Terra 5500 - Doppelband 2 - Jo Zybell - E-Book
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Terra 5500 - Doppelband 2 E-Book

Jo Zybell

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Beschreibung

BAND 3 und 4 dieses außergewöhnlichen SF-Zyklus von Jo Zybell!

Die Menschheit im 55.Jahrhundert nach Christus: Die Milchstraße ist besiedelt und es herrschen eiserne Gesetze. Doch Widerstand regt sich.
Den Rebellen der Galaxis bleibt nur die FLUCHT INS ALL.

Dies ist der Auftakt zu JO ZYBELLs spektakulärem Science Fiction-Zyklus, mit dem er sich einen eigenen, vielschichtigen Serienkosmos erschuf. Eine Vision der Zukunft des Menschen im All, die den Vergleich mit großen Vorbildern nicht zu scheuen braucht!

JO ZYBELL prägte die Serien MADDRAX und RHEN DHARK über Jahre hinweg durch eine Vielzahl von Romanen mit. Seine epischen Fantasy-Romane brachten ihm die Anerkennung der Kritik. Doch mit Terra 5500 hat er gezeigt, was wirklich in ihm steckt

Dieses Ebook enthält folgende zwei Bände
sowie Glossar und zwei Zeittafeln :
Band 3 Sturz auf den Wasserplaneten
Band 4 Entscheidungsschlacht
Glossar
Zeittafel I
Zeittafel II

Der Umfang dieses Ebook entspricht 285 Taschenbuchseiten.

Cover: STEVE MAYER

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Jo Zybell

Terra 5500 - Doppelband 2

Sturz auf den Wasserplaneten/ Entscheidungsschlacht: Zwei Cassiopeiapress Science Fiction Romane

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Doppelband Terra 5500: Rebellen der Galaxis (3 und 4)

von Jo Zybell

 

Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author

© 2014 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

[email protected]

 

Dieses Ebook enthält folgende zwei Bände und Glossar und zwei Zeittafeln :

Band 3 Sturz auf den Wasserplaneten

Band 4 Entscheidungsschlacht

Glossar

Zeittafel I

Zeittafel II

 

Der Umfang dieses Ebook entspricht 285 Taschenbuchseiten.

Band 3: Sturz auf den Wasserplaneten

...es werden Tage kommen, da wird man schreien und heulen auf Aqualung. Es werden die Tage sein, von denen ICH gesprochen habe, seit ICH euch schuf, damit ihr euch ausbreitet in den Wäldern, an den Küsten und auf den Bergen von Aqualung, Tage des Schmerzes, Tage der Hoffnungslosigkeit. Gleich zu Beginn dieser dunklen Tage wird der Anderstöter aus dem Himmel steigen, der schreckliche Ungott in seiner schwarzen Festung. Er wird Feuer und Erdbeben in eure Mitte werfen, er wird seine Diener aussenden, damit sie euch und eure Schätze verschlingen. So wahr ICH Erztöter bin von Anbeginn: Sie werden sich anschicken Aqualung und euch zu fressen. Und dann erst werden die Herren der Lebendigen innehalten und einander erkennen, und keiner wird mehr das Schwert gegen den anderen erheben, und endlich wird der Heilige Sohn des Erztöters erscheinen, um den Weltenbaum zu besteigen und den Willen des Erztöters zu vollbringen für alle Zeiten, und alle Krieger aller Herren der Lebendigen aus allen Ländern und Königreichen werden ihm huldigen, groß und klein, nackt und pelzig, schwarz und gelb, fett und mager, und sie werden hinter ihm, dem Heiligen König des Erztöters herziehen...

 

Aus dem Buch der Erzherren der Lebendigen

 

 

1

Getötet hatte Veron noch nie. Schon gar nicht jemanden, dem er Auge in Auge gegenüberstand.

An Bord des Flaggschiffs eines Pionierkampfverbandes konnte es geschehen, dass man Ohrenzeuge eines Befehls wurde, der den Tod über fühlende und denkende Kreaturen brachte; oder Augenzeuge eines Manövers, das keinem anderen Zweck diente, als den Tod über fühlende und denkende Kreaturen zu bringen. Schlimmstenfalls sah man dann ein feindliches Schiff im Viquafeld unter Laserkaskadenbeschuss verglühen; oder infolge von Gravitonbeschuss im Hyperuniversum verschwinden. Schlimmstenfalls fühlte man sich in solchen Fällen als kleines Rädchen einer Maschinerie, die exakt funktionierte und daher auf Todesbedrohung mit todbringenden Waffen reagierte. Wie denn sonst?

Doch selbst in diese Verlegenheit war Veron noch nie geraten. Er zählte erst dreiunddreißig Jahre, war erst zwei Jahre lang Suboberst der Flotte, und die Galaktische Republik Terra galt zurecht als relativ sicherer Ort in jener Zeit, von der hier die Rede ist.

Nun ja – und dann geschah es eben; dann stand Calibo Veron von jetzt auf nun eben doch vor der Alternative sterben zu müssen, oder sterben zu lassen.

Die Zeitangabe in der Fußzeile seines Arbeitssichtfeldes zeigte 54-02-13 18:12:35. Noch war es nicht soweit. Noch dachte der zierliche Schwarze mit keiner Faser seines Nervenkostüms daran zu töten, töten zu müssen; noch dazu jemanden, dem er Auge in Auge gegenüberstand.

In eine halbwegs chronologische Ordnung gebracht, spielten sich die letzten wirklich ruhigen dreiundzwanzig Minuten seines Lebens als Erster Offizier der Johann Sebastian Bach folgendermaßen ab: Zuerst informierte er Bergen, seinen Kommandanten, über den Notfall auf der Brüssel – Blinddarmreizung an Bord des Aufklärers. Ausgerechnet die Frau des Kommandanten Robinson hatte es erwischt. Wie nicht anders zu erwarten, erteilte Bergen die Erlaubnis, Leutnant Zeelia Peer-Robinson in der Klinikabteilung seines Flaggschiffs zu operieren. Veron forderte ärztliches Personal an, um die Kranke im Gasthangar abzuholen. Alles noch kein Problem.

Anschließend klärte er seinen Kommandanten Merican Bergen darüber auf, dass ein Beiboot der Brüssel mit ein paar Männern zur Troja aufgebrochen war, um in der Sporthalle des Schlachtschiffs ein Fußballmatch gegen seine Auswahl der Troja auszutragen.

