Vampira - Folge 06 - Adrian Doyle - E-Book

Vampira - Folge 06 E-Book

Adrian Doyle

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Beschreibung

Es ist ein Weg in die Höhle des Löwen - vielleicht sogar ohne Wiederkehr. Als Lilith die Gefahr mit jeder Faser ihres Körpers spürt, weiß sie, dass sie zu weit gegangen ist. Doch da ist es bereits zu spät. Sie befindet sich in Landrus Gemächern unter der entweihten Kirche, dem Unterschlupf der Blutsippe, nur wenige Meter vom mächtigsten aller Vampire entfernt.

Noch ahnt er - im Liebesspiel mit einer Werwölfin gefangen - nichts von ihrer Anwesenheit. Doch wie lange noch...?

Dabei hat Lilith gerade erst eine Spur entdeckt, die es ihr ermöglicht, Landrus Pläne zu durchkreuzen. Die Spur des sagenumwobenen Lilienkelchs!

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Seitenzahl: 132

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Inhalt

Cover

Impressum

Was bisher geschah ...

Blutspur

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Lektorat: Michael Schönenbröcher

Titelbild: Koveck/Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-8387-1283-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Lilith Eden ist die Tochter eines Menschen und einer Vampirin, dazu gezeugt, eine geheimnisvolle Bestimmung zu erfüllen. 98 Jahre lag sie in einem Haus in Sydney, doch sie ist zu früh erwacht – die Zeit ist noch nicht reif. Für was, kann auch die Vision nicht klären, die sie von ihrer toten Mutter empfängt. Diese warnt sie vor feindlichen Vampiren, insbesondere vor einem gewissen Landru. Lilith müsse gegen die Blutsauger kämpfen, bis sie sich ihrer Bestimmung bewusst würde. Dabei hilft ihr ein Kleid, das seine Form beliebig ändern kann – ein Symbiont.

Lilith verlässt das Haus, das in einer Erdspalte versinkt, nachdem es den Menschen in seiner Umgebung die Lebensenergie geraubt hat.

Hora, das Oberhaupt der hiesigen Vampirsippe, und sein Sohn stellen Lilith – und werden von dem Symbionten getötet. Als die restliche Sippe sich zusammenrottet, kann Lilith in eine Kirche entkommt. Sie gerät in die Gewalt von Pater Lorrimer, der einen Exorzismus an ihr vornimmt. Der Priester-Aspirant Duncan Luther rettet sie – sowohl vor Lorrimer als auch vor den draußen lauernden Vampiren.

Der Police-Detective Warner ist auf einer heißen Spur. Er findet heraus, dass eine Serie von Genickbruch-Morden eine feste Tradition in Sydneys Historie hat. Doch als er Polizeichef Virgil Codd informiert, schickt der ihn zu einem ganz besonderen Einsatz: den Garten des versunkenen Hauses zu erkunden, der schon Dutzenden von Menschen zur Todesfalle wurde.

Duncan sucht mit Lilith Unterschlupf bei einer alten Freundin: Beth MacKinsey. Als Lilith erfährt, dass Beth an der Paddington-Sache arbeitet, bittet sie die Reporterin, sie begleiten zu dürfen. Dort aber wird Beth schon an der ersten Sperre abgewiesen, Lilith hingegen – dank Hypnose – durchgelassen! Sie betritt den Garten und spürt, dass sie, wenn sie weiterginge, von etwas gefangen würde, das schon sehnsüchtig auf sie wartet. Auf dem Rückzug sieht sie dann kurz einen alten Aboriginal-Schamanen.

Indes taucht Landru in Sydney auf. Er erfährt, wie Lilith unter der hiesigen Sippe gewütet hat, und macht Andeutungen über einen verlorenen Blutkelch, nach dem er seit langer Zeit sucht.

Beth befragt ihren eingeborenen Kontaktmann Esben Storm über die mysteriösen Vorgänge, erfährt aber nichts.

Lilith erkennt in Storm den geheimnisvollen Schamanen aus dem Garten. Allein sucht sie seinen Laden auf. Ohne viele Worte geht Storm in Lilith »auf die Reise«. Dann bietet er ihr an, sie auf Traumzeitpfaden in das versunkene Haus zu führen. Lilith erbittet sich Bedenkzeit und kehrt in Beth’ Wohnung zurück. Doch die Reporterin ist unterwegs zu einem Informanten aus Polizeikreisen, der ihr wertvolle Informationen über eine »Genickbruch-Totenliste« und die Geschehnisse in der Paddington Street liefert.

