TEUFELSJÄGER: Die 6. Kompilation - W. A. Hary - E-Book

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W. A. Hary

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Beschreibung

TEUFELSJÄGER: Die 6. Kompilation - A. Hary: "Diese Kompilation beinhaltet die Bände 26 bis 30 der laufenden Serie!"   Die Mumie erreichte London am Abend. Das Schiff, auf dem sie sich befand, wurde aus­gerechnet um Mitternacht ent­laden. Die Hafenarbeiter schufte­ten stumm und konzentriert. Nacht­schicht. Wer mochte das schon? Auf der Kiste mit der Mu­mie stand "Persönliche Effekte". Die Papiere für den englischen Zoll wiesen Um­zugs­gut eines ge­wissen Don Coopers aus. Abholer sei Ro­nald Cooper, Don Coopers Bruder. Zwei der Arbeiter befestigten das Seil an der Kiste. Sie gaben dem Kranführer das Zeichen. Lang­sam hob sich die Kiste aus dem Bauch des Schiffes. Da hör­ten sie zum ersten Mal das laute Stöhnen. Die Arbeiter blickten sich an. Abermals stöhnte je­mand abgrundtief. Sie erschrak­en, schauten in die Runde. Alles war taghell ausgeleuchtet. Er­laubte sich jemand einen Scherz mit ihnen?   Enthalten in der 6. Kompilation: 26 "Tote, die nicht ruhen können" (TG) 27 "Satansbräute weinen nicht" (TG) 28 "Ein Geist lädt ein zum Gruseln" (TG) 29 "Grüße vom Leibhaftigen" (TG) 30 "Es ist nicht alles Geist, was spukt" (TG) Alle von W. A. Hary! ________________________________________ Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie Teufelsjäger: Wilfried A. Hary!   Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by hary-production.de   Diese Serie erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Seit Band 21 wird sie hier nahtlos fortgesetzt! Jeder Band ist jederzeit nachbestellbar.   Nähere Angaben zum Autor siehe hier: de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary

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W. A. Hary

TEUFELSJÄGER: Die 6. Kompilation

„Diese Kompilation beinhaltet die Bände 26 bis 30 der laufenden Serie!“

Nähere Angaben zum Autor siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._HaryBookRix GmbH & Co. KG80331 München

Titel

Wichtiger Hinweis

Diese Serie erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Seit Band 21 wird sie hier nahtlos fortgesetzt! Jeder Band (siehe Druckausgaben hier: http://www.hary.li) ist jederzeit nachbestellbar.

TEUFELSJÄGER

Die 6. Kompilation

W. A. Hary: „Diese Kompilation beinhaltet die Bände 26 bis 30 der laufenden Serie!“

Impressum

Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

ISSN 1614-3329

Copyright dieser Fassung 2018 by www.HARY-PRODUCTION.de

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

Covergestaltung: Anistasius

1

 

Die Mumie erreichte London am Abend. Das Schiff, auf dem sie sich befand, wurde aus­gerechnet um Mitternacht ent­laden. Die Hafenarbeiter schufte­ten stumm und konzentriert. Nacht­schicht. Wer mochte das schon? Auf der Kiste mit der Mu­mie stand »Persönliche Effekte«. Die Papiere für den englischen Zoll wiesen Um­zugs­gut eines ge­wissen Don Coopers aus. Abholer sei Ro­nald Cooper, Don Coopers Bruder.

Zwei der Arbeiter befestigten das Seil an der Kiste. Sie gaben dem Kranführer das Zeichen. Lang­sam hob sich die Kiste aus dem Bauch des Schiffes. Da hör­ten sie zum ersten Mal das laute Stöhnen. Die Arbeiter blickten sich an. Abermals stöhnte je­mand abgrundtief. Sie erschrak­en, schauten in die Runde. Alles war taghell ausgeleuchtet. Er­laubte sich jemand einen Scherz mit ihnen?

In der Kiste rumpelte es. Sie schwankte am Seil hin und her, löste sich, krachte herab. Die Arbeiter konnten sich gerade noch in Sicherheit bringen. Die Kistenwände verschoben sich et­was. Ansonsten überstand sie den Absturz sehr gut.

»Ronald Cooper!« grollte je­mand. Lauter: »Ronald Cooper! Ich soll dir gehören, aber ein To­ter gehört niemals einem Lebenden!«

Einer der beiden Arbeiter griff sich ans Herz und kippte um. Andere wurden aufmerksam. Sie vergaßen ihren Job, traten näher. Was ging hier vor?

Der Vorarbeiter wollte seine Leute antreiben, doch das Wort blieb ihm im Hals stecken, denn in diesem Augenblick brach eine geballte Faust durch das roh zu­sammengezimmerte Holz der Kis­te.

Und die grollende Stimme sag­te:

»Denn mein ist die Macht des Bösen!«

»Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?« brüllte der Lademeister außer sich, der wei­ter weg stand und anscheinend von den Vorgängen gar nichts mitbekam. »Euch mache ich Beine, ihr Penner! Wozu werdet ihr bezahlt?«

In die Ladearbeiter kam Bewe­gung. Sie kümmerten sich zu­nächst um den Bewußtlosen. Er wurde schleunigst in die Obhut eines Arztes gegeben.

Der Lademeister, der schon wieder an einen Streik geglaubt hatte, atmete erleichtert auf.

Die Arbeit ging weiter. Die Kis­te aus Ägypten, die angeblich »persönliche Effekte« eines Don Copper enthielt, hing leicht pen­delnd und anscheinend völlig un­beschädigt am Stahlseil und verließ das Schiff.

Der Kran brachte sie an Land. Dort stand sie, zunächst unbe­achtet. Niemand konnte sich mehr an den Zwischenfall er­innern. Hatte es überhaupt ei­nen gegeben?

Nur einer würde später davon sprechen: der mit dem Herzanfall. Niemand würde ihm Glauben schenken, denn »persönliche Effekte« waren schließlich nicht in der Lage, dermaßen aus der Rolle zu fallen.

Dabei war alles erst der Anfang einer ganzen Kette von Ereignissen.

Zielobjekt war vorderhand Ro­nald Cooper.

*

 

In der Frühe wurde Ronald Cooper benachrichtigt. Tele­fonisch.

Ronald Cooper runzelte die Stirn. Er war etwas älter als Don und von ihm rein äußerlich schon so verschieden, wie sich Brüder nur unterscheiden konnten. Ro­nald besaß nicht die hochge­wachsene, durchtrainierte und mithin muskelbepackte Figur von Don und auch nicht diese männ­lich-herbe Schönheit, die auf die meisten Frauen wirkte und Don zu manchen Erfahrungen mit dem angeblich so schwachen Ge­schlecht verhalf. Ronald Cooper war kleiner, wirkte drahtig. Er war der typische Vertreter des Geschäftsmannes in den besten Jahren, mit bereits deutlich aus­geprägter Stirnglatze. Mit Frauen hatte er wenig im Sinn. Deshalb war ihm die eigene Frau auch da­vongelaufen. Vollauf beschäftigt mit der Wahrung seiner Geschäfte, blieb ihm keine Zeit für andere Dinge, was ein Grund mit war, warum er für die Lebensweise seines »abenteuerlichen« Bruders nur Verachtung übrig hatte.

Und jetzt das: Umzugsgut von Don Cooper, um das er sich küm­mern soll! Nach Lage der Dinge mußte er sich sogar per­sönlich bemühen. Ronald Cooper wußte eine Menge unflätiger Be­merkungen, um seinem Zorn Luft zu machen. Allein seine gute Er­ziehung verbot ihm, sie auch zu gebrauchen. Er sagte telefonisch ein paar Termine ab und machte sich auf den Weg. Diesmal fuhr er den Wagen selbst. Seinen Fahrer bemühte er ohnedies nur, wenn es aus Gründen der Repräsentation ­unerläßlich er­schien.

Gegen zehn Uhr traf er ein. Man verwies ihn zum Zollager, wo die Kiste auf ihn wartete. Der Spediteur stand schon bereit. Er würde für Ronald Cooper alle Formalitäten erledigen. Dazu be­nötigte er jedoch den konkreten Auftrag von Ronald Cooper. Und Ronald war hier, um eine Möglichkeit zu finden, den Kelch an sich vorüberziehen zu lassen. Die Belange seines Bruders inter­essierten ihn nicht. Es reichte sei­ner Meinung nach, wenn er seine monatlichen Zahlungen an Don tätigte und von Fall zu Fall ordentliche Verträge mit un­terzeichnete, die Don auf seinen ausgedehnten Auslandsreisen zum Wohle der gemeinsamen Firma anregte. Nur in dieser Be­ziehung vermochte Ronald Cooper, für seinen Bruder so et­was wie Verwandtschaft zu emp­finden. Es war der einzige Punkt, in dem sie sich berührten und auch das Motiv, warum Ronald nie auf die Idee kam, die monatlichen Zahlungen zu ver­weigern. Don brachte sie mehr­fach wieder herein, wenn er aus­nahmsweise einmal Ge­schäfts­tüchtigkeit bewies.

»Das ist die Kiste!« sagte der Angestellte der Spedition vor­sichtig. Ihm war nicht entgangen, wie übel gelaunt der große Ronald Cooper war.

Mißmutig sah Ronald die Pa­piere ein. »Ich möchte den Inhalt sehen!« forderte er.

Die beiden Zöllner, die sich ebenfalls in ihrer Begleitung befanden, gaben dem Spediteur einen Wink. Der Mann setzte das Brecheisen an. Unter dem Deckel kam zunächst Holzwolle zum Vor­schein. Neugierig geworden, beugten sich die Zöllner vor, um besser sehen zu können. Von Umzugsgut keine Spur. Abgese­hen von der Holzwolle war die Kiste leer! Während Ronald Cooper wie ein Karpfen nach Luft schnappte, knurrte einer der Zoll­beamten: »Ein übler Scherz, wie?«

Ratlos zuckte der Spediteur mit den Schultern.

Der zweite Zöllner fing sich schnell: »Nehmen Sie die Kiste auseinander!«

»Warum?« weigerte sich der Spediteur.

