Vampira - Folge 25 - Adrian Doyle - E-Book

Vampira - Folge 25 E-Book

Adrian Doyle

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Beschreibung

DER EWIGE KRIEG - ausgetragen nicht nur zwischen Menschen und Vampiren, sondern auch von zwei der mächtigsten Blutsauger um ein äonenaltes Kleinod: den Lilienkelch. Nach 267 Jahren treffen sie wieder aufeinander: der Kelchhüter und die Diebin. Und der Ewige Krieg entflammt erneut. Er hat Konsequenzen auch für drei Tote, die im Irak mit geheimnisvollen Ausgrabungen begonnen haben. Was sie dort unter dem Wüstensand finden, wird die Geschicke von Menschen und Vampiren gleichermaßen bestimmen ...

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Seitenzahl: 149

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Ewige Krieg

Leserseite

Leserbild von Roger Szilagyi

Vorschau

Die ewige Chronik

Autorenporträt

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Lektorat: Michael Schönenbröcher

Titelbild: Royo/Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-8387-1775-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Ewige Krieg

von Adrian Doyle

Sydney, Gegenwart

»The Rocks« – im Jahre 1788 war hier das erste Sträflingscamp errichtet worden. Zweihundert Jahre später tummelte sich an gleicher Stelle ein buntes Völkchen, das sein Amüsement aus Pubs, Galerien, malerischen Geschäften, Restaurants und Museen zog. Besonderer Anziehungspunkt für Sydneysider und Touristen war ein Freilichtmuseum, in dem die Entwicklung vom einstigen Sammelbecken der Gescheiterten zur heutigen Weltstadt mit Flair dargestellt wurde.

Lilith nahm die liebevoll rekonstruierten Straßenszenen und den Hauch verruchter Vergangenheit nur beiläufig wahr. Sie hatte die Mauer überwunden und bewegte sich nun auf den Treffpunkt zu, den Felidae unmissverständlich beschrieben hatte.

An einigen Stellen gestatteten Lücken zwischen den historischen Häuserfronten den Blick zum offenen Meer. In der Sydney Cove dümpelten Vergnügungsschiffe. Von Old Sydney Inn wehte Gelächter herüber. Die Nacht war in weitem Umkreis nicht zum Schlafen da. Nur das Museum hatte um diese Zeit seine Pforten längst geschlossen – anderenfalls hätte Felidae es gewiss auch nicht als Verabredungsort gewählt.

Lilith bewegte sich rasch zwischen den Marktständen und Bäumen hindurch, die die gepflasterten Gassen säumten und noch enger machten. Anfangs überkam sie beim Anblick der künstlichen, in der Mode ihrer Epoche gekleideten Menschen vages Unbehagen. Aber das legte sich. Bald wurden die maskenhaft starren Gesichter zur Gewohnheit. Und bald tauchte auch jenes Gebäude am Ende der Straße auf, das Felidae genannt hatte.

Francis Greenway Building stand über dem Eingang. Dahinter wurden all die Dinge aufbewahrt, die nicht der Witterung ausgesetzt werden durften. Quasi ein Museum im Museum. Das Portal war normalerweise verschlossen, aber als Lilith die drei hinaufführenden Stufen erklommen hatte und die Hand ausstreckte, gab die Glastür sofort nach, schwang nach innen.

Lilith wusste, was es bedeutete. Felidae war bereits da und wartete auf sie.

Vor etwa sechzehn Stunden hatten sie sich zuletzt gegenübergestanden. So lange hatte Lilith Zeit gehabt, über das Angebot der Kelchdiebin nachzudenken.

Sie hatte sich entschieden.

Beth hatte recht behalten: Sie hatte die Entscheidung für sich selbst treffen müssen. Niemand konnte ihr dabei zuraten. Es ging um zu viel. Es ging um alles.

Im Dunkel hinter dem Portal entstand plötzlich ein Funke, der wie ein taumelndes Glühwürmchen vor Lilith herwanderte und ihr zweifellos als Wegweiser dienen sollte. Lilith konnte nicht erkennen, worum genau es sich dabei handelte. Aber sie zögerte nicht, sich ihm anzuvertrauen.

