Umarmung der Nacht - Anja Buchmann - E-Book

Umarmung der Nacht E-Book

Anja Buchmann

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Beschreibung

Die Nacht birgt viele Geheimnisse. Diese Düsternis zu ergründen ist gefährlich; zu gefährlich für die wohlbehütete Imogen. Als sie auf den mysteriösen Eric trifft, kann sie sich der Aura der Gefahr nicht entziehen. Fasziniert lässt sie sich von ihm in die Umarmung der Nacht entführen. Kann Imogen in einer Welt bestehen, von der sie bisher nichts ahnte? Oder wird die gefährliche Leidenschaft füreinander nicht nur sie, sondern auch Eric in den Abgrund reißen? Atemberaubende Spannung und prickelnde Leidenschaft - dieser Roman verursacht Herzrasen!

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Umarmung der Nacht

Umarmung der Nacht Romantasy von Anja Buchmann 12 Am nächsten Morgen im Nobelviertel der Stadt 3 Währenddessen am Rand der Stadt 4 Am Nachmittag im Nobelviertel 5 Am Abend am Stadtrand 6 Am Abend in einem der reichen Stadtbezirke 7 In der Nacht in einem Wald nahe der Stadt 8 Sonntagmorgen in Imogens Wohnung 9 Bei Einbruch der Dunkelheit im Hauptquartier des Zirkels 10 Zeitgleich in einem der Parks 11 Später im Nobelviertel 12 In Erics Wohnung 13 In der Nacht auf der Straße 14 Währenddessen in Erics Wohnung 15 Stunden später im Wald 16 Vier Tage später im Haus im Wald 17 Währenddessen irgendwo in der Stadt 18 Vier Tage später im Haus im Wald 19 Einen Tag später in der städtischen Kanalisation 20 Zwei Tage später im Wald 21 Dreißig Jahre zuvor in den Armenvierteln der Stadt 22 Am Abend im Haus im Wald 23 Zehn Jahre zuvor im Einflussbereich des Zirkels 24 Am späten Abend im Haus im Wald 25 Am nächsten Mittag in der Stadt 26 Zeitgleich im Wald 27 Zehn Jahre zuvor in der Stadt 28 Am Nachmittag im Wohnzimmer des Waldhauses 29 Zehn Jahre zuvor in einem Dorf in der Nähe der Stadt 30 Am Nachmittag im Wohnzimmer des Waldhauses 31 Zur gleichen Zeit in der städtischen Kanalisation 32 Kurz nach Einbruch der Dunkelheit im Wald 33 Am Abend im Waldhaus Die AutorinImpressum

Umarmung der Nacht

Romantasy von Anja Buchmann

1

Die flackernden Lichtblitze, die die allgemeine Düsternis durchzuckten, befeuerten ihre Kopfschmerzen ebenso wie die dröhnenden Bässe. Warum nur hatte sie sich zum Mitkommen überreden lassen? Solch ein unvernünftiges Verhalten sah ihr nicht ähnlich.

Auf jeden Fall sollte sie sich weiterer alkoholischer Getränke enthalten. Imogen schob das Cocktailglas von sich, in dem ohnehin nur noch einige Eiswürfel auf einem Bodensatz aus Zucker und Kräutern vor sich hinschmolzen.

»Noch einen?«, brüllte der Barkeeper.

Sie schüttelte den Kopf.

»Geht aufs Haus.«

»Nein danke.«

»Vielleicht was anderes?«

»Ein Wasser.«

»Wasser? Come on. So was gibt es bei mir nicht. Selbst die Eiswürfel sind aus Wodka.« Der Barmann lachte schallend über seinen eigenen Scherz. Es war doch einer?

Sie reagierte nicht, in der Hoffnung, er möge das Interesse an ihr verlieren, aber das war ihr nicht vergönnt.

»Einen Spezialcocktail für eine ganz besondere Frau. Komm schon, zier dich nicht so«, drängte er sie und griff nach ihrer Hand.

