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Mr. Haller verweilt mit seiner Tochter Daisy in Hamburg, doch wichtige Geschäfte zwingen den Vater vorzeitig nach Berlin abzureisen. Daisy soll vorerst mit ihrer Hausdame Miss Kruse und der Bediensteten Mary noch ein paar Tage im Hotel bleiben. Niemand von ihnen ahnt, dass sich Daisy in großer Gefahr befindet, denn Verbrecher haben es auf den wertvollen Schmuck im Gepäck der jungen Frau abgesehen. Eine schicksalshafte Fügung, denn als sich die Situation dramatisch zuspitzt, begegnet Daisy dem Mann ihrer Träume ...-
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Seitenzahl: 238
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Hedwig Courths-Mahler
Saga
Um Diamanten und Perlen
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1930, 2022 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788728472910
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Bist du fertig, Daisy? Wir wollen in den Speisesaal gehen.«
»Ja, Vater, ich habe nur auf dich gewartet.«
Mister Haller sah nach der Uhr.
»Wahrhaftig, ich bin zu spät gekommen.«
»Viereinhalb Minuten! Das ist eine Seltenheit bei dir, Vater. Zeit ist Geld!«
»Daisy, du weißt, ich bin ein Pünktlichkeitsfanatiker. Aber wenn es sich lohnt, muß man sich auch einmal davon freimachen können.«
»Also hat es sich gelohnt?« fragte Daisy.
»Die Konferenz, die ich hatte, war ein Erfolg. Die vier Minuten haben sich bezahlt gemacht. Aber nun komm, Miß Kruse wartet schon auf uns. Alles andere erzähle ich bei Tisch.«
Der Vater führte sie aus der eleganten Suite des Hamburger Hotels hinab in das Vestibül, wo nebenan der große Speisesaal lag. Hier wurden Vater und Tochter von einer alten Dame an dem für sie reservierten Tisch erwartet. Es war Miß Kruse, die Hausdame Mister Hallers. Sie war schon vor dem Tode von Daisys Mutter im Hause als Erzieherin tätig gewesen und nachher zur Repräsentantin bei Mister Haller aufgerückt. Darüber war sie fünfundsechzig Jahre alt geworden und sehnte sich danach, sich zur Ruhe zu setzen. Sie war Deutsche und hatte sich, auch dank Mister Hallers Noblesse, so viel erspart, daß sie einem ruhigen Lebensabend entgegensehen konnte. Den wollte sie in Hannover bei einer verwitweten Schwester verbringen, deren Kinder verheiratet waren.
Bei Tisch sagte Haller den beiden Damen, daß er noch am selben Abend nach Berlin fahren müsse. Seine Tochter sah ihn betroffen an.
»Heute abend noch, Vater? Wir hatten doch geplant, erst übermorgen abzureisen.«
Mister Haller zuckte lächelnd die Achseln.
»Busineß, Daisy.«
»Schon wieder?« fragte sie vorwurfsvoll.
»Es ist nicht zu ändern.«
»Und das nennst du nun ausruhen, Vater«, sagte sie liebenswürdig. Ein wenig schuldbewußt sah er sie an und meinte, sich verteidigend:
»Was willst du, dieses gute Geschäft, das mir fast keine Mühe macht, kann ich nicht aufgeben, es ist nun einmal in die Wege geleitet. Ich muß jedenfalls morgen früh in Berlin sein. Deshalb fahre ich heute abend.«
»Aber ich kann unmöglich noch heute abend reisen, Vater.«
»Sollst du auch nicht, Daisy! Du fährst, wie verabredet, übermorgen mit Miß Kruse im Auto nach Berlin. Dort erwarte ich euch im Hotel. Inzwischen sind meine Geschäfte schon erledigt, und ich verspreche dir, dann nichts Neues mehr in die Wege zu leiten. Wir sehen uns Berlin an. Miß Kruse kann Jugenderinnerungen auffrischen – sie wird allerdings viel verändert finden –, und dann kann sie nach Hannover reisen; wir müssen uns dann von ihr trennen.«
Daisy legte ihre Hände auf die der alten Dame.
