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Molières »Tartuffe« – eine der gewagtesten Komödien der Literaturgeschichte: »Tartuffe« gehört als Ganzes zum Gewagtesten, was je auf einer europäischen Bühne gespielt wurde. Selbst Napoleon erklärte, er hätte die Erstaufführung nie gestattet. Unter den Komödien steht »Tartuffe« da, wo Shakespeares »Hamlet« unter den Tragödien steht: ganz oben. Der Heuchler Tartuffe hat sich in der Familie Orgons eingenistet und unter der Maske des frommen Betbruders allmählich die Zügel an sich gerissen. Die Familie ist zutiefst gespalten. Alle wissen, was für ein falsches Spiel er spielt, nur der ihm hörige Orgon und dessen verbohrte Mutter wollen es nicht glauben. Jeder Versuch, Tartuffe zu enttarnen, geht ins Leere. Und so macht der Heuchler weiter, denn er will von allem Besitz ergreifen: Orgons Tochter, Orgons Frau und dessen ganzes Vermögen. Alle Zeichen deuten darauf, dass er am Ende siegreich sein wird. Mit diesem eBook erhalten Sie: • den vollständigen Text von Molières Komödie, • das Vorwort Molières und alle Gesuche an den König, die den Kampf um die Freigabe des Textes dokumentieren, • eine Biografie über Molières in Form einer Zeittafel, • ein ausführliches Nachwort zur Interpretation des Textes.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Molière
Tartuffeoder Der Betrüger
Komödie in fünf Aufzügen
mit der Vorrede Molières, seinen Bittschriften an den König und einem Kommenar zum Text
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Molière
Tartuffeoder Der Betrüger
Komödie in fünf Aufzügen
Die hier folgende Komödie hat großes Aufsehen erregt und ist lange verfolgt worden. Die Leute, auf die sie gemünzt ist, haben bewiesen, dass sie in Frankreich weit mächtiger sind als alle anderen, die ich bisher auf die Bühne brachte. Die Marquis, die Preziösen, die betrogenen Ehemänner und die Ärzte haben es stillschweigend über sich ergehen lassen, wie sie dargestellt wurden, und haben getan, als ob sie sich mit aller Welt an der Zeichnung erheiterten, zu der sie Modell gestanden haben. Die Heuchler aber haben keinen Spaß verstanden. Sie wurden sogleich argwöhnisch und fanden es höchst befremdlich, dass ich mir herausnahm, ihr Gehabe vorzuführen und ein Handwerk in Verruf zu bringen, das so viele ehrbare Menschen betreiben. Das ist ein unverzeihliches Verbrechen in ihren Augen, und sie haben sich auch allesamt mit erschreckender Wut gegen meine Komödie gewappnet. Freilich haben sie sich sehr gehütet, es von der Seite anzugreifen, von der sie sich getroffen fühlten: Sie sind viel zu gewiefte Politiker, um das zu tun, und sind viel zu geschmeidig, um den versteckten Kern ihrer Seelen bloßzulegen. Ihrer löblichen Gewohnheit gemäß haben sie ihren Eigennutz mit der Sache Gottes ummäntelt. Und wenn man ihre Reden hört, ist der Tartuffe ein Stück, das jedes fromme Gefühl verletzt. Er strotzt von Anfang bis zu Ende von Ruchlosigkeiten. Nichts ist darin, das nicht den Scheiterhaufen verdienen würde. Jede Silbe ist gottlos, sogar die Gesten sind strafwürdig. Das unscheinbarste Augenzwinkern, die leichteste Kopfbewegung, der kleinste Schritt nach rechts oder links verbirgt Geheimnisse, die sie sehr gut zu meinen Ungunsten auszudeuten verstehen.