Er selbst, wäre er Kommandant der Brüssel oder der Troja gewesen, hätte seinen Leuten ein solches Ansinnen rundweg abgeschlagen. Sie waren Geächtete, sie waren auf der Flucht, man suchte sie als Fahnenflüchtige – und dann ein Fußballmatch? Ausgeschlossen! Bergen jedoch, unterwegs in seinem Sparklancer Johann Sebastian Bach 01, sah das anders. Der Kommandant gab sein Okay; nachträglich allerdings.

Veron wunderte sich nicht lange darüber – schließlich war auch Bergen zu einer Art Spiel unterwegs. Jeder an Bord der Johann Sebastian Bach wusste mittlerweile von den schönen Augen der Frau, deren Schiff Bergens Beiboot gerade ansteuerte.

Schließlich unterrichtete er den Kommandanten noch über eine Parafunknachricht auf Flottenfrequenz, die der Kommunikator der Johann Sebastian Bach abgefangen hatte. Es ging um die Rebellen von Genna und jenen Reeder von Doxa IV, der mit ihnen an Bord eines Frachters vor seinem amtlich beschlossenen Tod geflohen war. Bergen wollte seinen Namen wissen – Yakubar Tellim – und die Koordinaten, an denen Einheiten der Flotte die Flüchtlinge zuletzt geortet hatten. Auch das kein Problem.

Danach verschwand der Sparklancer des Kommandanten im Hangar des Zivilkreuzers jener Schönen, und sein Reflex aus dem Ortungssichtfeld. Ihr Schiff hieß übrigens Pegasus.

Veron übergab das Kommando über die Johann Sebastian Bach an Pazifya Corales, die Zweite Offizierin, und machte sich in Begleitung eines Kugelroboters, eines Arztes namens Lucas, und zweier Sanitäter, die er nur flüchtig kannte, auf den Weg zum Hangar, das er für das Beiboot von der Brüssel freigegeben hatte. Calibo Veron fühlte sich persönlich für die Patientin verantwortlich. Immerhin war sie die Frau eines Primoberst und Schiffskommandanten, und Bergen pflegte Gäste an Bord immer mit ausgesuchter Höflichkeit zu begrüßen.

Durch das Sichtfenster der Innenschleuse beobachteten sie, wie die Brüssel 01 – eines von drei Beibooten des Aufklärers – aus dem All durch das Schott des Unterbodens in den Hangar schwebte. Die Magnetklammern senkten sich Bug und Heck des schlanken, zwölf Meter langen Sparklancers entgegen, während sich unter ihm schon die Lukenflügel des Außenschotts schlossen. Die Magnetklammern hielten das Beiboot fest, das Hangar füllte sich mit Atemluft und die Türen des Innenschotts glitten auseinander. Noch etwa vierzig Sekunden, bis der Vizekommandant der Johann Sebastian Bach zum ersten Mal töten sollte. Noch war Veron ahnungslos, noch gab es nicht einmal eine Waffe in seiner Nähe. Über Bordfunk nahm er die Bereitschaftsmeldung des Operationstraktes entgegen.

Dr. Lucas und die Sanitäter eilten aus der Schleuse zur Brüssel 01, deren Bugluke sich bereits öffnete. Veron wartete auf der Schwelle der Schleuse. Dort wollte er die bedauernswerte Zeelia Peer-Robinson, Leutnant der Flotte und Kommunikatorin der Brüssel, Willkommen heißen. Keine unangenehme Aufgabe, denn die Gattin von Primoberst Ralbur Robinson war eine Augenweide.

Nacheinander sprangen vier oder fünf Personen in Überlebenssystemen und mit geschlossenen Dunkelhelmen aus dem Sparklancer. Lucas und die Sanitäter standen plötzlich wie festgefroren, denn die vier oder fünf bewegten sich äußerst hektisch und waren zudem bewaffnet. Laserkaskaden brannten sich in ihre Körper, bevor sie überhaupt begriffen, was geschah.

Calibo Veron lag schon flach in der Innenschleuse, als die Sterbenden auf dem Boden aufschlugen. Natürlich begriff auch er nichts, doch reflexartig hatte er im Fallen auf den Lukensensor geschlagen. „Schließen!“, rief er. „Zu, die Schleuse...!“ Die typischen Energiekugeln aus Laserkaskadengewehren zischten über ihn hinweg und tauchten die Innenwandluke der Schleuse in einen Feuernebel.

Die Bewaffneten stürmten der Schleuse entgegen. Laserkaskade um Laserkaskade schossen sie auf Veron ab. Der wälzte sich von Seitenwand zu Seitenwand, blieb schließlich hinter der zugleitenden Luke liegen. Ein Treffer hatte ihn erwischt. Er merkte es erst, als er aufspringen wollte – brennender Schmerz lähmte sein linkes Bein. Er schrie.

„Überfall!“, brüllte er. „Veron an alle – Überfall!“ Die Innenluke öffnete sich, er schleppte sich aus der Schleuse, hinkte entlang der Gangwand bis zur nächsten Luke.

„Zweiter an Ersten Offizier!“ Pazifyas ratlose Stimme aus dem Bordfunk. „Was soll das, Calibo? Eine Übung?“

„Alarmstufe Rot!“ Veron presste die Handfläche gegen den Lukensensor. Die Luke schob sich in die Wand, viel zu langsam. „Kampfmaschinen zu Hangar neun!“ Er taumelte ins Magazin, riss ein Laser-Kaskaden-Gewehr aus dem Wandfach, entsicherte es mit seinem ID-Code. „Die Bordsicherheit bewaffnet sich! Hauptschächte und -gänge besetzen!“ Es roch merkwürdig mit einem Mal.

„Was ist passiert Calibo?“ Diesmal klang Pazifya alarmiert.

„Ich weiß es nicht, verdammt...!“ Der Geruch, ihm wurde übel... „Überfall! Leute aus der Brüssel 01 haben das Feuer eröffnet! Hol dir doch Hangar neun ins Sichtfeld...!“

Sie hatten die Sauerstoffleitung angezapft! Plötzlich sah er glasklar – sie pumpten irgendein Gift in die Atemluft! Er taumelte zum nächsten Wandfach, riss es auf, zog ein Überlebenssystem heraus. „Veron an alle!“, schrie er, während er in den Anzug stieg. „Überlebenssysteme anlegen! Sie wollen uns betäuben! Helme schließen! Keine Fragen – Helme schließen, sag ich...!“

Er hatte seinen gerade verriegelt, da tauchte schon ein Bewaffneter im Lukenrahmen auf. Jetzt war es soweit: Laserkaskaden schlugen im Wandfach zwischen den Schutzanzügen ein, Calibo Veron aber hatte sich zur Seite fallen lassen und schoss auf den Angreifer. Und traf ihn. Der krümmte sich, drehte sich zweimal um sich selbst und brach auf der Schwelle zusammen.