Was für ein unmögliches Benehmen! Personal hatte freundliche Zurückhaltung zu üben. Zumindest kannte sie das so aus allen Clubs, in denen sie bisher gewesen war. Doch dies war kein gewöhnlicher Club, zelebrierte man hier eine in ihren Kreisen nahezu verpönte Zügellosigkeit. Das Black Moon war berühmt und berüchtigt, wobei Letzteres Ersteres nach sich gezogen hatte.

Die Theke zu verlassen, war wohl die einzige Möglichkeit, sich von der Aufdringlichkeit des geschniegelten Widerlings zu befreien.

Auf der Tanzfläche zwischen den ekstatisch zuckenden Leibern – wie viele hatten ihre Enthemmung wohl illegalen Drogen zu verdanken? – fühlte sie sich nicht wohler. Die Nähe zu ihren Freundinnen hätte es besser gemacht, aber sie konnte keine der drei im dichten Gedränge ausmachen. Kaum hatten sie das Etablissement betreten, waren sie auf die Tanzfläche gestürmt und hatten Imogen alleine an der Bar zurückgelassen. Verräterinnen! Dabei war sie nur auf deren Drängen mitgekommen.

Nicht nur der Club, sondern auch das Viertel, in dem er sich befand, war berüchtigt. Sich dort anders als in einer größeren Gruppe zu bewegen, war leichtsinnig und gefährlich. Dennoch spielte sie ernsthaft mit dem Gedanken, sich auf den Heimweg zu machen.

Ihre Kopfschmerzen hatten weiter zugenommen. Außerdem spürte sie überdeutlich die begehrlichen Blicke mehrerer Männer. Wie konnten sie nur? Nicht wenige von ihnen stammten wie sie aus der High Society, das sah sie ihnen an. Ihr Benehmen entsprach dem jedoch ganz und gar nicht. Statt Handkuss und formvollendeter Konversation wurde sie von zahlreichen Augen förmlich ausgezogen. Dabei war sie weit weniger aufreizend gekleidet als ihre Geschlechtsgenossinnen. Ihr schwarzes Kleid war zwar körperbetont, aber hochgeschlossen und nahezu knielang. Nonnentracht hatte ihre Freundin Calida es beim Zurechtmachen genannt. Ihr Alleinsein jedoch schien sie als Beute zu prädestinieren.

Als die erste Männerhand auf ihrem Hintern landete, hatte Imogen endgültig genug. Sie unternahm keinen Versuch, ihre Begleiterinnen zu finden – die beschwerten sich nachher nur über den frühzeitigen Aufbruch –, sondern drängelte sich zum Ausgang durch.

Kühl schlug ihr die Nachtluft entgegen. Nach der stickigen Hitze des Clubs war dies eine Wohltat. Die erhoffte Ruhe fand sie nicht. Noch immer wartete eine beträchtliche Menschenmenge auf Einlass, erfüllte die Gasse mit Gesprächen und Gelächter.

Die enge Häuserschlucht mündete in eine breitere Straße, die zu dieser späten Stunde gänzlich unbelebt war. Ein paar Autos parkten am Straßenrand und einige wenige Fenster der heruntergekommenen Häuser links und rechts waren beleuchtet. Nach der Enge des Clubs war ihr diese Einsamkeit fast ein wenig unheimlich. Das Klappern ihrer Absätze auf dem löchrigen Straßenbelag hallte übermäßig laut.

Sie würde ein ganzes Stück laufen müssen, bevor sie ein Taxi fände. Der Taxifahrer, der sie hergebracht hatte, hatte sich geweigert, in diesen Stadtbezirk hineinzufahren. Angeblich mied sogar die Polizei Gegenden wie diese. Ihr Vater brächte sie um, wenn er wüsste, dass sie hier war. Für ihn war jeder, der hier wohnte, ein Krimineller oder zumindest ein Mensch zweiter Klasse. Pack, Taugenichtse und Untermenschen waren noch die harmlosen Bezeichnungen, mit denen er all jene bedachte, die in den ärmeren Stadtbezirken der Fünf-Millionen-Metropole lebten. Nicht nur einmal hatte er sich dafür ausgesprochen, diese Menschen umzusiedeln oder zumindest ihre Stadtteile abzuriegeln. Oft ärgerte sie sich über die Vorurteile, die ihr Vater hatte und allzu deutlich zeigte. Einmal hatte er einem Hausmädchen gekündigt, als er herausfand, dass ihre Eltern aus dem ärmsten Bezirk der Stadt stammten. Dabei hatte die arme Esra alles getan, um sich anzupassen. Sie hatte härter gearbeitet als alle anderen Bediensteten, Sprache und Umgangsformen waren tadellos. Im Endeffekt hatte Imogens Vater sie dorthin zurückgeschickt, woher sie ursprünglich kam: in die Armut. Wie viele, die hier lebten, teilten wohl dieses Schicksal, hatten nie eine Chance, ihrem Elend dauerhaft zu entfliehen?