Umsonst habe ich das Stück der einsichtsvollen Kritik meiner Freunde und der Zensur aller Welt unterbreitet, nichts hat geholfen, weder die Verbesserungen, die ich vornahm, noch das Urteil des Königs und der Königin, die die Komödie gesehen haben, noch die Zustimmung der hohen Prinzen und der Herren Minister, die es öffentlich mit ihrer Anwesenheit beehrten, noch das Zeugnis rechtschaffener Menschen, die es als nützlich anerkannten. Sie lassen nicht locker, und noch täglich erheben, von ihnen aufgehetzt, blinde Eiferer öffentlich ihre Stimmen, um mich aus Frömmigkeit zu beschimpfen und aus lauter Nächstenliebe zu verdammen.
Ich würde mich nun um all ihr Gerede nicht besonders scheren, wenn sie es nicht verstünden, mir Feinde zu schaffen, die ich sonst hochschätze, wenn sie nicht wahrhaft rechtschaffene Leute auf ihre Seite ziehen würden, indem sie diese bei ihrem ehrlichen Glauben packen, wie sie ja schon aus Eifer für die Sache Gottes den Eindrücken, die man ihnen beizubringen versucht, leichter zugänglich sind. Dieser Umstand nötigt mich, zur Verteidigung zu schreiten. Die aufrichtig Frommen sind es, vor denen ich mich und die Anlage meiner Komödie rechtfertigen will. Ich beschwöre sie von ganzem Herzen, die Dinge nicht zu verurteilen, bevor sie sie gesehen haben, sondern jede Voreingenommenheit beiseite zu lassen und sich nicht in den Dienst fremder Leidenschaft zu stellen für Leute, deren Gehabe ihnen nur Schanden zufügt.
Wer sich die Mühe nimmt, mein Lustspiel ehrlich zu prüfen, wird zweifellos erkennen, dass meine Absicht durch und durch ohne Fehler ist, und dass das Stück keineswegs den Zweck verfolgt, die Gegenstände unserer Verehrung zu verspotten. Vielmehr habe ich den Stoff mit aller Vorsicht behandelt, den seine Heikligkeit verlangte, und dass ich alle erdenkliche Kunst und Sorgfalt daran gesetzt habe, die Figur des Heuchlers von der des wahrhaft Frommen zu unterscheiden. Ich habe eigens zu diesem Zweck zwei volle Akte darauf verwendet, das Auftreten meines Bösewichts vorzubereiten. So lässt er den Zuschauer keinen Augenblick im Ungewissen. Man erkennt ihn sofort für das, was er ist, an den Merkmalen, mit denen ich ihn gekennzeichnet habe. Er spricht die ganze Zeit kein Wort und vollführt keine Handlung, die dem Zuschauer nicht das Bild eines niederträchtigen Schurken vor Augen führte und dafür das des echten Ehrenmannes, das ich ihm entgegenhalte, hell erstrahlen lässt.
Ich weiß wohl, dass man als Antwort darauf zu verstehen gibt, dass es der Bühne nicht ansteht, von solchen Gegenständen zu reden. Aber ich möchte die Herren – mit Verlaub – doch fragen, worauf sie denn diese schöne Maxime gründen. Es ist eine Behauptung, die sie nur voraussetzen, ohne sie zu beweisen. Denn es wäre gewiss nicht schwer, ihnen zu zeigen, dass das Schauspiel bei den Alten aus dem Kult hervorgegangen ist und einen Bestandteil ihrer Mysterien bildete; dass unsere Nachbarn, die Spanier, kaum ein Fest feiern, ohne Aufführungen damit zu verbinden; und dass auch bei uns das Theater seinen Ursprung einer frommen Brüderschaft verdankt, die jetzt noch Besitzerin des Hôtel de Bourgogne ist, und dass ihr diese Heimstätte gewiesen wurde, um hier die vornehmsten Mysterien unseres Glaubens auszuführen; dass noch Bühnenstücke von ihnen in gotischem Druck zu sehen sind unter dem Namen eines Doktors der Sorbonne; und, ohne so weit zurückzugreifen, dass man zu unseren Tagen geistliche Stücke des Herrn von Corneille aufgeführt hat, die ganz Frankreich zur Bewunderung entflammten.