Landru spürt Lilith mittels des konservierten Schrumpfkopfs ihres Vaters auf. Und als sie erneut zu Esben Storm aufbricht, heftet der sich an ihre Fersen. Storm nimmt Lilith mit auf die Traumzeitreise. Sie betreten den Garten und entdecken eine große Anzahl Menschen, die die Früchte eines Apfelbaumes, der im Zentrum wächst, essen und danach verschwinden.

Das Grab von Liliths Mutter ist leer, das Haus hat seine Struktur völlig verändert, seit Lilith es verließ. Entsetzt bittet sie Storm, sie wieder zurückzubringen – aber er ist verschwunden. Das Haus will Lilith auch als reinen Astralkörper nicht mehr hergeben. Und schlimmer noch: Sie spürt, dass es auch ihren Körper holen will! Das geschieht genau in dem Moment, als Landru Lilith in seine Gewalt bringen will. Sie löst sich vor seinen Augen auf. Aus Rache zündet er den Laden des Aboriginals an.

Storms Astralleib kehrt zurück, ehe das Haus Lilith vollständig binden kann. Er kappt die »Nabelschnur« und Lilith wacht benommen in einer Gasse Sydneys auf.

Liliths Missmut gegen Storm ändert sich erst, als sie zu seinem Laden zurückkehrt und diesen abgebrannt vorfindet. Nun stellt sich natürlich die Frage, was aus dem Aboriginal geworden ist.

Der Vampir Habakuk, der Landru beeindrucken will, verfolgt Lilith in Gestalt einer Krähe. In einem Park besiegt Lilith ihn und presst mit Hilfe des Symbionten-Kleides wichtige Informationen aus ihm heraus.

Landru indes erhält Besuch einer geheimnisvollen alten Freundin: Nona, einer Werwölfin. Bevor Landru aber das Wiedersehen mit ihr feiern kann, erreicht Habakuks Todesimpuls die Sippe …

Blutspur

von Adrian Doyle

Die meisten Dorfbewohner schliefen noch, als Rani aufbrach, um die Scherben des Femegerichts einzusammeln. Sein Blut war der Schlüssel zum steinernen Obelisken in der Mitte des Dorfes.

Fünf weitere, identische Obelisken waren über die anderen Gebirgsdörfer verstreut. Und in jedem Ort gab es einen Jungen oder Mann wie Rani. Die grausame Aufgabe wurde von einer Generation auf die nächste vererbt. Vor Rani hatten schon sein Vater, Großvater und Urgroßvater dasselbe getan. Man konnte der Bestimmung nicht entgehen.

Als sein Vater vor einer Woche gestorben war, hatte Rani in dessen Rolle schlüpfen müssen. Er durfte nicht länger Kind sein.

Von nun an war er der Todesbote.

Wer die Scherben am Ende eines Monats aus dem Leib des Obelisken barg, so schrieb das Gesetz es vor, war selbst gefeit gegen die daraus erwachsenden Folgen. Dennoch konnte sich Rani über dieses Privileg nicht freuen. Auch sein Vater, der zeitlebens ein guter Mensch gewesen war, hatte unter der hohen Bürde seiner Aufgabe gelitten.

Das Grauen steckte im Detail.

Zwar war der Todesbote eines Ortes selbst immun gegen das Scherbengericht – aber es konnte jederzeit jemanden aus seiner Familie oder seinem Freundeskreis treffen!

Rani zitterte, als er die Hand in die kreisrunde Öffnung des Obelisken steckte. Mit diesem Loch hatte es auch eine merkwürdige Bewandtnis. Rani hatte gestern schon einmal versucht, die geballte Faust hineinzuschieben. Es war misslungen, obwohl die Hand seines Vaters viel größer als seine Kinderfaust gewesen war und all die Jahre mühelos hindurchgepasst hatte. Es war, als hätte sich das Blutschloss dem neuen Schlüssel angepasst. Nur Ranis geöffnete Hand fand ungehinderten Zugang, wenn er die Finger eng aneinanderlegte.

Das tat er. Als Erstgeborener hatte er seinen Vater schon früh auf seinem monatlichen Gang begleitet und ihm zusehen dürfen. Er wusste, worauf es ankam.

