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Eine zwölfblättrige Blüte, umgeben von Dunkelheit. Ein zauberhaftes Reich der Magie, in dem alle Träume wahr werden können: Umbra. 12 Kinder, erwählt nach den reinsten und schönsten Träumen, kämpfen um die Möglichkeit ihr Traumland erschaffen und für immer in Umbra bleiben zu können. Es wären 12, wenn Knork doch nur seinen Mund gehalten und still und leise Annies Traumstein eingesammelt hätte. Dann würden sie und Maggie jetzt nicht in Lebensgefahr schweben. Nun liegt es an Knork, die beiden Mädchen vor dem Zorn der Königin zu retten. Doch was kann ein einzelner Hornhase der Allmächtigen entgegensetzen? Sein dummes, unnützes Horn?? Pmiph, der saufende Waschbärhumanoid und Knorks Partner, wird ihm sicher keine Hilfe sein. Lang gehütete Geheimnisse kommen ans Licht. Und Umbra, das Land der Träume, wird zu einem Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt …
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2025
Sabina S. Schneider
Umbra 01
Von eifersüchtigen Hornhasen und nichtsnutzigen Waschbären
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Inhalt
Prolog
Kapitel 01 – Loser-Team
Kapitel 02 – Licht und Schatten
Kapitel 03 – Prinzessinnen im Turm
Kapitel 04 – Der Träume Drei
Kapitel 05 – Im Hornwald
Epilog
Impressum neobooks
UMBRA I
VON EIFERSÜCHTIGTEN HORNHASEN
UND NICHTSNUTZIGEN WASCHBÄREN
Sabina S. Schneider
Copyright © 2025 Sabina S. Schneider
All rights reserved.
Gleich würde er durch das Auge der Welt hindurchschreiten. Ein großes Wort für eine kleine, aber wichtige Sache. Ein Ding. Von dem das Wachstum und Gedeihen Umbras, ihrer Welt, abhingen.
Knork zog die Kapuze seines Umhanges tiefer ins Gesicht. Er war nur der Mittelsmann, ein Reisender, der beobachtete und berichtete. Ein Urteil stand ihm nicht zu. Und doch zuckten seine Ohren nervös. Selbst unter dem weiten Stoff der Kapuze, bekamen sie Klaustrophobie.
Klaustrophobie… seine Nase wackelte unzufrieden hin und her. Er hatte keinen Platz in sich für solch menschliche Ängste und doch konnte er sich nicht von ihrer Dunkelheit rein halten. Sein einst weiß strahlendes Fell hatte mit jedem Besuch in der Menschenwelt an Licht verloren. Als würde sich die Dunkelheit dieser ängstlichen und selbstverliebten, egoistischen und fantasielosen Wesen an ihm festsaugen.
Unzufrieden grummelte Knork vor sich hin und sprang mit einem großen Satz auf den Spiegel zu. Er glitt durch die Oberfläche hindurch, als bestünde sie aus Wasser und nicht aus Glas. Aufgeregt hoppelte Knork durch die Dunkelheit ins Licht, um wieder von Dunkelheit umgeben zu werden.
Er konzentrierte sich auf das Suchen und dachte an das Finden.
Der Transport in die anderen Welten war nie sehr präzise, auch wenn Knork wahrlich ein Meister im Springen war, musste er immer auf alles gefasst sein.
Dieser Sprung sollte ihn in eine bekannte Gegend, einen bereits erschlossenen Sektor, katapultieren.
Das Auge der Welt schickte Sammler wie Knork in Gebiete, die es für passend und vielversprechend hielt und es war bekannt für seinen makabren Humor.
Jedenfalls bei Knork.
Leise landete er auf seinen Samtpfoten. Der Raum war dunkel. Ein Blick reichte und Knork erkannte die Tür, die ihn in diese Welt gelassen hatte: ein kleines, schmutziges Dachfenster.
Er war schon einmal hier gewesen. Mehr als einmal.
Natürlich war er schon hier gewesen. So kurz vor dem Beginn eines neuen Zyklus machte eine Akquise keinen Sinn. Im Endstadium galt es, mehr Daten zu sammeln, um die bestmöglichste Wahl treffen zu können. Je mehr Daten sie zu den einzelnen Träumern hatten, desto leichter müsste den Priestern die Wahl fallen.
