Sweet Thing - Isobel Starling - E-Book

Sweet Thing E-Book

Isobel Starling

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Beschreibung

Zwei Jahre nach einem totalen Zusammenbruch ist Simeon weg von Drogen und Alkohol und will es auch bleiben. Um sein Leben und seine Modelkarriere wieder in den Griff zu bekommen, muss Sim sich zunächst bei dem Mann entschuldigen, den er am schlimmsten verletzt hat – bei Pieter Bayer, seinem ehemals besten Freund und Objekt seiner unerwiderten Liebe. Pieter lebt inzwischen in einer festen Beziehung mit der Künstlerin Emily Raven, mit der zusammen er einen kleinen Sohn hat. Sim zieht zurück nach Berlin und ist außer sich vor Freude, als Pieter seine Entschuldigung annimmt und ihn in seiner Familie willkommen heißt. Die Nähe zu Pieter lässt Simeons unerfüllte Sehnsucht nach seinem Freund erneut aufleben. Als er jedoch Bastian Roth, einen älteren, sehr attraktiven Mann auf einer Kunstausstellung kennenlernt, wird ihm klar, dass er eine Seele vor sich hat, die noch gebrochener ist als seine eigene, und er spürt den Drang zu helfen. Simeons Verbindung zum verstörten Bastian Roth stellt seine ganze Welt auf den Kopf. Er muss sich entscheiden, ob er zulassen will, sich in den Mann zu verlieben, der ihn will, oder sich weiterhin nach dem Mann zu verzehren, den er niemals haben kann. Hinweis: Dieses Buch enthält eindeutige Beschreibungen von schwulem Sex. (Hurra!)

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Inhaltsverzeichnis

INHALT

Sweet Thing

Isobel Starling

Aus dem Englischen übertragen

von

Betti Gefecht

WWW.DECENTFELLOWSPRESS.COM

Copyright © 2019-2023 Isobel Starling

Aus dem Englischen von Betti Gefecht

ISBN: 9783757929213

Deutsche Erstausgabe

Alle Reche vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne vorherige schriftliche Genehmigung der Autorin nachgedruckt oder anderweitig verwertet werden. Davon ausgenommen sind Rezensionen: Kurze Passagen können in einer Rezension zitiert werden und als Teil davon auch in Zeitungen oder Zeitschriften abgedruckt werden.

Die Figuren und Ereignisse, die in diesem Buch beschrieben werden, sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2017

by Isobel Starling

Alle Rechte vorbehalten.

Cover Art Design by Isobel Starling

INHALT

PROLOG ALADDIN SANE

KAPITEL 1 HALLO SPACEBOY

KAPITEL 2 BOYS KEEP SWINGING

KAPITEL 3 OH YOU PRETTY THINGS

KAPITEL 4 MODERN LOVE

KAPITEL 5 LET’S DANCE

KAPITEL 6 SCARY MONSTERS

KAPITEL 7 THE MIRROR

KAPITEL 8 GET REAL

KAPITEL 9 SAVIOUR MACHINE

KAPITEL 10 NEVER LETME DOWN

KAPITEL 11 DON’T BRING ME DOWN

KAPITEL 12 THIS IS MY DAY

KAPITEL 13 SORROW

KAPITEL 14 WHERE ARE WE NOW?

KAPITEL 15 AFTER TODAY

KAPITEL 16 THE DINNER PARTY

KAPITEL 17 CAN YOU HEAR ME?

KAPITEL 18 (SHE CAN) DO THAT

KAPITEL 19 TAKE MY TIP

KAPITEL 20 SWEET THING

KAPITEL 21 SLOW BURN

KAPITEL 22 THE NEXT DAY

KAPITEL 23 BOSS OF ME

KAPITEL 24 SO NEAR LOVING YOU

KAPITEL 25 O SUPERMAN

KAPITEL 26 AMAZING

KAPITEL 27 OVER THE WALL WE GO

KAPITEL 28 AFTER A FASHION

KAPITEL 29 RICOCHET

KAPITEL 30 GHOSTS

KAPITEL 31 BLACKOUT

KAPITEL 32 BLACKOUT #2

KAPITEL 33 REALITY

KAPITEL 34 HANG ON TO YOURSELF

KAPITEL 35 BABY LOVES THAT WAY

EPILOG

AUTOR

Sweet

Thing

By

Isobel Starling

“Boys, boys, it’s a sweet thing.

If you want it, boys, get it here, thing.

'Cause hope, boys, is a cheap thing,

cheap thing.“

“Sweet Thing” Lyrics by David Bowie

PROLOG

ALADDIN SANE

Simeon Duchamp saß in seinem Zimmer in der Phönix-Klinik, einem privaten Rehabilitationszentrum, wo er wegen Alkohol-, Drogen- und Internetsucht behandelt wurde, und starrte aus dem Fenster auf den Zürcher See und die schneebedeckten Gipfel der Schweizer Alpen. Sim war obendrein auch sexsüchtig, aber er wäre eher gestorben, als das zuzugeben und sein Leben mit dem Versuch zuzubringen, sich männlicher Schwänze zu enthalten.

Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen, und der wolkenlose Himmel strahlte in einem klaren, arktischen Blau. Das Dickicht der Bäume am Rand des weiten, bewaldeten Areals rund um den See wiegte sich in der sanften Brise. Auf der großen Rasenfläche beendete eine Gruppe von sechs Patienten ihren morgendlichen Yogakurs. Die Teilnehmer beugten und bogen ihre Körper in einer letzten, katzengleichen Dehnung. Simeon hatte der Gruppe beim Posieren für den Sonnengruß, den Hund und das Kind zugesehen und sich heimlich gewünscht, einer von ihnen zu sein und für immer im Kokon der Klinik bleiben zu können, wo man ihn beschützte und sich um ihn kümmerte.

Simeons Welt war zerbrochen, als er sich in seinen besten Freund und Model-Kollegen Pieter Bayer verliebt hatte. Pieter hatte diesen Grad der Zuneigung nie erwidert; statt dessen hatte er sich in jemand anderen verliebt. Das Einschreiten von Simeons Vater Patrice und die darauf folgende Behandlung in der Phönix-Klinik hatten Simeon das Leben gerettet.

Als Simeon herausgefunden hatte, dass Pieter eine feste Beziehung mit der Malerin Emily Raven führte, war er unfähig gewesen, mit dem umzugehen, was er als Zurückweisung empfunden hatte. Voller Zorn und Eifersucht, sowie unter dem Einfluss eines Drogencocktails, hatte Simeon es als passende Rache betrachtet, falsche Informationen über Pieter an die Klatschspalte einer Fashion-Website weiterzugeben. Die Lügengeschichte war geteilt, getwittert und von Millionen Followern kommentiert worden.

Die Folgen dieses erbärmlichen Manövers hatten beinahe Pieters Karriere zerstört – Klienten glaubten fälschlicherweise, Pieter würde vertragliche Verpflichtungen nicht einhalten, und dass er unzuverlässig und unprofessionell wäre.

Nachdem jedoch Simeon als der Urheber der falschen Informationen entlarvt worden war, hatte stattdessen seine Karriere einen Tiefschlag erlitten. Klienten weigerten sich, mit ihm zu arbeiten, Freunde ließen ihn fallen wie eine heiße Kartoffel, und die Gegenreaktionen auf Twitter waren unerträglich. Simeon verschwand von der Bildfläche, und als sein Vater ihn schließlich mithilfe von Privatdetektiven in einem Hotel in Genf aufspürte, war er gerade dabei, sich mit einem Cocktail aus Wodka und Tabletten das Leben zu nehmen.

Nach nunmehr drei Monaten in der Phönix-Klinik hatte sich Simeons hedonistische, maßlos überkandidelte Model-Fassade in Nichts aufgelöst, zusammen mit den Drogen und dem Alkohol, von denen man seinen Körper gereinigt hatte. Und es hatte sich gezeigt, dass unter der Maske des gekünstelten Partyboys ein stiller, nachdenklicher und empfindsamer junger Mann steckte – ein Mann, der alles zu sehr fühlte, der zu tief liebte und mit dem Kummer von Verlusten und Zurückweisungen nicht umzugehen wusste.

Nun, da er zum ersten Mal seit seinen späten Teenagerjahren clean und trocken war, erwies sich Simeon als so zerbrechlich wie ein Jungvogel, und die Farben, Gerüche und Klänge der großen, weiten Welt überwältigten ihn. Wer war Simeon Duchamp ohne seine Maske, ohne die Krücken des Alkohols und der Drogen, die ihm das Selbstbewusstsein gegeben hatten, jeden neuen Tag durchzustehen?

