Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Alles könnte so schön sein. Käthe Wolter und Heinz Carsten sind ein glückliches Paar und wollen bald den Bund fürs Leben schließen. Doch die Liebe der beiden ist Käthes Mutter ein Dorn im Auge, denn sie möchte Käthe mit dem reichen Geheimrat Hornau verheiraten. Um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen, schreckt sie auch nicht vor einer gemeinen Hinterlist zurück. Wird sie das junge Glück damit zerstören?-
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 414
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Hedwig Courths-Mahler
Saga
Trotz allem lieb ich dich
Coverimage/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1929, 2022 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950557
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Stumm schritten die beiden jungen Menschen aus dem Schatten des Parkes, der heute von einer festlichen Menge belebt wurde. Sie passierten das Parktor, das offenstand, und gingen weiter bergaufwärts, zu der Ruine, die oben auf dem Berg lag und die Gegend beherrschte.
Das blonde, schlanke Mädchen mit den feinen, lieblichen Zügen hielt die Augen gesenkt. Ihre Hand ruhte leicht auf dem Arm ihres Begleiters, der oft unverwandt seine Augen auf ihrem reizenden Profil ruhen ließ. Diese grauen Männeraugen waren durchleuchtet von einem starken, heißen Gefühl, von einer Zärtlichkeit, die seinem Gesicht, dessen Züge sich im Lebenskampf gehärtet hatten, etwas Weiches und Gütiges gaben.
Langsam, noch immer stumm, schritten sie im Waldesschatten den Berg hinan, bis sie vor der Ruine standen, deren verfallene Mauern ein dichtes Netz von Efeu und anderen Schlingpflanzen malerisch umgab.
Sie traten durch das verfallene Burgtor in den großen Vorhof der Ruine, in dessen Mitte ein noch leidlich gut erhaltener Brunnen stand. Mit großen Augen blickte das junge Mädchen um sich und sah hinüber zu dem Eckturm, in dessen Schatten eine breite Steinbank zur Rast einlud.
Ihr Begleiter führte sie, ohne zu fragen, hinüber nach dieser Steinbank. Vor derselben blieb er stehen. Sie sah mit einem scheuen Blick zu ihm auf. Dunkle Glut wallte in ihr Gesicht, als sie seinen Augen begegnete, die ihr so viel verrieten von dem, was bisher unausgesprochen zwischen ihnen lag. Sie wollte erschrocken den Blick wieder senken, aber seine Augen hielten sie fest mit leidenschaftlich zärtlicher Bitte.
Ganz still und einsam war es um sie her. Nur zuweilen klang ein verlorener Laut zu ihnen herauf, wo fröhliche Menschen beisammen waren. Und nun hingen die beiden Augenpaare weltvergessen ineinander. Scharf hob sich die weiße Lichtgestalt des Mädchens mit dem goldflimmernden Haar von den grünumsponnenen Ruinenmauern ab. Wie ein Glorienschein umgab das blonde Haar ihr reizendes Gesicht. Das Gefühl ging dem sonst so energischen und besonnenen jungen Mann durch, er faßte die Hände des Mädchens, vor sie hintretend.
»Käthe!«
Es war das erste Mal, daß er sie bei diesem Namen rief. Sie erzitterte leise, und wieder lief eine dunkle Glut über ihr Gesicht, ohne daß sich ein Wort über ihre Lippen wagte.
»Käthe!«
Wieder rief er diesen Namen, mit einem so bebenden, sehnsüchtigen Klang, daß er in ihrem Herzen tausend Seligkeiten weckte. Sie sank wie kraftlos unter den auf sie einstürmenden Gefühlen auf die Steinbank und sah zu ihm auf, mit einem Blick, der ihm ihr ganzes Empfinden verriet. Stumm ließ er sich neben ihr nieder und nahm sie in seine Arme, ganz fest und innig. Er fühlte, daß sie erzitterte, und preßte stumm seine Lippen auf die ihren. Mit einem leisen, erlösten Seufzer ließ sie es geschehen, hielt ganz still in seinen Armen und trank seine Küsse wie den Quell des Lebens in sich ein. Wieder und wieder fanden sich die Lippen, die stumm waren in übergroßer Seligkeit. Nur die Augen sprachen zueinander von ihrer tiefen, starken Liebe, von ihrer Glückseligkeit. So saßen sie lange Zeit, alles um sich her vergessend.
Aber plötzlich erklang unten im Park Musik, die Ouvertüre von den Meistersingern scholl herauf, wo der Gastgeber seinen Gästen Erfrischungen reichen ließ.
Die beiden in ihr stummes, heißes Glück versunkenen Menschen schraken aus ihrer Umarmung auf und sahen einander in die erregten Gesichter.
»Käthe, meine süße Käthe, nun bin ich doch schwach geworden, habe dich in meine Arme gerissen. Daß ich dich liebte, wußtest du schon längst, wie ich auch wußte, daß dein Herz mir gehörte. Aber – ich hätte mich nicht überwältigen lassen dürfen von meinem Gefühl, hätte dich nicht mit mir hineinreißen dürfen in dieses heiße, drängende Sehnen«, sagte Heinz Karsten.
Sie lächelte verträumt zu ihm auf.
»Es war eine Erlösung für mich, Heinz – lieber Heinz! So sehr habe ich gelitten unter deiner Zurückhaltung. Zuweilen zweifelte ich an deiner Liebe. Nun quälen mich diese Zweifel nicht mehr, nun weiß ich es gewiß, daß du mich liebst.«
Ein weiches, gerührtes Lächeln huschte um seinen sonst so herb geschlossenen Mund.
»Nun weißt du es, mein Liebes? Ach, Käthe, hast du wirklich zweifeln können? Ich habe nicht gezweifelt, daß du mich liebst, deine lieben Augen waren mir holde Verräter, wenn du auch noch so formell warst. Wie schwer ist es mir geworden zu schweigen, immer nur zu schweigen von dem, was ich für dich empfand.«
»Und warum schwiegst du so lange?« fragte sie mit einem Lächeln, das er schnell von ihren Lippen trinken mußte, weil es so hold und lieb war.
»Weil ich wußte, Käthe, daß ich dir kein gesichertes Los an meiner Seite bieten kann. Ich bin ja so arm, Käthe. Du weißt, daß ich mich durchgehungert habe, seit dem Tode meines Vaters, der mir das Studium nur mit schweren Sorgen ermöglichen konnte. Als er starb, blieb selbst dieser bescheidene Zuschuß aus, und ich konnte nur mit Aufbietung aller Kräfte mein erstes Ziel erreichen. Dann fand ich gottlob gleich eine Anstellung bei den Union-Werken, weil meine Professoren mich Geheimrat Hornau sehr empfohlen haben. Aber du weißt, wie gering das Gehalt eines jungen Ingenieurs ist. Davon kann man sich kaum selbst ernähren. Und auch du bist arm, meine Käthe; ich weiß, daß auch dein Vater alles, was er sich in seiner langjährigen Tätigkeit ersparte, infolge der Inflation verloren hat. Auch er ist nur auf sein Gehalt angewiesen und kann uns kein noch so bescheidenes Nest bauen. Käthe, meine Käthe – ich habe dich so lieb, verzeihe, daß ich dich in meine Sorgen mit hineinriß.«
Sie faßte seine Hand und sah mit leuchtendem Blick zu ihm auf.
»Was tut es, Heinz – wenn wir uns nur lieben.«
Wieder küßte er sie heiß und innig. Dann sagte er, ihr Haar aus der Stirn streichend:
»Du leichtsinnige kleine Käthe! Es macht leider sehr viel aus, daß wir arm sind.«
Unverzagt sah sie ihn an.