»Das wird Herzweh geben, Liebste, auf beiden Seiten.«
»Sprich noch nicht davon, Kindchen. Ich mag gar nicht daran denken und weiß nicht, wie ich den Abschied von dir ertragen soll.«
»Tapfer sein, meine Liebe! Deine Neffen und Nichten werden mich dir bald ersetzen und mich in Vergessenheit bringen.«
»Das glaubst du doch selbst nicht, Daisy. Aber es hilft nichts, alles Gute kann der Mensch nicht beisammen haben. Man wird alt. Und die Sehnsucht nach meiner Schwester und ihren Kindern ist groß. Doch hoffentlich ist es mir vergönnt, recht oft von dir zu hören.«
»Das ist selbstverständlich! Von jedem Hafen, in dem wir anlegen, erhältst du Nachricht, und du schreibst mir auch, unsere Reiseroute kennst du ja. Mir fällt es sehr schwer, mich von dir zu trennen.«
»Und hast dich noch nicht nach einem Ersatz für mich umgesehen?«
»Nein, dich kann mir niemand ersetzen.«
»Du mußt aber eine Begleiterin haben, Daisy, das haben wir doch schon besprochen.«
»Well! Es soll wieder eine Deutsche sein. Ich werde mir in Berlin eine junge Dame suchen.«
»Eine junge Dame? Das geht doch nicht, Daisy.«
»Warum denn nicht?«
»Aber Kind, so allein um die ganze Welt, da mußt du schon eine ältere Person um dich haben.«
»Sei nicht so schrecklich altmodisch, Liebe, ich brauche keine Anstandsdame, ich möchte lieber ein junges, lustiges Wesen um mich haben. Später kommt dann, wenn wir verschiedene Strecken mit Vaters Motorjacht reisen, auch Mrs. Johnston an Bord der »Regina«, und außerdem bin ich unter Vaters Schutz. Was brauche ich da noch eine Anstandsdame? Und was sollte ich auf einer so strapaziösen Reise überhaupt mit einer alten Dame anfangen? Du weißt doch, wie anstrengend für dich das Reisen ist. Und ich bin mit meinen zweiundzwanzig Jahren kein Kind mehr. Was mir fehlt, ist eine nette junge Dame, mit der ich lachen und dumme Streiche machen kann.«
Miß Kruse war in Sorge, daß es ohne sie überhaupt nicht gehen würde. Wie viele Menschen, die lange Zeit eine verantwortungsvolle Stellung eingenommen haben, hielt sie sich für unersetzlich.
»Wenn das nur gutgeht, Kind«, sagte sie mit Sorge.
»Sei nicht bange, ein Wickelkind bin ich nicht mehr. Meinst du nicht auch, Vater?«
Der alte Herr sah seine Tochter stolz und zärtlich an. »Miß Kruse ist um dich genauso ängstlich besorgt, wie es deine Mutter war; sie meint es auch sehr gut, aber sie vergißt, daß wir in einer anderen Zeit leben als damals, da sie selber jung war. Um dich ist mir nicht bange, Daisy. Sie können unbesorgt sein, Miß Kruse.«
In diesem Augenblick sah Haller am Eingang des Speisesaales den Kellner, der auf ihren Zimmern bediente. Dieser Kellner sah forschend zu Haller und den Damen herüber, markierte aber Gleichgültigkeit, als er merkte, daß Haller ihn fragend ansah, und verschwand wieder.
Haller legte seine Serviette zusammen und stand auf.
»Laßt euch nicht stören, eßt in Ruhe euren Nachtisch, ich muß mich noch zurechtmachen für die Abreise. Also, übermorgen erwarte ich dich mit Miß Kruse in Berlin. Bis dahin auf Wiedersehen.«
»Willst du nicht mit dem Auto fahren, Vater? Dann würde ich mit Miß Kruse die Bahn nehmen.«
»Nein, nein, ich treffe mich mit meinem Geschäftsfreund am Bahnhof, wir reisen gemeinsam. Und dir soll das Auto zur Verfügung stehen, es ist bequemer. Fahr aber nicht zu spät ab, damit ihr noch bei Tageslicht in Berlin ankommt.«
*
Als Haller im Lift zur ersten Etage fuhr, bemerkte er Miß Mary, die Zofe seiner Tochter, mit demselben Zimmerkellner, der vorhin im Speisesaal so forschend zu ihm herübergesehen hatte. Sie standen in einer Ecke beisammen. Die beiden trennten sich aber sofort, und die Zofe verschwand in Daisys Zimmern, während der Kellner die Treppe hinablief.
Haller schüttelte ein wenig den Kopf.
Die Zofe seiner Tochter war häßlich und der Kellner ein hübscher Mensch von der Art, die weiblichen Dienstboten gefährlich werden kann.
Der Kellner eilte die Hintertreppe hinab, die zu den Wirtschaftsräumen führte. Er trat auf den Hof hinaus, der zur Garage führte, und sah sich um. Der Hof war leer, nur neben der Tür zum Ausgang lehnte ein junger Mann, der mit Talmi-Eleganz gekleidet war. Schnell trat der Kellner an ihn heran.