Ein sanftes Klopfen an der Zimmertür riss Simeon aus seinen Betrachtungen. Er wandte den Kopf zur Tür, wo ein junger Pfleger namens Karl seinen Kopf ins Zimmer steckte.

„Deine letzte Sitzung bei Dr. Schröder ist in zwanzig Minuten“, informierte Karl ihn. „Noch einen für unterwegs?“ Karl wackelte provozierend mit den Augenbrauen. Simeons Lippen verzogen sich zu einem anzüglichen Grinsen.

„Schließ die Tür“, sagte er und ging rasch zum Bett. Karl betrat das Zimmer und schloss wie verlangt die Tür hinter sich. Simeon zog sein T-Shirt aus, dann knöpfte er seinen Hosenstall auf und schlüpfte aus seiner Jeans. Karl trat seine weißen Crocs beiseite, und in Sekunden hatte er sich der Hose und Tunika seiner leichten, weißen Klinikuniform entledigt. Simeon stand auf und ließ den Blick anerkennend über die schlanke, jungenhafte Gestalt des achtundzwanzigjährigen Pflegers wandern, der ihm gewisse Annehmlichkeiten abseits des Traumas der Therapie angeboten hatte. Er war Simeons Typ – blond, blauäugig, willig und zwischen den Beinen großzügig ausgestattet. Karl kam auf Simeon zu, zog ihn in seine Arme und küsste ihn tief und leidenschaftlich.

Mit seinen Eins-zweiundachtzig war Simeon einen halben Kopf größer als Karl, aber was dem Pfleger an Körpergröße fehlte, machte er eindeutig mit seinem Schwanz wieder wett. Simeon war begierig darauf, die beeindruckenden 25 Zentimeter noch ein letztes Mal zu genießen, bevor er die Klinik verließ. Er fuhr mit den Fingern durch Karls kurzgeschorenes, blondes Haar. Sein eigener Ständer rieb sich ungeduldig an Karls. Dann zog er den nackten Pfleger auf das Klinikbett. Karl gab ein heiseres, leises Lachen von sich. Simeon kletterte ebenfalls aufs Bett und schwang ein Bein so über Karl, dass sie sich in der 69-Position befanden und die Spitze seiner Erektion direkt auf Karls willigen Mund zeigte.

Sim nahm den dicken, unbeschnittenen Schwanz des Mannes in die Hand und massierte den Schaft. Er schob die zarte Vorhaut über die geschwollene Eichel zurück und staunte wiederholt darüber, dass Mutter Natur einen so schmächtigen Mann mit einem solchen Monsterpenis ausgestattet hatte. Mit einem Lächeln nahm er die plumpe Spitze zwischen seine feuchten Lippen. So gern Simeon auch ein Festmahl daraus gemacht hätte, blieb ihnen keine Zeit zum Spielen. Mit einem zufriedenen Summen verschlang er Karls Ständer, der seinen Mund so ausfüllte, dass er beinahe würgen musste. Sim ließ ihn wieder herausgleiten und entspannte seine Kehle, dann nahm er ihn erneut zwischen die Lippen und bearbeitete den Schwanz wie ein Pornostar. Simeons Selbstwertgefühl mochte am Boden sein, aber wenn er einen Schwanz im Mund hatte, gab es zumindest eine Sache, von der er sicher war, dass er es immer noch drauf hatte!

Karl leckte und küsste Simeons Schaft einige Male zur Vorbereitung, bevor er seine weichen Lippen öffnete und ihn in den Mund nahm. Die beiden jungen Männer wanden sich auf dem Klinikbett und liebkosten einander mit gierigen Händen.

Simeon gefiel, wie Karl ihm den Schwanz lutschte. Er genoss den gegenseitigen Blowjob und schloss vor Lust die Augen. Er hielt einen Moment inne und benutzte etwas von dem Speichel, der ihm aus dem Mund lief, um seine Finger zu befeuchten. Dann ließ er einen nassen Finger in Karls Arschloch gleiten und krümmte ihn, um Karls Prostata zu reiben. Der junge Mann unter ihm zuckte mit den Hüften und stöhnte. Er stieß aufwärts in Simeons Mund, während er selbst beinahe an Sims Ständer würgte.

Als er sich wieder gefasst hatte, tat er es Simeon gleich und ließ ihm mit forschenden Fingern dieselben, intimen Aufmerksamkeiten zukommen.

Beide fingerten den Eingang des jeweils anderen, massierten tief im Inneren. Ihre Hüften nahmen denselben, kreisenden Rhythmus auf, und beide Männer stöhnten und gaben fieberhafte Laute der Lust von sich. Simeon vergaß beinahe, dass er immer noch offiziell Patient einer Entzugsklinik war, bis er und Karl Minuten später warm und pulsierend ihren Samen in die Kehle des jeweils anderen ergossen.

Sie nahmen sich noch einen Augenblick, um zu Atem zu kommen und küssten einander sinnlich zum Dank, dann zogen sich beide Männer hastig wieder an.

„Ich kann nicht allzu lang abwesend sein. Ich sagte der Stationsschwester, ich würde nur kurz auf die Toilette gehen“, gab Karl zu. Bevor er den Raum verließ, blieb er noch einmal stehen und warf eine Kusshand zu dem ermatteten jungen Mann mit den langen, dunklen Haaren, der auf dem zerwühlten Bett saß und sich die Überreste von Karls Sperma von den Lippen leckte.

Zehn Minuten später kehrte Karl zurück. „Dr. Schröder ist nun bereit für Sie, Herr Duchamp, und Ihr Wagen ist angekommen“, verkündete er förmlich.

„Danke, Karl. Ich komme in einer Minute“, antwortete Simeon in seinem weichen, gekünstelten Tonfall und leichtem französischen Akzent. Er klang ein wenig atemlos, während er im Zimmer umherhuschte und seine letzten Sachen packte. Karl nickte.

„Und danke für all deine … Unterstützung während meines Aufenthalts hier, Karl“, fügte er hinzu.

„Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre weitere Genesung, Herr Duchamp.“ Karl grinste wissend und warf ihm eine weitere Kusshand zu, dann schloss er die Tür.

Simeon sah sich ein letztes Mal in dem Raum um, der mehr einer Suite in einem Fünf-Sterne-Hotel glich als einem Patientenzimmer in einer Klinik. Er schaute seine Koffer an und vergewisserte er sich, dass er nichts vergessen hatte. Dann nahm er einen tiefen Atemzug, ging zum Nachttisch und hob die Postkarte auf, die dort lag. Es war die einzige Post, die er während seines Aufenthalts in der Phönix Klinik bekommen hatte.

Irgendwann in den ersten höllischen Tagen hier war er aufgewacht – verängstigt, verwirrt und mit Gurten an Hand- und Fußgelenken ans Bett gefesselt. Er war in Panik geraten, aber dann hatte er aus dem Augenwinkel etwas gesehen. Er hatte den Kopf gedreht und die Postkarte entdeckt, die aufgerichtet auf seinem Nachttisch gestanden hatte. Simeon hatte sich darauf konzentriert und geatmet, bis die Panik nachließ. Dieses kleine Stück Karton hatte Simeon unendlich viel bedeutet, während er wochenlang schreckliche Entzugserscheinungen und quälendes Verlangen erduldet hatte. Die Postkarte zeigte ein Foto von David Bowie. Dasselbe Foto schmückte als Poster die Schlafzimmerwand in Simeons Berliner Wohnung. Als er schließlich das Schlimmste überstanden hatte und nicht länger ans Bett gefesselt war, hatte er die Postkarte in die Hand genommen und sie sich lange angesehen, bevor er sie umgedreht hatte. Die Rückseite enthielt eine einfache Nachricht:

Ich wünsche dir eine baldige Genesung.

Pieter x

Nach allem, was Simeon getan hatte, um ihre Freundschaft zu zerstören, war Pieter der einzige Freund, der sich die Mühe gemacht hatte, ihn während seines Entzugs zu kontaktieren. Die Postkarte – eine Erinnerung an seine beiden größten Obsessionen, Bowie und Pieter – war der Faden zu Simeons Identität gewesen, an den er sich geklammert hatte, wann immer er geglaubt hatte, den Verstand zu verlieren. Pieter hatte gewusst, dass Simeon Bowie in seiner Umgebung brauchen würde, und hatte sich die Zeit genommen, die Karte zu schicken. Und das machte sie zu einem zutiefst berührenden, persönlichen Geschenk.