Nicht dass Knork wirklich daran glaubte, dass seinem Priester damit geholfen wäre. Pmiph war ein hoffnungsloser Fall, der sich nicht einmal entscheiden könnte, wenn sein Leben davon abhinge.
Nicht, dass es das nicht täte.
Die Königin würde kein Versagen akzeptieren. Und Knork konnte ihrer Härte nur beipflichten. Schließlich hing das Überleben aller von dieser Entscheidung ab. Eine falsche Wahl konnte sich Umbra nicht leisten.
Alle Kandidaten mussten perfekt sein.
Knork schüttelte die grauen Gedanken ab. Er konnte seinen Beitrag leisten, indem er seinen Teil der Arbeit machte. Gut machte. Also hob er sein Näschen in die Luft und schnüffelte. Sein Magen drehte sich um, als er den wohlbekannten Geruch einfing. Zuckerwatte, gebrannte Mandeln, Regenbögen und…
Ihm wurde schlecht und ein abfälliges Geräusch verließ seine Schnauze.
Nicht schon wieder dieses Gör!
Das Auge der Welt musste ihn hassen.
Es war schlimmer als jede hinterhältige, schadenfreudige Pixie. Warum schickte es gerade ihn zu diesem Zimmer? Murn, der Wolfshumanoid wäre besser hierfür geeignet. Aber nein, es musste immer wieder Knork sein.
Er schüttelte den greifbaren Widerwillen ab, verpasste sich einen geistigen Tritt in den Hintern und ging auf das mittige der drei Betten zu. Knork hatte nicht wirklich eine Wahl. Außerdem war es das letzte Mal, das er hierher kommen musste.
Beim nächsten Zyklus wäre das Gör nicht mehr potent genug, um auf dem Radar des Auges aufzutauchen. Denn mit jedem neuen Lebensjahr, das verging, verloren die Menschenkinder an Magie. Und jedem, der nicht genug Magie in sich trug, blieb das Auge verschlossen und Umbra unerreichbar.
Ein Trost.
Wenn auch ein kleiner.
Knork schlich leise an das alte Bett heran. Die Matratze war durchgelegen, die Bettwäsche vergilbt, aber sauber. Das Eisengestell war hier und da angerostet. Ein heruntergekommenes Zimmer, das schon allein durch die drei alten Betten überfüllt war. Von den schäbigen, schiefen Holzschränken mal abgesehen, die eine sichere, lautlose und vor allem schmerzfreie Navigation unmöglich machten.
Doch Knork kannte die Ecken und Kanten auswendig. Sein Körper hatte sie sich mit Schmerzen und blauen Flecken eingetrichtert. Er war sich sicher, dass die eine oder andere Narbe unter seinem Fell diesen gemeinen Holzkisten und Eisenstangen zu verdanken war.
Der Gedanke brachte seinen inneren Vulkan zum Brodeln und er sagte sich schnell, dass dies der letzte Besuch war, in diesem ärmlichen Zimmer, bei diesem schrecklichen Gör.
Knork hatte Stunden damit verbracht, die Flecken auf dem bisschen Teppich zu zählen, das nicht verdeckt war von Holz oder Eisen, während er sich Mut zusprach und sich an seine Pflichten erinnerte.
Er prustete leise und während seine Schnurrharre vibrierten, fing er eine Bewegung im Augenwinkel auf. Eines der anderen zwei Menschlein bewegte sich. Knork erstarrte zu einer Salzsäule und griff in die Tasche seines Umhangs, ertastete hastig den kleinen Beutel, der nicht mehr prall gefüllt war. Aber für zwei oder drei kleine Menschen würde das Schlafpulver noch reichen.
Erst als wieder rhythmisches Atmen den engen Raum erfüllte, wagte er es, seine Finger von dem Beutel zu lösen und sich zu bewegen.
Eine Wolke gab den Vollmond frei und beleuchtete das pausbackige Gesicht des jungen Menschenmädchens, das friedlich, mit einem Lächeln auf den Lippen, schlief.
Knork rollte mit den Augen.
Er wusste, wovon es träumte, wenn es so glückselig aussah. Alles in ihm sträubte sich dagegen. Doch er wusste auch, was er zu tun hatte. Was man von ihm erwartete. Langsam streckte er seine Hand aus. Die Zeit hatte ihn verändert. Jeder Besuch in dieser Welt hat ihn verändert.
Stück für Stück. Wenn auch nie so sehr, wie beim ersten Mal. Nein, für das erste Mal, um zwischen den Welten reisen zu können, war Knork zu einem Zwischenwesen geworden. Nicht Tier, nicht Mensch.
