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Wenn die Schuld der Väter die Liebe der Kinder beschmutzt.Für Michael von Rodenfels war Helene Coulmann eine Eroberung, wie alle anderen. Verführt, geliebt, gehabt und fallengelassen. Doch das sieht Fritz Coulmann anders, als er wutentbrannt und auf Rache aus bei Rodenfels auftaucht. Im Gepäck alle Schuldscheine, die Rodenfels je unterschrieben hat. Und schon sitzt dieser mit Kind und Kegel vor der Tür. Durch Zufall begegnet Georg von Rodenfels der schönen Renate, Coulmanns Tochter und die beiden werden unzertrennlich. Doch als Georg um Renates Hand anhält, macht Fritz Coulmann eins deutlich: Diese Hochzeit findet nur über seine Leiche statt. Finden die jungen Liebenden ihr Glück oder werden sie für die Sünden der Väter bezahlen?-
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Seitenzahl: 309
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Hedwig Courths-Mahler
Saga
Was Gott zusammenfügt
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1914, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950151
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
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Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
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Und darum, meine verehrten Herrschaften, toujours l‘amour! Erheben Sie, bitte, mit mir Ihre Gläser und lassen Sie uns anstossen auf das Wohl unseres jungen, glücklichen Paares, das die Liebe zusammengeführt hat. Es lebe hoch!“
Michael von Rodenfels hatte sein Glas mit eleganter Verbeugung gegen die Tafelrunde erhoben. Mit blitzenden Augen wandte er sich an seine schöne Nachbarin. Allgemeines Stuhlrüden, Gläserklingen, Schwatzen und Lachen — der fröhliche Tumult einer festlich gestimmten grossen Gesellschaft — folgte seiner Rede. Es war entschieden die beste gewesen, die an der Hochzeitstafel gehalten worden war. Jedenfalls wurde eine fröhliche Stimmung ausgelöst durch diesen Toast.
„Ein verfluchter Kerl, der Rodenfels,“ sagte nach aufgehobener Tafel Baron Hadersleben zu dem Brautpater, Oberstleutnant von Massenbach. Die beiden alten Herren sassen in einer gemütlichen Trinkecke bei einem besonders guten Tropfen. „Seine Rede war famos, witzig und geistvoll. Und der ganze Mensch sprüht von Feuer und Lebenslust.“
Massenbach nickte zustimmend.
„Ja, ja — ein glänzender Gesellschafter ist er immer gewesen. Ich kenne ihn nicht anders als gutgelaunt. Und wie sieht er noch aus mit seinen fünfundfünfzig Jahren!“
„Nicht möglich! So alt kann er noch nicht sein?“
„Er ist es, verlassen Sie sich drauf. Am 8. April ist er fünfundfünfzig geworden. Wir sind doch miteinander Spielkameraden gewesen, er und ich. Er ist ein Jahr älter als ich selbst.“
„Donnerwetter, dann hat er sich famos konserviert, ich hätte ihm vierzig gegeben. Seine Gattin hielt ich für bedeutend älter.“
Massenbach sah zu Frau von Rodenfels hinüber, die mit einigen älteren Damen plauderte. Sie tat es in einer müden, lässigen Art. Ihre grosse, hagere Gestalt hatte eine schlechte, vorgebeugte Haltung. In dem blassen Gesicht waren scharfe Linien eingegraben, hauptsächlich um Mund und Kinn. Die tiefliegenden grauen Augen blickten glanzlos, wie erstorben.
Bedächtig nahm Massenbach einen Schluck aus seinem Glase, ehe er antwortete:
„Ein ungleiches Paar, ohne Zweifel. Wenn auch, unter uns gesagt, der gute Michael ein bisschen künstlich nachhilft in seiner äusseren Erscheinung, so sticht er doch sehr vorteilhaft ab gegen seine Gattin. Aber die arme Frau tut mir leid, sie ist nicht auf Rosen gebettet gewesen an seiner Seite.“
Hadersleben sah ihn fragend an.
„Man hat mir gesagt, Rodenfels’ Glück bei den Frauen sei sprichwörtlich. Jedenfalls weiss auch seine Frau darum. In der Regel ist so etwas für den Mann pläsierlicher, als für die Frau.“
Massenbach sah tiefsinnig in sein Glas.
„Hm — ja — wenn es nur das wäre! Ich glaube, damit hat sich Ulrike Rodenfels längst abgefunden. Aber dass ihm Spiel und Frauen das Geld wie Sand durch die Finger laufen lassen, das wird ihr mehr Unruhe machen. Ich weiss aus positiver Quelle, dass Rodenfels bedenklich auf der Kippe steht. Seine Frau hat sich anfangs mit wilder Energie gegen den Untergang gestemmt, der beiden Kinder wegen. Sie wollte ihrem Sohne Rodenfels erhalten um jeden Preis. Aber jetzt ist sie müde geworden — gleichgültig. Ich fürchte, Rodenfels kommt demnächst unter den Hammer.“
„Nicht möglich! Der Mann sieht nicht aus, als ob er Sorgen hätte. So voll übermütiger Fröhlichkeit könnte er dann nicht sein.“
Massenbach nickte vor sich hin.
„Sie kennen ihn nicht, wie ich. Der lacht noch, wenn der Sargdeckel über ihm zugeklappt wird.“
Eine Weile sassen die beiden Herren schweigend und sahen zu Michael von Rodenfels hinüber. Einige Herren und Damen hatten in einer Ecke des Festsaales Platz genommen und schienen sich köstlich zu amüsieren. Rodenfels stand mitten unter ihnen in über mütigster Stimmung. Er drehte unternehmend an seinem Bart und liess seine Augen nicht von der schönen Frau, die bei Tisch seine Nachbarin gewesen war. Es war die Gattin des bekannten Architekter Professor Hardenberg. Dieser stand neben dem Sessel seiner Frau und unterhielt sich mit einem alten, weissköpfigen Herrn über die Kirche, die er vor kurzer Zeit im Bau vollendet hatte. Professor Hardenberg war von Dresden berufen worden, um der Stadt ein neues, prächtiges Gotteshaus zu bauen. Die Tochter des Oberstleutnants von Massenbach und ihr junger Gatte waren das erste Brautpaar gewesen, welches in der neuen Kirche den Segen empfing. Deshalb hatte Professor Hardenberg mit seiner Gattin der Einladung zu dieser Hochzeitsfeier Folge geleistet, zumal er ohnehin noch geschäftlich mit der Stadt zu verhandeln hatte.