Simeon verstaute die Postkarte sicher in der linken, inneren Brusttasche seiner Jacke und legte einen Augenblick lang seine Hand darüber. Dann ging er ins Bad und betrachtete sich im Spiegel. Das Spiegelbild zeigte einen jungen Mann mit blassen, androgynen Gesichtszügen und hohen Wangenknochen. Sein Kiefer war markant geschnitten und glattrasiert, und seine vollen Lippen wirkten beinahe feminin. Das Bild, das sich seinen haselnussbraunen Augen bot, war ein deutlich besserer Anblick als noch vor drei Monaten. Damals war er fast bis auf die Knochen abgemagert gewesen, hatte bis zur Bewusstlosigkeit getrunken und regelmäßig einen bunten Reigen von Amphetaminen eingeworfen, die auf der Straße unter so fröhlichen Namen wie Bennies, Sparkles oder Superjellies gehandelt wurden, als wären es Bonbons. Er war sexuell ausschweifend gewesen und hatte gedankenlos ungeschützten Sex mit jedem Mann gehabt, der willens und in der Lage dazu war.

Dieser Mann von vor drei Monaten war ein Desaster, eine Schande und eine Belastung. Dieser Mann musste verschwinden.

Simeon dachte darüber nach. Ja, dieser Mann hatte versucht, Simeon zu zerstören, und mit ihm alles, das er geliebt hatte. Sim hoffte, dass sein innerer Dämon nun fort war. Er hoffte, ihn zurückgeschlagen und in den hintersten Winkel seiner Psyche verbannt zu haben. Und dort sollte er nach Simeons Willen auch bleiben.

Bevor er ging, warf er sich noch einmal vor dem Spiegel in Positur und fuhr mit den Fingern durch sein seidiges, langes, schwarzes Haar. Er hatte erwogen, es schneiden zu lassen – neues Ich, neuer Look – konnte sich aber irgendwie nicht von seiner Haarpracht trennen. Simeon stand am Anfang des langen Weges zurück zu sich selbst; er wusste, es würde keine leichte Reise werden. Er band sein Haar zu einem Pferdeschwanz, dann verließ er das Badezimmer.

Sim nahm die beiden kleinen Koffer, die alles enthielten, was er für seinen dreimonatigen Klinikaufenthalt benötigt hatte, und ging aus dem Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen.

****

Simeon schlenderte auf langen Beinen den Korridor entlang zur Rezeption der Klinik. Auch hier fühlte es sich eher wie in einem Hotel an. Der Teppichboden war weich, auf den Beistelltischchen standen frische Blumen, und die Wände waren mit Kunstwerken dekoriert. Simeon ließ seine Taschen am Empfangstresen fallen und erklärte der Schwester, dass er hier war, um Dr. Schröder zu sehen. Sie rief den Doktor an, und kurz darauf öffnete sich die Tür zu seinem Büro gegenüber vom Empfangstresen.

„Ah, Simeon, kommen Sie herein. Bitte nehmen Sie Platz“, begrüßte er Simeon und trat zur Seite, um ihn eintreten zu lassen.

Dr. Schröder war Ende vierzig und hatte volles, dunkles Haar. Er hatte das markante Aussehen eines Models aus einem Bekleidungskatalog für den reiferen Herrn. Wenn Simeons Gedanken während ihrer Sitzungen abgeschweift waren, hatte er sich Dr. Schröder stets in weißer Unterwäsche vorgestellt, eine Hand in die Hüfte gestützt und ein lehrerhaftes Lächeln im Gesicht.

Simeon holte tief Luft, um seine Nerven zu beruhigen, und betrat das Büro. Auch dieser Raum hatte nichts klinikhaftes an sich – zeitgenössisches Mobiliar, Kunst an den Wänden. Durch eine Reihe großer Schiebefenster konnte man das bewaldete Grundstück der Klinik sehen. Und sie ließen großzügig Tageslicht in den Raum. Sim entschied sich für das braune Sofa mit den vielen Kissen und setzte sich. Dr. Schröder nahm in einem Ledersessel ihm gegenüber Platz und griff nach seinem Tablet auf dem Beistelltisch. Er nahm es in die Hand und begann, auf dem Bildschirm zu tippen.

„Ein schöner Tag heute, nicht wahr? Wie fühlen Sie sich, Simeon?“, fragte er. Er hatte einen starken Schweizer Akzent, aber seine Stimme klang freundlich.

„Ähm … okay, glaube ich. Ein bisschen nervös, aber … na ja.“

„Gab es irgendwelche Vorfälle in den letzten 24 Stunden? Panikattacken, starke Gelüste, Erregungszustände?“

„Nein, ich war ganz ruhig … entspannt. Ich fühle mich gut.“ Sim dachte daran, dass er vor wenigen Minuten Karls Sperma geschluckt hatte. Er musste sich ein Grinsen verkneifen.

„Das ist wundervoll, Simeon. Nun, Sie wissen, dass dies unsere letzte gemeinsame Sitzung ist und ich Sie in die Obhut von Dr. Neuhaus und ihrem Vater entlasse?“

„Ja, ich weiß.“

„Wir sind sehr zufrieden damit, wie Sie auf die Behandlung angesprochen haben. Trotz einiger Rückschläge haben Sie bereits damit begonnen, sich mit sehr schwierigen persönlichen Problemen auseinanderzusetzen.“ Der Doktor öffnete Simeons Computerdatei und scrollte einen Augenblick lang schweigend durch die medizinischen Aufzeichnungen. Simeon saß still da, die Hände im Schoß, und sein Herz schlug nervös.

„Sagen Sie, verstehen Sie Ihre Diagnose?“, fragte Dr. Schröder.

„Ähm … ich leide an einer Persönlichkeitsstörung, die Suchtverhalten fördert“, antwortete Simeon leise.

„Und was bedeutet das?“

„Mangelnde Impulskontrolle, Neigung zur Abhängigkeit.“

„Richtig, aber es ist ein wenig komplizierter als das. Menschen, die an dieser Art von Persönlichkeitsstörung leiden, handeln typischerweise impulsiv und können nicht mit Gratifikationsaufschub umgehen. Simeon, Sie sind sehr sensibel gegenüber emotionalem Stress, und Sie haben Schwierigkeiten, mit Situationen umzugehen, die Sie als frustrierend empfinden, und sei es auch noch so kurzzeitig.“ Der Doktor machte eine Pause, um Luft zu holen. Er schaute noch einmal auf sein Tablet, dann fuhr er mit seiner Beurteilung fort.

„Wenn Sie sich unsicher oder gestresst fühlen, hat Ihr Verstand Probleme, das zu verarbeiten, und entwickelt stattdessen ungesunde Verhaltensmuster, um die unangenehmen Empfindungen auszublenden. In der Vergangenheit waren das in Ihrem Fall Drogen, Alkohol und das Internet. Sie verstehen, dass Sie nicht mehr auf diese Verhaltensmuster zurückgreifen dürfen?“

„Ich weiß. Ich weiß, dass ich ein Problem habe. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich kein AIDS oder Hepatitis habe“, leierte Simeon trotzig herunter.

„Das ist nicht das Problem“, entgegnete der Doktor ernst. „Simeon, Sie sind erst 24 Jahre alt, aber Sie haben die Leber eines Fünfzigjährigen.“

Simeon keuchte und bedeckte seinen Mund mit einer Hand. So hatte er das bisher noch nicht gehört. Die Leber eines Fünfzigjährigen.

„Jeder weitere Schluck Alkohol wird Sie umbringen“, fuhr der Doktor fort. „Ich kann es nicht deutlicher sagen. Ihr Körper hat sich bemerkenswert gut gehalten angesichts dessen, was Sie ihm zugemutet haben, aber es kann auf keinen Fall so weitergehen. Sie haben eine zweite Chance zu leben bekommen, Simeon. Es ist nun an Ihnen, sie anzunehmen oder zu zerstören.“

Tränen stiegen Simeon in die Augen, als die Worte des Doktors sich in seinem Herzen verankerten und in seinem Kopf schwirrten. Er dachte an die furchtbaren Träume, die ihn in den ersten Wochen in der Klinik heimgesucht hatten: Sein Papa und Pieter, die an seinem Grab standen und zutiefst enttäuscht die Köpfe schüttelten. Das Bild hatte ihn verfolgt.