»Wir sind ja noch jung und können warten.«
»Warten! Mein süßes Herz, das ist ein grausames Wort für Liebende. Aber sei gesegnet, daß du warten willst. Wie soll ich dir danken?«
»Mit nichts als mit deiner Liebe.«
»Aber mach dir klar, daß es ein schmerzvolles, langes Warten sein wird, um so schmerzvoller, je mehr wir uns lieben. Ein Jahr ist schon eine qualvolle Ewigkeit, und wir werden drei oder vier Jahre warten müssen, bis ich in eine Gehaltsklasse aufrücken werde, die mir ermöglichen wird, dir ein sehr bescheidenes Los zu bieten, wenn nicht ein ganz besonderer Glücksfall eintrifft.«
»So wollen wir auf diesen Glücksfall hoffen, Heinz«, sagte sie tapfer und unverzagt.
Er zog sie wieder voll Entzücken an sich.
»Mein tapferes Lieb! Aber wenn dieser Glücksfall ausbleibt?«
»Was tut es, Heinz! Wir warten, und das Warten wird nicht schwer und quälend sein, da unsere Liebe uns über alles Schwere hinweghelfen wird. Wir sind ja noch so jung, und die Gewißheit unserer Liebe und die Hoffnung auf eine Vereinigung wird uns trösten. Sieh doch nicht so sorgenvoll aus, mein Herz – das Leben ist doch so wunderschön.«
Gerührt sah er in ihre braunen Augen hinein, in denen das Glück wie goldene Funken sprühte.
»So zürnst du mir nicht, daß ich dich an mich fesselte?«
Sie schmiegte sich in seine Arme.
»Halt mich nur recht fest – binde mich für alle Zeit an dich. Wie soll ich dir zürnen, da du mich so glücklich machst.«
Und sie reichte ihm in reizender Verschämtheit ihre Lippen zum Kuß.
Er sah das Lächeln, das ihn zuerst so an Käthe entzückt hatte, sah tief in ihre Augen hinein, in diese schönen, samtbraunen Sterne, und preßte seine Lippen auf die ihren.
»Wenn du nur warten willst, Käthe! All meine Kräfte will ich anspannen, um dir so bald als möglich ein bescheidenes Heim schaffen zu können – aber – bescheiden, sehr bescheiden wird es sein«, sagte er aufatmend.
Sie lehnte ihre Wange an seine Hand.
»Mag es noch so bescheiden werden, Heinz. Ich werde unsagbar glücklich sein an deiner Seite und alle Sorgen freudig mit dir teilen. Aber – nun müssen wir zu den anderen zurück, es darf nicht auffallen, daß wir uns zurückgezogen haben.«
Er erhob sich schnell und zog sie mit sich empor.
»Du hast recht, Käthe, verzeih mir, daß ich nicht selbst daran dachte. Noch kann ich mich ja nicht offen zu dir bekennen. Vor deinen Vater kann ich nicht hintreten mit der Bitte, dein Schicksal in meine Hände zu legen – ich habe ja nichts zu bieten als meine große Liebe und den ehrlichen Willen, für dich zu arbeiten. Er ist berechtigt, andere Garantien für das Glück seiner Tochter zu fordern.«
Ein leiser Schatten flog über Käthes Gesicht. Sie wußte, der Vater und ihre Stiefmutter erwarteten von ihr, daß sie eine sogenannte gute Partie machen solle. Wie oft hatte die Stiefmutter ihr in Gegenwart des Vaters gesagt: »Ein so schönes Mädchen wie du, Käthe, muß einen großen Treffer in der Ehelotterie machen, du mußt klug sein.«
Und der Vater pflegte dann zu antworten: »Ja, Käthe, einen armen Schlucker darfst du mir um keinen Preis zum Schwiegersohn bringen, denn ich bin leider nicht mehr in der Lage, dir eine Ausstattung zu schaffen.«
Wie Käthe solche Worte gequält hatten. Wußte sie doch, daß der Mann, den sie liebte, ein armer Schlucker war. Die Eltern durften um keinen Preis jetzt erfahren, daß sie darauf warten wollte, bis sie Heinz Karsten heiraten konnte.
Aber der Schatten verflog schnell. Sie war viel zu glücklich, daß sie Heinz liebte, und wie alle Liebenden in so jungen Jahren, fest davon überzeugt, daß die Zukunft eine glückliche Vereinigung bringen mußte. Sie brauchte nicht Glanz und Reichtum, um glücklich zu sein. Zärtlich strich sie über seine Hand.
»Ich aber brauche keine andere Garantie für mein Glück, Heinz, als deine Liebe«, sagte sie innig mit verhaltener Glückseligkeit.
Er preßte sie noch einmal an sich.
»Käthe – meine Käthe!«
Sie standen am Burgtor und sahen zurück nach der Steinbank, auf der sie ihren ersten Kuß getauscht hatten. Es war, als könnten sie sich nur schwer trennen von diesem Ort, wo sich ihre Herzen gefunden hatten. Still und malerisch lag die Ruine vor ihnen. Neben dem großen, guterhaltenen Eckturm waren Mauerreste anscheinend frisch aufgebaut, und oben auf diesem Bau, der eine gleichmäßige Fläche bildete, wucherten Blumen. Auch das Dach eines kleinen Pavillons war sichtbar, der da oben in neuzeitlicher Eleganz stand. Es war ein friedliches, idyllisches Bild, und es prägte sich den beiden Liebenden ein für immer. Sie wußten, ihre Sehnsucht würde immer wieder hier herauffliegen.
Die Ruine gehörte Geheimrat Hornau, dem reichen Besitzer der Union-Werke, in dessen Park ein großes Fest stattfand. Er hatte diese Ruine gekauft, um einen malerischen Hintergrund für seine Besitzung zu erhalten.
»Unter Ruinen fanden wir unser Glück, Käthe, möge es kein böses Vorzeichen sein«, sagte Heinz leise.
Zuversichtlich sah sie zu ihm auf.
»Diese Ruinen haben Jahrhunderte überdauert, Heinz, und werden noch weitere Jahrhunderte stehen. Das soll als Symbol für unser Glück und unsere Liebe gelten.«
Mit tiefer Rührung sah er in ihre schönen Augen.
»Möge das eine Prophezeiung sein, Käthe.«
Seite an Seite schritten sie nun wieder den Berg hinab, immer durch dichte Bäume vor neugierigen Augen geschützt. Noch einmal fanden sich ihre Lippen, als sie den Park wieder betreten hatten. Aber dann sahen sie die weiß- und rotgestreiften Zelte auftauchen – da nahmen sie eine formelle Haltung an und mischten sich unauffällig unter die Gesellschaft.
Vor der Villa des Geheimrates Hornau, eines vornehmen, sehr geräumigen Gebäudes mit prachtvoller Sandsteinfassade, Säulengängen und breiten Terrassen, die mit Blumen geschmückt waren, hatte der Besitzer eine Anzahl bunter Zelte aufstellen lassen, in denen Tische und Stühle gruppiert waren, um für mehrere hundert Gäste Ruheplätze zu schaffen. Am Fuß der Terrasse, vor einem Zelt, stand Geheimrat Hornau im Gespräch mit der noch sehr jugendlichen und hübschen Stiefmutter Käthe Wolters. Er ließ dabei seine Augen suchend umherschweifen, sprach jedoch erst von allerlei gleichgültigen Dingen, ehe er auf das kam, was ihm am meisten am Herzen lag.
»Ich sehe Ihr Fräulein Tochter gar nicht mehr, gnädige Frau«, sagte er endlich mit einem unruhigen Forschen.
