Trügerischer Glanz: Der Wiener Kongress - Hannes Leidinger - E-Book

Trügerischer Glanz: Der Wiener Kongress E-Book

Hannes Leidinger

4,9

Beschreibung

RAUSCHENDE FESTE, NEUE ORDNUNG Der Wiener Kongress war ein einziges rauschendes Fest. So sahen es zumindest viele Zeitzeugen, die über das Großereignis zur Jahreswende 1814/15 Aufzeichnungen hinterlassen haben. Bälle, Paraden und viele andere Lustbarkeiten sollten Sieges- und Friedensstimmung verbreiten. Aber die Herrscher Europas kamen nicht nur zum Tanzen in die k.k. Residenzstadt: Vielmehr sollte Europa nach der Niederlage Napoleons neu geordnet werden. Im engsten Kreis der Entscheidungsträger herrschte allerdings Uneinigkeit. Bis der ganze Kontinent erneut von Napoleon bedroht wurde. Mit seiner Niederlage konnten die Beschlüsse des Wiener Kongresses umgesetzt werden. Aber wie lange blieb die neue Ordnung aufrecht? Und welchen Stellenwert nimmt der Wiener Kongress in unterschiedlichen Erinnerungskulturen ein? Umfassend beleuchtet Hannes Leidinger den Wiener Kongress aus verschiedenen Blickwinkeln und erklärt die Hintergründe, die Entwicklung und die Folgen des Großereignisses für Österreich und ganz Europa. DER WIENER KONGRESS ABSEITS VON GLANZ UND GLORIA Darüber hinaus beschreibt Hannes Leidinger erstmals, wie das Leben abseits der "großen Historie" aussah, und berichtet vom Alltag der Menschen, der so gar nicht dem Klischee des "tanzenden Kongresses" entsprach. Er wirft einen spannenden Blick hinter die Kulissen des Großereignisses und erzählt von den Vergnügungen der Reichen und Schönen, den geheimen Machenschaften und Absprachen zwischen gekrönten Häuptern, Staatsmännern und Diplomaten. Vom Wiener Kongress geht ein trügerischer Glanz aus, der die Erinnerung an die Probleme der Frühindustrialisierung überstrahlt: etwa die stetig wachsende Armut der Bevölkerung, die Schattenwelten von geheimen Zirkeln und die Untergrundnetzwerke einer umtriebigen Opposition. Wissenschaftlich fundiert und äußerst kurzweilig präsentiert Hannes Leidinger somit eine andere Geschichte des Wiener Kongresses - abseits von Glanz und Gloria und der diplomatischen Neuordnung Europas.

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Hannes Leidinger

Trügerischer Glanz: Der Wiener Kongress

Eine andere Geschichte

Table of Contents
Cover
Titel
Ein kurzes Vorwort
Tanz durch die Zeiten
Laufbilder
Ausstellungen und Veröffentlichungen
Image und Identitätsbildung
Sinnesrausch
Arbeit vor und hinter den Kulissen
Verlautbarungen und Vorbedingungen
Geheime Erkundungen
Konstituierung und Organisation
Der polnisch-sächsische Konflikt
Ausschüsse und Kommissionen
Hundert Tage
Schlussakt
Les Misrables
Schöner Schein und triste Wirklichkeit
Die Räuber
Anstalten
Kinderhandel und Pflegeelend
Unruhe
Verarmung
Hoffnung und Mitgefühl
Sklaverei
Emanzipation
Die Rolle der Frauen
Gefallene Mädchen
Die bedrohte Ordnung
Uneinheitlichkeit und Irreversibilität
Reaktionen
Reformgeist
Die Jakobiner
Kommunisten und Sozialisten
Unzufriedenheit im Transformationsprozess
Gelehrte im Aufruhr
Gefühlswelten
Attentate, Revolten, Unabhängigkeitsbewegungen
Die große Verschwörung
Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten, Zusammenhänge
Horizonterweiterung
Bewertungen
Keine Wiener Ordnung
Zielsetzungen und Kräfteverhältnisse
Die Missachtung der Beschlüsse
Konflikte, Krisen, Kriege
Erfahrungen einer Generation
Sattelzeit
Langfristige Perspektiven
Die Welt der Diplomaten
Europa
Gedenken und Gegenwartsbezug
Anmerkungen
Tanz durch die Zeiten
Arbeit vor und hinter den Kulissen
Les Misrables
Die bedrohte Ordnung
Horizonterweiterung
Quellen- und Literaturverzeichnis
Archivmaterialien
Gedruckte Quellen
Filmquellen
Literatur
Internet
Register
Personenregister
Geographisches Register
Sachregister
Hannes Leidinger
Zum Autor
Impressum