Imogen glaubte nicht daran, dass die Herkunft den Charakter eines Menschen bestimmte, wohl aber konnte ein Leben im Abseits Verbrecher erschaffen.

Plötzlich hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Automatisch beschleunigte sie ihre Schritte, warf suchende Blicke in die Dunkelheit, ohne jedoch wirklich etwas sehen zu können. Straßenbeleuchtung gab es keine. Glaubte man den Gerüchten, so bevorzugten die Bewohner die Verschwiegenheit der Nacht. Sie mahnte sich, jetzt nicht darüber nachzudenken, sonst bereute sie ihren Alleingang noch. Sie neigte nicht zu Ängstlichkeit, war dennoch froh, auf teuren Schmuck und andere Zeichen ihres Wohlstandes verzichtet zu haben.

»He, du!«, schallte es durch die Häuserschlucht. Imogen begann zu rennen, verfolgt vom Lärm mehrerer Stiefelpaare.

Er war ihr gefolgt, seit sie das Black Moon verlassen hatte. Parallel zu ihrem Weg bewegte er sich von Dach zu Dach.

Eine Frau wie sie gehörte nicht hierher, doch das war es nicht, was sein Interesse geweckt hatte. Der Club zog scharenweise Abenteuerlustige aus den reichen Bezirken der Stadt an, Menschen, die für seinesgleichen meist nur Verachtung übrig hatten und sie nur als Bestandteile dieser Kulisse des Verfalls und Niedergangs duldeten. Was ihn dazu veranlasst hatte, gerade sie ins Auge zu fassen, vermochte er nicht zu sagen; möglicherweise einzig die träge Langeweile, die ihn in Nächten wie dieser auf die Dächer trieb.

Mühelos hielt er ihnen Laufschritt mit, behielt sowohl ihren wehenden blonden Haarschopf als auch die immer näher kommenden Männer im Auge. Er kannte die vier, sie gehörten zu seiner Art, jedoch nicht zum Zirkel. Ihnen ihre Beute streitig zu machen, widersprach dem Kodex. Daher zögerte er.

Fast hatten sie die junge Frau erreicht, die unvermittelt stehen blieb. Behände und lautlos kletterte er die Feuerleiter herab. Mit der Geschmeidigkeit einer Katze landete er direkt neben ihr. Er packte ihren Arm. Vor Schreck schrie sie auf.

Er drückte sie gegen die Hauswand, spürte dabei, wie ihr Körper sich versteifte. Die Weichheit aber blieb. Eine echte Frau, keine dieser halb verhungerten blassen Gestalten, wie sie die High Society bevorzugte.

Ihre Verfolger hatten zu ihnen aufgeschlossen. Mit seinem Körper schirmte er sie ab, drehte sich zu den Männern um. Obgleich sie ihn zweifellos erkannten, verbargen sie ihr Missfallen nicht. Ein Blick und ein grollendes »Meine Beute!« ließen die Rangniederen den Rückzug antreten. Er blickte ihnen nach, bis sie außer Sicht waren, während er den zitternden weiblichen Körper weiter gegen die Mauer presste, sich ihres pochenden Herzens und des stoßweisen Atems mehr als bewusst. Den erwarteten Gestank der Angst konnte er nicht wahrnehmen. Dieser hätte wohl zu einem angeekelten Abwenden seinerseits geführt.

