Weltensplitter - Sabina S. Schneider - E-Book

Weltensplitter E-Book

Sabina S. Schneider

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Beschreibung

So weiß wie die Kuppel, die ihnen das Leben ermöglicht. – Die Weiße Stadt. Die Atmosphäre ist vergiftet und macht ein Leben außerhalb der Kuppel unmöglich. Julia lebt in einer Welt ohne Farben und wird von Träumen gequält, die ihren Wahnsinn in einer Welt laut herausschreien, die keine Andersartigkeit duldet. Träume, die das Ende anprangern. Das Ende von allem Leben. So rot wie Magie, die Straßen färbt, wenn die Marthal es wünscht. – Die Rote Stadt Romeo ist ein Huntman und führt die Befehle der Marthal aus, um ein System zu erhalten, das keine Widerworte duldet. Freiheit findet er nur in wenigen gestohlenen Momenten, außerhalb der roten Mauern, die nur Huntman verlassen dürfen, um den weißen Feind zu jagen und zu vernichten. Zwei Völker, isoliert. Mauern, unüberwindbar. Doch eine verbotene Berührung bringt nicht nur Schmerzen. Sie offenbart eine Wahrheit, die schlimmer ist als Julias Albträume.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 223

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sabina S. Schneider

Weltensplitter

Julia und Romeo

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhalt

Prolog

Julia - Der Preis von Farben

Romeo - Abstrakte Wahrheiten

Julia - Splitter

Romeo – Die Illusion der Erinnerung

Julia - Traumvisionen

Romeo – Verlogene Freiheit

Julia – Verlorene Erinnerungen

Marthal – Die Ewigkeit von Liebe und Wahnsinn

Romeo – Blinder Wahnsinn

Julia – Tod dem System

Romeo – Die Anomalien von Traumrealitäten

Julia – Fesselnde Entscheidungen

Romeo – Splitter und Scherben

Marthal – Bei dir

EPILOG

Impressum neobooks

Inhalt

WeltenSplitter

Julia & Romeo

SABINA S. SCHNEIDER

Copyright © 2025 Sabina Schneider

Kurt-Scheible-Str. 3, 71277 Rutesheim, Germany.

All rights reserved.

Erstauflage

Umschlaggestaltung, Illustration: Sabina Schneider,

Druck: CreateSpace - On-Demand Publishing LLC,

Amazon Media EU S.à r.l. 5 Rue Plaetis, L-2338

ISBN:

ISBN-13:

Prolog

So rot wie Magie, die Straßen färbt, wenn die Marthal es wünscht. – Die Rote Stadt

Wie lange bin ich hier schon gefangen? Wo sind meine Kinder? Habe ich sie wirklich getötet? Ich erinnere mich daran, dass der Tod hier nichts bedeutet.

Mein Sohn … meine Tochter … Seit dem letzten Zyklus kann ich sie nicht mehr spüren, ich fühle ihre Anwesenheit in diesem Abklatsch einer Welt nicht mehr. Werde ich taub und blind für das System?

„Marthal?“, reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Es ist Kasa. Meine geliebte Kasa - die einzige, die noch an meiner Seite ist und die mir mit ihrer Kraft noch dienlich sein kann. Ich drehe mich um, sehe zu ihr hinunter. Sie kniet vor mir und ich richte mich in dem verhassten Thron auf. Doch so sehr ich ihn auch verabscheue, so sehr liebe ich ihn, brauche ihn. Ist er ein Symbol für den Mann, der mich hier eingesperrt hat? Den Mann, den ich selbst im tiefsten Hass und Zorn nur lieben kann?

Ich blicke zu der knienden Frau hinunter. Warte. Gebe der Stille Raum, um Kasa zu prüfen. Doch sie kennt mich auch in diesem Leben gut. Geduldig wartet sie, bis ich ihr das Wort erteile. Kluges Mädchen.

„Was gibt es, Kasa?“, frage ich nach einer Weile, in der das Schweigen zur maximalen Macht angeschwollen ist. „Hast du eine neue Weissagung für mich? Einen Blick in die Zukunft, der mehr zeigt als nur Schwärze?“

Zukunft …

das Wort schmeckt fahl auf meiner Zunge. Das ist keine Zukunft, es gibt keine Gegenwart und keine Vergangenheit, wir sitzen festgefroren in einem Moment, der versucht etwas für die Ewigkeit zu konservieren, das längst hätte verlöschen sollen.

