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Berichte über erstaunliche Erfahrungen in meditativen, esoterischen und spirituellen Methoden, wie etwa Gopi Krishnas Kundalini-Yoga, füllen inzwischen ganze Bibliotheken. Aber auch Bücher und Zeitschriften zur Psychoanalyse sind unübersehbar geworden. Doch für sich allein zeigen sich in beiden Bereichen keine wesentlichen Fortschritte mehr. Ein Verfahren, das sie mittels einer einfachen Praxis verbindet und doch wissenschaftlich begründet bleibt (Analytische Psychokatharsis) kann Abhilfe schaffen. Durch das Studium dieses Buches und daraus erlernbare Schritte können erste Erfahrungen zur eigenen Analyse gemacht werden.
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Seitenzahl: 181
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Cis und Trans
L’Autre
Singularitäten
Gopi Krishna
Göttinnen und Grundsprachliches
Die Meritokratie
Psychoanalyse und Meditation
Analytische Psychokatharsis
Bild, Luzider Traum, ‚Vision‘
Menschenkrise
Moses‘ Kundalini
Anhang
Literaturverzeichnis
Transhuman, Transzendenz, Transgender, Transsubstantiation, Transuran, es gibt hunderte von Wörtern mit der Vorsilbe ‚trans‘. Warum? Weil sie dazu taugt etwas in Schwebe zu lassen oder gar zu verschleiern. Denn Trans ist alles, mit dem man nicht weiterkommt und es somit in eine Art von Jenseits befördert wird. Jenseits von allem, was man nicht hören, bezeichnen, sehen, denken, berechnen und träumen kann. Trans ist eine Ausrede, ein Alibi. Das gilt selbst für Bezeichnungen wie Transporter oder Transfiguration, denn eine Figuration, ein figürlich Gestaltetes war bereits da, aber für das zweite, das trans davon hätte sein sollen, hatte man keinen eigenen Namen, also sagte man Trans-Figuration. Das erste figürlich Gestaltete wurde irgendwie und -wo hinübergeschickt, sowie der Hinträger zum Transporter wird. Warum trägt er es nicht hin, hinein, direkt ins Wesen des anderen, warum ist er nicht unmittelbar und empathisch mit ihm, warum trägt er es nur hinüber, trans?
Denn Es ist doch da, Es, das Subjekt. Das Subjekt des Unbewussten, das Translose. Bevor ich später weiter dazu komme noch ein Hinweis darauf, dass freilich auch abgeschwächte Formen des Trans existieren, wie vielleicht beim Transposon, das als Fachausdruck gelten soll. Dabei hätte man den Begriff ‚springende Gene‘ für das Hin- und Herspringen der Transposone doch beibehalten können. Doch am meisten stört mich z. B. das Wort Transparenz. Es enthält das lateinische ‚parere‘, erscheinen, sich zeigen, gehorchen. Mit der Vorsilbe ‚trans‘ wird das Erscheinen zu einer besonderen Sichtigkeit verstärkt und erhoben, die doch gar nicht nötig ist. Denn wirklich durchsichtig, durchschaubar ist nichts. Der Begriff Transparenz tut so, als sei etwas ganz klar, offen und ersichtlich fassbar, in Wirklichkeit aber werden dafür noch weitere Worte, Definitionen und Erklärungen und Beweise gefordert. Und so benimmt sich die Transparenz wohl nur wie etwas Imaginäres, vielleicht Imaginär-Reales, Bild-Wirkliches oder -Wirkendes, auf jeden Fall nicht wie etwas konkret Durchschaubares, Durchschautes, und allein schon vom Visuellen her total Erfasstes. Es ist nur transparent, es muss durch etwas anderes hindurchgehen, das vortäuscht, es sei es selbst.