Der Zollbeamte griff nach der Kiste und versuchte, sie hochzu­heben. Sie war schwer wie Blei. »Deshalb!« knurrte er böse. Ro­nald Cooper vergaß allmählich seinen Ärger. Er begann zu be­greifen, daß mit der Kiste etwas nicht stimmte.

Lustlos machte sich der Spe­ditionsangestellte daran, die Kiste mit dem Brecheisen zu zerlegen. Niemand half ihm dabei, was seine Laune nicht gerade verbesserte. Er malte sich in Gedanken bereits aus, was für eine Rechnung er Ronald Cooper ausstellen würde. Die eine Holzwand krachte zur Seite. Die ganze Holzwolle quoll heraus. Der Spediteur trat mitten hinein und wollte weitermachen. Plötzlich ein aufgebrachtes Stöhnen, das direkt aus der Holzwolle zu kommen schien.

Alle zuckten zusammen. Der Spediteur fuhr zurück, wie von einer Tarantel gebissen. Einer der Zöllner bewies Mut Vorsichtig teilte er die Holzwolle. Da war ab­solut nichts! Er nahm dem Spedi­teur das Brecheisen ab. »Jetzt will ich es genau wissen!« Rücksichts­los schlug er auf das Holz ein, bis sich alle vier Wände gelöst hatten und am Boden lagen, übersäht mit Holzwolle. Probehalber wurden die Holzteile angehoben. Ein ganz normales Gewicht. Trotzdem mußten zwei Lager­arbeiter die Teile zum Röntgenge­rät bringen.

Es brachte kein Ergebnis. Die Kiste war und blieb leer. Es war dem Spediteur überlassen, sie wieder notdürftig zusammen zu nageln. Da sie an die Adresse von Ronald Cooper gehen sollte, tat sie das auch - ob leer oder nicht. Ronald wehrte sich nicht dagegen. Er wollte das Ding auf­heben, um später Don zur Rede zu stellen. Solche Scherze konnte er nämlich auf den Tod nicht ausstehen. Aber dafür mußte Don erst einmal wieder auftau­chen. Ronald hatte keine Ahnung, wo sich sein Bruder zur Zeit aufhielt.

Die nächste Station der myster­iösen Kiste war der Keller von Ronald Coopers Villa. Die Un­terbringung überwachte er per­sönlich. Sie bekam einen Ehren­platz inmitten von Gerümpel aus längst vergangenen Zeiten.

Gerade als Ronald Cooper den Keller verließ, kam die Post. Ein Brief wurde abgegeben. Als Ro­nald den Absender las, schwoll ihm die Zornesader erneut. Ir­gendeine ägyptische Adresse von seinem Bruder. Ronald schickte den Butler hinaus und brach das Kuvert auf.

»Lieber Ronald, ich hoffe, daß Dich Brief und Kiste möglichst gleichzeitig erreichen. Ich wollte Dir eine Freude machen. Du weißt, daß ich Deine Samml­erleidenschaft, alte Sachen be­treffend, noch nie teilte. Für mich sind Antiquitäten einfach Dinge, die andere nach Gebrauch weggew­orfen haben. Trotzdem diese Sendung. Um sie überhaupt aus dem Land kriegen zu können, habe ich sie bei der Ausfuhr als Umzugsgut deklariert. Hoffentlich sind die Schwierigkeiten, die Du beim englischen Zoll hast, nicht zu groß. Denn die Kiste enthält eine echte Mumie! Ja, Du liest richtig, Ronald: eine Mumie! Sie hat einen beträchtlichen Wert, wie Du Dir vorstellen kannst. Nimm sie als ein brüderliches Ge­schenk. Ich kann sowieso nichts damit anfangen. Mit freundlichen Grüßen Dein Bruder Don aus Ägypten.«

Ronald Cooper las den Brief fünfmal und fragte sich jedesmal, was er davon halten sollte. Und dann ging er hoch wie eine Rake­te. Wenn Don nicht völlig ver­rückt war und hier die Wahrheit schrieb, dann konnte es nur so sein, daß jemand die Mumie gestohlen hatte!

Ronalds nächster Gang war zum Telefon. Er alarmierte den Hafenzoll. Es kam nicht alle Tage vor, daß etwas aus dem Zollager verschwand. Deshalb würde das die Zöllner mit Sicherheit interes­sieren.

Ronald Cooper irrte sich ge­waltig. Der englische Zoll fühlte sich eher auf den Arm genom­men. Nur Ronalds gewich­tiger Name hielt sie davon ab, ihn wegen Beleidigung anzuzeigen. Es bedurfte viel Überredung, bis sie sich der Mühe unterzogen, im Zollager nachzusehen.

Dabei kam heraus, daß je­mand gewaltsam ein Fenster ge­öffnet hatte. Das Ungewöhnliche dabei war allerdings, daß dies of­fensichtlich von innen geschehen war. Also eher ein Ausbruch als ein Einbruch. Und jetzt glaubte man auf einmal den Worten des Ladearbeiters, der in der Nacht einen Herzanfall bekommen hatte. Man interpretierte das allerdings so, daß sich in der Kis­te zweifelsohne ein blinder Passa­gier befunden haben mußte. Für Ronald Coopers Hinweis auf eine Mumie hatte man höchstens ein müdes Lächeln übrig. Die Fahn­dung lief an. Auch New Scotland Yard wurde eingeschaltet.

 

2

 

May Harris, meine Freundin, und ich, Mark Tate, waren gerade beim Lunch, als das Telefon klingelte. May war eine ausgez­eichnete Köchin. Es schmeckte ihr selber, weshalb sie ein wenig wehmütig in ihren Teller blickte.

Ich hatte ein Herz für sie und stand auf. »Laß nur, May, ich ge­he schon ran!« Ich nahm den Hö­rer ab und meldete mich.

»Scotland Yard, ich verbinde«, sagte eine angenehme weibliche Stimme. Scotland Yard? echote ich in Gedanken.

Es knackte in der Leitung. Dann ertönte eine männliche Stimme: »Furlong!« Also mein Freund, Chefinspektor Tab Fur­long.

»Ich bin es, Mark. Was ist los, Tab? Du störst uns am Mittags­tisch.«

»Tut mir leid, Herr Privatdetekt­iv, aber ich habe eine Nachricht, die dich am nächsten Brocken verschlucken läßt.«

»Schieß los!« bat ich. Eine böse Vorahnung peinigte mich. Wenn Tab so sprach, dann war etwas passiert, und zwar etwas, was man nicht alltäglich nennen konnte.

»Kennst du Dons Bruder?«

»Nein, nicht einmal seinen Namen. Don schweigt sich über seine Verwandtschaft aus. Er be­hauptete einmal, das Schwarze Schaf zu sein und nicht einzuse­hen, daß er mit den weißen Läm­mern überhaupt verkehren sollte.«

»Er heißt Ronald und ist ein angesehener Bürger Londons. Nicht nur das. Don hat ihm aus Ägypten ein äußerst unge­wöhnlic­hes Geschenk ge­schickt.«

»Was für ein Geschenk? Aus Ägypten sagst du? Jetzt weiß ich endlich, wo sich Don Cooper und Lord Frank Burgess herum­treiben.«

»Im Moment ist das nicht so von Interesse, Mark. Halte dich fest! Don schickte per Seefracht eine Kiste mit einer Mumie! Allerdings ist die Kiste jetzt leer.« Er erzählte mir mit knappen Wor­ten, was er wußte. Demnach be­schäftigte sich ein Kollege von ihm mit der Angelegenheit. Von die­sem hatte Tab auch den Hin­weis über die Mumie be­kommen. Im Gegensatz zu allen anderen konnte Tab Furlong darüber nicht lachen. Er hatte in seinem Leben genug erlebt, um zu wissen, daß es Dinge gab, die man mit dem menschlichen Verstand nicht erfassen konnte.

Das Gespräch endete mit dem Versprechen meinerseits, einmal Ronald Cooper persönlich aufzu­suchen. Vorher allerdings widme­te ich mich dem Mittagsmahl, ehe es kalt wurde und nur noch halb so gut schmeckte.

May erfuhr von mir, um was es ging.

 

*

 

Ronald Cooper war um diese Tageszeit selbstverständlich nicht mehr daheim anzutreffen. Er war damit beschäftigt, sein Wirt­schaftsimperium in einer Manier zu regieren, die für seine persönli­che Entfaltung keinen Platz mehr ließ. Ich dachte es mir und steuerte den gemieteten Austin von Mays Wohnung direkt zu der Adresse, die mir Tab Furlong angegeben hatte. Das Verwal­tungsgebäude erwies sich als Glaspalast, der mir einen Ein­druck davon vermittelte, wie reich mein Freund Don Cooper in Wirklichkeit war. Gedanken hatte ich mir bislang keine darüber ge­macht. Das Geld hatte Don und mich noch nie auf Distanz zuein­ander gehalten.

May hatte es sich nicht nehmen lassen, mit von der Partie zu sein. Wir suchten uns einen Parkplatz und stiegen aus. May legte den Kopf in den Nacken. »Das also hat Don ge­meinsam mit seinem Bruder Ro­nald geerbt.«

»Irrtum!« belehrte ich sie. »Erstens ist es nur ein Teil davon, und zweitens ist Ronald Cooper der eigentliche Erbe. Testamen­tarisch wurde verfügt, daß Ro­nald allein mit der Führung des Wirtschaftsimperiums betraut ist. Der Alte hat seine Söhne gut ge­kannt. Sein Testament ist mehr als gerecht. Und Don ging schließlich auch nicht ganz leer aus dabei. Für ihn ist lebenslang gut gesorgt. Er kann das Leben eines reichen Playboys führen. So bleiben seine Beiträge zum Erhalt der Firma rein freiwillig, was sie nur noch effektiver machen.«

»Danke für den Vortrag«, sagte May sarkastisch. »Aber jetzt bin ich auf diesen Ronald Cooper ge­spannt. Vor allem darauf, wie er auf unseren Besuch reagiert.«

Ja, das fragte ich mich allerdings auch. Die Freunde von Don Cooper mußten nicht unbe­dingt Freunde von Ronald Cooper sein.

