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Lassen Sie sich entführen in die Weiten des Universums und gleichsam in die Tiefen des menschlichen Seins. Ob auf einer Kreuzfahrt zu den Sternen oder in einer Holo-Bar, überall warten Wunder sowie kleine und große Geschichten. Acht davon versammelt der Kurzgeschichtenband TICKET ZU DEN STERNEN.
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Seitenzahl: 99
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Ticket zu den Sternen
DIE BLASE
DIE WÜSTE LEBT
DAS LOCH oder DIE QUELLE DER WETEKIANER
DIE BAR
PLANET E – REISEFÜHRER FÜRS PARADIES
DURCHS RASTER GEFALLEN
WELTENBUMMLERIN
VOM STERBEN UND LEBEN DES DAVID GALE
DIE AUTORIN
Impressum
8ScienceFiction-Kurzgeschichten
von
Anja Buchmann
Schillernd in allen Farben des Regenbogens steigt die Blase auf, verharrt einige Zeit schwebend über den Sümpfen, bevor sie zerplatzt. Plopp!
Ich bin gefasst auf den typisch modrigen Sumpfgeruch, eine Mischung aus Faulgasen und Feuchtigkeit. Stattdessen umweht feiner Blumenduft meine Nase, gemischt mit der krautigen Note frisch geschnittenen Grases. Ich bin verblüfft, trete näher heran, nur noch ein schmaler Streifen des steinigen Grundes liegt vor mir und trennt mich von der brodelnden Lebendigkeit des Sumpfes.
Plopp!
Diesmal rieche ich Zimt, Vanille und andere weihnachtliche Gewürze. Sofort fühle ich mich zurückversetzt in die Küche meiner Großmutter, das Bild, wie sie Plätzchenteig knetet, zum Greifen nah vor meinen Augen.
Noch einen Schritt und noch einen.
Die nächste Blase kann ich beinahe mit meinen Fingerspitzen berühren. Als sie zerbirst, verströmt sie den Geruch eines warmen, weichen Körpers. Theo hat stets so gerochen. Wie habe ich es genossen, mein Gesicht an seiner Brust zu bergen, nachdem wir uns kurz zuvor heftig geliebt haben. Stets hatte ich seinen Duft nach Milch und Honig inhaliert, der sich mit dem herben Aroma seines Schweißes und den olfaktorischen Zeugnissen unserer Erregung zu einer himmlischen Komposition verbunden hatte.
Erst jetzt spüre ich Weichheit unter meinen Füßen, ich drohe einzusinken. Doch bevor ich noch einen Schritt zurück machen kann, auf den Steinboden, werde ich auch schon emporgehoben. Um mich herum hat sich eine Blase gebildet.
Kein Grund zur Beunruhigung, sage ich mir. Gleich wird sie platzen. Unmöglich kann sie mit mir als Ballast höher als einige Zentimeter steigen. Selbst die leeren Blasen haben sich nur einige Minuten im schwebenden Zustand halten können. Kaum eine ist höher als zwei oder drei Meter geschwebt.
Diese Kugel jedoch hält stand. Und meine Reise beginnt …
Ich wollte mir etwas gönnen. Nach Jahrzehnten der harten Arbeit habe ich mich zur Ruhe gesetzt. Es ist an der Zeit, an mich zu denken. Die Kinder sind groß und aus dem Haus und außer meiner Katze habe ich niemanden, dem ich Fürsorge und Aufmerksamkeit schulde.
Außerdem brauche ich etwas, das mir aus dem Loch hilft, in welches ich nach dem Tod meines geliebten Mannes gefallen bin. Da kam mir die Anzeige des Reiseunternehmens genau recht. Es wird eine Reise versprochen, die genau auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnitten ist.