Riesige Räume öffneten sich vor ihr. In Vitrinen, auf Konsolen und an den Wänden standen oder hingen Kunstwerke zur Besichtigung: Bildhauereien, Schnitzereien, Malereien – auch einige wenige Aboriginalwerke. Traumzeit-Reminiszenzen …

Lilith schauderte gerade bei ihrer Betrachtung. Aber sie vertiefte das Gefühl nicht. Sie war zu sehr darauf fixiert, was geschehen würde.

Vergangenes war nur noch von untergeordneter Bedeutung. Hier war es konserviert. Hier atmete alles die Bestätigung von Vergänglichkeit.

Lilith war gekommen, die Zukunft zu gewinnen.

Ihre Zukunft.

Von den Ängsten und berechtigten Zweifeln ließ sie sich nicht mehr abhalten. Sie glaubte erkannt zu haben, dass sie nur dann eine Perspektive hatte, wenn sie sich endlich dem Schicksal stellte, das von vornherein für sie vorgesehen war.

Felidae war auch nur ein Handlanger jener Macht, die Creanna damals in der Abtei von Beinn Dearg mit ihrem »Kuss« versehen hatte, ihrem Abdruck. Demselben unsichtbaren Mal, das auch Sean Lancaster getragen hatte.

Diese beiden hatten Lilith gezeugt.

Von Anfang an war beschlossen worden, sie hundert Jahre im Haus in der Paddington Street schlafend und träumend ihre Bestimmung erfahren zu lassen. Dies war gescheitert – um zwei lächerliche Jahre nur.

Nun war Felidae gekommen, um das Versäumte zu korrigieren. Um das fehlende Wissen in Lilith aufzufüllen.

Sie musste es tun! Selbst wennsie sich dadurch charakterlich oder wie auch immer veränderte … es war ihre Bestimmung!

So wie sie jetzt war – ein Produkt ihrer Selbstzweifel und auf der Suche nach sich selbst –, konnte sie nicht weitermachen. Zufälle hatten ihr einzelne Mosaiksteinchen um die Zusammenhänge ihrer Existenz in die Hände gespielt. Zufällig hatte sie vom Lilienkelch und seiner Bedeutung erfahren. Die Magie des HAUSES (Kelchmagie, wie es den Anschein hatte) hatte tröpfchenweise über Jeff Warner einige Einblicke und Hinweise gewährt.

Aber all dies würde nie genügen, Liliths Bewusstsein in einem Maße zu öffnen, wie Felidae es ihr angeboten hatte.

Ihre BESTIMMUNG würde alles Abstrakte, alles Vage und Hypothetische verlieren. Sie würde künftig ganz gezielt darauf hinarbeiten können …!

Der Funke erlosch plötzlich vor ihr.

Lilith fand sich in einer Umgebung, die mit den Wachsnachbildungen historisch bedeutsamer Personen bereichert war, ansonsten aber echte Kostbarkeiten hinter dicken Panzerglasscheiben ausstellte.

Es musste Alarmvorrichtungen geben. Aber Felidaes Magie war offensichtlich stark genug, sie zu überlisten.

Und dann entdeckte Liliths durch das Dunkel schweifender Blick etwas, das typisch für Felidaes Aberwitz und Sarkasmus zu sein schien:

Auf einem Sockel, nicht einmal von einer gläsernen Hülle gesichert, stand ein Objekt, das für Unbedarfte wie das normale Trinkgefäß eines eigenwilligen Künstlers aussehen mochte.

Aber es war mehr.

Es war – der Lilienkelch.

Mit einem leisen, kargen Lachen trat Felidae hinter dem Kelch hervor. Sie tat es, als böten Sockel und Kelch tatsächlich genügend Deckung, sie zu verbergen – aber dem war nicht so. Nicht real.

Felidae spielte mit der Wirklichkeit. Mit Liliths Sinneswahrnehmung. Und es geschah – wie alles, was sie tat – nicht spontan, sondern sehr auf Liliths labile Beeinflussbarkeit gezielt.

»Willkommen«, sagte sie.

Felidaes sparsame Gestik verblüffte. Sie schien sich vollkommen zu kontrollieren und der Situation zu unterwerfen.

