TEUFELSJÄGER 003: Die Hölle ist ein Vorort Londons - W. A. Hary - E-Book

TEUFELSJÄGER 003: Die Hölle ist ein Vorort Londons E-Book

W. A. Hary

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Beschreibung

W. A. Hary: Wussten Sie das nicht? Kathryn Warner erreichte London über Newcastle und York um genau 13.24 Uhr. Sie wartete, bis der Zug stand, wuchtete den großen Koffer aus dem Gepäcknetz - wobei ihr ein junger Mann mit schulterlangen Haaren freundlich behilflich war - und ging zum Ausgang. Die Tür zu ihrem Abteil stand bereits offen. Einen Augenblick lang blieb sie auf dem obersten Trittbrett stehen und atmete tief die quirlige Bahnhofsatmosphäre ein. Sie zögerte, ihren Fuß hinunterzusetzen. Fast schien es ihr, als befände sich eine unsichtbare Mauer vor ihr, und vor dieser Mauer hatte sie aus ungewissen Gründen Angst. "Na los, worauf warten Sie noch?" drängte hinter ihr jemand unfreundlich. Sie wandte den Kopf. Ein älterer, dicker Herr, dessen rotes Gesicht auf einen zu hohen Blutdruck schließen ließ, stand hinter ihr. In seinen kleinen Schweinsaugen blitzte es zornig. "Ja, natürlich, Verzeihung", stotterte Kathryn Warner verwirrt, und dann machte sie den entscheidenden Schritt. Für einen Augenblick schwindelte es ihr. Der Koffer machte sich selbständig, rutschte ihr aus der Hand und krachte auf den Bahnsteig. Er war nicht mehr der Neuste, und die Verschlüsse funktionierten nicht mehr richtig. Der Koffer platzte auf. Gottlob fielen nur wenige Wäschestücke heraus. Kathryn Warner mußte sich an dem Waggon abstützen.... ________________________________________ Coverhintergrund: Anistasius eBooks – sozusagen direkt von der Quelle, nämlich vom Erfinder des eBooks! HARY-PRODUCTION.de brachte nämlich bereits im August 1986 die ersten eBooks auf den Markt – auf Diskette. Damals hat alles begonnen – ausgerechnet mit STAR GATE, der ursprünglichen Originalserie, wie es sie inzwischen auch als Hörbuchserie gibt. Die Druckfassung dieser Ausgabe finden Sie hier: hary.li/mtliste001.htm

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W. A. Hary

TEUFELSJÄGER 003: Die Hölle ist ein Vorort Londons

Gesamtausgabe

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Vorbemerkung

Diese Serie erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Nach Band 21 wird sie hier nahtlos fortgesetzt! Jeder Band (siehe Druckausgaben hier: http://www.hary.li/mtliste001.htm ) ist jederzeit nachbestellbar.

 

TEUFELSJÄGER 003

Die Hölle ist ein Vorort Londons

von W. A. Hary

Ja, die Hölle ist ein Vorort Londons – wusstet ihr das nicht?

 

Impressum

Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

ISSN 1614-3329

Diese Fassung:

© 2010 by HARY-PRODUCTION

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

Coverhintergrund: Anistasius

Titelbild: Thorsten Grewe

 

1

Kathryn Warner erreichte London über Newcastle und York um genau 13.24 Uhr. Sie wartete, bis der Zug stand, wuchtete den großen Koffer aus dem Gepäcknetz - wobei ihr ein junger Mann mit schulterlangen Haaren freundlich behilflich war - und ging zum Ausgang. Die Tür zu ihrem Abteil stand bereits offen. Einen Augenblick lang blieb sie auf dem obersten Trittbrett stehen und atmete tief die quirlige Bahnhofsatmosphäre ein. Sie zögerte, ihren Fuß hinunterzusetzen. Fast schien es ihr, als befände sich eine unsichtbare Mauer vor ihr, und vor dieser Mauer hatte sie aus ungewissen Gründen Angst.

„Na los, worauf warten Sie noch?“ drängte hinter ihr jemand unfreundlich. Sie wandte den Kopf. Ein älterer, dicker Herr, dessen rotes Gesicht auf einen zu hohen Blutdruck schließen ließ, stand hinter ihr. In seinen kleinen Schweinsaugen blitzte es zornig.