So tobt seit jeher ein Streit zwischen dem Hier und dem Dort, dem Cis und dem Trans, dem Hinüber und dem direkt Hinein, dem Hiesigen und dem Transhiesigen, dessen Trans man lange Zeit (und z. T. auch heute noch) einfach in den vier Buchstaben G, o, und doppelt t versteckt und verwahrt hat. Ich schreibe dies so ein bisschen semiotisch, um nichts von vornherein festzulegen. Denn das G, o und tt war eine Frage des Glaubens, mit dem man eine Zeit lang so mittelgut gefahren ist, aber man wusste nicht, was im Darüber hinaus, im Trans, wirklich los ist. Und so liegt im Glauben und im Nicht-Wissen „die Crux aller Religionen“ – und auch anderer Glaubenssysteme – wie der Psychoanalytiker T. Reik einst in einer ausgedehnten Untersuchung meinte.1 Die Crux liegt seiner Auffassung nach „darin, dass die Religionen sich niemals der Macht der Ambivalenz von Gefühlsregungen entledigen können“, und so „die unbewusste Feindseligkeit gegen Gott zum eigentlichen Wesen der Religion gehört“.
Das ist vielleicht ein bisschen zu krass ausgedrückt. Man muss wohl um den wahren Glauben ständig kämpfen, eine Mühsal, die wohl den meisten Menschen bekannt ist. Und so berichtete schon der Aufklärer und Enzyklopädist D. Diderot von dem blinden Mathematiker Saunderson, dem man ständig von Gott erzählte, und der wohl glaubte, die anderen könnten ihn sehen, so dass er sagte: „Wenn sie mich an Gott glauben machen wollen, müssen sie mich ihn berühren lassen“. Doch genau dies konnten sie natürlich nicht. Gesehen haben Gott schon viele, die christlichen Mystikerinnen z. B. oder auch Moses im brennenden Dornbusch, aber angefasst hat ihn noch keiner. Dazu ist er zu sehr Trans.
Und aus diesem Grund haben die alten Griechen angefangen, das Glauben durch das Denken zu ersetzen. Aber auch sie griffen zum Trans. Statt Gott definierten sie das nicht weiter Denkbare mit dem Begriff der Transzendenz, des Überschreitenden (griechisch: ἐπέκεινα, epékeina). Das ist ein ähnlich schlimmer Ausdruck wie der der Transparenz. Man ist am Ende und so empfiehlt man einfach weiter zu schreiten, ins Bodenlose, ins Blaue, ja weiter und weiter. Das ist Täuschung, was hat das noch mit der Wahrheit zu tun, dieser frigiden Partnerin auf der Suche nach dem Zustand, in dem ein Trans nicht mehr notwendig ist. Ich sage ‚frigide‘, denn ich komme von der Psychoanalyse her, wo man alles in leicht erotisierten Begriffen darstellen muss (andererseits wird es im weiteren auch um deren Trans gehen, ums Unbewusste, um Mythos und Meditation).2
Nun existiert bei den Denkern, also in der Philosophie, auch eine Crux, wenn sie nämlich das Trans vermeiden will, wird sie immer wieder von einem Nihilismus bedroht, der sich gegen die zu vielen Überschreitungen wehrt. Denken lässt sich das Trans noch weniger gut als glauben. Selbst in den Wissenschaften verhält es sich nicht anders. Der französische Psychoanalytiker Lacan meint, dass die wissenschaftliche, ausschließlich „universitär gewusste Wahrheit von sich aus einen Trend des Unglaubens ihr selbst gegenüber erzeugt“.3 Es geht beim wissenschaftlichen Denken also um etwas Ähnliches, wie es die Gottesgegnerschaft in den Religionen oder der Nihilismus in den Philosophien darstellt. Sie sind alle von innen her irgendwie verstört.
Denn dieses universitäre Gelehrtenwissen dient nicht unmittelbar auch der Wahrheit dieses Wissens, es zwingt zu einem immer mehr und mehr wissen müssen, zu einem savoir pour savoir, einem Kind dieser unheilvollen Transparenz. Es wird zu viel geredet und publiziert. Es wird von oben herab doziert, es wird eingepaukt wie in der Schule. Nur um die stets zweifelhafte Objektivität aufrecht zu erhalten, wird die früher so gefeierte und hochgehaltene ‚akademische Freiheit‘ geopfert, in der man sich das relevante Wissen noch selbst erarbeiten konnte. All das kommt daher, weil die Wissenschaftler sich krampfhaft bemühen das Subjekt, also auch sich selbst, möglichst perfekt aus dem Spiel zu lassen. So erzeugen sie ein Trans in sich selbst. Sie kommen in der Frage nach der Wahrheit des Wissens nicht weiter. Sie wollen auch keine frigide Partnerin des Wahrheitswissens haben, trotz deren Liebreiz.