Hardenberg war eine imposante, vornehme Persönlichkeit. Auf den breiten Schultern sass ein bartloser, rassiger Künstlerkopf mit markanten, festgefügten Zügen, wuchtiger Stirn und ausdrucksvollen, klaren Augen.
Er wechselte zuweilen einen Blick mit seiner Gattin. In diesem Blick hätte ein aufmerksamer Beobachter allerlei lesen können. Vor allem, dass diese beiden schönen, äusserlich harmonischen Menschen sich in innigster Liebe zugetan waren. Hardenbergs waren in ihren Gesellschaftskreisen dafür bekannt, dass sie eine Idealehe führten. Schrankenlose Liebe, restloses Jneinanderaufgehen, feinstes Verständnis der gegenseitigen Eigenart und festes Vertrauen, das waren die Fundamente dieser seltenen Ehe, die nur von einem Schatten getrübt war — sie blieb kinderlos.
Rodenfels und seine Gattin waren mit anderen Hochzeitsgästen in demselben Hotel abgestiegen, in dem auch Hardenbergs seit mehreren Tagen schon Wohnung genommen hatten. Kaum hatte Michael von Rodenfels die schöne Frau Professor kennen gelernt, als auch schon Eroberungsgelüste bei ihm erwachten. Seine Don Juan-Natur regte sich, sobald ihm eine besonders reizvolle Frau entgegentrat. Und Paula Hardenberg war ohne Zweifel eine entzückende Frau, wenn sie auch bereits die Dreissig überschritten haben musste.
Dass sie seine Artigkeiten mit kühler Liebenswürdigkeit aufnahm, reizte ihn noch mehr. Ebenso der Umstand, dass sie in ihrem Manne aufzugehen schien. Leichte Siege waren nie sein Genre gewesen. Für ihn hatten die Frauen nur Reiz, solange sie ihm widerstanden.
Auch heute hatte er sich ihr fast ausschliesslich gewidmet, und seine eigene Frau schien er ganz vergessen zu haben. Seine immer noch schönen, gefährlichen Augen wichen fast nicht von dem reizenden, feingeschnittenen Gesicht mit den seelenvollen Augen und der stolzen, reinen Stirn. Geschickt hatte er es einzurichten gewusst, dass er bei Tisch ihr Nachbar war, und auch nach aufgehobener Tafel blieb er an ihrer Seite. Alle seine kleinen, schon oft erprobten Manöver erwiesen sich jedoch dieser Frau gegenüber als wirkungslos. Sie gab ihm höfliche, artige Antworten auf all seine Fragen, sah ihm aber dabei so ruhig und klar in die heiss funkelnden Augen, dass er nur noch leidenschaftlicher nach einem Siege verlangte. Er bot alles auf, diese ,süsse kleine Professorin‘, die so reizend und geistvoll zu plaudern verstand, zu umstricken.
Die beiden Herren in ihrem Trinkeckchen beobachteten ihn eine ganze Weile. Endlich sagte Hadersleben:
„Mir scheint, der Schwerenöter will einen Flirt mit Frau Professor Hardenberg inszenieren.“
Massenbach sog mit vibrierenden Nasenflügeln den Duft der Blume ein, der seinem Glase entstieg.
„Da dürfte er sich einmal umsonst bemühen. Die Frau ist gefeit!“
„Glückliche Ehe — was?“
„Sehr glücklich. Überhaupt famose Menschen, dieses Ehepaar. Schade, dass sie nicht länger hier bei uns leben. Solch interessanten Zuwachs könnten wir brauchen in unserer etwas langweiligen Garnison.“
„Na, na — so schlimm kann es doch nicht sein! Heute zum Ehrenfeste Ihrer Frau Tochter ist es doch ganz reizend hier.“
Massenbach lachte vergnügt.
„Jawohl, lieber Freund, weil wir uns interessante Menschen aus allen Gegenden unseres lieben deutschen Vaterlandes zu diesem Feste verschrieben haben. Was meinen Sie wohl, in wieviel Garnisonen wir schon vor Anker gegangen sind? Na — und überall gibt es doch ein paar Menschen, die einem interessant und lieb sind, die man gern in der Erinnerung behält und gern wiedersieht. Ja, ja, das Beste und Rarste haben wir uns ausgesucht unter unseren Bekannten, um das Hochzeitsfest unseres einzigen Kindes würdig zu begehen.“
Hadersleben lachte herzlich.