Sie sah aus wie eine amazonenhafte Kriegerin. Das offenbar unverzichtbare Riemengeflecht schirrte ihre überquellende Weiblichkeit, aber darüber hinaus gab es weitere Details preis. Weitere »Accessoires«.

Felidae ähnelte irgendwie einem gefallenen Engel. Aus ihrer Schulterpartie wuchs eine flügelartige Konstruktion aus einem metallisch stumpfen Material, bei dem sich nicht ersehen ließ, ob es auch Bestandteil des Symbionten oder aufgesetzt war. Die Ränder dieser facettenartig überlappenden Flügelstreifen sahen rasiermesserscharf aus, und es bedurfte nicht allzu viel Phantasie, um darin Bestandteile einer verwegenen Rüstung zu erkennen. Felidaes Handrücken waren zudem mit schimmernden Metallplättchen im selben matten Ton überspannt, die den Fingerwölbungen folgten und deren einzelne Glieder den Eindruck erweckten, als könnten sie bei Bedarf mühelos über die Länge der Finger hinausspringen, um ebenfalls als Waffe eingesetzt zu werden.

Eine Vampirin bedurfte solcher Zusätze eigentlich nicht. In der Metamorphose wuchsen die eigenen Hände zu mörderischen Klauen.

Lilith fragte sich, ob Felidaes »Will-kommen« wirklich ausdrückte, was in ihr selbst gerade vorging und was sie durchmachte.

Wollte sie kommen – oder tat sie es einfach aus dem Fehlen einer Alternative heraus?

»Lassen wir alles, was unnütze Zeit kostet, beiseite«, sagte Lilith entschlossen. »Fangen wir an … geht das?«

»Natürlich«, erwiderte die Kriegerin in der Rüstung. »Ich bin ohnehin kein Freund langer Worte!«

Das mochte stimmen oder nicht. Lilith war es gleichgültig. Sie hielt die Spannung, die sich ihrer bemächtigt hatte, nicht mehr aus. Sie war jetzt zu dem bitteren Gang bereit, aber sie wünschte, er läge schon hinter ihr.

»Was muss ich tun?«

»Erst muss ich etwas tun«, sagte Felidae. »Du kannst nichts falsch machen. Ich werde dich behutsam führen.«

»Dann fang an.«

»Komm näher!«

Lilith nahm alles in Kauf. Vielleicht wollte Felidae ihr wieder »die Hand auflegen« – vielleicht griff ihr Symbiont erneut nach dem ihren …

Was spielte es für eine Rolle, wie es geschah? Sie hatte achtundneunzig Jahre lang Träume für Realität gehalten. Es gab nichts, was zweifelsfrei belegte, dass sie nicht immer noch träumte.

Felidae würde sie aus diesem unwirklichen Zustand herausstoßen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde es ein unsanfter Akt werden.

Aber sie wollte es auf sich nehmen.

Felidae dirigierte sie zu dem Sockel mit dem Lilienkelch. Sie selbst stellte sich genau gegenüber, sodass das Gefäß zwischen ihnen stand.

Wenige Worte einer fremdartigen und aufwühlenden Sprache genügten, den Kelch zu aktivieren, das Dunkel durch eine andere Qualität von Finsternis abzulösen.

Der Kelch strahlte. Er erlangte plötzlich ein Gewicht und eine Bedeutung, die man ihm Augenblicke zuvor noch nicht angesehen hatte. Aus welchem Material er einst geschaffen worden war, ließ sich auch aus der Nähe nicht erkennen. Sicher schien nur, dass die Nachbildung eines Lilienblütenkelchs nicht aus einem Stück, sondern aus unzähligen Teilchen geschaffen worden war.

Von wem? Wer hatte diesem Gegenstand jenen Atem eingehaucht, der es erlaubte, unschuldige Menschenkinder in blutsaugende Bestien zu verwandeln?

Und warum?

Vampire behaupteten, seit Anbeginn der Menschheit neben den Menschen zu wandeln, sie zu knechten und zu leiten.

Wer gab ihnen die Macht dazu? Wer setzte sich damit gegen jene andere Kraft durch, die dem Menschen selbst Glauben machte, er sei die Krone der Schöpfung?

