteinrand und winkte. Der Wagen rollte heran und blieb knirschend stehen. Eine Frau mit leicht angegrautem Haar öffnete die Tür. Ihre auffallend blauen Augen musterten die Gruppe.

»Grüß Gott, Herr Stolzenbeck!«

Sie reichte ihm die Hand. Dann wandte sie sich den Jungen zu. »Herzlich willkommen im Schwarzwald!«

Die Burschen jubelten übermütig.

»Tolle Gegend hier, Frau Leibchen!« rief Otto vorlaut.

»Leible, du Trottel«, korrigierte Ulf, und die Jungen grölten.

Pommel warf einen Blick in den VW-Bus. Was saß denn da für ein seltsamer Vogel hinter dem Lenkrad? Pommel fühlte eine Gänsehaut über den Rücken rieseln.

»Der reinste Zigeunerkönig!« flüsterte er seinem Nebenmann zu. Jetzt kletterte der Kerl aus dem Wagen und besah sich das Gepäck. Frau Leible bemerkte die Betroffenheit auf vielen Gesichtern der versammelten Schüler.

»Darf ich Ihnen meinen Mitarbeiter vorstellen, Herrn Wolznek?«

Der junge Mann mit dem pechschwarzen Haar lächelte. Seine Blicke überflogen die verschiedenen Gepäckstücke. Ohne Zögern begann er, das Gepäck im Innern des Wagens zu verladen.

»Herr Wolznek wird gewiss zweimal fahren müssen«, wandte sich Frau Leible an den Studienrat. »Sie können mit der Gruppe schon zum Heim wandern.«

»Tun wir mit dem größten Vergnügen; allerdings sollten zwei dem freundlichen Spediteur helfen und beim Gepäck bleiben.«

»Freundlich ist gut«, brummte Pommel in seinen noch nicht vorhandenen Bart und verzog sich in den Hintergrund. Herr Stolzenbeck bestimmte den kräftigen Karl, und – ein überraschtes Murmeln – Otto meldete sich freiwillig. Otto tat es nicht aus purer Menschenfreundlichkeit, sondern mit dem eigennützigen Gedanken, dann nicht laufen zu müssen.

Die lärmende Schar setzte sich in Bewegung. Otto blickte ihnen nach. Dieser Schwarze sah nicht gerade vertrauenerweckend aus, aber wahrscheinlich hatte man ihn als Notlösung angestellt: Personalmangel. Na, man würde sehen.

Otto wartete, bis keiner mehr zu sehen war, dann griff er in seine Hosentasche und zog eine Packung Zigaretten heraus.

Knapp zwanzig Minuten waren vergangen, als der VW-Bus wieder auftauchte. Karl und der Schwarze sprangen heraus. Otto packte kräftig mit an. Verstohlen musterte er dabei den Schwarzen mit dem blatternarbigen Gesicht. Er fühlte dessen Augen auf sich gerichtet. »Sind Sie schon lange im Heim?« fragte Otto, um etwas zu sagen.

Der Angeredete schüttelte den Kopf. »Etwa zwei Monate. Ich komme aus Hamburg, Stadtteil St. Pauli, wenn ihr euch darunter etwas vorstellen könnt.«

Die zwei grinsten verstehend: »St. Pauli, Reeperbahn, kennt doch jeder, dem die Milchzähne ausgefallen sind«, sagte Otto großartig.

Der Schwarze lächelte dünn. »So, dann wollen wir mal!«

Die zwei Freunde kletterten mit in den Führerstand. Der Schwarze warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel, dann ließ er den Motor aufheulen, und der Wagen zog an. Karl und Otto grinsten sich breit an. Die Ferien konnten beginnen.

Hinter dem Ort bog der Wagen von der geteerten Straße ab, und ein breiter Waldweg schlängelte sich kurvenreich dem erwarteten Ziel zu. Zwischen den breiten Tannenästen blitzte der blaue Himmel hindurch. Auf der Höhe öffnete sich die Mauer des Waldes plötzlich, und eingeschlossen vom dunklen Grün weiter Wiesen und beinahe schwarzen Tannen blinkte der Titisee herüber.