Frau Melanie Wolter hatte auch schon bemerkt, daß ihre Stieftochter seit geraumer Zeit nicht mehr zu sehen gewesen war. Sie war eine sehr kluge Frau und hatte mit ihren scharfen Augen längst bemerkt, daß der sonst so unnahbare stolze Chef der Union-Werke sich einige Male sehr interessiert in die Betrachtung Käthes vertieft hatte. Walter Hornau war Junggeselle, er stand in den sogenannten besten Jahren und – war enorm reich. Das wäre so ein Schwiegersohn nach ihrem Herzen gewesen; und sie war ärgerlich auf Käthe, daß sie eine solche Aussicht nicht klüger zu nutzen verstand. Wo mochte sie nur sein? Hoffentlich befand sie sich nicht in Gesellschaft dieses unbedeutenden armen Ingenieurs Karsten, der Käthe mit seinen Augen schon immer verfolgt hatte.
Frau Melanie baute schon hurtig an Luftschlössern. Sie hatte Hornau sehr interessiert und aufmerksam beobachtet, seit sie einen Blick voll brennender Glut aufgefangen hatte, den er hinter Käthe hersandte.
Daß er ihre Stieftochter vermißte, erfüllte sie mit großer Freude. Immer war sie schon auf der Suche gewesen nach einem echten Freier für ihre schöne Stieftochter –, aber so hoch hatten sich ihre Wünsche noch nie verstiegen wie heute. Jetzt aber, da sie sein schlecht verhehltes Interesse bemerkte, fragte sie sich kühn: Warum nicht er? Käthe war schön und bezaubernd genug, um auch einen von Frauengunst sehr verwöhnten Mann, wie Hornau, zu fesseln – wenn sie nur wollte.
»Vor wenigen Minuten sah ich meine Tochter mit einigen andern jungen Damen in den Park hineingehen, Herr Geheimrat«, sagte sie scheinbar gelassen, obschon sie danach fieberte, daß Käthe in ihrer und des Geheimrats Nähe wiedererscheinen möge.
Dieser sah die hübsche, mollige Frau forschend an, als wollte er prüfen, wie weit er sie seinen Plänen dienstbar machen konnte. Er hatte Käthe Wolter erst vor kurzer Zeit genauer kennengelernt. Zwar hatte er sie schon seit Jahren zuweilen flüchtig von weitem gesehen, wenn er am Hause ihres Vaters, des Oberingenieurs Wolter, vorüberkam. Aber er hatte sie nie genauer betrachtet. Das war erst vor einigen Wochen geschehen, als er zufällig vorüberkam, wie Käthe ihrem Vater entgegenlief und ihn lächelnd umarmte. Dabei hatte sie dann auch mit demselben Lächeln zu dem Geheimrat herübergeblickt – und dieses Lächeln hatte den verwöhnten Mann seltsam gefesselt. Öfter als zuvor kam er an dem kleinen Wolterschen Hause vorbei und blickte gespannt nach den Fenstern. Das hatte Frau Melanie sehr bald bemerkt, und ahnungsvoll hatte sie dann dafür gesorgt, daß er irgendwie Käthe zu Gesicht bekam. Und Geheimrat Hornau hatte sich mehr und mehr von der ganz ahnungslosen Käthe bezaubern lassen und darüber nachgegrübelt, wie er näher mit ihr bekannt werden konnte.
Sehr ehrenwert waren seine Absichten dabei durchaus nicht.
Nun hatte schließlich das Parkfest, das er einigen Geschäftsfreunden und seinen Beamten mit ihren Familien gab, diese Gelegenheit herbeigeführt, aber natürlich konnte er Käthe nicht durch seine ungeteilte Aufmerksamkeit auszeichnen, das wäre aufgefallen. Und auffallen wollte er bestimmt nicht.
Das heutige Fest hatte er gegeben, weil die Union-Werke sich mit den amerikanischen Atlantik-Werken vereinigt hatten. Die amerikanischen Vertreter, mit denen Geheimrat Hornau die letzten Formalitäten erfüllt hatten, waren anwesend. Diese Vereinigung war ein großer Vorteil für die Union-sowohl als auch für die Atlantik-Werke, und es war eine Sache von weittragender Bedeutung.
Am Tage vorher hatte schon eine intimere Feier stattgefunden, an der nur die amerikanischen Vertreter und die obersten Leiter der Union-Werke teilgenommen hatten. Ein ganz auserlesenes Festmahl hatte die Herren vereinigt. Heute sollten nun alle kaufmännischen und technischen Beamten der Union-Werke mit ihren Damen dieses Ereignis mitfeiern – und dabei hatte Hornau stark darauf gerechnet, Käthe Wolter etwas näherzukommen. Bis jetzt war sie ihm aber immer wieder schnell entwischt; nicht weil sie eine Ahnung von seinen Wünschen gehabt hätte, sondern einfach, weil sie eine heilige Scheu und einen großen, mit Furcht gemischten Respekt vor diesem allgemein als hochmütig geltenden Mann hegte. Sie war immer wieder froh, wenn sie aus seiner Nähe kommen konnte.
Je mehr sie ihm aber auswich, desto heißer brannte die Glut in Geheimrat Hornaus Herzen. Käthes frühlingsfrischer Zauber, ihre blonde, liebliche Schönheit und vor allem ihr bezauberndes Lächeln machten einen immer tieferen Eindruck auf ihn. Wäre sie ihm entgegengekommen, wie er es bisher von anderen Frauen gewöhnt gewesen war, so hätte sich die Glut in seinem sehr leidenschaftlichen Herzen wahrscheinlich schnell wieder abgekühlt, aber da sie sich von ihm fernhielt, ihm immer wieder auswich, brannte das Verlangen nach ihr immer heißer in ihm. Ein begehrliches Funkeln flammte in seinen harten Augen auf, wenn er sie ansah. Und Frau Melanie Wolter sah dieses Funkeln – und rechnete damit. Käthe aber hatte gar kein Interesse für diese mächtige Persönlichkeit; ihr war der arme, junge Ingenieur Heinz Karsten bedeutend wichtiger und wertvoller. Sie hatte wohl einige Male ein paar Worte mit Hornau gewechselt, wenn er sie ansprach, hatte artig vor im geknickst und auch ihm ihr liebes Lächeln geschenkt, dessen Zauber ihr ganz unbekannt war, war aber immer schnell wieder aus seiner etwas beklemmenden Nähe gewichen. Dabei hatte sie gedacht: Sehr glücklich scheint dieser mächtige, reiche Mann nicht zu sein, und es ist kein Wunder, wenn sich seine Leute vor seinem strengen, harten Gesicht so sehr fürchten. Aber hochmütig kann ich ihn nicht finden, wie man ihn überall schilt. Vielleicht ist er aber auch heute anläßlich des Festes besonders leutselig gestimmt.
Und als sie dann neben Heinz Karsten in den Park hineingegangen war, hatte sie zu diesem gesagt:
»Das ist ein wundervoller Besitz, aber Herr Geheimrat Hornau sieht meist so aus, daß man glauben muß, er könne sich nicht darüber freuen.«
Und Heinz Karsten hatte geantwortet:
»Unser Chef ist einer von den Menschen, die sich so viel Freuden schaffen können, daß sie an nichts mehr Freude haben.«
»Dann ist er aber doch mehr zu bedauern, als zu beneiden.«
»Ganz recht, das ist auch meine Ansicht.«
Aber dann hatten sie von etwas anderem gesprochen – bis sie verstummt waren vor der Allgewalt ihrer Empfindungen.
Niemand in der Gesellschaft, außer Frau Melanie Wolter, ahnte, daß Geheimrat Hornau mit nervöser Unruhe nach Käthe Wolter Ausschau hielt, als diese für eine Weile verschwunden war. Da er sie ganz aus den Augen verloren hatte, war er zu ihrer Stiefmutter getreten und zeichnete diese nun durch eine längere Unterhaltung aus, weil er meinte, Käthe werde am ehesten hierher zurückkehren. Aber es dauerte sehr lange, und Frau Melanie war sehr stolz über diese Auszeichnung und wurde neidvoll von den anderen Damen beobachtet.