„Das Beste und Rarste! Soll ich mich am Ende gar auch dazu rechnen, lieber Freund?“
„Gewiss, und in erster Linie.“
„Hm! Na, dann prosit, alter Freund!“
„Prosit, prosit! Und toujours l‘amour, wie Rodenfels sagte. Die Liebe in jeder Gestalt — auch die zu unsern alten lieben Freunden, von denen uns zwar das Leben getrennt, mit denen wir aber immer in Liebe vereint bleiben werden. Prosit!“
Ganz andächtig leerten sie ihre Gläser, dann sagte Massenbach lächelnd:
„Da waren wir schon wieder bei Rodenfels. Und wie viel Fehler er auch haben mag, interessiert hat er mich immer. Ich kenne ihn stets als — na, sagen wir: als etwas unsicheren Kantonisten. Aber es steckt so viel Leben und Unverwüstlichkeit in diesem Manne. Sehen Sie nur, wie seine Augen blitzen, wie jede Bewegung voll Kraft und Schneidigkeit ist. Ich glaube schon, dass ihm so leicht keine Frau widerstehen kann, wenn es ihm darauf ankommt.“
„Doch wer kühn ist und verwegen — sehr richtig. Ist sein Sohn nach ihm geraten?“
„Nein, nicht im mindesten, weder äusserlich, noch im Wesen. Er besitzt allerdings die grosse schlanke Gestalt seines Vaters, aber sonst hat er kaum einen Zug mit ihm gemeinsam. Die Schönheit des Vaters hat sich mehr auf das Töchterchen vererbt, soweit man das bei einem achtjährigen Mädelchen beurteilen kann.“
„So jung ist sie noch?“
„Ja, ein Nachzügler. Ihr Bruder ist bereits achtundzwanzig Jahre alt, er ging gerade zur Marine, als die kleine Eva — ich glaube, von den Eltern nicht gerade freudig begrüsst — geboren wurde.“
„Das ist allerdings ein sehr grosser Altersunterschied zwischen Geschwistern, zumal, wenn vermittelnde Zwischenstufen fehlen. Weshalb ist der junge Rodenfels zur Marine gegangen? Hätte er sich auf dem väterlichen Besitz nicht nützlicher machen können?“
„Ich glaube, er war froh, von Hause fortzukommen. Und dann hat ihn wohl auch die Mutter beeinflusst, als sie einsah, dass Rodenfels nicht zu halten war. Die familiären Verhältnisse sind natürlich keine angenehmen. Und Georg Rodenfels hat wohl zu viel vom Treiben seines Vaters gesehen, um davon sehr erbaut zu sein. Er ist, soweit ich ihn kenne, ein solider und streng ehrenhafter Charakter, der wenig Verständnis haben dürfte für die oberflächliche Schmetterlingsnatur seines Vaters. Die beiden sollen keinen guten Faden spinnen und sich am liebsten aus dem Wege gehen.“
„Das sind sehr unerquickliche Verhältnisse. Wahrscheinlich für den Sohn drückender als für den Vater.“
„Entschieden. Georg Rodenfels tut mir leid. Ich wäre stolz auf einen solchen Sohn. — Aber — ich muss jetzt ein wenig aus diesem behaglichen Eckchen herauskriechen, mein lieber Baron. Ich muss mich nach meiner Frau umsehen. Meine Tochter ist anscheinend mit ihrem jungen Gatten verschwunden — und sie ist unsere Einzige. Entschuldigen Sie mich kurze Zeit — wir plaudern nachher noch weiter.“
Hadersleben nickte ihm lächelnd zu.
„Gehen Sie nur, lieber Massenbach. Ich sitze hier in der guten Gesellschaft eines famosen Tropfens — da halte ich’s eine Weile aus.“
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Es war Michael von Rodenfels nicht gelungen, die ,süsse kleine Professorin‘ aufzutauen. Sie blieb freundlich reserviert. Und da ihr Gatte über Unwohlsein klagte, verabschiedeten sie sich sehr bald nach dem Aufbruch des Brautpaares.
Michael von Rodenfels war etwas verstimmt durch seinen Misserfolg. Er zog sich hinter eine Flasche Wein zurück und trank hastig einige Gläser leer. Ziemlich zeitig entschloss auch er sich zum Aufbruch. Er suchte seine Gattin und fand sie in der langweiligen Gesellschaft einer schwerhörigen Stiftsdame.
„Wir wollen aufbrechen, Ulrike, ich bin müde,“ sagte er lässig.
Die hagere frau mit dem bleichen, vergrämten Gesicht erhob sich sofort und legte ihre Fingerspitzen auf seinen Arm. So durchschritten sie den Saal, um sich von den Gastgebern zu verabschieden. Ein ungleiches Paar in jeder Beziehung.
Draussen gähnte Rodenfels hinter der vorgehaltenen Hand.
„Ein langweiliges Fest,“ sagte er halblaut.
Ein verächtliches Lächeln umspielte den fest zu sammengepressten Mund seiner Frau.
„Bei Tische schienst du dich sehr gut zu amüsieren,“ erwiderte sie herb.
Er zuckte die Achseln.
Ja, solange Professor Hardenberg noch zugegen war, war es ganz amüsant. Das einzige interessante Paar unter sämtlichen Gästen.“
Wieder verzog sich Ulrikes Mund verächtlich.
„Für dich kommt doch nur die Frau in Betracht.“
Michael warf einen spöttischen Seitenblick über die reizlose Gestalt seiner Frau und drehte seinen Bart mit einer eleganten Bewegung aufwärts.
„Sie ist allerdings eine sehr schöne und interessante Frau. Und voll Geist und Liebreiz.“
Ulrike antwortete nicht. Die Linien um den Mund gruben sich noch tiefer, als sie sich in die Wagenecke zurücklehnte und die Augen schloss. Wie festgefroren erschien das bittere, verächtliche Lächeln um ihren Mund, uno das unschöne Gesicht erhielt dadurch ein noch viel herberes Aussehen.
Im Hotel angekommen, suchte sie sofort ihr Zimmer auf, während sich Michael erst noch bei dem Zimmerkellner erkundigte, ob Hardenbergs zur Ruhe gegangen seien. Der Kellner meldete, dass der Herr Professor sehr unwohl nach Hause gekommen sei und dass die Frau Professor durchaus habe zum Arzt schicken wollen. Der Professor habe dies indessen energisch abgelehnt.
Missmutig stieg Michael die Treppe zu seinem Zimmer empor. Sein Blut war erhitzt, er war es so gar nicht gewöhnt, sich einen Flirt zu versagen, und seine Leidenschaft flammte immer schnell empor, wenn er einmal Feuer gefangen hatte. In seinem Zimmer angelangt, stürzte er hastig ein Glas Wasser hinunter und lehnte sich zum Fenster hinaus. Sein heisses, tolles Blut hatte noch nicht ausgetobt, trotz seiner Jahre.
„Reisen wir morgen früh ab?“ fragte seine Gattin, auf die Schwelle des Nebenzimmers tretend, in ruhig kühlem Tone.