„Ja, natürlich, Verzeihung“, stotterte Kathryn Warner verwirrt, und dann machte sie den entscheidenden Schritt.

Für einen Augenblick schwindelte es ihr. Der Koffer machte sich selbständig, rutschte ihr aus der Hand und krachte auf den Bahnsteig. Er war nicht mehr der Neuste, und die Verschlüsse funktionierten nicht mehr richtig. Der Koffer platzte auf. Gottlob fielen nur wenige Wäschestücke heraus.

Kathryn Warner mußte sich an dem Waggon abstützen.

„Ist Ihnen nicht gut?“ hörte sie wie aus weiter Ferne eine Stimme. Sie wollte etwas sagen, aber ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Sie schüttelte den Kopf, um das eigenartige Schwindelgefühl wieder loszuwerden. Aus dem Nebel vor ihren Augen schälte sich ein freundliches Gesicht mit einer Schirmmütze. Der Mann hatte eine Uniform an.

„Danke, aber es geht schon wieder, Herr Schaffner“, murmelte Kathryn Warner. Sie war noch nicht richtig bei Sinnen, nahm sich aber zusammen und bückte sich nach ihrem Koffer, um die Wäschestücke wieder einzupacken. Dabei berührte sie kurz den winzigen Gegenstand, den sie im Koffer verstaut hatte und der beinahe mit herausgefallen wäre. Etwas wie ein elektrischer Schlag durchzuckte ihre Glieder. Schlagartig waren der Alpdruck und die unerklärlichen Schwindelgefühle verschwunden.

Mit klarem Blick und doch etwas verwirrt, schaute sie sich um. Der Eisenbahner stand immer noch besorgt neben ihr, aber als er jetzt sah, daß es Kathryn tatsächlich wieder besserging, nickte er lächelnd und entfernte sich.

„Kings Cross Station, Kings Cross Station“, drang eine Stimme verspätet aus den Lautsprechern. „Bitte steigen Sie aus, denn dieser Bahnhof ist Endstation!“

Endstation, dachte Kathryn Warner. Hoffentlich ist sie das nicht wirklich! Sie schloß den Koffer wieder und richtete sich auf. Das große Gepäckstück enthielt die wichtigsten Sachen, die sie hier brauchen würde. Nein, Endstation sollte hier weiß Gott nicht sein. Sie war den weiten Weg aus Schottland hierhergekommen, um hier ein neues Leben zu beginnen. Das restliche Gepäck kam in den nächsten Wochen nach - dann, wenn sie eine Bleibe gefunden hatte.

In der Nähe entdeckte sie einen Gepäckwagen. Sie lud ihren Koffer darauf und schob das kleine, eiserne Gefährt durch die Sperre in die riesige Halle. Ein brodelnder Hexenkessel war um sie herum. Schon wieder spürte sie die eigenartige Angst in ihrem Innern. Sie registrierte es mit leiser Verwunderung. Was war nur los mit ihr? Die ganze Fahrt über hatte sie sich zum erstenmal seit Monaten wieder so richtig freuen können. Sie hatte sich auf London gefreut - die Stadt, in der sie geboren und aufgewachsen war. Das verlorene Kind war nach Hause zurückgekehrt und freute sich auf dieses Zuhause.

Mitten in der Halle blieb sie stehen und ließ die Menschen an sich vorüberhasten. Sie genoß dieses geschäftige Treiben. Wie lange hatte sie es entbehren müssen? In Ashtonville, der Stadt, die für Jahre ihre zweite Heimat geworden war, hatte sie alles dies entbehren müssen. Erst jetzt wurde ihr bewußt, daß sie es wirklich vermißt hatte. Und die geheime Angst, die sie sich nicht erklären konnte, war verschwunden. Sie machte sich auch keine Gedanken mehr über den seltsamen Zwischenfall von vorhin. Sie packte fest den Griff des Gepäckwägelchens, löste die Arretierung und ging weiter.