Aber endlich trat Käthe neben Heinz Karsten zwischen den Bäumen hervor, allerdings in Begleitung einiger anderer junger Leute. Aber in Walter Hornaus Blicken sprühte es doch sogleich eifersüchtig auf:
»Ah, da sehe ich Ihr Fräulein Tochter an der Seite Doktor Karstens. Dieser ist wohl ein Bewerber um die Hand Ihrer Tochter?« fragte er mit seltsam rauher Stimme.
Frau Melanie hätte Karsten von Käthes Seite verscheuchen mögen. Sie merkte sehr wohl die Spannung in Hornaus Zügen, sagte aber scheinbar gleichgültig:
»Aber ganz ausgeschlossen, Herr Geheimrat. Doktor Karsten kommt nur zuweilen in unser Haus, wenn er mit meinem Mann, der ja sein direkter Vorgesetzter ist, etwas zu besprechen hat. Und er glaubt, meiner Tochter gegenüber besonders artig sein zu müssen.«
»So, so? Und – Ihr Fräulein Tochter?«
»Steht ihm gottlob sehr gleichgültig gegenüber.«
»Warum gottlob?« fragte er, sie scharf beobachtend.
»Weil doch gar keine Rede davon sein kann, daß meine Tochter einen armen Mann heiraten kann. Ihr Vater hat ja leider alles verloren und kann ihr in Jahren noch keine Aussteuer geben. Sie denkt auch, wie gesagt, gottlob nicht daran.«
Walter Hornau sah nun wieder mit seinem seltsam glimmenden, forschenden Blick zu Käthe hinüber, die jetzt allerdings scheinbar gleichgültig neben Heinz Karsten herging und sich mit einer jungen Dame angeregt unterhielt.
Die jungen Leute gingen jetzt alle hinüber zu dem großen Tanzpodium, das Hornau hatte aufstellen lassen. Hier wurde nun zum Tanz aufgespielt, nachdem einige Konzertstücke zum Vergnügen der älteren Herrschaften gespielt worden waren. Die Jugend sollte nun zu ihrem Rechte kommen.
Heinz Karsten war froh, daß er Käthe jetzt wenigstens wieder für die Dauer eines Tanzes in seinen Armen halten und ihr leise innige Liebesworte zuflüstern konnte. Zwischen all den jungen Leuten und auch älteren Paaren, die sich im Tanze wiegten, waren sie wie allein. Walter Hornaus Blick verfinsterte sich, als er Käthe in Karstens Armen sah. Er verabschiedete sich jetzt hastig von Frau Melanie und ging schnell zu dem Podium hinüber. Die erste beste der jungen Damen, die dem Tanze zusahen, ohne einen Tänzer zu haben, forderte er auf, mit ihm zu tanzen. Das geschah nur, um es unauffällig zu machen, daß er dann auch Käthe um einen Tanz bat. Selbst Heinz Karsten fand nichts dabei. Und Käthe blieb ganz harmlos. Sie tanzte mit dem Chef der Union-Werke, wie sie mit jedem andern Mann getanzt haben würde, der sie aufgefordert hätte. Er plauderte mit ihr. In seiner harten, spröden Stimme war dabei ein Unterston, der ihr nur nicht auffiel, weil sie nicht wußte, daß er sonst fehlte. Ruhig und artig, ein wenig respektvoll, gab sie ihm Antwort, und als er dann den Arm etwas fester um sie legte, meinte sie ganz unbefangen, das geschehe nur, damit er sie beim Tanzen besser führen könne.
Als der Tanz zu Ende war, gab er ihren Arm nicht frei. Er führte sie zu einem der Zelte hinüber.
»Sie müssen jetzt erst eine Erfrischung nehmen, ehe Sie weitertanzen, Fräulein Wolter«, sagte er scheinbar ruhig.
Käthe warf einen schnellen Blick nach der Stelle, wo sie Heinz wußte, ihre Augen trafen strahlend mit den seinen zusammen. Heinz wußte, daß er sich jetzt Käthe nicht schon wieder nähern durfte, sondern sich nun auch den anderen jungen Damen zu widmen hatte. Keine Ahnung kam ihm, daß der Chef an demselben süßen Lächeln Feuer gefangen hatte, das ihm selbst das Herz betörte. Artig erledigte er einen Pflichttanz nach dem andern und plauderte so angeregt, als es ihm möglich war. Ein sogenannter Kurmacher war er nie gewesen. Seine harte, entbehrungsreiche Jugend, sein angespanntes Studium und später sein Amt bei den Union-Werken hatten ihm wenig Zeit gelassen, sich mit jungen Damen zu befassen. Erst als er Käthe Wolter kennengelernt, hatte er sich Zeit genommen, sich für eine, für diese eine Frau zu interessieren. Sie nahm aber dann auch gleich sein ganzes Denken und Empfinden in Anspruch. Neben Käthe Wolter konnte kein anderes weibliches Wesen mehr in seinem Leben Raum gewinnen, das wußte er. Sosehr er bisher in harter Jugend gelernt hatte, seine Gefühle zu meistern, so stark und tief war nun das geworden, was er für Käthe fühlte. Er hatte selbst nicht geahnt, daß er für eine Frau so tief würde empfinden können, daß ihn eine so große Weichheit und Zärtlichkeit erfüllen konnte. Nie hatte er seine Gefühle in kleiner Münze verschwendet. Um so größer war nun der Schatz der Empfindungen, den er in sich aufgespeichert hatte. Und dieser Schatz gehörte Käthe Wolter.
Er schwankte, nachdem sie an Hornaus Arm in einem der Zelte verschwunden war, zwischen einer heißen, starken Glückseligkeit und einem leisen, heimlichen Schuldbewußtsein, daß er sich hatte hinreißen lassen, ihr junges Leben an das seine zu binden. Stets war er sehr gewissenhaft gewesen, hatte sich nie einer Verantwortung entzogen, die er auf sich genommen hatte. Und nun war er sich bewußt, daß er Käthe in ein Leben voll Sorgen und Kämpfe hineingerissen hatte. Er kannte das Leben, das harte, fordernde Leben, viel besser als sie, wußte, was es hieß, arm zu sein, wußte auch, daß es heute, nach Deutschlands Verarmung, viel schwerer war als je, sich eine gesicherte Existenz zu gründen. Es war nicht viel Hoffnung für ihn, sich bald emporarbeiten zu können, auch dann nicht, wenn er alle Kräfte anspannte, höchstens vielleicht dann, wenn ihm eine Erfindung glückte, an der er heimlich arbeitete. Aber das war soviel, wie das Hoffen auf das große Los. Ehe er Käthe kennengelernt hatte, war der Plan in ihm aufgetaucht, wie so viele junge, tatkräftige Ingenieure in dieser Zeit, ins Ausland zu gehen und da sein Heil zu versuchen. Aber jetzt, nachdem er Käthe kennengelernt, ihr seine Liebe gestanden hatte – jetzt durfte er doch nicht mehr daran denken. Oder – war es nicht gerade jetzt seine Pflicht, alles daranzusetzen, vorwärtszukommen, damit er dem geliebten Mädchen eher ein sorgenloses, wenn auch bescheidenes Leben an seiner Seite bieten konnte? Freilich gab es dann ein schmerzhaftes Scheiden vorher – aber – mußte er es nicht wagen? Durfte er Käthe eine lange ermüdende Wartezeit aufnötigen, wenn er es irgendwie ändern konnte?
Alle diese Gedanken schossen ihm durch den Kopf, während er eine der jungen Damen nach der andern im Tanz drehte.