Meine letzte Urlaubsreise lag schon eine Weile zurück und die Beschreibung klang ganz gut: eine geführte Reise zu den Highlights des benachbarten Sonnensystems. Solche Fahrten sind jetzt, im zweiundzwanzigsten Jahrhundert, das, was die Kreuzfahrten wohl im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert waren. Eine schöne Zerstreuung für all jene, die Erholung und Erlebnis suchen, ohne sich selbst allzu viele Gedanken über die Ausgestaltung der Reise zu machen. Mit einem komfortablen Sternenschiff geht es von Planet zu Planet, von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit. Früher habe ich eine solche Form des Reisens stets verabscheut, bin lieber auf eigene Faust losgezogen, habe mich im Vorfeld über mein Ziel informiert, Flug und Unterkunft selbst organisiert. So habe ich viele interessante Orte kennengelernt, auf der Erde ebenso wie auf dem Mars, einigen Jupitermonden und anderen Himmelskörpern. Doch ich bin alt geworden und mir fehlen die Kraft und der Antrieb, mich selbst um solche Dinge zu kümmern. Deshalb zögerte ich nicht lange und buchte das Angebot.
Einem Monat lang werde ich den Komfort eines Luxusschiffes genießen dürfen und nicht weniger als zehn verschiedene Planeten sehen.
Es war bisher wirklich erholsam. Häufig stand ich einfach vor dem großen Panoramafenster und schaute in den Weltraum hinaus. Ich hatte ganz vergessen, wie großartig und wunderschön das All ist. Schon nach zwei Tagen an Bord hatte ich mich vollständig von den Sorgen und Gewöhnlichkeiten des Alltags gelöst. Obwohl ich die Gesellschaft nicht aktiv suchte, traf ich viele nette Leute, fühlte mich jedoch nicht eingeengt. Mir blieb genug Zeit für mich.
Goraban ist der zweite Planet unserer Route. Unser Aufenthalt soll zwei Tage dauern. Das dortige Volk ist berühmt für seine Gastfreundschaft und seine Kochkünste. Gleich nach dem Andocken am internationalen Weltraumbahnhof waren wir umringt von kleinen, blauen Einheimischen, die uns herzlichst begrüßten und uns allerlei Erfrischungen reichten.
Eigentlich hatte ich vorgehabt, mich der von unseren Reiseleitern angebotenen Tour anzuschließen, doch dann sah ich sie: eine Einheimische, die etwas abseits des Trubels stand und hinübersah. Ich war mir sicher, ihre Blicke galten mir. Einer spontanen Eingebung folgend, ging ich auf sie zu. Ich beherrsche ihre Sprache nicht und doch verstanden wir uns auf Anhieb.
Sie nahm meine Hand, ihre war nicht größer als die eines Kindes und fühlte sich etwas kalt an.
Ich rief mir ins Gedächtnis, was ich über die Gorabaner wusste. Es ist eine Spezies, die den Menschen recht ähnlich ist. Sie atmen Sauerstoff und ernähren sich von organischer Materie.
Die Unterschiede sind eher äußerlich. Sie sind selten größer als einen Meter und ihre Haut ist blau. Die Palette reicht von einem sanften Himmelblau bis zu einem kräftigen Nachtblau. Aber sie haben genau wie wir zwei Arme und zwei Beine sowie einen Kopf. Das ist ja durchaus nicht bei allen Spezies der Galaxie der Fall.
Die Fremde zog mich mit sich, und ich folgte. Trotz ihrer geringen Größe lief sie ziemlich schnell. Nach einer Weile war ich außer Atem, doch bevor ich ihr meine Erschöpfung vermitteln konnte, blieb sie stehen. Sie reichte mir eine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit.
Erst hielt ich es für Wasser, doch als ich probierte, schmeckte ich ein Aroma von Zitrusfrüchten und einen Hauch Anis. Ich trank und nahm auch von dem Brot, das sie mir anbot.
Meine Erschöpfung ließ nach, und ich schaute mich um. Ich stand auf einem Plateau aus schwarzem Gestein. In der Ferne sah ich Dunst aufsteigen. Irgendetwas glitzerte im Licht der roten Sonne. Die Gorabanerin wies in die Richtung und lächelte. Dann verneigte sie sich, kehrte mir den Rücken zu und ging davon. Eigentlich hätte ich verunsichert sein sollen, vielleicht auch ängstlich, schließlich war ich allein auf einem fremden Planeten, doch ich verspürte Neugier. Ich wandte mich in die Richtung, die sie mir gewiesen hatte. Wenig später stand ich am Rand des Sumpfes.