Adrenalin flutete ihren Körper, als ihr klar wurde, dass sie ihren Verfolgern unmöglich würde entkommen können. Instinkte, von deren Existenz sie bisher nichts geahnt hatte, schalteten von Flucht auf Verteidigung. Abrupt blieb sie stehen und wendete sich um, entschlossen zum Angriff. Nahezu zeitgleich wurde sie gepackt, zur Seite gerissen und gegen die Hauswand gedrückt.

Sie hatte ihn weder kommen sehen noch sein Nahen gehört, doch dafür war er nun umso präsenter; annährend zwei Meter und mindestens hundert Kilo kraftvolle Männlichkeit gepaart mit den tödlichen Reflexen eines Raubtiers. Sie sah das Aufblitzen seiner Augen. Leuchteten diese oder trogen sie ihre überreizten Nerven?

Dicht an die Mauer gepresst und von ihm geschützt, sah sie nicht, was zwischen ihm und ihren Verfolgern vor sich ging. Das sonore Knurren, das seiner Kehle entstieg, hatte nichts Menschliches an sich und ließ sie bis ins Mark erzittern.

Die Gefahr schärfte ihre Sinne. Tief sog sie seinen Duft ein. Anders als die Kerle im Club roch er nicht nach einem penetranten Aftershave, sondern pur, nach Mann und dem Leder seiner dunklen Jacke. Ganz nah wollte sie die Nase an seinen Hals bringen, um ihn noch deutlicher wahrzunehmen.

Es war absurd! Sie sollte Furcht empfinden, hatte dieser Fremde doch nichts Vertrauenserweckendes an sich. Alles an ihm schien wild und gefährlich.

Was sie verspürte, war etwas anderes: Erregung.

Er wandte sich ihr zu, gab sie langsam frei. Sie rührte sich dennoch nicht von der Stelle, während er sie von oben bis unten musterte, schweigend. Gefiel ihm, was er sah? Es war zu dunkel, als dass sie sein Gesicht lesen konnte.

In einer unerwartet galanten Geste reichte er ihr den Arm, den sie ohne Zögern ergriff.

»Dann werden wir dich mal nach Hause bringen.« Seine Stimme war tief, kraftvoll, gleichzeitig weich. Die aufdringliche Vertraulichkeit jedoch weckte ihren Trotz.

»Nicht nötig. Ich komme schon zurecht.«

Seine Antwort war begleitet von einem trockenen Lachen. »Das habe ich gesehen.«

Sie wollte ihren Arm zurückziehen, aber er packte ihr Handgelenk.

»Du hast doch nicht etwa Angst vor mir? Keine Sorge, ich tue dir nichts. Du bist nicht mein Typ. Ich stehe auf Frauen, die von Hausdächern springen und dabei vor Freude lachen.«

Wer sagte ihm, dass sie nicht so eine Frau war? Insgeheim wusste sie natürlich, dass in ihr keine furchtlose Draufgängerin steckte, aber sie könnte es werden. Er weckte in ihr den Wunsch danach.

Sie wusste nicht, was sie wütender machte, seine Unterstellung oder ihr Ansinnen, ihn eines Besseren zu belehren. Die Geschehnisse der Nacht hatten sie erschöpft, aber ihre Wut verlieh ihr neue Kraft. Mit einem Ruck riss sie sich los, wendete ihm den Rücken zu und ging davon.

Er hätte es gut sein lassen sollen. Sie war es nicht wert. Er hatte es nicht nötig, einer Frau hinterherzulaufen. Hier in seinem Revier konnte er beinahe jede haben und Frauen wie sie stellten ebenfalls kein Problem dar. Viele Töchter aus reichem Hause konnten es gar nicht erwarten, sich auf ein Abenteuer mit einem Bad Boy wie ihm einzulassen.

Sich um diese Frau zu bemühen, ihr nachzulaufen, war Verschwendung. Dennoch folgte er ihr in einigem Abstand, unschlüssig, was er tun sollte. Bevor er eine Entscheidung treffen konnte, winkte sie ein Taxi heran. Verborgen im Schatten beobachtete er, wie sie im Fond des Wagens verschwand. Seine feinen Ohren fingen auf, welches Fahrziel sie dem Fahrer nannte. Täuschte er sich, oder schaute sie sich noch einmal um, bevor sie einstieg?

