Was ist mit Rosmarie? - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Was ist mit Rosmarie? E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

Eine Schiffsreise von Japan nach Deutschland, ein verzauberter Ring aus Afrika und zwei junge Menschen, die sich immer mehr zueinander hingezogen fühlen. Das sind die Ingredienzien dieses spannenden Liebesromans der Schriftstellerin Hedwig Courths-Mahler. Doch sieht die wachsende Zuneigung zwischen Rosmarie Buchwald und Dr. Heinz Dewall nicht jeder gerne und so entwickelt sich die Handlung auch zu einer Geschichte um Eifersucht und Intrige...-

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Hedwig Courths-Mahler

Was ist mit Rosmarie?

 

Saga

Was ist mit Rosmarie?

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1933, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726950427

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Der grosse Luxusdampfer Roland war von Jokohama aus vier Tage in Sturm und Unwetter unterwegs gewesen. Jetzt hellte sich der Himmel auf und der Sturm flaute ab. Die Roland nahm wieder ruhig und stetig ihren Kurs auf Honolulu zu, wo sie am zwölften Tage nach ihrer Ausfahrt von Jokohama eintreffen sollte.

An Bord war fast alles seekrank gewesen. Jetzt kam einer der Passagiere nach dem andern wieder auf Deck. Das Schlimmste war überstanden, man rief nicht mehr nach dem Tod als Erlöser von der Seekrankheit, die auch den stärksten Helden schwach findet. Die blassen Gesichter bekamen wieder Farbe, die Augen verloren den mutlos verzweifelten Ausdruck und blickten wieder heller und zuversichtlicher in die Welt. Man versuchte wieder einmal zu frühstücken — und siehe da, der verlorengegangene Appetit stellte sich wieder ein. Im Laufe des Tages bekam man das wundervollste Seewetter, das man sich denken konnte, und alle Qual der Sturmtage war bald vergessen. Man machte humorvolle Bemerkungen über einander, verspottete sich selbst wegen der ausgestandenen Todesangst, und der Kapitän und die geplagten Offiziere konnten nun auch mal wieder an sich selber denken.

Die Passagiere sonnten sich in ihren Liegestühlen nach eingenommenem Frühstück, das man diesmal ungestraft bei sich behalten konnte, auf Deck, und alles war bald in bester Stimmung.

Nur ein Herr in der Mitte der Fünfzig und eine junge Dame von etwa zwanzig Jahren sassen abseits mit betrübten Gesichtern. Doktor Klaus Buchwald und seine einzige Tochter Rosmarie waren nach zweijährigem Aufenthalt in Japan, wo Doktor Buchwald im Auftrag seiner Firma eine Bergbahn gebaut hatte, auf der Heimreise begriffen, die sie diesmal, um auch die andere Seite des Erdballs kennenzulernen, über die Hawai-Inseln, San Franzisko, durch die Vereinigten Staaten und von Neuyork aus mit einem deutschen Dampfer nach Hamburg zurücklegen wollten. Nachdem Doktor Buchwald seine Aufgabe in Japan gelöst hatte, war seine und seiner Tochter Sehnsucht, wieder nach Hause zu kommen, sehr gross geworden, zumal sich Doktor Buchwald, der Oberingenieur in einem grossen deutschen Betrieb war, in der letzten Zeit seines japanischen Aufenthaltes nicht so wohl gefühlt hatte, als es seine anstrengende Tätigkeit wünschenswert gemacht hätte. Sein Zustand hatte sich in den Sturmtagen an Bord sehr erheblich verschlechtert und er wusste, dass das Leiden, das ihn befallen hatte, nur durch eine Operation behoben werden konnte. Diese Operation hätte er gern erst nach seiner Heimkehr nach Deutschland vornehmen lassen, aber nun fürchtete er, dass er seine Reise in Honolulu unterbrechen müsse, um sie schon da ausführen zu lassen. Zu seinem Troste wurde ihm gesagt, dass er in Honolulu im Sanatorium des Doktor Laane, dessen Ruf als Chirurg weit verbreitet war, ausserordentlich gute Aufnahme und Behandlung finden würde. Und so hatte er sich entschlossen, seine Reise in Honolulu zu unterbrechen und sie erst nach seiner Operation fortzusetzen.

Eben erst hatte er seiner Tochter diese Eröffnung gemacht, und Rosmarie war natürlich sehr erschrocken und betrübt. Der Vater raffte sich aber auf aus seiner eigenen Betrübnis und stellte ihr die ganze Angelegenheit so leicht als möglich dar.

„Musst nicht in Sorge sein, Rosmarie, das alles ist zwar unangenehm, aber durchaus nicht besorgniserregend. Wir werden eben einige Wochen im Sanatorium Doktor Laanes Aufenthalt nehmen, es soll wundervoll am Meeresstrande liegen, und man ist dort sehr gut aufgehoben. Doktor Laane wird die Operation, die durchaus nicht schwer sein wird, gleich in den ersten Tagen ausführen. Dann erhole ich mich, und auf der weiteren Heimreise werde ich Zeit haben, wieder völlig zu Kräften zu kommen. Wenn ich es mir ruhig überlege, ist es vielleicht so viel richtiger, als wenn ich mich erst in Berlin operieren lassen würde. Dann hätte ich nicht mehr so viel Zeit, mich zu erholen. Du musst also nicht so betrübt sein, mein liebes Kind“, sagte er, sich zu einem leichten Tone zwingend.