Der Schmerz war auszuhalten, als sich der Dorn im Innern des Obelisken in Ranis Fleisch bohrte. Als er gestern in der Öffnung forschte, war der Dorn nicht zu fühlen gewesen …

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sich das Steinmonument vor dem Jungen öffnete.

Rani war mit Magie aufgewachsen. Dennoch klopfte sein Herz bis zum Hals, als er sich über die freigelegte Höhlung beugte und die Tonscherben in den mitgebrachten Rucksack füllte.

Es waren fast so viele Scherben wie Einwohner – nur eine weniger. Der Todesbote durfte sich nicht am Femegericht beteiligen, aber von allen anderen versäumte es niemand, seine Wahl abzugeben.

Wie er es von seinem Vater gelernt hatte, warf Rani keinen Blick auf die Namen. Vom Auszählen ganz zu schweigen. Das brachte Unglück. In der Familie hielt sich hartnäckig die Überlieferung, dass es einmal einen Erstgeborenen gegeben hatte, der die Scherben vor Ablieferung in Augenschein genommen hatte, um den Namen des Verdammten vor allen anderen zu erfahren.

Er hatte den Namen seines Erstgeborenen gefunden, seines Lieblingssohnes.

Er sollte noch versucht haben, den Namen von den Scherben zu tilgen und gegen einen anderen auszutauschen. Als er aber von seinem langen Gang nach Hause zurückgekehrt war, musste er dennoch hören, dass sein Sohn vermisst wurde. Nach der Geburt seines nächsten Sohnes raffte es dessen Geschwister und die Mutter dahin. Der Vater starb, als sein Sohn alt genug war, sein Amt zu übernehmen. Bis heute wusste niemand, wie die ganze Familie gestorben war. Nur der nach dem Frevel geborene Sohn überlebte und gründete seinerseits eine neue Familie …

Solche Schreckgespenster hatten Rani von Kindesbeinen an geprägt.

Er wusste, dass er sich seiner Aufgabe nicht verweigern konnte, wollte er nicht Not und Verderben über seine Angehörigen bringen. Der Tod des Vaters war schlimm genug; weitere Familienmitglieder zu verlieren, hätte er nicht ertragen.

Als er alle Scherben verstaut hatte, schulterte er den Rucksack.

Der Obelisk schloss sich lautlos.

Die Sonne tastete über die Zinnen des höchsten Berggrats, als Rani aufbrach. Ein beschwerlicher Aufstieg stand ihm bevor. Wenn er davon heimkehrte, würde einer aus ihrer Mitte fehlen.

So war es immer gewesen.

Es war Gesetz.

Niemand wusste, was mit dem Opfer eines Scherbengerichts geschah. Noch nie war jemand zurückgekehrt, um Zeugnis darüber abzulegen …

Drei Wochen später, Sydney, Australien

Archie Sanders hasste Fisch.

Dennoch saß er frohgelaunt am Fenstertisch im »Doyle’s«. Vor ihm auf dem Teller lag eine krebsrote Languste, der er zwischenzeitlich alles gebrochen hatte, was es zu brechen gab. Um den ersten Bissen drückte er sich jedoch immer noch erfolgreich herum und spülte den Anblick der Chitinleiche lieber mit einem 1973er Dom Perrion hinunter.

Suzannes Gesellschaft entschädigte ihn für verpasste Gaumenfreuden.

Sie war eine Rassefrau, und dass sie ihn nach wochenlangem, vergeblichen Werben doch noch erhört hatte, war der vorläufige Höhepunkt eines ohnehin nicht gerade erfolgsarmen Tages. Einen hochdotierten Vertragsabschluss hatte Sanders als »Aufhänger« genommen, um Suzanne doch endlich zu einem Dinner ausführen zu dürfen. Sie hatte unter der akzeptablen Bedingung eingewilligt, das Lokal zu bestimmen. So waren sie im »Doyle’s« gelandet, einem auf allerlei Meeresgetier spezialisierten Gourmet-Tempel, den Sanders normalerweise links hätte liegen lassen.

Dennoch reute ihn der Besuch keine Sekunde.

Ein Vorzug des »Doyle’s« war der grandiose Ausblick auf das nächtliche Hafenpanorama mit der malerischen Watsons Bay. Einige der vor Anker liegenden Traumjachten waren bereits voll illuminiert. Ihre Lichter spiegelten sich wie funkelnde Edelsteine im majestätisch ruhigen Wasser, und über allem thronte ein Mond, wie er Sanders – und offenbar auch Suzanne – ihn in dieser Pracht selten begegnet war.