Bis zum Vorzimmer des all­mächtigen Chefs gelangten wir. Weiter nicht. »Mr. Cooper bedau­ert, Mr. Tate, Sie im Moment nicht empfangen zu können«, wies uns die Chefsekretärin kühl ab. Sie war mir unsympathisch in ihrem altmodischen, unvorteil­haften Kleid, dem Vogelgesicht und dem stechenden Blick. Das personifizierte Klischee des Bü­rodrachens. Hatte sie Ronald Cooper engagiert, um unliebsame Besucher zu erschrecken? Aber immerhin war ich gewöhnt, mich mit Dämonen und Monstern aus jenseitigen Gefilden herumzu­ärgern. Die Sekretärin vermochte mich nicht in die Flucht zu schlagen.

»Nun gut, wir können ja hier warten«, entgegnete ich liebens­würdig.

»Es kann lange dauern, Mr. Tate, denn Mr. Cooper befindet sich in einer wichtigen Sitzung.«

»Trotzdem, richten Sie ihm noch einmal aus, wir seien Freunde seines Bruders und in­teressierten uns für die Mumie, die ihm Don heute morgen schickte.«

So genau hatte ich es vorher nicht formuliert. Die Chefsekretä­rin betrachtete mich, als wäre sie am Überlegen, ob es nicht sinn­voller sei, die Polizei einzuschal­ten. Sie entschied sich dagegen und drückte die Sprechtaste der Hausanlage.

»Ja?« meldete sich eine miß­mutige Stimme.

»Sir, die beiden Freunde Ihres Bruders lassen sich nicht ab­weisen. Sie...«

»Ja, habe ich Ihnen denn nicht gesagt, daß...?«

Die Sekretärin bewies, daß sie sich durchsetzen konnte. Sie un­terbrach Ronald Cooper. »Ja, Sir, ich habe es schon begriffen, aber Mr. Tate behauptet, es handele sich um die Lieferung einer Mumie.«

Ronald Cooper vergaß zu ant­worten. Es dauerte eine halbe Mi­nute, ehe er wieder von sich hö­ren ließ. »Eine Viertelstunde, dann ist das Wichtigste bespro­chen. Sagen Sie Mr. Tate, er möge sich so lange gedulden!«

Ich war zufrieden. Mehr hatte ich nicht erreichen wollen. Wir setzten uns. Die Chefsekretärin erledigte irgendwelche Schreib­arbeiten. Dabei schaute sie immer wieder zu uns herüber. Wie ein Raubvogel, der seine Beute sichert! dachte ich miß­mutig. May und ich sprachen kein Wort miteinander. Beide hingen wir unseren eigenen Gedanken nach.

Es wurde länger als verspro­chen. May und ich waren bereits ungeduldig. Die Stimme von Ro­nald Cooper meldete sich wieder per Sprechanlage. »Sie können jetzt die beiden hereinlassen!« schnarrte er.

Die Sekretärin stand auf und winkte uns zur gepolsterten Zwi­schentür. Von Höflichkeit schien sie nichts zu verstehen. Ich spür­te leisen Groll wegen dieser Be­handlung, sagte jedoch nichts, sondern bereitete mich auf Dons Bruder vor. Die Sekretärin öffnete einen Zwischenraum. Rechts und links Wandschränke. Nach drei Schritten die zweite Tür. Die Chefsekretärin ging voraus und trat als erste in das Allerheiligste von Ronald Cooper. So weit wären wir erst einmal! dachte ich grim­mig. Ronald Cooper kam gerade aus dem großen Konferenzraum, der sich an sein Büro anschloß. Eine steile Sorgenfalte stand über seiner Nasenwurzel, als er uns betrachtete. Ich fühlte mich un­behaglich.

»Mr. Tate und Mrs. Harris!« meldete die Sekretärin artig.

Ronald Cooper knallte die Tür zum Konferenzraum zu und stampfte näher. Hinter seinem Schreibtisch baute er sich auf. Die Sekretärin winkte er hinaus. Es war, als brauchte Ronald Cooper den Schreibtisch, um eine Barriere zwischen uns aufzubau­en. »Bitte, setzen Sie sich!« Mit der ausgestreckten Hand deutete er auf die Sesselgruppe.

Wir ließen uns nieder. Dann erst nahm auch Cooper Platz. Die Ellenbogen stützte er auf den Schreibtisch. Er legte die Fin­gerkuppen gegeneinander. »Ich habe nicht lange Zeit. Wissen Sie etwas über meinen Bruder? Was soll die Geschichte mit dieser Mumie, die niemals ankam?«

May Harris und ich tauschten einen raschen Blick. Ronald Cooper hatte offensichtlich Mühe, uns einigermaßen höflich zu be­handeln. Am liebsten hätte er uns wieder hinausgeworfen. Beru­higend hob ich die Arme. »Keine Sorge, Mr. Cooper, wir werden Ih­re kostbare Zeit nicht über Ge­bühr in Anspruch nehmen. Ehr­lich gesagt, wir wissen selber nicht, wo sich Ihr Bruder zur Zeit aufhält.«

»Wieso haben Sie dann von dem Zwischenfall erfahren?«

»Nun, wir haben halt unsere Verbindungen«, wich ich aus.

Cooper lehnte sich zurück und fixierte uns. »Aha, das wollen Sie mir also nicht sagen. Was wissen Sie überhaupt?«

»Daß Don Ihnen angeblich eine Mumie geschickt hat und daß diese verschwunden ist.«

»Mehr nicht?«

Ich bestätigte das.

»Und was wollen Sie von mir?«

Mein Ärger wuchs. »Hören Sie, Mr. Cooper, ich kenne Ihren Bru­der recht gut und mache mir ernstlich Sorgen um ihn.«

»Sie sind doch dieser Privatde­tektiv, der in Sachen Geister reist, nicht wahr?«

Ich verzog das Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse. »So wie Sie das formulieren, be­stätige ich es nur ungern, aber es bleibt mir wohl nichts anderes übrig.«

»Ja, Don hat Sie einmal erwähnt, bei einem Telefonat. Er hat eine Reihe von Verrücktheiten von sich gegeben. Was haben Sie denn vor, Mr. Tate? Wollen Sie mich jetzt auch bekehren? Tut mir leid, aber ich bin ein Mensch, der mit beiden Beinen auf der Erde steht.« Er stand auf und blickte demonstrativ auf seine Armbanduhr. »Meine Zeit ist wirklich knapp bemessen. Die Se­kretärin begleitet Sie nach draußen.« Ich wollte noch etwas sagen, aber Ronald Cooper fiel mir ins Wort. »Sinnlos, das Gespräch weiterzuführen, Mr. Ta­te, ich habe für diese Art von Konversation keine Zeit!«

Wortlos wandten wir uns zur Tür. Die Chefsekretärin öffnete. Höflich aber bestimmt dirigierte sie uns hinaus. Mir fiel nur auf, daß sie zuvorkommender war als zu Beginn. Positiv war das allerdings ganz und gar nicht zu werten.

Als wir unten in den Wagen stiegen, sagte ich zu May: »Hoffentlich hat Ronald Cooper mit dem Hinauswurf keinen Feh­ler begangen!«

Sie blickte an dem riesigen Verwaltungsgebäude empor. »Die­se Hoffnung hege ich allerdings auch. Wir sollten uns in deiner Wohnung aufhalten. Deine Tele­fonnummer steht im Telefonbuch. Möglicherweise greift Ronald Cooper im Notfall doch auf dich zurück?«

 

3

 

Der Abend kam und für Ro­nald Cooper der Feierabend. Zu seiner Villa fuhr er nicht allein. Der Chauffeur wurde ausnahms­weise bemüht. Längst war die Dunkelheit hereingebrochen, als Ronald Cooper daheim anlangte. Er schickte den Fahrer weg, nachdem er ihm das Versprechen abgenommen hatte, am nächsten Morgen pünktlich wieder zu erscheinen. Dann widmete er sich dem Tagesbericht des Butlers. Nur mit halbem Ohr hörte er zu. Schließlich wurde auch der Diener weggeschickt. Er würde diese Nacht ausnahmsweise nicht im Hause schlafen. Am nächsten Morgen hatte er frei und wollte das nutzen. Ronald Cooper war das egal. Er würde früh ins Bett gehen.

Kaum hatte er sich ausge­kleidet und Abendtoilette ge­macht, als er das auch tat. Ronald Cooper war todmüde. An seinen Bruder und dessen Um­gang verschwendete er keinen einzigen Gedanken mehr. Deshalb schlief er auch sofort ein.

Ronald Cooper hatte keine Ahnung, wieviel Uhr es war, als er plötzlich erwachte. Ver­ständnislos starrte er in die Dun­kelheit. Was hatte ihn geweckt? Schon wollte er die Augen schließen und sich wieder dem Schlummer hingeben, als ein eiskalter Lufthauch über ihn hin­wegstrich. Abermals starrte er in das Dunkel. Aus den Schatten der Nacht schälte sich eine Gestalt. Zum zweitenmal der eisige Hauch. Hatte er seinen Ur­sprung am teilweise offen­stehenden Fenster? Dürftiger Schein erhellte den Fenstervor­hang, der sich im hereinwe­henden Wind leicht bauschte. Ein Schlurfen, als zöge jemand seine Füße über den Boden. Die Gestalt! Bewegung kam in sie.

Ronald Cooper hatte den Ein­druck, eine Hand greife nach sei­nem jetzt wie rasend po­chenden Herzen, um es anzuhal­ten. »Ist da jemand?« stöhnte er. Das Schlur­fen verstummte. Noch immer be­wegte sich der Schatten, kam je­doch ins Wanken und kippte dann lautlos um.

Wie der Blitz war Ronald Cooper am Lichtschalter, betätig­te ihn. Er vergaß zu atmen. Kalte Schweißperlen traten auf seine Stirn, die Augen waren unnatür­lich geweitet. Vorsichtig lugte er um das Fußteil des herrschaftli­chen Bettes. Nichts! Absolut nichts!

