Warum dieser Krieg? - Andreas Degkwitz - E-Book

Warum dieser Krieg? E-Book

Andreas Degkwitz

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Beschreibung

Sind Terrorangriffe, wie sie die Familie Semmering mit Morden, Entführungen und Bombenanschlägen erlebt hat, auch Kriege? Auch wenn wir dergleichen nicht immer als Krieg bezeichnen, handelt es sich dabei doch auch um Krieg mit den bekannten Folgen. Zugleich zeigt das Schicksal der Familie Semmering die Schwierigkeit, einerseits Lösungen für schwierige Konflikte ausfindig zu machen, andererseits Eskalationen erfolgreich entgegenzuwirken, zu denen schwierige Konflikte warum auch immer bis hin zu Kriegen führen.

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Inhaltsverzeichnis

PROLOG

ÜBERFALL

NIEDERLAGE

RACHE

EMPÖRUNG

EPILOG

PROLOG

Warum dieser Krieg? Zu Recht wird diese Frage oft gestellt. Lässt sich diese Frage überzeugend beantworten? Nein, das ist nicht möglich. Denn sich gegenseitig ums Leben zu bringen, führt allein zu Tod und Verderben und überzeugt schon deshalb nicht. Von daher darf Krieg niemals die einzige Lösung schwieriger Konflikte sein und ist es in der Tat auch nicht. Denn es gibt immer Lösungen, die tragfähig sind, ohne Menschenleben zu kosten wie im Krieg. Kriege finden nicht immer nur zwischen Ländern, Nationen und Völkern statt. Es gibt Aufstände, die kriegerisch sind, Bandenkriege, Bürgerkriege, Familienkriege u.a. Sind Terrorangriffe, wie sie die Familie Semmering mit Bombenanschlägen, Entführungen, Morden erlebt hat, auch Kriege? Auch wenn wir dergleichen nicht immer als Krieg bezeichnen, handelt es sich dabei doch auch um Krieg mit den bekannten Folgen. Zugleich zeigt das Schicksal der Familie Semmering die Schwierigkeit, einerseits Lösungen für schwierige Konflikte ausfindig zu machen, andererseits Eskalationen erfolgreich entgegenzuwirken, zu denen schwierige Konflikte warum auch immer bis hin zu Kriegen führen.

ÜBERFALL

Das Sommerfest, mit dem der Vorstandschef Florian Semmering seit zehn Jahren seine Familie, seine Vorstandskollegen und viele Bekannte und Freunde von nah und fern alljährlich an einem Sonnabend Mitte August beglückte, hatte Mitte der 2010er Jahre sein zehnjähriges Jubiläum und fand wie bisher immer auf der Terrasse seiner Villa statt, die von einem riesigen, parkähnlichen Garten mit Blumenbeeten, Laub- und Nadelbäumen und großen Wiesen umgeben war. Eine besondere Attraktion des Gartens war ein Teich, den sich Enten, Fische und Schwäne friedlich teilten. Die Villa stand auf einer leichten Anhöhe, von der aus abhängig von den Jahreszeiten sich die Schönheit des Gartens und seine Pracht betrachten ließen. Das Anwesen war in der Nähe eines Dorfes gelegen, das deutlich von der Stadt entfernt war; dort hatte die Firma ihren Sitz, deren Leitung sich in den Händen Florian Semmerings als Vorstandschef befand. Die Villa und der Garten um sie herum waren der Rückzugspunkt für Florian, um sich von seinen an Aufregung und Beanspruchung durchaus reichen Tagen zu erholen. Er stammte aus einer süddeutschen Unternehmerfamilie, deren Textilfirma allerdings wesentlich kleiner war als die Firma, die er leitete und der Automobilindustrie wichtige Komponenten für die Produktion von Fahrgestellen im In- und Ausland lieferte. Florian Semmering war hochgewachsen und gut gebaut, er spielte Tennis, segelte eine große Yacht und fuhr in den Alpen Ski; er machte einen ausgesprochen sportlichen Eindruck mit immerhin über fünfzig Jahren. Sein Haar war dünn geworden, aber noch blond. Seine blauen Augen leuchteten, wenn er sich freute und lachte. Eine weiche, tiefe Stimme verlieh ihm Sympathie, wenn er zufrieden mit sich war. Doch war er unzufrieden mit sich oder einem seiner Vorstandskollegen, konnte er auch laut und wütend werden. Er hatte einen Sohn, auf den zwei Schwestern folgten, nochmals einen Sohn und eine weitere Tochter – insgesamt fünf Kinder! Die Mutter seiner Kinder war eine hübsche, tüchtige Frau, die ihn in guten und schlechten Zeiten seiner Firma wie auch in Gesellschaft bestens zu begleiten und zu unterstützen verstand. Florian liebte seine Frau, die mütterlicherseits französischer Provenienz war und äußerst wohlklingend Florence hieß.