»Ich kriege eine Gänsehaut«, flüsterte seine Begleiterin und schüttelte sich schaudernd.

»Wegen mir?« Sanders hielt sein Glas zwischen sich und die bildhübsche Brünette, die sich sichtlich wohl in seiner Begleitung fühlte. Er wusste inzwischen, dass ein Restaurantbesuch im »Doyle’s« ganz oben auf der Liste ihrer Wünsche gestanden hatte. Von ihrem bescheidenen Gehalt hätte sie ihn sich aber vermutlich nie erfüllt. Sie schien mit beiden Füßen fest auf dem Boden zu stehen. Bei aller unübersehbaren Attraktivität also ein sehr häuslicher, sparsamer Typ Frau …

Sanders wusste nicht, wie lange er schon nach einer solchen Lebensgefährtin suchte. Er war kein »schneller Aufreißer«, auch wenn Suzanne dies vielleicht insgeheim von ihm denken mochte. In der Firma eilte ihm ein entsprechender Ruf voraus, ohne dass die Quelle solcher Verleumdung je zu lokalisieren gewesen war. Aber Neider gab es überall. Mittlerweile pfiff er darauf.

Wenn Sanders sich verstohlen an den anderen Tischen umsah, unterschied sich Suzanne wohltuend von den dort schlemmenden, klunkerbehängten Damen. Sie trug einen phantastisch schlichten und phantastisch engen Body, weite Jeans, die von einem schwarzen Gürtel gehalten wurden, und blaue Pumps.

Das war alles.

Vielleicht noch ein Höschen darunter – aber da war sich Sanders nach einigen eindeutig zweideutigen Bemerkungen nicht mehr hundertprozentig sicher. Zwei Gläser schweren, roten Weines hatten genügt, ihre Zunge zu lösen.

Einmal mehr bewahrheitete sich die alte Weisheit von den »stillen Wassern« und deren »Untiefen« …

»Wollen wir vor dem Nachtisch noch einen kleinen Spaziergang machen?«, schlug er vor. »Der Strand sieht enorm einladend aus diese Nacht.«

Sanders großes Plus war, dass er Enthusiasmus nicht vorspielte, sondern lebte. Er konnte andere mit wenigen Sätzen mit seiner Begeisterung für eine Sache anstecken. Besonders wenn er etwaigen Vorbehalten seiner Zielperson bereits mit flüssigen Argumenten zu Leibe gerückt war.

»Einverstanden!«

Suzanne lächelte etwas verschämt.

Sanders Herz machte einen Freudenhüpfer. Er signalisierte dem Ober ihre Pläne und zahlte vorsorglich, ehe sie aufbrachen.

Eine laue Nacht empfing sie.

Der Vollmond hing wie ein Gebirge am Firmament.

»Als ob er jeden Moment herabstürzen könnte«, wisperte Suzanne und schmiegte sich wie selbstverständlich in seinen Arm.

Gemeinsam gingen sie die Holzbohlentreppe hinunter. Das Restaurant war an den Hang gebaut. Keine Flut konnte es erreichen.

Aus den Dünen hörten sie anfangs noch hin und wieder Geräusche, die an heimliche Liebespärchen denken ließen. Aber mit jedem weiteren Schritt, den sie sich vom »Doyle’s« und den Parkplätzen entfernten, wurde es weniger.

Sie sprachen kaum.

Sanders genoss Suzannes Duft und die Wärme, die sie ausstrahlte. Ihre Sanftheit, die sich in jedem Wort und jeder zufälligen Berührung ausdrückte.

Es wurde ihm immer bewusster, dass er sie wirklich gern hatte.

Als sie plötzlich stehenblieb, fürchtete er bereits, sie wolle umkehren. Aber sie wies auf etwas, das nahe des Hangs dunkel im Mondlicht lag. »Was ist das?«

Er folgte ihrem ausgestreckten Arm. »Ein kleines Boot, leider vertäut.«

»Leider?« Sie zog ihn darauf zu.

»Sonst könnten wir eine kleine Fahrt unternehmen.«

»Ich war noch nie in der Dunkelheit auf See.«

»Ich auch nicht.«

Sie lachten.

Das Boot entpuppte sich im Näherkommen als bessere Nussschale. Suzanne schien darüber jedoch nicht enttäuscht.