2

Durch die wenigen Wolkenlücken schimmerte die rötliche Planetenoberfläche. Der Rabe breitete die Schwingen aus, schüttelte das Gefieder und gackerte heiser. „Der Ozean“, sagte Yakubar Tellim. „Moses freut sich schon auf einen Rundflug über der Brandung.“

„Ein roter Ozean?“ Venus Tigern wunderte sich. „Unsere Eltern erzählten immer von blauen Meeren.“ Sie saß neben Tellim und überwachte die Navigations- und Aufklärungsinstrumente. Von hinten streckte ihr Bruder Plutejo seinen großen, schwarzlockigen Schädel zwischen die beiden Vordersitze. Seine Augen glänzten. Nichts von dem, was es in den Sichtfeldern der Instrumentenkonsole und außerhalb des Frontfensters zu sehen gab, wollte er sich entgehen lassen. Der Rabe auf Yakus Sessellehne äugte zu ihm hinunter.

„Das Meerwasser auf Aqualung ist ziemlich eisenhaltig“, erklärte Yaku. Wie die beiden Geschwister hatte der Siebzigjährige den Helm seines Überlebenssystems zurückgeklappt. Sie hatten die Schutzanzüge aus dem Magazin der Mexiko gestohlen. „Richtig rot wirkt es nur von hier oben. Wenn man an der Küste steht, fällt einem der Rotstich erst beim zweiten Hinsehen auf.“

„Wann warst du hier, Yakumann?“, fragte Venus.

„Da gab’s euch noch nicht.“

Yakus weißes Langhaar war strähnig und fettig. Ein grauer Stoppelbart bedeckte seine untere Gesichtshälfte. Auch der über fünfzig Jahre jüngere Plutejo sah struppig und verkommen aus. Seine Nägel waren schwarz, sein Gesicht schmutzig, hohlwangig und blutverkrustet. Seine ältere Schwester machte einen kaum zivilisierteren Eindruck. Während der vielen Tage auf dem gekaperten Aufklärer hatten sie keine Gelegenheit zum Waschen gehabt. Wie sollte man sich auch waschen in einem Maschinenleitstand oder einem Gefechtsleitstand, wenn Kampfroboter alle vier Zugänge belagerten? Weil sie jedoch alle drei gleichermaßen stanken, störte es keinen. Sie waren entkommen, sie lebten noch – das allein zählte.

„Was sind das für Leute, die da unten leben?“, wollte Plutejo wissen.

Yaku lachte trocken. „’Leute’ ist gut...“

War es wirklich schon dreißig Jahren her, dass er zum ersten und bislang letzten Mal auf diesem Planeten gelandet war? Ja, doch - Anfang der zwanziger Jahre, wenn er sich recht erinnerte. Jedenfalls war er damals schon Primhauptmann und Erster Offizier eines leichten Kreuzers gewesen.

„Sie gehen zwar auf zwei Beinen, haben auch zwei Arme, und sogar ihre Augen tragen sie, wie du und ich, irgendwo zwischen Stirn und Nasenspitze.“ Yakubar rief sich die geschmeidigen Pelzkörper der Aqualung-Bewohner ins Gedächtnis. Augenpaare geisterten über seine innere Bühne, hellgrün oder bernsteinfarben, Gesichter, die er nie mehr vergessen hatte. „Aber..., nun ja..., als Leute würde ich sie nicht bezeichnen.“

„Sondern?“ Venus musterte ihn von der Seite.

„Was soll ich sagen – es sind komische Figuren; ziemlich strange und alles andere als witzig, wenn man an die Falschen gerät. Sie nennen sich Kalosaren. Übersetzt in Terrangelis bedeutet das etwa Herren der Lebendigen. Ich weiß, das klingt nicht sehr verheißungsvoll, aber lasst euch einfach überraschen, einverstanden?“

Venus und Plutejo sahen sich an, und in ihren Blicken lag etwas, das sich nicht zwischen Furcht und Neugier entscheiden wollte. Einmal mehr machte Yaku sich klar, dass die beiden ihr bisheriges Leben unter dem Eis und im Höhlenlabyrinth von Genna verbracht hatten. Nichtmenschliche Intelligenzen kannten sie nur aus den Erzählungen ihrer Eltern.

Er steuerte den Spacelancer näher an Aqualung heran und ging in eine Umlaufbahn. Die Aufklärungsinstrumente begannen die Planetenoberfläche abzutasten. Bald drangen sie in die Wolkendecke ein. Minutenlang nichts als gelblich-graue Dampfschwaden vor dem Sichtfenster. Das Bordhirn rechnete die Ortungsdaten als visuelle Darstellung ins Viquafeld hinein. Das Flüchtlingstrio sah Meeresküsten, Gebirgsrücken und eine schier endlose Waldfläche. Yakus Rabe spreizte unablässig die Schwingen. Er krächzte aufgeregt und tippelte auf der Lehnenkante hin und her.

„Werden sie uns hier finden?“ Plutejo sprach von den Omegaraumern der Galaktischen Republik Terra.

Yaku neigte den Kopf und zuckte mit den Schultern. „Schon möglich, mein Junge, ziemlich wahrscheinlich sogar.“ Er drehte den Kopf zur Seite und betrachtete das Profil des Jüngeren. Plutejos Stimme klang fester und klarer als vor ein paar Tagen noch. Nicht nur sein kräftiger, großer Körper schien den brutalen Drogenentzug verkraftet zu haben – auch seelisch kam er Yaku irgendwie ausgeglichener vor.

„Vielleicht werden sie uns ja gar nicht suchen“, sagte Venus.

„Das würde ich mir an deiner Stelle auch wünschen.“ Yaku lachte bitter, und plötzlich wurde ihm bewusst, dass er schon seit zwei Wochen nicht mehr richtig gelacht hatte.