»Die Sache ist in ein noch günstigeres Stadium getreten, Franz! Der Alte reist schon nachher ab und fährt mit dem Zug voraus. Die Tochter und die Gesellschafterin fahren, wie es abgemacht war, übermorgen früh mit dem Auto. Sag also Karl Bescheid, und fahr du am besten mit demselben Zug nach Berlin, in dem Mister Haller fährt. Kannst ihn noch ein bißchen beobachten. Den Schmuck nimmt die Tochter im Auto mit, in einem ledernen Koffer mit Metallbeschlägen, etwa einen halben Meter lang, vierzig Zentimeter breit und dreißig hoch. Macht eure Sache gut, so eine Gelegenheit kommt für uns nicht so schnell wieder. Du mußt dich mit Gustav und Max auf die Lauer legen, die Stelle kennt ihr ja, wo das Ding ohne Risiko zu drehen ist. In vier Tagen komme ich nach. Ich verdufte hier. Hat’s geklappt, treffen wir uns, um zu teilen, hat’s nicht geklappt, muß eine andere Sache ausfindig gemacht werden. Ich halte mir die Zofe warm, die ist in mich verliebt, aus der kriege ich alles raus, was ich wissen will. Geteilt wird redlich, wie es unter Kavalieren üblich ist. Es ist so viel, daß wir ausgesorgt haben. Der Schmuck ist Millionen wert. Ich bin Kenner und habe an der Miß allerlei Prachtstücke gesehen.«
»Kann denn das Ding nicht hier im Hotel gedreht werden? Die Sache mit dem Auto hat gewisse Schwierigkeiten.«
»Mensch, frag nicht so dusselig! Wenn es hier zu machen wäre, hätte ich es gleich gedreht. Was die Sache mit dem Auto betrifft, ein bißchen Mühe macht sich schon bezahlt.«
»Und wenn es fehlschlägt?«
»Dann wißt ihr ja, wo wir uns treffen, dann muß es in Berlin anders angestellt werden. Gemacht wird die Sache auf jeden Fall. Nun los, daß du noch rechtzeitig zum Bahnhof kommst!«
Der mit Franz Angeredete begab sich ohne Zögern zum Bahnhof, aber schon an der nächsten Straßenecke gesellte sich ein anderer junger Mann zu ihm. Auch er war wie Franz und der Kellner Wilhelm Mitte Dreißig, auch er mit Talmi-Eleganz gekleidet.
Ohne sich zu begrüßen, gingen sie nebeneinander her.
»Ich fahre sofort nach Berlin, das Ding wird gedreht. Du bleibst hier in Hamburg, Karl, falls Wilhelm dich noch braucht. Kannst dich ja ein bißchen um die Jacht kümmern – wer weiß, wofür es gut ist. Jedenfalls wartest du unsere Nachricht ab. Wilhelm kommt am Ersten nach Berlin, du aber erst, wenn du gerufen wirst.«
»Gut, Franz. Hoffentlich geht alles gut und möglichst ohne Blutvergießen.«
»Ein hoher Gewinn verlangt hohen Einsatz. Muß Blut fließen, können wir es nicht ändern. Wir sind doch keine alten Weiber.«
Karls Gesicht nahm einen wildentschlossenen Ausdruck an. »Was sein muß, muß sein.«
»Nun verschwinde, Karl, und sieh zu, daß du noch Ausweispapiere kriegst. Je mehr wir haben, desto besser.«
»Keine Sorge, es sind genug, ich bringe alles mit nach Berlin.«
Sie trennten sich, und Franz setzte seinen Weg zum Bahnhof fort. Er kam gerade dort an, als das Auto von Mr. Haller vorfuhr. Wie zufällig blieb Franz in der Nähe stehen und sah zu, wie der Kammerdiener Haller aus dem Wagen half, hörte auch noch, wie Haller dem Chauffeur zurief:
»Fahren Sie übermorgen zeitig genug ab – und nicht zu schnell mit den Damen!«
Franz war zufrieden und folgte Haller und seinem Diener. Auf dem Bahnsteig wurde Haller von einem anderen Herrn begrüßt und bestieg mit diesem ein Abteil erster Klasse. Sein Diener stieg ebenfalls mit ein. Franz hatte sich Hallers Auto genau angesehen und gehört, was er seinem Chauffeur sagte. Das bestätigte noch einmal Wilhelms Angaben.
