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Kitty Stone

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Beschreibung

Er ist eine reißende Bestie. Eine wilde, blutgierige Kreatur. Sie haben ihn gefangen und eingesperrt. Im Käfig führen sie ihn vor. Sie quälen ihn zu ihrem Vergnügen. Wie sie es mit mir tun … Bis ein Unglück geschieht. Sie zwingen mich, ihn zu versorgen. Ich hasse ihn wegen dem, was er ist. Er riecht meine Angst. Doch meine Hand beißt er nicht. Weiß er, dass er meine Träume beherrscht? Dark Paranormal-Historical Romance aus dem Hause Stone, das ist anders als sonst üblich. Ebenso heiß, ebenso düster und spannend, aber auch überraschend und tiefgehend. Es gibt eine Inhaltswarnung. Man sollte sie lesen.

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Seitenzahl: 449

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Uncaged: Die Bestie

Kitty & Mike Stone

Dark Paranormal-Historical Romance

 

 

Er ist eine reißende Bestie.

Eine wilde, blutgierige Kreatur.

Sie haben ihn gefangen und eingesperrt.

Im Käfig führen sie ihn vor.

Sie quälen ihn zu ihrem Vergnügen.

Wie sie es mit mir tun …

Bis ein Unglück geschieht.

Sie zwingen mich, ihn zu versorgen.

Ich hasse ihn wegen dem, was er ist.

Er riecht meine Angst.

Doch meine Hand beißt er nicht.