Innerhalb von Sekunden rekapituliere ich die Ereignisse, die mich hierher gebracht haben. Ich glaube zu träumen. Immer weiter steigt die Blase auf, höher und höher. Fiele ich nun, ich würde mich ernsthaft verletzen. Furcht ergreift mich, doch dieses Gefühl geht schnell vorüber.
Eigentlich fühle ich mich gut behütet. So müssen sich Babys im Uterus fühlen. Warm und geborgen, umgeben von vertrauten Düften.
Der Geruch in meiner Hülle ist nicht so stark und eindeutig wie der der anderen Blasen.
Vielmehr ist es eine Mischung, die mich an vieles erinnert. Als hätte man mein gesamtes Leben in ein Duftarrangement gefasst. Die Blase verändert sich. An die Stelle der bunt schimmernden Außenhaut treten Bilder, der Blick nach draußen ist mir nun versperrt.
Ich sehe mich selbst als Baby im Arm meiner Mutter, meine Kindheit, Jugend, meinen Mann, meine Kinder, immer schneller dreht sich das Karussell der Bilder. Mir wird schwindlig. Ein jedes Bild wird begleitet von Gefühlen. Die Beerdigung meines geliebten Theos, Kälte umfasst mein Herz. Es wird dunkel, ich friere, die Tränen rollen über meine Wangen. Es ist das erste Mal, dass ich um ihn weine. Selbst an seinem Grab habe ich es nicht vermocht. Jetzt aber bricht sich meine Trauer Bahn.
Als die Tränen versiegen und mein Blick wieder klarer wird, fühle ich mich befreit. Dankbarkeit durchströmt mich, viele schöne Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit steigen in mir auf.
Die Hülle der Blase ist nun glasklar und ich wage einen Blick nach draußen. Ich hatte erwartet, mich noch immer über dem Sumpf zu befinden, doch unter mir erstreckt sich eine Wiese. Wie weit ich wohl geschwebt bin?
Ich schaue nach oben. Der Sternenhimmel liegt direkt über mir, ich muss unglaublich weit oben sein, der Himmel scheint zum Greifen nahe, der Boden so weit entfernt. Wie ist das möglich? Welcher Zauber hält diese Blase zusammen?
Eigentlich sollte ich inzwischen daran gewöhnt sein, dass fremde Planeten stets Überraschungen bereithalten, manches nicht den Naturgesetzen der Erde gehorcht. Was, wenn die Blase mich ins All hinausträgt? Der Kälte und Leere des Weltraums kann sie unmöglich standhalten. Ich würde gerne wieder näher am Erdboden fliegen.
Erst halte ich es für einen Trug, dem meine Sinne unterliegen, doch dann erkenne ich, dass ich mich tatsächlich der Planetenoberfläche nähere. Haben meine Gedanken dies bewirkt? Bin ich in der Lage, mein ungewöhnliches Fortbewegungsmittel zu steuern?
Meine Beine beginnen zu schmerzen, ich stehe noch immer. Vorsichtig lasse ich mich nieder, traue mich sogar, meinen Rücken an die Wand zu lehnen. Ich werde davon umfangen wie von einem gemütlichen Sessel. Ich entspanne mich und genieße den Ausblick. Jetzt eine Tasse Tee. Kaum habe ich es gedacht, schon habe ich einen Henkelpott in den Händen, das Aroma meines Lieblingstees erfüllt die Luft.
Unter mir ein Wald, die Blätter der Bäume allesamt silbern. Welch ein Glanz. Was Goraban wohl noch für Naturwunder bereithält? Aufmerksam blicke ich mich um. Ich passiere eine Stadt, lenke die Blase so weit nach unten, dass ich die Leute erkennen kann. Eine bunte Mischung verschiedenster Spezies trifft hier aufeinander, fast scheint es, als sei das ganze Universum versammelt. Viele der Rassen sind mir gänzlich unbekannt, andere kenne ich nur aus Filmen oder von Abbildungen. Doch so interessant dies sein mag, es zieht mich weiter.