Inzwischen hatte der Kellner einiges erledigt, hatte noch einmal in den Speisesaal gesehen und festgestellt, daß Miß Haller noch dort saß. Eiligst lief er die Treppe hinauf und klopfte an der Tür zu dem Salon, der zwischen den Zimmern Hallers und seiner Tochter lag. Die Tür wurde sogleich geöffnet, und die Zofe von Daisy erschien.
»Miß Mary, ich hätte jetzt noch ein Weilchen Zeit, um mit Ihnen zu plaudern«, sagte er, der Zofe verliebt in die Augen sehend.
Sie sah ihn verschämt lächelnd an.
»Oh, Herr Wilhelm, ich mögen so gern mit Sie plaudern, aber meine Lady müssen gleich kommen.«
Er drängte sie in den Salon zurück und schloß die Tür hinter sich. Dann drückte er ihr einen Kuß auf den Mund.
»Keine Bange, süße Kleine, sie sitzt noch beim Dessert, ich habe soeben nachgesehen. Ein Weilchen sind wir noch ungestört, und wenn Ihre Lady uns doch überraschen sollte, gebe ich an, daß ich hier zu tun habe. Noch einen Kuß, Kleines!«
»Sie sein so liebenswürdig, Herr Wilhelm, so viele schöne Sachen, wie Sie mich sagen, hat mich noch keine Mann gesagt.«
»Die Yankees sind schön dumm, daß sie ein so reizendes Mädchen nicht zu würdigen wissen.«
»Oh, ich sein doch gar nicht schön, das wissen ich, Herr Wilhelm.«
»Aber Sie sind rassig und interessant, das ist viel mehr als schön, und Ihr Kauderwelsch ist so drollig. Ich bin ganz verrückt nach Ihnen! Wissen Sie was?«
Sie strahlte ihn verzückt an.
»Ich folge Ihnen in ein paar Tagen nach Berlin. Am Ersten gebe ich hier meine Stelle auf, ich kann ebensogut in Berlin arbeiten, da können wir doch noch eine Weile zusammensein. Wie lange wird denn Ihre Herrschaft in Berlin bleiben?«
»Ich nicht genau wissen, aber wohl eine längere Zeit als hier. Wollen Sie wirklich kommen nach Berlin?«
»Ganz gewiß, wir müssen doch noch miteinander ausgehen und auch so zusammentreffen, Sie kleines, reizendes Frauenzimmer.«
»Oh, was sein Sie lieb!«
»Wie lange bleiben Sie noch hier, Schätzchen?«
»Ich reise übermorgen früh mit die Zug nach Berlin, Herr Wilhelm.«
»Ich denke, Sie reisen mit dem Auto?« fragte er gespannt.
»O nein, ich nicht, nur meine Lady und Miß Kruse. Ich reisen mit Eisenbahn und nehmen mit das große Gepäck.«
So berichtete die Zofe harmlos. Wilhelm sah sie mit stechenden Augen an. »Ah, Sie reisen mit dem ganzen Gepäck, mit allen Koffern, groß und klein?« fragte er fast atemlos. Mary lachte.
»No, no, nur mit die große Koffer, die kleine Handgepäck werden in die Auto getan. Ihren Schmuckkoffer nehmen Miß Haller mit in die Auto, zur Sicherheit! Ich muß reisen sehr früh, weil ich sein müssen vor meine Lady in Berlin.«
Der Kellner atmete heimlich auf, nahm Mary wieder in seine Arme und küßte sie, bis sie außer Atem war. Dann sagte er wie ungeduldig:
»Wenn ich doch gleich mitfahren könnte!«
»Wonderful wären dies, Herr Wilhelm, aber es gehen nicht.«
»Nein, Schätzchen, aber bald bin ich auch in Berlin. Und nun darfst du nicht mehr so steif ›Herr Wilhelm‹ zu mir sagen, wir sagen uns du, mein Schatz, wir lieben uns doch.«
»Oh, sehr, sehr, meine liebe Schatz.«
»Jetzt muß ich gehn, auf Wiedersehn, Mary.«
»Good bye, meine liebe Wilhelm.«
Mary war allein und drückte beide Hände fest auf ihr Herz. Sie war so wenig reizvoll, die arme Mary, und von Männern nicht mit Zärtlichkeiten verwöhnt. Dieser hübsche Zimmerkellner hatte gleich Chancen bei ihr gehabt, die er nun klug zu nutzen verstand.
Als Daisy mit Miß Kruse in ihren Salon hinaufkam, fand sie an ihrer Zofe nichts Auffallendes. Sie plauderte noch ein Stündchen mit Miß Kruse und ließ sich dann von Mary helfen. Freundlich sprach sie einige Worte mit ihr und entließ sie, um sich zur Ruhe zu begeben.