Er könnte dem Wagen folgen. Das Tier in ihm verspürte den Wunsch. Sein Verstand war stärker als seine Triebe. Er würde die Sicherheit seines Reviers nicht verlassen; nicht für eine Frau, nicht für eine von denen.

2

Am nächsten Morgen im Nobelviertel der Stadt

Der Wecker schrillte um sieben. Obwohl sie erst gegen zwei Uhr zu Hause gewesen war, fiel es Imogen nicht schwer, aufzustehen. Nichts hielt sie länger in ihrem Bett, war der Schlaf alles andere als ruhig und erholsam gewesen. Immer wieder war sie hochgeschreckt, wenn Bruchstücke des vergangenen Abends durch ihr Bewusstsein rauschten. Diese Augen. Das Gefühl des fremden Körpers, fest gegen den ihren gepresst. Der Kitzel der Gefahr. Die Erinnerungen waren verwirrend, vielleicht in einem noch stärkeren Maße als die Geschehnisse selbst. Es war eine angenehme Art der Verwirrtheit, einem Rausch nicht unähnlich oder dem Zustand der Verliebtheit. Nein, korrigierte sie sich, nicht wolkengleich schwebende, rosarote Verliebtheit. Zu kraftvoll, zu mächtig waren die Eindrücke gewesen. Imogen konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal etwas so intensiv wahrgenommen hatte wie jene wenigen Minuten mit dem geheimnisvollen Fremden.

Er hatte sie gerettet und sie hatte sich nicht einmal bedankt. Zurückweisung war alles, was er erhalten hatte. Im Nachhinein bedauerte sie ihren Mangel an Höflichkeit. Anderseits hätte sie sich unmöglich von ihm nach Hause bringen lassen können. Das wäre einer Einladung in ihr Bett gleichgekommen, zumindest, wenn man die Maßstäbe seiner Welt zugrunde legte.

Jetzt dachte sie schon wie ihr Vater! Warum konnte sie nicht einfach annehmen, dass das Angebot wirklich nur als nette Geste gemeint war? Als Wunsch eines Gentlemans, eine Lady zu beschützen?

Sie erinnerte sich an die Aura der Gefahr, die ihren Retter umgab. Noch immer löste sie nicht Angst aus, sondern Erregung. Nicht seine Absichten hatte sie insgeheim in Zweifel gezogen, sondern die ihren. Sie rief sich selbst zur Räson. Angesichts des Gefühlschaos, welches die Begebenheiten der vorangegangenen Nacht in ihr auslösten, war es wohl das Beste, nicht weiter darüber nachzudenken und die ganze Sache so schnell wie möglich zu vergessen.

Sie warf einen Blick auf den Wecker. Ihre Grübeleien hatten sie eine Viertelstunde gekostet. Eigentlich sollte sie jetzt schon beim Joggen sein. Sie beeilte sich, in ihre Sportkleidung zu schlüpfen. Obwohl Samstag war, folgte ihr Tag nichtsdestotrotz einem festen Plan. So war es, seit sie denken konnte. Ihr Vater hatte stets sehr genau darauf geachtet, dass die Routinen eingehalten wurden. Obwohl sie mittlerweile allein wohnte, hatte sie diesen Aspekt der Selbstdisziplinierung beibehalten.

Normalerweise war ihr Laufstil ein gemütliches Traben; an diesem Morgen rannte Imogen so schnell, wie sie konnte. Ihr Weg führte sie durch den nahe gelegenen Park, und als sie den dort dahinplätschernden künstlichen Bachlauf erreichte, sprang sie mit einem Satz darüber, statt wie sonst die Holzbrücke zu benutzen. Ihr entfuhr ein Juchzen. Kein Hausdach, aber immerhin.

Ich stehe auf Frauen, die von Hausdächern springen und dabei vor Freude lachen.Die Worte des Fremden, der Klang seiner Stimme, überdeutlich in ihrem Kopf.