„Marthal … ich erwarte ein Kind“, sagt Kasa mit bebender Stimme.

Meine Lippen werden dünn, verziehen sich nicht zu einem Lächeln und ich kann nur angewidert den Geschmack des Neides ausspucken: „Na und? Du und wie viele andere Frauen?“ Außer mir, schreit eine Stimme in meinem löchrigen Herzen. Ich hatte Kinder. Ist es meine Strafe dafür, dass ich sie mit meinen eigenen Händen getötet habe? Kann ich deswegen nie wieder schwanger werden? Nicht, dass es hier von irgendeiner Bedeutung wäre. Das ist es nicht und doch muss ich das Feuer in mir zurückhalten, die Finger um die Lehnen meines Thrones klammern, um sie nicht um Kasas Hals zu legen.

An sich bräuchte ich keine Finger, keine Hände, ein Gedanke genügt. Doch ich zügle mich. Wer weiß, wie Kasas Fähigkeiten sich mit einer neuen Wiedergeburt verändern würden. So wie sie jetzt ist, ist sie mir noch von Nutzen.

„Ich … ich bin noch bei keinem Mann gelegen“, erwidert Kasa mit leuchtenden Wangen. Ein Zischlaut entfährt meinem Mund. Eine Farce, an die jeder glauben darf - außer mir. Hier resultierte Sex nicht in Kindern. In dieser Welt gebärt nur der Tod.

Ich sehe genauer hin und mein Herz macht einen Sprung, als ich erkenne, wen Kasa in diese unreale Welt bringen wird: Romeo. Er ist wieder zu mir zurückgekehrt. Wo auch immer er gewesen ist, bald wird er wieder bei mir sein. An meiner Seite. Ich sollte glücklich sein und hoffnungsvoll. Sein Gehen war Hoffnung und sein Kommen könnte mir neue Möglichkeiten eröffnen. Vielleicht sogar einen Ausweg. Ich betrachte Kasas sanfte Züge, ihren zarten Körperbau. Sie hat sich nach den Wiedergeburten verändert. Jeder tut das auf die eine oder andere Weise. Doch nie so sehr, dass ich sie nicht erkennen würde.

Ob Romeo noch genauso aussehen wird wie damals?

Eifersucht färbt meine Sinne. Warum muss es gerade durch Kasa sein? Ich schiebe den grünen Neid beiseite. Das ist jetzt nicht wichtig. Ich stehe von meinem Thron auf, schreite die Stufen hinunter, knie mich zu Kasa und hebe ihr Kinn gröber hoch, als ich es vorhatte.

„Deine unbefleckte Empfängnis ist ein Zeichen. Das siehst du sicherlich genauso. Dein Sohn wird mächtig sein und mir und der Roten Stadt gute Dienste leisten.“ Kasa nickt stumm zur Antwort auf eine Prophezeiung, die ich aus der Luft gegriffen habe. Widergegeben in Kasas Worten, eingeflüstert durch ihren Mund in willige Ohren, wird sie Früchte tragen in den Herzen der Bewohner der Roten Stadt – meinem Reich. Denn Kasas Worte tragen eine Macht in sich, die hier wahrhaft Berge versetzen kann: Glaube.

Er ist hier mächtig, doch seine Kraft übersteigt nicht die meine, denn die beruht auf etwas, das in dieser Welt alles bestimmt und das den Bewohnern fehlt, weil ich es ihnen vor langer Zeit genommen habe, um ihnen eine Glückseligkeit zu schenken, die mir versagt bleibt: Wissen – mein Fluch, der mich hier doch allmächtig macht.

In einer anderen Welt glaubten die Menschen an einen Gott, der sie aus seinem Paradies vertrieben hat, weil sie heimlich von der verbotenen Frucht des Wissens genascht hatten. Hier bin ich die vergessene Gottheit, die ihrem Volk Unwissen geschenkt hat und damit den Glauben an ein Paradies in einer Welt, in der es nicht einmal Raum zum Leben gibt.

Und weil hier Glaube auf eine verdrehte Art doch dem Wissen unterliegt, halte ich Kasa am Leben und an meiner Seite. Doch als ich ihr tief in die Augen sehe, blickt mir Angst entgegen und kurz frage ich mich, ob sie doch mehr weiß.