Und dazwischen fühlte er immer wieder eine heiße Glückseligkeit in sich emporschießen, daß Käthe sein war, daß sie sich ihm angelobt hatte. Er fühlte neue, ungeahnte Kräfte in sich aufkeimen, die ihn mit froher Zuversicht erfüllen wollten, daß er das Schicksal meistern würde – um Käthes willen.
Sehnsüchtig suchten seine Gedanken sie immer wieder, obwohl sie seinen Augen entschwunden war und lange unsichtbar blieb.
Walter Hornau hatte Käthe in dem Zelt, das jetzt ganz leer war, einen Sessel hingeschoben und einem Diener Weisung gegeben, ihr eine Erfrischung zu bringen. Während sie langsam das Gefrorene löffelte, plauderte er mit ihr, und sie ahnte nicht, wie sehr er sich bemühte, sie gut zu unterhalten. Er wunderte sich über sich selbst, daß er sich so viel Mühe gab, einem weiblichen Wesen zu gefallen. Gewöhnlich bemühten sich die Frauen um ihn, sie kamen dem reichen, unverheirateten Mann viel zu sehr entgegen. So war es kein Wunder, daß er von den Frauen im allgemeinen keine besonders hohe Meinung hatte.
Käthe dachte aber gar nicht daran, ihm entgegenzukommen, für sie war Geheimrat Hornau nichts als eine Respektsperson, und mit seinen fünfundvierzig Jahren und der schon etwas gelichteten Stirn erschien er ihr schon wie ein »alter Herr«. Sie war erst ein wenig befangen, eben weil er eine Respektsperson für sie war und weil er bei all seinen Angestellten mehr gefürchtet als geliebt wurde. Als er sich nun mit ihr so freundlich und liebenswürdig unterhielt, war sie angenehm enttäuscht und verlor ihre Scheu. Sie plauderte nun ganz munter und unbefangen mit ihm.
Er fragte sie, ob das Gefrorene ihren Beifall habe, und sie nickte ihm lächelnd zu.
»Ganz vorzüglich – ich habe noch nie welches von so köstlichem Geschmack genossen.«
»Sie mögen es gern?«
Das reizende Lächeln, das ihn zuerst gefangengenommen hatte, umspielte ihren Mund. Mit Behagen rührte sie in der Eisschale.
»O ja, sehr gern, es ist eine große Seltenheit für mich.«
»Dann müssen Sie noch eine Schale nehmen.«
»Nein, nein, jetzt nicht, vielleicht später, wenn ich darf.«
»Gewiß dürfen Sie, meinen Gästen steht alles zur Verfügung.«
Sie sah ihn eine Weile mit ernsten Augen an.
»Was müssen Sie für ein glücklicher Mensch sein, Herr Geheimrat.«
Seine Augen zuckten über ihre schlanke Gestalt hinweg.
»Glücklich? Weshalb meinen Sie, müßte ich glücklich sein?«
»Weil Sie so ein reicher Mann sind.«
»Meinen Sie, daß Reichtum glücklich macht?«
»Reichtum an sich und allein vielleicht nicht, aber Reichtum läßt die meisten Unannehmlichkeiten des Lebens leichter ertragen, und dann – weil Sie so reich sind, können Sie so viel Gutes tun, so vielen Menschen eine Freude machen, und das muß doch beglücken.«
Ein Lächeln huschte um seinen etwas brutalen Mund. Aber dabei brannte in seinen Augen wieder das heiße Begehren nach der taufrischen Schönheit Käthes. Sie sah das zum Glück nicht, weil sie mit ihrer Leckerei beschäftigt war.
»Jeder sieht das Glück mit anderen Augen an – Glück ist meistens nur das, was man nicht besitzt«, sagte er, mit seinen verlangenden Augen ihre reizende Erscheinung umfassend. Aber es lag eine so unberührte Reinheit und Unschuld über Käthes ganzem Wesen, daß er nicht wagte, sein Begehren auch nur andeutungsweise in Worte zu fassen. Irgend etwas zwang ihn, ihr anders zu begegnen als den anderen Frauen.
Käthe sann still seinen Worten nach. Ja, jeder Mensch sah das Glück mit anderen Augen an. Sie mußte denken, wie leicht es diesem reichen Manne sein würde, ihr Glück zu begründen. Er brauchte Heinz Karsten nur eine bessere Anstellung zu geben, ihn besser bezahlen, was er bei seiner Tüchtigkeit, die ihr Vater, sein direkter Vorgesetzter, so oft rühmte, wirklich verdiente. Ihr Vater hatte einmal behauptet, Heinz Karsten sei ein genialer Kopf und unbedingt der tüchtigste unter den jungen Ingenieuren. Wie wenig würde es diesem reichen Mann ausmachen, wenn er Heinz besser bezahlte.
»An was denken Sie jetzt, Fräulein Wolter?« fragte Hornau plötzlich in ihre Gedanken hinein, während er sich vorbeugte und sie mit seinen harten Augen anfunkelte.
Sie erschrak, ihr war, als müsse er mit seinen scharfen Augen ihre Gedanken ergründen.
»Ich? – Oh – ich dachte nur darüber nach, was Sie sagten. Es mag wohl sein, daß Glück für die meisten Menschen unerreichbar ist, und das meinen Sie wohl, wenn Sie sagen: Glück ist meistens das, was man nicht besitzt. Aber ich meine, Sie müßten doch sehr befriedigt sein, wenn Sie andere Menschen glücklich machen können, und das liegt doch in Ihrer Hand.«
Er richtete sich auf.
»Mir ist es aber viel wichtiger, selbst glücklich zu sein, als andere Menschen glücklich zu machen.«
Sie wußte nicht, weshalb sie diese Worte so betroffen machten. Vielleicht nur deshalb, weil sie wie eine schroffe Verneinung in ihre heimlichen Wünsche hineinklang, vielleicht aber auch, weil dabei die Augen des Geheimrats mit einem so seltsamen Ausdruck auf ihr ruhten, den sie sich nicht erklären konnte. Sie wehrte die Befangenheit, die in ihr aufsteigen wollte, energisch ab und sagte seufzend:
»Das ist menschlich, Herr Geheimrat. Jeder Mensch möchte glücklich sein.«
Und dabei brach plötzlich ein Leuchten aus ihren Augen. War sie doch selbst über alle Maßen glücklich, seit sie oben im Ruinenhof in Heinz Karstens Armen gelegen hatte. Wie gern hätte sie allen andern Menschen ein so großes Glück gegönnt, auch diesem reichen Mann.
Er sah das Leuchten in ihren Augen, das er sich nicht erklären konnte, das ihn aber traf, wie ihn noch nie ein Leuchten aus Frauenaugen getroffen hatte. Und in dieser Stunde wurde es ihm klar, daß er dies schöne Mädchen besitzen mußte – um jeden Peis. Noch nie hatte er so sehr nach dem Besitz einer Frau verlangt, noch nie hatte er das Verlangen nach einer Frau so lange zügeln müssen. Und doch fühlte er instinktiv, daß er es zügeln mußte, daß die Reinheit und Unschuld, die er erkannte, ihm nicht erlaubte, mit seinen brutalen Wünschen an sie heranzutreten, wie er es ohne Bedenken anderen Frauen gegenüber getan haben würde. Diese Erkenntnis vertiefte sein Begehren nur noch mehr. Er war nicht gewöhnt, sich etwas, das ihm begehrenswert erschien, zu versagen. Das Leben hatte ihm bisher alle Wünsche erfüllt.