Die Sommerfeste der Semmerings waren bei denjenigen, die dazu geladen waren, äußerst beliebt und ein Höhepunkt im Verlauf des Sommers. Für die Mitglieder des Vorstands war es der Höhepunkt des Jahres. Denn zu keinem anderen Zeitpunkt bot sich ihnen die Gelegenheit, ihren Chef außerhalb des Tagesgeschäfts zu erleben und sich mit ihm auszutauschen. Da sie sich hervorragend von ihm geführt fühlten, wussten sie diese Gelegenheit einer zwanglosen Zusammenkunft mit ihm sehr zu schätzen. Hier konnten sie sich in einer angenehmen, friedvollen Atmosphäre in aller Ruhe mit ihm unterhalten und dabei auch auf Themen eingehen, die sie in der Firma oder im Vorstand nur ungern ansprachen. Hier auf der Terrasse seiner Villa war Semmering auch für Themen empfänglich, die zu Konflikten führen konnten. Nur einmal im Jahr bot sich diese Gelegenheit für die Vorstände – das war an Florians Sommerfest.

Doch war nicht nur der Firmenvorstand in Begleitung von Gemahlin oder Lebensgefährtin eingeladen; auch Florians Familie mit Ehegatten und Enkeln, sofern schon vorhanden, also alle Geschwister, gehörten zum Sommerfest. Alle Generationen der Semmeringschen Familie, soweit sie im Umfeld des Anwesens lebten, waren mit von der Partie. Mit großer Begeisterung nahmen Freunde und Bekannte von hier und dort teil und gaben unmissverständlich zu erkennen, dass Florian in der Gesellschaft bestens zu Hause war und ein hohes Maß an Anerkennung genoss, wie sie nicht viele Chefs von Firmenvorständen hatten – er war unbedingt eine Ausnahmeerscheinung.

Die Villa, die er mit Florence und den Kindern bewohnte, soweit sie noch nicht »aus dem Haus« waren, gründete auf einem alten Gehöft, das Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Landhaus umgebaut worden war – ein Herrensitz mit einem großen Vorderhaus und zwei kurzen Seitenflügeln, die früher Ställe waren und einen Hof bildeten, der auf der Seite gegenüber dem Vorderhaus zum Garten hin offen war. Jetzt gab es eine Terrasse mit Blick ins Grüne in den wundervollen Garten. Im rechten Seitenflügel befanden sich die Arbeitszimmer und Schlafgemächer der Eltern, im linken Flügel hatten die fünf Geschwister ihre Räume wie auch die Au-Pair-Girls, die den Semmeringkindern, ergänzend zu ihrem Sprachunterricht in der Schule Englisch, Französisch und Spanisch beibrachten. Das Vorderhaus hatte eine repräsentative Fassade und eine große, gerundete Treppe, die zu einer mit Schnitzereien versehenen Haustür aus Holz führte, um Gästen und Mitgliedern der Familie Einlass in einen großen Festsaal, einen kleineren Wohnraum, in ein Esszimmer nahe der Küche und einen kleinen Raum für Kaffee- und Teemahlzeiten zu bieten. In dem zuletzt genannten Raum traf die Familie auch abends zusammen: Florence und Florian vor dem Zu-Bett-Gehen zu einem Glas Wein oder für Beratungen und Gespräche, die Eltern und Kinder zu bewegenden oder wichtigen Themen dort miteinander führten. Ein schmiedeeisernes Tor war Eingang und Zufahrt zum Vorderhaus über einen Asphaltweg zu dem Rondell, das Gäste mit Auto zur Treppe brachte, und zu einem versteckten Parkplatz für die Autos der Familie und von Gästen; dort gab es auch einen Aufenthaltsraum für die Chauffeure, die Gäste zu den Festgesellschaften fuhren. Lange, mit Blumen geschmückte Tafeln und mit Blattgold verzierte Stühle wurden im Festsaal aufgebaut. Die Feste fanden mit großen und kleinen »Musikkompanien«, bisweilen mit Blas- oder Jazzkapellen, um zu tanzen, oder mit bewegenden oder erfreuenden Reden statt – zur Erbauung und zum Vergnügen der Eingeladenen. Geburtstagen der Familie, hohen Festtagen in Gesellschaft und Kirche, Geschäftsessen, Hauskonzerten und Vortragsveranstaltungen bot der Festsaal einen erhabenen, standesgemäßen Raum, der häufig in Anspruch genommen wurde. Mit dieser Kultur des Feierns und Festens stellte sich Florian in die Tradition seiner Familie, die dafür in deutlich kleinerem Rahmen stets etwas übrighatte. Aber noch mehr war Florence mit vornehmer Geselligkeit vertraut. Ihre Mutter und Großmutter hatten in der Umgebung von Toulouse ein Schloss mit Land- und Weingütern bewohnt. Für das gesamte Jahr existierte dort ein Festkalender, der die bisweilen etwas einsame und verlorene Gegend auf das Schönste belebte.