Ob mehr Erinnerungen in ihr sind, als sie vorgibt zu haben?

Ob sie sich an die alte Welt erinnert?

Ob sie weiß, was ich getan habe?

„Sein Name ist Romeo“, taufe ich ihn wie alle Wiedergeborenen mit dem Namen, der ihnen schon lange gehört.

In Gedanken versunken, betrachte ich Kasas Gesicht, in dem ich Entsetzen aufblitzen sehe, bevor sie sich verneigt. Sie erinnert sich, da bin ich mir jetzt sicher. Die Frage ist nur: an was? Doch das erscheint mir unwichtig. Mein Sohn ist zu mir zurückgekehrt, was kann es Wichtigeres geben?

Ich bin die Göttin des Vergessens – ich bin die Marthal.

Julia - Der Preis von Farben

So weiß wie die Kuppel, die ihnen das Leben ermöglicht. –

Die Weiße Stadt

Ich scheine nur aus Schweiß zu bestehen. Eine einzige Ansammlung von kleinen Perlen, die, kaum dass sie die Haut durchdrungen haben, in der Hitze der Hölle schon wieder verdampfen. Vergangen in dem Moment, in dem sie geboren wurden. Ich seufze, nehme den Helm meiner Schutzkleidung ab und mache mich auf in meine wohlverdiente Pause.

Als ich die Flasche ansetze und den pisswarmen Inhalt meine trockene Kehle hinunterrieseln lasse, höre ich sie. Die Regulären.

„Hat man sie schon wieder engagiert? Die ist doch … du weißt schon …“, zetert eine wohl bekannte Stimme. Den Namen kenne ich nicht. In Gedanken nenne ich sie Pestbeule eins.

„Sei doch froh, dass sie die Drecksarbeit erledigt. Dann müssen wir es nicht“, erwidert auch schon Pestbeule zwei.

„Da hast du recht … aber glaubst du, dass sie ansteckend ist?“

So ansteckend wie deine Dummheit, denke ich mir, beiße mir jedoch auf die Zunge. Ich brauche diesen Job, erinnere ich meinen inneren Schweinehund mahnend. Nicht nur, um meinen Farbfetisch endlich mal ausleben zu können und das verhasste Weiß in meinem Apartment mit Regenbögen vollzukleistern. In dieser weißen Welt - in der Weißen Stadt – wo Farben teuer sind, wurde mir eine Abneigung gegen eben dieses Weiß in die Wiege gelegt.

Doch selbst ohne das Farblosdebakel - in einer Welt, in der sogar Schattierungen von Grau mehr Credits kosten, als ich im Moment auf meinem Konto verbuchen kann - ist das Leben am Existenzminimum anstrengend. Außerdem muss ich Paris beweisen, dass ich alleine für mich sorgen kann. Dass ich seine Mitleidscredits nicht brauche. Ich bin seit jeher alleine, habe mich durchs Leben gekämpft und werde jetzt nicht damit anfangen, Credits von reichen Schnöseln zu nehmen.

Selbst von Schnöseln, die an sich nicht weniger schnöselig sein könnten. Wäre mir nicht schon so heiß, würden meine Wangen bei dem Gedanken an Paris glühen. Mein ernster Prinz … doch ich weigere mich eine Prinzessin zu sein. So einfach ist das. Deshalb mache ich schlecht bezahlte Drecksarbeit, die sonst keiner machen will. Mehr bleibt mir im Moment nicht.

„Dass die noch niemand angezeigt hat ... Wenn einer es verdient, dann wohl sie.“ Ob diese hasserfüllten Worte von Pestbeule eins oder zwei kommen, weiß ich nicht. Ist mir auch egal. Ich schlucke die warme Plörre herunter und gehe, all meine Instinkte unterdrückend, in die entgegengesetzte Richtung. Leider kann ich die folgenden Worte dennoch nicht überhören.