Und er dachte nicht daran, sich den Wunsch nach dem Besitz des Mädchens zu versagen – aber es dämmerte ihm, daß er Käthe Wolter nicht so leicht erringen würde wie andre Frauen. Um sie, das wußte er nun schon, würde er einen höheren Preis zahlen müssen. Aber er war schon so sehr von ihr bezaubert, daß er sich in dieser Stunde sagte, daß er jeden – jeden Preis für sie zahlen würde, vielleicht sogar den Preis seiner Freiheit.
Bei diesem Gedanken schrak er freilich zusammen und wollte ihn von sich wehren – aber er wußte doch, daß ihm jedes Mittel recht wäre, das ihm den Besitz Käthes sichern würde.
Käthe hatte inzwischen ihre Eisschale geleert, und nun traten auch noch andere Gäste in das Zelt. Mit ihrem lieben Lächeln sah sie zu ihm auf.
»Es war sehr liebenswürdig, daß Sie mir so lange Gesellschaft geleistet haben, Herr Geheimrat, aber nun darf ich Ihre kostbare Zeit nicht länger für mich in Anspruch nehmen. Auch möchte ich mich nun wieder einmal nach meinen Eltern umsehen.«
Es fiel ihm auf, wie sicher und ungezwungen sie sich gab und ihn, ganz damenhaft, entlassen wollte, obschon sie doch in ihm eine Respektsperson sah. Es gefiel ihm, daß sie so sicher auftrat, daß sie ihr Köpfchen so stolz und frei auf den schönen Schultern trug. Und er sagte sich, mit einem brennenden Blick diese Schultern und den schlanken Hals streifend, daß dieses Mädchen auch einem Fürstenthron zur Zierde gereichen würde. Wie wundervoll mußte auf diesem königlichen Nacken eine Perlenschnur aussehen. Er erhob sich zugleich mit ihr, ohne einen Versuch zu machen, sie zurückzuhalten.
»Ich begleite Sie selbstverständlich zu Ihren Eltern.«
»Ich darf Ihre Gesellschaft wirklich nicht länger für mich in Anspruch nehmen, Ihre anderen Gäste wollen sich auch daran erfreuen«, sagte sie schnell.
Er blieb jedoch an ihrer Seite.
»Sie meinen also, daß meine Gesellschaft für andere erfreulich sein könnte?«
Freimütig sah sie ihn an, und ein bezauberndes schelmisches Lächeln umspielte ihre Lippen.
»Jetzt, da ich Sie etwas besser kennengelernt habe, meine ich das wirklich, sonst hätte ich es auch nicht gesagt.«
Es war seltsam, Walter Hornau, der sonst allen Menschen mit einem gewissen Mißtrauen gegenüberstand und hinter jedem Wort einen anderen Sinn suchte, glaubte, was sie sagte, glaubte es unbedingt, weil er sich nicht denken konnte, daß dieses entzückende Geschöpf unwahr und heuchlerisch sein könnte. Es war ihm unmöglich, sich vorzustellen, daß sie lügen könnte.
»Früher, als Sie mich noch nicht kannten, hätten Sie das also bezweifelt?« forschte er.
Sie sah ihn mit großen, ernsten Augen an.
»Ich habe nach allem, was ich von Ihnen hörte, glauben müssen, daß Sie ein sehr strenger, unzugänglicher Herr sein müssen«, sagte sie ehrlich.
»Also haben Sie nicht viel Gutes von mir gehört?«
Ein leichtes Rot flog über ihre Züge. Aber sie sagte aufrichtig:
»Der Chef eines so großen Werkes muß streng und stolz sein, und alle seine Leute müssen Respekt vor ihm haben. Sie können Ihren Untergebenen nicht so menschlich nahetreten, eben weil Sie der Chef sind. Das sehen die meisten Menschen nicht ein, und auch mir ist das heute erst klar geworden, gerade weil Sie sich heute von einer so liebenswürdigen Seite zeigen. Heute haben Sie Ihre Rolle als Chef ganz vergessen, heute sind Sie nur ein liebenswürdiger Gastgeber, und ich finde es sehr schön von Ihnen, daß Sie heute nichts anderes sein wollen.«
Er war sich bewußt, daß er bis jetzt nicht viel Liebenswürdigkeit für seine Gäste übriggehabt hatte. Für ihn war es nur eine lästige Pflicht gewesen, seine Untergebenen zu bewirten, und er hatte dieses Fest nur veranstaltet, weil es das Ansehen der Firma erforderte, nicht weil er seinen Leuten eine Freude machen wollte. Käthe schien anzunehmen, daß er zu allen anderen auch so liebenswürdig gewesen sei als zu ihr.
Er lachte ein wenig. Es war ein rauhes, sprödes Lachen ohne Wohlklang.
»Ich bin froh, daß Sie nicht unzufrieden mit mir sind, Fräulein Wolter«, sagte er ein wenig ironisch.
Sie sah erschrocken zu ihm auf.
»Unzufrieden? Wie käme es mir zu, unzufrieden mit Ihnen zu sein. Und Sie haben sich doch meiner so liebenswürdig angenommen, daß ich nur dankbar sein kann.«
Wieder lachte er ein wenig, aber er sagte nun ohne jede Ironie:
»Erschrecken Sie nur nicht, ich bin ehrlich froh, daß Sie mit mir zufrieden sind.«
Sie waren nun bei Käthes Eltern angelangt, die mit einigen anderen Gästen zusammensaßen. Mit einer Verbeugung zog er sich, nachdem er einige Worte mit ihnen gewechselt hatte, zurück. Er fing noch den gespannten Blick auf, den Frau Melanie Wolter ihrer Stieftochter zuwarf, bemerkte auch, daß Käthe diesen Blick ganz harmlos und unbefangen erwiderte, und ging dann davon.
Ein Vertreter der Presse, die auch geladen war, nahm ihn in Anspruch. Er wollte einen Artikel über dieses Fest und seine Veranlassung schreiben und brauchte noch einige Unterlagen, die ihm Hornau bereitwillig zur Verfügung stellte. Danach plauderte er mit den Amerikanern, aber seine Augen suchten dabei immer wieder Käthe Wolter. Er sah, daß sie eine Weile bei ihren Eltern sitzen blieb und daß sie sich erhob, als ein junger Herr sie zum Tanze aufforderte. Mit einem Gefühl brennender Eifersucht, wie er es noch nie empfunden hatte, sah er sie im Tanze mit diesem jungen Mann dahingleiten. Und doch hätte er in diesem Falle ganz ruhig sein können. Käthe tanzte ganz gleichgültig mit diesem, und nachher auch noch mit einigen anderen Herren. Aber ihre Augen trafen immer wieder mit denen Heinz Karstens zusammen, der auch sie kaum aus den Augen ließ. Das bemerkte aber Geheimrat Hornau nicht.
Als er sich aber dann nach einer Weile von den Amerikanern freimachen konnte, schritt er wieder zum Podium hinüber, unterwegs hie und da einige Worte mit seinen Gästen wechselnd. Als er das Podium erreichte, wurde gerade ein Boston getanzt. Und dieser Tanz hatte Heinz Karsten wieder einmal mit Käthe zusammengeführt. Er glaubte, sich nun lange genug ferngehalten zu haben von ihr, so daß er es, ohne Aufsehen zu erregen, wagen konnte, sie um einen weiteren Tanz zu bitten. Die beiden glücklichen jungen Menschen vergaßen alles um sich her. Sie ahnten nicht, daß sie von Geheimrat Hornau scharf beobachtet wurden. Fest aneinandergeschmiegt führten sie die Bewegungen des Tanzes aus und flüsterten einander heimlich süße Liebesworte zu.
Als dann die Musik schwieg, schraken sie auf wie aus einem süßen Traum und sahen sich eine Weile selbstvergessen in tiefer Zärtlichkeit in die Augen. Das entging Hornau nicht. Eine heiße, brennende Eifersucht lohte in ihm auf, und er fühlte, daß sie jetzt berechtigt war.