Sie stoppte ihren Lauf. Sie war vollkommen außer Atem. Sie joggte drei Mal die Woche, aber niemals zuvor hatte sie sich dabei so gut gefühlt. Obwohl ihr der Schweiß den Rücken hinabrann, bewältigte sie den Heimweg fast ebenso schnell wie den Weg in den Park.

Die eiskalte Dusche ließ ihre Haut prickeln. Vollkommen nackt ging sie in die Küche, griff automatisch zur Müslipackung, hielt dann inne. Warum tat sie sich jeden Morgen dieses Zeug an? Nur weil es gesund war? Sie hatte Appetit auf Eier und Speck, etwas, was ihr Kühlschrank jedoch bedauerlicherweise nicht zu bieten hatte. Also Müsli?

Nein. Wiewohl es ihre Pläne durcheinanderbrachte, sie würde frühstücken gehen. Die Wochenendausgabe der Wirtschaftszeitung konnte ebenso warten wie die Akten, die sie wie üblich aus dem Büro mitgebracht hatte. Seit ihrem Studienabschluss vor drei Jahren arbeitete sie als Controllerin im Software-Unternehmen ihres Vaters. Dieser erwartete von ihr noch mehr als von den anderen Angestellten, einfach, weil sie seine Tochter war. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, blieb ihr nichts anderes übrig, als seinem Vorbild zu folgen und am Wochenende zu arbeiten.

Hätte sie eine Wahl gehabt, sie hätte sich für einen anderen Job, ein anderes Studienfach – vielleicht etwas Soziales oder Geisteswissenschaftliches – entschieden. Doch schon, als sie klein war, hatte festgestanden, dass sie, das einzige Kind, die Firma übernehmen sollte. Was war ihr geblieben, als sich zu fügen?

Sie war feige gewesen! Und bequem! Diese Erkenntnis – nicht neu, aber niemals in dieser Klarheit gedacht – schmerzte.

Plötzlich hatte sie keinen Hunger mehr. Sie würde wieder ins Bett gehen. Sie zog sich die Decke über den Kopf und versuchte, neben dem Licht alle negativen Gedanken auszusperren. Leuchtende Augen und starke Arme. Sie begann zu träumen.

3

Währenddessen am Rand der Stadt

Selten war er dermaßen rast- und ruhelos. Erst der hereinbrechende Morgen hatte seinem ziellosen Umherstreifen durch sein Viertel ein Ende gesetzt und ihn veranlasst, seinen stets dämmrigen Unterschlupf aufzusuchen. Es war nicht so, dass er Tageslicht nicht ertrug, es schenkte ihm nur nicht den Schutz, den die Nacht ihm bot.

Er ließ sich auf sein Bett fallen und starrte an die Decke. Obwohl inzwischen Stunden vergangen waren, konnte er noch immer nicht verstehen, was in dieser Nacht geschehen war. Diese Frau, warum hatte er sie gerettet? Entgegen allen vernünftigen Überlegungen? Er kannte die Antwort, zumindest einen Teil davon: Das Tier in ihm, es hatte der Verlockung nicht widerstehen können. Brach es hervor, so fiel es ihm schwer, der Vernunft den Vorrang zu geben. Warum in diesem Fall? Was hatte jene Frau an sich gehabt, das ihn dermaßen stark auf sie reagieren ließ?

Er konnte sie noch immer riechen. Allzu deutlich stach ihr Duft hervor aus all den Gerüchen der Nacht, die sich in seiner Kleidung und seinem Haar verfangen hatten. Das unerklärliche Verlangen nach ihr wallte erneut auf. Keine Angst, sie hatte sich nicht vor ihm gefürchtet. Reichte das bereits, um ihn zu reizen? War ihr Mangel an Angst der Grund, warum ihm die nächtliche Begegnung nicht aus dem Kopf ging?

Wenngleich er seiner animalischen Seite, der damit einhergehenden Stärke vieles, wenn nicht gar alles verdankte, was er hatte und was er war, so verfluchte er in Momenten wie diesem deren kompromisslose Natur, unzugänglich für jede Art der Vernunft. Er wollte diese Frau. Gleichzeitig wusste er, dass er sie nicht bekommen konnte. Längst schon hatte sie sein Reich verlassen.