„Man sagt, dass ihre Mutter nach der Geburt schwachsinnig geworden ist. Weltuntergang und so einen Scheiß. Gift für die Gesellschaft sind solche wie die. Wenn es kein anderer tut, werde ich sie anzeigen. Eine Verschwendung von wertvollen Ressourcen ist sie, mehr nicht.“

Ich kann mich nicht zurückhalten, drehe mich um und die Worte haben meinen Mund verlassen, bevor ich nachdenken kann: „Soll ich dir helfen, die Anzeige zu formulieren? Wir können sie gesammelt abgeben mit der für deine schizophrene Mutter und deinen geisteskranken Ex. Deinen paranoiden Arsch können wir auch gleich mit abgeben. Dann sehen wir gemeinsam in den Schlund der Hölle und wissen endlich, was hinter verschlossenen Türen bei den ach so geheimen Verhandlungen passiert und was mit all den Wahnsinnigen und Verrückten unserer Gesellschaft wirklich geschieht.“

Meine Stimme ist laut. Köpfe drehen sich nach uns um und sowohl Pestbeule eins als auch zwei laufen rot an. Wie zwei pralle, überreife Tomaten, kurz vorm Platzen. Ich lache laut auf bei dem Anblick. Das Lachen einer Wahnsinnigen. Mein Mund will mehr Gift versprühen, als ich eine schwere Hand auf meiner Schulter spüre.

„Du gehst jetzt besser“, dröhnt eine tiefe Bassstimme in mein linkes Ohr und ich zucke unter der Enttäuschung zusammen, die ich glaube heraushören zu können.

„Bestell Paris Grüße von mir.“ Fügt der Vorsteher hinzu, als ich ihm die geliehene Schutzkleidung übergebe.

Ich könnte kotzen.

Habe ich selbst diesen schäbigen, dreckigen Job Mr. Hochwohlgeboren zu verdanken? Alleine der Tatsache gedankt, dass man uns hin und wieder zusammen sieht? Ich atme tief durch, nicke dem Vorsteher kurz zu und gehe. Die Kapuze meines weißen Hoodies tief ins Gesicht gezogen, richte ich den Blick auf den Boden, der statt dem verhassten Weiß einen leichten Grauton trägt. Nicht wirklich eine Erleichterung für meine geschundenen Augen, die das viele Weiß nicht mehr ertragen können, doch immer noch besser als der Anblick des Himmels. Dieses falsche Violett mit den perfekt geformten Wölkchen, die immer wieder dieselben Bahnen ziehen … ich könnte jedes Mal ausrasten, wenn ich die Eindeutigkeit der Formen betrachte, die nichts der Fantasie überlassen. Ein Herz hier, ein Stern da. Jeder, der auch nur einmal den wahren Himmel da draußen gesehen hat, weiß sofort, dass das hier alles Fake ist. Die Simulation einer Simulation.

Ich suhle mich in meiner Undankbarkeit. Und wenn wir die letzte Bastion der Menschen sind, selbst wenn es außer uns niemanden mehr gibt, außerhalb dieser beschissen perfekten Kuppel Leben unmöglich ist, das ist noch lange kein Grund so einfallslos zu sein und über zwei Jahrzehnte lang immer wieder dieselben künstlichen Wolkenformen über den falsch kolorierten Himmel ziehen zu lassen.

Banausen. Der wahre Himmel ist chaotisch, von einem tieferen Violett, das sich ständig ändert und nicht dieses zarte, fragile Lilablassblau.

Ja, ich bin undankbar. Eine Verschwendung von Ressourcen, nehme ich jemandem den Platz weg, der die Chance auf Leben erkennen würde und dankbar dafür wäre. Ich sollte durch ein neues Mitglied der Gemeinschaft ersetzt werden, das eben diese nicht durch Verrücktheiten, Wahnsinn und Geisteskrankheiten destabilisiert … gefährdet.

In einer Welt, in der die Geburt eines Menschen nur nach dem Tod eines anderen erlaubt ist, bin ich ein eitriger Pickel, den keiner wagt auszudrücken … der herausstehende Nagel, den keiner wagt reinzuhämmern, solange Paris wie eine ernste, immer rationale Fee im Hintergrund mit dem Zauberstab wedelt. Dieses absurde Bild entlockt mir ein albernes Kichern, wo ich eigentlich nur Dankbarkeit empfinden sollte.

Ich stolpere beinahe und fluche leise, als ich nicht hinfalle und das grelle Grauweiß der Straße nicht mit meinem Blut verziere. Im Moment wäre das der einzige Weg, etwas Farbe in mein Leben zu bringen, der mich keinen auf meinem Konto nicht-vorhandenen Credit kostet. Eine neue Form der Street Art, für die ich dann endlich zurecht angezeigt werden würde.