Ein kurzes Vorwort

Es war ein einziges Fest – beeindruckend, ja überwältigend. So sahen es zumindest etliche Zeitzeugen, die Aufzeichnungen über den Wiener Kongress hinterlassen haben. Die Herrscher Europas kamen im Herbst 1814 in die habsburgische Residenzstadt und atmeten nach einem Vierteljahrhundert Krieg auf. Bälle, Paraden, »Volksbelustigungen« und viele andere »Merkwürdigkeiten« verbreiteten Sieges- und Friedensstimmung.

Dass trotzdem nicht nur getanzt und gefeiert, sondern auch gearbeitet wurde, ist hinlänglich bekannt. Im engsten Kreis der wirklichen Entscheidungsträger herrschte allerdings Uneinigkeit. Die Situation spitzte sich zum Jahreswechsel 1814/15 gefährlich zu. Schon in den nachfolgenden Wochen überwog jedoch wieder die Kompromissbereitschaft, also noch vor jenen dramatischen Augenblicken, in denen Napoleon den ganzen Kontinent erneut bedrohte.

Die Niederlage des »korsischen Usurpators« erleichterte dann jedenfalls die Durchsetzung der in Wien getroffenen Vereinbarungen. Aber wie lange blieb die nun geltende Ordnung aufrecht? Und wie sah das Leben jenseits der »großen Historie« und grundlegenden Entscheidungen aus? Was geschah abseits der Vergnügungen der »Reichen und Schönen«, der Ränke und Absprachen zwischen den gekrönten Häuptern, Staatsmännern und Diplomaten?

So gefragt entsteht eine andere Geschichte des Wiener Kongresses – gerade auch in Bezug auf seine Konsequenzen. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, das kollektive Gedächtnis verschiedener Länder mit zu beachten und den Stellenwert des Aufsehen erregenden »Events« in unterschiedlichen Erinnerungskulturen zu eruieren.

Anknüpfend an eine solche Langzeitperspektive ist die Bedeutung der Fürsten- und Diplomatenberatungen in der k. k. Metropole dann generell neu zu beurteilen. Das vorliegende Buch begnügt sich folglich nicht mit einem Überblick zu den Begebenheiten von 1814/15 und ihren unmittelbaren Vorbedingungen. Ebenso wenig gibt es sich mit kurzen Skizzen über die Folgewirkungen zufrieden. Schrittweise soll die Erhellung des Kontexts zu einer historischen Gesamtbewertung jener Monate beitragen, in denen zumindest der »Alte Kontinent« Europa, wenn nicht die ganze Welt auf die Kaiserstadt an der Donau blickte.

Das Treffen der Monarchen und Staatsmänner war in eine Ära fundamentaler Systemveränderungen eingebettet. Dabei handelte es sich um Transformationen, die nicht bloß vom 18. in das 19. Jahrhundert führten. Vielmehr vollzog sich ein Wandel von Jahrtausende währenden Strukturen und Geisteshaltungen zu zahlreichen Innovationen und Beschleunigungseffekten, die letztlich in die Gegenwart weisen. Auf allen Ebenen – politisch und gesellschaftlich, wirtschaftlich und kulturell, wissenschaftlich und technisch, weltanschaulich und emotionell – wurde die Schwelle zu jener Zeit überschritten, die sich in unserer Vorstellung zur »Moderne« formt.