Heute findet man in der allgemeinen Bevölkerung eine zunehmende Ablehnung der Wissenschaften, und das geschieht nicht ganz zu unrecht. Jedenfalls haben schon vor vielen Jahren die Wissenschaftsjournalisten und Sachbuchautoren B. Appleyard und J. Horgan mit profunder Sachkenntnis und Leidenschaft gegen die Übermacht der in Sackgassen steckenden Wissenschaften angeschrieben.4, 5 „Wir sind Zufallsprodukte“, meint Appleyard und konstatiert daraus, dass die Wissenschaften schnell an ihre jeweiligen Grenzen kommen. Sie treten dann auf der Stelle, bringen in ihren Untersuchungen zwar viele Verfeinerungen an, aber nichts durchgreifend Neues. Ein Ausweg kann jedoch von einer Wissenschaft kommen, die das Subjekt voll einbezieht, einer Wissenschaft vom Subjekt also, wie sie zum Beispiel von der Psychoanalyse erstrebt und versucht wird. Vom Subjekt heißt nicht subjektiv, aber auch nicht wie in den Wissenschaften üblich objektbesessen, sondern eben subjektbezogen. Aufs Es bezogen, das da ist.6
Wie gesagt muss der religiöse Mensch sich also gegen die in ihm selbst lauernde Gegensätzlichkeit gegen Gott agieren, weil er spürt, dass irgendetwas nicht so da ist wie ausgemacht und nicht stimmt: so zum Beispiel, dass „Gott eine Erklärung für das Böse in der Welt fehlt,“7 was man schon lange unter dem Begriff der Theodizee erfasst hat. Man kann Gott nicht dauernd bejubeln und gleichzeitig sehen, welche schrecklichen Grausamkeiten er zulässt, dass sie überall in der Welt passieren. Letztlich verhält sich Gott genauso wie die Gelehrten an der Universität, die sich also stets aus dem Spiel herauslassen. Sie sagen, sie wollen sich nicht subjektiv in ihre Wissenschaft einbeziehen, aber dadurch vermeiden sie die ganze Wahrheit. Sie geben ihr Unbewusstes nicht frei, sie geben ihre Angst nicht her, sie leben selbst nur im Trans, das man auch das verabsolutierte Wissen nennen könnte, und das sie dann als ein bewiesenes Cis ausgeben wollen. 8
An diesen zwei Beispielen, Bereichen, Grundrichtungen von Glauben und Wissen, Subjekt und Objekt, diesem Cis und jenem Trans lässt sich gut der Unterschied von früher und heute ablesen, aber auch die Forderung nach einer grundlegenden Neuorientierung erheben. Diese kann wie gesagt nur von einer Subjektwissenschaft kommen wie es von der Psychoanalyse vorgegeben wurde. In ihr wird dem Subjekt ein anderes Subjekt gegenübergestellt, die nunmehr beide unter einer einfachen, festen Regel sich gegenseitig auf den Grund kommen müssen. Der Psychoanalytiker ist nicht nur derjenige, dem Wissen unterstellt wird, auch für den Patienten gilt dies. Beide müssen sich zurücknehmen, dekonstruieren, um von einem gemeinsamen Nullpunkt aus sich wieder neu logisch und praxisnah zu rekonstruieren.9 Ein Trans soll so vermieden werden, man will gesichert – vielleicht nicht ganz im Cis – aber doch beim Es, das da ist, bleiben, was meines Erachtens außer Freud nur noch Lacan so einigermaßen gelungen ist, der sich stets auf die Mathematik berief, bzw. auf die Tautologie wie in Fußnote 6 erwähnt. Doch selbst die Mathematiker, die völlig abstrakt und unrealistisch vorgehen, aber nach Lacans Auffassung dem Realen als solchen am nächsten kommen, haben ihre Begrenzung erkannt.10
Das Trans zu vermeiden korreliert auch mit Lacans Aussage, dass man niemals über alles seine Meinung sagen kann oder soll, denn die Wahrheit, um die es sich hier in erster Linie dreht, kann man immer nur halb sagen.11 Sie ganz zu sagen hieße, den Zuhörer ziemlich auszuschließen und ihm das eigen gefärbte Wahre aufzudrücken.