Tränen schießen mir in die Augen und ich wische sie wütend weg. Das über meine Mutter hätten sie nicht sagen sollen. Ob es wirklich stimmt? Kurz spiele ich mit dem Gedanken, Paris danach zu fragen. Er könnte es herausfinden. Doch die Wahrheit ist: Ich will es nicht wissen. Was würde es ändern? Nichts. Überhaupt gar nichts.

Ich wäre immer noch dieselbe zynische Person. Mit einer Mutter, die nicht wusste, wer der Vater ihres Kindes war. Ob er noch irgendwo da draußen ist? Vielleicht ein hohes Tier, das nicht einmal weiß, dass es eine weitere Tochter hat. Oder dem es egal ist. Jemand mit einer perfekten Familie und einer beschissenen, weißen Weste.

Fluchend stolpere ich weiter und kann einem parkenden Airbike gerade so ausweichen.

„Pass doch auf, du Spast!“, schreit der Fahrer mich an und steigt vom Bike.

„Pass selbst auf! Dich sollte man die Flugprüfung wiederholen lassen oder vielleicht wäre doch ein Sehtest angebrachter?“, gifte ich zurück. Heute ist nicht mein Tag. Die Gossensprache kommt öfters durch als sonst und ich verfluche Kilroi und Dragan, während ich mich kurz frage, was die beiden wohl machen. Seit sie mit sechszehn die Auffangstation verlassen mussten, habe ich nie wieder etwas von ihnen gehört. Nicht, dass wir Freunde gewesen wären. Das Kind einer Wahnsinnigen hat keine Freunde. Es war eher eine Punchingball-Beziehung. Aber was einen ja bekanntlich nicht umbringt, macht einen härter. Bei mir ist es die feine Art sich auszudrücken, die manchmal mehr manchmal weniger durchbricht.

Der Fahrer blickt mich abschätzig von oben bis unten an und antwortet mit einem süffisanten Grinsen, das ich ihm am liebsten aus dem Gesicht kratzen würde: „Der Sehtest würde bei all der Farblosigkeit nicht das geringste ändern. Du nichtsnutziger Tunichtgut kannst dir wohl nicht Mal Pastelltöne leisten. Zu faul zum Arbeiten, was? Du Sozialschmarotzer!“ Ich öffne den Mund und schließe ihn wieder wie das Albino-Chamäleon, das ich in dieser weißen Umgebung bin.

Was soll ich auch erwidern? Dass ich nicht faul bin, sondern einfach nicht meine Klappe halten kann und auf dem Arbeitsmarkt als Querulant verschrien bin? Dass ich seit heute wohl nicht mal mehr für unliebsame Aufgaben im Kraftwerk als Tagelöhner genommen werde?

Also hebe ich undamenhaft meine Arme und strecke ihm kindisch beide Mittelfinger hin. Schaffe es mit letzter Willenskraft, die Zunge im Mund zu lassen, drehe mich um und gehe weiter. In Gedanken gebe ich es ihm verbal so richtig. Lache über seine dunkellilane Lederjacke - Hat es für Schwarz nicht gereicht? Über die nicht dazu passenden neongrünen Stiefeln, in denen der hellblaue Stoff seiner Jeans verschwindet - Farbkombinationen sind nicht so dein Ding, was? Von dem kaki-giftgrünen Muster seines Airbikes ganz zu schweigen - bei der Geschmacksverirrung fehlen einem einfach die Worte. Dumme Sprüche, die - zwar wahr und aus tiefster Überzeugung geboren sind - ihren Ursprung doch in Neid finden.

Wer teure Farben so gedankenlos kombiniert, musste vermutlich nicht dafür schuften. Ein verwöhnter Bengel - im schlimmsten Fall der Sohn eines reichen Magistratsmitglieds, der in seinem Leben noch nie arbeiten musste. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so einer für den Luxus von Farben und einem Airbike selbst geschuftet hat. Nicht der.

Mir wird ganz anders, als ich daran denke, dass Paris auch so hätte werden können und gehe schneller, versuche diesem Bild und den Ereignissen dieses Abends davonzulaufen. Renne dem Morgen entgegen, denn egal was heute war, den Ausflug kann mir keiner kaputt machen. Ich muss nur die Augen für sechs Stunden schließen, dann kann ich dieser weißen Welt des Nichts entkommen – für ein paar wenige Stunden einem Traum hinterherjagen.

