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Mutig, entschlossen und mit beispiellosem Einsatz kämpfte Simon Weil zeit ihres Lebens für eine bessere Welt. Dabei stellte sie die leidvolle Erfahrung der Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen in den Mittelpunkt ihres Engagements. Überraschenderweise steht Weils Vision zur Lösung der sozialen Frage in engem Verhältnis zu Gott. Dabei geht es ihr aber keinesfalls um ein Aufgeben des Weltlichen im Glauben. Die Ordensschwester Britta Müller-Schauenburg beschreibt Weils Haltung in ihrem Vorwort vielmehr als einen "geistlichen Umgang" mit "geistlosen Routinen": Fremdbestimmtheit und Sinnlosigkeitsempfindungen, die sich wie die soziale Ungerechtigkeit bis heute weiter ausbreiten. Weils Texte, die jetzt endlich auf Deutsch vorliegen, legen davon ein eindrucksvolles Zeugnis ab.
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Ebook Edition
Simone Weil
Von der Schwierigkeit,den Kopf zum Himmel zu heben
Mit Vorbemerkungen von Britta Müller-Schauenburg
Aus dem Französischen von Tabea A. Rotter
German Translation Copyrights © 2023 by Westend Verlag GmbH
Die Originaltexte Expérience de la vie d’usine und Condition première d’un travail non servile sind 1942 unter dem Pseudonym Émile Novis erschienen.
Quelle der vorliegenden Übersetzung sind: Œuvres complètes, II, 2, S. 549–551, Gallimard 1988 / Œuvres complètes, VI, 3, S. 313–315, Gallimard 1994.
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ISBN: 978-3-98791-004-3
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2023
Umschlaggestaltung: Michaela Spohn Design
Satz: Publikations Atelier, Dreieich
Titel
Vorbemerkungen
Die soziale Frage
Vision heißt Sehen
Gebetsexperimente
Erfahrungen aus dem Fabrikalltag
Grundbedingungen einer nicht servilen Arbeit
Titel
Inhaltsverzeichnis
Menschliche Arbeit gehört zum Grundbestand einer menschlichen Welt. Wo immer man hinschaut, so unterschiedlich die Religionen, Schönheitsideale, Lebensmittel und Vergnügen sein mögen – überall geschieht es: »Strahlt die Sonne … geht der Mensch hinaus an sein Tagwerk, an seine Arbeit bis zum Abend« (Psalm 104). Und das ist auch religionsgeschichtlich nicht erst nach der Vertreibung aus dem Paradies so, wo Gott sprach: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.« Die Arbeit ist, folgt man der jüdisch-christlichen Tradition, schon im Paradies angesagt: Gott setzte den Menschen in den Garten Eden, »damit er ihn bebaue und hüte«. Sie verändert sich allerdings mit dem Sündenfall zu einer Medaille mit zwei Seiten: Denn ab sofort ist der bislang freie Mensch von ihr abhängig, das heißt, er wird im Verhältnis zu ihr unfrei, und er wird müde, denn sie ist anstrengend.
Wer bis hierher gelesen hat, hat das Altbekannte bereits hinter sich gebracht. In den beiden Texten, die vorliegend neu herausgegeben werden, verbindet zwar Simone Weil ebenfalls das Unglück der Fabrikarbeiter mit Religion. Aber sie tut es anders als der voranstehende Abschnitt. Sie geht den nächsten Schritt. Sie beginnt nicht bei Adam und Eva. Ihr Thema ist nicht die Spezies Mensch oder die Arbeit im Allgemeinen.
Trotz ihrer Verwurzelung im Denken Platons ist ihr das Allgemeine suspekt. Sie nimmt ihren Anfang am konkreten Tor »ihrer« Fabrik. An diesem Tor studiert sie die Augen der hinein- und hinausgehenden Arbeiter*innen, und nicht nur das: Sie geht in den Jahren 1934/35 selbst hinein zur Arbeit an der Maschine und erlebt, was dabei passiert. Notiert es in ihr Fabriktagebuch. Und denkt darüber nach. Daraus entstehen Briefe, theoretische und programmatische Texte. Die hier neu vorgelegten zählen darunter zu den aufregendsten.
Die Autorin Simone Weil wurde am 3. Februar 1909 geboren. Ihre Lebensgeschichte kann und muss hier nur kurz skizziert werden. Als zweites Kind jüdischer Abstammung wuchs sie in einem gebildeten und großbürgerlichen Umfeld auf. Ihr mathematisch hochbegabter Bruder vermittelte ihr das Gefühl eigener Mittelmäßigkeit und spornte sie zugleich in ihrer geistigen Entwicklung an. In der Schulzeit bereits mit exzellenten Kenntnissen von Literatur und sowohl modernen als auch klassischen Sprachen ausgestattet, studierte sie Philosophie. Zugleich begann ihr politisches Engagement und eine eigenwillige, kämpferische und zugleich radikal pazifistische Solidarität, wo immer sie Unterdrückung wahrnahm. Ihre erste Stelle trat sie als Lehrerin an in Le Puy, einer Kleinstadt in Südfrankreich, ein Jahr später kam sie nach Auxerre und nach wiederum einem Jahr nach Roanne. Sie lehrte wirkungsvoll, aber sie passte nicht in das System, und es zog sie in die Fabriken und in den Widerstand. Mit ihren Eltern auf der Flucht im nationalsozialistisch besetzten Frankreich gelangte sie 1940 nach Marseille und wartete dort auf die Weiterreise in die Vereinigten Staaten. Während dieser Zeit kam sie in Berührung mit dem Katholizismus und erfuhr so etwas wie eine mystische Bekehrung. In Marseille machte ein Freund sie mit Joseph-Marie Perrin bekannt, einem Dominikanerpater. Diesem überließ sie ihre Notizen 1942 vor der Überfahrt nach New York und weiter nach London, wo sie eine Weile für die französische Exilregierung tätig wurde, bis sie das nicht mehr überzeugte. Im April des folgenden Jahres wurde sie in ein Krankenhaus eingeliefert, geschwächt und ausgezehrt. Sie hatte seit ihrer Jugend an dauernden Kopfschmerzen gelitten und sich niemals geschont. In England hatte sie sich solidarisch auf die Nahrungsmenge begrenzt, die auch ihren Landsleuten in Frankreich zur Verfügung stand. Am Ende weigerte sie sich, überhaupt noch etwas zu sich zu nehmen. Sie starb schließlich am 24. August 1943 an Tuberkulose.
Zuerst bekannt wurden ihre religiösen Schriften. Perrin gab die ihm überlassenen Texte unter dem Titel Attente de Dieu heraus, und sein Freund Gustave Thibon die ihm in gleicher Weise überlassenen Notizen unter dem Titel La pesanteur et la grâce. Damit war die Mystikerin Simone Weil veröffentlicht. Doch erst die Publikation des Gesamtwerks machte die größere Breite ihres Spektrums sichtbar. Zu diesem Spektrum gehören, neben anderem, auch Lesenotizen zu Klassikern, eine Vielzahl technischer und mathematischer Überlegungen und die politische Philosophie.