Weiß er, dass er meine Träume beherrscht?

~~~~~

Dark Paranormal-Historical Romance aus dem Hause Stone, das ist anders als sonst üblich. Ebenso heiß, ebenso düster und spannend, aber auch überraschend und tiefgehend. Es gibt eine Triggerwarnung. Man sollte sie lesen. 

 

Deutsche Originalausgabe, 1. Auflage 2020

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Impressum:

Kitty Stone / Mike Stone

Breslauer Str. 11, 35274 Kirchhain

 

© September 2020 Kitty Stone/Mike Stone

 

Alle Rechte vorbehalten!

Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der offiziellen Erlaubnis durch die Autoren.

Covergestaltung: Giusy Ame Magicalcover.de / Bilder: depositphotos.com/ shutterstock.com

 

 

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Warnung vor dem bösen Wolf im finsteren Wald

Nicht nur Rotkäppchen und Großmütter sind in Gefahr

 

 

Diese Dark Paranormal-Historical Romance spielt in der Vergangenheit und hat Übernatürliches zum Thema. Sie ist direkt, heiß, hart und heftig und kann mitunter gehörig an die Nieren gehen oder sogar auf die Tränendrüse drücken. Leute in dieser Erzählung handeln böse, sagen gemeine Dinge und haben diese Hintergedanken. Manchmal gelingen ihre düsteren Machenschaften sogar. Die ›Guten‹ müssen eine Menge einstecken, bevor sie mal austeilen dürfen.

Wie das Cover schon offenbart, spielen hier nicht nur Menschen eine Rolle. Ob man davor jetzt noch extra warnen muss, ist natürlich eine andere Frage. Hiermit ist das dann jetzt einfach geschehen. Darüber hinaus gibt es auch noch Gewalt, Gemeinheiten, Diskriminierung und natürlich einiges an Erotik. Es mag vorkommen, dass Unschuldige auch zu leiden haben und manchmal müssen sie sogar abtreten.

Eine eigene Warnung verdient die verwendete Sprache. Worte können verletzen und aufregen. Das liegt meist am Tonfall des Sprechenden und vor allem an dessen Absichten. Aber es gibt auch bestimmte Begriffe, die triggern mögen. In diesem Buch werden einige Worte mit böser oder verletzender Absicht gesprochen, die sowieso schon kontrovers sein mögen. Beispiele dafür sind: Frau, Hexe, Mensch, Mädchen und Zigeuner. Wer schon von der neutralen Erwähnung dieser Begriffe hier emotionalen Schüttelfrost bekommt, sollte von diesem Buch eher ablassen.

Ansonsten zählen neben Rotkäppchen und Großmuttern hinsichtlich des Genusses dieses Werks auch Tierfreunde, Schausteller und Artisten zu den gefährdeten Arten. Warum, das erschließt sich natürlich erst im Verlauf der Geschichte …

 

Für alle, die mit den Büchern des Autorenpaars und insbesondere deren Dark Romance Werken bereits Erfahrung haben, besteht kein Anlass zur Sorge. Auch dieses Buch ist eine Dark Romance, selbst wenn sie in der Vergangenheit spielt und es Wesen aus der Mythologie gibt. Es wird ganz sicher wieder heiß, heftig und hoffentlich reichlich spannend. Es wird ganz bestimmt (fast) kein Blatt vor den Mund genommen. Und es gibt natürlich auch ein angemessenes Ende in diesem in sich abgeschlossenen Buch aus einer Reihe, die nicht aufeinander aufbaut, sondern durch ein gemeinsames Thema verbunden ist.

Ihr seid jetzt alle gewarnt und müsst nun selbst entscheiden, in den Käfig der Bestie zu steigen.

 

 

 

Über die Uncaged Buchreihe

 

Dark Romance aus dem Hause Stone, das ist anders als sonst üblich. Ebenso erotisch, ebenso düster und spannend, aber dennoch anders.

Wir nehmen uns krasser Themen an und verarbeiten sie auf unsere ganz persönliche Weise. Das kann und soll Grenzen überschreiten und in manchmal sehr düstere Abgründe führen. Nicht immer sind dabei die Protagonisten die treibenden Kräfte. Besonders die Bösen haben es oftmals in sich und sind wirklich monströs. Daher kann es extrem hart zur Sache gehen.

Für diese Reihe gilt das besonders, denn sie ist nicht einfach nur Dark Romance - sofern bei uns denn das Wort 'einfach' überhaupt anwendbar ist.

Vorweg soll allerdings noch einmal herausgestrichen werden, dass Uncaged eine REIHE ist, keine Serie. Das bedeutet, die Bücher sind völlig unabhängig von einander. Die Handlung baut nicht aufeinander auf und steht auch nicht in einer Chronologie. Die Protagonisten haben nichts miteinander zu tun. Es ist ein Projekt mit einem gemeinsamen Thema. Oder - in diesem Fall - einer gemeinsamen Grundidee, die auf verschiedene Weisen aufgearbeitet wird.

 

Für Uncaged bedeutet das konkret, dass wir uns durch mehrere Genres bewegen. Alle Bücher der Reihe sind im weitesten Sinn Dark Romance. Aber sie sind auch noch viel mehr.

Uncaged - Das Tier ist eine zeitgenössisch-moderne Geschichte. Eine Contemporary Dark Romance, die in unserer Welt und unserer Zeit spielt. Das, was man erwarten würde, wenn man zuvor unsere Dark & Deadly Reihe gelesen hat. Das Buch könnte durchaus auch als siebter Teil dieser anderen Buchreihe laufen, denn es ist dark und es ist deadly.

Uncaged - Die Bestieist etwas schwerer zu kategorisieren. Es ist eine Dark Paranormal Historical Romance. Man konnte auch Dark Romantasy sagen, aber das klingt nach einer soften, lieblichen Geschichte mit einer kleinen, düsteren Note. Und das trifft nun wirklich nicht zu. Die Erzählung ist eine Dark Romance in einer nicht zu fernen Vergangenheit und in einer Welt, die beinahe unsere sein könnte, wenn es übernatürliche Wesen in unserer Geschichte gegeben hätte.

Uncaged - Das Monster ist eine Dark Fantasy Romance. Da gibt es kein Vertun, es ist Fantasy und ansonsten eine eindeutige Dark Romance. Unsere gewohnte und bekannte Welt oder Abwandlungen davon haben darin keinen Platz. Dafür wird es besonders spannend.

 

Mit dieser Reihe wollen wir als Autoren unsere Leser entführen. Wir wollen und werden uns nicht auf reine Dark Romance in einem modernen Setting beschränken, auch wenn man die immer wieder von uns erwarten darf. Wir bieten allerdings noch mehr und das wollen wir mit dieser Buchreihe vorzeigen.

Wir freuen uns, wenn unsere Fans und neue Leser diese Reise mitmachen. Deswegen wollen wir besonders herausstreichen, dass die Geschichten so sind, wie man sie von uns kennt und mag. Es ist immer irgendwie Dark und immer irgendwie Romance, nur das Setting - der Rahmen für die Handlung - unterscheidet sich.

Lass dich von uns an der Hand nehmen, sodass wir dich das Fürchten lehren können, während wir - wie immer - für gewisse Notstände in den Höschen sorgen, die man bei der Lektüre unserer Bücher traditionsgemäß am besten gleich weglässt, weil sie so oder so ein Fall für den Wäschekorb werden würden.

 

 

Prolog

 

 

 

 

 

 

Schmerz!

Eiskalter, unerträglicher Schmerz.

Mondmetall brennt in Arm, Bein, Brust. Schwefelnd qualmen die kurzen Donnerstöcke in den Händen der Menschlinge. ›Zigeuner‹, sagt die Stimme im Geist, ›Pistolen, Silberkugeln.‹

Rasende Wut erwacht. Die Pein der Verwandlung ist nichts gegen den Schmerz des Mondmetalls in den Wunden. Das Brüllen erschüttert die Menschlinge und die Wände des hölzernen Baus, in den sie eingedrungen sind.

Mein Revier!

Verteidigen! Vertreiben!

Alles auslöschender Schmerz. Die Stimme im Geist … Die Stimme der schwachen Menschengestalt … verstummt.

»Zurück! Das Monster ist noch zu stark!«

Worte ohne Bedeutung. Menschlinge, Schwächlinge. Leicht zu zerreißen!

Schmerz, der alles auslöscht.

Mondmetall.

Sie haben Silberwaffen. Jede Berührung damit raubt mir Kraft.

Der Kampf ist aussichtslos.

Nur ein Ausweg: Flucht!

 

Der Wald bietet keinen Schutz. Mutter Mond ist nicht in ihrer vollen Gestalt. Kräfte schwinden; werden verbrannt; verbraucht vom Mondmetall in den Wunden. So kleine Kugeln, so große Schmerzen, so gewaltige Wut.

Es ist nicht die Zeit der Verwandlung. Es ist nicht die Zeit des Mondes; die Zeit der Jagd. Es ist die Zeit des Überlebens. Menschlinge mit Silber in den Händen. Flucht ist der einzige Ausweg.

Über Stein und Strauch, zwischen Bäumen und Felsen durch die Finsternis. Wolfsaugen sehen, Wolfsohren hören, Wolfsnase schmeckt. Trotz des Schwefelgestanks.

Menschlinge im Rücken, Menschlinge zu den Seiten. Flammende Stöcke in Händen. Rufe hier, Schreie da.

»Dort vorne! Ich höre es!«

»Treibt es weiter zur Linken!«

»Bleibt dran! Vier Silberkugeln! Es kann nicht lange durchhalten.«

Wut wächst, Kraft … schwindet?!

›Treibjagd‹, warnt die Stimme im Geist. ›Falle!‹

Vier Menschlinge. Stellen? Kämpfen?