„Das Tarkus-System liegt doch außerhalb des Republik-Territoriums!“ Venus wurde laut. „Außerdem hast du doch die Kommunikator-Anlage der Mexiko zerstört! Das Schiff kann nicht einmal seine Position durch die Galaxis funken!“

„Schminken Sie sich das ab, junge Frau.“ Endlich brachen sie aus der Wolkendecke. Links erstreckte sich der rote Ozean bis an den Horizont, rechts und unter ihnen wucherte er in zahllosen Fjorden zwischen bewaldeten Berghängen. „Sie werden uns suchen, Venus Tigern, verlass dich drauf!“ Der Weißhaarige schnitt eine grimmige Miene. „Du hast einen Direktor der Republik getötet, Mädchen! Weißt du nicht, was das bedeutet? Bis ans andere Ende der Milchstraße werde sie uns verfolgen, um dich zu kriegen!“

Venus sah den alten Reeder von der Seite an. Die Kaumuskeln unter ihrer bronzefarbenen Haut zuckten.

„Und jetzt, wo Garp und Porto wieder die Mexiko kontrollieren, nützt uns die zerstörte Kommunikationsanlage überhaupt nichts mehr!“ Hart klang Yakus Stimme. Je weniger Illusionen, desto kühler der Kopf – eines seiner Prinzipien. „Sie steuern einfach den nächsten Außenstützpunkt an, schicken einen der anderen beiden Sparklancer raus, und schon kennt irgendein Patrouillenkommandant unsere letzte Position.“

Wendolyn Garp war der Kommandant des Aufklärers Mexiko, den das Trio tagelang beherrscht hatte; und James Porto ein Flottengeneral, der an Bord gekommen war, um sie, die Schiffbrüchigen, zu begrüßen; gemeinsam mit dem Direktor, den Venus getötet hatte.

„So viele Sonnensysteme mit Planeten, auf denen man sich verstecken kann, gibt es in der Nähe unserer letzten Position nämlich nicht. Sie sind schon unterwegs hierher, Venus Tigern, glaub mir das!“ Fakt war: Der nächste Planet mit Sauerstoffatmosphäre lag über siebzig Lichtjahre entfernt. Aber Yaku wollte die junge Frau nicht noch mehr frustrieren.

„Ich stelle mich der Republik“, sagte Venus trotzig. „Aber nur dem P.O.L. persönlich!“

„’Dem P.O.L. persönlich’...“ Yaku seufzte und schüttelte den Kopf über so viel Eigensinn. „Nichts dagegen Mädchen, wahrhaftig nicht. Ich hätte ihm auch ein paar Fragen zu stellen, dem hochverehrten Regenten unserer glorreichen Republik. Im Moment aber sind wir soweit von Terra Prima entfernt, wie du vom Amt eines Primgenerals der Galaktischen Republik Terra...!“

Das war nicht einmal die halbe Wahrheit. Mit dem restlichen Glaurux im Tank des Sparklancers würden sie noch höchstens fünfzehn Lichtjahre überbrücken; ein Radius, in dem exakt sieben Sonnensysteme lagen, allesamt unbekannt, oder für Menschen uninteressant. Und dort unten auf Aqualung wimmelte es von wilden und kriegerischen Völkern, in deren Vorstellung das All nur als göttliche Wohnstatt, und Raumfahrer als Engel oder Dämonen vorkamen. Wenn nicht ein Wunder geschah, würden sie nie wieder wegkommen von dort. Das war in etwa die ganze Wahrheit.

Fast wünschte Yaku sich, die Republik würde sie hier entdecken. Doch solche Gedanken behielt er für sich. Er hielt es für besser, die jungen Menschen nicht unnötig zu entmutigen.

Der rote Ozean war jetzt nur noch ein breiter Streifen am linken Rand des Frontfensters. Das Bergland unter ihnen stieg zu einer Hochebene an. Einzelne Waldflecken aus niedrigen Bäumen wechselten sich mit Buschwerk und weiten Grünflächen ab. Auch kleine Seen und Sümpfe entdeckte Yaku hier und dort.

Hin und wieder sah er zur Seite auf das Profil der Frau neben ihm. Venus Tigern hatte die Mundwinkel herabgezogen, ihre Kaumuskeln pulsierten noch immer, und zwischen ihren schwarzen Brauen stand eine tiefe Falte. Er wünschte sich, ihr etwas Schönes oder wenigstens etwas Lustiges sagen zu können, etwas, das wieder ein wenig Glück in ihre sonst so schönen Züge zaubern konnte. Es fiel ihm nichts ein.

Er fasste nach ihrer Hand und drückte sie. Sie hielt ihn fest. „Wir bleiben zusammen?“, fragte sie leise. Er nickte stumm.

Wahrscheinlich hätte er an ihrer Stelle den Direktor ebenfalls getötet. Plutejo war durchgedreht, als der Kommunikator die Nachricht von der Vernichtung der Sträflingskolonie auf Genna und damit vom Tod seiner Eltern durchgegeben hatte. Eine entfesselte Bestie war er plötzlich und fiel über Porto her. Nansen, der Direktor, wollte den General retten, zielte auf Plutejo, aber Venus war schneller. Schade um Nansen, der Mann hatte einen guten Eindruck auf Yaku gemacht. Dennoch hätte er an Venus‘ Stelle auch geschossen.

„Da ist was!“ Plutejo zeigte auf das Ortungssichtfeld. Infrarotstrahlung, Metallecho, erhöhtes Energieniveau auf engstem Raum – alles, was in ihrer Situation überflüssig war, meldete das Bordhirn auf einmal. Und keine Sekunde später zauberte es einen Umriss des angepeilten Objekts in das VQ-Feld. „Ein Omega-Raumer!“ Plutejo schluckte. „Leck mich am Arsch – da unten steht ein Omega-Raumer! Und was für ein fetter...!“

Blitzartig schlug Yaku auf den Hauptschalter – das Bordhirn zog sich in seinen Quantenkern zurück, sämtliche Systeme rauschten in den Ruhemodus hinunter, das VQ-Feld erlosch, das Summen des Triebwerks verstummte, die Navigationsinstrumente fielen aus.

„Spinnst du, Yakumann!?“ Steif und mit gespreizten Fingern saß Venus in ihrem Sessel. „Wir sind manövrierunfähig! Wir sind blind!“ Sie riss Mund und Augen auf und starrte auf die toten Instrumente.

„Wenn sie uns anpeilen, sind wir tot!“, zischte Yakubar. Wie ein Stein stürzte das Beiboot dem Boden von Aqualung entgegen.