Er warf die Decke beiseite und sprang auf. Im Zimmer war es kühl. Ihn fröstelte. Automatisch griff er sich dem Morgenmantel und zog ihn an. Seine nackten Füße tapsten über den Boden. Er umrundete das Bett. Ja, da war wirklich nichts und niemand. Er mußte sich geirrt haben. Doch dann stutzte er. Ein seltsamer Geruch stieg ihm in die Nase. So hatte er sich immer den Geruch einer Mumie vorgestellt. Der Ge­danke erzeugte auf seinem Rücken eine Gänsehaut. Sein Blick irrte umher. Es war ihm, als würde er aus tausend glühenden Augen beobachtet, obwohl er nie­manden sah. Eisern zwang er sich zur Ruhe und ging weiter zum Fenster. Er zog den Vorhang zurück, um das Fenster zu schließen. Doch da sah er, daß dieses gar nicht geöffnet war. Gleichzeitig wußte er, daß er sich nicht allein in dem Raum befand.

Ronald Coopers Nackenhaare sträubten sich. Ein Luftzug in sei­nem Rücken. Er wagte es nicht, sich umzudrehen. Das Zu­schlagen der Schlafzimmertür wirkte auf ihn wie ein Peitschen­hieb. Er schaute über die Schulter.

»Jetzt bin ich allein!« murmelte er brüchig vor sich hin. Kaum waren die Worte verklungen, als ihm klar wurde, wie unsinnig sie sich anhörten. Träumte er denn noch? Machten ihn Streß und Geschäfte langsam aber sicher wahnsinnig? Wütend wandte er sich wieder dem Fenster zu. In diesem Augenblick öffneten sich beide Flügel, trafen ihn, stießen ihn zurück. Eine sturmartige Bö fauchte herein. Kälte biß Ronald Cooper in die Knochen. Der Atem blieb ihm weg. Er hatte den Ein­druck, in das dunkel gähnende Loch der Hölle zu blicken. Die De­ckenbeleuchtung wurde rasch schwächer, erlosch fast, wurde degradiert zu einem rotglühenden Auge, das Ronald Cooper zu be­obachten schien.

Ronald Cooper schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Festland. Er kämpfte gegen den zerrenden Sturm an und arbeitete sich auf die Fensterhöhle zu. Ir­gendwie erreichte er sie. Und sein Blick ging ungehindert durch den hinter dem Haus gelegenen Park bis zu der in der Nähe befindli­chen Straße. Alles erschien nor­mal. Außer dem starken Wind, der die Baumwipfel peitschte. Dies schien auf Coopers Gelände beschränkt zu bleiben.

Bis die grollende Stimme er­scholl: »Denn mein ist die Macht des Bösen!« Von allen Seiten schi­en sie zu kommen.

Ronald Cooper schloß das Fenster. Er ging zu dem kleinen Schreibtisch hinüber, zog die oberste Schublade heraus. Eine Pistole, geladen und gesichert. Er packte sie. Der kühle Griff mö­belte sein Selbstbewußtsein auf. Er fühlte sich erstarkt und schritt zur Tür. Mit der Linken öffnete er sie. Dunkelheit empfing ihn. Er fand den Lichtschalter. Aber das Licht im Flur brannte nur in halber Stärke. Ronald Cooper lauschte gebannt. Nichts rührte sich mehr. Befand sich wirklich außer ihm jemand im Haus? Aber es war doch abgeschlossen. Vielleicht Einbrecher? Ronald Cooper dachte an die ausgezeichnete Alarmanlage und verwarf auch diesen Gedanken. Egal, er würde der Sache auf den Grund gehen.

Als er an seinem Arbeits­zimmer vorbeikam, machte er Zwischenstation, um sich auch noch eine Taschenlampe zu ho­len. Somit fühlte er sich gut aus­gerüstet. Ronald Cooper lief zur Freitreppe, die in die Eingangs­halle führte. Auch dort ließ er das Licht aufflammen. Die Halle war leer. Sein Mantel befand sich noch immer in der Garderobene­cke, wo ihn der Butler zum Aus­lüften hingehängt hatte. Ronald Cooper stieg die Treppe hinunter.

Es war der Zeitpunkt, da er die ersten Geräusche hörte, die offensichtlich aus dem Keller kamen. Und es war der Zeit­punkt, da ihm bewußt wurde, daß er bisher nicht an die Mumie gedacht hatte. Vielleicht hing alles mit dieser zusammen? Er biß die Zähne zusammen, daß es knirschte. Nein, redete er sich ein, für alles gibt es eine vernünf­tige, plausible Erklärung! Aus ir­gendeinem Grund ist diese omi­nöse Mumie von großer Bedeu­tung. Deshalb kümmert man sich so auffällig darum. Und der De­fekt in der Lichtversorgung ist ge­wiß auf einen Eingriff in die Alarmanlage zurückzuführen. Da­mit beruhigte er sich. Gewöhnliche Einbrecher waren ihm immer noch lieber, als Phänomene, die er mit seinem praktisch denkenden Verstand unmöglich einzuordnen vermoch­te.

Er steuerte auf die Kellertür zu, hinter der die seltsamen Ge­räusche aufklangen. Dabei war er sicher, sehr schnell die Antwort auf alle Fragen zu bekommen.

 

*

 

Ich schaute auf die Uhr. Mit­ternacht. May war ein wenig ein­genickt. Jetzt schreckte sie auf. Sofort fand sie in die Wirklichkeit zurück. May Harris hatte He­xenkräfte in sich. Vor einiger Zeit merkten wir es. Ihr ehemaliger Mann, der als schlimmer Dämon endete, weil er einen Pakt mit dem Bösen geschlossen hatte, war daran nicht ganz unschuldig. Wir wußten allerdingsr nicht, ob Edgar Harris in ihr diese Kräfte weckte, oder ob sie vorher schon latent vorhanden waren. Auf je­den Fall verstand es Edgar Har­ris, Mays Hexenfähigkeiten mit einer Brille zu neutralisieren, de­ren Gläser mit unsichtbaren ma­gischen Symbolen versehen waren. Auch wenn May die Brille einmal absetzte und für einen Tag Kontaktlinsen trug, wirkten die magischen Symbole. Ihre Wirkung klang erst nach gerau­mer Zeit ab. Als Mays Brille er­neuert werden mußte, ging sie zu dem Optiker, der dem längst vergangenen Edgar Harris noch immer treu ergeben war. Der schrullige Optiker, selber ein Diener des Bösen, lockte nachein­ander alle Bekannten von May Harris, die direkt oder indirekt am Untergang des schrecklichen Dämons Edgar Harris beteiligt waren, in die Falle, um sie zur Rechenschaft zu ziehen. Dabei kam uns ein wichtiger Faktor zunutze: nämlich mein Dämon­enauge, das ich stets an einer Halskette trug. Ein Amulett mit sagenhaften Eigenschaften, die ich nur leider nicht steuern konnte. Das Amulett, auch Schavall genannt, schützte mich zwar, aber auf oftmals recht eigenwillige Art und Weise. Letztlich wurde der Kampf durch den Schavall entschieden. Wir kamen alle mit einem blauen Auge davon.

Seitdem brauchte May Harris keine Brille mehr. Obwohl sie es vorzog, noch immer eine zu tragen, wenn auch aus anderem Grund als zuvor: Da war ein eigenartiger Schimmer in ihren Augen, mit dem sich ihre He­xenkräfte verrieten. Mit der Brille kaschierte sie das. Anfangs war sie mir etwas unheimlich mit ih­ren wiedergewonnenen Fähigkei­ten. Inzwischen hatte ich eingese­hen, daß sich May dadurch keineswegs negativ veränderte. Sie blieb die Frau, die ich liebte und die meine Liebe aus ganzem Herzen erwiderte. May und ich waren ein unzertrennliches Paar, obwohl wir bis jetzt noch keine Zeit fanden zu heiraten. Oder hatte das andere Gründe? Wir wußten es selber nicht.

May gähnte verhalten. Ich schob meine Gedanken beiseite und stand auf. »Vielleicht sollten wir etwas tun?« schlug ich vor. »Ich habe ein eigenartiges Gefühl. Die Zeit ist günstig. Mitternacht. Die Stunde der Dämonen be­ginnt.«

»Was hast du vor, Mark?«

»Wir sollten ein kleines Ritual durchführen. Möglicherweise gelingt es uns dabei, mehr über diese ominöse Mumie und mehr über Don in Erfahrung zu brin­gen.«

»Du machst dir Sorgen?«

»Du dir etwa nicht?«

May nickte. Auch sie stand auf. »Also gut, beginnen wir.«

Ich nahm Kreide aus einer Schublade. Es war eine besonde­re Kreide. Ihre Beschaffenheit verstärkte jedes magische Zei­chen, das man damit malte. Ge­meinsam rückten wir die Sitzmö­bel in der engen Wohnung aus­einander, um genügend Platz zu schaffen. Dann zeichnete ich einen kleinen magischen Kreis. Als ich damit fertig war, brachte ich sechs Zeichen aus der längst vergessenen Schriftsprache der geheimnisvollen Goriten an, die einst das Gute über die Welt ge­bracht haben sollen, um hernach spurlos zu verschwinden. Ich ver­suchte schon seit Jahren, ihre Geheimnisse zu ergründen, doch kam ich damit nicht voran. Es würde vielleicht ewig ein unerfüll­barer Wunschtraum bleiben. Ich nahm den Schavall von der Hals­kette und legte ihn inmitten des Kreises. Der Schavall sah aus wie ein Auge. Jetzt zeichnete ich eine Ellipse darum, was den Eindruck noch verstärkte.

May und ich reichten uns die Hände. Wir konzentrierten uns. Ich begann, Goritenworte zu be­ten. Dabei versanken wir immer tiefer in Trance. Ich hörte, daß May in mein Gebet einfiel - nicht mit den Ohren, sondern gleichsam mit meinem Geist. Un­sere Seelen kamen sich näher. Unsere Gedanken paßten sich aneinander an, bis sie sich zu einem einzigen Strom vereinigten. Zu einem Strom und zu einem gemeinsamen Wunsch: Erken­ntnisse zu erlangen über das Schicksal von Don Cooper und Lord Frank Burgess.