Am nächsten Tag traf Daisy noch mit einigen Bekannten zusammen, die ebenfalls von Amerika herübergekommen waren. Ihr Vater hatte sie eingeladen, später auf seiner Jacht »Regina« mit ihm zu reisen. Und am übernächsten Morgen reiste sie mit Miß Kruse im Auto nach Berlin.
Daisy nahm nur einen kleinen Krokodillederkoffer mit Nickelbeschlägen ins Auto mit. Einen ebenso großen, aber anspruchslos in braunem Leder gearbeiteten Koffer hatte Miß Kruse bei sich. Diese beiden Köfferchen durfte Mary nie einpacken, das besorgten Daisy oder Miß Kruse.
Wilhelm, der Zimmerkellner, stand wartend an der Treppe, bis Miß Daisy ihren Salon verließ. Er stellte fest, daß sie das lederne Köfferchen selbst trug und es ihm nicht überließ, als er es ihr abnehmen wollte. Sie dankte kurz und entschieden, und Wilhelm war überzeugt, daß dieser Koffer den Millionenschmuck enthielt. Übersehen hatte er, daß Miß Kruse schon vorher mit dem braunen Köfferchen die Treppe hinabgegangen war. Sie fuhr nicht gern im Lift.
Völlig unbeachtet hatte die alte Dame im Auto Platz genommen, wo sie ebenso unbeachtet den unscheinbaren Lederkoffer in ein Fach unter den Rücksitz des Autos schob und dieses schnell wieder schloß. Der Verschluß schien tadellos zu funktionieren.
Gleich darauf erschien Daisy, die im Lift herabgekommen war, mit dem anderen Koffer. Sie wurde begleitet von einigen Angestellten des Hotels, alle verneigten sich vor ihr. Der Kellner war Daisy blitzschnell nach unten gefolgt und bemerkte mit Befriedigung, daß Daisy den Koffer vor sich auf den leeren Platz im Wagen stellte. Seine Komplizen würden es leicht haben, dachte er bei sich, wenn der Koffer diesen Platz behielt.
Er blieb stehen, bis das Auto abfuhr, und seine Augen bekamen einen stechenden Blick. Der Portier sah ihn von der Seite an.
»Was wollen Sie denn hier unten?«
»Aber, Herr Bauer, wenn man so gute Extratrinkgelder bekommt, lohnt sich doch eine Aufmerksamkeit gegenüber abfahrenden Gästen.«
»Machen Sie, daß Sie hinaufkommen, solche Aufmerksamkeiten sind meine Sache.«
Wilhelms Gesicht verlor das Lächeln nicht, aber er verschwand auf der Stelle.
»Widerlicher Bursche, spielt sich auf, als hätte die Miß selbst ein Auge auf ihn geworfen! Ich kann den Kerl nicht leiden, gut, daß er am Ersten geht«, sagte der Portier zum Liftboy.
»Er hat’s mit der Zofe gehalten, Herr Bauer, ich habe gesehen, wie er sie geküßt hat«, berichtete der Boy.
»Na, meinetwegen, die gönne ich ihm. Schön ist sie nicht, aber schön dumm, daß sie auf so einen Kerl reinfällt!«
Während Daisy und Miß Kruse im Auto dahinfuhren, fragte Daisy leise:
»Ist der Koffer gut verstaut, Liebe?«
»Aber gewiß, Kindchen, er ist wie immer im Fach unter meinem Sitz.«
Zufrieden nickte Daisy. Sie ließ auf Reisen ihren Schmuck nicht gern aus den Augen, er stellte wirklich ein Millionenvermögen dar. Nur sie, ihr Vater und Miß Kruse wußten, in welchem der beiden Koffer der Schmuck sich befand. Die Zofe, der Chauffeur, überhaupt die Dienerschaft glaubte, der Krokodillederkoffer sei der Schmuckbehälter. In Wahrheit befand sich darin nur ihr Reisenecessaire. Daisy hatte beide Koffer in derselben Größe arbeiten lassen und den, der den kostbaren Inhalt enthielt, am unscheinbarsten, um nicht einen Dieb anzulocken. In dem schlichten braunen Lederkoffer befand sich eine aus dünnen Stahlplatten gearbeitete Kassette, in der sich der Schmuck befand.
Wie gut und nützlich diese Vorsichtsmaßregel war, das sollte Daisy an diesem Tage noch erfahren. Mary, die in ihrer naiven Harmlosigkeit dem Zimmerkellner ausgeplaudert hatte, daß ihre Lady den Schmuckkoffer bei sich trug, hätte sonst mit ihrer Schwatzhaftigkeit großes Unheil anrichten können. Schlimm genug war es ohnedies.