Ein Baum, ein Sprung. Keine drei Körperlängen hinauf, doch beinahe reicht die Kraft nicht aus. Lange Klauen reißen Rinde auf. Schwäche wallt auf. Wut treibt sie zurück.

Menschlinge kommen näher. Lauern, lautlos warten. Den rechten Moment abpassen.

Einer von ihnen unter dem Baum, ein Sprung, ein Schreckensschrei, ein Schwung …

Nein!

Mondsilber und Wolfsbann, um den Hals getragen. Fauler Zauber! Kann nicht … zuschlagen!

»Hierher! Ich hab ihn!«

»Obacht!«

»Die Amulette wirken!«

»Sehr gut!«

Menschlinge nahen. Donnerstöcke krachen. Silberkugeln beißen, fressen sich in Fleisch.

Schmerz!

Silberspieße stechen. Lachen, Höhnen. Kraft … schwindet.

»Wir haben ihn!«

»Passt auf! Bringt es nicht um!«

Wut nährt Muskeln nicht genug, die jeden Menschling zerreißen könnten. Mondmetall frisst alle Kräfte auf. Zu wenig, um zu töten. Zu viel, um es zu überwinden. Wunden heilen nicht.

»Du wirst leiden für das, was du anderen angetan hast!«, höhnt ein Menschling.

Schwaches Knurren. Keine Kraft für mehr.

›Ich habe nie jemandem etwas getan!‹, brüllt die Stimme im Geist.

Aber diese hier … würden sterben, wenn noch Kraft da wäre …

 

 

 

 

 

 

 

Erstes Kapitel

 

 

Ljljana

 

 

 

 

Die Hand, in der er das Messer hält, zittert leicht. Tief atme ich ein und wappne mich für den Wurf. Es herrscht absolute Stille. Gebannt sehen sie zu. Alle halten die Luft an, als er ausholt und die Klinge auf mich zufliegt. Sie wird ihr Ziel nicht verfehlen. Genauso wie die anderen drei Messer davor. Tief stecken sie im Holz.

Nur eine Winzigkeit bewege ich meinen Arm. Das Messer bohrt sich unterhalb meines Oberarms durch meine Bluse und bleibt im Holz stecken. Laut stoßen die Menschen um mich herum die Luft aus. Doch die Zuschauer haben keine Zeit zum Durchatmen, denn schon blitzt die nächste Klinge im Schein der Fackeln auf und saust auf mich zu. Diesmal war der Wurf etwas besser. Die nächste Klinge verschwindet in meinem Haar und ich fühle, wie die abgeschnittenen Strähnen auf meine nackte Schulter fallen.

Ich konzentriere mich auf Laszlo, der zum letzten Wurf für diese Darbietung ausholt. Diesmal halte ich ganz still, erstarre sogar, als die Klinge durch die Luft auf mich zufliegt. Ich fühle die Erschütterung, als sich das Messer ins Holz gräbt. Ganz nah über meinem Kopf. Das war knapp. Sehr knapp!

Als die Zuschauer applaudieren, legt sich automatisch ein Lächeln auf mein Gesicht. Es gehört zur Darbietung. Ebenso, wie erwartungsvoll dem Mann entgegenzusehen, der nun auf mich zukommt. Er lässt sich feiern, doch ich sehe seine Unsicherheit in seinem ganzen Auftreten. Er ist noch lange nicht soweit, dass er die Messerwerfer-Nummer übernehmen könnte. Normalerweise trete ich mit meinem Bruder Franjo auf. Aber er ist nicht da. Weiß der Teufel, wo er sich herumtreibt. Trotzdem muss die Vorstellung stattfinden.

Ich lasse kurz meinen Blick durch den Wagenkreis schweifen. Es sind nur wenige Dörfler gekommen. Nicht alle Strohballen sind besetzt. Die Zeiten, als kein Platz mehr übrig war und sie dicht gedrängt standen, um unsere Darbietungen anzuschauen, sind lange vorbei. Umso wichtiger ist es, dass keine Nummer ausfällt. Ich weiß, wie wertvoll das Geld für unsere Familie ist.

»Hör auf dich zu bewegen«, zischt mir Laszlo zu, der mich erreicht hat. Ruckartig zieht er die Messer aus der Holzscheibe, vor der ich stehe. Dabei zerreißt meine Bluse an der Seite und kühle Luft dringt an die Seite meiner Brust. »Versau die Nummer nicht.«

Unverhohlener Hass schlägt mir entgegen. Er ist sauer, weil er noch lange nicht so gut ist wie Franjo. Die Menschen - vor allen Dingen die jungen Mädchen - fressen diesem aus der Hand. Er schafft es, aus einer noch so langweiligen Darbietung etwas Außergewöhnliches zu machen. Laszlo dagegen merkt, wie gelangweilt das Publikum ist. Der kurze Nervenkitzel ist schon wieder verflogen und die Dirnen schauen sich nach den anderen Burschen unserer Familie um.

Ich weiß, dass die dunklen Haare und die fremdartigen Gesichtszüge sie ansprechen. Ein Teil unserer Sippschaft sind reine Roma. Ich dagegen bin mit meinen blonden Haaren und der hellen Haut eine richtige Kuriosität. Seit ich alt genug bin, um bei den Nummern den Augenschmaus zu geben, befinden sich mehr junge Burschen und Männer mit im Publikum. Die, die alleine hier sind, starren mich lüstern an. Die anderen beobachten mich heimlich. Die Ehefrauen und jungen Mädchen dagegen haben nur abfällige und giftige Blicke für mich übrig. Doch darüber kann ich mir jetzt keine Gedanken machen.

Ich lächele weiter, während ich die Füße und Hände in die Lederschlaufen schiebe. Dabei schlägt mir mein Herz bis zum Hals. Kalter Schweiß bricht mir aus, als die Holzscheibe von einem Helfer angeschoben wird und ich anfange, mich zu drehen. Laszlo schreitet zurück zu seinem Wurfplatz. Es ist mir egal, dass meine Bluse mehr als sonst aufklafft und ganz sicher den Blick auf meine Brüste freigibt, als ich kopfüber hänge. Hauptsache, ich überstehe diese Nummer lebend. Ich habe oft genug bei den Proben zugesehen und weiß, wie viele seiner Würfe ihr Ziel noch verfehlen.

Als er zum ersten Mal ausholt, schließe ich die Augen. Ich spüre die Vibration, als sich das Messer ins Holz gräbt. Im Geist zähle ich mit. Viermal geht es gut, nur noch zwei sind übrig. Scharfer Schmerz schießt durch meinen Körper und ich atme laut ein. Der Schnitt am Oberschenkel brennt fürchterlich und ich fühle warmes Blut auf meiner Haut. Als endlich das letzte Messer in der Scheibe steckt, atme ich erleichtert auf und öffne meine Augen. Ich sehe Laszlos grimmiges Gesicht, als er auf mich zugeht.

Der Helfer stoppt die Drehung der Scheibe. Ich lasse mir nicht anmerken, dass ich verletzt bin, obwohl mir das Blut am Bein hinabläuft. Stattdessen lächele ich, wie es von mir erwartet wird. Normalerweise würde mir an dieser Stelle mein Bruder die Hand reichen und mir aus den Schlaufen helfen. Laszlo ist so wütend, dass er weder daran denkt, noch ist ihm danach, sich von den Menschen feiern zu lassen. Dabei sollte er froh sein, dass er mich nicht durchlöchert hat. Es war besser als bei den Proben.

»Das war gut«, flüstere ich ihm zu, was mir ein abfälliges Schnauben einbringt.

»Halts Maul«, fährt er mich leise an und zieht die Messer aus dem Holz, während ich aus den Schlaufen schlüpfe und vor der Scheibe stehen bleibe. Die letzte Darbietung folgt noch und gerade davor graut es mir. Laszlos Anspannung überträgt sich auf mich und doch versuche ich, mir nichts anmerken zu lassen. Jede schlechte Darbietung bringt weniger Geld ein.

Ich presse mich an die harte Holzscheibe in meinem Rücken, während dem Werfer nur noch ein Messer gelassen wird und er sich einen schwarzen Sack über den Kopf zieht. Auch wenn das Publikum diese Nummer kennt, so spürt es deutlich, dass heute etwas anders ist. Dementsprechend wird es mucksmäuschenstill und auch ich halte die Luft an, als Laszlo mehrmals im Kreis gedreht und dann wieder angehalten wird. Er steht so, dass er genau zu mir sieht, aber ich weiß von meinem Bruder, wie schwer es ist, obwohl die Kapuze nicht blickdicht ist.

Er holt aus und ich weiß schon, bevor das Messer in der Luft ist, dass dieser Wurf in die Hose gehen wird. Ich denke nicht über die Konsequenzen nach, sondern handele und drehe mich seitlich. Ein Raunen geht durch die Menge, als das Messer knapp vor meinem Gesicht ins Holz einschlägt und mich ein Holzsplitter an der Wange ritzt. Wäre ich nicht ausgewichen, würde die Klinge jetzt in meinem Auge stecken.

Laszlo reißt sich den Sack vom Kopf und will sich wütend abwenden, als die Zuschauer schließlich anfangen zu applaudieren. Anscheinend halten sie die letzte Darbietung für neu. Endlich mal ein wenig Nervenkitzel, den sie die ganze Zeit nicht hatten. Die Nummer war anders - gefährlicher als sonst. Automatisch knickse ich lächelnd, während Laszlos Gesichtszüge ein wenig weicher werden. Seine Wut ist jedoch noch lange nicht verraucht.

Beim Hinausgehen aus dem Wagenkreis kommt uns Magda, die bärtige Frau entgegen. Sie hat als Nächste ihren Auftritt. Dem Burschen klopft sie auf die Schulter. »Beim nächsten Mal wirds besser sein, Laszlo«, ermutigt sie ihn. Für mich hat sie dagegen wieder nur einen abfälligen Blick übrig. Als ob ich Schuld daran bin, dass er nicht gut geworfen hat.