Sosehr wir uns bemühten, es erfolgte keine Resonanz, bis wir Erschöpfung spürten, und unsere Gedanken in eine andere Rich­tung wenden mußten, um das Ri­tual länger durchhalten zu können. Wir dachten gleichzeitig an die ominöse Mumie, die Don angeblich aus Ägypten geschickt hatte. Aus der uns umgebenden Finsternis schälten sich die Um­risse eines Hauses. Wir wußten beide sofort, um welches Haus es sich handeln mußte: die Villa von Ronald Cooper. Wir wollten näher heran, doch etwas verhinderte es. Als wir unsere Bemühungen ver­stärkten, traf uns ein brutaler Schlag, der uns von einer Se­kunde zur anderen aus der Tran­ce erwachen ließ.

Der Schavall zwischen uns hatte sich aufgebläht bis zur Fuß­ballgröße, obwohl er damit Schwierigkeiten hatte, in der El­lipse zu bleiben. Jetzt schrumpfte er wieder auf das normale Maß zurück. Seine Reaktionen zeigten deutlich, daß wir eben mit nega­tiven magischen Kräften zu­sammengekommen waren. Erschrocken blickte ich May Har­ris an. Jetzt konnten wir nicht mehr gegenseitig unsere Ge­danken lesen.

»Ich habe das Gefühl, wir soll­ten uns um die Villa Cooper küm­mern«, murmelte May brüchig.

Ich schüttelte den Kopf. »Es geht einfach nicht. Ronald Cooper hat uns ganz klar abgewiesen. Wenn wir ihm dennoch einen Be­such abstatten, ist das Haus­friedensbruch.«

»Dann soll Ronald Cooper allein mit dieser Gefahr fertig werden?«

»Erstens«, belehrte ich May, »wissen wir gar nicht genau, ob es sich überhaupt um eine Gefahr für Ronald Cooper handelt, und zweitens bleibt uns tatsächlich keine Wahl. Wir können nicht einmal Tab Furlong vom Yard einschalten. Er ist mit dem Fall nicht betraut, sondern ein Kollege von ihm, und der wird kaum Ver­ständnis dafür aufbringen, wenn wir von magischen Kräften spre­chen, die Ronald Cooper offenbar zusetzen.«

»Also abwarten und Tee trin­ken?«

»Gar keine schlechte Idee, May, das mit dem Tee!«

Sie winkte mit beiden Händen ab. »Schon gut, schon gut, Mark, ich habe den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden und werde uns beiden einen Tee aufbrühen.«

Ich blickte ihr nach. May Har­ris war verstimmt, und ich konn­te ihr das beim besten Willen nicht verdenken.

 

4

Ronald Cooper öffnete die Kellertür und blieb lauschend stehen. Alle Geräusche waren verstummt. Vorsichtig zog er die Tür weiter auf, dabei hoffend, daß sie nicht in den Angeln knarrte. Die vermeintlichen Einbrecher durften nicht ahnen, daß er ih­nen bereits auf der Spur war. Mit dem Daumen legte er den Si­cherungsflügel der Waffe um. Ein leises Klicken, das in der ent­standenen Stille überlaut erschi­en. Ronald Cooper trat auf die steil abwärtsführende Treppe. Die Steinstufen waren bereits etwas ausgetreten. Die Wände waren roh verputzt und ansonsten kahl. Der Geruch von Kälte und Feuchtigkeit kam Ronald Cooper entgegen. Irgendwie war es anders als sonst, obwohl er die Veränderung nicht zu erklären vermochte.

Fröstelnd zog er die Schulter­blätter zusammen. Stufe für Stufe arbeitete er sich abwärts, dabei bemüht, mit den Augen die Dun­kelheit da unten zu durch­dringen. Noch immer kein Laut, außer dem Scharren seiner eigenen Füße. Er hielt es aus, bis er unten war. Dann wurde der Druck der Angst vor dem Unge­wissen zu stark. Mühsam widerstand er dem Wunsch zur Flucht und knipste die Taschen­lampe an.

Zwei Schritte vor ihm stand eine Mumie. Der Schein der Lampe zitterte an ihr empor, blieb am mit alten Binden verhüllten Gesicht hängen. Die Augen waren geöffnet, und sie schienen zu leben. Ein eigenartiges, unheimli­ches, erschreckendes Leben. Der Blick des Todes in seiner In­karnation. Der Mund der Mumie öffnete sich leicht. Licht fiel in den vermoderten Rachen, in dem ein dumpfes Grollen entstand.

»Grüße von Don!« sagte die Mumie.

Ronalds Verstand setzte aus. Er wollte schießen, konnte jedoch den Zeigefinger am Abzug nicht krümmen. Ein Zittern erfaßte ihn, übertrug sich auf die Hände. Zuerst fiel die Pistole zu Boden. Ein Glück, daß sich dabei kein Schuß löste, der ihn verletzte. Und dann sah er, was die Mumie in den bandagierten Händen hielt: in der Linken einen Dolch mit spiralförmig verdrehter Klinge und kunstvoll ziseliertem Griff, in der Rechten ein Herz. Ronald Cooper zweifelte keine Sekunde daran, daß es sich um ein menschliches Herz handelte.

Auch die Taschenlampe entfiel seinem Griff. Sie erlosch am Boden, ließ die Finsternis zurück­kommen, die sich wie ein schwarzes Tuch auf Ronald Cooper senkte. In dieser Finster­nis war Ronald Cooper allein mit sich und dem Grauen. Schreiend wandte er sich um. Er stolperte die steinerne Treppe hinauf, dem Geviert aus Licht entgegen, das den Weg in die Halle zeigte. Er schaffte es. Hinter sich glaubte er tapsende Schritte zu hören. Das trieb ihn weiter. Er warf einen Stuhl um, riß eine Vase zu Boden, wo sie in tausend Scher­ben zersprang und ihren Inhalt vergoß. Nur ein einziger vernünf­tiger Gedanke schaffte es, aus den Tiefen seiner Seele hinaufzu­dringen und sein Bewußtsein zu beherrschen: Telefon! Ja, das war die einzige Möglichkeit für ihn, Hilfe herbeizurufen. Irgendwie er­reichte er sein Arbeitszimmer. Er warf die Tür ins Schloß, drehte zweimal den Schlüssel um, ging zum Apparat, hob ab. Die Num­mer! durchschoß es seinen Kopf. Er kramte das Telefonbuch her­vor, blätterte in fiebernder Hast.

Draußen klopfte es. »Grüße von deinem Bruder Don!«

Da war die gesuchte Nummer. Ronald Cooper verwählte sich, machte noch einen Anlauf.

Das Klopfen wurde heftiger. »Denn mein ist die Macht des Bö­sen!«

Tränen rannen Ronald Cooper über die Wangen. Die Augen brannten wie Feuer. Er konnte die Zahlen nicht mehr genau er­kennen. Fix und fertig mit den Nerven, gab er es beinahe auf, wollte sich seinem Schicksal ergeben. Aber dann gelang es ihm endlich, die richtige Nummer in die Scheibe zu drehen. Er erwartete, das Besetztzeichen zu hören. Doch er hatte Glück. Auf der anderen Seite der Leitung läutete es zweimal, bevor jemand abhob.

Die Tür würde dem Klopfen und Hämmern nicht mehr lange standhalten. »Ronald Cooper!« grollte es von draußen. »Mein ist die Macht des Bösen. Ich werde dich heimsuchen, wie es meine Bestimmung ist!«

*

Das Telefon schrillte. May Harris und ich sahen hoch. May brachte gerade den Tee. Ehe sie reagieren konnte, eilte ich zum Apparat. Das zweite Läuten. Ich schaltete mit einem Knopfdruck den digitalen Anrufbeantworter ein. Ein Neuerwerb. So konnte ich jedes Gespräch mitschneiden.

»Detektei Mark Tate!« meldete ich mich. Eine Seltenheit. Nonna­lerweise sagte ich nur meinen Namen. Ich weiß selber nicht, warum ich diesmal eine Aus­nahme machte.

»Mr. Tate!« Ein Keuchen und Stöhnen. »Mr. Tate!«

Ich glaubte, die Stimme von Ronald Cooper erkannt zu haben. »Mr. Cooper?«

»Ja, die Mumie - sie - sie ist hinter mir her! Im Keller. Ich - ich war im Keller und jetzt...«

Im Hintergrund hörte ich Klopfen und Grollen. Ich begriff die Situation, in der sich Ronald Cooper befand. »Beten Sie, Mr. Cooper, beten Sie!«

»Wie bitte?«

»Sie sollen beten, verdammt noch mal! Haben Sie irgendeinen geweihten Gegenstand in Reich­weite?«

»Ich - ich verstehe nicht.«

»Der einzige Schutz, Mr. Cooper! Beten ist das Geringste, war Sie jetzt tun können - falls Sie es nicht verlernt haben!«

»Der Himmel steh mir bei... Mr. Tate, bitte, kommen Sie! Der Himmel und alle Heiligen...«

Ich knallte den Hörer auf die Gabel. May Harris bewies, wie gut sie zu mir paßte. Sie stand bereit, angezogen, mit meinem Mantel über dem Arm. Sie half mir hin­ein. Gemeinsam rannten wir nach draußen.

»Hoffentlich schaffen wir es rechtzeitig!« sagte ich, als wir mit dem Fahrstuhl nach unten fuh­ren. May Harris antwortete nicht. Sie starrte stumm vor sich hin. Vielleicht war mein Verhalten von vornherein falsch gewesen. Ich hätte mich in der Nähe der Villa aufhalten sollen. Aber dann hätte mich Ronald Cooper nicht an­rufen können. Ich hatte keine Rufweiterleitung von meinem Festnetztelefon zum Handy. In diesen Augenblicken schwor ich mir, dies zu ändern - bei nächster Gelegenheit. Ich hieb mit der ge­ballten Hand gegen die Kabinen­wand. Dadurch wurde der Fahr­stuhl allerdings nicht schneller.