*
Werner Strasser hatte, nachdem er seinen Militärdienst absolviert hatte, sein unterbrochenes Studium als Ingenieur für Maschinenbau wiederaufgenommen. Doch ehe er es vollenden konnte, kam ihm abermals etwas dazwischen. Sein Vater verlor an der Börse sein Vermögen und verarmte dermaßen, daß es nicht mehr zum Nötigsten reichte. Da auch Werner keine Mittel hatte, um die letzten Semester an der Hochschule zu finanzieren, mußte er, kurz vor dem Abschluß, sein Studium aufgeben.
Sein Vater nahm sich den Verlust seines Vermögens so zu Herzen, daß er dahinsiechte und starb. Die Mutter hatte Werner schon verloren, als er kaum fünfzehn Jahre zählte.
Nach dem Tod seiner ersten Frau hatte der Vater sich wieder verheiratet. Die Stiefmutter brachte aus erster Ehe ein Töchterchen mit ins Haus. Werner verstand sich gut mit der gütigen zweiten Frau seines Vaters und liebte auch die Stiefschwester. Doch auch die Stiefmutter verlor er, nachdem sie ihm vier Jahre lang in idealer Weise die Mutter ersetzt hatte. So blieb ihm Marie-Elisabeth, seine kleine Schwester, die immer nur Marlies genannt wurde, als einziger Trost. Doch die größte Sorge bereitete ihm – nach dem Ableben des Vaters –, daß Marlies genauso mittellos war wie er.
Treu hielten die beiden Geschwister in der schweren Zeit, die dem Tod des Vaters folgte, zusammen. Sie liebten sich und suchten einander zu trösten und aufzurichten.
Sie hatten beide bei der Witwe eines früheren Angestellten von Werners Vater ein Unterkommen gefunden. Diese, eine Frau Lang, hatte ihnen eine kleine Gartenwohnung mit zwei Zimmerchen vermietet.
Werner hatte den Kopf nicht lange hängen lassen. Er war ein sehr energischer Mensch und nahm sich vor, irgendeine Stelle anzunehmen, die ihm den Unterhalt gewährte. Er hoffte, es mit zäher Sparsamkeit zu schaffen, sein Studium vielleicht doch noch zu finanzieren. Leider waren gute Stellen gerade in dieser Zeit sehr rar, und Werner mußte sich entschließen, eine weniger gute anzunehmen.
Sein Chef, Herr Dalheim, hatte eine Kolonialwarenhandlung und auf den umliegenden Dörfern und Vororten Filialen eingerichtet. Diese Filialen wurden aus dem im Berliner Zentrum liegenden Hauptgeschäft mit Waren beliefert. Werners Aufgabe bestand darin, täglich von früh bis spät in einem der Firma gehörenden Wagen von einer der Filialen zur anderen zu fahren, um zu erkunden, wie der Absatz war, was neu gebraucht wurde. Er mußte vor allem abrechnen und das Geld zum Hauptgeschäft bringen, wo er es Herrn Dalheim oder dessen Kassierer auslieferte.
Außerdem sollte er an den verschiedenen Lieferwagen, die die Waren zu den Filialen schafften, kleine Reparaturen vornehmen, wenn es nötig war, weil er, wie Herr Dalheim meinte, als studierter Ingenieur so etwas verstehen müsse. Herr Dalheim verstand es überhaupt, seine Leute bis aufs letzte zu seinem Vorteil auszunutzen. Auch sein Auto mußte Werner instandhalten, und das war nicht leicht, denn es war schon alt und hatte ständig Defekte. So verbrachte Werner oft noch den Feierabend in der Garage. Und doch geizte er mit jeder Minute, um daheim über seinen Fachbüchern sitzen zu können.
Wie gern hätte er eine andere Position angenommen, denn es war natürlich keine befriedigende Tätigkeit. Aber er war froh, überhaupt eine Stellung gefunden zu haben, und immerhin bezog er ein festes Gehalt, wovon er monatlich ein Viertel für sein Studium zurücklegte. Seufzend rechnete er immer wieder aus, daß es Jahre dauern würde, bis er so viel erspart hätte, daß er seinen Diplomingenieur machen konnte. Den Doktor verschob er auf später. Selbstverständlich arbeitete er in jeder freien Stunde, aber außer an Sonntagen blieb zu wenig Zeit, dafür sorgte schon Herr Dalheim.