„Dr. Schröder, ich weiß, es gibt viele Menschen, denen ich wichtig bin. Ich will keinen von ihnen je wieder enttäuschen.“

„Simeon, Sie müssen für sich selbst gesund werden wollen, nicht für irgendjemand anderen. Ich glaube fest, dass Sie beste Chancen auf ein langes, gesundes Leben haben, solange Sie sich weiterhin der Behandlung öffnen. Dr. Neuhaus wird in den nächsten drei Monaten bei Ihnen wohnen und Sie durch den Alltag begleiten, um Ihnen die Rückkehr in ein normales Leben zu erleichtern. Und wir werden die Therapiesitzungen fortsetzen und einen Tagesplan entwickeln, der Ihnen mehr Halt und Struktur gibt“, erklärte er.

Anfangs hatte Simeon erwartet, dass die strenge Routine in der Klinik sein berüchtigtes rebellisches Naturell zum Vorschein bringen würde, aber er hatte die geregelten Abläufe als seltsam tröstlich empfunden. Er fand es schön zu wissen, dass er jeden Tag um sieben aufstehen musste und anschließend eine Stunde im Trainingsraum verbrachte, bevor er duschte und frühstückte. Seine Mahlzeiten waren gesund und wurden stets pünktlich aufgetischt. Es gab nur wenig zu tun, aber anstatt sich von all den Regeln eingeengt zu fühlen, hatte Simeon sich ihnen bereitwillig unterworfen. Die Alltagsroutine hatte ihm ein Gefühl von Sicherheit gegeben. Aber nun fürchtete er sich vor der wirklichen Welt, wo es unzählige Wahlmöglichkeiten gab und alles Mögliche passieren konnte. Er fürchtete sich vor einer Welt, in der er sich nicht länger den vielen angenehmen Ablenkungen hingeben konnte, die er bisher missbraucht hatte, um seinen Gefühlen zu entkommen. Es würde keine langen Nächte in Clubs geben, keine Bars, keine Pillen, keinen Alkohol. Die Nutzung des Internets würde für Simeon limitiert und überwacht werden. Er wollte sich bessern; er wollte Wiedergutmachung leisten und sich selbst beweisen, dass er eine zweite Chance zu leben verdiente – zu leben und geliebt zu werden.

****

KAPITEL 1

HALLO SPACEBOY

Simeon Duchamp atmete tief durch. Er lugte um den Stamm der Weide und stieß einen erleichterten Seufzer aus. Nachdem er eine Stunde gewartet hatte, sah er endlich seine Beute. Simeon betrachtete sehnsüchtig die hochgewachsene Gestalt von Pieter Bayer, 36 Jahre alt, der durch den Simonweg in den Berliner Tiergarten schlenderte, den öffentlichen Park im Herzen der Stadt. Es war zwei Jahre her, seit er mit Pieter gesprochen hatte, der einst sein bester Freund und Objekt seiner unsterblichen Zuneigung gewesen war.

Sein Therapeut hatte vorgeschlagen, dass Sim sich noch einmal mit Pieter traf, um endgültig mit diesem Kapitel abzuschließen. Simeon wollte sich für den gemeinen Stunt entschuldigen, den er vor zwei Jahren abgezogen hatte – die Fashion-Publikationen mit falschen Informationen zu füttern, die besagten, dass Pieter all seine laufenden Verträge brechen und seine Model-Karriere zurückziehen wollte. Das hatte einen Skandal erzeugt, gerade als Pieter auf den Pariser Schauen laufen sollte, mit einer Liste von High-End-Klienten und langfristigen Verträgen.

Simeon war damals betrunken und high gewesen und hatte an einem gebrochenen Herzen gelitten, weil Pieter sich in die britische Malerin Emily Raven verliebt hatte. In einer Aufwallung trotziger Gehässigkeit hatte Sim Pieters Reputation vernichten wollen. Aber am Ende hatte er nur seine eigene zerstört.

Es war ein warmer Tag im März. Simeon beobachtete, wie sein gertenschlanker Ex-Freund anmutig über den breiten, von Bäumen gesäumten Pfad auf ihn zukam. In Simeons Brust rangen Sehnsucht und nervöse Aufregung miteinander. Pieter war einfach so wunderbar anzuschauen, und Simeon spürte den scharfen Schmerz des Verlustes. Er lehnte den Kopf an die raue Rinde der Weide und seufzte. Pieters Haar war von Natur aus dunkelblond und länger, als Simeon in Erinnerung hatte. Es war zu einem Zopf gebunden, der zwischen Pieters Schulterblättern ruhte. Er trug immer noch schwarze Jeans – sein Markenzeichen – aber dazu ein petrolfarbenes, kurzärmeliges T-Shirt und eine Art modischen Rucksack, der … verkehrt herum vor dem Bauch hing? Simeon konnte es nicht recht erkennen. Pieter sah immer noch jung aus, aber gesünder, glücklicher. Es sah aus, als würde er mit sich selbst reden, und Simeon fragte sich, ob er vielleicht gerade via Bluetooth telefonierte.

Simeon war hin und her gerissen. Sollte er einfach gehen und es dabei belassen, nur eine schlechte Erinnerung in Pieters Kopf zu sein? Dann schalt er sich selbst. Dieses Mal musste er es tun. Er hatte Pieter in den vergangenen Tagen bereits mehrmals verfolgt und aus der Ferne bewundert, es dann aber nie über sich gebracht, ihn anzusprechen. Pieter schlenderte an der Weide vorbei, und Simeon nahm seinen Mut zusammen und trat aus den tief hängenden Zweigen.

„Peety?“, sagte er mit seinem unverkennbaren Timbre – weich, melodisch und französisch.

Pieter blieb stehen und drehte sich zu der Stimme um. Er lächelte breit, als sein Blick auf Simeon Duchamp fiel. Simeon sah älter aus. Wie lange war es jetzt her? Zwei Jahre? Simeon hatte sein Haar geschnitten und trug es nun hinten und an den Seiten kurz, aber mit einem langen Pony. Das kurze Haar ließ ihn jedoch eher elfenhaft als männlicher aussehen. Pieter fand, es war ein schnuckeliger Look. Simeon starrte ihn mit einem Ausdruck des Staunens in seinen dunklen Rehaugen an.

Simeon vernahm ein leises Wimmern aus dem … Bauchrucksack, und Pieter legte eine Hand an seine Last und beugte den Kopf herab, um sie zu küssen.

„Schh , Little Bird, wir gehen ja gleich weiter“, sagte er in einer Mischung aus Deutsch und Englisch.

Verblüfft sah Simeon, wie Pieter die obere Lasche des Bauchrucksacks nach unten klappte und ein winziges Baby mit blondem Haar zum Vorschein kam. Pieter wiegte den Oberkörper ein wenig hin und her, um das vor seine Brust geschnallte Bündel zu beruhigen. Simeon stockte der Atem.

„Wollen wir ein Stück gehen? Ich muss immer in Bewegung bleiben, damit er einschläft.“ Pieter setzte sich wieder in Marsch, und Simeon beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten. Er ging schweigend neben ihm her, warf aber immer wieder Seitenblicke zu Pieter und dem Baby.

„Wie ist es dir ergangen, Sim?“, fragte Pieter im Plauderton, als wäre nie etwas gewesen.

„Ähm … nicht so gut … eine Zeit lang. Papa hat mich in den Entzug geschickt. Aber das weißt du sicher, oder? Ich bin jetzt seit einem Jahr weg vom Alkohol und den Pillen“, erklärte er hastig. „Ich wollte dir sagen … mein Therapeut riet mir, dich zu sehen, um reinen Tisch zu machen. Ich wollte dir sagen, wie leid es mir tut, was ich dir angetan habe, und dass ich mich dafür schäme. Ich war nicht mehr klar im Kopf, Pieter. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung, aber es tut mir sehr leid, dass ich dir wehgetan habe.“

Pieter entdeckte eine leere Parkbank. Er vergewisserte sich, dass sein Baby nun schlief, dann ging er zu der Bank, mit Simeon im Gefolge. Sie setzten sich, und sofort sammelten sich hungrige Tauben um ihre Füße. Simeon trat mit dem Fuß, und die Vögel flatterten erschreckt davon.

„Wie heißt dein Baby?“, fragte Simeon.

„Lukas. Er ist vier Monate.“

„Wow.“ Simeon starrte die beiden verzückt an. Die Versuchung, die Hand auszustrecken und die glatte, rosige Wange des Babys zu streicheln, war groß, aber er wagte es nicht. Der Schmerz des Verlustes in seiner Brust hatte nicht nachgelassen.