Ja, genau! Eine Nacht drüber schlafen, dann ist der heutige Tag auch schon vergessen. Ich kann andere Jobs finden. Mir ist egal, was für einen. Hauptsache er bringt Credits. Und selbst wenn nicht. Wenn ich wieder warten muss, bis Gras über die Sache gewachsen ist, muss ich weder hungern noch frieren und auf den wenigen Luxus, den ich mir im Moment leiste, kann ich auch solange verzichten. Mir fällt ja nicht einmal ein, was ich mir in letzter Zeit geleistet habe. Farben waren es sicher nicht.

Gezielt gehe ich in Richtung Wohnung, verfluche dabei die Kuppeln, die Mauern und diese Stadt, die keine Querulanten duldet … und keine Träumer. Alles dreht sich um Stabilität und den Erhalt des Status Quo.

Ist der fragile Geist meiner Mutter daran zerbrochen? Ich erinnere mich kaum an sie. Habe ich sie angesteckt oder ist es ihr Erbe, das mich, seit ich denken kann, an dieser Welt zweifeln lässt? Das mir meine Träume beschert?

Ich schüttle die trüben Gedanken ab und gebe mich der Vorfreude hin, morgen für ein paar Stunden all dem zu entfliehen. Denn morgen werde ich diese verfluchte Kuppel hinter mir lassen und den wahren Himmel sehen, die ungefilterte Luft atmen und die Einzigartigkeit der Wolkenformen bewundern. Fühle ich mich mit ihnen verbunden, weil ich selbst im Inneren unstetig bin? Wie ein unförmiger Knetball, der sich ständig verformt und nichts findet, was zu ihm passt.

Manchmal wünsche ich mir, ich könnte meine Haut abstreifen, diese Form verlassen und zu etwas anderem werden. Doch zu was, das weiß ich selbst nicht. Außer, dass ich realer sein will. Ein seltsames Gefühl, das mich nur verwirrt und tiefer in den Strudel der Unzufriedenheit und Undankbarkeit reißt. Beides Gefühle, die hier eigentlich nicht geduldet werden. Hier – in der weißen Stadt.

Müde von meinen eigenem Gedankenkarussell, schleiche ich zum Eingang, stolpere die vielen Treppen hoch, spiele sogar mit dem Gedanken den Fahrstuhl zu benutzen. Doch jede erklommene Stufe stählert meinen Körper, macht ihn widerstandsfähiger. Jede durch Kondition und Körperkraft gewonnene Minute kann mich meinem Traum näher bringen … oder mir zeigen, dass ich wirklich verrückt bin.

Ich fürchte mich nicht vor dem Wahnsinn. Der Beweis für meine Geisteskrankheit wäre vermutlich eine Erleichterung. Nur sagt alles in mir, dass nicht ich es bin, mit der etwas nicht stimmt, sondern diese Welt, die so darauf erpicht ist, zu leuchten und zu blenden, als hätte sie ein dunkles Geheimnis, das man erkennen kann, wenn man nur genau hinsieht. Wenn jemand nur das Licht nur für einen kurzen Augenblick dimmen würde.

Unzählige Treppen später gelange ich in die dreizehnte Etage, lege meine vor Anstrengung zitternde Hand auf das Touchfeld. Das leise Surren der Tür, die in der Wand verschwindet, lullt meinen wachen Geist in dem übermüdeten Körper ein, meine Augenlider werden schwerer, sind schon fast geschlossen, als ich mit wenigen Schritten mein Bett erreiche und mich einfach fallen lasse, in meinen weißen, durchschwitzten Klamotten, die jetzt zumindest unter den Achseln pissgelbe Flecken haben. Momentan die einzige Farbe in meinem Leben. Leider wird auch sie mich nach dem nächsten Waschgang verlassen, denke ich voller Bedauern, bevor der Schlaf mich vollkommen in seinen Fängen hat.

Ob ich heute Nacht wohl wieder träumen werde?

Romeo - Abstrakte Wahrheiten

Meine Schritte finden ihr eigenes Echo nicht, als ich die unnötig langen Gänge entlangschreite. All der Prunk brennt in meinen Augen, die nach all der Zeit immer noch an die Einfachheit der Slums gewöhnt sind.