Ich werde alles erfahren, dachte Lilith. Ich muss es erfahren. Sie hätte es nicht ertragen, wenn vermeintlicher Erkenntnis doch wieder nur neue Fragen und Zweifel gefolgt wären.

Bitte, flehten ihre Augen Felidae an, beeile dich! Ich kann nicht länger warten!

Sie sah, was die Katzenhafte tat, die Frau im Riemenkleid, die vor langer Zeit den Kelch, hinter dem Landru mit solcher Vehemenz herjagte, gestohlen hatte.

Landru …

Einen Moment glaubte Lilith seinen Atem im Nacken zu spüren. Aber das war unsinnig. Felidae hätte diesen Ort nicht gewählt, wenn er nicht sicher gewesen wäre.

Blut floss! Vor Liliths Augen ritzte Felidae sich an der Kante ihrer seltsamen Flügel mit überkreuzten Armen gleichzeitig beide Handgelenke auf und hielt sie danach über die Kelchöffnung.

Vampirblut tropfte hinein.

In diesem Moment und obwohl sie keinen bewussten Gedanken daran verschwendet hatte, wurde Lilith erstmals klar, was der Unterschied zwischen Felidaes und ihrem Symbionten war: Ihr Mimikrykleid nährte sich von schwarzem Vampirblut. Felidae war eine reinrassige Vampirin. Nährte sich ihr Symbiont deshalb nicht zwangsläufig von Menschenblut? Wäre es anders gewesen, hätte er sich der beständigen Versuchung ausgesetzt gesehen, sich an seiner eigenen Wirtin zu verköstigen …

Selbst dieses Rätsel verblasste jedoch sofort wieder in Anbetracht des Geschehens. Des Rituals, das Felidae schlicht und mit unübersehbarer Konsequenz durchführte.

Lilith sah, wie sich der Grund des unheiligen Kelchs mit Flüssigkeit überzog, kurz darauf schlossen sich Felidaes selbst zugefügte Wunden wieder.

Ihr Blick wurde fordernd. Er sagte, was Lilith zu tun hatte.

Sie verweigerte sich auch jetzt nicht, obwohl es vielleicht die letzte Gelegenheit gewesen wäre, weiterzumachen wie bisher. Mühsam Krümel um Krümel nach Erkenntnis zu suchen. Die Bestimmung so zu interpretieren wie bisher: TÖTE VAMPIRE!

Aber Creanna hatte nie Felidaes Weitblick besessen. Nie ihre Erfahrung.

Eigentlich war es leicht, sich zu entscheiden.

Eigentlich war es unmöglich …

Lilith beugte sich vor. Ihre Finger berührten die Außenschale des Kelchs. Fremde Zungen, unsichtbar und wohl nur in ihrer Einbildung existent, leckten über die Innenflächen ihrer Hände. Das Verlangen, loszulassen, wurde von der Gier nach einer Sinngebung für ihr Leben überstimmt.

Lilith hob den Kelch vom Sockel.

Er war federleicht. Und zentnerschwer.

Welche Erkenntnis tranken Kinder daraus, ehe sie zu verderbten Geschöpfen entarteten?

Sollte sie es wirklich wagen?

JA!

Sie hob den Kelch an die Lippen.

Über seinen Rand hinweg sah sie Felidae, die wartete. Scheinbar geduldig. Aber der Schwefel ihrer Augen weckte Zweifel daran.

Änderte es etwas?

Nein!

Lilith wischte die letzten Zweifel beiseite, wie ein Patient, der vor einer lebenswichtigen Operation über die möglichen Risiken aufgeklärt wurde – und der einwilligt, weil diese Operation seine einzige Hoffnung ist.

Entschlossen öffnete Lilith die Lippen und hob den Lilienkelch.

Dann wartete sie auf das herausrinnende Blut der Erleuchtung.

Felidae:

Es ist so weit.

Was hätte ich getan, wäre sie nicht gekommen?

Ihre Stärke habe ich gelesen im Tagebuch ihrer Seele. Ich bin froh, dass sie sich besann. Sie muss es aus sich selbst heraus wollen. Sie ist der Schlüssel zu allem.

Sie sieht mich prüfend an, während der Kelch bereits an ihren Lippen hängt.

Ich sehe keinen Zweifel.