Er richtete sich auf und sah eine Weile wie geistesabwesend in ihr Gesicht.
„Nein — das heisst — ich weiss es noch nicht bestimmt. Warum fragst du?“
„Weil ich jetzt nicht eine Stunde länger als nötig von Rodenfels fortbleiben möchte. Du weisst, wie ungern ich dich zu diesem Hochzeitsfeste begleitet habe.“
„Ja, ja, du tust ja mit Vorliebe alles ,ungern‘. Ich glaube, du bist schon ungern auf die Welt gekommen.“
Ein Seufzer entfuhr ihren Lippen, und in ihren Augen lag ein so brennender Vorwurf, dass er sich abwandte.
„Also tue mir den Gefallen und fang hier nicht die alte Geschichte wieder an, ich weiss schon alles auswendig. Und ob wir heute, morgen oder später reisen — Rodenfels ist doch nicht mehr zu halten. Es ist alles eins.“
Wieder entfloh Ulrikes Lippen nur ein Seufzer. Sie stand da, wie zu Stein erstarrt — ein Bild der Sorge, des Kummers.
„Herrgott, nun geh zu Bett und seufze mir nicht die Ohren voll! Mir ist, weiss Gott, auch nicht behaglich zumute gewesen all die Zeit. Aber die paar vergnügten Stunden musst du mir mit deinem Gezeter nicht auch noch verbittern.“
„Ich denke, es war so langweilig,“ sagte sie ironisch.
„Das kommt gar nicht in Frage. Sollte ich meinem Jugendfreund eine Absage schicken auf die Einladung zur Hochzeit seiner Tochter? Das kannst du doch wahrhaftig nicht verlangen.“
Ich verlange nichts von dir. Das habe ich mir längst abgewöhnt. Aber das Schicksal wird dich in Zukunft zu manchem zwingen, was ich nicht hätte von dir verlangen dürfen.“
Er sah sie ärgerlich an.
„Schön, nun bist du deinen Unkenruf los geworden, nun lass mich zufrieden. Ich gehe zu Bett — gute Nacht!“
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Am nächsten Morgen verbreitete sich eine Schreckenskunde im Hotel. Professor Hardenberg war am Typhus erkrankt. Der Hotelbrunnen erwies sich nach polizeilicher Feststellung als vergiftet. Auch einige Bedienstete des Hotels waren erkrankt. Der Brunnen wurde natürlich sofort unschädlich gemacht, aber die Hotelgäste ergriffen doch in blinder Hast die Flucht.
Michael von Rodenfels war unter den ersten, die zur Abreise fertig waren. Die Furcht vor der Krankheit liess ihn die schöne Frau mit all ihren Reizen vergessen.
Ulrike von Rodenfels blieb viel ruhiger. Sie nahm sich auch die Zeit, trotz des Drängens ihres Gatten, Frau Professor Hardenberg auf einer Karte ihr tiefstes Bedauern über die Erkrankung ihres Gatten auszudrücken.
In aller Eile machte Rodenfels mit seiner Frau noch einen Abschiedsbesuch bei Massenbachs. Diese hatten voll Bestürzung schon die Kunde von Hardenbergs Erkrankung vernommen. Sie waren in grosser Sorge, auch um ihre übrigen Freunde und Bekannten, die mit in demselben Hotel gewohnt hatten. Es war ja gar nicht ausgeschlossen, dass noch andere den Keim zu dieser tückischen Krankheit in sich aufgenommen, da doch die meisten von dem verseuchten Wasser getrunken hatten. Von dieser Sorge verrieten sie natürlich ihren Besuchern nichts, aber es lag doch wie eine heimliche Angst auf allen Gemütern.
Michael von Rodenfels war froh, als er im Abteil sass. Zwei Stunden später hatte er Schloss Rodenfels erreicht. Vor lauter Furcht war ihm ganz übel zumute, während seine Gattin sofort ihren Pflichten nachging, als sei nichts geschehen.
* * *
Zwei Tage später sass Rodenfels, noch immer sehr schlecht gelaunt, auf der Veranda des Schlosses Rodensfels. Draussen lachte goldner Sonnenschein. Auf dem grossen Rasenplatz vor der Freitreppe tummelte sich sein Töchterchen Eva, ein bildschönes, goldblondes Kind, mit ihrem Dackel in possierlichen Sprüngen.
Michael nahm nichts von diesem friedlichen Bild, in sich auf. Er sah bei weitem nicht so frisch und jugendlich aus, wie auf der Hochzeitsfeier. Er hatte die letzten beiden Nächte so schlecht geschlafen, dass sich seine Gedanken unablässig mit seinen zerrütteten Vermögensverhältnissen befasst hatten. Zwischendurch schüttelte ihn manchmal ein Schauder, wenn er an Hardenbergs Erkrankung dachte. Der sonst so schneidige und kühne Mann hegte eine fast kindische Furcht vor allen Krankheiten.
Dazu kam noch, dass er sich über das steinerne, unbewegte Gesicht seiner Gattin ärgerte, die lautlos und ohne Freudigkeit im Schlosse herumschlich. Ob denn Rodenfels wirklich nicht mehr zu halten war? Er hatte eine dunkle Ahnung, als wenn in diesen Tagen eine Menge Forderungen an ihn herantreten müssten. Genau war er nie orientiert über seine Vermögensverhältnisse. Es war nicht abzuleugnen, dass er ein bisschen leichtsinnig gewirtschaftet hatte. Solange man ihm noch Geld lieh, hatte er sich keine Kopfschmerzen darüber gemacht. Aber jetzt wollte ihm mit einem Male niemand mehr aushelfen, alle fanden Ausreden, und er musste noch froh sein, dass seine Gläubiger nicht drängten. Wie aber, wenn diese die Geduld verloren und auf ihrem Recht bestanden? Was dann? Rodenfels musste bereits überlastet sein, so viel er überblicken konnte. Was blieb ihm dann übrig, ihm und seiner Familie?