Wenn es wirklich die Aufgabe der Komödie ist, die Laster der Menschen zu bessern, so sehe ich nicht ein, warum es bevorrechtete Laster geben sollte. Das hier in Rede stehende erweist sich in der bürgerlichen Staatsordnung als weit gefährlicher in seinen Folgen als alle anderen. Wir haben aber gesehen, wie viel das Theater zu ihrer Besserung vermag. Die schönsten Lehren einer ernsten Moral haben nicht die Wirkung der Satire und ihrer Geschosse. Keine Rüge trifft die meisten Menschen so stark wie die Schilderung ihrer Fehler. Es ist ein empfindlicher Stoß für die Laster, wenn sie dem Gelächter preisgegeben werden. Denn leicht erträgt man den Tadel, aber den Spott erträgt man nicht. Man will wohl gerne bös sein, aber lächerlich will man nicht gelten.
Es wird mir auch vorgeworfen, ich habe meinem Frömmler fromme Redewendungen in den Mund gelegt. Aber konnte ich denn anders, wenn ich den Charakter des Heuchlers richtig darstellen wollte? Es genügt doch, meine ich, wenn ich die strafwürdigen Beweggründe hervorhebe, die ihn so sprechen lassen, und die geweihten Formeln vermied, deren Missbrauch durch einen solchen Menschen man schwer ertragen hätte. – Aber er bringt im vierten Aufzug auch eine verderbliche Moral vor! – Hat aber nicht alle Welt die Ohren noch voll von dieser Moral? Sagt sie etwas Neues in meiner Komödie? Oder ist etwa zu befürchten, dass so allgemein verabscheute Lehren auf die Gemüter noch einen Eindruck machen, dass sie durch den Vortrag auf der Bühne ansteckend wirken, oder dass sie im Munde eines Missetäters an Ansehen gewinnen? Das ist ganz unwahrscheinlich, und es bleibt letztlich nichts übrig, als die Komödie von Tartuffe gutzuheißen oder alle Komödien überhaupt zu verwerfen.
Das geschieht nun freilich seit einiger Zeit mit leidenschaftlicher Beharrlichkeit: Noch nie ist ein so erbitterter Kampf gegen das Theater geführt worden wie jetzt. Ich kann allerdings nicht in Abrede stellen, dass einige Kirchenväter das Schauspiel verurteilt haben. Aber man kann auch nicht leugnen, dass andere es milder behandeln. Durch diese Zwiespältigkeit hebt sich die Autorität, auf die man das Verdammungsurteil stützen will, von selber auf. Die einzig logische Folgerung, die man aus diesem Widerspruch der Meinungen bei sonst gleich erleuchteten Geistern ziehen kann, ist die, dass sie das Schauspiel verschieden ausfassten, dass nämlich die einen es in seiner Reinheit betrachteten, während die anderen es in seiner sittlichen Verderbtheit nahmen und es mit jenen gemeinen Schaustellungen zusammenwarfen, die man mit Recht als Schändlichkeiten bezeichnet hat.