Ein Strand, angespülte runde Steine, ein Meer, das vom Licht der untergehenden Sonne lila gefärbt wird; Inseln, zum Teil nicht mehr als ein paar karge Steine in der Unendlichkeit des Ozeans.
Ich wünsche mir ein paar Kekse und mehr Tee. Es sind Theos Lieblingsplätzchen. Plötzlich ist er bei mir. Erst denke ich an ein Trugbild, dennoch strecke ich die Hand nach ihm aus. Meine Finger berühren warme Haut, spüren einen Herzschlag. Er spricht zu mir: »Meine geliebte Marlene, weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?«
Es sind die rituellen Worte unserer Liebe. Ich antworte wie immer: »Nicht so sehr wie ich dich.«
Seine Hand streicht sanft über meine Wange. Wir küssen uns. Es ist keiner der sanften, zärtlichen Küsse des Alters, sondern einer voller jugendlicher Leidenschaft. Wir reden nicht viel, unsere Liebe bedarf schon lange keiner Worte mehr. Ich koste jeden Moment aus, denn ich weiß, es ist nicht von Dauer.
Gemeinsam überfliegen wir Goraban, teilen die Eindrücke, die uns dieser fremde Planet bietet. Manches habe ich schon gesehen, doch es gibt so viel zu entdecken. Hand in Hand genießen wir die Reise. Die Landschaft ist erhellt vom Licht der drei Monde. Manches bleibt dennoch im Dunklen verborgen. In einigen Städten finden fröhliche Straßenfeste statt. Die Musik dringt bis in unsere Blase. Wir wagen einige Tanzschritte, doch wir sind noch immer schlechte Tänzer, stehen einander ständig auf den Füßen. Lachend geben wir auf. Als wir das nächste Fest überqueren, wippen wir lediglich mit den Füßen. Immer wieder tauschen wir Küsse, übermütig wie die Teenager.
Die Gerüche Gorabans dringen durch die Membran, mal sind wir umgeben vom intensiven Waldgeruch, mal vom Aroma fremdartiger Speisen. Zumindest können wir uns diese herbeiwünschen. Wir schwelgen in den Aromen des fremden Planeten, füttern uns gegenseitig mit erlesenen Leckerbissen. Was uns nicht schmeckt, verschwindet augenblicklich wieder.
Unsere Gedanken steuern die Kugel bald hierhin und bald dorthin, lassen sie aufsteigen oder absinken. Einmal streifen wir fast einen Berggipfel. Gorabans Berge sind sämtlich schwarz wie die Nacht, die grünen Moosflecken treten umso deutlicher hervor. Überhaupt scheint alles hier von einer intensiven Farbigkeit zu sein, selbst Staub ist hier nicht grau, sondern chargiert zwischen Weiß, Braun und Schwarz. Es ist, als sei diese Welt um ein Vielfaches lebendiger als die Erde. Die Lebendigkeit färbt auf mich ab. Meine siebzig Lebensjahre fühlen sich an wie siebzehn. Gemeinsam mit Theo lache ich gegen allen Trübsal sämtlicher Welten an.
Gerne wären wir zwischendurch ausgestiegen, wären mit nackten Füßen über das vom Tau der Nacht feuchte Gras gelaufen, doch wir wissen, es geht nicht. Unsere kleine Welt ist die Sphäre, wir können sie nicht verlassen, ohne sie zu zerstören. Wir nehmen dankbar, was uns gegeben wird. Es ist ein Geschenk, so unverhofft und dennoch willkommen.
Als wir wieder über dem Ozean sind, ist die Nacht vorüber. Die Sonne geht auf, und für Theo ist es Zeit zu gehen. Diesmal aber kann ich 'Lebewohl' sagen, bevor er verschwindet.
An meiner Haut haftet noch immer sein Geruch, als ich auf dem Steinplateau zu mir komme.
Zumindest bilde ich mir dies ein. Ich bin nicht sicher, ob dies alles nur ein Traum war.
Eigentlich ist dies die einzig mögliche Erklärung. Aber es hat sich so real angefühlt, erst jetzt beginne ich zu zweifeln.
Die kleine, blaue Frau ist da, um mich abzuholen. Sicher geleitet sie mich zum Weltraumbahnhof zurück.