Ich höre Stimmen, halte inne und werde eins mit dem Schatten einer verdreht, verschnörkelten Skulptur, von der ich nicht sagen kann, was sie darstellen soll. Aus keinem Blickwinkel ergibt sie Sinn, weckt keinerlei Erinnerungen an bekannte Formen. Ein schrilles Gezeter erreicht mein Ohr und ich sammle die Dunkelheit um mich. Der Marthal ist es sicher recht, wenn ich nicht gesehen werde. Und der Wille der Marthal, ob ausgesprochen oder nicht, ist Gesetz. Für mich mehr als für jeden anderen Bewohner der Roten Stadt.

Rot – Wie die Farbe des Blutes, das nicht an meinen Händen klebt und doch meine Seele einfärbt.

„Das ist unter aller Würde. Das ist nicht das, was ich bestellt habe!“, empört sich eine hohe, gereizte Frauenstimme. Man kann den Genuss übers Aufregen hören, die Freude an dem minimalen Machtspiel. Manch gelangweilte Ehefrau oder Tochter eines Magistratsmitglieds weiß mit ihrer Stellung und ihrer Zeit nicht viel mehr anzufangen, als andere zu schikanieren.

Ich blicke mich nach einem neuen Versteck um, bin ich doch sicher, dass sie die Monstrosität vor mir meint. Als ich die fein gekleidete Dame – eine junge Frau, fast noch ein Mädchen – bei meiner Suche aber entdecke, fuchteln ihre Arme in eine andere Richtung. Sie zeigt aufgeregt auf eine Eisskulptur. Ein Schwan so detailreich geformt, dass es aussieht, als könne er jeden Moment davonfliegen. Nicht das ich jemals einen gesehen habe. Niemand hat das. Wir kennen sie nur von Bildern und ja, Skulpturen. Und diese scheint mir sehr gelungen.

„Als Hauptzierde meines sechzehnten Geburtstages willst du mich mit so etwas Banalem bloßstellen? Abstrakt ist jetzt Mode, nicht banaler Realismus von Wesen, die es vermutlich nie gegeben hat!“ Und mit einer Handbewegung zerläuft das für die Ewigkeit geformte Eis zu einer Pfütze. Die aufgebrachte junge Dame ist also eine Pyrokinesenin. Passend zu dem feurigen Temperament. Sie muss die Nichte von Derodan Marklin sein. Eine andere Feuerbändigerin ist mir in den höheren Kreisen nicht bekannt und es gehört zu meinen Aufgaben alle zu kennen und alles zu wissen.

„Wisch das weg! Du hast noch vier Stunden Zeit, mir etwas Brauchbares zu liefern. Danach suche ich mir jemand anderes. Beste der Abschlussklasse. Pah! Das ich nicht lache!“ Dann drehen sich raschelnd die vielen Rockschichten und ich sehe nur noch verschiedene Rottöne ineinander Wellen schlagen, als sie an meiner -wohl abstrakten - Skulptur vorbeirauscht.

Aus der Dunkelheit des Schattens beobachte ich, wie die, meiner Meinung nach, talentierte Kyrokinesin, die Hände hebt, kunstvolle Bewegungen macht und aus dem geschmolzenen Eis eine wunderschöne Figur nach der andern formt. Eine zauberhafte Eisblume, ein verschnörkeltes Schloss. Schachfiguren und dann einen grazilen Vogel in einem Käfig. Vor allem der Vogel rührt mich, erinnert er mich doch an meinen ersten und einzigen Freund.

Weitere atemberaubende Figuren folgen, bis sie bei einem perfekten Quader halt macht, die Hände vors Gesicht schlägt und in die Knie geht. Sind es die geräuschlosen Tränen, die ich in ihren bebenden Schultern fallen sehe, die meine Beine dazu bewegen, mich zu dem Mädchen zu tragen? Bevor ich darüber nachdenken kann, entschlüpfen mir leise die Worte: „Ich finde deine Skulpturen wunderschön.“

Sie schluchzt leise und sagt erstickt: „Danke. Aber solange meine Arbeit nicht Miss Narabelle gefallen, ist meine Stellung hier nicht sicher. Niemand wird mich mehr einstellen, wenn sie mich unehrenhaft entlässt. Ich muss dann zurück ins Arbeiterviertel … vielleicht in die Slums …“

„Das wird nicht passieren. Nicht bei so jemand Talentiertem wie dir“, erwidere ich, ignoriere die Angst und den Ekel, die sie zusammen mit dem Wort ‚Slums‘ ausspuckt. Wenn ich eine Wahl hätte, würde ich lieber für immer in den Slums bleiben und nie mehr diese Glitzerscheinwelt betreten, in der niemand etwas wertschätzt. Nicht einmal das Leben selbst.