„Vater sein steht dir – sieht gut aus an dir – ich meine damit nicht, dass es ein Accessoire ist oder sowas. Bist du noch mit der Mutter zusammen? Bist du glücklich? Sorry, geht mich ja nichts an“, plapperte Simeon.

Pieter grinste. Immer noch der alte Sim. „Emily und Lukas und ich lieben uns sehr und sind sehr glücklich, danke. Wir ziehen demnächst weg aus der Stadt. Wir haben ein Haus an der Havel gekauft, mit einem großen Garten. Emilys zweite Ausstellung eröffnet heute Abend in der Galerie Franzen, weißt du? Und wir verschaffen Mama eine Pause, nicht wahr, Little Bird?“, sagte Pieter und liebkoste abwesend die vom Schlaf gerötete Wange seines Sohnes. Lukas hatte die kleinen Lippen geschürzt, als würde er an einem unsichtbaren Nippel saugen.

„Du bist dazu herzlich willkommen, Sim“, fügte Pieter hinzu.

„Ernsthaft? Wird sie meinen dürren Hintern nicht sofort wieder rausschmeißen? Ich habe gehört, dass sie ganz schön besitzergreifend sein kann, wenn es um ihren Gefährten geht.“

Pieter musste darüber lachen – leise, um seinen Sohn nicht zu wecken. „Emily lässt sich nichts gefallen. Sie ist ein bodenständiger, direkter Mensch, aber sie ist sehr verständnisvoll. Sie hat mich das, was du getan hast, aus einem anderen Blickwinkel sehen lassen. Ich wette, sie kennt dich besser, als du dich selbst kennst.“

„Ach ja? Ist das so?“

„Sie wird keines deiner üblichen Dramen tolerieren, Sim, aber wenn du dich im Griff hast und ich ihr sage, dass ich dich eingeladen habe, dann wird sie das verstehen.“ Pieter schwieg für einen Moment.

„Alles geschieht aus einem bestimmten Grund, Sim. Eine Zeit lang habe ich dich gehasst. Aber Emily half mir, die Dinge zu betrachten und zu sehen, dass es nur Zeitverschwendung ist, Groll zu hegen. Was du getan hast, war wirklich scheiße, aber letzten Endes führte es dazu, dass du die Hilfe bekamst, die du brauchtest, oder? Und mir half es zu erkennen, wie die Zukunft aussah, die ich mir fern von der Fashion-Industrie wünschte. Am Ende war es für uns alle das Beste, findest du nicht? Du siehst gut aus, und du arbeitest wieder. Und ich habe meine Arme voll mit Liebe. Alle Sünden sind vergeben. Leb dein Leben und sei glücklich, Sim“, beendete Pieter pragmatisch seine Ansprache.

Simeons andächtiger Blick hing an den blaugrauen Augen seines Freundes. Sie lächelten einander an, in gegenseitigem Verständnis. Simeon fühlte sich demütig. Die Last, die er so lange in seinem Herzen mit sich herumgetragen hatte, wurde ein wenig leichter.

„Ich habe dich wirklich vermisst, Pieter. Das meine ich ernst.“ Pieter nickte zustimmend, sagte aber nichts dazu.

„Dann bist du also endgültig aus dem Model-Business ausgestiegen? Du siehst so fantastisch aus. Dein Haar und deine Haut haben nie besser ausgesehen“, schwärmte er.

„Das passiert, wenn ich ordentliche Mahlzeiten zu mir nehme und nicht versuche, nur mit Wasser und Schokolade zu überleben. Essen ist tatsächlich recht angenehm.“ Ihre Blicke begegneten sich, und beide grinsten verstehend.

„Ich werde eine Weile Teilzeit-Hausmann sein. Und ich habe einen Fantasy-Roman geschrieben, als Künstler gearbeitet und Musik gemacht. Es gefällt mir, nicht ständig herumreisen zu müssen, und kein Modeljob könnte mich von Emily und Lukas trennen. Was ist mit dir? Ich habe gesehen, dass du für Manuello Kozi gelaufen bist. Du hast toll ausgesehen.“

„Danke. Ja, ich war begeistert von dem Job. Es war mein erster nach langer Zeit. Ich fange gerade erst wieder an, aber ich nehme die Arbeit ernst. Keine Partys. Hast du in letzter Zeit mit Veronik gesprochen? Ich wollte mich auch bei ihr entschuldigen.“

„Sie kommt heute Abend zur Ausstellungseröffnung. Ich schaue gelegentlich bei ihr herein. Sie will mich unbedingt wieder vermitteln, weißt du? Ich bin jetzt seit sechs Monaten nicht mehr im Model-Business, und sie versucht immer noch, mich zu überreden. Aber sie könnte mit einer Million Euro vor meiner Nase herumwedeln, das würde mich nicht von diesem kleinen Mann hier weglocken.“ Er schüttelte den Kopf und lachte, während er das schlafende Baby an seine warme Brust drückte. Ein Telefon piepte, und Pieter griff in seine Hosentasche. Er grinste wölfisch, als er die Nachricht las.

„Okay, Little Bird, deine Mama hat mich gerade daran erinnert, dass jetzt deine Busenzeit ist. Lass uns nach Hause gehen“, sagte er zu seinem Söhnchen. Wie zur Antwort zappelte Lukas ein wenig, schlief aber weiter.

Simeons Blick, immer noch erfüllt mit sehnsüchtigem Staunen, begegnete Pieters. Pieter erhob sich. Seine hochgewachsene, gertenschlanke Gestalt stand im Gegenlicht, und die Nachmittagssonne erzeugte ein Strahlen rund um seinen blonden Schopf. Sim war nicht sicher, ob die Begegnung wirklich ein Abschluss war. Pieter sah wunderschön aus. Wie ein Engel. Sim fühlte sich noch immer magnetisch von ihm angezogen. War dies das Ende ihrer Freundschaft oder ein Neuanfang?

„Es war gut, mit dir zu reden. Ich meine es ernst, Sim – komm vorbei und sag Hallo, wenn du heute Abend Zeit hast. Ich bin sicher, Emily würde dich gern endlich kennenlernen.“

Sim stand auf und öffnete die Arme. Pieter akzeptierte die Umarmung, und Baby Lukas war einen Moment lang zwischen den beiden Männern eingekuschelt.

„Ihr riecht beide unheimlich gut“, bemerkte Simeon und errötete verlegen.

„Babys riechen fantastisch, oder? Wir sehen uns, Sim, ja?“, sagte Pieter und legte Simeon eine Hand auf die Schulter. Dann drehte er sich um und spazierte mit dem unverkennbar selbstbewussten, langbeinigen Gang eines Models davon.

Eine Sekunde lang fühlte Simeon sich beraubt. Wie betäubt stand er da und schaute Pieter hinterher. Es steckten noch so viele Worte in Sims Kehle – er wollte Pieter noch so viel sagen. Er starrte auf seine Füße und fragte sich einen Moment lang, ob Pieter nur so nett gewesen war, um ihn loszuwerden. Als er wieder aufsah, war Pieter gerade dabei, um die Ecke zu verschwinden. Er sah noch einmal zurück zu Simeon, hob die Hand vom Rücken seines Söhnchens und winkte mit einem strahlenden Lächeln zum Abschied. Eine glückliche Träne löste sich aus Simeons Auge.

****

Simeon stand unter Schock. Was als letzter Schritt in seiner Entzugstherapie angefangen hatte, um mit der Pieter-Sache abschließen zu können, hatte sich in etwas völlig anderes verwandelt. Pieter war offen für eine Erneuerung ihrer Freundschaft. Es war mehr, als Simeon sich zu erträumen gewagt hatte.

Dass er zu Emilys Vernissage in der Galerie Franzen eingeladen war, versetzte ihn allerdings in milde Panik. Er erinnerte sich, dass er vor zwei Jahren, als er schließlich den Namen von Pieters Freundin herausgefunden hatte, im Internet nach ihr geforscht hatte. Emily Raven tauchte überhaupt nicht in den sozialen Medien auf. Simeon hatte Fotos von ihren erotischen Gemälden auf den Webseiten verschiedener Galerien gefunden, aber über die Frau selbst hatte er wenig erfahren. Er wusste nicht einmal, wie sie aussah. Wie zum Henker sollte man seine Konkurrenz im World Wide Web stalken, wenn die einfach nicht mitspielte? Emily Ravens Aktgemälde waren wunderschön und auf fast schmutzige Weise erotisch. Simeon hatte widerstrebend zugeben müssen, dass sie eine großartige Malerin war. Er konnte verstehen, dass Pieter sich zu jemandem hingezogen fühlen würde, der so malen konnte.