»Sagenhaft!« rief Otto begeistert. »Da unten in der Mulde, ist das etwa das Ferienheim?«

Karl nickte.

Das Ferienheim lag zwischen Wiesen und romantischen Baumgruppen. Ein dichter Baumgürtel grenzte die Hinterseite des Heimes ein, dazwischen eine Wiese und daran anschließend ein steiler Tannenhang. So hatte es Herr Stolzenbeck beschrieben, aber die Wirklichkeit war noch viel schöner.

Mit Hallo wurden die drei von den Schülern begrüßt. Pommel erwartete ungeduldig seinen Koffer. Frau Leible hatte sich vor die große Eingangstür des Heimes gestellt. Sie gestikulierte mit der Hand. Das Gesumme der Stimmen brach endlich ab.

»Noch einmal, ich heiße Sie alle recht herzlich willkommen. Mein Mann lässt euch grüßen. Er bedauert sehr, dass er gerade in diesen Wochen einen wichtigen Kursus absolvieren muss. Und nun freie Bahn zur Heimbesichtigung!«

»Toll, Prima! Elefantös!«

Pommel konnte nicht genug Ausdrücke finden, um seiner Zufriedenheit Luft zu machen. Die massiven Mauern des Hauses ließen ihn seine Angst vor Wildschweinen, Schlangen oder ähnlichen Waldungeheuern ziemlich vergessen. Ulf sah sein erleichtertes Gesicht.

»Na, Pommelchen, deine Angst, eine zünftige Gänsehautentzündung zu bekommen, erweist sich angesichts dieser stabilen Hütte als total verfehlt?«

Pommel errötete. »Wer sagt denn, dass ich Angst habe, du Heini?«

Ulf grinste. »Dein zufriedenes Lächeln spricht Bände!«

»Paß auf, dass du keine Gänsehautentzündung kriegst. Da müssen schon außergewöhnliche Dinge kommen, bevor ich aus den Pantoffeln kippe!«

»Gut gesprochen, Pommel! Aber hier gibt’s Fledermäuse. Und so richtig schön wird es erst, wenn der Kauz sein schauriges ›Komm mit! Komm mit!‹ in die Nacht klagt!«

Bei dem Gesicht, das Pommel nach diesem Satz machte, konnte Ulf nicht mehr ernst bleiben. Lachend schlug er dem Klassenkameraden auf die Schulter.

»Es war nur ein Spaß, Pommel.«

»Aber immerhin auf den nüchternen Magen.«

Sie gesellten sich wieder näher zur Gruppe.

Der Studienrat sparte nicht mit Komplimenten. Alles sah aus wie geleckt. Eine blitzblanke Küche, nebenan ein weißgetünchter Raum mit einer riesigen Waschmaschine, daneben das sogenannte Bügelzimmer mit einem Regal voll schneeweißer Wäsche.

Dann ging es hinauf in die zweite Etage.

»Und nun, meine Herren, überlasse ich es Ihnen, sich Ihre Quartiere selbst auszusuchen. In dieser Etage sind einige Vier- und Fünfbettzimmer.«

»Klasse!«

Pommel stürmte direkt in das erste Zimmer. Es lag am weitesten von dem großen Fenster am Ende des Ganges entfernt. Man konnte ja nie wissen! Ulf und Dietmar folgten ihm. Im Zimmer stand ein Einzelbett und zwei Doppelbetten.

Otto und Karl sahen sich kurz an, dann beschlossen sie, Ulf, Dietmar und Pommel Gesellschaft zu leisten.

Pommels Blicke glitten derweil wieselflink durch den hellen Raum. Schnell sprang er auf das Einzelbett zu. Karl hatte den gleichen Gedanken. Er hielt Pommel an der Jacke fest. »Das ist mein Bett; ich kann in einem Doppelbett nicht schlafen!« zeterte Pommel.

»Ihr Blindgänger!« rief Ulf, als der Streit immer lauter wurde.

»Pommel war zuerst hier, und er schläft auch in dem Bett.«

»Bin ganz deiner Meinung«, pflichtete Otto bei und schob seinen Freund mit einem kräftigen Ruck beiseite.