3

Schwer und dumpf hämmerten seine Schritte über den Kunststoffboden. EMC-Muster von Kampfmaschinen auf 3-9-28-81sec und 0-4-34-45sec! Insgesamt konnte er die Cerebralmuster von zehn Kunsthirnen unterscheiden. Zehn Kampfmaschinen auf einem Reisekreuzer? Mindestens acht bewegten sich auf ihn zu.

Weiter. Zum Hangar. Er rief den Bauplan eines Sechzig-Meter-Raumers in seinen Quantenfokus und glich ihn mit den gespeicherten Wegen ab, die er seit dem Verlassen der Hangarschleuse zurückgelegt hatte. Der Hangar war noch etwa vierzehn Meter entfernt, lag aber eine Ebene unter ihm. Der kleine Reisekreuzer hatte nur vier Ebenen. Auf der unteren und zugleich niedrigsten lagen Hangars, Laderäume und gewöhnlich auch die Reisekabinen.

Weiter.

Mit jedem seiner langen Schritte prallten hundertfünfzig Kilo auf den Boden. Alle Möglichkeiten hatte er durchgerechnet: Die Zentrale kapern, zurück in die Messe und Bergen und Stein herausschießen, mit dem Sparklancer fliehen, die Johann Sebastian Bach alarmieren, und so weiter, und so weiter – eine nur verhieß seine Wahrscheinlichkeitsrechnung einen gewissen Erfolg. Er wusste genau, was er zu tun hatte.

Weiter, schneller!

Noch einmal die Kampfkegel anpeilen. Zwei waren gefährlich nahe. Er lauschte in sich hinein, während die Wände an ihm vorbei flogen. Angst? Oder was bohrte da tief in seinem Quantenkern? Nein, keine Angst – Sorge um Merican.

Das Gehämmer seiner Schritte musste durch alle Ebenen des kleinen Schiffes hallen. Erneut sandte er einen Peilstrahl aus. Die Kampfmaschinen! Eine Ebene über ihm, nur noch elf Meter! Nur sieben Sekunden noch! Er blieb vor einer Luke stehen, peilte den Sensor an, sandte einen Code aus – die Luke öffnete sich.

Hinein. Eine Kühlkammer für Vorräte. Das körpereigene Kontrogravsystem aktivieren, durch den kleinen Raum schweben, den Rücken an die Decke drücken, das eigene EMC im Quantenkern konzentrieren, mit dem Neutralisationsfeld abschirmen...

Still! Lauschen! Peilen!

Vor der wieder verschlossenen Luke rollten zwei Kampfmaschinen vorbei. Nach wenigen Metern blieb eine stehen, kehrte um, öffnete die Luke, trat in den Kühlraum. Der Kegelroboter sah sich um. Der Waffenkranz unterhalb seiner Kegelspitze war ausgefahren, die vorderen Läufe hoben sich, zielten auf die Gestalt im grauen Schutzanzug und schwarzen Helm. Eine Laserkaskade von der Decke traf ihn an der Kegelspitze, bläuliche Flammen schlugen aus den Öffnungen seiner Sensoren und Waffenkränze.

Runter von der Decke, über den zerstörten Roboter auf den Gang schweben, zur gegenüberliegenden Luke, schneller! Auf mit der Luke, hinein ins Werkzeuglager, zu die Luke.

Unter der Decke schwebend lauschte und peilte er wieder. Der Daumenteil seines rechten Handschuhs glühte. Er schloss die linke Faust um den Daumen, um die Glut zu ersticken. Vor der Luke rasselnder Lärm. Die Kettenschuhe der zweiten Kampfmaschine! Sie kam zurück, schlug Alarm.

Er richtete den ausgestreckten Daumen auf die Luke. Ein schmales Fingerglied aus blauem Kristall ragte aus dem Brandloch. Seine künstlichen Daumen bargen zwei seiner vier Laserkaskadenläufe.

Er peilte die EMC-Muster der anderen sechs Kunsthirne an: Zwei bewegten sich gefährlich nahe durch 3-19-12-67sec. Aber immer noch Zeit genug! Und die Organhirner? Eine Mikrosekunde währte das Peilfeld, das er durch das Schiff schickte; es erfasste die Elektroimpulse aus den Sinusknoten menschlicher Herzen und die Betawellen ihrer zentralen Nervensystem. Einundfünfzig Organhirner waren an Bord; einschließlich Bergen und Stein. Zu viele für einen kleinen Privatreisekreuzer.

Und einer war an Bord, von dem jenes rätselhafte Signal ausging, das er schon von Bord der Johann Sebastian Bach aus angepeilt hatte. Er wusste nicht, warum der Aufklärer des Flaggschiffs dieses Signal nicht geortet hatte. Er konnte es nicht einordnen. Er wusste nur, dass es an sein Geheimnis rührte. Der Quelle dieses Signals wollte er niemals begegnen, doch Bergen hatte ihn gezwungen ihn auf die Pegasus zu begleiten. Irgend etwas in der Messe, ganz in der Nähe von Merican, strahlte das Signal aus.

Der wichtigste Befund aber: Der Mann, dessen Familie er sein Dasein verschrieben hatte, war noch am Leben! Merican Bergen. Steins individuelles EKG-Muster und seine Hirnströme kannte er nicht gut genug, um sich über seinen Zustand ein Urteil zu gestatten.

Er wertete die Daten aus: Die meisten Organhirner hielten sich in Bergens Nähe auf; sechzehn insgesamt. Die anderen befanden sich an Positionen, wie sie für einen Organhirner an Bord eines Omegaraumers üblich waren; auf den beiden Zentralebenen in erster Linie. Übrigens rechnete er mit einem variablen Koordinatensystem. In Situationen wie dieser setzte er seinen eigenen Standort als Nullpunkt.

Die Daten aus dem Heckbereich alarmierten ihn: Im Querholm zwischen den Heckenden der Schiffsschenkel arbeiteten mindestens achtzehn Organhirner! Was hatten so viele Besatzungsmitglieder eines Reisekreuzers im Maschinenleitstand verloren? Oder gab es im Querholm etwa auch einen Gefechtsleitstand? Dann befand er sich tatsächlich keinem Reisekreuzer, sondern in einem militärischen Omegaraumer von der Größe eines Kommunikators. Auch das hohe Energieniveau aus allen Teilen des Schiffes sprach dafür.

Ein Kommunikator? Hieß das Schiff am Ende gar nicht Pegasus? War es eine getarnte Flotteneinheit? Waren sie in eine Falle geflogen? Was fragte er noch! Eine Falle, was sonst!