Die Ablehnung, die mir jeden Tag entgegenschlägt, ist nicht neu. Ich bin anders und das lassen sie mich immer wieder spüren. Einzig der Schutz meiner Urgroßmutter hält die Menschen um mich herum ab, mir ihren Hass noch deutlicher zu zeigen und mich aus der Sippe zu werfen. Die Tatsache, dass ich die Tochter des Familienoberhauptes bin, spielt dabei keine Rolle. Meinen Vater, obwohl auch er kein reiner Roma ist und man es ihm deutlich ansieht, hat man akzeptiert. Mich nicht, was nicht nur an meinen hellen Haaren liegt …

»Was sollte das?«, faucht mich Laszlo an und drückt mich gegen einen der Wagen. »Du hast mich vorgeführt, du kleines Miststück.«

»Ich musste ausweichen. Das Messer hätte mich getr…«

»Willst du damit sagen, dass ich schlecht geworfen habe?«

»Nein! Du warst wirklich gut«, versuche ich ihn zu beschwichtigen, obwohl genau das zutrifft.

Er spuckt mir ins Gesicht. »Ein Lob aus deinem unreinen Mund …«

Er drängt sein Knie zwischen meine Beine. Der Schnitt brennt unangenehm, aber ich bewege mich nicht. Seine Hand legt sich fest auf meine Brust und drückt das Fleisch zusammen. Sein Atem kommt stoßweise. Er stinkt nach dem Schnaps, den er gegen seine Nervosität vor der Darbietung getrunken hat. Ich fühle seinen Harten an meinem Bauch.

Ein Teil von mir will aufbrausen. Wenn ich für ihn, den geborenen Roma, so unrein bin, was bedrängt er mich dann? Was würde seine Frau sagen, wenn sie uns sieht? Ist meine Unreinheit nur ansteckend, wenn uns jemand beobachtet? Oder sind die Roma-Sitten, die in unserer Sippe so gern besonders hochgehalten werden, nur von Bedeutung, wenn sie demjenigen gerade in den Kram passen?

»Laszlo!«, donnert die Stimme meines Vaters und der Dreckskerl lässt von mir ab, als wäre ich glühende Kohle und er hätte sich verbrannt. »Wenn du noch einmal deine Finger an sie legst, hacke ich sie dir zusammen mit deinem mickrigen Schwanz ab! Wenn du keinen Sack voll Gold für mich hast, komm nie wieder in die Nähe ihrer Fotze, hast du das verstanden?«

Er packt ihn am Kragen und schnauzt ihm mitten ins Gesicht. Laszlo sinkt in sich zusammen. Stefano, mein Vater, ist eine imposante Erscheinung. Groß, breitschultrig, mit heller Haut und hellbraunen Haaren. Er ist kein Roma, selbst wenn er einen Schnauzer trägt und sich die Haare mit Ruß schwärzt, um wie einer auszusehen. Und doch würde ihn keiner so respektlos ansehen oder behandeln, wie sie es mit mir tun.

»Es-es tut mir leid«, winselt der Messerwerfer und ist auf einmal gar nicht mehr so groß.

»Schreib's dir hinter deine dreckigen Ohren«, spuckt ihm mein Vater entgegen und schubst ihn zur Seite weg. Laszlo stolpert einige Schritte zurück, bis er sich fangen kann, und verschwindet dann blitzschnell zwischen den Wagen.

»Und du«, eine schallende Ohrfeige reißt meinen Kopf zur Seite und treibt mir Tränen in die Augen. »Streng dich gefälligst mehr an und mach dem Dummkopf keine schönen Augen. Du weißt, wie es das letzte Mal ausgegangen ist.«

Es ist sinnlos, ihm zu sagen, dass ich Laszlo ganz gewiss nicht eingeladen habe, mich so zu berühren. Daher verkneife ich mir eine Erwiderung. Stattdessen kommen mir die schrecklichen Bilder von damals in den Sinn, als ich mich das erste Mal für einen Jungen interessierte … und dieser sich für mich. Es war so schön und so süß. Verboten süß. Und es verwandelte sich in ein brutales Desaster.

Ausgerechnet in dem Moment, als mir der Bursche einen schüchternen Kuss stahl, wurden wir von meinen Brüdern erwischt und zu meinem Vater gezerrt. Nie werde ich den eiskalten Hass vergessen, mit dem sie ihn behandelt haben. Während sie mich festhielten, hat mein Vater dem armen Dorfjungen eine Lektion erteilt und ihm beigebracht, dass er die Finger von den Frauen der Sippe zu lassen hat.

Die Bilder haben sich tief in meiner Seele eingebrannt. Von den harten, lieblosen Händen meiner eigenen Brüder daran gehindert, etwas zu unternehmen, musste ich zusehen, wie mein Vater diesen liebenswerten Burschen fast totgeprügelt hat. Selbst als ihm Blut aus Nase, Mund und Ohren lief und er wimmernd am Boden lag, hat er noch weiter zugetreten. Und dabei hat er am Ende mich angestarrt und ich wusste, dass ich schuld an all dem Leid war, das angerichtet wurde.

»Und jetzt mach dich für die nächste Nummer fertig«, fährt er mich an und reißt mich aus der unschönen Erinnerung.

Ich schlucke den Kloß im Hals hinunter und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, woran ich gedacht habe. »Wo sind meine Brüder?«, wage ich zu fragen. Normalerweise wäre es unentschuldbar, bei unseren Darbietungen zu fehlen. Das Wenige, was wir noch einnehmen, reicht kaum, um die Sippe zu ernähren. Ohne die drei Söhne meines Vaters sind all die Vorführungen noch weniger geeignet, den Dörflern das Geld aus der Tasche zu ziehen.

»Das hat dich nicht zu interessieren«, herrscht er mich an. »Du wirst doch wohl auch ohne sie wissen, was du zu tun hast, du nichtsnutziges Ding. Wann zeigst du endlich die nötige Dankbarkeit, dass man dich nicht im ausblutenden Körper deiner Mutter hat sterben lassen?«

Bevor ich überhaupt antworten könnte - nicht, dass ich es wagen würde -, dreht er sich auch schon von mir weg. Ich habe nicht darum gebeten geboren zu werden, würde ich ihm gerne entgegenschleudern. Nicht zum ersten Mal bereue ich, dass man mich nicht im Körper meiner Mutter mit ihr hat sterben lassen. Aber ich habe keine andere Wahl, als mit meinem Leben zurechtzukommen. Selbst wenn es mir oft wie die Hölle auf Erden vorkommt.

Ich eile zwischen den Schaustellerwagen hindurch zu den Tierkäfigen. Wir haben nur noch einen alten Bären und zwei noch ältere, zottelige Hunde. Die Bärennummer fällt heute aus, weil das Tier seit Tagen kaum noch frisst und ziemlich schwach auf den Pfoten ist. Mir schwant, dass er nicht mehr lange durchhält.

Wie erwartet ist Miljenko, mein ältester Bruder, nicht da. Stattdessen hat Mateo die Hunde an der Leine. Der halbe Roma ist noch viel älter als Hunde und Bär zusammen. Und so sieht er auch aus. Falls er jemals eine ansehnliche Gestalt war, sind diese Tage lange vergangen. Selbst meine Urgroßmutter wirkt neben ihm geradezu jugendlich frisch, auch wenn sie nicht mehr gut zu Fuß ist, während er sich mit krummem Rücken noch immer weiter voran schleppt.

Ich weiß, dass diese Nummer, genauso wie die Messerwerfer-Darbietung, von meinen Brüdern lebt. Miljenko ist - wie Franjo - gut darin, das Publikum zu blenden. Mit mir als schmückendem Beiwerk, um die Zuschauer abzulenken, gelingt es ihm trotz des Alters der Hunde noch oft, die Nummer gefährlich wirken zu lassen. Ohne die Ausstrahlung und das Geschick meiner Brüder, wirkt alles blass und farblos.

Die Hunde sind größer als die üblichen Hofhunde, die jeder Dörfler kennt. Einst sah man sie an und konnte glauben, dass sie wilde Wölfe sind, die nur von der harten Hand eines erfahrenen Mannes bezähmt werden können. Heute fällt es schwer, sie als wilde Bestien und sogar übernatürliche Höllenhunde zu sehen. Sie wirken so alt und zahnlos, wie der Mann, der sie führt. Der Zauber ist verflogen.

Außerdem kennen die Leute hier die Nummer schon. Es ist noch kein Jahr her, dass wir diese Route genommen haben. Normalerweise würde die Sippe versuchen, nicht so bald wieder die gleiche Gegend zu durchqueren. Doch das Gebiet, in dem wir uns frei bewegen können, wird immer kleiner. Größere Sippen reiner Roma dulden uns nicht dort, wo sie herumreisen. Sie haben vielleicht nicht die Kuriositäten, für die meine Sippe einmal berühmt war, aber sie sind zahlreicher und ihre Tricks sind unterhaltsamer als zahnlose Hunde, bärtige Frauen und ein müder, alter Bär.

Im Grunde ist es nur noch die Magie meiner Familie, die den Dörflern etwas Geld aus den Taschen lockt. Und diese Magie beherrscht allein meine Urgroßmutter, die mit jedem vergehenden Monat schwächer wird. Es scheint alles … aussichtslos.

»Los, Mädchen«, reißt mich Mateo aus meinen Gedanken. Die beiden Hunde lecken an meinen Händen, schauen mich aus trüben Augen an und wedeln freudig. Sie sind freundlich. Das waren sie schon immer. Miljenko hat sie trainiert und wenn wir den Wagenkreis betreten, verwandeln sie sich auf sein Kommando in wilde Bestien. Doch selbst unter seiner Führung sind sie nicht mehr überzeugend. Selbst mit dem Pülverchen, das sie für kurze Zeit wach und wild erscheinen lässt und ihnen den Schaum auf die Lefzen treibt, wirken sie alt und schwach.