»Lass dem Pommel sein Bett und nimm meinetwegen das obere Bett.« Um Ulfs Lippen spielte dabei ein spitzbübisches Lächeln.

3. Pommels Schreckensnacht

Aus dem nächtlichen Wald erscholl gespenstisch der Ruf eines Nachtvogels. Pommels Gesicht war gerötet, und der Atem ging tief und gleichmäßig. Da beugte sich im Dunkeln eine schlanke Gestalt über sein Bett. Dann schlich sie mit schlafwandlerischer Sicherheit zu einem ändern Bett, in dem nur ein widerspenstiger Haarschopf sichtbar war.

Einen Augenblick dachte das Nachtgespenst nach, dann zog es das Oberbett mit einem Ruck zurück. Mit einem wütenden Knurren wollte Dietmar sich seine Decke zurückholen.

»Ich bin’s doch«, zischte Ulf. »Ich sage nur ein Wort: Pommel.«

Langsam richtete sich Dietmar in seinem Bett auf. »Hätte ich glatt verschlafen«, flüsterte er dann, »aber nun vorsichtig die beiden anderen wecken!«

Nach zwei Minuten war es geschafft. »Es darf nichts schiefgehen«, hauchte Ulf, »wir wollen ein pädagogogisches Praktikum veranstalten mit dem Ziel, Pommels Angst durch eine Roßkur zu vertreiben.« Dietmar unterbrach seinen philosophierenden Bruder mit einer energischen Handbewegung. »Nun lass deine Sprüche«, zischte er, »wir wollen an die Arbeit.« – »Mit Vergnügen«, grinste der starke Karl. Mit unterdrücktem Kichern schlichen die vier an Pommels Bett. Der schlief tief und ahnungslos.

Ulf huschte noch einmal ans Fenster. In dem Schwimmbecken vorm Haus spiegelte sich der Mond. Zwischen den Ästen der gewaltigen Fichten sickerte silbernes Licht hervor.

Ulf tastete sich zurück. »Ob wir es nicht doch lassen? Wenn Pommel vor Schrecken stirbt …«

Dietmar tippte seinem Bruder an die Stirn. »Das gibt nichts als einen Riesenspaß; aber nun an die Arbeit!« Jeder kniete sich vorsichtig bei einem der vier Bettfüße nieder. »Moment. Die Haustür!« Ulf verschwand. Wie ein Geist huschte er durch den langen Gang. Die drei atmeten erleichtert auf, als Ulf auftauchte. »Alles in bester Ordnung; unserem Triumphzug steht nichts mehr im Wege.«

»Er bewegt sich!« flüsterte Karl. Regungslos umstanden sie das Bett.

»Wir sind verloren! Wenn er jetzt die Augen aufschlägt, kommt ein Schrei, den die Camper am Titisee hören.«

Unbeweglich standen die vier und wagten kaum zu atmen. Pommel warf sich unruhig hin und her.

»Gerettet!« seufzte der Lange endlich. Pommel hatte sich mit einem Ruck das Oberbett über die Ohren gezogen, und jetzt waren nur noch seine borstigen Haare zu sehen. Dietmar hob die Hand. Sie lauschten noch einen Augenblick regungslos. »So, wir können.« Behutsam hoben sie Pommels Bett und trugen es mit größter Sorgfalt durch den Raum.

»Besondere Vorsicht bei der Treppe, meine Herren!« Dietmar versuchte, sich mit der linken Hand den Schweiß von der Stirn zu wischen. »Ich werde Pommels Mutter raten, ihm nicht mehr so viel Schnitzel zu servieren. – Aber einen Schlaf hat der!« – »Lass deine Witze!« keuchte Otto.

Vor dem Heim setzten sie das Bett zunächst noch einmal ab.

»Wo sollen wir die süße Last hinstellen?«

»Am besten an den Rand des Schwimmbeckens«, schlug Dietmar vor.

»Und wenn er reinfällt?«

»Dann wäre das ein Reinfall«, erwiderte Dietmar trocken.

»Bei der Wassertemperatur und der beachtlichen Speckschicht, von der Pommel umgeben ist, brauchen wir keinen Herzschlag zu befürchten.«

»Der Doktor hat gesprochen«, grinste Otto.