Die Tauben kehrten zurück und pickten an den Samen, die irgendwer auf den Pfad unter Simeons Füßen gestreut hatte. Die Vögel erhoben sich in die Lüfte, als ein kleines Mädchen vor seiner Mutter her auf sie zu rannte, mit großen Augen und laut kreischend. Sim wurde zurückgerissen in die Gegenwart und die grüne Landschaft um ihn herum. Er schluckte den nervösen Kloß in seiner Kehle herunter und erinnerte sich an das, was seine Therapeutin zu ihm gesagt hatte: dass er Pieter nicht dazu bringen konnte, ihn zu lieben, und dass, wenn Pieter ihm etwas bedeutete, er sich freuen sollte, dass Pieter jemanden zum Lieben gefunden hatte. Er wusste, dass sie recht hatte. Aber den Mann dabei zu beobachten, wie er selbstbewusst durch den Tiergarten schlenderte, hatte erneut die Sehnsucht in ihm entfacht. Simeon seufzte schwer und gestand sich die schmerzhafte Wahrheit ein. Pieter war immer noch alles, was er sich von einem Mann wünschte, und sein Plan, endlich damit abzuschließen, war gründlich daneben gegangen.

Ursprünglich hatte er sich bei Pieter entschuldigen und anschließend sein gebrochenes Herz trösten wollen, indem er mit Papas Platincard shoppen ging. Danach wäre er wieder zu Hause gelandet – mit Milch, Keksen und dem neuesten schwulen Liebesroman.

Entschlossen stand Simeon auf und nahm einen tiefen, beruhigenden Atemzug. Genaugenommen hatte er Pieters Einladung noch nicht angenommen, sondern nur gesagt, er würde es sich überlegen. Er hatte wirklich Angst davor, Emily Raven zu begegnen – Angst davor, all seinen und Pieters alten Freunden zu begegnen, die wussten, was er getan und welchen Schaden er angerichtet hatte. Seine frühere Agentin Veronik Hassel würde dort sein, und ihre Freundin, die Visagistin Gretchen Steiner genauso wie ihr Freund, der Hairstylist Oli Brandt, beide mit ihren Lebenspartnern. Einst waren diese Leute für ihn wie eine Familie gewesen, aber als er Pieter verletzt hatte, hatten sich alle auf Pieters Seite gestellt. Simeon selbst hatte sich von ihnen allen distanziert, weil er sich geschämt hatte, und am Ende hatte er sich in Alkohol und Drogen verloren, um seinen Kummer zu lindern.

Sim war unentschlossen. Es würde eine große Prüfung für ihn sein. Er wusste nicht, ob er eine so öffentliche Veranstaltung im nüchternen Zustand überhaupt durchstehen konnte. Aber er war sehr neugierig auf Emilys Arbeiten, und er wollte unbedingt Pieter wiedersehen.

Simeon verließ den Tiergarten und ging Richtung Brandenburger Tor. Die Galerie Franzen lag in der Neustädtischen Kirchstraße, nur zehn Minuten entfernt. Er beschloss, auf seinem Heimweg dort wie zufällig vorbeizuschlendern. Vielleicht konnte er einen Blick in die Fenster werfen und herausfinden, ob die Sache es wert wäre, sich in einem Raum voller Leute sehen zu lassen, die ihn hassten.

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KAPITEL 2

BOYS KEEP SWINGING

Simeon blieb vor der Galerie Franzen stehen und runzelte frustriert die Stirn. Das Werbeplakat für die Ausstellung verdeckte die gesamte Glasfront und blockierte jegliche Sicht ins Innere. Auf kohlschwarzem Grund und in großen, silbergrauen Buchstaben im Schrifttyp Josefin Sans war auf dem Plakat zu lesen: EMILY RAVEN UN:DONE. Sim wusste, dass Emilys Arbeiten unter Kunstsammlern begehrte Objekte waren. Und er wusste, dass er seiner Neugier nachgeben würde.

Das Glas der Eingangstür war ebenfalls mit Papier verklebt worden, um keine Einblicke zu ermöglichen, bevor die Galerie so weit war. Simeon versuchte, die Tür zu öffnen, aber sie war verschlossen. Er wollte sehen, was sich dahinter verbarg, also klopfte er ans Fenster, dann drückte er auf die Klingel. Eine entfernte, männliche Stimme im Inneren der Galerie rief auf Deutsch: „Wir haben geschlossen.“

Beharrlich betätigte Sim erneut die Türklingel, und schließlich hörte er, wie sich Schritte der Tür näherten, und dann das metallische Geräusch des Schlüssels im Schloss.

„Was?“, bellte Alex Spielmann, als er den großen, hübschen, fast elfengleichen jungen Mann draußen vor der Galerie stehen sah. Simeon sah auf Alex herunter – einen schlanken, leicht exotisch anmutenden Mann in stylischer Kleidung.

„Entschuldigung, ich bin ein Freund von Pieter Bayer. Er sagte mir, dass Emilys Ausstellung heute eröffnet wird. Hab ich es schon verpasst oder bin ich zu früh?“, fragte Simeon in seiner Sonnenschein-und-Sahnehäubchen-Stimme und spielte das Klischee des dummen Models voll aus.

Alex Spielmann war zweiundzwanzig, und seine olivfarbene Haut, das kurze, dunkelbraune Haar und die grünen Augen spiegelten seine europäisch-türkische Herkunft wider. Nach Jahren als Assistent seiner Mutter Monika war er nun der Kurator der Galerie Franzen, und Emilys Ausstellung war die erste, die er ganz allein betreute.

Simeon schaute an Alex vorbei in den großen, offenen Raum der Galerie mit seinen weißen Wänden. Ihm fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, als er das Bild sah. Er hörte kaum noch, was Alex antwortete.

„Tut mir leid. Wir öffnen erst heute Abend um sechs. Sie können gern in drei Stunden wiederkommen.“

„OH, MY GAAHD!“, rief Simeon theatralisch, dann drängte er sich an dem verblüfften Kurator vorbei in die Galerie und marschierte schnurstracks zu dem Aktporträt von Pieter Bayer. Sein Herz schlug einen heftigen, donnernden Galopp in seiner Brust; er brach in Schweiß aus. In seinem ganzen Leben hatte Simeon noch nie ein so wunderschönes, plastisches Gemälde gesehen. Pieter lag bäuchlings auf einem zerwühlten Bett. Er sah durchgerüttelt aus, so als wäre er soeben richtig gut durchgefickt worden. Sein Kopf ruhte auf einem angewinkelten Arm, sein langes, blondes Haar ergoss sich über das Kissen, und er starrte mit vor Lust glasigen Augen aus dem Bild heraus. Simeons Blick folgte der kurvigen Linie seines Rückens mit der Elfenbeinhaut, über seine blassen Hinterbacken bis hin zu den muskulösen, gespreizten Schenkeln. Dieses Bild war Simeons feuchter Traum. Es war, als hätte Emily seine Gedanken gelesen und seine kostbarste sexuelle Fantasie auf die Leinwand gebracht. Der Titel des Bildes war „We are undone“. Der Pieter in diesem Gemälde war es auf jeden Fall. Simeon musste das Bild einfach kaufen.

„Wie viel?“, stieß Simeon hervor.

„Ahh. Es ist nicht verkäuflich; dieses Bild stammt aus der privaten Sammlung der Künstlerin“, erklärte der Kurator.

„NOOO!“ Simeon schmollte. Er stampfte mit dem Fuß auf wie ein trotziges Kind und drehte sich um. Er wollte Alex gerade einen finsteren Blick zuwerfen, als er ein zweites Bild von Pieter entdeckte. Und wieder raubte ihm das Werk den Atem. Pieter war nackt und lag zusammengerollt wie ein kleiner Junge in einem blauen Lehnsessel. Sein blondes Haar war zerzaust, und er hatte die Arme um seine Beine geschlungen. Die Position überließ nichts der Fantasie. Pieters Augen waren geöffnet, und er sah aus, als hätte er soeben noch geschlafen, und dann hätte jemand seinen Namen gerufen. Emily hatte ihn im Augenblick des Erwachens festgehalten. Es war ein zutiefst intimes Porträt, voller Liebe und Geborgenheit. Sim eilte zu dem Bild und starrte es staunend und aufgeregt an. Er versuchte, sich an die erlernte Atemtechnik zu erinnern – langsam ein und aus, wie Ebbe und Flut, ein und aus – während er das Aquarell im Din-A3-Format betrachtete. Es trug den Titel „Our Awakening“.