Die Zeiten, in denen sie das Publikum erschrecken konnten, sind vorbei. Nur Miljenko schafft es noch eben so, das Märchen vom Mädchen, das von den wilden Bestien bedrängt und bedroht wird, irgendwie glaubhaft zu machen. Nur bei ihm erscheint es noch fast so, als würden die Hunde wirklich über mich herfallen, sodass dem Publikum wenigstens kurz der Atem stockt. Ich bezweifele, dass es heute so sein wird …

An meiner Kleidung brauche ich nichts zu verändern. Das Oberteil ist schon genug zerrissen. Tief atme ich durch und falle in meine Rolle. Meinen Rock in den Händen wirbele ich auf nackten Füßen herum. Sofort fangen die Hunde hinter mir an zu bellen, zerren an der Leine und wollen mir hinterher. Es ist für sie ein Spiel.

Obwohl sie nicht mehr stark sind, kann sie Mateo kaum halten. Um Hilfe rufend laufe ich durch die Wagenreihen. Ich weiß, dass die Menschen im Kreisinneren aufhorchen und lauschen, was jetzt passiert. Diejenigen, die diese Darbietung noch nicht kennen, sind vielleicht sogar gespannt.

Immer lauter rufe ich, springe über Eimer, rase auf den größeren Spalt zwischen den Wagen zu, der als Zugang zum Wagenkreis dient. Ein Sprung über den Strohballen, der genau für meinen Auftritt dort liegt und - wie einstudiert - bleibe ich hängen und lande im Staub vor den Füßen der Zuschauer. Ich versuche mich aufzurappeln, komme fast hoch, gerate jedoch wieder ins Straucheln. Einer der Hunde jault laut auf - ich hasse es, das zu hören, weil ich genau weiß, dass ihm in dem Moment wehgetan wurde. Es ist allerdings auch das Zeichen, dass die Tiere von der Leine gelassen wurden. Ich höre sie näher kommen, versuche erfolglos, mich ein weiteres Mal aufzurappeln, und sehe, wie die Menschen in meiner Nähe zurückweichen. Es wirkt. Sie glauben es.

Knurrend setzen die Hunde über den Strohballen und sind über mir. Stunde um Stunde habe ich im Staub verbracht, um mit ihnen so zu spielen, dass es von außen wie ein Kampf aussieht. Damit die Dörfler wirklich denken, dass ich von den beiden Tieren angegriffen und gepackt werde. Dabei ist keinerlei Druck von ihren wenigen Zähnen auf meiner Haut zu spüren. Nur an meiner Kleidung zerren sie herum.

Aber das weiß niemand. Ich liege unter ihnen und meine Schreie erschüttern die Zuschauer. Es ist einer der Momente, wo ich nicht ruhig sein muss. All meine Wut, all meine Frustration packe ich hinein und schreie es mir von der Seele. Zusammen mit dem Reißen meiner Bluse und meines Rocks ist die Illusion für einen kostbaren Moment eine Wirklichkeit für das Publikum. Die bösen Wölfe reißen das arme Mädchen. Nackte Haut blitzt auf, wie die Männer sie sonst nicht zu sehen bekommen würden. Geifer spritzt herum und meine Schreie werden immer verzweifelter.

Das ist der Moment, in dem Miljenko auf den Plan treten würde. Mit Geschick und Erfahrung würde er die Hunde ablenken, auseinandertreiben und bezwingen, um ihnen die Leinen anzulegen. Währenddessen würde ich nach Atem ringend daliegen und den Kerlen unter den Zuschauern gestatten, sich an dem sattzusehen, was sie nicht haben können. Die Frauen hingegen … weiden sich am Anblick meines Bruders, der es schon lange genießt, seinen durchtrainierten Oberkörper dabei herumzuzeigen. Er liebt es, den strahlenden Helden zu geben.

Doch heute ist es der alte Mateo, der um den Strohballen herum schlurft und rufend versucht, die Hunde abzulenken. Mühsam schleppt er sich herbei und bemüht sich, die Tiere unter Kontrolle zu bringen. Immer wieder entwischt ihm einer der Hunde, sodass ich mein Geschrei und meine Gegenwehr einstellen muss, um die Tiere nicht mehr anzustacheln. Der ganze Zauber der Darbietung zerfällt und niemand ist mehr gebannt vom Geschehen. Die Frauen knuffen ihre Männer, die mich begaffen. Die Männer murren über die verpasste Gelegenheit und geben dem schlechten Schauspiel die Schuld an ihrem Unmut.

Endlich gelingt es Mateo die Hunde anzuleinen. Er übergibt die beiden an herbeigeeilte Helfer. Dann wendet er sich mir zu und hilft mir schwerfällig auf. Normalerweise würde mich mein Bruder mit Leichtigkeit hochheben und auf seinen Armen davontragen. In solchen Momenten hört man die Seufzer der Mädchen und Frauen und sieht die neidischen Blicke der Kerle. Jetzt ist nur Unmut zu vernehmen und die Blicke sind abfällig.

Nach zwei so furchtbaren Darbietungen können wir uns in diesem Dorf eine lange Zeit nicht mehr blicken lassen. Und das nur, weil meine Brüder sonst wo sind. Trotzdem wird man gewiss mir die Schuld geben. Ich bin das Mädchen, das Unglück bringt. Der übernatürliche Schrecken, der meine Mutter umgebracht hat, verschonte mich. Ich bin die Tochter einer Roma und eines Außenseiters. Und ich sehe aus, wie keine andere mit Romablut. Ich mag in ihrer Mitte geboren worden sein, aber die Umstände dieser Geburt und mein verdammtes Aussehen machen mich zur Fremden.

Ich bin eine Frau und mehr Gadscho - Nicht-Roma - als selbst diejenigen in dieser Sippe, die gar kein Romablut in sich tragen. Ich habe etwas überlebt, was niemand überleben sollte. Kein Tag vergeht, an dem man mich nicht spüren lässt, dass ich und ich allein an jedem Unglück die Schuld trage. Nur die schützende Hand meiner Urgroßmutter hält alle anderen davon ab, ihre Wut an mir auszulassen. Und diese Hand wird mit jedem Tag schwächer.

Die Wut über das, was nicht mein Fehler war und mir trotzdem angekreidet wird, bekomme ich sofort zu spüren, als wir den Wagenkreis hinter uns gelassen haben. Mein Vater kommt direkt auf mich zu. Sein Gesicht ist vor Zorn gerötet. Die Männer und Frauen in unserer Nähe weichen ihm aus. Als er mich erreicht, schnellt seine Hand vor und er packt mich am Hals. Vor sich herschiebend drängt er mich rückwärts gegen einen der Wagen.

»Was war das für eine beschissene Nummer? Das hat dir doch keiner abgenommen. Du bist wirklich zu nichts zu gebrauchen! Warum füttere ich dich noch weiter durch?«

Unverhohlen schlägt mir sein Hass entgegen. Er schließt seine Hand unnachgiebig um meinen Hals und drückt zu. Fest. Meine Hände schnellen an seinen Arm, versuchen ihn wegzuzerren, doch habe ich ihm nichts entgegenzusetzen. Meine Lungen fangen an zu brennen und Tränen lassen meinen Blick verschwimmen. Angst überfällt mich. Ich weiß nicht warum, aber ich will nicht sterben. Etwas in mir … will leben!

Fester drücke ich gegen seinen Arm an, stemme mich mit den Füßen in den Boden. Aber ich bin zwischen dem Wagen und seinen starken Fingern eingeschlossen. Mein Blick verschwimmt immer mehr und doch sehe ich die Menschen aus unserer Sippe um uns herumstehen. Keiner tut etwas. Keiner hilft mir. Keinen schert es, was hier gerade passiert. Unbeteiligte Gesichter, die mich stumm anstarren, drehen sich im Kreis, während die Schwärze am Rand meines Blickfelds zu nagen beginnt.

Meine Gegenwehr erlahmt. Wäre es denn so schlimm zu sterben? Was für ein Leben habe ich schon hier? Ich werde nur umhergeschubst, bin an allem schuld und bis auf meine Urgroßmutter würde mir keiner eine Träne nachweinen. Nicht meine Brüder und auch nicht mein eigener Vater.

Langsam lasse ich meine Hände sinken. Der helle Funke des Widerstandswillens in mir wird schwächer. Ich hätte ohnehin sterben sollen, als meine Mutter der Bestie zum Opfer fiel. Wenn es nun endet, habe ich es wenigstens überstanden …

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Die Bestie

 

 

 

 

Mondmetall brennt. Kugeln stecken in Schulter, Bauch und Bein. Ringe aus Silber liegen um Gelenke. Hände zerren an den Ketten.

Menschlinge reden. Plappern munter, scherzen aufgeregt, höhnen und hämen.

Die Wut kocht. Wunden heilen, doch was Silber verletzt, heilt nur langsam. Schwäche ist überall. Die Kraft, die hilflosen Menschen zu strafen für ihren Frevel … Sie fehlt.

Müdigkeit und Schwäche machen Glieder schwer. Menschlinge zerren voran. Die Stimme im Geist regt sich. Menschengedanken mengen sich unter den reinen Wolfsinstinkt. Die Nacht vergeht, der Mond verschwindet, doch … die Wutgestalt bleibt!

›Was geschieht?‹, fragt der Menschengeist, der unseren Körper teilt.

Eine Frage, die keine Antwort kennt. Silber schwächt uns. Denken liegt uns nicht. Wut bewirkt nichts gegen Silberwunden und Silberketten. Das Ende muss nah sein …

›Nein!‹, begehrt der andere Geist auf. ›Sie nehmen uns gefangen. Du musst dich losreißen. Kämpf. Flieh!‹

Doch es ist zu spät für den Kampf. Die Gelegenheit zur Flucht ist vergangen. Es bleibt nur das Warten. Auf eine Gelegenheit oder … das Ende.

 