Sie nahm das nächstbeste Taxi. Der Mann war mittleren Alters, hatte eine braune Lederjacke an und eine blaue Schirmmütze auf. Sein freundliches Lächeln war professionell. Er lud den Koffer der Kundin in den Wagen, und Kathryn Warner nahm hinten Platz. „Nun, wohin soll es denn gehen?“

Kathryn Warner runzelte die Stirn. Sie überlegte krampfhaft. Ihr Gesicht bekam eine ungesunde Farbe. Sie war in das Taxi mit der Gewißheit gestiegen, daß sie genau wußte, was sie wollte, und jetzt saß sie hilflos da und grübelte darüber nach, was ihr unerklärlicherweise völlig entfallen war. Wieder war da diese geheimnisvolle Angst. Ihr Herz pochte stärker. Sie fühlte sich bedroht und schaute sich angstvoll um.

Dem Taxifahrer dauerte es zu lange. Er wandte sich ihr zu.

Kathryn Warner war es, als flüstere ihr jemand ins Ohr. Sie verstand nicht, was die Stimme von ihr wollte, aber automatisch wiederholte sie die Worte - ohne sie selber bewußt wahrnehmen zu können.

Der Taxifahrer nickte und fuhr an. Mit großen Augen verfolgte Kathryn den Weg. Sie hatte keine Ahnung, wohin es ging. Plötzlich glaubte sie, laut schreien zu müssen, aber kein Ton drang über ihre Lippen, aus denen jedes Blut gewichen war. Sie hatte das Gefühl, eine eiskalte Hand würge sie. Das Taxi fuhr den York Way entlang und bog wenig später in die Wharfdale Road ein.

„Sind Sie neu in London?“ erkundigte sich der Taxichauffeur leutselig. Kathryn Warner schluckte einen imaginären Kloß hinunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, und zwang sich zu einer Antwort: „Nein, ich bin hier in Islington geboren.“

„Aha, dann wollen Sie wohl in der Bemerton Street Ihre Eltern besuchen?“

Kathryn Warner erschrak fast. Also fuhren sie in die Bemerton Street? Hatte sie das tatsächlich so verlangt? Aber... Ja, die Richtung stimmte. Eben bog das Fahrzeug in die Caledonia Road.

„N-nein“, antwortete sie zögernd.

„Waren Sie lange weg?“

„Ich war in Schottland verheiratet.“

Warum erzähle ich dem Mann alles? fragte sie sich überrascht. Aber sie spürte, daß das Gespräch sie ruhiger machte. Sie dachte kurz darüber nach. Was war mit ihr los? Alles war in Ordnung gewesen, bis sie sich angeschickt hatte, den Zug zu verlassen. Sie blickte hinaus. Irgendwie erschien ihr ihre Umgebung unwirklich. Das ist kein Wunder, denn du warst lange nicht mehr da, redete sie sich ein, und außerdem bist du übermüdet durch die lange Reise.

„Oh, ich verstehe“, hörte sie den Taxifahrer wie aus weiter Ferne sagen. „Nun, in Islington hat sich in den letzten Jahren eine Menge geändert. Sehen Sie da drüben den riesigen Kasten - Ecke Carnegie Street? Der hat vor einem Jahr noch nicht da gestanden. Gehört irgendeinem reichen Fritzen. Sind lauter Appartements darin. Allerdings hat er nur die Hälfte davon verkauft. Der Mann war die längste Zeit reich gewesen. Jeder lauert auf seine Bankrotterklärung.“ Sie passierten das Gebäude. Kathryn Warner betrachtete es ohne Interesse. „Na ja“, fuhr der Taxifahrer fort, „diese Leute fallen sowieso immer auf die Hinterbeine. Geht die eine Firma in Konkurs, gründen sie einfach eine neue.“

„Da haben Sie allerdings recht“, meinte Kathryn abwesend. Vor ihnen war die Kreuzung mit der Copenhagen Street. Sie mußten an der Ampel halten. Der Taxichauffeur trommelte irgendeinen Takt auf dem Lenkrad und pfiff dabei einen unbekannten Song. Kathryn störte es. Sie beugte sich etwas vor. „Entschuldigen Sie bitte, aber steht eigentlich noch das Old House Theatre?“

Der Mann runzelte die Stirn. Er zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Tut mir leid, aber das kenne ich nicht.“

„Macht nichts.“

„Wollen Sie auch dorthin?“

„Nein, nein“, winkte Kathryn ab, „dort hatte ich nur meinen ersten Auftritt.“

Der Taxifahrer räusperte sich, verkniff sich jedoch eine diesbezügliche Frage. Die Ampel schaltete auf Grün. Der Wagen ruckte an. „Ja, es hat sich wie gesagt viel verändert“, lamentierte der Fahrer. „Leider ist nicht alles positiv.“

„Wie meinen Sie das?“ erkundigte sich Kathryn, nur um irgend etwas zu sagen.