Von diesem Augenblick an war Heinz Karsten für ihn nichts als der Mann, der zwischen ihm und seinen heißen Wünschen, seinem flammenden Begehren stand – sein Feind also, den er, koste es, was es wolle, aus dem Weg räumen mußte. Hornau war nicht der Mann, der sich etwas, das er selbst begehrte, ruhig und ohne Gegenwehr nehmen ließ. Er wußte nun, daß vor allen Dingen erst Doktor Karsten unschädlich gemacht werden mußte.
Aber wie konnte das geschehen?
Darüber grübelte Walter Hornau unablässig nach. Fester denn je war er entschlossen, sich Käthes Besitz zu sichern. Immer glühender loderte das Begehren in ihm auf. Er war nicht willens, wegen dieses unbedeutenden jungen Mannes zurückzutreten. Welche Macht der Reichtum war, wußte er, und diese Macht wollte er brauchen, um Käthe zu gewinnen. Dieser unbedeutende Ingenieur vermochte ihr ja nicht einmal das bescheidenste Auskommen zu bieten.
Mit flimmernden Augen sah er den beiden nach, als sie das Podium verließen und zu Käthes Eltern zurückkehrten. Mit Befriedigung bemerkte er, daß Frau Melanie Doktor Karsten sogleich sehr kühl verabschiedete.
Zufällig sah Frau Melanie in diesem Augenblick zu Hornau hinüber. Sie sah die brennende Eifersucht in seinen Blicken. Und sie war eine sehr kluge Frau und sagte sich, daß Eifersucht eine treibende Kraft hatte.
Der Geheimrat aber fühlte, daß er in dieser Frau eine Bundesgenossin hatte. Noch wehrte er sich gegen den Gedanken, seine Freiheit aufzugeben wegen Käthe Wolter und sie zu seiner Frau zu machen, aber er war überzeugt, daß sie ihm sicher war, wenn er das Opfer seiner Freiheit brachte.
Bisher hatte er alle Frauen, die er gewinnen wollte, besessen, ohne seine Freiheit aufgeben zu müssen, aber jetzt dämmerte ihm schon, daß er ein Mädchen wie Käthe Wolter nur mit dem Trauring würde besitzen dürfen. Und so kostbar ihm auch seine Freiheit war, er mußte dieses Mädchen besitzen um jeden Preis. Immer heißer und wilder schoß das Begehren nach ihr in ihm auf und immer eifersüchtiger wurde er im Laufe des Tages auf Doktor Karsten, denn nun entging ihm kein Blick mehr, den Käthe mit ihm tauschte. Der Gedanke, wie er Doktor Karsten aus dem Weg räumen konnte, ohne viel Staub aufzuwirbeln, verfolgte ihn unablässig.
Frau Melanie versuchte im Verlauf des Festes soviel als möglich zu verhindern, daß Käthe mit Karsten zusammentraf. Sie beobachtete den Geheimrat unauffällig und sah immer wieder, wie seine Blicke Käthe verfolgten. Sowenig als möglich ließ sie Käthe von ihrer Seite, und da es Heinz Karsten nicht noch ein drittes Mal wagen konnte, Käthe zum Tanz aufzufordern, mußten sich die beiden Liebenden darauf beschränken, nur ab und zu einen verstohlenen Blick zu tauschen. Aber am Abend, als es dunkel geworden war und der Park nur durch zahlreiche Lampions erleuchtet war, wurde ein Feuerwerk abgebrannt. Die elektrischen Bogenlampen wurden während des Feuerwerks ausgeschaltet. Das Feuerwerk sollte der Schluß des Festes sein. Heinz hatte sich einen Platz in Käthes Nähe gesichert, hoffend, daß er unbemerkt noch ein Wort mit ihr sprechen könne. Es gelang ihm, ganz nahe an sie heranzukommen, und sie konnten wenigstens verstohlene Händedrücke tauschen. Käthe fühlte, daß ihr Heinz dabei ein zusammengefaltetes Papier in die Hand schob. Sie barg es hastig im Ausschnitt ihres Kleides und nickte ihm lächelnd zu.
Geheimrat Hornau saß vorn neben den Ehrengästen und konnte die beiden jungen Leute jetzt nicht beobachten, aber Frau Melanie hatte Heinz Karsten sehr bald in Käthes nächster Nähe entdeckt und schob sich, scheinbar zufällig zwischen die beiden. So konnten die Liebenden kein Wort mehr miteinander sprechen, und Käthe war glücklich, wenigstens das Blatt Papier von Heinz zu besitzen, wenn sie es auch erst zu Hause unbemerkt würde lesen können.
Nach dem Feuerwerk brachen die Gäste auf. Der Geheimrat stand im Vestibül der Villa und verabschiedete sich nach der Reihe von all seinen Gästen und, an Käthes Worte denkend, daß er heute nicht der Chef, sondern der Gastgeber für seine Leute war, zeigte er sich außerordentlich liebenswürdig. Mit jedem sprach er noch ein paar Worte. Er hatte sich den Kopf zerbrochen, wie er ein erneutes Wiedersehen mit Käthe unverfänglich herbeiführen könnte, und es war ihm auch etwas eingefallen. Als sich der Oberingenieur Wolter mit seinen Damen verabschiedete, sagte er zu Frau Melanie:
»Nun ist es doch nicht dazu gekommen, gnädige Frau, daß ich Ihnen die Ruine oben auf dem Berg zeigen konnte.«
Frau Melanie war mit dem sechsten Sinn der Frauen begabt, sie hörte zu Zeiten das Gras wachsen und begriff sofort, worauf er hinauswollte.
»Es hat mir sehr leid getan, Herr Geheimrat, aber Ihre Pflichten als Gastgeber ließen es nicht zu, daß Sie mir soviel von Ihrer kostbaren Zeit widmen konnten.«
»Aber ich hatte es Ihnen versprochen, und ich pflege mein Wort zu halten. Wollen Sie mir daher erlauben, Sie morgen nachmittag in meinem Wagen abholen zu lassen? Ich hoffe, Ihr Fräulein Tochter wird Sie begleiten. Dann führe ich Sie zur Ruine hinauf, Ihr Fräulein Tochter hat sie auch noch nicht besichtigt.«
Hocherfreut verneigte sich Frau Melanie. Sie wußte sehr wohl, daß sie nur die Nebenperson war und daß Hornau nur ein Wiedersehen mit Käthe herbeiführen wollte. Ihre Luftschlösser nahmen phantastische Formen an, und sie beeilte sich zu sagen:
»Sie sind sehr liebenswürdig, Herr Geheimrat. Dürfen wir wirklich Ihre kostbare Zeit noch einmal in Anspruch nehmen?«
»Sie werden mich doch nicht wortbrüchig machen wollen? Ich versprach Ihnen, Sie nach der Ruine hinaufzuführen, und Sie werden mir gestatten müssen, daß ich mein Versprechen einlöse.«
»Nur zu gern! Ich freue mich sehr darauf. Die Ruine ist mir sehr interessant.«
»Ihnen hoffentlich auch, Fräulein Wolter?«
Käthe errötete ein wenig. Sie durfte natürlich nicht eingestehen, wie sehr ihr die Ruine interessant erschien und aus welchem Grunde. Aber sie freute sich darauf, morgen wieder da hinaufsteigen zu können, wo sie Heinz Karsten in seinen Armen gehalten hatte.
»Gewiß, Herr Geheimrat, und wenn Sie erlauben, daß ich Mama begleite, tue ich es sehr gerne.«
Oberingenieur Wolter war höchst erstaunt, seinen sonst so hochmütigen Chef so liebenswürdig mit seinen Damen plaudern zu hören. Er war jedoch viel zu harmlos, als daß er in diesem Anerbieten etwas anderes gesehen hätte, als den Wunsch, ein Versprechen einzulösen.