~~~

 

Der Wolf in mir winselt stumm und es ist, als würde er sich zusammenrollen und … einfach aufgeben. Kein Kampfeswille bleibt. Nur Schmerz von der Berührung dessen, was ich nur dank seines Instinkts als Silber erkenne.

Seine Kontrolle über den Körper, der von seinem Geist erfüllt in die verwandelte Schreckensform gezwungen bleibt, weicht. Nie zuvor habe ich das erlebt. Wenn der volle Mond am Himmel steht, ist seine Zeit. Wenn Gefahr droht, übernimmt er die Kontrolle. Wenn es gilt zu kämpfen oder zu jagen, bin ich zur Untätigkeit verdammt in einem Körper, der mir fremd ist, obwohl er in gewisser Weise auch mir gehört.

Doch die plötzliche Kontrolle über die gewaltige, unglaubliche starke Gestalt, in der ich mich wiederfinde, ist nutzlos. Ich fühle den Schmerz und weiß kaum damit umzugehen. Nur die irrsinnige Pein der Verwandlung in diese Form ist ansatzweise damit zu vergleichen.

Die Metallfesseln an den Gelenken von Händen und Füßen brennen wie flüssiges Eisen. Die Wunden von den Pistolen pochen dumpf und stechen dabei auch gleichzeitig, wie in dem Moment, als die Kugeln in den Körper eindrangen. Das Leid ist nervenzerfetzend. Und dennoch bleibt mir ein Rest der geistigen Klarheit.

Mit den Augen der grotesken, aufrecht laufenden Wolfsgestalt sehe ich mich um. Vier Männer umringen uns. Sie sind von Aufmachung und Aussehen her dem fahrenden Volk zugehörig. Zigeuner. Und sie zeigen keine Furcht vor dem, was ich in Vollmondnächten ohne mein Zutun und auch gegen meinen Willen zu werden gezwungen bin, seit mir die ersten Barthaare sprossen.

»Ich dachte, meine letzte Stunde hat geschlagen«, spricht einer von ihnen.

Ich erinnere mich, wie nah er dem Tod kam. Wären da nicht die Waffen, die offenbar aus Silber sind, wäre er zerfetzt und zerfleischt worden, wie die Beute der Vollmondjagden, die der Wolf unternimmt, wenn er die Kontrolle über meinen Körper erlangt.

»Wir hätten auf deine Dummheit angestoßen«, gibt ein anderer zurück, den der fremdartig tierhafte Instinkt in mir als Anführer erkennt.

»Und was hätte ich davon gehabt, Miljenko?«, schnaubt der Erste.

»Ruhm?«, schlägt ein Dritter vor. »Die Gewissheit, die Sippe aus der Scheiße gezogen zu haben?«

»Ganz großartig …«, murmelt der Erste und schnaubt. »Ich genieße das lieber atmend und lebendig.«

»Sei froh, dass dich die Bestie nicht verletzt hat«, brummt der Letzte. »Du weißt, dass wir dir dann die Kehle durchgeschnitten und deine Leiche verbrannt hätten.«

»Keiner wird verletzt werden und sich in so ein Monster verwandeln, Franjo«, schnappt der Miljenko genannte. »Hör endlich auf, dir in die Hose zu scheißen, und freu dich mal.«

»Ich freue mich, wenn wir das Ding da im Käfig haben und die ersten Silberstücke reinkommen, wie du es dir ausmalst«, grollt der Bursche namens Franjo. »Bis dein toller Plan wirklich aufgeht, bin ich vorsichtig.«

»Dieser Fang wird uns nicht nur Silber einbringen, sondern auch Gold«, behauptet der Anführer Miljenko im Brustton der Überzeugung. »Die Dummköpfe werden übereinander kriechen, um einen echten Werwolf zu sehen. Sie werden uns jeden Preis zahlen, um zuzusehen, wie wir die Bestie vor Schmerz zum Brüllen bringen.«

»Falls uns das Vieh nicht eingeht«, wirft der Bursche ein, der direkt vor mir stand und beinahe durch die Klauen des Wolfs sein Ende gefunden hätte. »Wenn es noch schwächer wird, müssen wir es hinter uns her schleifen.«

»Du hast keine Ahnung von Werwölfen«, gibt der bislang schweigsame Vierte mürrisch zurück. »Wir hingegen …«

»Viljo!«, zischt der Anführer warnend.

»Was?!«, lautet die wütende Antwort. »Wenn wir ihn schon mitschleppen auf diese Jagd, kann er auch wissen, dass wir unsere Erfahrungen haben. Jeder aus der Sippe kennt die Geschichte von damals. Tu nicht so, als wäre es ein unaussprechliches Geheimnis.«

Obwohl mich die Schmerzen fast um den Verstand bringen, bin ich auf die Unterhaltung konzentriert. Nur so kann ich erfahren, was passiert. Und daher entgeht mir auch nicht, dass hier etwas zwischen Dreien aus der Bande vor sich geht, von dem der Vierte ausgeschlossen ist.

Wovon auch immer sie sprechen, die Wolfssinne verraten mir ebenso, wie mein eigenes, menschliches Gefühl, dass hier Dinge ungesagt bleiben. Was es genau ist, vermag ich nicht auszumachen. Aber ich bemerke die verschwörerischen Blicke. Dumm nur, dass mir Wissen in meiner Lage nichts einbringen wird …

Ohne einen Ausweg stolpere ich weiter dahin, wo mich die Ketten hinzerren. Auch wenn ich mich weigere aufzugeben, kann ich nichts unternehmen, solange die Silberfesseln mir die Kraft aus den Gliedern saugen und mich mit entsetzlichen Schmerzen quälen.

Noch einmal richte ich meine Aufmerksamkeit ins Innere und auf das Fremde in mir, das schon seit meiner Geburt ein Teil von mir ist. Etwas wie dies hier, wo wir beide zur gleichen Zeit bei vollem Bewusstsein sind und auch Gewalt über den Körper haben, der uns gegeben ist, habe ich noch nie erlebt. Die Bestie will sich nicht rühren, aber … sie schläft auch nicht, wie wenn ich meine menschliche Gestalt habe.

›Was … tun wir?‹, will ich wissen. Und dabei denke ich zum ersten Mal wirklich von ihm und mir als einem Wesen.

›Warten‹, bescheidet er.