*

Ronald Cooper betete. Erst kleinlaut, dann immer inbrüns­tiger. Ja, fast hatte er es verlernt. Die Tür flog auf. Die Mumie stand in der Öffnung, in der Linken den Dolch, in der Rechten das Herz. Sie tappte einen Schritt näher, Grauen und Panik in Ronald Cooper mehrend. Doch Ronald Cooper ließ sich von nichts mehr beirren. Mark Tate hatte ihn angewiesen zu beten, also tat er es auch. Dabei dachte er an den Privatdetektiv. Egal, ob er nun an magische Dinge glaubte oder nicht. Was er hier erlebte, war unerklärlich. Deshalb mußte er sich auf das Wort eines Mannes verlassen, den Don als Experten beschrieben hatte.

Ronald Cooper hielt sich am Schreibtisch fest. Das Möbelstück zitterte mit ihm um die Wette. Noch zwei Schritte tappte die Mumie näher. Dann blieb sie stehen.

»Hör auf!« grollte sie. »Hör auf, Ronald Cooper! Deine Worte tun mir weh.«

Jetzt schien sich Ronalds Zittern auch auf die Wände zu übertragen. Ein unerklärliches Phänomen. Die Bilder wackelten an der Wand, die Schränke wankten. Durch den Boden lief ein Beben, als würde das Haus je­den Augenblick zusammen­stürzen.

Die Mumie stöhnte. »Die Macht - Macht des - des Bösen! Des Bösen!« Ein Wort wie Donnerhall, überlaut, das ge­samte Gebäude erfüllend.

»Grüße von Don!« schrie Ro­nald Cooper, ehe er mit dem Be­ten erneut begann.

»Ja, ich soll dir Grüße von deinem Bruder Don bestellen.« Die Mumie ging darauf ein. »Er befindet sich in Ägypten.«

Ronald langte am Ende seines Gebetes an. »Was für Grüße sollst du bestellen? Himmel, steh mir...«

Die Mumie lachte. Jetzt wurde deutlich, daß für das Beben der Villa keineswegs Ronald verant­wortlich zeichnete. Die schwarze Magie hatte die Mauern durch­drungen, und sie reagierte auf das Gebet von Ronald Cooper. Das Lachen beendete alles schlagartig. Dann blieb nur noch das Beten von Ronald.

Die Mumie drehte sich lang­sam herum. Sie schwankte wie ein Halm im Wind. Viel Kraft brauchte sie, das Arbeitszimmer zu verlassen. Ronald Cooper faßte neuen Mut. Er lief hinterher. Die Mumie wandte sich nach ihm um. Ronald blickte in die toten Augen, in denen der Teufel persönlich zu hocken schien. Und da erst kamen ihm diese Augen bekannt vor. Er konnte es nicht begreifen.

Die Mumie kehrte sich ab, strebte dem Keller zu. Ronald starrte auf das Herz. Es schlug! Es zappelte und arbeitete, als wä­re es lebendig, als brauchte es nur jemand in die Brust zurück­zuversenken, in die es gehörte.

Ronald Cooper vergaß dabei nicht zu beten. Er beeilte sich, um nicht den Anschluß zu ver­lieren. Die Kellertür blieb offen. Ronald knipste diesmal die Be­leuchtung an. Unten lagen Ta­schenlampe und Pistole, unbe­rührt. Ronald nahm sie auf. Die hohe Gestalt der Mumie verschwand in dem Kellerraum mit der Überseekiste. Ronald lief hinterher. Die notdürftig zu­sam­mengezimmerte Kiste stand offen. Die Mumie kletterte hinein.

»Gebt mir neue Kraft!« sagte sie mit ersterbender Stimme. »Gebt mir neue Kraft, ihr Engel des Todes!« Schwer fiel sie auf den Rücken. Der Deckel krachte zu.

Ronald Cooper stützte sich mit beiden Händen darauf. Das Holz fühlte sich heiß an, als wäre es dem Schein eines offenen Feuers ausgesetzt gewesen. In der Kiste rührte sich nichts mehr. Ronald Cooper leierte noch immer das Gebet herunter. Es wurde ihm nicht bewußt.

Ein Klingeln an der Haustür. Sofort dachte Ronald Cooper an Mark Tate. Er zögerte. Doch dann verließ er den Kellerraum und rannte nach oben. Ohne zu über­legen, riß er die Tür auf. Zwei Gestalten standen draußen. »Der Himmel und alle Heiligen...«, plapperte Ronald Cooper anstatt einer Begrüßung. Dann kippte er vornüber, denn er war am Ende seiner Kräfte.

5

 

Wir erreichten die Villa von Ronald Cooper in Rekordzeit. Gottlob herrschte momentan nur mäßiger Verkehr auf Londons Straßen. Das Gebäude reichte bis fast zum Bürgersteig. Der Vorgarten bildete nur einen schmalen Streifen und wurde be­grenzt von einer halbhohen Mau­er und einem schmiedeeisernen Zaun. Mit quietschenden Reifen hielten wir vor dem Tor. Wir sprangen hinaus und eilten zum Eingang. Gottlob war das Tor nicht abgeschlossen. May kim­gelte, während ich das Hemd öff­nete und den Schavall zum Vor­schein brachte. Ich wunderte mich, daß die geheimnisvollen Kräfte, die das Gebäude be­herrschten, keinen Angriff starte­ten.

Der Schavall erwärmte sich leicht. Seine einzige Reaktion. Al­so war es mit den magischen Kräften gar nicht so weit her. Hatten wir sie bei unserem Ritual überschätzt? Ich überlegte schon, ob ich die Tür gewaltsam aufbre­chen sollte, als Schritte ertönten. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß. Ronald Cooper öffnete persönlich. Betend fiel er mir ent­gegen. Geistesgegenwärtig fing ich ihn auf. Kein leichtes Stück Arbeit. May half mir, ihn ins In­nere zu bringen. Alles erschien normal, obgleich der Schavall hartnäckig glühte.

Ronald Cooper betete noch immer. Er tat es mit der lallenden Stimme eines Irren. Ich bekam Mitleid mit ihm. Keiner von uns beiden trug ihm den Hinauswurf nach. Der Mann hatte so ge­handelt, wie es seiner Meinung nach richtig war. Wer wollte ihn deswegen verurteilen? Inzwischen hatte er sein Vorgehen gewiß bü­ßen müssen - in einer Art und Weise, wie er es sich nie erträumt hatte.

Ich war froh, als wir Ronald Cooper endlich auf einen Stuhl setzen konnten. Ich bangte um seinen Verstand und nahm deshalb den Schavall von der Halskette. In meiner Linken er­wärmte er sich noch mehr. Ich drückte ihn Ronald Cooper gegen die Stirn. Sofort hörte er auf zu beten. Ein Zucken ging durch sei­nen Körper. Wir konnten von Glück sagen, daß Ronald Cooper mich gerufen hatte, anstatt schreiend auf die Straße zu rennen. Damit hatte er sich eine Chance gegeben. Sich und uns! Ronald Cooper wurde ruhiger. Seine Augen blieben geschlossen. Regelmäßig hob und senkte sich seine Brust. Er war in Schlaf gefallen. May rückte einen zweiten Stuhl in Reichweite. Ich legte Coopers Beine darauf.

»Möchte wissen, wo sich die Mumie befindet«, sagte May Harns.

Ich zuckte die Achseln, be­trachtete den friedlich Schlum­mernden. »Es ist wohl besser, wenn wir ihn jetzt in Ruhe lassen, May. Vielleicht solltest du auf ihn achten, während ich das Haus durchsuche?«

Sie nickte mir zu, stellte sich neben Ronald Cooper. Ich warf einen Blick in die Runde. Ronald Cooper war offensichtlich allein im Haus. Kein Personal in dieser Nacht. Die Mitternachtsstunde war inzwischen überschritten. Vielleicht sollte ich meine Auf­merksamkeit auf den Keller rich­ten?

Ich ging zur erstbesten Tür, öffnete sie. Das Eßzimmer. An­erkennend schürzte ich die Lippen. Die Einrichtung war zwar alles andere als modern, bewies aber Coopers guten Geschmack. Die nächste Tür: das Wohnzimmer. Die Eingangshalle war relativ klein. Deshalb hatte der Architekt ein zusätzliches Wohnzimmer bauen lassen. Die fast obligatorische Kaminecke fehlte nicht. Es gab sie wahr­scheinlich in allen Räumen. Man hatte Gasbrenner installiert, konnte jedoch zusätzlich Holz­scheite darin brennen. Bei der dritten Tür hatte ich endlich Glück. Ein kurzes Gangstück, nur zwei Schritte. Eine steil nach unten führende Steintreppe schloß sich an. Das Licht brann­te.

Ich winkte May Harris zu. Sie winkte zurück. Die Tür ließ ich offen. Ich trat auf die Treppe, stieg langsam hinunter. Nichts rührte sich. Mit meiner Hand um­klammerte ich den Schavall wie einen Rettungsanker. Einer der Kellerräume stand offen. Eine Menge Gerümpel. Eine Übersee­kiste erregte meine Aufmerksam­keit. Davor lagen eine Taschen­lampe und eine Pistole. War sie geladen?

Ich achtete nicht darauf, schritt auf die Kiste zu. Sprung­haft vergrößerte sich der Schavall um das Doppelte. Die Hitze, die er ausstrahlte, war unerträglich, schadete mir jedoch nicht. Ich war der Träger des Schavalls, und seine Hitze war nur magischer Natur - allerdings tödlich für den, der das Böse wollte. Mit dem Fuß stieß ich gegen die Kiste. Im In­nern rührte sich nichts. Der De­ckel war zugenagelt. Spuren von Gewalteinwirkung. Richtig, man hatte die Kiste im Hafen ausein­andergenommen und hernach notdürftig wieder zusammenge­zimmert. Ich zog daran herum. Nein, so ließ sich die Kiste nicht öffnen.

In der Ecke fand ich ein Stück Stahlrohr. Ich setzte es wie ein Brecheisen an und hebelte den Deckel hoch. Es quietschte und knarrte. Ein Geräusch, das hier unten unheimlich wirkte. Etwas quiekte, huschte mir über die Fü­ße. Eine Ratte, dick und fett. Sie verschwand zwischen dem Ge­rümpel, total verängstigt, als hät­te sich ein Katzenheer ange­meldet. Aber es war die schwarze Magie, die dem Tier zusetzte. Ein Märchen die Behauptung, Ratten seien immun gegen böse Be­einflussungen. Das Tier hatte sich hierher verirrt und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Wenn es noch mehr von der Sorte gab, konnte es sogar gefährlich werden. In ihrer Panik griffen sie Menschen an.

