Männer ohne Wenn und Aber - Andreas Degkwitz - E-Book

Männer ohne Wenn und Aber E-Book

Andreas Degkwitz

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Beschreibung

Offenbar brauchen Männer welche Form von Besitz auch immer, den sie sich erkämpfen und weder abgeben noch aufgeben wollen. Andernfalls würden sie sich arm und nutzlos fühlen. Sind Männer zum Kampf bereit, sehen sie ihre Gegner allem Anschein nach in anderen Männern. Tatsächlich befindet sich ihr Gegner aber seltsamerweise bei ihnen selbst. Denn sie messen sich stets an ihrem Selbstanspruch und tragen zu dessen Erfüllung im Kampf mit anderen Männern bei. Anders lassen sich Männer nicht zufrieden stellen und empfinden sich weder als Gewinner noch können sie stolz über Siege sein, die sie zur Vermehrung von Besitz oder zur Abwehr von Verlust erringen. Dabei sehen sie sich oft allein im Mittelpunkt der Ereignisse stehen, da es ihnen schwerfällt, Siege, aber auch Niederlagen mit anderen Männern zu teilen. Männer sind meistens Einzelgänger: Oft ihre Stärke, manchmal aber auch eine Schwäche.

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Inhaltsverzeichnis

WERNER

FREUNDE

JASMIN

ZWEIFEL

KLÄRUNG

VERÄNDERUNG?

DINNER FÜR DREI

GENUGTUUNG

EIN CLUB

ABSCHIED

WERNER

In seinem Leben passierte nicht mehr genug, stellte Werner eines Tages fest; er war Mitte 40, hatte eine leitende Funktion in der städtischen Kulturverwaltung, besaß eine geräumige Eigentumswohnung und lebte dort einvernehmlich und unspektakulär mit seiner Freundin Jasmin zusammen. Auf seiner Position verstand es Werner, seine oft marginalen Erfolge im Regelfall gut zu verkaufen und damit Aufsehen zu erregen. Der Perfektionismus, der ihn bis ins Detail seines Handelns prägte, führte sogar zu Bewunderung. Allerdings fand er nur wenig kollegiale Nähe, an der ihm nicht lag, die ihm aber dennoch manchmal fehlte.

Er hatte Kunstgeschichte, Französisch und Spanisch studiert und sein Studium mit großem Erfolg absolviert. Um für eventuelle Managementpositionen die Voraussetzungen zu erfüllen, hatte Werner noch einen MBA an einer angelsächsischen Hochschule gemacht. Er war keine Managerpersönlichkeit. Wäre er das tatsächlich gewesen, hätte er den MBA nicht gebraucht. Aber er war auch nicht der hundertprozentige Schöngeist, der sich tagtäglich nach Kultur und Kunst verzehrte. In der freien Wirtschaft sah er keinen Platz für sich. Doch zu den allein Kulturbeflissenen wollte er auch nicht gehören. Kulturverwaltung mit ihrer Sandwichposition zwischen fachlichem Interesse und Management war ganz offenbar der richtige Ort für ihn.

Aufgrund seiner guten Beziehungen hatte Yasmins Vater ihn bei seinem Einstieg in die Kulturverwaltung unterstützt; dort war Werner zunächst als Referent für Innovation tätig. Der risikoscheue und nicht besonders ideenreiche Werner schien ihm der richtige Partner für seine Tochter in einer Beziehung zu sein, in der beide ihre beruflichen Wege gingen, Kinder kein Thema waren und man sich nach Feierabend in der Wohnung zum Abendessen verabredete, um sich gegenseitig über alltägliche Glücksmomente wie auch Unregelmäßigkeiten auszutauschen. Yasmin war im Marketing beschäftigt; dort kam sie mit ihrer attraktiven Erscheinung und als beredtes Wesen bestens an. Die meiste Zeit ihres Arbeitstages verbrachte sie vor einer Kamera, um ihr Publikum von Drogerieprodukten aller Art zu überzeugen. Ihre Ausbildung als Kommunikationsmanagerin unterstützte sie bei ihren Kampagnen. Die Marketingaktivitäten boten Yasmin eine Bühne, die sie genoss und sehr zu schätzen wusste. Mit immer demselben Auftritt, derselben Frisur, demselben Make-up, demselben Lächeln und derselben Stimme gab sie den Produkten, die sie bewarb, ihr Gesicht, mit dem sie die erwartete Kundschaft Tag für Tag ansprach und zu beglücken schien.