Von abstrakten Entwicklungsprozessen kann diesbezüglich keine Rede sein. Revolutionen, Reformen, Kriege und Gesetzesänderungen, Bevölkerungsentwicklung, medizinische Erkenntnisse, Transportwesen und Kommunikationsformen, Medienrealität und »öffentliche Meinung«, Säkularisierung, Humanitätsideale, Aufklärung und Romantik, spätfeudale Krisen und frühe Industrialisierungstendenzen beeinflussten den Alltag der Menschen direkt oder indirekt. Die Fürstentreffen und Diplomatenkonferenzen, die Friedensschlüsse, Völkerrechtsbestimmungen und Staatenbündnisse liegen an der Oberfläche einer tiefer gehenden Geschichte der mentalen, sozialen und ökonomischen Umwälzungen.

Altes und Neues ist dabei bisweilen unentwirrbar ineinander verflochten. Dennoch bieten sich Erklärungsmodelle zum besseren Verständnis an. Die mehrmonatige Anwesenheit der europäischen Staatsführungen im Zentrum der Habsburgermonarchie präsentiert sich als kurzfristiges Ereignis, das umgeben ist von Phänomenen und Perioden unterschiedlicher Dauer. Die Jahreswende 1814/15 wird gewissermaßen von »Zeitringen« eingeschlossen: Von einer weltweiten Staatenkrise um 1800, von der Französischen Revolution und dem napoleonischen Hegemoniestreben zwischen 1789 und 1815, von einer »Sattelzeit« zwischen 1770 und 1830. Parallel dazu zeigen sich Kontinuitäten sowie beinahe unmerkliche, langsame Veränderungen während der gesamten Neuzeit. Und schließlich lohnt es sich noch, hinsichtlich der Wirkungsgeschichte des Wiener Kongresses das nachfolgende 19. Jahrhundert in kürzere Etappen zu untergliedern.

Sowohl bei derartigen als auch bei allen anderen Überlegungen oszilliert die Darstellung zwischen Narration und Analyse. Darüber hinaus weitet sich der Blick schrittweise nicht bloß temporal, sondern auch geographisch: von Wien aus auf das Gebiet des heutigen Österreich, dann auf das Territorium der gesamten Donaumonarchie, und zu guter Letzt auf europäische und globale Zusammenhänge.

Die Resultate dieser Neuvermessung eines viel beachteten »Gipfeltreffens« der europäischen Elite und eines »Schlussaktes« nach einem knappen Vierteljahrhundert der Kampfhandlungen sollen hier nicht verraten werden. Soviel aber sei vorausgeschickt: Vom Wiener Kongress geht ein trügerischer Glanz aus, wenn man in die Tiefe der Zeit und des Raums eintaucht, in die Dunkelheit der wachsenden Armut einer schwierigen Übergangsphase oder in die Schattenwelten der geheimen Zirkel und Untergrundnetzwerke einer umtriebigen Opposition.