Er fluchte lauthals und sprang auf. Mit bloßen Fäusten bearbeitete er den Boxsack, der in einer der Zimmerecken von der Decke baumelte. Das Knallen von Haut auf Leder übertönte seine Gedanken. Sein Schweiß tränkte seine Kleidung und überdeckte ihren Geruch.

4

Am Nachmittag im Nobelviertel

»Du bist spät«, begrüßte ihre Mutter sie.

»Entschuldige Mutter. Wo ist Vater?«

»Im Arbeitszimmer, wo sonst. Wie du wieder aussiehst. Als ob du nichts Vernünftiges zum Anziehen hättest. Was ist mit den Kleidern, die ich dir zum Geburtstag geschenkt habe?«

Imogen sah keine Veranlassung, sich für einen Besuch bei ihren Eltern in eines der unbequemen Etuikleider zu zwängen. Jeans und ein Pullover taten es vollkommen, fand sie. Es war schon schlimm genug, dass ihre Mutter sie bei jedem gesellschaftlichen Event zwang, sich herauszuputzen.

Um ihre Mutter Camilla nicht vor den Kopf zu stoßen, antwortete sie: »Die Kleider schone ich für besondere Anlässe.«

»Aber Kind, das hast du doch nicht nötig. Trenn dich endlich von diesen Jugendklamotten.« Sie zeigte auf die Jeans. »Du bist keine achtzehn mehr. So findest du nie einen Mann.«

Daher also wehte der Wind. Bevor sie etwas erwidern konnte, setzte ihre Mutter nach. »Außerdem ist diese Kleidung nicht gerade vorteilhaft bei deiner Figur.« Sie griff nach Imogens Hüfte, nahm die Fettschicht prüfend zwischen zwei Finger. »Du solltest wirklich mehr Sport machen. Und etwas disziplinierter sein beim Essen.«

Am liebsten wäre es ihr wohl, Imogen wäre auf Dauerdiät wie sie selbst. Das kam nicht infrage. Selbst eine gertenschlanke, durchtrainierte Figur wie die ihrer Mutter war dies nicht wert. Das Eintreten ihres Vaters bewahrte sie davor, etwas zu den Ermahnungen ihrer Mutter sagen zu müssen. Er war nicht allein. Ein jüngerer Mann, der ihr vage bekannt vorkam, folgte ihm ins Wohnzimmer.

»Imogen, schön, dass du da bist. Du kennst doch sicher Florian. Ich habe ihn gerade als meinen Assistenten eingestellt.«

Der Name sagte ihr etwas. Er war der Sohn eines wichtigen Geschäftspartners. Bei einer Firmenfeier vor einigen Monaten hatten sie sich kurz unterhalten. Wenn sie sich recht erinnerte, war er ein paar Jahre älter als sie, etwas über dreißig. Er wirkte jedoch um einiges jünger. Sie war sich nicht sicher, ob dieser Eindruck dem Anzug geschuldet war, der ihm einen Hauch zu groß war und wirkte, als müsse er noch hineinwachsen, oder dem strahlenden Lächeln, das sich im Funkeln der ozeanblauen Augen fortsetzte.

Florian reichte ihr die Hand. »Es freut mich, Sie wiederzusehen.« Sein Händedruck war nicht besonders fest und er ließ ihre Hand eine Spur zu rasch wieder los. Warum diese Unsicherheit?

Sie lächelte ihn an. »Ich freue mich auch, Sie wiederzusehen.«

»Nicht so förmlich, ihr beiden. Jetzt, wo Florian bei uns arbeitet, gehört er quasi zur Familie. Ihr solltet euch duzen«, meinte ihr Vater.

Er musste große Stücke auf den Mann halten, wenn er ihm nicht nur den Job als sein Assistent gab, sondern auch gleich einen solch vertraulichen Umgang zuließ. Das sah ihrem Vater nicht ähnlich.