Zu Werners beruflichen Schwerpunkten gehörte die Digitalisierung der Kulturverwaltung und die der Kulturgüter der Stadt sowie innovative Verbreitungsformen der kulturellen Angebote. Während sich die Transformation der Verwaltungsabläufe in digitale Workflows äußerst schwertat, fand Werner bei den Museen und Bibliotheken der Stadt viel Zuspruch für Digitalisierung von Bildern und Büchern, zumal dafür eine finanzielle Förderung zur Verfügung stand, die er mit Mitteln des städtischen Haushalts ermöglicht hatte; das machte ihn stolz und begünstigte seine Karriere. Seit seiner Beförderung zum Abteilungsleiter, die in diesem Zusammenhang stand, gab er sich gern als ein Akteur, der den professionellen Einsatz innovativer Verfahren vorantrieb, ohne dass er viel von Informationstechnik verstand und mit Veränderungen organisatorischer Abläufe genug Erfahrung hatte.

Was die beiden vereinte, war ihre außerordentlich strukturierte Lebensführung, die sie als Voraussetzung für ihren beruflichen Erfolg erkannten: Immer ausgeruht und gut gekleidet, niemals unfrisiert oder zerstreut, unpünktlich nur im Ausnahmefall und auf jeden Fall immer gut vorbereitet. Unordnung fand bei Jasmin und Werner nur Verachtung und war für sie unerträglich. Minutiös planten sie ihren Alltag, so dass dieser wie am Schnürchen verlief und ein Gefühl von Sicherheit, mehr noch, Geborgenheit bot. Wurden Abläufe gestört, brach Panik aus. Wenn einer von beiden sagte: „Wie immer habe ich …“ oder „Jedes Mal bin ich …“ und dann folgte: „aber jetzt …“, war es zu einer Krise gekommen war. Dann hatten sie oder er etwas verlegt oder sogar verloren, was nun nicht, wie erwartet, zur Verfügung stand, etwas verspätet begonnen oder beendet, so dass der Zeitplan durcheinandergeriet, unachtsam gehandelt oder sogar etwas vergessen, was zu Verunsicherung führte. Meistens waren es kleine, unbedeutende Vorfälle, die zu großer Beunruhigung oder zu Verdruss beitrugen. Zugleich gefielen sich beide in ihrer Eitelkeit, die ihnen aus ihrem Anspruch an Perfektion erwuchs und die sie als absolute Profis, für die sie sich hielten, gerechtfertigt erschien. Den Preis, den sie dafür in ihrem Korsett beachtlicher Kleinlichkeit und mit anmaßender Selbstdarstellung bezahlten, war ihnen nicht zu hoch, aber auch nicht in vollem Umfang bewusst.

FREUNDE

Zufällig hatte Werner im Sommer ein paar Studienkollegen in einem Biergarten getroffen. Das war an einem Freitag, früher Abend; er war auf dem Nachhauseweg vom Büro. Jasmin war an diesem Wochenende auf einer Tagung, die in einem Hotel weit außerhalb von der Stadt stattfand. Nachmittags war sie mit dem Auto dorthin gefahren – bis Sonntagabend. Werner hatte für seinen Nachhauseweg mehr Zeit und deshalb den Umweg durch den Biergarten genommen. Da es ein schöner Sommerabend war, wollte er eine Pause für ein Bier nicht ausschließen. Da sah er seine Freunde an einem Tisch zusammensitzen – ausgelassen und bestens gelaunt. Werner war überrascht, dass er sie hier antraf. Sollte er auf sie zugehen? Doch während er noch überlegte, hatte ihn Mathis schon gesehen und ihm zugerufen:

„Werner, komm zu uns! Wo kommst du denn her?“ Er trat an ihren Tisch und sagte erfreut:

„Euch hier zu treffen, hätte ich nicht für möglich gehalten - eine riesige Überraschung. Ich bin auf dem Nachhauseweg vom Büro und komme in den Biergarten, als sei ich mit Euch verabredet.“

Da waren sie alle versammelt, die viel miteinander gemacht hatten, als sie noch studierten und ganz unterschiedliche Wege nach Abschluss des Studiums gingen: Mathis, der Hausarzt, Norbert, der Strafverteidiger, Erwin, der Wirt eines Restaurants, Holger, der Mathematiklehrer, Günther, der Banker, und Christian, der Professor für Sozialwissenschaften; es fehlte nur Werner, Abteilungsleiter in der Kulturverwaltung.

„Um so besser, dass du vorbeikommst“, äußerte Erwin, „wir hatten dich zu dieser Zusammenkunft eingeladen. Aber da ist irgendwas schief gegangen.“

„In der Tat“, gab Werner zurück, „mich hat keine Einladung erreicht. Wahrscheinlich wurde sie an die Adresse meiner Studentenbude geschickt“, er lachte.

„Deine Frau wird sie dir vorenthalten haben“, meinte Christian, „damit du nicht auf dumme Gedanken kommst.“

„Auf mich passt niemand auf“, erwiderte Werner, „denn verheiratet bin ich nicht.“

„Aber in festen Händen“, warf Holger ein, „lass dich nicht ärgern, Werner, der Zufall wollte es ja, dass du uns triffst – immerhin.“

„Nimm Platz, wenn du Lust hast, mit uns zusammen zu sein“, äußerte Günther, „darf ich dich zur Begrüßung zu einem Bier einladen?“

„Ist das die Entschädigung für die Einladung, die Werner nicht erreicht hat?“, fragte Norbert, „das wäre sehr einfühlsam, Günther.“

„Die Einladung zu einem Bier nehme ich gern an“, sagte Werner und setzte sich, „dass mich die Einladung zu diesem Treffen nicht erreichte, verüble ich keinem von euch. Vielen Dank, Günther!“

„Auch ohne Einladung“, schwadronierte Mathis, „bist du genau zum richtigen Zeitpunkt eingetroffen. Wir wollten gerade damit beginnen, uns zu erzählen, wie und wohin wir in den vergangenen Jahren gekommen sind. Geeinigt hatten wir uns, in alphabetischer Reihenfolge vorzugehen. Du hast das Wort, Christian.“

Christan war mit Anfang vierzig; er hatte ein rundes Gesicht und trug eine Brille, hinter der blitzende Augen, deren Farbe nicht leicht zu erkennen war, aufmerksam zwinkerten. Von mittelgroßer Gestalt war er, wirkte nicht sportlich, sondern behäbig. Dass er viel saß und sich zu wenig bewegte, gab sein Habitus klar zu erkennen. Im Sommer trug er ein helles T-Shirt, im Winter einen dunklen Rollkragenpullover – stets in Verbindung mit einem schwarzen Jackett und einem seidenen, roten Tuch um den Hals.