Wieder nahmen sie das Bett und trugen es an den. Rand des Schwimmbeckens.

»Jetzt vorsichtig hinstellen, und dann nichts wie weg!«

Dietmar und Otto versteckten sich in der nahen Gartenlaube, während Ulf sich dem Apfelbaum zuwandte. Karl verschwand hinter einer Hecke.

»Jetzt – jetzt wacht er auf!«

Die vier starrten aus ihrem Versteck, aber nichts geschah. Die Minuten verrannen, und die vier Nachtgespenster begannen zu frieren …«

»Der pennt, bis die Sonne aufgeht«, seufzte Karl. Nur Ulf schien ganz zufrieden. Kauend saß er in dem schräg gegenüberstehenden Apfelbaum und ließ es sich schmecken. Dietmar legte seine Hände trichterförmig an den Mund und rief leise zu seinem Bruder hinauf: »Ulf! Wirf mal einen Apfel, damit Pommel endlich aufwacht.«

»Wird gemacht, Bruderherz.« Ulf pflückte einen handlichen Apfel, schätzte kurz die Entfernung und warf.

Es war eine Meisterleistung! Der Apfel landete genau hinter Pommels Kopfkissen und rollte dann, kalt wie ein Frosch, an dessen Schlagader.

Gespannt verfolgten die Jungen, was jetzt passieren würde. Otto richtete sich langsam auf. In diesem Moment öffnete Pommel seine Augen und sah im Mondlicht die unheimlich wachsende Gestalt des Langen. Ein Schrei, der den vier Übeltätern durch Mark und Bein fuhr, zerriss die nächtliche Stille.

Ulf schaltete zuerst. Wenn das der Stolzenbeck hörte! Blitzschnell sprang er aus dem Apfelbaum und stürmte auf den schreienden Pommel zu. Aber das war verkehrt. Entsetzt über diesen erneuten Angriff schwang sich der kleine Dicke aus dem Bett und – klatschte in das Schwimmbecken.

Dass Pommel sein Geschrei noch zu steigern vermochte, hätten die vier nicht für möglich gehalten, aber sie mussten es erleben.

»Hilfe! Hilfe! Sie wollen mich umbringen!« gurgelte es aus dem Schwimmbassin.

Dietmar fegte aus seinem Versteck heraus und hechtete in das Becken. Er hielt dem schreienden Pommel den Mund zu.

»Ruhe, Pommel, Ruhe! Wenn der Alte aufwacht, sind unsere Ferien zu Ende.« – »O ihr Schurken, ihr gemeinen Kerle!« Pommels Stimme überschlug sich vor Erregung. »Ich schrei noch mehr!«

Wieder sog er Luft ein, um sie in sein fürchterliches Geschrei umzusetzen. Es war aber nicht mehr nötig.

Überall hinter den Fenstern flammte das Licht auf. Oben auf dem Balkon erschien die schmale Gestalt des Lehrers. Jetzt beugte er sich über das Balkongeländer: »Wer auch immer diesen Streich ausgeheckt hat, die daran Beteiligten können morgen ihre Koffer packen und die Heimreise antreten!«

Pommel und Dietmar standen zitternd nebeneinander.

»Aus, vorbei!« Dietmar schlug sich verzweifelt gegen die Stirn. »Dabei wollten wir dich nur von deiner Angst heilen.«

»Aber ich dachte, ich dachte …« – »Du kannst nichts dafür, Pommel. Wir hätten die Folgen vorher einkalkulieren sollen.«

»Dietmar, ich werde den Pauker bitten, dass er sein hartes Urteil zurücknimmt.«

»Pommel, dann ess ich dir aus der Hand!«

4. Herr Stolzenbeck bleibt unerbittlich

Vier Tage waren seit jener Schreckensnacht vergangen. Herr Stolzenbeck hatte es bewusst unterlassen, den Streich mit Pommels nächtlichem Bad noch einmal zu erwähnen. Immerhin hatte Pommel es geschafft: Die vier Freunde mussten nicht nach Hause reisen. Aber von der geplanten Schweiz-Tour waren sie unerbittlich ausgeschlossen. Auf die hastig hervorgestotterte Entschuldigung der vier Übeltäter hatte der Studienrat nur leicht abgewinkt und bemerkt, die Sache sei jetzt aus der Welt geschafft, und über die Folgen habe er sie ja informiert.