Ich spüre mein Blut, das ich gab, noch immer, als ränne es durch meine Adern.

Ich spüre auch, als Lilith den Kelch neigt und es ihrer Kehle entgegenfließt.

Es ist so weit.

Dieses irregeleitete, anmutige Geschöpf wird nie wieder ein Opfer verschmähen und am Leben lassen …

Irak, Uruk

Gegenwart

Sie waren immer noch zu dritt.

Drei, die von den Einheimischen wie Narren begafft und von den Archäologen in der Nähe milde belächelt wurden.

Sie mussten nicht im geheimen arbeiten. Sie besaßen die offizielle Genehmigung der örtlichen Präfektur – dennoch verrichteten zwei von ihnen ihre Schufterei vornehmlich von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang.

Nachts.

Duncan Luther grub auch bei Tage.

Er war auch der einzige, der ab und zu einen Happen zu sich nahm oder sein Schwitzen durch das literweise Trinken von Wasser ausglich.

Damit war er der Exot des Trios. Und er war nicht einmal unfroh darüber. Denn die anderen beiden waren tot.

Mausetot.

Paul Kravetz war als erster hier eingetroffen und hatte den Signalberg, der wie ein hingewürfelter Klotz aus der wüstenhaften Umgebung aufragte, erklommen.

Duncan war nicht sehr viel später hinzugestoßen, und dann, als Dritter im Bunde, war George Romano aufgetaucht. Er hatte die meisten Devisen mitgebracht. Er hatte auch das größte Vermögen zu Lebzeiten besessen.

Davon zehrten sie.

Ein Großteil war zur Beschaffung des Arbeitsgeräts und für die Bestechung des Beamten im nahen Ort draufgegangen. Vom Rest finanzierten sie Duncans Nahrung.

Romano und Kravetz schliefen tagsüber im Innern des Felsens. Dort gab es eine kühle Nische, in einer Höhle, die ein Geheimnis barg.

Wie der Sand, in dem sie wühlten.

Sie waren keine Dienerkreaturen. Sie benötigten kein Blut, um den Keim eines Vampirs zu nähren – jedenfalls hatte Duncan noch nichts dergleichen bemerkt. Was ihre Körper vor Verwesung schützte, ließ sich nicht feststellen. Aber immer, wenn sie abends aus ihrem Versteck krochen, wirkten sie ausgeruht und gestärkt. Auch konnten sie durchaus Sonnenlicht ertragen; es schwächte sie nur derart, dass sie zu der schweren körperlichen Arbeit nicht fähig waren. Dienerkreaturen dagegen wären unter den Strahlen der Sonne zu Staub zerfallen …

Duncan selbst schlief in einem kleinen Zelt. Nach Einbruch der Dunkelheit zog er sich dorthin zurück und legte Decken um sich, damit ihn nicht fror. Selten begleitete ihn einer der anderen. In dieser Nacht jedoch bewegte sich plötzlich das Tuch vor dem Eingang, und Romano kroch auf allen vieren herein.

Duncan schlief noch nicht. Eine Petroleumlampe warf Schatten von Gegenständen gegen die spitz zusammenlaufenden Stoffbahnen des Zelts. Die Schatten der Menschen vermochte sie nicht abzubilden. Köpfe, die Hände, alles, was nur von nackter Haut ummantelt war, schien für die Helligkeit nicht zu existieren.

Auch Duncans Schattenriss blieb aus. Darüber kam er nicht hinweg, denn noch immer klammerte er sich an etwas, das ebenso offensichtlich, ebenso nachprüfbar war: Sein Herz schlug, sein Körper war warm, er fühlte Schmerz, er hatte einen Stoffwechsel …

Wie konnte er da tot sein?

Er hatte noch mit niemandem darüber geredet. Mit Lilith, ja. Aber das war gewesen, bevor ihm Spiegelbild und Schatten abhanden gekommen waren!1)

Romano räusperte sich. Es machte die Situation nicht wirklicher. Romano war, was Duncans Problem anging, gewissermaßen Experte.

»Was ist?«, fragte er ihn.

»Wir haben etwas freigelegt«, sagte der fünfzigjährige, ehemalige Arzt.