„Sie haben gar keine Ahnung, wie extrem die Kriminalität in der letzten Zeit gestiegen ist.“

Es folgte ein längerer Vortrag. Das Taxi fuhr bis zur Einmündung der Stanmore Street und bog erst dann ab. Kathryn hatte sich schon gewundert, daß dies noch nicht vorher passiert war, aber sie hatte nicht fragen wollen. Jetzt zeigte sich, daß sie dem Taxifahrer sogar die gewünschte Hausnummer gesagt hatte, und der Mann schien sich auszukennen. Die Stanmore Street stieß direkt auf die Bemerton Street. Der Mann hielt vor einem schäbig aussehenden Eckhaus und beendete seinen Vortrag über die Kriminalität in London und speziell im Stadtteil Islington. Er deutete auf den Taxameter.

Kathryn Warner kramte ihr Portemonnaie aus der Handtasche und bezahlte. Dann stieg sie aus.

„Soll ich Ihren Koffer tragen?“ erkundigte sich der Taxichauffeur höflich, nachdem er das voluminöse Ding ausgeladen hatte.

Bevor Kathryn noch zu einer Antwort kam, hörte sie wieder diese unheimliche Stimme, die direkt an ihrem Ohr „Red Hell Theatre!“ flüsterte. Erschrocken blickte sich Kathryn um, aber da war niemand. Der Taxifahrer lächelte erwartungsvoll.

„Sagen Sie, kennen Sie ein gewisses Red Hell Theatre?“ fragte Kathryn Warner aufs geratewohl.

Das Lächeln im Gesicht des Mannes gefror. In seine Augen trat ein seltsames Flackern. Er ließ den Koffer einfach zu Boden plumpsen, wandte sich brüsk ab, klemmte sich hinter das Steuer seines Taxis und brauste ohne ein weiteres Wort davon. Kathryn brauchte eine Minute, ehe sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte. Sie verstand die Reaktion des Mannes nicht.

„Red Hell Theatre - Theater zur roten Hölle oder so ähnlich“, murmelte sie vor sich hin. Sie lauschte den Worten nach. Die Bezeichnung erschien ihr recht eigentümlich, aber das erklärte das Verhalten des Taxifahrers in keiner Weise. Achselzuckend hob Kathryn Warner ihren Koffer hoch und wandte sich dem Gebäude zu, vor dem sie abgesetzt worden war. Sie war neugierig. Neben dem Eingang hing ein blatternarbiges Schild. Es fiel ihr nicht leicht, die Aufschrift zu entziffern: „Immobilienbüro Jake Devil.“

Sie erschrak über den Namen, schalt sich aber sofort eine Närrin. Devil war wohl nicht sehr häufig, hatte aber schließlich nichts zu bedeuten. Warum sollte der Besitzer des Maklerbüros nicht Teufel heißen?

Sie zögerte einzutreten. Da war wieder diese unbestimmte Angst. Das Gebäude kam ihr düster und bedrohlich vor. Kathryn blickte sich um. Die Straße war leer und verlassen. Es war nicht die vornehmste Umgebung. Aber nicht einmal spielende Kinder waren zu sehen. Die vielfältigen Geräusche der Millionenstadt London waren gedämpft, drangen wie durch dicke Watte zu ihr. Ihre Angst wuchs. Sie packte den Griff ihres Koffers fester und drückte entschlossen die Türklinke herunter.

Es war nicht abgeschlossen. Sie schob die Tür auf. Es quietschte fürchterlich in den Angeln. Muffiger Geruch, wie aus einer Gruft, schlug ihr entgegen. Hinter ihr fiel die Tür mit einem dumpfen Laut wieder zu. Die Steintreppe, die steil zu einer Art hölzernem Portal hinaufführte, war ausgetreten, aber sauber. In dem Treppenhaus herrschte Dämmerlicht, obwohl nirgendwo ein Fenster zu erkennen war, es also keine Lichtquelle gab.