Seine Stiefschwester, Marlies Rosner, legte ebenfalls die Hände nicht mutlos in den Schoß. Sie, die von Kindheit an das Leben einer sorgsam behüteten Tochter aus gutem Hause geführt hatte, lernte nun Not und Sorgen kennen. Aber sie war tapfer und wollte ihrem Bruder nicht nachstehen an Mut und Energie. Da sie leider nichts gelernt hatte, womit sie sich hätte auf eigene Füße stellen können, suchte sie alles zusammen an Wissen und Können, womit sich Geld verdienen ließ. Was sie leisten konnte, hätte vielleicht genügt, eine Stellung als Gesellschafterin oder Sekretärin auszufüllen, aber derartige Stellungen waren seltener geworden. Auch wollte sie, wenn irgend möglich, mit dem Bruder zusammenbleiben, dem einzigen Menschen, der noch zu ihr gehörte. Und so begann sie resolut, alles an Arbeit anzunehmen, was sich ihr bot. Ob sie Klavier- oder Sprachunterricht gab, soweit ihre Kenntnisse dafür ausreichten, ob sie Handarbeiten für Privatkunden oder für Geschäfte anfertigte oder Kindern Nachhilfestunden erteilte: ihr war es gleich, wenn sie nur Geld damit verdiente.
So fristete sie wenigstens ihr Leben und brauchte dem geliebten Bruder nicht zur Last zu fallen. Die beiden bedeuteten in dieser Zeit einander sehr viel. Einer half dem andern, sein Los zu ertragen. Saßen sie des Abends und an Sonntagen beieinander, suchten sie sich aufzuheitern. Im Grunde war Marlies fröhlich. Sie lachten und scherzten einander die Sorgen fort und versicherten sich, daß ihnen noch die ganze Welt offenstehe und irgendwo und irgendwann das Glück auch auf sie warte.
»Weißt du, Werner, einmal muß doch unsere Pechsträhne ein Ende haben, und dann kommt das Glück bestimmt hageldicht auf uns hernieder, wir werden uns gar nicht davor retten können«, scherzte Marlies, wenn sie merkte, wie Werner sich abmühte, vorwärtszukommen.
Eines Tages kam Marlies sehr frohgemut nach Hause. Sie hatte einen guten Verdienst gefunden und behauptete, dies sei der Anfang der Besserung ihrer Lage.
Die ehemalige Lieferantin der Familie Strasser, die einen Grünkramkeller besessen hatte, war durch ihre Schlauheit reich geworden und fuhr im eigenen Auto spazieren. Sie hatte an diesem Tage ihr Auto vor einem Juwelierladen halten lassen, um einen Schmuck abzuholen. Und da war gerade Marlies Rosner vorbeigegangen. Frau Biernuske hatte Marlies angesprochen. Ganz verblüfft hatte diese die aufgedonnerte Dame angestarrt, und Frau Biernuske hatte dies geschmeichelt.
»Ja, ja, Fräulein Rosner, Sie staunen wohl, in was für einer feinen Kluft ich hier vor Ihnen stehe? Sehen Sie, man hat’s ja, da steht mein Auto, jawohl, das gehört mir, feine Marke, hat zwanzigtausend gekostet. Aber, daß ich Ihnen mal wiedersehe, freut mir. Wie geht es Ihnen denn jetzt?«
Marlies hatte erst einen roten Kopf bekommen, weil die Vorübergehenden sie und Frau Biernuske anstarrten, aber dann hatte der Humor gesiegt.
»Bei uns ist alles andersherum gegangen, Frau Biernuske, wir sind sehr arm geworden. Vater ist darüber gestorben, mein Bruder und ich müssen uns so durchschlagen.«
»Nee, nee, wie is das bloß möglich! Und dabei sehen Sie noch immer so vornehm aus wie früher, wenn Sie Äpfel und Birnen bei mich kauften. Ja ja, die Vornehmheit, die muß einem sozusagen angeboren sein«, sagte Frau Biernuske einsichtsvoll. »Was tun Sie denn nun, um Ihnen durchzuschlagen?«
Marlies hatte schlicht und ungeschminkt berichtet. Gutmütig nahm Frau Biernuske Marlies’ Hand in die ihre.