›Worauf?‹

›Auf den Tod‹, knurrt er. Ich will schnauben und ihn einen Feigling heißen, aber er ist noch nicht fertig. ›Oder auf eine Gelegenheit. Bis dahin … Kräfte sparen.‹

Das … ergibt einen gewissen Sinn, wie ich zugeben muss. Und was bleibt mir sonst? Ich könnte versuchen, mit den Zigeunern zu reden. Doch ich weiß, wie es klingt, wenn Worte aus der Wolfskehle durch die Wolfsschnauze der Schreckensgestalt dringen. Es mag sich zum Drohen oder Einschüchtern eignen, aber nicht für Verhandlungen.

Und diese Burschen werden so oder so nicht zuhören. Was sie planen, weiß ich nun. Wenn das Silber uns nicht umbringt, bedeutet das, es mag sich eine Gelegenheit ergeben, zu fliehen.

Irgendwann …

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Ljljana

 

 

 

 

Schwärze umhüllt mich. Wie ein Mantel legt sie sich über mich. Egal, wo ich mich auch hindrehe, ich sehe nichts, als Dunkelheit um mich herum. Unter meinen nackten Füßen ist Leere und doch falle ich nicht.

Ein Geräusch lässt mich aufhorchen. Ein hoher, metallischer Ton. Langsam gehe ich darauf zu. Immer noch ist alles dunkel, nur der Laut weist mir den Weg. Es hört sich an, als ob ein Gegenstand auf Metall geschlagen wird. Je näher ich komme, desto durchdringender ist es.

Irgendwann sehe ich einen Flecken Helligkeit. Licht, das durch ein Butzenfenster fällt. Milchig und kaum ausleuchtend. Aber es reicht, dass ich vor mir einen Stahlkäfig erkennen kann. Abrupt hört das Geräusch auf.

Ich gehe näher heran und erkenne Gitterstäbe auf allen Seiten. Sogar der Boden besteht aus dicken Metallstangen. In der Mitte eine Gestalt. Ein … Mensch? Zusammengekauert liegt er dort. Rührt sich nicht und ich denke schon, dass er tot ist, bis ich sehe, wie sich seine Schulter ganz leicht hebt und senkt.

›Wer bist du?‹, versuche ich die Stille und Dunkelheit zu durchbrechen, doch kein Ton verlässt meinen Mund. Noch einmal probiere ich es aus. ›Hallo? Geht es dir gut?‹ Wieder hört man meine Stimme nicht.

Ich trete an die Gitterstäbe heran und umfasse sie mit meinen Händen. Meine Finger berühren kaltes Metall. Ich versuche daran zu rütteln, aber es rührt sich kein Stück, obwohl es so aussieht, als ob die Metallteile nicht miteinander verbunden sind.

Immer noch liegt die Gestalt reglos im Käfig. Langsam gehe ich herum, versuche immer wieder erfolglos, wenigstens einen Ton herauszubringen. Ich bleibe dort stehen, wo sein Kopf in seinen Armen vergraben ist. Schnell habe ich erkannt, dass es sich um einen Mann handelt. Nackt liegt er dort auf dem Boden. Ich kann schwer erkennen, wie groß oder alt er ist. Aber vom Körperbau scheint er meinem ältesten Bruder Miljenko zu ähneln. Muskulös und doch sehr drahtig. Verstrubbelte, schwarze Haare lugen zwischen den Armen hervor. Sein Rücken hebt und senkt sich schneller und seine Muskeln an den Armen zucken immer wieder. Er scheint zu … träumen.

Ich gehe in die Hocke und strecke die Arme durch die Gitterstäbe. Er liegt jedoch viel zu weit entfernt, als dass ich ihn erreichen könnte. ›Wach auf!‹, versuche ich zu rufen. Es ist frustrierend, dass ich mich nicht verständigen kann. Und erreichen kann ich ihn auch nicht. Sein Körper fängt immer mehr an zu zucken. Er windet sich, schmeißt sich auf den Rücken. Sein ganzer Körper krampft und jeder Muskel ist bis aufs Äußerste gespannt.

›Nun wach schon auf! Los!‹, rufe ich immer und immer wieder. Ich fange an, auf die Stäbe auf dem Boden zu hämmern. Fester und fester schlage ich zu. Bis es wehtut. Bis auf den Stangen Blut zu sehen ist, das von meinen Händen stammt. Und doch höre ich nicht auf.

Stumm schreiend und nutzlos schlagend versuche ich, irgendetwas zu verändern. Vor Verzweiflung rinnen mir Tränen über die Wange. Verschwommen sehe ich, wie seine Arme und Beine länger und dicker werden; wie auf seinem Körper überall Haare sprießen; wie sein Kopf sich verformt. Sein Mund ist weit aufgerissen. Stumme Schreie, die nicht gehört werden können.

Er fängt an sich hin und herzuwerfen. Sein ganzer Körper verändert sich. Seine Gliedmaßen sehen immer grotesker aus. Er muss unglaubliche Schmerzen haben. Gefangen von diesem Schauspiel höre ich auf zu hämmern und starre ihn an. Sein ganzer Körper ist von schwarzem Fell überzogen und wird immer größer und massiger. Seine Kopfform wird tierhafter. Beinahe wie ein …

Gütige Göttin!

Er schießt nach vorn, knallt gegen die Gitterstäbe und ich falle zurück auf meinen Hintern. Seine Krallen kratzen über das Eisen und verursachen ein lautes Kreischen, das in den Ohren schmerzt.

Ich schlage meine Hände auf die Ohren. ›Hör auf!‹, brülle ich ihn an. Doch wie zuvor bleibe ich stumm. Einzig die Krallen auf dem Stahl sind zu hören. Sein massiger Körper wirft sich gegen die Stäbe, doch sie geben keinen Deut nach. Er will raus. Aber er ist in diesem Käfig gefangen. Seine Kraft reicht nicht aus.

Ich weiche zurück und stoße gegen einen Widerstand. Panisch reiße ich den Kopf herum. Stäbe. Gitterstäbe. Ich bin ebenfalls gefangen. Genauso wie diese Bestie!

Ein Geräusch lässt mich nach vorn schauen. Der Käfig, in dem die Kreatur gesperrt ist … er ist näher. Viel näher. Als er seine Klaue nach mir ausstreckt, beobachte ich mit Entsetzen, wie er beinahe meinen Fuß berührt.

Mir schnürt es die Kehle zu und ich schüttele den Kopf. ›Nicht!‹, bitte ich stumm.

Er hebt seinen Kopf und starrt mich an. Diese Augen …

Es sind nicht die Augen eines Tiers, obwohl sie im Kopf einer Bestie sitzen. Sie sind blau. Durchdringend. Dieser Blick, mit dem er mich fixiert, ist fast … menschlich!

Ich fühle eine scharfe Kralle über meinen Fuß kratzen, aber ich kann mich von seinem Blick nicht lösen. Mein Herz schlägt wild in meiner Brust.

»Tu mir bitte nichts …«, flehe ich und diesmal kann ich mich selbst hören. Doch dann legt sich Schwärze um mich, umschlingt meine Kehle und droht mich zu ersticken.

 

Keuchend fahre ich hoch, fasse mir an den Hals und blicke in trübe Augen.

»Ganz ruhig, Kind«, beschwichtigt mich die Stimme meiner Urgroßmutter und sie drückt mich bestimmt auf das Bett zurück. »Du kannst von Glück sagen, dass dich dein Taugenichts von Vater zu mir gebracht hat. Du darfst ihn nicht reizen.« Sie fährt mit einem feuchten Tuch über mein verschwitztes Gesicht. »Du musst besser auf dich achtgeben, Kind. Mein Schutz wird bald nicht mehr da sein.«

Dass ich mal wieder nicht schuld bin und dass ich eigentlich aufgegeben hatte, sage ich ihr nicht. Dafür ist mein Traum … meine Vision noch viel zu präsent. Diese bedrückende Stimmung und die Angst lasten noch viel zu sehr auf mir. »Ich habe ihn gesehen«, sage ich leise und mit rauer Stimme.