Erneut peilte er Bergens kardiologische und cerebrale Elektroimpulse an. Noch war der Subgeneral am Leben. Wahrscheinlich wollten sie ihn für seine Befehlsverweigerung vor ein Militärgericht stellen wollten. Das durfte nicht geschehen! Niemals!

Das Energieniveau der Triebwerke stieg rasch. Das Schiff – um was für einen Typ auch immer es sich handeln sollte – das Schiff wollte ins Hyperuniversum springen! Der gerissene weibliche Organhirner hatte Bergen in die Falle gelockt und wollte ihn nun so schnell wie möglich verschleppen!

Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Zurück in den Quantenfocus mit dem Bauplan: Der Hangar lag jetzt direkt unter ihm. Keine acht Meter trennten ihn mehr von einem Beiboot. Aber wie zu ihm gelangen, ohne in einen aussichtslosen Kampf gegen die Kegler verwickelt zu werden?

Auf dem Gang vor der Luke hielten sich inzwischen vier Kampfkegler auf. Er ortete ihr EMC. Runter von der Decke. Den Daumenlauf immer auf Schulterhöhe drehte er sich um seine Vertikalachse. Da, eine Innenluke! Öffnen, hineinschlüpfen, zuschließen. Ein Kriechgang führte zum Innenrand des Schiffsrumpfs; einer der zahlreichen Wartungsschächte, über die jeder Omegaraumer verfügte. Am inneren Rumpfrand verliefen viele sensible Rohr- und Kabelleitungen. Nach allem, was er über Kommunikatoren-Raumer gespeichert hatte, führten auch von den Hangars aus Arbeitsgänge hinauf zu diesen Leitungen.

So war es. Er fand den abwärts führenden Schacht, schwebte mit aktiviertem Kontrogravsystem hinab, und gelangte so in einen der sechs Schiffshangars.

Die Dunkelheit dort störte ihn nicht. Er schoss Peilfelder und -strahlen ab – Organhirner auf 1-9-12-79sec! Alle bewaffnet, alle in rascher Vorwärtsbewegung. Zwei Kampfmaschinen auf 1-13-41-56sec. Eine dritte nur unwesentlich weiter entfernt. Das konnte knapp werden.

Um kein zusätzliches Ortungsziel zu bieten, tastete er mit Ultraschall nach dem Sparklancer. Wenige Meter vor ihm hing das Beiboot in den Magnetklammern unter der Hangardecke – ein Ellipsoid von zwölf Metern Länge und zweieinhalb Metern Durchmesser an der breitesten und zwei Metern an der höchsten Stelle. Glücklicherweise war es nicht die Johann Sebastian Bach 01. Mit der hatte er andere Pläne...

Er sandte einen Code aus, schwebte zielsicher durch die Dunkelheit und kletterte in die bereits geöffnete Seitenluke am Bug. Die ließ er offenstehen.

Noch bevor er sich im Pilotensessel niederließ, hatte er den Impuls für die Außenluke errechnet. Er setzte sich, aktivierte das Bordhirn. Sofort erkannte er, dass er in keinem der auf Zivilraumern üblichen Beiboote saß, sondern in einem hoch spezialisiertem Sparklancer, wie ihn Omegaraumer der Flotte mit sich führten: leistungsstarke Triebwerke, Offensivbewaffnung und differenzierte Aufklärungssysteme. Kommunikatorschiffe führten gewöhnlich fünf solcher Einheiten mit sich.

Er sagte dem Beibootbordhirn, was es zu tun hatte, peilte gleichzeitig die sich nähernden Kampfmaschinen an und verschaffte sich einen Überblick über die Standorte der bewaffneten Organhirner. Das Ergebnis war ernüchternd: Für das, was er plante, blieb ihm weniger Zeit, als erhofft.

Schon öffnete sich unter ihm die Hangarluke, Sternengefunkel im All wurde sichtbar. Mit einem Code löste er die Magnetklammern Von Bug und Heck des Sparklancers. Das Beiboot schwebte dem All entgegen...

4

„Maschinenleitstand an Ersten Offizier – Besetzungsversuch abgewehrt.“ Die Stimme aus dem Bordfunk klang beängstigend ruhig. „Zwei feindliche Kampfmaschinen zerstört, ein gefallener Angreifer, keine eigenen Verluste.“

„Danke.“ Gegen die Wand gelehnt und das LK-Gewehr auf die gekreuzten Beine gestützt hockte Veron auf dem Boden des Magazins. Irgendwie war er froh mit seiner Verwirrung und seiner Trauer allein zu sein. „Veron an Gefechtsleitstand, Ihren Lagebericht.“ Er starrte die geschlossene Luke an. Zwei Kampfmaschinen der Johann Sebastian Bach standen draußen auf dem Gang davor und sicherten den Eingang. Drei Kampfformationen aus insgesamt neun Kampfkeglern und drei Infanterie-Offizieren waren im Anmarsch, um ihn abzuholen. Keine fünf Schritte von Veron entfernt, direkt vor der Luke, lag eine Leiche.

Calibo Veron hatte zum ersten Mal in seinem Leben getötet. Calibo Veron hatte Zeelia Peer-Robinson getötet.

„Gefechtsleitstand an Ersten Offizier – Besetzung abgewehrt...“ Die gebrochenen Augen der toten Frau starrten zur Decke. „...vier feindliche Kampfmaschinen ausgeschaltet, zwei Offiziere und einen Soldaten der Brüssel erschossen...“ Das schöne Gesicht der Toten zog Verons Blick magisch an. Noch immer war er fassungslos. „...eigene Verluste: Ein Offizier, vier Soldaten, zwei Kampfmaschinen.“ Was war in die Männer und Frauen der Brüssel gefahren? Welcher Wahn hatte Primoberst Ralbur Robinson und seine Frau befallen? Warum taten sie so etwas? Wollten sie sich ein Kopfgeld verdienen? Oder einen Orden? Oder eine Beförderung? „Suboberst Veron? Haben Sie mich verstanden?“

„Ja.“ Veron atmete tief durch. Einer musste hier den Chef mimen. Er riss sich zusammen. „Verstanden, danke.“ Den Gefechtsleitstand hatten sie also mit einer größeren Truppe angegriffen, als den Maschinenleitstand. Was für Schlüsse sollte er daraus ziehen? Wollten sie etwa die Troja mit dem gekaperten Flaggschiff angreifen? „Veron an Zentrale. Wie sieht es bei euch aus, Pazifya?“