Eine Welt in der selbst der Tod seine Bedeutung verloren hat.

Worüber ich mich freuen sollte und es doch nicht so recht kann. Noch nicht? Wie viel Zeit muss noch vergehen, bis die Worte der Marthal, immer wieder in mein Ohr geflüstert, zu meiner Wahrheit werden?

Der Tod bedeutet nichts.

Er bringt ein Geschenk:

das Vergessen.

Die junge Kyrokinesin hebt den Kopf und ihre Gesichtszüge gefrieren. Nicht zu einer schönen Eisskulptur sondern zu einer Maske des Horrors und ich trete einen Schritt zurück, mache ihr Platz, als sie sich mit angstgeweiteten Augen aufrappelt und so schnell davonrennt, dass sie beinahe über ihre eigenen Füße stolpert.

Ein leises Stechen in der Brust, ist das einzige Zeichen dafür, dass mein Herz noch nicht vollkommen schwarz ist und ich lache. Über mich, über sie … über diese absurde Welt. Sie hat von mir gehört. Die Gerüchte … vielleicht auch die Wahrheit. Beides Gründe, um davonzulaufen.

Ich schüttle das Gefühl des Lächerlichen ab. Ich habe schon zu viel Zeit mit Rührseligkeiten verloren. Die Marthal hat nach mir rufen lassen. Es ist sicher ein neuer Auftrag. Der Gedanke hilft nicht, meine Beine zur Eile anzutreiben und eine Frage pulsiert in mir, wie eine Unregelmäßigkeit in einem Herzschlag. Kurz, kaum wahrnehmbar und doch hält man inne, hofft, dass das Herz seinen gewohnten Rhythmus beibehält.

Wen muss ich wohl dieses Mal töten?

So schnell, wie der Gedanke gekommen ist, verschwindet er. Unwichtig. Banal. Auftrag ist Auftrag. Der Marmor unter meinen Sohlen ist ruhig, fast still, als ich den Thronsaal betrete. Er kündigt mein Kommen nicht an und doch erfassen mich die kalten, grauen Augen sofort und ihr Geist flüstert meinen Namen: „Romeo … du hast dich verspätet. Du weißt, dass ich es nicht mag, wenn man mich warten lässt. Es hat etwas mit Respekt zu tun. Und den hast du doch vor mir, mein Romeo?“

„Selbstverständlich, Marthal“, erwidere ich und verbeuge mich vor der Frau, die alle Fäden der Roten Stadt in ihren dünnen, langen Fingern hält.

„Zeit bedeutet hier nichts, vor allem nicht für Sie, Marthal“, füge ich ruhig die Parole hinzu, die ich schon so oft von ihren Lippen habe kommen hören. Ein Mantra, dessen wahre Bedeutung ich nur erahnen kann.

Die Marthal nickt zufrieden und sagt die erwarteten Worte: „Ich habe einen Auftrag für dich, Huntsman.“ Ihre Augen schimmern dabei, doch die Bedeutung hinter dem Blick kann ich nicht deuten. Konnte sie in all den Jahren nicht ergründen.

Ein Bild erscheint vor meinem geistigen Auge. Ein Name. Mein nächstes Opfer ist eine junge Frau. Ich schiebe das unnütze Mitleid beiseite und präge mir jedes Detail ein. Sie sieht aus wie Narem. Das müsste den Auftrag einfacher machen. Auch wenn ich bei dem Gedanken an sie Abscheu und Verachtung empfinden sollte, ist da nichts. Nur der bittere Geschmack von ein wenig Bedauern liegt schal auf meiner Zunge, als ich dem Blick der Marthal begegne. Sie runzelt die Stirn, als sie mich liest wie ein offenes Buch und ihre folgenden Worte sind spitze Eisnadeln, die durch meine Haut dringen sollen und treffen doch nur auf Taubheit.

„Habe ich dir vollkommen die Fähigkeit zu lieben genommen? Wer nicht lieben kann, kann auch nicht wahrhaft hassen. Denn wahrer Hass entsteht nur aus wahrer Liebe. Oder … hast du sie nie geliebt? Deine junge Dirne, die dich für eine Position am Hofe verraten und verkauft hat?“