Frau Melanie aber wußte Bescheid. Sie hatte zwar wirklich mit dem Geheimrat im Laufe des Nachmittags über die Ruine gesprochen, und er hatte ganz flüchtig bemerkt, daß er sie vielleicht hinaufführen werde, wenn er dazu kommen würde, aber als ein Versprechen hatte sie das nicht aufgefaßt. Sie wußte auch ganz genau, daß er das völlig außer acht gelassen haben würde, wenn er nicht eine Gelegenheit gesucht hätte, wieder mit Käthe zusammenzutreffen. Daß er aber diese Gelegenheit suchte, weckte allerlei Gedanken in ihr.
Befriedigt fuhr sie mit Gatten und Tochter heim. Zu Hause angekommen, verabschiedete sich Käthe von ihren Eltern und suchte ihr Zimmer auf. Nun endlich hoffte sie Heinz Karstens Zeilen lesen zu können, aber ehe sie den Zettel noch hervorgeholt hatte, trat plötzlich ihre Stiefmutter bei ihr ein.
Käthes Verhältnis zu ihrer Stiefmutter war bisher ein angenehmes gewesen. Die lebenslustige und lebenskluge Frau hatte es von Anfang an verstanden, ihre Stieftochter für sich zu gewinnen. Käthes Mutter war schon gestorben, als diese erst fünf Jahre alt gewesen war; sie war das Opfer einer Epidemie geworden. Damals war Käthe noch zu jung gewesen, um den Verlust, der sie betroffen hatte, in seiner ganzen Schwere zu verstehen. Sie befreundete sich schnell mit der immer heiteren und gutgelaunten Stiefmutter. Sie war immer gut mit ihr ausgekommen. Als Käthe älter und verständiger wurde, bemerkte sie wohl, daß die Stiefmutter ihrer innersten Wesensart fremd, daß sie oberflächlich war und daß ihre scheinbare Güte nichts weiter bedeutete als Klugheit und Berechnung. Sie erkannte, daß bei dieser Frau nie etwas sehr tief ging. So zog sie sich innerlich mehr und mehr in sich selbst zurück, ohne daß dies der nicht sehr feinfühligen Stiefmutter aufgefallen war. Scheinbar blieb das gute Verhältnis zwischen ihnen bestehen, es bestand sogar wirklich, nur daß Käthe alles, was sie tiefer bewegte, für sich behielt, weil sie dafür kein Verständnis bei Frau Melanie erwarten konnte. In gewissem Sinne war Käthe längst über ihre Stiefmutter hinausgewachsen. Etwas erstaunt sah sie nun zu ihr hinüber.
»Wünschest du noch etwas, Mama?« fragte sie.
Frau Melanie warf sich lachend in einen Sessel.
»Ich bin einfach noch nicht zum Schlafen aufgelegt, Papa ist müde und hat sich gleich zur Ruhe begeben, aber ich bin noch so in Stimmung und möchte gern noch ein wenig über das Fest mit dir plaudern. Es war doch reizend, nicht wahr?«
Käthe nickte mit leuchtenden Augen.
»Wunderschön, Mama.«
Sie ließ sich ihrer Stiefmutter gegenüber in einen Sessel fallen, ganz bereit, mit ihr zu plaudern, obwohl sie sehr gerne erst Heinz Karstens Zeilen gelesen hätte.
Frau Melanie betrachtete Käthe mit prüfenden Augen.
»Fabelhaft, wie frisch du noch aussiehst, Käthe; du warst übrigens die schönste von allen Damen.«
Käthe lachte harmlos auf.
»Du bist parteiisch, Mama! Ich habe viel schönere Damen unter Geheimrat Hornaus Gästen gesehen, mit denen ich mich nicht messen möchte.«
»Meine liebe Käthe, über sich selbst hat man nie ein richtiges Urteil, entweder über- oder unterschätzt man sich, je nach Veranlagung. Und unter deinen vielen Tugenden ist auch die einer großen Bescheidenheit. Und gerade diese Bescheidenheit, dieses Nichtkennen deiner Schönheit, ist ein ganz besonderer Reiz an dir.«
Nun lachte Käthe herzlich.
»Aber, Mama, wenn das wirklich ein Reiz an mir ist, dann gibst du dir viel Mühe, ihn mir zu nehmen, indem du mich auf diese Weise maßlos eitel machen könntest.«
»Nein, diese Gefahr besteht bei dir nicht; zur Eitelkeit hast du sehr wenig Veranlagung. Und du kannst mir schon glauben, keine konnte dir auch nur das Wasser reichen. Wenn auch elegantere Abendkleider da waren, mit deinem schlichten weißen Kleid hast du sie alle geschlagen. Du hast überhaupt eine bewundernswerte Art, aus dem schlichtesten Kleid ein vornehmes Stück zu machen. Was du auch anziehst, immer wirkst du wie eine vornehme Dame. Es hat sich wirklich keine mit dir messen können, das glaube mir.«
Es lag so viel ehrliche Bewunderung in Frau Melanies Worten, daß Käthe einen roten Kopf bekam.
»Du machst mir so viele Komplimente, Mama, daß ich mich ganz beschämt fühle. Ich möchte nicht den Anschein erwecken, als wollte ich deine Artigkeiten zurückgeben, sonst würde ich dir jetzt sagen, daß du auch sehr hübsch ausgesehen hast und gar nicht wie die Mutter einer erwachsenen Tochter.«
Nun lachte Frau Melanie.
»Oh, das kannst du mir ruhig sagen, ich höre derartiges sehr gern, und ich gestehe ganz offen, daß es mir Vergnügen macht, wenn ich gut aussehe. Sieht man mir wirklich meine vierzig Jahre noch nicht an?«
»Ganz gewiß nicht, Mama, du siehst noch so reizend und jung aus. Man wird dich höchstens auf dreißig schätzen, und es ist gut, daß man weiß, daß du nur meine Stiefmutter bist«, sagte Käthe ehrlich.
Frau Melanie hielt sich aber nun die Ohren zu.
»Sprich nur dies greuliche Wort nicht aus! Stiefmutter! Es hat einen so zweideutigen Klang. Nicht wahr, Käthe, ich bin dir doch nie eine böse Stiefmutter gewesen?«
Herzlich nahm Käthe ihre Hand.
»Ganz gewiß nicht, Mama, du warst immer gut zu mir.«
»Ich habe es wenigstens immer herzlich gut mit dir gemeint, Käthe, und tue das auch jetzt noch. Deshalb mußt du mir jetzt ein offenes Wort gestatten.«
Käthe wurde rot, obwohl sie noch gar nicht wußte, worauf ihre Stiefmutter hinauswollte. Sie war so gar nicht gewöhnt, etwas geheimzuhalten, und hätte gern gebeichtet, was heute im Ruinenhof geschehen war, wenn sie nicht gefürchtet hätte, daß die Stiefmutter entschieden Front machen würde gegen ihr heimliches Verlöbnis mit Heinz Karsten.
»Was hast du mir zu sagen, Mama? Ich weiß, daß du es immer nur gut mit mir meinst.«
»Es freut mich, daß du davon überzeugt bist, Käthe. Also – du darfst dich nicht wieder so lange allein mit Doktor Karsten in Gesellschaft unterhalten, darfst überhaupt nicht mit ihm allein Zusammensein.«
Käthe wurde rot und wußte nicht, was sie sagen sollte.
»Ich weiß nicht, was du damit meinst, Mama«, sagte sie verlegen. Aber sie konnte sich nicht verstellen, hatte es nie gekonnt.