Was man tun kann, so sagte er, ist die „Wahrheit zu entfesseln“, also etwas zu sagen, was nicht direkt die Wahrheit ist, sie aber auslöst, so dass ihr wahrhaft gefolgt wird, dass sie also wahrheitsbezogene Folgen hat. Und genau dies passiert, wenn man das Trans auflöst und negiert. Bekanntlich liegt in der Negation eine größere Wahrheit als in der Bejahung. Deshalb werde auch ich nicht die Wahrheit sagen, sondern sie durch ein Übungsverfahren, das sich vor allem aus psychoanalytischen und meditativen Methoden zusammensetzt, zur Entfesselung anbieten.
Für eine derartige Zusammensetzung könnte man Worte und Bildzeichen verwenden, wie sie zum Beispiel in den ägyptischen Hieroglyphen vorliegen. Im ikonographischen Bereich können nämlich manchmal Bild, Wort oder auch nur ein Buchstabe für das Gleiche stecken, und das wäre dann fast ein perfektes TranCis, ein Zipfel des Realen. Für das, was ich hier vorhabe, nämlich ein Verfahren, in dem jeder Einzelne – und eben nur der Einzelne – seine Identität ohne ein Trans, also nur in seinem Hier und Jetzt finden kann, wäre solch eine bildwort-wirkende Formel die beste Hilfe. Denn wenn ich in meinem Text vermeiden will, immer wieder auf ein woanders Liegendes, ein Transponiertes, zu verweisen, bleibe ich ein armseliger Gestriger, Epigone, Daherplapperer. Ich werde aber für mein vorzustellendes Verfahren, das ich Analytische Psychokatharsis nenne, nicht Hieroglyphen verwenden, sondern sogenannte Formel-Worte, die eine besondere linguistische Struktur aufweisen, wie ich noch detailliert zeigen will.
Nur selbstübend, selbstanalytisch kann man ohne Trans auskommen.12 Die Analytische Psychokatharsis stellt ein ausgewogenes Verhältnis von Psychoanalyse und Meditation auf wissenschaftlicher Basis ganz in Sinne einer Wissenschaft vom Subjekt her. Um dies klar zu legen, werden ein paar weitere Kapitel notwendig sein, in denen es auch immer wieder um die zwei Grundkräfte, - prinzipien, gehen wird, nämlich um das Symbolische, Wort-Wirkende (psychoanalytisch auch der Sprechtrieb) und um das Imaginäre, Bild-Wirkende (der Wahrnehmungs-, Schautrieb). Dies schon mal neben dem Cis und Trans vorab zur Orientierung.
Und auch der Bezug zum Realen soll geklärt werden, das nicht die Realität (Physik, Materialismus) ist, sondern das Reale der Wahrheit. In der Psychoanalyse verschwindet das Symptom, wenn man die dahinterliegende Wahrheit aufdeckt. Denn die Wahrheit hat ursächlichen Charakter, und in diesem Sinne ist sie real, so wie Es real ist und nicht die äußere Realität betrifft. Es ist so real, dass Es auch körperhaft, körperbezogen ist, ja ein Körper ohne Gestalt, ohne Form, sein kann. Das heißt, Es kann als solcher gestaltloser Körper erfahren werden, ist also eine Art unmittelbaren Genießens, das manche Psychoanalytiker ein weibliches Genießen (Lacan: ‚Jouissance‘) nennen. Denn sie kommen von der Mann/Frau-Thematik her, und dort ist es trans, weil es dem männlichen ‚Plaisir‘ gegenüber steht, das zu sehr cis-geformt ist. Man muss sich somit nach l’Autre umsehen, der Andere des sexuellen Paares ist, wie Lacan diese Figur des Dritten, dieses Instrument der Selbsterfahrung und des Trialogs nennt.13 Es geht um den unbewusst Anderen in einem jeden.