„Wie ihr euch sicher erinnert, war ich immer ein Linker“, begann Christian seine Ausführungen, „und bin es noch. Politik und Soziologie habe ich studiert. Während meines Studiums habe ich an vielen Demonstrationen zu nahezu allen Politskandalen und Verstößen gegen soziale Gerechtigkeit teilgenommen. Wir haben uns teilweise heftig mit den Ordnungskräften auseinandergesetzt. Aber auch die Polizei war keinesfalls zimperlich. Um zu verstehen, wie sozialer Absturz erfolgt und wohin er führt, habe ich für meine Doktorarbeit eine Erhebung in einem sozialen Brennpunkt vorgenommen. Um nicht nur Statistiken auszuwerten, sondern die soziale Verwahrlosung auch zu erleben, habe ich zeitweise in einem der Hochhäuser dort gelebt. Einschlägige Erfahrungen habe ich in dieser Umgebung gemacht. Mein Aufenthalt hat mich zu einer ganzen Reihe politischer Initiativen ermutigt, die erfolgreich zu Verbesserungen der Situation in sozialen Brennpunkten beitrugen. Deshalb wollte ich meine wissenschaftliche Arbeit fortsetzen und ich entschloss mich zu habilitieren. Ich lebte zunächst in einer Kommune, um neue Erfahrungen im Zusammenleben mit Menschen zu machen, die mir vertraut waren, mit denen eine gemeinsame Wohnung aber ein Experiment war. Ich hatte mehrere Aufenthalte im Ausland – in UK, USA und Israel. Aber auch an Hochschulen hier im Inland war ich viel unterwegs. Vor fünf Jahren übernahm ich die Leitung des sozialwissenschaftlichen Fachbereichs an einer Fachhochschule, die sich weit weg von hier in einer viel kleineren Stadt befand. Dort habe ich sogar eine Ehe gewagt. Sorry, wenn ich mich so gestelzt ausdrücke. Unverheiratet war dort kein Leben möglich. Allerdings war es auch unmöglich, diese Stadt verheiratet zu verlassen. Das zeigte sich, als ich dem Ruf auf den Lehrstuhl an meiner Heimatuniversität folgte, den ich seit zwei Jahren habe. Als ich meine Absicht kundtat, diese Berufung anzunehmen, wurde mir schon am Tag drauf erklärt, dass es mit der Gemeinschaft von Tisch und Bett nun vorbei sei. Wie ein Verräter habe ich mich gefühlt. Aus Sicht meiner Ex sollte das auch so sein – sie blieb in der kleineren Stadt und hat inzwischen einen Versicherungskaufmann geheiratet, der eine Doppelhaushälfte für Büro und Familie besitzt. Ich wohne hier – meistens alleine – in einer Altbauwohnung, die sich im vierten Stock befindet und über drei Zimmer verfügt, nicht weit weg von der Universität. Bisweilen habe ich sehr viel zu tun mit meinen Vorlesungen oder den Korrekturen von Seminararbeiten und Klausuren. Öfter ärgere mich über ein zu knappes Budget und die Bürokratie der Hochschulverwaltung. Doch insgesamt fühle ich mich als akademischer Lehrer und Forscher sehr wohl. Demnächst werde ich mir ein schönes Motorrad kaufen“, schloss Christian lächelnd seinen Bericht.

„Die Uni tut dir offenbar gut“, bemerkte Mathis, „du genießt dein Leben dort und verstehst, mit der Freiheit umzugehen, die dir deine Alma Mater bietet. Als Arzt habe ich oft mit Menschen zu tun, die das Studium überfordert.“

„Trügt mich der Eindruck, dass du als Soziologieprofessor nachholst, was dir als linker Studentenvertreter nicht möglich war?“, fragte Günther, „mir könnte das nicht passieren. Aber ich bin ja auch Banker.“

Christian schüttelte seinen Kopf und sagte: „Nachholen muss ich nichts. Denn als Student habe ich alles mitgenommen, was ging. So ist es auch jetzt. Die Freiheiten, die ich habe, sind unbezahlbar. Da kann ich nicht widerstehen.“

„Hast du als Wirt eines Restaurants solche Freiheiten auch, Erwin?“, fragte Mathis, „oder stehst du fortwährend unter Zwang, den Appetit deiner Gäste zu bedienen? Du bist jetzt dran – erzähle uns von dir.“

Mit Erwin war jeder gern zusammen; er hatte ein einnehmendes Wesen, das jeden beglückte, der ihn traf. Er war nicht groß, hatte dunkle Haare und ein sehr freundliches Lächeln, das wie eine Einladung in sein Restaurant wirkte. Erwin hatte gegen den Willen seiner Eltern Philosophie studiert; sie hätten vorgezogen, wenn er gleich nach dem Abitur in ihrem Gasthof tätig geworden wäre. Dass er das Gymnasium besuchte, unterstützten sie; denn so lernte er Englisch, Französisch und Spanisch, was für ihn als künftigem Gastronomen sehr hilfreich war.