Zum ersten Male in seinem Leben empfand Michael in diesen unbehaglichen Tagen etwas wie Gewissensbisse. Und das war ihm ebenso neu wie unbequem.
Kein Wunder, dass er sich heute ganz miserabel fühlte und keinen Appetit verspürte.
In diesem Augenblick trat Ulrike auf die Veranda heraus. Sie hielt ein schwarzumrändertes Kuvert in der Hand und legte es vor ihrem Gatten auf den Tisch.
„Was ist das?“ fuhr er auf.
„Professor Hardenberg ist tot,“ sagte sie mit ihrer müden, tonlosen Stimme.
Michael sprang auf und stiess das Kuvert weit von sich. Er verfärbte sich.
„Nicht möglich! Der starke, gesunde Mann — in wenig Tagen — das ist doch undenkbar!“
„Überzeuge dich selbst — da hast du es schwarz auf weiss.“
Rodenfels trat ins Zimmer hinein und schenkte sich drinnen am Büfett einen Kognak ein. Er fühlte sich ganz elend.
Ulrike liess sich draussen matt in einen Sessel gleiten und starrte mit toten, leeren Blicken hinaus auf das spielende Kind. Ihr Gatte lief hinüber in sein Zimmer und warf sich auf den mit Leder bezogenen Diwan. Die darauf liegende Pelzdecke zog er über sich, als friere er im hellen Sonnenschein. Nach einer Weile richtete er sich empor und steckte sich eine Zigarette an. Sie schmeckte ihm nicht. Ärgerlich warf er sie wieder fort und fuhr sich durchs Haar. Seine Hand zitterte dabei eigentümlich. Nun versuchte er den versäumten Schlaf nachzuholen — es wollte ihm nicht gelingen. Unruhig warf er sich umher. Nach einer Weile hörte er draussen die Stimme seiner Frau. Sie rief Eva herein.
„Puh, jetzt muss das arme Wurm sich den Kopf mit Rechenexempeln zerbrechen,“ dachte er. „Nichts von nichts bleibt nichts — um das zu begreifen, braucht’s, keine Rechenstunde. Verdammte Misere — elender Kram — ich pfeife auf das ganze Leben!“
Er sprang wieder auf und lief im Zimmer auf und ab, um das Unbehagen loszuwerden, das ihn bedrückte. Es wollte aber nicht gelingen.
Mitten im Lauf hielt er dann plötzlich inne, als sein alter Diener eintrat.
„Was willst du, Gustav?“
,,Ein Herr wünscht den gnädigen Herrn zu sprechen.“
Er reichte Rodenfels auf einem Tablett eine Karte. Dieser machte ein abweisendes Gesicht.
„Ich empfange heute niemand.“
„Verzeihen gnädiger Herr. Der Fremde will sich nicht abweisen lassen. Er habe wichtige Geschäfte mit dem gnädigen Herrn zu besprechen.“
Widerwillig nahm Rodenfels die Karte.
„Da will einer Geld von mir haben,“ dachte er verdriesslich und sah auf die Karte herab.
„Fritz Coulmann? Kenne ich nicht. Na also, dann herein mit ihm, wenn seine Sache gar so eilig ist.“
Gustav ging hinaus, um den Fremden hereinzuführen. Dieser drückte dein Diener ein Geldstück in die Hand. „Sorgen Sie dafür, dass ich ungestört mit Ihrem Herrn reden kann.“
Der alte Gustav steckte das Geldstück freudig überrascht ein. In letzter Zeit waren die guten Trinkgelder auf Rodenfels sehr rar geworden.
Fritz Coulmann trat zu Rodenfels ins Zimmer. Er mochte ungefähr im gleichen Alter mit diesem sein. Das Haar und der spitzzulaufende Bart waren graumeliert, die Gesichtszüge klug und energisch, aber etwas grobgeschnitten. Die mittelgrosse, gedrungene Gestalt mit der sicheren, ruhigen Haltung war elegant und solid, gekleidet. Die ganze Erscheinung machte einen sympathischen Eindruck. Nur in den Augen zuckte ein unruhiges Leuchten, und sie verrieten entschieden eine feindselige Absicht, als sie sich auf Michaels Gesicht hefteten.
Dieser hatte den Besucher mit einer kurzen, eleganten Verbeugung begrüsst. „Was verschafft mir das Vergnügen Ihres Besuches, mein Herr?“ fragte er, Coulmann mit einer Bewegung auffordernd, Platz zu nehmen. Dieser blieb jedoch stehen. Er trat einige Schritte näher und heftete seine Augen scharf und durchdringend auf Rodenfels, so dass diesen erneutes Unbehagen erfasste.
„Ein Vergnügen wird Ihnen mein Besuch schwerlich bereiten, Herr von Rodenfels. Ich bin gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass alle Ihre Gläubiger ihre Forderungen an mich verkauft haben. Sie schulden mir demnach die Summe von dreihundertsiebenundachtzigtausend Mark. Um diese Summe von Ihnen einzufordern, bin ich hergekommen.“
Rodenfels war erblassend einen Schritt zurückgewichen.
„Ein schlechter Scherz, mein Herr,“ sagte er unsicher.
„Sie irren, ich spreche im Ernst.“
Rodenfels suchte sich zu fassen.
„Aber das verstehe ich nicht. Wie kommen Sie dazu, diese Forderungen an sich zu bringen? Ich kenne Sie nicht.“
In Coulmanns Augen sprühte tödlicher Hass.
„Wie ich dazu komme? Nun, nehmen wir an, ich hätte Interesse daran, Sie vollständig in meine Gewalt zu bekommen.“
Rodenfels starrte ihn verständnislos an.
„Was soll das heissen? — Was wollen Sie von mir? — Wer sind Sie eigentlich?“
„Mein Name ist Coulmann — Coulmann —, sagt Ihnen dieser Name nichts?“
Rodenfels schüttelte den Kopf.
„Der Name ist mir fremd.“
Coulmann lachte schneidend auf.