1 Reik, T., Der eigene und der fremde Gott, Suhrkamp (1975), zitiert in: Bohleber, W., Psyche 8 (2002) S. 702.
2 Laut J. Lacan ist der Psychoanalytiker einer, der sich mit seiner Seele prostituieren, aber dennoch dabei prüde bleiben muss.
3 Lacan, J., L`Envers de la Psychanalyse, Seminar Nr. XVII, edition seuil (1991) S. 71
4 Appleyard, B., Der halbierte Mensch. Die Naturwissenshaften und die Seele des Menschen, Kindler (1992)
5 Horgan, J., An den Grenzen des Wissens. Siegeszug und Dilemma der Naturwissenschaften, Fischer (2000)
6 Es ist da muss man tautologisch lesen. Bei Betonung auf dem ‚da‘ klingt es nach einem ‚ist vorhanden‘, bei Betonung auf dem ‚Es‘ klingt es nach ‚Es, das Es, ist gekommen‘. Eine perfekte Tautologie ist ohne Trans, ist reine Mathematik und dies ist auch meine Intention in diesem Buch.
7Lacan-entziffern.de, Die Ungerechtigkeit Gottes.
8 So z. B. die Physiker, die immer noch nach der Verbindung von Quantentheorie und Relativitätstheorie suchen. Im Spektrum der Wissenschaft 10. 2020 will W. Struyve „ein vereinfachtes Modell der kanonischen Quantengravitation im dBB-Formalismus“ gefunden haben. Cui bono, wem nützt das? Ein richtiges Cis ist das noch nicht. Aber vielleicht ist es noch nicht das letzte (und gar für alle verbindliche) Wort.
9 Das Zurücknehmen des Patienten ist ein anderes als das des Therapeuten. Ersterer muss zu früheren Seelenzuständen zurückkehren, letzterer sich mit persönlichen Gefühlen und Gedanken zurückhalten, was man die Abstinenzregel nennt.
10 Lacan sagt, dass das Reale, von Freud noch psychische Realität genannt, das Unmögliche ist (die Grenze des Weiterkommens, der Wiedererinnerung, vom Ego her nicht zu erfassen), aber von den Mathematikern noch am besten dargestellt.
11 Lacan, J., Seminaire XVIII, ed. Seuil (2006) S. 12
12 Lacan spricht diesbezüglich auch von der Konjekturalwissenschaft, wie sie in der Mathematik verwendet wird. Das lateinische ‚conjectura‘ heißt Vermutung, und so arbeitet man sich in dieser Wissenschaft von Vermutung zu Vermutung weiter, bis das endgültige Ziel einer letzten Gewissheit feststeht.
13 Der Begriff Trialog stammt vom Psychoanalytiker O. Graf Wittgenstein und meint, dass in jedem Dialog stets auch ein drittes Element mitbestimmend ist.
Wie kann l’Autre, der/das Andere, eine Zentralfigur der Wissenschaft sein? Einer Wissenschaft vom Subjekt? Einer selbstwissenschaftlichen Formel? Ist das vielleicht doch zu verrückt? Entweder gibt es objektive Wissenschaft, oder das Willkürliche des Subjekts, des Subjektiven, wird zu Höherem aufgemotzt und als Wissenschaft verkauft. Die Naturwissenschaften versuchen Objektivität durch experimentelle Anordnungen zu gewinnen. Freilich können sie dabei nicht vollkommen objektiv sein, denn der Versuchsaufbau kann immer nur einen Teilaspekt liefern und unterliegt zudem der persönlichen Wahl des Untersuchers. Würde man die Materie nicht mit Hilfe von Atomen, die durch einen Teilchenbeschleuniger geschickt werden, sondern nur mit immer weiter verbesserten Mikroskopen und Teleskopen erforschen, würden wohl unterschiedliche und doch naturwissenschaftlich plausible Ergebnisse herauskommen. Die gemittelte Objektivität aus allen Betrachtungen und Experimenten wäre vielleicht das einzig wirklich Objektive.