Um sie zurückzubringen. Emilia. Nach all der Zeit genügte immer noch ihr Name, um ihm den Atem zu rauben und sein Herz höher schlagen zu lassen. Und Knork sah ihre Augen vor sich. Selbst wenn er eines Tages ihr Gesicht vergessen würde, ihren Namen, an ihre Augen würde er sich immer erinnern. Grüner als der saftigste Löwenzahn...
Knork schüttelte den Gedanken ab. Er hatte sich damals so entschieden und er musste mit den Konsequenzen leben. Auch wenn es bedeutete, dass er in seiner Pflichterfüllung den Traum dieses Mädchens wieder betreten musste.
Und er sah auf seine Hände mit den langen Fingern, die einst Pfoten gewesen waren. Der Anblick war auch nach all der Zeit manchmal noch ungewohnt und ein leises Zittern wanderte durch seinen Körper. Von den Zehen bis zu den langen Ohren. Er konzentrierte sich auf das Fell, das immer noch da war. Immer noch seinen kompletten Körper bedeckte, auch wenn es nicht mehr so leuchtete wie einst.
Scham stieg in ihm auf.
Er schämte sich, dass er nicht zufrieden war. Dass er diesen Körper, diese Rolle nicht einfach dankbar akzeptieren konnte. Er war einzigartig. Niemand, wie er, war jemals zuvor für diese Aufgabe auserwählt worden. Warum musste er sich nicht nur äußerlich von den anderen unterscheiden, sondern auch innerlich? Knork tat es für seine Königin. So wie alle anderen Sammler. Er sollte zufrieden und glücklich sein, und doch war da Zweifel, Unzufriedenheit…
War er anders, weil er schon zu alt war?
Zu lange existierte?
Zu viel gesehen hatte?
Kurz schloss er die Augen und atmete tief durch. Dann holte Knork einen Traumstein aus dem Beutel, der an der Innenseite seines Mantels angenäht war, legte ihn auf die Stirn des Mädchens und platzierte seine Hand auf dem noch durchsichtigen Stein, der bald schon mit der Farbe des Traumes eingefärbt sein würde, und schloss die Augen in Erwartung des kommenden Übels.
Der Sog war heftiger als sonst.
Sie musste sich sehr tief in der Traumwelt befinden.
Knork wurde mitgerissen, durchgewirbelt und schlug heftig auf einer Wiese auf. Wer behauptete, dass es keine Schmerzen in der Traumwelt gäbe, der hatte noch nie wirklich geträumt. Knork rieb sich seinen Hintern und war froh, als er über einen Hübel fuhr. Flauschig und noch dran.
Seinem Schwänzchen ging es gut.
Missmutig und innerlich darauf gefasst, das Schlimmste zu sehen, das in allen Traumebenen existierte, hob er den Blick. Seine Augen schweiften über silbergraues Gras, das sich unendlich weit über den Horizont erstreckte. Blumen in allen Farben des Regenbogens.
Was bei diesem Gör so viel hieß wie Feuerwehrrot, Grellorange, Quietschentengelb, Giftneongrün, Unnatürlichblau, Augenkrebslila. In keiner anderen Farbabstufung, ohne jegliche Farbschattierungen und wild durcheinandergemischt, aber geometrisch perfekt angeordnet.
Nicht ein Funken Natürlichkeit schien in dem Gehirn des blonden Prinzessinnengehirns zu existieren.
Doch das Schlimmste hatte Knork noch vor sich.
Kurz schloss er die Augen, holte tief Luft und zwang seine Lider mit aller ihm zur Verfügung stehenden Willenskraft auf.
Vielleicht hätte er sich mehr Zeit lassen sollen.
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er auf dem Kopf gelandet wäre, anstatt auf dem Hintern.
Vielleicht hätte er auch einfach einen Mundschutz tragen sollen.
Doch da das alles so nicht geschehen war, entschied genau dieser Augenblick über das Schicksal seiner Welt. Ein Impuls, kein willentlicher Akt. Das reine Grauen und die einzige Reaktion, die Knorks Geist und Körper darauf zeigen konnten:
Knork schrie.
Laut und voller Emotionen.
Schrecken war sicher eine Empfindung in dem Gefühlscocktail, aber auch Wut, Unglauben und vor allem Abscheu.