„So, so, nicht einmal den Namen haben Sie behalten? Ein beneidenswert schlechtes Gedächtnis scheinen Sie zu besitzen. Sagt er Ihnen auch nichts in Vers bindung mit dem Vornamen Helene? Helene Coulmann — Herr von Rodenfels, denken Sie doch ein wenig nach! Helene Coulmann war ein armes, törichtes Mädchen, das an Sie glaubte wie an einen Gott, und dem Sie, wie wohl noch manchem anderen armen Opfer, die Ehe versprachen. Es ist allerdings schon zweiundzwanzig Jahre her, aber vielleicht erinnern Sie sich nun doch. Jedenfalls will ich Ihr Gedächtnis auffrischen.“
Rodenfels fuhr sich mit dem Taschentuch über die feuchte Stirn.
„Was sollen diese alten Geschichten?“ fragte er mit gepresster Stimme.
Coulmanns Gesicht nahm einen Ausdruck schmerzlichen Hohnes an.
„Alte Geschichten — alte Geschichten! Mir ist sie bis heute nicht alt geworden, diese Geschichte, denn mein Gedächtnis hat sie so frisch bewahrt, als ob sie gestern passiert wäre, als ob meine arme Schwester erst gestern durch Ihre Schurkerei in den Tod getrieben worden wäre.“
Rodenfels stand Coulmann nun auch aufgerichtet gegenüber.
„Mein Herr, Sie beleidigen mich in meinem eigenen Hause!“
Coulmann sah ihn hohnvoll an.
„So, beleidigt Sie das? Ist es keine Schurkerei, wenn ein sogenannter vornehmer Mann ein armes, schutzloses Mädchen mit allen Mitteln gewissenloser Verführungskunst an sich lockt, ihm die Ehe verspricht, obwohl er schon seit Jahren verheiratet und Vater eines Sohnes ist? Wie nennen Sie das, Herr von Rodenfels? Sie wissen wohl selbst noch, wie schwer es Ihnen geworden ist, den reinen Sinn meiner Schwester zu betören, bis sie alles vergass — sogar ihre Ehre, den einzigen Schatz, den sie besass. Ein leichter Sieg war es schwerlich — meine Schwester war alles andere eher, als ein leichtfertiges Geschöpf. Sie hat Sie zu sehr geliebt, Ihnen zu viel vertraut — das war ihr Vergehen. Und als sie dann verzweiflungsvoll zu Ihnen kam, Ihnen beichtete, dass ihr Verhältnis nicht ohne Folgen bleiben sollte, als sie ihren Verführer bat, sein Versprechen einzulösen und sie zu seiner Frau zu machen, da erst erfuhr sie, dass Sie bereits verheiratet waren.“
Coulmann hatte mit halblauter, unterdrückter Stimme gesprochen, aber jedes seiner Worte enthielt eine wuchtige Anklage.
Rodenfels war in einen Sessel gesunken.
„Ich liebte Ihre Schwester — das ist meine einzige Entschuldigung.“
„Liebe? Missbrauchen Sie dieses Wort nicht! Liebe hätte anders gehandelt. Und wenn Sie meine Schwester so geliebt hätten, wie Sie mich jetzt glauben machen wollen, dann hätten Sie das unglückliche Geschöpf nicht so bald vergessen — und ihr vor allen Dingen nicht so viel Nachfolgerinnen gegeben. Ich weiss mehr von Ihrem Leben, als Ihnen lieb sein dürfte, denn mein Hass hat Sie verfolgt, seit ich erfuhr, was Sie an meiner Schwester getan. Ich hatte diese Schwester lieb wie nichts auf der Welt, wir hatten nie ein Geheimnis voreinander, bis Sie in ihr Leben traten. Schlau hatten Sie ihr das Versprechen abgefordert, zu schweigen über ihr Verhältnis zu Ihnen. So blieb mir alles verborgen. Elternlos, in drückenden Verhältnissen waren wir beiden Geschwister aufgewachsen, eins das andere stützend. Wir waren wie treue Kameraden und liebten uns mehr, als sonst unter Geschwistern üblich. Endlich ging es uns besser. Ich bekam eine gute Stellung in einem bedeutenden Bankhaus, und meine Schwester verdiente ihren Unterhalt durch Musikstunden. Erst später habe ich erfahren, dass sie Ihre Bekanntschaft auf einem Wohltätigkeitsfeste gemacht hatte und dass Sie ihr nachstellten, bis sie endlich umgarnt war. Während Ihre Gattin allein hier in Rodenfels hauste, liefen Sie meiner Schwester auf Schritt und Tritt in den Weg und haben dann auch nicht Ruhe gegeben, bis Sie Ihr niederträchtiges Spiel gewonnen hatten.“
Rodenfels sah einige Male besorgt nach der Tür. Coulmann dämpfte seine Stimme noch mehr, aber es verriet sich trotzdem grosse Erregung darin.