Das Semmeringsche Anwesen stand mit beiden Elternteilen in einer Tradition, die eine Kultur der Begegnung und des Zusammenhalts der Familie und vor allem die der Eltern mit weitreichenden Freundschaften prägte. Stets wurde bestens gegessen, vorzüglicher Wein getrunken, ernste, inspirierende, aber auch humorvolle Gespräche geführt und die großen und kleinen Gesellschaften mit Musik, Vorträgen, ja auch mit kleinen Kunstausstellungen bereichert. Dabei war keine Frage, dass dieser Lebensstil auch das Selbstverständnis der Semmerings repräsentierte, als wohlhabende Unternehmerfamilie für die Gesellschaft eine wichtige Rolle zu spielen und mit ansehnlichen Geldbeiträgen die kulturelle Entwicklung in der Region zu fördern. Mit Spenden für den Erhalt von Kirchen und Museen sowie zur Renovierung von Bibliotheken und Gemeindezentren hatte Florian Semmering sich und seiner Familie seit langem schon einen Namen gemacht.

Unübertroffen blieb das Sommerfest mit bis zu hundert Gästen: Eine Tafel mit drei Seiten über Eck mit Blick ins Freie wurde auf der Terrasse aufgebaut und mit weißen Tischdecken und Servietten aus Seidenbrokat, kristallenen Gläsern, Porzellangeschirr, Silberbesteck und vielen Blumengebinden gedeckt. Tische und Stühle wurden aus dem Veranstaltungsmobiliar der Firma besorgt und mit einem Möbelwagen zur Villa gebracht. Über die Tafel wurde, falls es regnete, eine lichtdurchlässige Plane gespannt. Der Tafel vorgelagert war ein Tanzparkett ausgelegt und die Technik der Band platziert, deren Musik die an der Tafel sitzenden wie die tanzenden Gäste beglückte. Ein reichhaltiges Buffet befand sich vor den beiden Seitenflügeln und ließ nichts zu wünschen übrig. Dafür sorgte ein Sternekoch, der das Sommerfest von Anbeginn mit seinem Catering begleitet hatte. Getränke wurden von professionellen Kellnern eingeschenkt; nie wurde an exzellenten Rot- und Weißweinen gespart.

Für Florian und Florence folgte das Sommerfest einem Ritual, das für andere Festivitäten nicht existierte; es bezog sich nicht nur auf den Ablauf der Veranstaltung, sondern auch auf ihre Vorbereitung. Auf die Einladung der Gäste, die ein Vierteljahr vor dem Ereignis erfolgte, auf den Umfang des Blumenschmucks, die Auswahl der Speisen und die Tischordnung wird hier nicht eingegangen. Doch der letzte prüfende Blick auf die gedeckte, aber noch nicht besetzte Tafel, auf die Anordnung des Buffets und die Tanzfläche sei aus Anlass des zehnten Sommerfestes hier angesprochen.

»Es ist heute das zehnjährige Jubiläum dieser Festivität«, äußerte Florian zwei Stunden vor dem Eintreffen der Gäste, die gegen 18:00 Uhr erwartet wurden, »wieder hast du an alles gedacht, was dieses Fest zum Höhepunkt macht, und mit der dir eigenen Sorgfalt vorbereitet. Dafür sei dir mit hohem Respekt mein inniger Dank gesagt.«

»Das mache ich doch sehr gern für dich, für unsere Familie und alle, die zu diesem Fest geladen sind«, antwortete Florence bewegt, »dabei weiß ich deine Unterstützung wie die der Kinder und der einen oder anderen Hilfe aus dem Dorf sehr zu schätzen.«

»Was mich besonders berührt«, sagte Florian, »ist die Freude, die dieses Sommerfest unseren Gästen bereitet und sie beglückt. Ein Erfolgsmodell ist dieses Sommerfest, bei dem es noch nie zu einer Panne oder im Nachgang zu Ärger oder Verdruss gekommen ist.«

»In der Tat ist es ein großes Glück, dass auf dem Sommerfest bisher noch nie etwas passierte, was uns böse überrascht hat«, bemerkte Florence, »das ist meine stets verborgene Sorge, auf die ich nicht weiter eingehen möchte. Vielmehr will ich mich mit dem Wunsch beruhigen, dass auch dieses Mal alles glücklich und wie geplant verläuft.«

»Das Glück des Sommerfestes ist wesentlich unser Glück, das uns nicht im Stich lassen wird«, antwortete er und nahm sie – zufrieden mit der Tafel und allen anderen Aufbauten – liebevoll in den Arm.