Und in der Tat, da man über die Dinge und nicht über die Worte diskutieren soll, und die meisten Unverträglichkeiten nur daher rühren, dass man sich gegenseitig missversteht und entgegengesetzte Begriffe mit demselben Namen bezeichnet, so braucht man nur den Schleier der Zweideutigkeit hinwegzunehmen und einfach zu erwägen, was die Komödie an sich ist, um zu erkennen, ob sie verdammungswürdig ist oder nicht. Gewiss wird man darauf kommen, dass sie nichts Weiteres ist als eine sinnvolle Dichtung, die durch angenehme Belehrung die Laster der Menschen rügt, und dass man sie daher nicht ohne Unrecht verurteilen kann. Und wenn wir in dieser Frage das Zeugnis des Altertums anrufen wollen, so wird es uns sagen, dass seine berühmtesten Philosophen, die doch eine so große Sittenstrenge zur Schau trugen und die unentwegt hinter den Lastern ihrer Zeit her waren, der Komödie Anerkennung zollten, und es wird uns zeigen, wie Aristoteles seine gelehrten Studien dem Theater widmete und sich der Mühe unterzog, die Kunst der Schauspieldichtung in Vorschriften zu fassen. Es wird uns lehren, dass seine größten Männer und die höchstgestellten an Würden sich eine Ehre daraus machten, selber Komödien zu schreiben, dass andere es nicht verschmähten, die von ihnen verfassten Stücke öffentlich vorzutragen, dass Griechenland seine Hochachtung für diese Kunst durch die ruhmvollen Preise und die prächtigen Theaterbauten, die es ihnen widmete, glänzend kundgab, und dass schließlich dieselbe Kunst auch in Rom außerordentliche Ehren erfuhr. Ich meine nicht im verkommenen und zügellosen Rom der Kaiserzeit, sondern in dem an Manneszucht gewöhnten Rom unter der weisen Leitung der Konsuln und zur Zeit der vollen Blüte der römischen Tüchtigkeit.
Es gab wohl Zeiten, dies erkenne ich an, in denen das Theater äußerst verdorben war. Aber was verdirbt man nicht alle Tage auf der Welt? Nichts ist so unschuldig, das die Menschen nicht durch Verderben trüben, keine Kunst so heilsam, deren Zweck sie nicht in das Gegenteil verkehren lässt, nichts an sich so gut, das sie nicht arg missbrauchen könnten. Die Medizin ist eine nutzbringende Kunst, und jedermann verehrt sie als eine unserer herrlichsten Errungenschaften. Und doch gab es Zeiten, in denen sie verhasst war, und häufig hat man eine Kunst des Menschenvergiftens aus ihr gemacht. Die Philosophie ist ein Geschenk des Himmels. Sie wurde uns gegeben, um unseren Geist durch die Betrachtung der Wunder der Natur zur Erkenntnis Gottes emporzuheben. Und dennoch weiß man, dass sie oft ihrer Aufgabe entzogen und zur Verteidigung der Gottlosigkeit verwendet wurde. Selbst die heiligsten Dinge sind gegen die Verführung durch die Menschen nicht geschützt. Sehen wir doch alle Tage, wie gemeine Schurken mit der Frömmigkeit ihren Unfug treiben und sie mutwillig zu den größten Verbrechen missbrauchen. Trotzdem wird niemand die nötigen Unterscheidungen außer acht lassen und mit verkehrter Logik die Güte der Dinge, die verdorben werden, verwechseln mit der Bosheit der Menschen, die sie verderben. Der Missbrauch, der mit einer Kunst getrieben wird, ist nicht dasselbe wie deren natürliche Zweckbestimmung. Und wie es niemanden einfällt, die Heilkunst zu untersagen, weil sie einst aus Rom verbannt wurde, oder die Philosophie, weil man sie in Athen öffentlich verurteilte, ebenso wenig wird man das Theater aufheben wollen, weil es zur gewissen Zeit missbilligt worden ist. Diese Missbilligung hatte ihre guten Gründe, die aber heute bei uns nicht mehr bestehen. Sie bezog sich auf den damaligen Zustand der Bühne. Und wir müssen sie auch in der gegebenen Beschränkung nehmen und ihr keine größere Tragweite beimessen, als ihr tatsächlich zukommt. Es wäre ein schwerer Fehler, sie auf Unschuldige wie auf Schuldige zu beziehen. Die Bühne, gegen die sie gerichtet war, ist keineswegs die Bühne, die wir zu verteidigen vorhaben. Man hüte sich wohl, jene mit dieser gleichzusetzen. Es sind zwei Wesen von grundverschiedenem sittlichen Verhalten und haben nichts gemein als die Gleichheit des Namens. Und es wäre doch eine entsetzliche Ungerechtigkeit, wollte man eine anständige Frau namens Olympia verurteilen, weil es eine andere Olympia gab, die ein liederliches Frauenzimmer war. Welche Unordnung würden solche Richtsprüche in der Welt verursachen! Nichts wäre mehr vor der Verdammung sicher. Solange man aber diese Strenge nicht auf soundso viele Dinge anwendet, die alltäglich missbraucht werden, wird man auch das Theater gleich milde behandeln und jene Bühnenstücke gutheißen müssen, in denen man gute Lehre und Anstand herrschen sieht.