„Ich bin nun gleich zu Ende, will Ihnen nur noch sagen, dass meine Schwester damals wie von Sinnen von Ihnen fortrannte, um in ihrer Verzweiflung den Tod zu suchen. Unterwegs brach sie bewusstlos auf der Strasse zusammen. Und so brachte man sie mir ins Haus. Ich hatte kurze Zeit vorher geheiratet, und was mir im ersten Schrecken unverständlich blieb, begriff meine junge Frau sofort. Liebevoll nahm sie sich meiner Schwester an. Sie haben sich nicht mehr um die Unglückliche gekümmert. Nach langer Krankheit stand sie wieder auf — aber elend — matt — ein an Leib und Seele gebrochenes Geschöpf. Ich schickte sie mit meiner Frau in ein weitentferntes kleines Dorf in der Schweiz, hoffend, dass sie sich dort erhole — und um ihre Schande vor unseren wenigen Freunden zu verbergen. Dort in diesem kleinen Ort ist ihre kleine Tochter geboren worden, während Sie sich bereits in ein neues Liebesabenteuer verstrickt hatten. Wenige Tage später schenkte mir meine Frau ein Töchterchen — die beiden Kinder gelten noch heute als Zwillingsschwestern, als meine Kinder. Kein Mensch ausser mir weiss darum. Die wenigen Zeugen in dem kleinen Schweizerdorf sind gestorben. Meine Frau ist mir vor einigen Jahren auch durch den Tod entrissen worden. Die Kinder ahnen nichts — und meine Schwester, — sie starb kurze Zeit nach der Geburt ihres Kindes, — sie wollte sterben, weil ihr das Leben unerträglich geworden war — durch Ihre Schuld. Aber an ihrer Leiche — da habe ich mir damals geschworen, nicht zu ruhen, bis ich sie gerächt hätte an ihrem Verderber. Zweiundzwanzig Jahre lang habe ich Zeit gehabt, diese Rache vorzubereiten. Nie habe ich in dieser Zeit vergessen, was ich an Helenes Leiche mir selbst zugeschworen hatte. Damals wusste ich noch nicht, wie ich sie rächen sollte. Was vermochte ein einfacher Bankbeamter dem hochedlen Herrn von Rodenfels gegenüber? Aber mein Hass gab mir Kraft, mich emporzuarbeiten. Wie durch Zaubermacht besserten sich meine Verhältnisse seit Helenes Tod. Ich rückte auf in meiner Stellung, bis zum Direktor der Bank. Und es gelang mir, ein Vermögen zu erwerben. Meine Verbindungen gestatteten mir, Einblick in die Verhältnisse auf Rodenfels zu gewinnen — und da wusste ich, wie ich Helenes Unglück an Ihnen rächen konnte. Ich habe mein Ziel fest im Auge gehabt, und heute bin ich in der Lage, den Verführer meiner Schwester als Bettler von Rodenfels zu jagen. Und Helenes Tochter wird mit meinem Kinde zusammen als Herrin hier einziehen, während Ihre legitimen Kinder mit Ihnen die Heimat verlassen müssen. Das ist meine Rache.“
Rodenfels stierte mit glanzlosen Augen vor sich hin. Wohl hatte er gefürchtet, dass er sich nicht würde halten können auf dem ererbten Besitz. Dass aber der Zusammenbruch so plötzlich und in so demütigender Weise kommen würde, hatte er nicht vorausgesehen. Kalter Schweiss bedeckte seine Stirn. Er sah in Coulmanns erbarmungsloses Gesicht. „Sie halten mich für schlechter, als ich bin. Ich habe Helene angeboten, für sie sorgen zu wollen, aber sie war all meinen Vorstellungen gegenüber unzugänglich,“ stammelte er in dem unklaren Bestreben, Coulmann milder zu stimmen.
„Ich weiss,“ erwiderte dieser zornig, „Sie waren schamlos genug, ihr Geld anzubieten. Aber meine Schwester war wohl schwach gewesen aus Liebe zu Ihnen, jedoch nicht niedrig genug in ihrer Denkungsweise. Von dem Augenblick an, da sie erfuhr, dass Sie bereits der Gatte einer anderen waren, starb ihre Liebe in Verachtung und Verzweiflung. Und dass Sie Ihr Verhalten mit Geld gutzumachen glaubten, erfüllte sie mit Abscheu. Aber lassen wir das jetzt. Ich habe Ihnen nun erklärt, wie ich dazu gekommen bin, in aller Stille die Forderungen all Ihrer Gläubiger an mich zu bringen. Sie haben jetzt mit nackten Tatsachen zu rechnen. Entweder bezahlen Sie mich, oder ich gehe in der schärfsten Form gegen Sie vor.“
Ein fahles Lächeln verzerrte Michaels Gesicht.
„Da Sie so genau über meine Verhältnisse orientiert sind, müssen Sie auch wissen, dass ich nicht zahlen kann.“
„Allerdings. Und somit ist meine Angelegenheit hier zu Ende geführt. Was Ihnen bevorsteht, wissen Sie nun.“
Michael von Rodenfels erhob sich schwerfällig.
„Lassen Sie mir wenigstens einige Monate Frist. Ich bitte nicht für mich, sondern für meine Familie,“ sagte er heiser.
Coulmann hatte sich schon zum Gehen gewendet. Er kehrte sich noch einmal um. „Was geht mich Ihre Familie an! Im übrigen weiss ich, dass Ihre unverheiratete Schwester Ihrem Sohn eine unantastbare Rente von dreitausend Mark jährlich vermacht hat. Die kluge Dame, die ihren Bruder wohl sehr genau kannte, hat mit diesem Vermächtnis wahrscheinlich Ihrer Familie das Schlimmste ersparen wollen. Sie sehen, ich bin auch davon unterrichtet.“
Rodenfels wischte sich über die Stirn.
„Diese dreitausend Mark braucht mein Sohn als Zulage für sich selbst.“
Coulmann lächelte höhnisch.
„Da er der Sohn seines Vaters ist, wird er sie wohl für sich verbrauchen, und die Not seiner Familie wird ihm gleichgültig sein. Da müssen Sie sich freilich selbst um Brot für Ihre Familie bemühen. Vielleicht lernen Sie dadurch erkennen, wie fest solche Familienbande sind. Bis jetzt haben Sie das noch nie gewusst. Von mir erwarten Sie nicht das geringste Entgegenkommen. Ich habe über zwanzig Jahre auf diesen Tag der Heimzahlung gewartet. Und wenn Sie wie ein Bettler am Zaun verenden, dann haben Sie es an meiner unglücklichen Schwester verdient.“
Nach diesen Worten verliess Coulmann das Zimmer, ohne sich noch einmal umzusehen.