Aber auch das wäre nicht optimal. Auch die Geisteswissenschaften sind nicht optimal, was die Objektivität betrifft. Hier existieren genauso unterschiedliche Wege, obwohl die Geisteswissenschaftler eigentlich nur einer Logik – oder besser: logischen Praxis – folgen könnten. Doch weil sie zu wenig gegenständlich sind und ihnen meist die Praxis fehlt (nur der Philosoph K. Marx hat es mit seiner Pariser Kommune versucht), müssen sie bereits am Anfang die Entität eines Begriffs setzen, den sie dann durch weitreichende Ausführungen zu beweisen suchen. Mit anderen Worten, sie ziehen immer das Kaninchen aus dem Hut, das sie vorher dort schon hineingetan haben. Überall, mehr oder weniger in allen Wissenschaften, spielt also auch etwas Subjektbezogenes eine Rolle, und eine Einheit der Kräfte oder Ideen, eine Einheit von Subjekt und Objekt wird nicht erreicht. Man behauptet, die gäbe es nicht und würde es auch nie geben.
Bei einer Wissenschaft vom Subjekt würde es sich nicht um eine subjektive Wissenschaft handeln, sondern um eine vom Subjekt zum Subjekt, denn sowohl Untersucher wie auch Untersuchter wären Subjekte. Dies ist – wie ja schon eingangs erwähnt – bei der Psychoanalyse der Fall. Man lässt dort also den Untersuchten reden, was immer ihm einfällt, was immer er frei assoziiert, denn man geht davon aus, dass es ein Unbewusstes gibt und der Untersuchte das dem Unbewussten unterstellte Subjekt ist.14 Er wird nicht nur aus seinem Bewusstsein, also von dem was ihm bewusst einfällt, reden, sondern – zwischen den Zeilen, in Versprechern, psychischen Fehlleistungen, etc. – heraus etwas verlauten lassen, was ihm nicht so bewusst war. Damit enthüllt er aber etwas, was er nicht so zu wissen glaubte, aber bedeutend und wichtig ist.
Kurz: er wird so mit der ‚freien Assoziation‘ durch den Teilchenbeschleuniger seiner unbewussten Gedanken geschickt, vom stets sich verbessernden Psychoskop betrachtet oder als Mensch aus dem Versteck gezogen, in das er seit Säuglingszeit schon als Mensch verwickelt war. Nun ist der Schwerpunkt der Psychoanalyse das Sprechen und die Sprache, vor allem die Sprache des groß zu schreibenden Anderen, groß A, der als bedeutsam im Unbewussten verinnerlicht ist: Schon ganz früh im Leben treten die Beziehungsbilder und Worte der Eltern, Erzieher, Bezugspersonen, Lehrer, Arzt, etc., bis hin zum Psychoanalytiker als verinnerlichte Instanzen auf, während der kleingeschriebene andere, klein a (Geschwister, Spielkameraden, psychische ‚Begehrens-Objekte‘, etc.), nur seinesgleichen repräsentiert. Allerdings ist meine Aussage über das Psychoskop nicht ganz richtig, denn das unbewusste Bild, der unbewusste Blick, die unbewusste ‚Vision‘, wird in der Psychoanalyse vernachlässigt.
Denn der/das Andere, dieses scheinbar personalisierte Trans, ist auch visuell, bildlich, blicklich und nicht nur sprachlich zu erfassen. „Der Andere, frz. L’Autre, um den es geht, ist speziell der des sexuellen Paares“,15 der Beziehungs-Andere, der Andere als Essenz des Liebesaktes, und da gibt es viel Schein, Glanz, Betörung und Helligkeit. Die sexuelle Beziehung ist nämlich – so Lacan weiterhin – nur eine Scheinbeziehung, allerdings im doppelten Sinne dieses Wortes. Sie ist Anschein, nur scheinbare Beziehung, aber auch leuchtender, erregender, blendender Schein. Ich nenne es auch gerne ein Es Scheint, Es Strahlt, weil es so eine Korrelation zu der oben betonten Sprachbezogenheit gibt, zu dem Anderen als einem Es Spricht. „Ça parle, Es Spricht im Unbewussten“, konstatiert Lacan‘. ‚Es Spricht‘ in einer Sprache ohne Worte, und der Philosoph M. Heidegger hat es noch poetischer und umfassender formuliert: „Die Sprache spricht vom Menschen . . sie ‚west‘ im Sein als der sich ereignende Unter-Schied für Welt und Dinge“.16
Durch dieses Sprechen bekommt l’Autre, verkürzt groß A allerdings einen Querstrich, eine Barre wie Lacan sagt, eine Sperre, A. L’Autre ist nämlich in Schwierigkeiten, indem er gleichzeitig der sprachlich-symbolischen als auch der bildlich-imaginären Ordnung zugehört. Es hängt davon ab, ob A als nicht gebarrt noch etwas vom Fleisch und Blut an sich hat oder speziell nur die Hintergrundfigur des männlich/weiblichen Paares ist (A kann auch Hintergrundfigur der Transzendenz sein, also dessen, was manche ‚spirituell‘ nennen, doch auch das Spirituelle ist nicht die totale Fülle des Ganzen). Ich werde noch später dazu Stellung nehmen, wie Lacan die in der Psychoanalyse vernachlässigte, bildliche und gegenüber der mehr vom männlichen Sprechen (vom Spricht) her betonten Seite der Wissenschaft vom Subjekt, durch eine weibliche (vom Es Strahlt her), ebenso subjektorientierte Wissenschaft ergänzen wollte, um A als Ganzen ohne Querstrich bestehen zu lassen.