»Kommt! Ich habe den Tee im Wintergarten servieren lassen.«

Sie folgten ihrer Mutter. Das mit der Aufnahme in die Familie schien ernst gemeint zu sein, denn normalerweise duldeten sie keine Gäste bei ihrem traditionellen Samstags-Familietee. Imogen mutmaßte, dass es geschäftliches Kalkül war, das ihren Vater so handeln ließ. Wahrscheinlich hatte Florians Vater einen großen Deal in Aussicht gestellt. Nun, sie würde es schon noch früh genug erfahren. Im Moment freute sie sich einfach auf einen Nachmittag, an dem sie einmal nicht allein im Mittelpunkt des Interesses stünde.

Eine Stunde verging unter belanglosem Small Talk und sie begann, sich zu langweilen. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab, vornehmlich zu den Geschehnissen der vergangenen Nacht.

Der Ellenbogen ihrer Mutter stach ihr in die Seite und mahnte sie zu mehr Aufmerksamkeit. Reflexartig lächelte sie.

Mit einem lauten Klirren stellte ihr Vater die Teetasse auf den Unterteller. Es war nicht Ungeschicklichkeit, sondern seine Art, sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden zu sichern.

»Camilla, ich denke, wir sollten uns langsam verabschieden. Du willst dich doch sicher noch frisch machen, bevor wir losfahren.«

»Losfahren? Wo wollt ihr denn hin?« Sie hatte nichts von etwaigen Abendplänen ihrer Eltern gewusst. Für gewöhnlich blieb sie zum Abendbrot.

»Freunde besuchen«, antwortete ihre Mutter. »Aber keine Sorge, du musst den Abend nicht alleine verbringen. Florian wird dir Gesellschaft leisten. Nicht wahr, mein Junge?«

Florian antwortete: »Es ist mir eine Freude.«

Jetzt verstand Imogen, was vor sich ging. Ihre Eltern hatten ein Date für sie organisiert. Wie peinlich! Am liebsten hätte sie sich irgendeine Ausrede einfallen lassen und sich verabschiedet, aber sie wusste, es wäre unhöflich gewesen. Außerdem, was konnte es schaden, einen netten Abend mit einem Mann zu verbringen. Florian sah nicht schlecht aus, war kultiviert und gebildet. Vielleicht legte er die angespannte Steifheit ab, wenn sie nicht länger unter Beobachtung ihrer Eltern standen.

Das Hausmädchen räumte das Teegeschirr ab und ihre Eltern verschwanden im Obergeschoss, um sich für den Abend zurechtzumachen.

»Deine Mutter hat mir von ihrem tollen Garten erzählt. Vielleicht könntest du mich etwas herumführen.«

»Gerne.«

Es war nicht das Wetter für einen Spaziergang. Große, schwere Regenwolken hingen am Himmel, aus denen es ab und zu tropfte. Dennoch war Imogen froh über die frische Luft und darüber, ein Thema zu haben, über das sie reden konnte. Mit Pflanzen kannte sie sich aus, besser noch als ihre Mutter. Sie war es nämlich gewesen, die diesen Garten geplant hatte.

Geduldig lauschte Florian ihren Erklärungen, lenkte das Gesprächjedochschon bald auf andere Themen. Als es allmählich kühl wurde und sie zurück ins Haus gingen, kannte er ihre Lebensgeschichte zumindest in groben Zügen. Er selbst hatte bisher kaum etwas von sich erzählt, was ihn ihr jedoch sehr sympathisch machte. Viele Männer neigten dazu, sich selbst als das Zentrum der Welt zu sehen und entsprechend ausgiebig über sich zu reden.

»Und, was machen wir mit dem angebrochenen Abend?«

Sie zuckte mit den Schultern.

»Ich würde dich gerne zum Essen einladen, wenn ich darf.«

»Unter einer Bedingung: keins dieser In-Lokale.«

»Kein Problem.« Er reichte ihr den Arm. »Ich kenne da ein nettes Restaurant.«

»Muss ich mich umziehen?«

»Nur wenn du möchtest.«

»Dann nicht.«

Ihre Mutter wäre nicht einverstanden, dass sie so auf ein Date ging, aber das war ihr egal. Und schließlich war sie überrumpelt worden.

5

Am Abend am Stadtrand

»Wo will Eric hin?«

»Keine Ahnung, Leon. Wieso willst du das wissen?« Bianca gähnte und re