Wieder blieb sie plötzlich stehen, nahm Sanders’ Wangen in beide Hände und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf den Mund. »Ich habe mich noch gar nicht für die Einladung bedankt.«

»Das ist auch nicht –«

Weiter kam er nicht. »Psst!« machte Suzanne und legte ihren Finger auf seine Lippen. »Ich schlage vor, wir nehmen die Nachspeise hier ein …«

Als er begriff, was sie meinte, durchlief es ihn heiß und kalt.

Sie ließ ihn nicht zum Denken kommen, sondern zog ihn an der Hand auf das Boot zu. Im Laufen entledigte sie sich akrobatisch ihrer Hose. Darunter kam ein String-Slip zum Vorschein, der ihre apfelrunden Pobacken enthüllte.

Sanders schluckte. »Sollen wir wirklich …?«

Er verstummte und hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Trottel!

»Nur, wenn es gegen keines deiner Gelübde, Prinzipien oder Vorsätze verstößt …«

Ihre Natürlichkeit selbst in dieser Situation war Medizin für seine Schüchternheit, die ihn selbst überraschte.

»Nein«, sagte er rau.

»Prima.« Sie begann, ihn auszuziehen. »Wenn dir kalt ist …«

Er schüttelte den Kopf. Während sie an ihm herumnestelte, konnte er sie nur ansehen. Sie hatte eine herrliche Pagenfrisur. Und zierliche Ohren.

Sanders stand auf Ohren.

Endlich waren sie beide nackt. Suzanne sank im Schatten des Bootes in den noch warmen Sand und zog Sanders mit sich.

Sie dirigierte ihn, und schon bald ging ihm auf, wie sie sich das Vorspiel zur Nachspeise vorstellte. Ihre Körper verschlangen sich zu einer mit etwas Phantasie erkennbaren Zahl.

69.

Sie vergaßen alles um sich herum.

Bis Suzanne aufschrie.

Sanders zuckte aus ihrem Schoß hoch. Zunächst glaubte er, etwas zu stürmisch vorgegangen zu sein, angeregt von ihren Bemühungen an ihm.

»Sorry, ich wollte nicht –«

Sie stieß ihn mit Beinen und Füßen von sich. Ein Tritt traf ihn so brutal gegen den Hals, dass ihm fast die Sinne schwanden.

»Bist du verrückt?«, protestierte er.

Sie schrie immer noch.

Sanders folgte ihrem Blick … und konnte nicht verhindern, dass auch ihm der Schrecken einen Schrei aus der Kehle trieb.

Etwas glomm vor ihnen in der Dunkelheit.

Augen?

Ein – Hund …?

Es war sein erster Gedanke. Damit, dass jemand, auch um diese Zeit noch, einen Strandspaziergang unternahm und seinen Vierbeiner von der Leine nahm, musste man rechnen. Er und Suzanne hatten kein Abonnement auf Frischluftabenteuer.

Er tätschelte beruhigend ihr Bein. »Kein Grund zur Sor-«

Das Knurren brachte ihn aus dem Konzept.

Es war kein Hundeknurren.

Es war …

»Schei-ßeeee! Vorsicht!«

Sein Schrei weckte Suzanne nicht aus ihrer Starre. Sanders wusste sich nicht anders zu helfen, als sich schützend über sie zu werfen. Fast gleichzeitig landete der Angreifer auf seinem Rücken. Krallen bohrten sich in sein Fleisch. Der Schmerz zuckte bis in seinen Hinterkopf.

Sanders brüllte etwas Unartikuliertes. Dann schnellte er herum. Kreatürliche Angst schnappte nach ihm. Er versuchte, den Wolf abzuschüttelnd, ehe dieser ihm ins Genick biss.

Den Wolf?

Er hätte mit niemandem darüber gestritten, aber er wusste plötzlich, dass ihn ein silbrig grauer Wolf attackierte. Kein Hund.

Sanders hörte förmlich, wie seine Haut überall dort, wo sich die scharfen Krallen eingruben, zerfetzt wurde. Er glaubte, den Geruch seines eigenen Blutes wahrzunehmen.

Suzannes gellender Schrei brach ab. Seltsamerweise ernüchterte ihn der Moment der Stille so weit, dass er neue Kräfte mobilisieren konnte. Irgendwie kam er auf die Beine. Blickte sich gehetzt nach allen Seiten um.

Das Tier war verschwunden.

Neben ihm wimmerte Suzanne. »Gütiger Gott, was war das?«