Tanz durch die Zeiten

Leuchtreklame für den Film Der Kongress tanzt (1931). ÖNB/Wien, 105.373-D

Laufbilder

Christel Weinzinger ist eine Handschuhmacherin. Die lebenslustige junge Dame lässt kein Mittel unversucht, um ihr Geschäft zu bewerben. Wie viele andere nutzt sie das große Spektakel in ihrer Heimatstadt Wien, das Fürstentreffen der Jahre 1814 und 1815, um den hochgestellten Persönlichkeiten ihre Ware anzupreisen. Ein Blumenbukett mit ihrer Visitenkarte, das sie dem gerade eintreffenden Zaren Alexander zuwirft, wird allerdings für eine Bombe gehalten. Christel findet sich als potenzielle Attentäterin im Gefängnis wieder. Ihr werden als Bestrafung Stockhiebe angedroht, vor denen sie der Zar in letzter Minute bewahrt. Um ihren Retter aber entspinnt sich ein Verwirrspiel: Schließlich setzt Alexander seinen Doppelgänger Uralsky ein, der ihm lästige Verpflichtungen vom Hals schaffen soll was sowohl bei der freigelassenen Christel als auch beim Fürsten Metternich Verwirrung auslöst. Letzterer ist darüber hinaus bestrebt, den Kongress in der Donaumetropole nach seinen Vorstellungen zu gestalten und daher speziell die russischen Gegenspieler von den Verhandlungen abzulenken und fernzuhalten. Eine sich anbahnende amouröse Affäre zwischen Christel und dem Zaren entspricht daher durchaus den Intentionen des österreichischen Außenministers. Die Zuneigung zwischen dem einfachen Wiener Mädel und dem Kaiser aller Reussen ist nach einigen Verwechslungen jedoch ehrlich und innig, wenn auch von kurzer Dauer. Mit der Flucht Napoleons von der Insel Elba und der Vorbereitung neuer Kriegshandlungen muss Alexander abreisen. Der Traum vom Glück, der an das Märchen vom Aschenputtel erinnert, findet einen abrupten Abschluss. Selbst als die verlassene Christel bei dem schon bereit stehenden Pepi, dem Sekretär Metternichs, Trost findet, will sich kein ungetrübtes Happy End einstellen. Die Grundstimmung des Films Der Kongress tanzt mit den sinnigen Schlagern Das gibts nur einmal, das kommt nicht wieder und Das muss ein Stück vom Himmel sein, Wien und der Wein vermittelt nichtsdestoweniger durchgängig Lebenslust und Sinnesfreuden.1

Der aufwändigste aller Revue- und Operettenproduktionen des deutschen Ufa-Imperiums, der im Herbst 1931 Premiere hatte, fand begeisterte Aufnahme bei Publikum und Kritik. Regisseur Erik Charell galt als neuer Fixstern des Kinos. In der Wiener Presse wurde Charells Werk mit den großen amerikanischen Erzeugnissen verglichen und die Ensemble-Leistung der Darsteller ausgiebig gewürdigt. Willy Fritsch als Alexander, Lilian Harvey als Christel, oder auch Paul Hörbiger als Heurigensänger, das hieß es in der Stunde kann sich kein Theater, sondern nur ein Tonfilm wie dieser leisten. Gemeinsam, ergänzte die Wiener Allgemeine Zeitung, schaffen sie es, dass eine ganze Stadt gleichsam auf Flügeln des Wein- und Tanzgesanges zu singen, zu lachen, zu plaudern beginnt.2

Dass diese Ausgelassenheit teilweise dem expressivem Stil der Stummfilmzeit geschuldet war, trat in mehreren Szenen deutlich hervor. Gestik und Mimik von Lilian Harvey erwiesen sich diesbezüglich im wahrsten Sinne des Wortes als Verkörperung einer Übergangszeit, in der die Laufbilder sprechen lernten und die Dialoge einigermaßen vorsichtig eingeführt werden. Doch ist Der Kongress tanzt für seine Zeit vergleichsweise schwungvoll. Zudem erinnern die Tanzvorführungen in Gegenwart der fürstlichen Gäste speziell in einer Szene eher an den moderneren Stil der Ballets Russes, während sich die originalrussische Atmosphäre in Alexanders Salon wiederum an Kosaken- und Russland-Revuen zahlreicher Emigranten aus dem untergegangenen Zarenreich orientiert. Die dadurch transportierten, immer mehr zu Klischees erstarrenden Charakteristika des östlichen Riesenreiches vergegenwärtigt schließlich insbesondere das Alexander-Double Uralsky, der gleichfalls von Willy Fritsch gespielt fragwürdige Stereotypen des eigentlichen volkstümlichen Russland darstellt, einfach und auch etwa tölpelhaft, aber singend und unbeschwert. Lediglich die im Umfeld des falschen und des richtigen Zaren fallenden Bemerkungen über die Verbannung Missliebiger nach Sibirien verweisen auf die dunklen Seiten Russlands, lassen aber offen, ob es sich in dieser Hinsicht schon eher um eine vorsichtige Kritik an den Verhältnissen im Lande der Bolschewiki handelt.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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