Es waren nicht die Farben der Blumen, die wohl einen weniger Erfahrenen zur Rückkehr bewogen hätten. Nicht die unendliche Gerade einer künstlich erdachten Wiese, die in die Ewigkeit zu reichen schien und mit ihrer Unnatürlichkeit alles Normale hungrig verschlang. Es waren auch nicht die Regenbögen, die in perfekter Form auf einem weißen Papierhimmel standen, nicht weniger grell als die Blumen, fest wie Brücken im Himmel.
Auch nicht das Mädchen in seinem neon-pink leuchtenden Rüschenprinzessinnenkleid.
Nein.
Es war das weiße, leuchtende Fell.
Die langen, schlanken Beine und die schmalen Fesseln.
Der gebogene Hals, die wehende Mähne in einer Umgebung, in der die Blumen und das Gras unbeweglich wie Steine waren.
Und das lange… lange… spitze Horn.
Ein einzelnes hätte Knork vielleicht ertragen. Zwei, vier, vielleicht sogar zehn. Doch in diesem Bild des Horrors waren sie überall. Wie die Blumen, waren sie exakte Kopien voneinander, standen dicht aneinandergedrängt. Eine Horde, die so unendlich groß war, wie die Wiese und der papierweiße Himmel selbst.
Und so entschlüpfte Knork dieser eine Schrei, der Urschrei unserer Geschichte, geboren aus dem Regenbogen-Blumenwiesen-Prinzessinnenkleid-Traum von Einhörnern!
Knorks Schrei hallte durch die Unendlichkeit des furchtbaren Traumes und man konnte hören, wie sich der Papierhimmel vor Schreck zusammenknüllte, als alle Blicke sich auf ihn richteten.
Zuerst die Einhörner mit ihren dunklen, seelenlosen Augen. Dann hob sich der Kopf des Mädchens und als sein Blick auf den Fremdkörper in seinem Traum traf, fiel diese furchtbare Welt, die nur der Geist eines fantasielosen Kindes zusammensetzen konnte, um, wie nebeneinander gereihte und aufeinandergestapelte Bausteine ohne jegliche Verbindung.
Und die Mauer zwischen Traum und Realität stürzte ein.
Knork wurde mit einer Wucht durch den Traumstein in seinen Körper zurückgeworfen, der ihn taumeln ließ. Er fiel, den Traumstein, zerbrochen von der Wucht seiner Wiederkehr, in der Hand, zu Boden und sein Blick traf riesige Kinderaugen, die ihn anblickten. Er, der unsichtbare Sammler, wurde angesehen.
Kinderaugen füllten sich mit Tränen, der Mund zitterte und das blondgelockte Mädchen schrie, wie Knork zuvor in seinem Traum geschrien hatte. Doch es war nicht nur ein Laut, es war ein Name, den das fantasielose Gör plärrte: „Maaaaggggieeee!!“
Knork griff in die Tasche seines Umhanges, fummelte an dem Verschluss des kleinen Lederbeutels, den er für Notfälle immer bei sich trug, griff hinein, streckte die Hand aus und pustete.
Eine glitzernde Staubwolke hüllte das Mädchen ein. Sein Schrei verstummte, die Lider wurden schwer und es kippte zur Seite.
Hätte Knork innegehalten und nachgedacht, hätte er vielleicht anders gehandelt.
Doch Knorks Herz klopfte so laut in seinen langen Ohren, dass er seine eigenen Gedanken nicht hätte hören können, wenn sein Gehirn mehr ausgespuckt hätte als: Sie hat mich gesehen!
Und genau diese Panik ließ ihn so schnell aufspringen, dass seine Kapuze nach hinten fiel und seine langen Ohren hervorschossen.
Er packte den Arm des Menschenmädchens, stieß sich mit seinen kräftigen Hinterbeinen ab und flog dem Vollmond entgegen, dessen Licht durch das verschmierte Fenster fiel. Knork hörte nicht, wie jemand laut: „Annie!“, schrie. Er nahm auch nicht wahr, dass sein lebloses Mitbringsel plötzlich viel schwerer war als zuvor.
Selbst wenn sein Gehirn nicht in Panik ertränkt gewesen wäre, hätte er es nicht merken können. Nicht, nachdem sein Körper durch das Glas geglitten war. Denn in dem Übergang existierte keine Gravitation.