Denn mit dem Querstrich versehen ist l’Autre nicht mehr so trans, denn er ist jetzt nur noch der Andere des sexuellen Paares, den Mann und Frau eigentlich kennen sollten, um das perfekte Paar zu etablieren. Ich denke erneut, dass es dazu einer Praxis bedarf wie sie die Analytische Psychokatharsis bietet, in der auch das Bild-Wirkende zum Ausdruck kommt. Lacan hat dieses in der klassischen Psychoanalyse fehlende Bild-Wirkende, den imaginären Signifikanten, das Es Strahlt, mit einem Bezug zur Geometrie, mit Knotenbildungen und topologischen Figuren versucht, was wohl – speziell hinsichtlich des Weiblichen – zu abstrakt, zu nüchtern und abgehoben erschien.
Auf jeden Fall hat sich seine Biographin E. Roudinesco darüber amüsiert und süffisante Bemerkungen dazu gemacht.17 Ich will es daher mit einem anderen Bezug versuchen, in dem es ebenfalls um eine Wissenschaft vom Subjekt zum Subjekt geht, gleichzeitig aber das Sprachbetonte (1), Wort-Wirkende (Lacan: verbaler Signifikant, Es Spricht) und das visuell Betonte (2), Bild-Wirkende (imaginärer Signifikant, Es Strahlt) in unterschiedlichen (hinsichtlich meines in diesem Buch zu schildernden selbsttherapeutischen Verfahrens aber konkreten) Kombinationen (3) zum Zuge kommen.18 Dass es also insbesondere auf die Verbindung, Kombination und Legierung (wie Freud sagte) ankommt.
Eine Wissenschaft vom Subjekt hat nämlich immer etwas mit der Drei, der Triade, der Trinität, also einer Mehrheit zu tun, die auch in der Mengenlehre das Mindeste ist, mit dem man zu zählen beginnen kann. Das hat bereits Euklid so formuliert, von dem die Aussage stammt, dass die Eins (μóνοϛ, monos) nur in der Vielheit die Einheit (ἓν, hen) enthält, ein fast mystischer Satz, wäre er nicht wahr, weil es eine absolute Einheit, Einsheit, Eins nicht gibt. Denn es hat auch etwas damit zu tun, dass das seelisch Unbewusste nicht über die Drei hinaus zählen kann. Das Unbewusste „denkt nicht, zählt und kalkuliert nicht, aber es weiß“, sagt Freud. Es „ist der Teil des konkreten Diskurses (1) als eines überindividuellen (2), der dem Subjekt bei der Wiederherstellung der Kontinuität seines bewussten Diskurses (3) nicht zur Verfügung steht“.19
Anlässlich eines Besuches im Londoner Zoo, wo der Löwe von drei Löwinnen umringt war, ging es Lacan zwar wieder um Mathematik, aber es handelte sich um eine Mathematik des Eros, also um das, worum es auch in diesem Buch ein bisschen geht. Doch dieser umringte, umschwärmte, von Eros umgarnte Löwe – so Lacans