Ich weiß wohl, dass es besonders zart empfindende Geister gibt, die überhaupt keine Bühnendichtungen vertragen wollen, die behaupten, dass gerade die anständigsten auch die gefährlichsten sind, weil die darin dargestellten Leidenschaften umso ergreifender wirken, je tugendhafter sie erscheinen, und weil die Seelen durch derartige Schauspiele weich gestimmt werden. Ich sehe nur nicht ein, was für ein großes Verbrechen es sein soll, sich durch den Anblick einer ehrbaren Leidenschaft weich stimmen zu lassen. Jene vollkommene Gefühllosigkeit, zu der man unsere Seele emporheben möchte, ist eine gar hohe Stufe der Tugend. Ich glaube kaum, dass eine so große Vollendung der natürlichen Kraft des Menschen erreichbar ist. Und ich frage mich, ob es nicht besser ist, dahin zu streben, die Leidenschaft der Menschen zu läutern und zu mildern als sie auszurotten. Gewiss gibt es Orte, deren Besuch dem des Theaters vorzuziehen ist. Und wenn man alles tadeln will, was nicht direkt auf Gott und unser Seelenheil Bezug hat, so gehört sicherlich auch das Schauspiel dazu, und ich habe nichts dagegen, wenn es mit dem Rest verworfen wird. Vorausgesetzt aber, wie es tatsächlich der Fall ist, dass die Andachtsübungen eine Unterbrechung gestatten, und dass die Menschen auch Zerstreuungen nötig haben, so behaupte ich, dass man ihnen kein unschuldigeres Vergnügen gewähren kann als das Schauspiel. Doch ich habe mich schon zu lange hierüber ausgelassen. Schließen wir mit dem Wort eines großen Prinzen über die Komödie von Tartuffe.
Acht Tage nach Erlass des Aufführungsverbotes gab man vor dem Hof ein Stück unter dem Titel »Scaramuccia als Einsiedler«. Und der König sagte beim Hinausgehen zum Prinzen, von dem ich hier spreche: »Ich möchte nur wissen, warum die Leute, die an Molières Komödie so heftigen Anstoß nehmen, über das von Scaramuccia kein Wort verlieren.« Worauf der Prinz antwortete: »Die Ursache ist die, weil die Komödie von Scaramuccia nur den Himmel und die Religion verspottet, um die sich jene Herren nicht kümmern; aber die Molièresche Komödie verspottet sie selber, und das können sie nicht ertragen.«
In der Angelegenheit des Tartuffe, der nicht in der Öffentlichkeit gezeigt werden darf.
Sire!
Da es die Aufgabe der Komödie ist, die Menschen zu bessern, indem sie sie belustigt, habe ich geglaubt, in meinem Wirkungskreis nichts Besseres tun zu können, als die Laster und Torheiten meines Jahrhunderts durch komische Spiegelbilder von ihnen anzugreifen. Besonders die Heuchelei ist eines der gewöhnlichsten, listigsten und gefährlichsten Laster von allen. So glaubte ich, Sire, allen ehrlichen Leuten Ihres Reiches einen guten Dienst zu erweisen, indem ich eine Komödie dichtete, die die Heuchler an den Pranger stellt und das einstudierte Gehabe dieser bis zum Übermaß rechtschaffenen Herren deutlich bloßstellt, ebenso wie die heimlichen Spitzbübereien jener Falschmünzer der Frömmigkeit, die durch falschen Religionseifer und trügerische Christenliebe die Welt zu täuschen versuchen.