Erst, als er im Herzen von Umbra angekommen war, in dem Augenblick, als er durch das silbrige Wasser des Auges der Welt wieder in seine Heimat eintrat, hätte er die Schwere gespürt. Wenn er nicht mit so viel Schwung zwischen den Welten gereist wäre, dass er durch den ganzen Raum flog und erst nach mehreren Überschlägen auf dem Boden landete.
Neben sich das tief und fest schlafende Einhornmädchen.
Panisch blickte er sich um, hoffte, dass er als Einziger so früh von seiner Ernte zurückgekehrt war.
Und er hatte Glück. Die anderen Sammler waren noch unterwegs. Knork wollte sich gerade vollen Herzens der Erleichterung hingeben, als er ein Stöhnen vernahm… und ein Schatten sich bewegte.
Knorks Körper gefror, das Blut in seinen Adern stockte. Er hatte mehr als nur das Mädchen mit nach Umbra gebracht.
Der Schatten regte sich, stöhnte weiter, hob den Kopf und fragte: „Annie?“
Augen in allen Facetten von Grün blickten in Knorks dunkle. Und sein Herz setzte einen Schlag aus, um dann schneller denn je der verlorenen Zeit hinterherzujagen. Denn sein Herz hatte erkannt, was sein Geist sich noch weigerte zu denken.
Unverständnis, Verwirrung.
Und dann Unglauben. Aber noch lag keine Angst in den Augen, grüner als Löwenzahn…
„Wo bin ich? Was bist du?“
Das Licht, das ihm und seiner Art das Reisen zwischen den Welten ermöglichte, gab ihn jetzt den Augen eines Menschen vollkommen preis. Seine Kapuze verdeckte nichts mehr.
Ein zweites Mädchen, größer als das Einhornkind, mit wilden roten Haaren, die in alle Richtungen abstanden, sah seine langen, vor Schreck aufgestellten Ohren. Seine Nase, das weißgräuliche Fell… und sein Horn. Es sah sein Horn und die Augen des Mädchens fixierten sich darauf, wie auf eine hässliche Warze mitten auf der Stirn.
„Hast du noch nie einen Hornhasen gesehen?“, zischte Knork wütend. Wie sehr er doch diese engstirnigen Menschen verabscheute. „Schon mal daran gedacht, dass es nicht nur gehörnte Pferde gibt, sondern vielleicht, nur vielleicht, in der großen, weiten Welt da draußen, ein Land, in dem alle Wesen gehörnt sein könnten?“
Knork war stolz darauf, von dem ersten Träumer erschaffen worden zu sein und er würde niemals… niemals über seine Lippen bringen, dass es diesem eventuell an Fantasie gefehlt hätte. Gedanken jedoch waren eine Welt für sich und ein Teil seines Wesens und seines Charakters wurzelten in den widersprüchlichen Gefühlen von Liebe und Dankbarkeit, so wie Ärger und Vorwurf, und resultierten in Missmut, Übellaunigkeit und Grobheit.
Knork griff in seinen Beutel, pustete dem Mädchen die Wolke des Schlafes ins Gesicht und seine Ohren zuckten verärgert, als das Gör beim Einschlafen flüsterte: „Sandmann?“
Wütend prustete Knork in die Luft und tappte aufgeregt mit seiner linken Hinterpfote auf den Steinboden.
Was für eine Nacht!
Erst unerträglich viele Einhörner und dann wurde er auch noch als Sandmann beschimpft.
Unerhört!
Knork schwelgte in seinem Ärger und genoss jede Sekunde, denn er wusste, dass dieser in wenigen Herzschlägen verraucht sein würde. Dann müsste er sich mit dem auseinandersetzen, was er angerichtet hatte und sich überlegen, wie er aus diesem Schlamassel wieder herauskäme.
Doch jetzt, jetzt badete er in seinem Tobsuchtsanfall und ärgerte sich über die zwei Mädchen, die schlafend vor ihm auf dem Boden lagen. Wie konnte sie es wagen, ihn Sandmann zu nennen?
Vielleicht… aber nur vielleicht, hatten die anderen recht. Vielleicht waren Hornhasen nicht für die Rolle des Sammlers geschaffen. Wahrscheinlicher jedoch war, dass Knork nicht für diese Rolle geschaffen war. Er hatte es nur einer Laune der Magie zu verdanken, dass es ihm so leicht fiel, unerkannt zwischen den Welten zu reisen.
Und einem Wunsch, vor langer Zeit ausgesprochen.