Mit gemischten Gefühlen stieg Kathryn aufwärts. Sie war sicher, daß sie noch niemals in ihrem Leben hier gewesen war. Auch war ihr der Name Jake Devil kein Begriff. Trotzdem hatte sie dem Taxifahrer diese Adresse hier angegeben. Ein unerklärlicher Vorgang, aber jetzt war sie schon einmal da, und jetzt wollte sie mit diesem Devil sprechen. Sie brauchte eine möblierte Wohnung, um hier in London einen neuen Anfang zu finden. Warum sollte sie nicht ausgerechnet den Makler Jake Devil fragen?

Sie war auf halber Höhe angelangt, als plötzlich das hölzerne Portal ungestüm aufgestoßen wurde. Es öffnete sich zur Treppe hin. Wäre Kathryn noch ein paar Stufen höher gewesen, wäre sie hinuntergestoßen worden. Sie erschrak. Ein Mann stand in der Portalsöffnung. Sein pechschwarzes Haar war glatt zurückgekämmt und glänzte fettig. Der Haaransatz bildete in der Stirn ein spitzes Dreieck. Die Augen des Mannes schienen zu glühen. Sein Gesicht war unnatürlich bleich. Er war ganz in Schwarz gekleidet. Der Blick, den er Kathryn zuwarf, ließ die Frau erschauern. Als er an ihr vorbeirauschte, erkannte sie erstaunt einen kurzen, faltenreich bis in Taillenhöhe herunterfallenden Umhang, der jetzt hinter dem Fremden herflatterte. Der Mann öffnete die Tür. Obwohl hellichter Tag war, trat er in absolute Finsternis hinaus. Die Tür knallte hinter ihm zu.

Kathryn lauschte unwillkürlich, aber da waren keine Schritte, die sich draußen entfernten. Ihr wurde kalt, obwohl es in dem Treppenhaus sehr warm war. Bebend ging sie weiter, erreichte das Portal und wollte den einen Flügel zu sich heranziehen, doch es ging nicht. War abgeschlossen? Sie rüttelte daran. Der Flügel des Portals wich nach innen zurück.

Erstaunt betrachtete Kathryn ihn. Deutlich erkannte sie, daß das Portal nur nach innen zu öffnen war. Aber sie hatte doch eben gesehen, daß es sich bei dem Fremden zur Treppe hin geöffnet hatte! Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Litt sie unter Halluzinationen? Wundern täte sie das nicht. Sie mußte unwillkürlich daran denken, wie seltsam ihr alles seit ihrer Ankunft erschien.

Nein, den Fremden mußte sie sich eingebildet haben. Ein solcher Mensch würde doch auf der Straße sofort auffallen. Er war so eigenartig gekleidet gewesen - fast wie bei einer Aufführung von Goethes Faust. Eine eiserne Klaue schien sich um ihr Herz zu legen, aber sie zwang sich dazu, langsam weiterzugehen.

Sie stand in einer düsteren Halle, von der mehrere Türen abgingen. Inmitten der Halle war ein Fahrstuhl mit offenem Korb. Er sah altmodisch und wenig vertrauenserweckend aus. Der Schacht aus kunstvoll geschmiedetem Eisen verschwand in einer Öffnung in der Decke. Unschlüssig blickte sich Kathryn um. Sie wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte. Auch hier befand sich nirgendwo ein Fenster, und dennoch kam von irgendwoher Licht, das alles gut erkennen ließ. Vergeblich suchte sie nach dem Firmenschild des Immobilienmaklers. Es gab offenbar keines.

Die Angst in ihrem Innern machte leichtem Ärger Platz. Entschlossen wandte sie sich wieder dem Ausgang zu und öffnete. Sie wollte dem unheimlichen Haus den Rücken kehren.

Kaum hatte sie geöffnet, gewann sie fast den Eindruck, unter ihr öffne sich - ausgelöst davon - ein Abgrund. Die Steintreppe war spurlos verschwunden! Direkt vor ihr war der Bürgersteig!

Sie rang röchelnd nach Luft und warf sich herum. Die Halle erschien plötzlich wesentlich kleiner, auch schienen weniger Türen aus ihr zu führen, und gleich links war eine mit dem großen Schild: „Immobilien Jake Devil“.