„Sie haben uns mit acht Kampfmaschinen und drei Infanteristen angegriffen.“ Heiser und kurzatmig klang die Stimme der Zweiten Offizierin und Ersten Navigatorin der Johann Sebastian Bach aus dem Bordfunk. Eine Kampfsituation wie diese hatte die Primhauptfrau Pazifya Corales noch nie erlebt; genauso wenig, wie Calibo Veron selbst. „Die Hälfte der Kegler ist Schrott, und zwei der Wahnsinnigen tot. Ihr müsst den anderen und seine Roboter erwischen, Calibo, bevor sie irgendwo im Schiff wer weiß was anrichten! Was ist überhaupt los da drüben auf der Brüssel?“

„Keine Ahnung, Pazifya. Kümmern sich die von der Troja um Robinsons Aufklärer?“

„Was weiß denn ich! Auf der Troja reagiert keiner mehr auf unsere Funksprüche. Auch der Subgeneral meldet sich nicht mehr.“

Veron schwieg. Das waren niederschmetternde Nachrichten. Die Luke öffnete sich, er rollte sich an die rechte Wand und hob das LK-Gewehr. Ein Hauptmann der Johann Sebastian Bach erschien im Lukenrahmen, ein großer, kräftig gebauter Mann. Als er sich vergewissert hatte, dass kein lebender Angreifer lauerte, stieg er über die Leiche und stützte den Kolben seines schweren Gravitongewehres in die Hüfte. „Ein Betäubungsmittel“, sagte er. „Irgend ein altertümliches Narkosegas, wie es nur noch auf wenigen Planeten benutzt wird. Wenn Sie die Warnung nicht rechtzeitig durchgegeben hätten, würden wir jetzt alle selig schlafen, Suboberst.“

„Und als Gefangene erwachen.“ Der Name des Offiziers fiel Veron wieder ein: Avel Crasser. Er war Spezialist für Landungsoperationen. Veron nickte und stand auf. „Gehen wir.“

Vor der Luke auf dem Gang hatten sich ein knappes Dutzend bordeigener Kampfmaschinen und vier bewaffnete Infanteristen versammelt. Wie ein Schutzschild gruppierten sich die Kegler um die Menschen. Auf Verons Befehl hin drang die Truppe in Richtung Kommandozentrale vor.

„Veron an Zentrale. Schicken Sie Sanitäter und Mediziner mit bewaffneten Eskorten in die Mannschaftsräume. Die Hälfte der Truppe hatte Pause – möglicherweise hat das Narkosegas sie im Schlaf überrascht. Nicht, dass es zu medizinischen Zwischenfällen kommt.“

„Verstanden.“

Über Helmfunk gab Heyar Thoran laufend die Position der zurückgeschlagenen Angreifer durch. Der Erste Aufklärer des Flaggschiffs saß in Ebene II der Zentrale. „Sie wollen zum Maschinenleitstand, wie es aussieht“, sagte er.

„Veron an Zweite Offizierin. Schick ihnen aus allen Richtungen und von allen Ebenen Kampfmaschinen und Bewaffnete auf den Hals. Wir kreisen sie ein.“ Pacifya Corales bestätigte.

Drei Minuten danach erreichte Verons Truppe die Zentrale, durchquerte sie, und lief in den linken Schiffsschenkel der Johann Sebastian Bach. Dort, auf Ebene IV, kurz vor dem Querholm und knapp hundertsechzig Meter von der Zentrale entfernt, versperrten inzwischen Kampfkegler den Angreifern den Weg. Maschinen- und Gefechtsleitstand lagen unter der Heckpanoramakuppel auf der Mitte des etwa hundertfünfzig Meter langen und fünfzehn Meter hohen Querholms.

Dreißig Sekunden später heulte ein akustischer Alarm auf – Feuer an Bord! Kurz darauf hörte Veron Explosionslärm. „Fahren Sie die Reaktoren Ihrer Waffen auf das kleinste Level herunter!“ befahl er. „Möglichst nur Graviton benutzen! Es reicht, die Maschinen und Infanteristen kampfunfähig zu schießen!“

Keine Minute später schwang sich eine kleine Gestalt in Schutzanzug aus einem nur fünfzig Meter entfernten Kontrogravschachtaustieg. Drei Kampfkegler folgten ihr, aus zweien schlugen Flammen. Sofort besprühten die Düsen in der Gangdecke sie mit Schaum. Crassers Kampfmaschinen und er selbst eröffneten das Feuer – weiße, dampfartige Streustrahlen rauschten den Angreifern entgegen. Eine unsichtbare Faust packte die brennenden Roboter und den Schutzanzugträger, wirbelte sie durcheinander und schmetterte sie gegen Wände und Decke. Nach dem ersten Treffer lagen sie schon reglos unter einer Schaumhülle. Zwei Kampfkegler der Johann Sebastian Bach rollten zu den getroffenen Robotern, fuhren Sonden aus ihren Sockeln aus und deaktivierten die feindlichen Maschinen.

Veron und Crasser folgten ihnen. Verons Knie schienen mit heißem Blei gefüllt zu sein. In was für einen Albtraum war er da von jetzt auf nun geraten? Er hatte genug.

Nacheinander gingen die Erfolgsmeldungen ein: Alle feindlichen Roboter waren zerstört oder deaktiviert worden, vier Infanteristen der Brüssel tot. Zu dem fünften beugte Veron sich hinunter. Mit dem Arm fegte er den Schaum von seinem Helm und öffnete ihn. Schlitzaugen blitzten ihn aus einem schmerzverzerrten Frauengesicht an. Vor Veron lag die Erste Offizierin der Brüssel, Oberst Ling Li.

„Verdammt, Ling!“, fuhr Crasser sie an. „Was für einen Scheißdreck veranstaltet ihr hier!“ Ling Li warf den Kopf hin und her und stöhnte.

„Bringt sie in die Klinikabteilung!“ Veron stand auf. Angewidert wandte er sich von der Frau ab, die er bis jetzt für eine Gefährtin gehalten hatte. „Versorgt ihre Verletzungen, gebt ihr Schmerzmittel und verhört sie! Gründlich!“ Im Laufschritt machte er sich auf den Weg zur Zentrale.