Rodenfels war wieder in seinen Sessel gesunken. Verstört sah er Coulmann nach. Ein Frösteln rann durch seine Glieder. Die Lippen waren heiss und trocken. Neben der seelischen Depression machten sich plötzlich heftige körperliche Schmerzen bemerkbar. Er wollte aufstehen. Dunkel kam ihm zum Bewusstsein, dass es jetzt wohl das beste war, dort drüben aus seinem Schreibtisch die Browningpistole, die immer geladen war, zu nehmen und ein Ende zu machen. Aber etwas lähmte ihn und hielt ihn fest. Und nun wieder die Schmerzen — ein Surren und Sausen vor Augen und Ohren — eine kalte, kriechende Angst. — „Das ist der Typhus — jetzt packt es auch mich — ich will nicht — nein — lieber gleich ein Ende — dort drüben, im Schreibtisch —“
Er riss sich empor und taumelte durch das Zimmer. Aber ehe er den Schreibtisch erreichte, griff er haltlos in die Luft und brach zusammen.
So fand ihn gleich darauf der alte Gustav im heftigsten Fieber. Michael von Rodenfels war am Typhus erkrankt!
* * *
„Ulrike, bist du da?“
Die bleiche Frau mit dem starren, glanzlosen Blick erhob sich und beugte sich über den Kranken.
„Hier bin ich, Michael. Wünschest du etwas?“
Er sah unruhig zu ihr empor und fasste mit seiner Hand nach der ihren.
„Ulrike — ich habe dir so viel abzubitten.“
In ihr blasses Gesicht stieg eine leichte Röte. „Lass das. Sprich nicht davon.“
Sie rückte ihm das Kissen zurecht und liess sich matt wieder in den Sessel fallen.
„Du bist müde, die Pflege strengt dich an.“
Es zuckte um ihre Lippen. Wann hatte er je danach gefragt, ob sie müde war, ob ihr etwas schwer oder leicht wurde? Die Sorge, die in seiner Stimme lag, war ihr peinlich, weil sie ihr fremd war.
„Die Pflegerin, die der Arzt herausschickt, wird gleich hier sein.“
Eine Weile blieb es still. Dann seufzte der Kranke auf. Die Augen leuchteten in Fieberglanz.
„Hast du Georg depeschiert, dass er sich eilen soll, wenn er mich noch einmal sehen will?“
„Ich habe ihm depeschiert, dass du krank bist und ihn zu sehen wünschest. Da er gegenwärtig in Kiel ist, kann er morgen abend schon eintreffen.“
Rodenfels warf sich umher und verzog das Gesicht. Ein Stöhnen kam über seine Lippen. Halb flüsternd sprach er weiter in fieberhafter Hast.
„Es ist gut so, dass es mit mir zu Ende geht. — Ich habe schlecht gewirtschaftet und meinen Besitz verlottert. Ihr müsst fort von Rodenfels, Ulrike. Coulmann kennt kein Erbarmen. Weisst du, warum? — Nein — du braucht es auch nicht zu wissen! Er ist ja im Recht. Wenn ich nur Rettung wüsste für euch. — Georg muss sich eurer annehmen — deshalb muss ich ihn noch einmal sprechen — Georg wird euch nicht verlassen, dich und Eva.“
Die blasse Frau reichte dem Fiebernden einen Löffel Arznei.
„Lass das doch jetzt — warte, bis du gesund bist.“
„Gesund — ich werde nicht wieder gesund — will es auch gar nicht. Wenn ich die Browning hätte — dann wäre es schon aus.“
„Schweig doch, ich bitte dich.“
„Nein, lass mich reden, ehe mir der Kopf wieder so ganz wirr ist. Ulrike — wie oft habe ich dich gekränkt! Und die Vorwürfe in deinen Augen — ich wollte sie nicht sehen. Jetzt tut es mir leid — zu spät — verzeihe mir.“
Das starre Gesicht Ulrikes war wie in Schmerz verzogen. Die Augen brannten wie verglimmende Kohlen und sahen über den Kranken fort ins Leere.
„Ich habe dir vergeben — alles. Die Fessel drückte dich, du hast sie zerbrochen.“
„Zerbrochen — ja — alles hab ich zerbrochen — dich — und andere. Mein heisses Blut — ich bin schuld an vielem Leid. Was ich dir getan — nie habe ich darüber nachgedacht — aber jetzt — Ulrike — du hast mich geliebt — als du meine Frau wurdest — ich habe es dir schlecht gedankt.“
Die Frau fuhr auf und drückte sich die Hände an die Ohren. Ihr Gesicht war wie verstört.
„Schweig — schweig!“ schrie sie auf, so dass er zusammenzuckte und sie anstarrte. In ihren Augen las er, welch Martyrium diese Frau an seiner Seite getragen. Er krampfte die Hände in die Decke, die über seinen Körper gebreitet war. Erneute Schmerzen verwischten ihm das Bewusstsein. Fieberphantasien drängten sich über seine Lippen, die heiss und trocken waren. Ulrike blickte mit umflorten, matten Augen in sein Gesicht. Auch in ihrem Innern wühlte bereits die Krankheit, die ausser Hardenberg und ihrem Mann noch zwölf Personen erfasst hatte.
Als die vom Arzt beorderte Diakonissin eintraf, hatte sie zwei Kranke zu pflegen. Am anderen Tage traf Georg von Rodenfels ein. Er fand beide Eltern schwer krank und sein kleines Schwesterchen verweint und verschüchtert im Zimmer von Fräulein Wollmann, die sich voll Mitleid der kleinen Eva angenommen hatte. Schwere Tage brachen über den jungen Mann herein. Die Eltern starben kurz hintereinander in wenig Tagen, und vom Rechtsanwalt bekam er die Nachricht, dass Rodenfels ihm verloren war. Dies traf ihn nicht unvorbereitet.
Georg von Rodenfels war Marineoffizier. Schon seit Jahren kam er nur auf kurze Urlaubswochen auf das väterliche Gut. Er wusste, dass Rodenfels tief verschuldet war und von seinem Vater nur durch die gewagtesten Mittel gehalten werden konnte. Die Mutter hatte ihm die Augen frühzeitig genug geöffnet, um ihn an den Gedanken zu gewöhnen, dass ihm eines Tages die Heimat genommen werden könnte.