Kathryn Warner ging hin und klopfte. Die Tür war schwer und reich mit Schnitzerei verziert. Unwillkürlich betrachtete Kathryn sie, aber sie wurde aus den eigenartigen Dingen, die da abgebildet waren, nicht recht klug. Wenn man sekundenlang daraufsah, verschwammen sie vor den Augen.

Kathryn zwinkerte nervös und klopfte ein weiteres Mal. Kein Laut drang aus dem Raum, der dahinter lag. Plötzlich öffnete sich die Tür. Kathryn blickte überrascht hinein. Das Licht in dem Büro war quittegelb und kam aus einer nicht erkennbaren Quelle. Die hölzernen Möbel machten einen wurmstichigen Eindruck. Rechts an der Wand erhob sich ein wackeliger Aktenschrank, der geöffnet war. Die Akten darin waren nicht sehr ordentlich untergebracht, und Kathryn glaubte, auf einigen eine dicke Staubschicht zu sehen.

Auch das Büro hatte keinerlei Fenster. Dominierend in ihm war ein großer, gebückt erscheinender Mann. Das Gesicht war im Verhältnis zur Körpergröße sehr klein und hatte ein spitzes Kinn. Die Haare erinnerten an den Mann, dem Kathryn begegnet zu sein glaubte. Überhaupt schien zwischen beiden Männern eine gewisse Ähnlichkeit zu bestehen.

Der Mann lächelte. Irgendwie erschien es diabolisch und ohne Wärme. „Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?“ ächzte er. Sein Atem roch schweflig. Das war überhaupt ein Geruch, der in dem Büro vorherrschte.

Benommen trat Kathryn Warner näher. Der Mann schloß hinter ihr die Tür und humpelte zu seinem Schreibtisch. Ja, er humpelte, und Kathryn blickte unwillkürlich auf seine Beine. Der eine Fuß, der aus dem Hosenbein lugte, war stark verdickt. Kathryn lächelte unwillkürlich. Zum erstenmal in ihrem Leben sah sie einen Mann, dessen einer Fuß aussah wie eine übergroße Bocksklaue.

Im nächsten Augenblick wurde ihr das bewußt, und sie vermeinte fast, der Schlag treffe sie. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Sie mußte sich geirrt haben, und als sie noch einmal auf die Beine des Maklers sah, waren da zwei ganz normale Füße. Der Mann ging weiter, und diesmal humpelte er auch nicht. Auch erschien seine Haltung nicht mehr geduckt. Der runde Buckel hatte sich gestrafft, wenn der Mann auch insgesamt kleiner als zu Anfang wirkte.

„Aber nehmen Sie doch bitte Platz“, sagte der Makler freundlich und deutete auf einen antiken Polsterstuhl vor seinem Schreibtisch.

Kathryn setzte sich dankbar. Hätte sie es nicht getan, hätten ihr wahrscheinlich die Beine ihren Dienst versagt. Es wäre ihr peinlich gewesen, wäre sie in dem Maklerbüro zusammengebrochen. Ich scheine krank zu sein, redete sie sich ein. Das sind deutliche Symptome. Ich habe ständig Halluzinationen. Vielleicht bin ich gar nicht in einem Maklerbüro? Vielleicht sitze ich noch immer im Zug und bin noch gar nicht ausgestiegen?

Bevor sie Panik überfiel, lenkte sie ihre Gedanken auf andere Dinge. Der Makler deutete eine leichte Verbeugung an. „Ich bin Jake Devil und immer gern zu Ihren Diensten.“

Kathryn schluckte. „Kathryn Warner“, stellte sie sich vor. „Ich - ich bin erst vor einer Stunde angekommen. Bisher habe ich in Ashtonville, oben in Schottland, gewohnt. Das ist nur ein kleiner Ort.“

„Oh, was hat Sie denn nach London verschlagen?“

Devil setzte sich hinter seinen Schreibtisch und spielte mit einem Füllfederhalter, der die Form eines Fingers hatte. Die Stahlfeder erschien wie ein spitzer Fingernagel.

Kathryn achtete nicht auf dieses Detail. Sie war froh, zu jemandem sprechen zu können. „Ich bin hier geboren“, gab sie bereitwillig Auskunft. „Vor Jahren heiratete ich und zog weg.“

„Dann ist Warner wohl der Name Ihres Mannes?“

Das Gesicht der schönen Frau beschattete sich.