Wie viel?“, fragte Sim erneut. Dieses Mal war seine Stimme beinahe ein Flüstern. Er konnte die Augen nicht eine Sekunde lang von dem Bild abwenden.

„Dieses Bild ist verkäuflich; es kostet 200.000 Euro“, verkündete Alex so stolz, als hätte er es selbst gemalt.

„Ich nehme es!“, antwortete Sim automatisch. Alex sog scharf den Atem ein.

„Sie haben mich richtig gehört, ja? Zwei. Hundert. Tausend. Euro“, betonte er übertrieben, als wäre Sim schwer von Begriff.

„Ich habe Sie gehört. Akzeptieren sie Platincard?“, fragte Sim und fummelte lässig ein schlankes Lederportmonee aus der Gesäßtasche seiner Jeans. Dann hielt er Alex eine silberfarbene Kreditkarte hin. Dieses Mal war es Alex, dem beinahe die Augen herausfielen.

„Oh, mein Gott! Wirklich? Das ist fantastisch, Herr …?“, stotterte er.

„Duchamp. Simeon Duchamp.“ Sim hielt ihm seine blasse, elegante Hand hin, und Alex schüttelte sie begeistert. Sims dunkle Augen sahen den Kurator prüfend an; Alex’ Blick wurde weicher. Er errötete verlegen und ließ Sims Hand los. Dann ging er über den polierten, grauen Betonboden zur Vordertür und schloss sie ab. Auf keinen Fall wollte er sich einen derart attraktiven Kauf durch die Lappen gehen lassen.

„Ich mache sofort die Kaufpapiere fertig. Bitte folgen Sie mir in mein Büro, Herr Duchamp.“

„Oh, Alex, du musst mich Sim nennen“, bot Simeon ihm gut gelaunt an. Innerlich vibrierte er geradezu vor Freude und verspürte ganz entschieden Lust auf Sex. Während Alex vor ihm her ging, sah Simeon zu, wie Alex’ kleiner, knackiger Hintern in der schwarzen Jeans bei jedem Schritt wackelte. Simeon hob die Brauen, und um seine Mundwinkel zuckte ein heimliches Lächeln.

Alex führte Sim durch einen weiß gestrichenen Korridor in ein großzügiges Büro. Ein breites Panoramafenster bot eine Aussicht in den bezaubernden Garten im Innenhof. Die Wände des Büros zierten kleinere Kunstwerke auf Papier und Leinwand, und ein großes Regal beherbergte Bücher und Aktenordner. Das Büro war ausgestattet mit einem Schreibtisch, einem Computer und einem schwarzen Ledersofa mit Couchtisch. Sim lümmelte sich auf das Sofa und strich sich die langen Ponyfransen aus den Augen.

„Kann ich Ihnen etwas anbieten? Tee? Kaffee?“

„Haben Sie Wasser?“, fragte Sim.

„Sicher.“ Alex verließ das Büro, dann kam er mit einem Espresso für sich selbst und einer gekühlten Flasche Wasser für Sim zurück. Der Kaffeegeruch machte Sim kribbelig. In den alten Zeiten hatte er so viel Espresso in sich hineingeschüttet, bis er das Gefühl gehabt hatte, die Wände hochgehen zu müssen. Aber jetzt war ihm Koffein nicht mehr erlaubt. Er nippte an der Wasserflasche. Vor seinem inneren Auge sah er immer noch das himmlische Motiv des Kunstwerkes, das er nun kaufen würde.

Stehend beugte sich Alex an seinem Schreibtisch über die Computertastatur und verfasste hastig einen Kaufvertrag. Seine Hände zitterten sichtlich, während er tippte. Sim stellte die Wasserflasche auf den Couchtisch, stand auf und begann, sich in dem Büro genauer umzusehen.

Alex fragte: „Herr Duchamp, kann ich bitte Ihre Anschrift, E-Mail und Telefonnummer haben?“, und Simeon ratterte seine persönlichen Daten herunter.

„Gibt es noch weitere Bilder von Pieter in der Ausstellung?“, fragte Sim, als er eine Kiste mit Prospekten von „Emily Raven UN:DONE“ fand. Er nahm ein Exemplar heraus und blätterte darin.

„Oh … nein, nur diese beiden. Sind Sie wirklich ein Freund von Pieter Bayer?“, fragte Alex.

„Ja. Wir sind seit Jahren beste Freunde. Ich modele ebenfalls“, erklärte Simeon. Er sah von dem Prospekt auf, und sein Blick blieb an dem verführerisch knackigen Hintern des jungen Kurators hängen, der sich immer noch über die Tastatur beugte.

„Hast du einen festen Freund, Alex?“, fragte Sim beiläufig.

„Ich bin … äh … zur Zeit nicht in einer Beziehung“, antwortete Alex stotternd und errötete.

In Simeons Innerem kribbelte es vor Entzücken. War Alex noch nicht out? Sim hatte stets Spaß an der Herausforderung, einen Jungen aus seinem Schneckenhaus zu locken. Er lächelte vor sich hin. Er wusste, Alex Spielmann war ihm bereits erlegen, ob der Mann es nun wusste oder nicht.

Alex druckte den Kaufvertrag aus, dann reichte er ihn Simeon, damit der ihn lesen und unterschreiben konnte. Sim überflog das Dokument, während Alex das Kreditkartenlesegerät bereit machte. Alex zitterte noch immer, als er die Tasten drückte. Noch nie hatte er ein Gemälde bereits vor der Ausstellungseröffnung verkauft, ganz zu schweigen eines für 200.000 Euro. Seine Mutter und Emily würden staunen.

Alex reichte das Lesegerät an Simeon, der seine Karte hineinsteckte und die PIN eingab. Der Geldtransfer ging ohne Probleme vonstatten. Simeon wusste, er würde Papa davon in Kenntnis setzen müssen, dass er soeben ein Kunstwerk erstanden hatte, damit kein falscher Verdacht aufkam.

Der Apparat spuckte summend einen Beleg aus, und Alex atmete erleichtert auf. Dann setzte er sich neben Simeon auf das schwarze Ledersofa, griff nach seinem Espresso und trank ihn mit einem einzigen Schluck aus.

„Ich gratuliere Ihnen zu dem Kauf, Herr Duch …“

„Sim“, erinnerte Simeon ihn.

„Sim“, plapperte Alex nach. „,Our Awakening‘ ist eine von Emilys bahnbrechenden Arbeiten. Ist Ihnen bewusst, dass sich ihr Stil seit Beginn ihrer Beziehung mit Pieter Bayer drastisch verändert hat? Ihre Bilder sind freier geworden, lebendiger und ausdrucksstärker. Sie schrieb einen Text für das Ausstellungsprospekt“, informierte Alex ihn. „Sie führt die Veränderung in ihrem Stil darauf zurück, dass die Liebe sie befreit hat. Darum gab sie der Ausstellung den Titel ,UN:DONE‘“, setzte Alex seine nachträgliche Verkaufsrede fort. „Ich bin sicher, viele Kunstsammler werden sehr enttäuscht darüber sein, dass dieses spezielle Bild bereits verkauft ist. Es ist äußerst ungewöhnlich, dass sie zustimmt, einen Akt von Pieter zum Verkauf freizugeben. Für gewöhnlich behält Emily ihre Porträts von Pieter für ihre private Sammlung“, schloss Alex seine Erklärung.

Simeon grinste hochzufrieden. Er besaß nun etwas von Pieter, dass niemand sonst je besitzen würde. „Gibt es noch weitere Bilder von ihm … in ihrer Privatsammlung?“

„Ja, ich habe viele in ihrem Atelier gesehen. Sie fängt seine Schönheit unheimlich gut ein, finden Sie nicht auch?“

Simeons schokoladenbraune Augen begegneten Alex’ Blick, und Sims Schmollmund verzog sich zu einem verdorbenem Schmunzeln. Alex wirkte verdattert.

„Ich bin so glücklich; ich möchte feiern!“, verkündete Simeon unvermittelt. Er erhob sich geschmeidig vom Sofa und setzte sich rasch rittlings auf Alex’ Schoß. Alex starrte verdattert in die dunklen Rehaugen des attraktiven Models. Sim nahm Alex’ Hände und legte sie sich an seine schlanken Hüften. Er presste seinen Hintern an Alex, dann beugte er sich vor, um ihn zu küssen.