Duncan blickte ihn forschend an. Er fragte nicht: Jetzt schon? Es gab keinen Ablauf- oder Zeitplan. Sie waren hierher ins biblische Zweistromland gekommen, jeder für sich von einer unstillbaren Sehnsucht getrieben. Sie wussten nie im Voraus, was sie taten. Darin unterschieden Duncan und die Toten sich nicht. In einem aber wohl: Sie schienen sich mit ihrem Ableben abgefunden zu haben …

»Habt ihr?«

Romano bezog es auf seine Nachricht. »Loverboy stieß darauf«, sagte er, ohne besondere Betonung.

Duncan hatte eine Zeitlang gebraucht, um zu akzeptieren, dass Tote auf eine schwer nachvollziehbare Weise über Humor verfügen konnten. Humor der schwärzesten Sorte. Romano nannte Kravetz, seit er kurz mit ihm gesprochen hatte, »Loverboy«. Kravetz war ein Callboy gewesen, eine männliche Hure aus Sydney. Der gemeinsame Nenner, auf den sie alle drei zu bringen waren, hieß Lilith. Die Halbvampirin hatte irgendwann den Weg eines jeden von ihnen gekreuzt und ihr Blut getrunken. Deshalb waren sie jetzt hier.

»Was ist es?«

»Sieh es dir an.«

Duncans Körper verselbständigte sich. An Romano vorbei kroch er ins Freie.

Romano folgte.

Es war kalt und finster. Die Sternenpracht am Himmel vermochte das Dunkel nicht wirklich zu besiegen.

Duncan wusste, dass Kravetz und Romano damit keine Schwierigkeiten hatten. Er aber brauchte eine Lampe, um unter diesen Bedingungen etwas ausfindig zu machen oder gar zu bewerten.

Die Lampe brannte bereits.

Aber zunächst sah Duncan nur einen aus der Grube dringenden Schimmer.

Es war nicht leicht, hier zu graben. Der Sand war auch Meter unter der Oberfläche noch trocken und rieselte unentwegt nach. Man musste sehr großflächig graben, um überhaupt eine vernünftige Tiefe zu schaffen.

Das hatten sie getan.

Das Loch sah aus wie ein Krater. Eine provisorische, aus Holzbrettern gezimmerte Treppe führte hinab.

Unten stand Kravetz. Er arbeitete wie die mechanische Kopie eines Menschen: stumm und präzise, ermüdungsfrei. Neben ihm hing, an einem in den Boden gerammten Pfahl befestigt, eine Laterne.

Sie haben sie nur für mich angezündet, dachte Duncan, von so viel Entgegenkommen fast beschämt. Er ließ Romano den Vortritt, folgte ihm aber dichtauf.

Als sie neben Kravetz anlangten, suchte Duncan zunächst vergeblich nach etwas, das Romanos Behauptung bewiesen hätte. Erst als Kravetz stumm beiseite trat, sah er den geglätteten Stein, eine Art Fundament oder Plattform, vom Sand verschlungen.

Duncan bückte sich und sah, womit Kravetz beschäftigt gewesen war. Er hatte eines der Enden, den Rand der Fläche, lokalisiert und dort weiter gegraben. Wenige Zentimeter darunter war er auf das nächste feste Hindernis gestoßen.

Zu dritt schaufelten sie weiter.

»Eine Treppe«, sagte Romano, nachdem sie zwei vollständige Stufen freigelegt hatten. »Beginn oder Ende einer Treppe …«

»Der Beginn«, sagte Duncan.

Kravetz erwiderte nichts.

Bis zum Morgengrauen hatten sie zehn weitere Stufen vom Sand der Zeit befreit. Kein Ehrgeiz vermochte den Selbsterhaltungsinstinkt der Toten auszuschalten. Als die Sonne aufging, ließen sie Duncan stereotyp allein wie jeden Tag und verschwanden im Signalberg.

Duncan unternahm keinen Versuch, sie zum Weitermachen zu überreden. Er setzte die Schufterei allein fort. Eine große, das Loch überspannende Plane spendete ihm Schatten und verbarg das Fehlen eines eigenen.

Am späten Vormittag entdeckte er erstmals Runen an den Seitenwänden, die dem Treppenverlauf folgten …

Sydney