Allerdings, das hatte er. Aber konnte nicht noch ein Wunder geschehen?

Die vier bemühten sich in den folgenden Tagen, ihre besten Seiten herauszukehren. Das musste den Studienrat beeindrucken. Auch Frau Leible hatte ihren Nutzen von dem nächtlichen Streich. Otto, Karl und auch die Zwillinge rissen sich förmlich um die verschiedensten Hilfeleistungen. Vielleicht, so hofften sie, nahm der Studienrat seine Drohung zurück.

Otto wusste zu berichten, dass Frau Leible einmal lange mit dem Lehrer gesprochen habe. Allerdings habe er kein Wort verstanden. Nun, man würde sehen.

Endlich war der Abend vor der großen Schweiz-Reise gekommen. Draußen hinter dem Berghang glühte der Sonnenball. In dem geräumigen Speisesaal herrschte eine ausgezeichnete Stimmung. Herr Stolzenbeck unterhielt sich angeregt mit der Hausfrau.

Otto beugte sich zu Dietmar hinüber: »Ich glaube, der nimmt sein Urteil zurück. Nach diesen Würstchen und den Bratkartoffeln kann man ja nicht mehr so herzlos sein.«

Dietmar dachte ähnlich wie der Lange, nur gefiel es ihm nicht, dass der Studienrat den nächtlichen Streich nie mehr erwähnt hatte. Ulf indessen murmelte leise vor sich hin.

Pommel stieß den Klassenkameraden an: »Was lernst du denn für Formeln?«

»Ich lerne keine Formeln. Ich lege mir eine kleine Dankesrede zurecht.«

»Aha, du glaubst, dass euch der Alte noch mitfahren lässt?«

Ulf hatte eine Erwiderung auf der Zunge, als sich der Studienrat von seinem Platz erhob. Er klopfte gegen den vor ihm stehenden Teller. Augenblicklich wurde es still.

»Meine Herren, der Wetterbericht meldet, das Hoch über ganz Europa hält weiter an. Das bedeutet: Wir werden die großartige Alpenwelt in ihrer ganzen Gewalt und Schönheit bewundern können.«

»Brich dir keine Verzierung ab!« murmelte Dietmar vor sich hin.

Der Studienrat wandte sich der Hausmutter zu. »Womit ich die Schönheit dieses Fleckchens Erde nicht herabsetzen möchte.«

Otto bekam vor verhaltener Spannung einen Hustenanfall. Herr Stolzenbeck ließ den Langen aushusten, dann fuhr er fort.

»Etwas besonders Erfreuliches …«

Otto wollte gerade losbrüllen, doch die sachliche Stimme des Lehrers bremste ihn. Studienrat Stolzenbeck spürte die verhaltene Spannung und sprach weiter: »Etwas besonders Erfreuliches, zumindest für die meisten: Durch den Abzug von vier Personen können wir einen kleinen Bus mieten, und das wirkt sich bekanntlich auf den Fahrpreis aus.«

Zunächst wirkte sich die Eröffnung des Studienrats nicht auf den Fahrpreis aus, sondern auf die vor Entsetzen starr dasitzenden vier Nachtgespenster. Ottos Augen bekamen einen wässrigen Glanz. Er fingerte sein Taschentuch heraus. Sein improvisierter Hustenanfall schien völlig echt zu sein. Ulf zog hörbar Luft und dachte an das bekannte Tier mit den Höckern.

Dietmar fasste diese Hiobsbotschaft am schnellsten: »Er musste es tun, Otto, wegen der Autorität.«

»Wegen was?« Otto rückte näher an Dietmar heran.

»Autoritätsverlust, kapierst du?«

Ein Blick des Studienrats flog zu dem unruhigen Tisch hinüber. Otto probierte es mit einem gekonnt mitleiderregenden Blick, der bei seinen Eltern immer zog. Stolzenbeck aber blieb ungerührt. Erneut trommelte er gegen den Teller.