„Was … was t-t-tun Sie?“ rief Alex, der so schockiert war, dass er stotterte.

„Ach komm, Alex, du zitterst vor lauter Adrenalin. Das war gerade der größte Verkauf, den du je abgewickelt hast, no? Du bist happy, ich bin happy … und es sieht ganz so aus, als wärest du genauso sehr in Feierlaune wie ich“, antwortete Sim und rieb seinen Hintern an der wachsenden Erektion, die in Alex’ Jeans steckte.

Alex’ Blick schoss aus dem Augenwinkel zu der großen Wanduhr hoch, dann wieder zurück zu Simeon, dessen rosa Zunge die hübschen Lippen befeuchtete. Alex warf sich zur Seite, zog Sim auf das Sofa herab und küsste ihn fieberhaft.

„Wir müssen schnell machen. Mutti wird in zwanzig Minuten hier sein“, keuchte Alex, während Simeons geschickte Finger bereits Alex’ Penis aus der engen Jeans fummelten.

Und dann war Sim auch schon dabei, Alex einen zu blasen, bevor der jüngere Mann auch nur zu Atem kommen konnte. Mehrere Minuten lang saugte Sim hingebungsvoll und verlor sich beinahe in dem Blowjob. Aber dann verkrampfte Alex sich plötzlich unter ihm, als sie beide das leise Geräusch der sich öffnenden und wieder zuschlagenden Eingangstür der Galerie hörten.

„Alex, wo bist du?“, ertönte es auf Deutsch.

Alex begann, mit den Hüften zu stoßen, hektisch, schnell, und dann kam er heftig und ergoss sich tief in Sims Kehle. Simeon schluckte; er liebte den Geschmack des Spermas – offenbar würde er dieser Tage alles tun für eine Hauch von Espresso …

Sie hörten die sich nähernden Stilettoabsätze auf dem polierten Betonfußboden, und dann rief die weibliche Stimme erneut in einem singenden Tonfall:

„Alex, wo bist du?“

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Als Monika Spielmann das Büro betrat, fand sie ihren Sohn auf dem Sofa sitzend vor, neben einem sehr hübschen, dunkelhaarigen jungen Mann, der ihr entfernt bekannt vorkam. Beide Männer wirkten erhitzt, errötet und leicht zerzaust. Sie betrachtete die beiden neugierig.

„Mutti, ich würde dir gern Herrn Simeon Duchamp vorstellen. Herr Duchamp hat soeben ,Our Awakening’ erworben.“

Monika schüttelte den Kopf und starrte verwirrt. Der Kaufvertrag und der Kreditkartenbeleg lagen noch auf dem Couchtisch. Sie griff danach und überflog den Vertrag. Es war alles korrekt; der Verkauf war einwandfrei abgewickelt worden.

Simeon erhob sich, um Monika die Hand zu schütteln. Er benutzte dazu dieselbe Hand, mit der er nur Augenblicke zuvor den Schwanz von Monikas Sohn gehalten hatte.

„Sehr erfreut, Herr Duchamp. Es ist höchst ungewöhnlich, schon vor der Eröffnung einer Ausstellung eines der Werke zu erwerben, insbesondere eines von so hohem Wert“, sagte Monika, die Augen immer noch vor Überraschung geweitet.

„Pieter hat mir von der Ausstellung erzählt, und als ich zufällig vorbeikam, wollte ich nur kurz hereinschauen. Aber dann habe ich das Bild gesehen und musste es einfach haben“, erklärte Simeon begeistert.

„Ich hoffe, ich kann mich darauf verlassen, dass Sie beide meinen Kauf mit Diskretion behandeln. Ich möchte nicht, dass jemand weiß, dass ich das Werk erworben habe, nicht einmal Pieter und Emily. Okay?“

„Selbstverständlich, Herr Duchamp, Sie dürfen sich unserer Diskretion sicher sein. Die Ausstellung läuft einen Monat lang, danach können wir die Lieferung des Werks arrangieren. Sind Sie damit zufrieden?“

„Ja, Alex hat meine Kontaktdaten. Er kann sich jederzeit mit mir in Verbindung setzen“, antwortete Simeon, und seine Stimme klang ein wenig tiefer und rauchiger als noch gerade eben. Er schaute Alex in die Augen, und dessen Mundwinkel zuckten leicht und verrieten, dass er die Doppelbedeutung verstand.

„Werden Sie zur Eröffnung wiederkommen?“, fragte Alex, wieder ganz Business.

„Natürlich, ich muss mir doch den Rest der Sammlung ansehen. Man kann nie wissen – vielleicht will ich ja noch mehr von dem, was es hier gibt.“ Sim drehte sich zu Alex um und wackelte mit den Augenbrauen, und Alex wich einen Schritt zurück.

„Oh, eine letzte Sache müssen wir noch erledigen, Herr Duchamp“, rief Alex plötzlich aus. Er ging an seinen Schreibtisch und wühlte in der Schublade. Dann folgten Sim und Monika Alex, der einen Bogen mit roten, selbstklebenden Punkten in der Hand hatte, zurück in den Ausstellungsraum der Galerie. Ein roter Punkt neben einem ausgestellten Werk zeigte an, dass es bereits verkauft war. Alex schälte einen der winzigen Klebeetiketten aus dem Bogen und reichte es Sim. Sim grinste, nahm den roten Punkt und klebte ihn neben der Plakette mit dem Titel des Bildes an die Wand. Damit war das Geschäft besiegelt.

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KAPITEL 3

OH YOU PRETTY THINGS

Am Taxistand Unter den Linden nahm Simeon einen Wagen und ließ sich zurück zu seiner Wohnung in der Tucholskystraße bringen. Sim wohnte allein – und mietfrei – in einem edlen, vierstöckigen Villenaltbau, den man in vier Wohnungen unterteilt hatte. Sims Papa war einst französischer Diplomat gewesen, und seit er aus dem Dienst für die Regierung ausgeschieden war, handelte er mit Immobilien. Wenn Patrice Duchamp sich in Berlin aufhielt, bewohnte er die Erdgeschosswohnung. Sim hatte die obere Etage. Die beiden mittleren Wohnungen waren unbewohnt und wurden nur genutzt, wenn Patrice geschäftlich in Berlin war und Unterkünfte für sein Personal benötigte.

Als Sim ankam, schloss er die Haustür auf, betrat das Gebäude und bückte sich zunächst, um die Post aufzuheben, die auf den üppig verzierten Bodenfliesen verstreut war. Dann eilte er die die marmorne, von schmiedeeisernen Art-Deko-Geländern gesäumte Treppe hinauf.

In seinem Zuhause angekommen, warf er seine Jacke von sich und ging durch den Korridor zur Küche. Dort blätterte rasch durch das Bündel Briefumschläge und sortierte alles aus, was weder an ihn oder seinen Vater adressiert war, und ließ es in die Altpapiertonne fallen. Die übrige Post warf er auf den Küchentisch und vergaß sie auf der Stelle, weil seine Gedanken immer noch bei Pieter waren.

Simeon hatte im Laufe seines Lebens viele Bekanntschaften geschlossen, aber nur wenige davon waren zu echten Freundschaften geworden. Die meisten waren nur Schönwetter-Freunde oder wollten nichts weiter als zum Dunstkreis der Fashionistas gehören. Pieter Bayer aber war tatsächlich das einzig Wahre, der beste Freund, den Simeon in seinem ganzen, abgefuckten Leben je gekannt hatte – der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der ihn wirklich kannte – und Simeon hatte ihn wie Dreck behandelt. Nun bekam er die seltene zweite Chance, Pieter zum Freund zu haben, und er war entschlossen, es dieses Mal nicht zu vermasseln. Er hatte keine Ahnung, wie oder wo er in Pieters neues Leben passen könnte. Pieter hatte jetzt seine junge Familie, und die würde immer zuerst kommen. Eine Tatsache, die Simeon akzeptieren musste; das war ihm klar. Aber wenig Zeit mit Peety ist immer noch besser als nichts, richtig?

Sim schlenderte in sein Schlafzimmer und ließ sich auf das große französische Bett fallen. Er legte beide Arme unter seinen Kopf und starrte die Muster im rissigen Putz der hohen Zimmerdecke an. Die Wände seines Schlafzimmer waren bis zur Decke von Regalen bedeckt, prall gefüllt mit Büchern. Jeder in der Fashion-Industrie, der glaubte, er würde Simeon Duchamp – geistloses Model und überkandidelter Partyboy – kennen, wusste nicht das Geringste.

---ENDE DER LESEPROBE---