Dort, auf Ebene I, starrten sie alle in das Hauptviquafeld. Die meisten standen vor ihren Arbeitsplätzen. Alle trugen sie noch Überlebenssysteme mit geschlossenen Helmen. „Was hat das alles zu bedeuten? Warum meldet sich die Troja nicht mehr? Gab es eine Meuterei auf der Brüssel? Was ist mit dem Subgeneral?“ Mit derartigen Fragen bestürmten sie ihn – Gaetano Sardes, Vera Park, Gollwitzer, fast alle. Nur Pacifya stand schweigend vor dem dreidimensionalen Sichtfeld unter der Frontkuppel. In ihm sah man ein paar Reflexe der Flotte, die sich inzwischen um das Schiff des Höchstgeehrten gebildet hatte, um ihn zum Sol-System zu eskortieren, und vor diesem Hintergrund einen einzelnen Omegaraumer.

„Himmel über Kaamos!“ Veron hob abwehrend die Arme. „Ich weiß es doch selbst nicht!“ Er ging zur Zweiten Offizierin. Auf einmal spürte er die Verantwortung wie einen Bleimantel auf seinen Schultern lasten. Er hatte ja keine Ahnung gehabt, was es bedeutete, Kommandant eines Raumschiffes zu sein!

„Labor an Ersten Offizier. Das Narkosegas hat sich verflüchtigt. Die Atemluft an Bord ist wieder sauber.“

„Danke. Veron an alle. Sie können die Helme öffnen und die Schutzanzüge ausziehen.“ Er wandte sich an seine Kollegin. „Was ist los, Pacifya?“

Sie deutete auf das Sichtfeld. In ihm schwebte der Omega-Kreuzer, an dessen Bord Bergen gegangen war, um der Malerin einen Besuch abzustatten. Ein Sparklancer senkte sich aus einem offenen Hangarschott an der Unterseite des Schiffes. „Ich hab ihn anfunken lassen“, sagte die Corales. „Es ist weder Subgeneral Bergen, noch Heinrich, noch Stein.“

Die Heiserkeit in Pacifyas Stimme machte Veron seine eigene Angst bewusst. „Wer ist es dann?“

„Ich weiß es nicht.“ Sie zuckte mit den Schultern. Das sonst so samtene Braun ihrer Gesichtshaut war einem schmutzigen Grau gewichen. „Die Besatzung reagiert nicht...“

5

Moses spürte die Gefahr. Er gackerte, als hätte wer weiß welches Untier ihn in den Fängen, und flatterte unter der Frontkuppel herum. “Mistvieh!“ Yaku schlug nach ihm. „Weg da!“ Der Rabe schwirrte ins Heck, verkroch sich dort unter einem Sitz und krähte beleidigt.

Der Bug des Sparklancers hatte sich nach vorn geneigt. Wie ein geschleuderter Speer jenseits des Scheitelpunkts seiner Flugbahn rauschte das Beiboot dem Wald entgegen. Noch knapp hundertachtzig Höhenmeter bis zu den Baumwipfeln.

„Heiliger Gott! Barmherziger! Soll doch die Hölle auf den verdammten Omegaraumer scheißen...! Großer Gott...! Verdammte Scheiße! Gütiger...!“ Yakus große Hände lagen auf den deaktivierten Instrumenten. Er starrte zum Frontfenster hinaus und murmelte in einem fort vor sich hin; und was er murmelte, klang nach Flüchen und Stoßgebeten zugleich.

„Schalt das Triebwerk ein, Mann!“, schrie Plutejo. „Ich hab keine Lust mir den Hals zu brechen! Fang endlich das Gerät ab, Mann...!“ Er packte die rechte Schulter des Älteren, drückte zu und schüttelte ihn. „Das Triebwerk einschalten! Das Triebwerk...!“

„Flossen weg!“ Yaku schlug nach Plutejos Hand. „Ganz ruhig, Junge, ganz ruhig..., wenn ich schon sterben wollte, hättest du nicht die Ehre gehabt mich kennenzulernen..., bleib cool...!“ Er legte die Mittelfinger auf zwei Knöpfe. Nur noch neunzig oder achtzig Meter. „Festhalten!“ Yaku drückte die beiden Knöpfe – Quantenplasma-Triebwerk und Kontrogravaggregat sprangen an.

Ein Ruck ging durch die Mexiko 01. Alle drei stürzten sie erst nach vorn in die Gurte und wurden schon im nächsten Moment nach unten in die Sessel gepresst. Venus Tigern verschwand fast im Polster, und die Luft blieb ihr weg. Plutejo japste und strampelte mit den Beinen. Yakubar klammerte sich an der Instrumentenkonsole fest und stöhnte Befehle in das Bordhirnmikro. Und der Rabe gackerte jämmerlich.

Im Frontfenster war auf einmal nur noch Grün zu sehen, Grün und noch einmal Grün, es wollte kein Ende nehmen. Grün, doch kein Wasser; Grün, doch kein Gras – überdeutlich konnten sie es hören: Es krachte und splitterte. Astwerk und Laub peitschten von außen gegen den Sparklancer. Yaku steuerte die Mexiko 01 dicht zwischen den höchsten Baumwipfeln hindurch. Das Beiboot flog noch immer so schnell, dass es Äste und Wipfel einfach abrasierte.

Und schließlich öffnete sich die grüne Fläche des Laubdaches. Am Grund eines tiefen Talkessels schien es erst bunt zu leuchten und dann tiefblau zu strahlen. Venus schrie auf, denn es war kein Talkessel, es waren weiter nichts als Blumenwiesen und ein Gewässer auf einer großen Lichtung, was sich da jenseits des Waldrandes ausdehnte, doch die jähe Einsicht, wie tief unter ihnen beides lag, und wie hoch demnach die Bäume sein mussten, die sie überflogen hatten, erschreckte sogar Yaku. Er hatte die teilweise dreihundert Meter hohen Urwaldkolosse von Aqualung ganz aus seiner Erinnerung verbannt.

„Ganz ruhig, Mädchen, kein Problem.“ Er flog eine weite Schleife über dem See. Der schien endlos, und sein Wasser war so sagenhaft blau, dass Plutejo ganz still wurde und Tränen ihm aus den Augen traten. War er doch in Felslabyrinthen tief unter dem Eis groß geworden; und war dieser See doch so blau, wie seine Eltern ihm die Meere auf Hawaii-Novum und Tropan geschildert hatten.

„Freu dich doch, dass du mal ordentliche Bäume zu sehen kriegst, Venus Tigern, und einen eisfreien See noch dazu.“ Yakus Hände schwitzten und sein Herz klopfte mächtig, doch er grinste, weil er merkte, dass er die kritische Situation gemeistert hatte. Nun galt es nur noch einen Landeplatz zu finden.