Die Kiste war auf. Holzwolle quoll heraus. Ich faßte sie vor­sichtig an, teilte sie. Nach An­gaben von Tab Furlong mußte die Kiste leer sein. Sie war nicht mehr länger leer! Eine Mumie lag darin. Die Augen waren offen und starrten mich an. Meine Hand mit dem Schavall zitterte. Ich konnte es nicht verhindern. Diese Augen ließen mich in den Abgrund der Hölle sehen.

Plötzlich kam in die Mumie Bewegung. Sie hob den linken Arm, brachte ein seltsames Messer zum Vorschein. Einen Dolch. Die Schneide reflektierte das Licht der Deckenlampe, die fast senkrecht über der Kiste hing. Ich sah die Dolchspitze auf mich zurasen. Es war zu spät auszuweichen. Die Spitze zielte auf mein Herz...

 

*

 

May Harris war unruhig. Das Haus machte ihr zu schaffen. Dank ihrer magischen Fähigkei­ten spürte sie die Anwesenheit einer unbekannten Macht. Im Moment verhielt sich diese böse Macht friedlich. In der Mitter­nachtsstunde hatte sie sich frei entfalten können. Jetzt war dies erschwert. Doch die Nacht war auf der Seite der schwarzen Ma­gie.

Nachdenklich betrachtete May Ronald Cooper, den die Ein­wirkung des Schavalls in einen friedlichen Schläfer verwandelt hatte. Es wäre besser, sie und Mark hätten ihn von hier wegge­bracht. Zunächst aber mußte Mark Tate nach dem Rechten sehen. Die Mumie war wichtig, denn sie war der Schlüssel zu der Beantwortung der Frage, wo sich Don Cooper und Frank Burgess befanden. Hatten sie wirklich etwas mit der Mumie und deren Versendung nach England zu tun? Oder hatte die fremde Macht nur einen Vorwand gebraucht? May konnte sich das nicht vorstellen. Sie war mit Mark Tate der Meinung, daß es echte Zusammenhänge gab. Nicht der Zufall allein hatte magische Kräfte auf den in dieser Be­ziehung bisher völlig unbedarften Ronald Cooper angesetzt. Hätte man Mark Tate eine Falle stellen wollen, wäre das auch weniger spektakulär gegangen und vor allem auch direkter.

May Harris sah ein, daß die Überlegungen nichts einbrachten. Erst wenn Ronald Cooper zu einer echten Mitarbeit bereit war, gab es einen Lichtblick. Da schlug Ronald Cooper die Augen auf. Verständnislos blickte er sich um. May Harris spürte, wie sich die magischen Energien for­mierten. Sie griffen nach dem er­wachten Ronald Cooper. May wehrte sie ab. Mit Erfolg. Sie schuf eine Art Schutzschirm um Ronald Cooper. Das gelang ihr sogar ohne große Mühe. Die Be­einflussung war nicht sonderlich stark.

»Mrs. Harris?« Ronald Cooper hatte alle Mühe, seine Gedanken zu ordnen. »Wie - wie sind Sie hierhergekommen? Was suchen Sie bei mir?«

May antwortete nicht. Ronald Cooper sollte selber daraufkom­men.

Ruckartig richtete sich Ronald Cooper auf. Dabei verlor er beina­he das Gleichgewicht. Er griff sich mit beiden Händen an den Schädel. »Mein Gott, was ist denn passiert? Mir schwindelt.«

May Harris sah ein, daß sie ihm doch auf die Sprünge helfen mußte. »Sie haben uns gerufen, Mr. Cooper. Sie waren in Not.«

Er ließ die Hände sinken. Das Grauen kehrte sekundenlang in die Augen zurück, verzerrte leicht seine Züge. Dann glättete sich seine Miene wieder. »Die Mumie!« murmelte er vor sich hin. »Um Himmels Willen, was geht in meinem Hause vor?«

»Mark Tate befindet sich im Keller. Er ging hinunter, um auf diese Frage eine Antwort zu finden.«

Ronald Cooper wollte auf­springen, doch er war zu entkräf­tet dazu. »Im Keller?« echote er bestürzt. Sein Blick irrte zur of­fenen Tür hinüber. »Die Mumie wird erwachen und...«

»Sie sollten sich um Mark Tate keine Sorgen machen, Mr. Cooper. Er ist kein Neuling und weiß sich zu helfen.«

Ronald nickte. »Sie haben recht, Mrs. Harris. Ich muß mich wohl bei Ihnen beiden entschul­digen, wie?«

»Ich wüßte nicht warum.«

»Bitte verlangen Sie von mir niemals, daß ich all diese Dinge, die ich erlebte, zum Anlaß nehme, mein gesamtes Weltbild zu ändern«, stöhnte er. »Schwarze Magie hat keinen Platz in dieser Welt. Sie gehört in das finstere Mittelalter oder ins Altertum.«

May Harris lächelte ver­ständnisvoll. »Sie tun recht dar­an, Mr. Cooper. Es ist unsere Aufgabe, Übergriffe der schwar­zen Magie zu verhindern. Es gibt eine Menge Kämpfer gegen das Böse in aller Welt - nicht nur gegen das Böse, das von Menschen produziert wird. Das alles wäre schon genug. Nein, die Grenzen zwischen dem Diesseits und den furchtbaren Räumen des dämonischen Zwischenreiches sind oftmals labil. Manchmal gelingt es den Höllenkreaturen, Einfluß auf das Geschehen auf Erden zu nehmen. Oftmals sind es Menschen, die das be­schwö­ren. Sie streben nach Macht und lernen es, Magie anzuwenden und damit die Energien des Jenseits anzu­zapfen. Scheinbar gelingt es ihnen, physikalische Grundsätze umzukehren. Sie be­denken dabei nicht, daß auch Magie den Gesetzen der Natur unterworfen ist - nur sind das andere Gesetze als die von der Schulweisheit verbreiteten.«

»Ich danke Ihnen für den äußerst aufschlußreichen Vor­trag, Mrs. Harris!« Die Worte klangen keineswegs ironisch, wie es aus dem Munde eines solchen Mannes zu vermuten gewesen wäre. »Aber sagen Sie mir eines: Wieso werden die meisten Men­schen nie in ihrem Leben mit ma­gischen Dingen konfrontiert?«

»Sie werden alle, nur haben die wenigsten ein Auge dafür«, be­lehrte ihn May. »Der Mensch, dem eine schwarze Katze über den Weg läuft und der deswegen ein Kreuz schlägt, um Unheil von sich abzuwenden, praktiziert weiße Magie, ohne sich dessen bewußt zu werden. Der gesamte Aberglauben beruht auf der Basis von Magie. Der Alltag ist voll da­von. Obwohl das meiste als Un­sinn zu begreifen ist. Deshalb gibt es auch so wenige intelligente Menschen, die solchen Dingen Glauben schenken können.«

»Sie mißverstehen mich, Mrs. Harris. Natürlich kenne ich ähnli­che Beispiele zur Genüge. Aber meine Frage zielte in eine andere Richtung. Eben die Magie im All­tag, um es einmal so auszu­drücken, präsentiert sich mir als barer Unsinn. Aber dann dieses Erlebnis heute nacht mit der Mumie. Solche Erlebnisse sind es doch, die deutlich zeigen, daß es tatsächlich Dinge gibt zwischen Himmel und Erde, die sich mit normalem Verstand nicht erklä­ren lassen.«

»Sie haben recht, Mr. Cooper. Ich erwähnte vorhin die Kämpfer gegen das Böse. Ihnen allein ist zu verdanken, daß Geschehnisse wie heute nacht nicht Alltag werden. Gottlob nur wenige Men­schen werden jemals damit kon­frontiert. Doch nur solange Men­schen wie Mark Tate und andere, wie zum Beispiel ein gewisser Da­vid Murphy, erfolgreich ihren Kampf führen. Und der Zufall kann jeden zum auserkorenen Opfer machen - in jeder Minute und überall auf der Welt.«

»Herrliche Aussichten!« murmelte Ronald Cooper er­schüttert. Aber an einen Zufall vermochte auch er nicht recht zu glauben, was die Ereignisse in seinem Haus betraf. Er wandte den Kopf und blickte zur Kellertür hinüber. Ein erstickter Laut brach von seinen Lippen.

May Harris folgte seinem Blick. Und auch sie vergaß zu at­men. Da stand Mark Tate. In der Linken hielt er einen Dolch, in der Rechten ein pochendes Herz. Ja, es lebte und schlug kräftig, als sei es kerngesund.

 

*

 

Der Dolch raste auf meine Brust zu, und ich war zu lang­sam, um ihn abzuwehren. Jede Reaktion meinerseits mußte zu spät kommen. Doch das war auch gar nicht notwendig. Die Spitze bohrte sich nicht in meine Brust. Sie prallte gegen einen un­sichtbaren Widerstand, glitt ab. Dabei sprühten die Funken. An der Stelle, wo die Berührung stattfand, entstand ein intensives Leuchten, das meinen gesamten Körper einhüllte. In Wirklichkeit hatte es jedoch seine Ursache beim Schavall. Das Dämonen­auge war zwar auf normale Größe zurückgeschrumpft, doch kämpf­te es aktiv gegen die magischen Kräfte. Es schwebte ein Stück empor, verließ somit meine Hand, blieb jedoch bei mir.

Ich ließ das Stahlrohr fallen. Klirrend fiel es auf den Boden, der aus Steinplatten bestand. Die Mumie stöhnte schaurig, verdreh­te die Augen. Die Augen er­innerten mich an einen Men­schen, den ich gut kannte. Auf mein Gedächtnis konnte ich mich verlassen. Es ließ mich äußerst selten im Stich. Vor allem dann nicht, wenn es sich um meine Freunde handelte: Die Mumie be­saß Don Coopers Augen!