»Wen hast du gesehen?« Neugierig beugt sie sich über mich. Tiefe Furchen durchziehen ihr Gesicht und mit müden Augen mustert sie mich.

»Die Bestie.«

Ihr Blick verdüstert sich und die Lippen werden schmal. »Was genau hast du gesehen?«

Mein Blick schweift in die Ferne, versucht die Bilder der Kreatur, die im Käfig in dem dunklen Nichts gefangen war, festzuhalten. »Alles war dunkel, bis ich ein Geräusch hörte und darauf zuging. Ein Mann lag in der Mitte eines … Käfigs.« Ich sehe meine Urgroßmutter an. »Der Käfig bestand aus dicken Metallstäben. Sonst war da nichts. Nur er lag darin.«

»Wie sah er aus? Wer war er?«

»Ich konnte ihn nicht richtig erkennen. Er hatte sich zusammengerollt und schien zu schlafen. Er war sicher im Alter von Miljenko. Und dann … Mit einem Mal fing er an zu zucken und sich zu winden. Er schien von Krämpfen und Schmerzen geplagt. Sein Körper veränderte sich …«

»Er wandelte sich? Von Mann zu Wolf?«

»Nein«, ich schüttele den Kopf. Ich habe zwar noch nie selbst miterlebt, wie ein Mann zu einem Wolf wird, aber ich kenne Wölfe und dieser sah ganz und gar nicht nach einem aus. »Er hatte noch die Größe eines Mannes und am ganzen Körper bildete sich Fell. Mit seinen langen Klauen berührte er mich. Er war viel größer als ein Wolf.« Meine Großmutter atmet scharf ein. »Ich habe ihn in der Gestalt gesehen, in der er meine Mutter getötet hat.«, setze ich leise nach.

Wie oft hat mein Vater mir erzählt, wie der Mannwolf, den meine Sippe aus Mitgefühl und Hilfsbereitschaft in ihre Mitte aufgenommen hatte, meine Mutter zerfetzte, während sie mich unter ihrem Herzen trug. Wie er im Blutrausch ihre Kehle zerbiss, obwohl sie es war, die ihn versorgte, so wie ich es heute bei den Tieren tue. Ich habe nie zuvor im Traum gesehen, wie es geschehen ist, obwohl meine Träume mir immer mehr zeigen, seit ich von meiner Großmutter die Wahrsagerei lerne. Nie zuvor habe ich eine Vision davon gehabt, aber die Schilderungen meines Vaters haben sich tief in mein Gedächtnis gegraben. Es ist, als ob ich dabei gewesen wäre …

Was ich ja auch war. Nur dass ich mich als Ungeborenes im Leib meiner Mutter befand. Ich reiße mich von den bildhaften Beschreibungen los und lasse meinen Gedanken wieder zu der Vision wandern. »Sein schwarzes Fell war so dunkel wie die Finsternis um uns herum.«

»Schwarz?« Die Hand meiner Großmutter schließt sich fest um meinen Arm.

»Ja.« Ihre Hand an meinem Arm erinnert mich an die Berührung des Mannwolfs. Sie ist fest, hart, fast schon bedrohlich. »Von ihm berührt zu werden … fühlte sich so echt an, Nana. Eine Vision wie diese …«

»Ich denke nicht, dass es eine Vision war«, schneidet sie mir harsch das Wort ab. Ihre trüben Augen starren mich hart an. »Schon gar nicht von dem Mannwolf, der deine Mutter getötet hat. Du solltest die Bilder ganz schnell vergessen.«

»Aber Großmutter«, fahre ich auf und starre sie verwundert an. Sie ist es, die mich das Hellsehen lehrt und die Bilder, die ich sehe, deuten kann. Und jetzt soll ich sie vergessen? Die erste Vision, die nicht nur aus unzusammenhängenden, wirren Bildern bestand, sondern sich anfühlte, als ob ich wirklich dort gewesen sei, einfach nicht beachten?

Nein, das kann ich nicht. Ich fühle, dass ich etwas sehr Wichtiges gesehen habe. Schon allein bei der Vorstellung, es zu verdrängen, bildet sich ein Knoten in meiner Brust.

»Manchmal tut man gut daran, nicht alles zu ergründen, Liki«, ihre Stimme wird weicher und sie hält mir zittrig eine Tasse entgegen. »Trink. Das wird dich schnell wieder auf die Beine bringen. Und dann geh deine Aufgaben erledigen.«

Mühsam steht sie vom Bett auf und stützt sich schwer auf den Stock ab, während sie in den vorderen Teil des Wagens schlurft. Der Anblick ihrer gebeugten Gestalt lenkt mich von meinen Sorgen ab. Ihre Lebensenergie schwindet. Und mit ihr die Macht, die sie als Letzte der Sippe noch besitzt. Die Macht, die den Respekt erzeugt, der mich vor den Übergriffen meiner eigenen Familie schützt.

Seit Wochen ist sie nicht mehr alleine aus dem Wagen herausgekommen, den wir zu zweit bewohnen. Ihre Wahrsagerei hält sie mittlerweile in unserer Unterkunft ab, genauso wie den Verkauf ihrer Salben und Kräuter.

Der Geruch des dampfenden Tees steigt mir in die Nase. So vertraut und doch löst er heute widersprüchliche Gefühle in mir aus. Langsam schwinge ich die Beine aus dem Bett und setzte mich auf. Ein kleiner Schluck schmerzt in meiner Kehle und ich stelle die Tasse auf dem Nachtschrank ab. Mit den Fingern taste ich über die empfindliche Haut am Hals. Unter meinen Fingerkuppen spüre ich die geschwollenen Stellen, wo die Hand meines Vaters erbarmungslos zugedrückt hat.

Mein eigener Vater … wollte mich umbringen. Hass habe ich schon immer genug abbekommen, aber noch nie ist er so weit gegangen. Es muss noch schlimmer um die Sippe stehen, als ich mitbekomme, wenn er sich so vergisst.

Was ich allerdings nicht vergesse, obwohl ich nur knapp dem Tod entronnen bin, sind meine Pflichten. Am liebsten würde ich trocken auflachen, dass ich noch immer nicht an Flucht denke, oder der Drang noch immer nicht da ist, mir selbst das Leben zu nehmen. Seit dem Vorfall mit dem Dorfjungen weiß ich ganz genau, dass es dort draußen niemanden gibt, der mich vor meiner Familie beschützen könnte. Außer meiner Urgroßmutter gibt es keinen Menschen, der für mich einen Finger rühren würde. Immer öfter frage ich mich in letzter Zeit, was werden soll, wenn sie nicht mehr da ist.

Doch nach dieser Vision - egal, was Nana darüber sagt, ich weiß, dass es eine war - ist dieser Funke in meinem Inneren wieder voller Kraft. Da ist etwas, was mich all die Jahre hat weitermachen lassen. Ganz gleich, wie viel Demütigung und Erniedrigung ich aushalten muss, ein Teil von mir weigert sich aufzugeben. Dieses seltsam fremde, lebenshungrige und dickköpfige Etwas treibt mich auch jetzt an und ich stemme mich vom Bett hoch. Die Tiere, die ich versorgen muss, können nichts dafür, dass mein Leben ein Misthaufen ist oder die heutigen Darbietungen eine einzige Katastrophe waren.

Meine Urgroßmutter sitzt am Tisch und befüllt die Leinensäckchen mit Trockenkräutern, die sie an die Dörfler verkauft. Amulette mit Lederbändern liegen überall herum und Tiegel mit diversen Flüssigkeiten stehen daneben. Diese Glücksbringer und Zaubermittel sind im Moment das Einzige, was noch zuverlässig Geld und Nahrung für die Sippe einbringt.

---ENDE DER LESEPROBE---