»Nee, nee, wenn ick mir so denke, Ihr Herr Bruder, so’n feiner Mann! Jotte doch, wenn der mal in meinen Keller kam und sagte: ›Frau Biernuske, Sie möchten wieder von den guten Reinetten raufschicken‹ – Jotte doch, wie’n Graf hat er da ausgesehn, und so freundlich dabei! Und jetzt bei Dalheim? Nee, nee, das tut mir doch zu leid. Aber sagen Sie mal, Fräulein Marlies – ich darf Ihnen doch so nennen, wo wir so gute Bekannte sind. Ihre Eltern haben mir manchen Groschen zu verdienen gegeben, als ich noch in Grünkram machte, nun könnte ich Ihnen doch was zu verdienen geben.«
»Das wäre sehr nett von Ihnen, Frau Biernuske, aber was könnte ich für Sie tun, um mir Geld zu verdienen?«
»Na, das werde ich Ihnen gleich auseinanderposamentieren, wenn Sie mit hier in den Laden reinkommen. Ick fahre Ihnen dann nach Hause, und unterwegs setze ich Ihnen auseinander, was ick für Sie zu tun habe.«
So geschah es. Frau Biernuske sagte Marlies, daß sie ihr täglich einige Unterrichtsstunden in »Vornehmheit« geben sollte.
»Wissen Sie, Kindchen, vor Ihnen geniere ick mir nich, es ist doch keine Schande, wenn man nich alles so machen kann wie vornehme Damen, so richtig lerne ick das auch nie. Aber so een bißchen könnten Sie mich schon aufmöbeln, damit ick in die feinen Restaurants gehen kann, daß die Kellner sich nich gegenseitig in die Rippen stoßen und die feinen Damens so von oben herab gucken. Für mein Leben gern gehe ick in feine Lokale, aber das dußlige Anstarren ärgert mir. Sie könnten mir doch so’n bißchen aufklären, nich? Wenn Sie jeden Tag zwei Stunden zu mir kämen? Beim Essen könnten Sie mir dann gleich die Manieren und so beibringen. Ick bezahlte es Ihnen gut, und das Essen haben Sie dann auch umsonst. Na?«
Da war eine Gelegenheit, auf ehrliche Weise Geld zu verdienen – und täglich ohne Unkosten eine gute kräftige Mahlzeit einzunehmen, das zählte für sie. Auch meinte sie Humor genug zu besitzen, um sich über Frau Biernuskes gelegentliche Taktlosigkeiten hinwegzusetzen. Kurzum, sie hatte das Anerbieten angenommen. Mit Lachen hatte sie alle Bedenken ihres Bruders in den Wind geschlagen und schon am nächsten Tag ihr Amt angetreten.
Allerdings war es schwerer, als sie es sich gedacht hatte, Frau Biernuske den nötigen »Benimm« beizubringen. Ihre Taktlosigkeiten, wenn sie auch nicht bösartig waren, trieben Marlies oft das Blut in das Gesicht. Aber sie hatte die Sonntage frei und konnte mit Werner zusammensein. Fragte Werner dann, wie es gehe, beschwerte sie sich nie. Mit warmherzigem Humor schilderte sie die diversen Entgleisungen ihrer schon recht bejahrten Schülerin.
Werner wußte trotzdem sehr wohl, daß Marlies bei diesen »Anstandsstunden« so wenig auf Rosen gebettet war wie er bei der Firma Dalheim.
Es war an einem Dienstagabend, als Werner nach schwerem Tagewerk die vier Treppen im Gartenhaus zu ihrer kleinen Wohnung hinaufstieg. Es war ein warmer Märztag gewesen und er müde vom langen Umherfahren.
Marlies begrüßte ihn wie immer mit einem frohen Lächeln.
»Du kommst heute spät, Werner?«
»Ich hatte wieder mal eine Reparatur an dem alten Karren. Der tut es bald nicht mehr, aber Dalheim will sich nicht dazu bequemen, ein neues Auto anzuschaffen.«
»Wenn es nur nicht einmal ganz den Geist aufgibt, wenn du weit draußen bist. Aber nun komm, Werner, jetzt vergessen wir allen Ärger. Heute gibt es allerlei Delikatessen.«
Er hatte ihr einen herzhaften Kuß gegeben und strich ihr über das Haar.
»Laß sehen, was du Tausendkünstlerin für ein Menü zusammengestellt hast – alle Wetter, träume ich, ist mein Auge trübe? Das ist ja Hummermayonnaise! Marlies, soll ich dich unter Kuratel stellen?«
»Aus Frau Biernuskes Speisekammer. Sie war heute besonders in Geberlaune. Als sie mir ihre bis oben gefüllte Speisekammer zeigte, nötigte sie mir eine Büchse Hummer, ein Glas Mayonnaise und eine Büchse Delikateßwürstchen auf. Das wollen wir uns nun schmecken lassen.«
»Sieht das lecker aus, Marlies! Ich verfüge nicht über den nötigen Heroismus, Madame Biernuskes Delikatessen auszuschlagen. Wie ist denn heute der Unterricht verlaufen?«