Diese Tatsache setzte mir so zu, daß ich nach Halt suchte. Und ausgerechnet fand ich den Halt an der Kiste. Die Mumie ver­suchte, sich aufzurichten, doch sie sank wieder zurück. Ich nahm ihr den Dolch aus der Hand.

»Welche Macht ist es, die dich beseelt?« fragte ich. Die Mumie gab keine Antwort. Ich knirschte mit den Zähnen, den Zorn und die Sorge um Don Cooper be­kämpfend. War das hier tat­sächlich Don Cooper? Ich be­trachtete die Mumie. Sie stammte bestimmt nicht aus längst vergangenen Zeiten, sondern war relativ neu. Ein Leichnam, nach altem, ägyptischem Rezept be­handelt. Und ein Opfer des Bö­sen! »Sprich!« forderte ich. »Wer hat dich geschickt? Was ist dein Auftrag?«

»Mein ist die Macht des Bösen!«

Ich verlor die Geduld, griff den Dolch fester und setzte ihn an den Hals der Mumie an. In meiner Hand war der Dolch durchaus eine Waffe gegen die bösen Kräfte. Die Mumie wußte es wohl. Sie rollte stärker mit den Augen. Sie hob den rechten Arm. Zum erstenmal sah ich das lebende Herz. Es dauerte eine Weile, bis ich daraus meine Schlüsse ziehen konnte.

Auch das Herz nahm ich an mich. Der Schavall schwebte noch höher, blieb über der Kiste hängen. Aus ungewissen Gründen griff er die Mumie nicht direkt an. Das Dämonenauge war nämlich unberechenbar. Es handelte selten so, wie man es erwartete, und war alles andere als Diener meines Willens. Er­kannte der Schavall von sich aus, daß die eigentliche Gefahr nicht von der Mumie ausging?

Das pochende Herz erzeugte Ekel in mir. Ich hatte Mühe, mich zu beherrschen. Es fühlte sich warm an. Aber irgendwie war es mir vertraut. »Hat dich Don ge­schickt?« fragte ich die Mumie.

»Du begreifst nichts - genau­sowenig wie Ronald Cooper!« grollte sie.

»Vielleicht doch!« Ich richtete mich auf, warf noch einen letzten Blick auf den einbalsamierten Leichnam. Dann wandte ich mich ab. Ich kehrte in die Halle zu­rück. May Harris und der erwachte Ronald Cooper sahen mich an wie ein Gespenst.

»Mark!« entfuhr es der entsetz­ten May Harris. »Mark, was - was ist passiert?« Sie sah, daß ich den Schavall nicht mehr bei mir hatte. Er schwebte noch immer über der offenen Kiste.

Ich ging nicht auf May ein, sondern schritt auf Ronald Cooper zu. »Die Mumie wurde zu Ihnen geschickt. Noch kenne ich nicht das Motiv und auch nicht den wahren Absender. Aber ich habe einen Verdacht. Kommen Sie, Ronald Cooper! Was Sie tun müssen, ist nicht angenehm, aber notwendig. Nur Sie können es, weil nur Sie die Kontaktper­son sind - als einziger lebender Verwandter von Don Cooper.«

Er stand auf. Sein Atem ging keuchend. Seine Augen wurden groß und rund. »Dann - dann habe ich mich nicht geirrt? Ich erkannte die Augen der Mumie. Mein Gott, das ist doch nicht möglich!«

May Harris runzelte die Stirn. Sie spürte Zorn darüber, weil sie niemand aufklärte. Aber dafür war jetzt keine Zeit. Jede Se­kunde war kostbar.

Ronald Cooper folgte mir in den Keller. Auch May Harris ging mit. An der offenen Kiste blieben wir stehen. Das Dämonenauge glühte aggressiv. Die Mumie be­trachtete uns stumm. Ich reichte Ronald Cooper den Dolch. »Tun Sie, was Sie tun müssen! öffnen Sie damit die Brücke zur Er­kenntnis!«

Ronald Cooper nickte. Er nahm die Waffe in Empfang und konzentrierte sich. Dann zerschnitt er die Bandagen vor der Brust der Mumie.

Im alten Ägypten nahm man die Innereien aus den Leichen und bewahrte sie in eigenen Be­hältnissen auf. Die Innereien waren Grabbeigaben. Sie waren der Verwesung ausgesetzt. Bei dieser Mumie fehlte nur das Herz. Ein Anblick, der starke Nerven verlangte. Ronald Cooper hatte sie offenbar. Ich beobachtete ihn trotzdem die ganze Zeit, in der Furcht, daß er im nächsten Augenblick umkippte. Er tat, was getan werden mußte. Das leben­dige Herz kam an seinen Platz.

Kaum war das geschehen, als sich die Mumie aufbäumte. Sie fiel mit einem schaurigen Laut zurück. Die Augen schlossen sich.

Ich hob ihre Lider mit dem Daumen. »Er lebt!« sagte ich. Dann nahm ich Ronald Cooper das Messer ab. Er zitterte wie Es­penlaub. Der Schavall schwebte tiefer. Jetzt glühte er nicht mehr so intensiv. Es sah so aus, als dringe sein Leuchten in die Mumie ein, um sie zu erfüllen und sie von dem Bösen zu heilen. Die Wunde schloß sich wie von Geisterhand. Mit dem Messer ent­fernte ich immer mehr der Bandagen.

May Harris schaute mir in atemloser Spannung zu. Sie hatte zwar keine Erklärungen bekom­men, begriff aber auch so.

Ich konzentrierte mich vor allem auf den Kopf. Eine schwarze Haarsträhne wurde sichtbar. Noch war das Gesicht bedeckt. In fiebernder Hast arbei­tete ich weiter. Ich konnte es kaum erwarten.

Die Spannung sprang auf Ro­nald Cooper über. Er vergaß sei­ne reichlich angeknacksten Ner­ven und das Furchtbare, das er erlebt hatte, und starrte auf meine Hand, die das Messer führte. Bei aller Hast mußte ich vorsichtig sein, um den Mann nicht zu verletzen. Nein, jetzt war er keine Mumie mehr, sondern ein lebendiger Mensch. Ein un­glaubliches Phänomen, das auf Lösung harrte.

Endlich war das Gesicht frei. Ich kannte es sehr gut, obwohl ich wußte, daß dies hier keines­wegs Don Cooper war. Es war ein anderer, nämlich Lord Frank Burgess! Eine geheimnisvolle Macht hatte ihn umgebracht und zu einer Mumie werden lassen. Aber warum? Und wieso hatte Ronald Cooper sein Leben retten können?

Lord Frank Burgess, der Herr von Schloß Pannymoore, war ein Mann der Geheimnisse. Ich lernte ihn durch Don Cooper kennen. Beide waren Abenteurer reinsten Wassers. Sie hatten unabhängig voneinander die ganze Welt be­reist. Immer wieder hatten sich ihre Wege gekreuzt, was sie zu Freunden machte. Eines Tages traf Frank ein Mädchen mit Namen Julia Cassel. Sie war eine Voodoo-Hexe auf Haiti - gegen ih­ren Willen. Der Papaloi, der Ho­hepriester des Voodoo, hatte sie sich zur Hexe erzogen. Er hatte ihre magischen Kräfte geweckt, um sie als sein Werkzeug zu benutzen, denn sie war im Grunde mächtiger als er selbst. Frank durchbrach unter Einsatz seines Lebens den Teufelskreis und befreite Julia Cassel. Eine Odyssee der beiden begann. Sie begleitete ihn auf seinen Reisen. Bis sie auf sein Schloß zurückkehrten, wo er sie als Lady Ann zu seiner Frau nahm. Und jetzt wurde der furchtbare Fluch wach, der auf Schloß Panny­moore schon seit Jahrhunderten lastete. Er traf jeden Familien­angehörigen, der hier wohnte und eine Nichtadelige heiratete. Ein weiterer Teufelskreis. Lady Ann gebar ein Kind, von dem keiner außer dem Lord wußte, wo es sich befand und wo es augwuchs. Lady Ann starb bei der Geburt. Ihr Geist wurde Opfer des Fluches.

Die überragenden Fähigkeiten als Voodoo-Hexe erlaubten ihr eine Ausnahmestellung. Bei einem Besuch von Don Cooper wurde das deutlich. Beinahe wurde auch Don das Opfer des Fluches. Lady Anns Geist rettete ihn und verhalf ihm zur Flucht. Don wandte sich an mich. Mit meiner Hilfe gelang es ihm, den Fluch von Schloß Pannymoore zu brechen. Dabei geschah es, daß sich der Geist von Lady Ann mit ihrem lebenden Mann verband. Seitdem lebten zwei Seelen in sei­nem Körper. Die Kräfte der Hexe veränderten ihn im Laufe der Zeit, machten ihn zu einem Ma­gier. Eine seiner herausragenden Fähigkeiten war die des Gestalt­wandelns. Das hieß, er konnte sein Äußeres in perfekter Weise verändern, konnte in jede belie­bige Rolle schlüpfen. Es kostete ihn viel Energie, weshalb er diese Fähigkeit nur selten anwandte. Außerdem war zu seiner Verwandlung gewöhnlich ein geis­tiger Kontakt zum Original nötig. Hatte er die Gestalt von Don Cooper angenommen, um Don vor einer Gefahr zu retten?

Noch immer wohnten zwei Seelen in seiner Brust. Mehrmals schon war das seine ent­scheidende Waffe im Kampf gegen das Böse gewesen. Die beiden Geister konnten sich voneinander trennen, obwohl Lady Ann an sei­nen Körper gebunden war. Wenn Frank im Kampf unterlag, brauchte die Lady nur abzu­warten, bis ihre Chance zum Zu­rückschlagen kam.

Ich war äußerst gespannt auf die Erklärungen des Lords. Vor Wochen war er mit Don Cooper abgereist. Das Fernweh hatte sie außer Landes getrieben. Nach den ersten zwei Ansichtskarten war es still um sie geworden. Wir wußten nicht, was inzwischen passiert war.

Kaum war die Verwandlung des Lords vollzogen, als der Scha­vall herabfiel. Er landete auf Franks Brust. Ich nahm das Amulett auf und hängte es an die Halskette. Jetzt wirkte es wie je­des normale Schmuckstück.