Sire! Ich habe diese Komödie, wie ich glaube, mit aller Sorgfalt und Umsicht gedichtet, die der heikle Stoff mir vorschrieb. Um die Achtung und Ehrfurcht, die aufrichtig Fromme verdienen, zu wahren, habe ich mir alle Mühe gegeben, den Charakter des Heuchlers von dem des wahren Frommen zu unterscheiden. Ich habe nichts zweideutig gelassen. Ich habe alles beseitigt, was zu einer Verwechslung des Guten mit dem Bösen führen konnte, und mich in diesem Gemälde so bestimmter Farben, so wesentlicher Züge bedient, dass man aus ihnen von Beginn an einen offensichtlichen Heuchler erkennen musste.
Alle meine Vorsicht war jedoch vergebens. Sire! Man hat Ihr religiöses Zartgefühl missbraucht und hat Sie von der Seite genommen, bei der allein Sie fassbar sind, das heißt bei Ihrer Ehrfurcht vor heiligen Dingen. Die Tartuffes haben unter der Hand die Geschicklichkeit besessen, sich bei Euerer Majestät Gehör zu verschaffen. Die Originale haben die Kopie, so unschuldig und zutreffend diese auch sein mochte, unterdrückt.
Obwohl diese Unterdrückung meines Werkes für mich ein empfindlicher Schlag war, wurde mein Unglück doch gemildert durch die Art und Weise, wie Euere Majestät sich über die Angelegenheit ausgesprochen hatten, und ich glaubte keinen Grund zur Klage zu haben, da Sie mir gnädigst erklärten, dass Sie persönlich nichts an der Komödie auszusetzen hätten, die Sie mir verboten, öffentlich aufzuführen.
Aber trotz der ehrenvollen Erklärung des größten und weisesten Königs dieser Welt, trotz der Billigung des Herrn Legaten und des größten Teiles unserer Prälaten, die nach der von mir veranstalteten Vorlesung meines Werkes mit den Ansichten Euerer Majestät übereinstimmten, trotz alledem sieht man jetzt ein vom Pfarrer von ... geschriebenes Buch, das ganz öffentlich diesen so erhabenen Zeugnissen widerspricht. Was Euere Majestät auch sagen mögen, wie auch das Urteil des Herrn Legaten und der Herren Prälaten lauten mag, meine Komödie, die man nicht gesehen hat, wäre diabolisch, und diabolisch wäre mein Gehirn, ich wäre ein eingefleischter Teufel in Menschengestalt. Es genügt nicht, dass das Feuer öffentlich mein Vergehen strafen solle, das wäre zu wenig für mich. Der liebevolle Eifer dieses edlen Ehrenmannes begnügt sich nicht damit. Er will nicht einmal, dass ich Barmherzigkeit bei Gott finde, er will durchaus, dass ich verdammt werde. Das ist bei ihm beschlossene Sache.
Sire! Jenes Buch ist Euerer Majestät feierlich überreicht worden, und gewiss ermisst dieselbe ohne mein Zutun, wie unangenehm es mir sein muss, mich täglich den Beleidigungen dieser Herren ausgesetzt sehen zu müssen, welches Unrecht mir jene Verleumdungen vor der Welt zufügen werden, wenn ich dieselben ruhig hinnehmen muss, kurz, wie sehr es mir am Herzen liegen muss, mich von seinen falschen Unterstellungen rein zu waschen und dem Publikum zu zeigen, dass meine Komödie nichts weniger als das ist, wofür man es ausgibt.