Die ihm bevorstehende Operation war vielleicht wirklich nicht lebensgefährlich, immerhin war sie aber auch nicht so leicht, als er sie seiner besorgten Tochter darstellen wollte. Jedenfalls muss man bei solchen Dingen immer auf Komplikationen gefasst sein, aber er hoffte doch, eher Aussicht auf völlige Heilung zu haben, als wenn er die Operation zu lange hinausschieben würde.

Rosmarie war ein sehr tapferes junges Mädchen und hatte sich während ihres Aufenthaltes in Japan ihrem Vater in jeder Beziehung als solches gezeigt. Sie nahm sich auch jetzt zusammen und sagte sich, dass sie ihrem Vater den besten Dienst leisten konnte, wenn sie sich ihm ruhig und zuversichtlich zeigte.

So richtete sie sich auf, zwang ein Lächeln in ihr Gesicht, fasste die Hand des Vaters und sagte, so ruhig sie konnte:

„Wenn diese Operation unbedingt vorgenommen werden muss, lieber Vater, dann wollen wir beide dieser Sache mutig entgegensehen. Der liebe Gott wird schon helfen, dass alles nicht so schwer wird, wie ich im ersten Schrecken annahm. Und natürlich halte ich es auch für besser, wenn du damit nicht erst wartest, bis sich dein Zustand verschlimmert. Jedenfalls ist es besser, wenn du nach der Operation noch Zeit zur vollständigen Erholung hast. Und in Berlin würdest du dir doch die nötige Zeit dazu nicht nehmen können, da stürmt dann wieder zu viel auf dich ein.“

Er nickte ihr aufatmend zu.

„Nun ist mir das Herz schon viel leichter, Rosmarie, ich hatte Angst, dir das mitteilen zu müssen. Aber du bist mein tapferes Mädel, das hätte ich wissen können.“

Sie sahen sich lächelnd und liebevoll in die Augen. Und so ruhig sie sich beide zeigen konnten, besprachen sie alles Nötige.

Rosmarie hatte freilich noch einen andern Grund, traurig zu sein über die Unterbrechung ihrer Reise. In ihres Vaters Begleitung legte auch einer der ihm unterstellten Ingenieure, Doktor Heinz Dewall, den man ihm in den letzten Monaten zur Unterstützung geschickt hatte, die Heimreise zurück. Und es war Rosmarie sehr lieb gewesen, dass sie auch auf dieser Reise seine Gesellschaft geniessen konnte. Zwischen den beiden jungen Menschen war im fremden Lande ein Gefühl der Zusammengehörigkeit aufgekeimt, das sich immer inniger auf beiden Seiten gestaltet hatte. Wohl hatten sie gegenseitig noch kein Wort darüber verloren, aber sie fühlten beide, dass sie vom Schicksal für einander bestimmt waren.

Niemand an Bord ahnte, was für feine Fäden zwischen den beiden jungen Menschen herüber und hinüber gesponnen wurden — nur zwei Personen fühlten, ahnten es, denn diese beiden Menschen wurden hellsehend gemacht durch das Gefühl der Eifersucht.

Doktor Heinz Dewall gefiel noch einer andern jungen Dame an Bord so sehr, dass sie ihn gern für sich gewonnen hätte. Das war eine junge Amerikanerin, Miss Grace Vautham, die einige Zeit in Japan gewesen war, um, wie sie sagte, die Japaner an der Quelle zu studieren. Im Grunde war dieses „Studium“ nichts als eine der vielen Launen dieser etwas exzentrischen jungen Dame, die, reich und unabhängig, nicht wusste, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte. Sie betrieb alles nur auf kurze Zeit, griff begeistert das Ziel einer neuen Laune auf, ging immer mit Feuereifer an eine solche neue Sache heran, verlor aber bestimmt nach kurzer Zeit das Interesse an solch einem neuen Plan und suchte dann gelangweilt und enttäuscht eine andere Liebhaberei. Denn mehr waren all ihre Unternehmungen nicht. Sie hatte sich eine Anstandsdame zur Begleiterin engagiert, liess sich durch diese aber nicht abhalten, die gewagtesten Flirts zu inszenieren, und brauchte Missis Flint dann immer nur als Rückendeckung, wenn sie in irgendeine Unannehmlichkeit geraten war, aus der sie sich allein nicht heraushelfen konnte. Sie war in Jokohama in einer Gesellschaft auf Doktor Heinz Dewall aufmerksam geworden, hatte gemerkt, dass er irgendwie mit Doktor Klaus Buchwald und seiner Tochter zusammenhing und suchte also auch die Bekanntschaft von Vater und Tochter zu machen.

Das gelang ihr, wie alles, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, und sie vermochte Rosmarie Buchwald bald geschickt auszufragen, wobei sie erfuhr, dass deren Vater der oberste Leiter des bald vollendeten Bahnbaues und Doktor Dewall seine sogenannte rechte Hand war.

Für Doktor Heinz Dewall interessierte die immer zu den gewagtesten Flirts bereite Amerikanerin sich bald so sehr, dass ihr Japan und seine Bewohner ganz gleichgültig geworden waren, als sie vernahm, dass die deutschen Erbauer der Bahn schon in kurzer Zeit über Hawai die Heimreise antreten würden. Schnell entschlossen machte sie ihrer zu Tode erschrockenen Anstandsdame die Eröffnung, dass sie gleichfalls mit dem Luxusdampfer Roland abreisen und über Hawai nach Amerika und von da nach Deutschland weiterreisen würde. Die arme Missis Flint hätte durchaus nichts dagegen gehabt, Japan zu verlassen, sie fühlte sich unter den gelben, ewig lächelnden und doch so unheimlich auf sie wirkenden Japanern durchaus nicht wohl, aber sie hatte gehofft, dass man von Japan aus direkt wieder nach Neuyork zurückkehren werde. Statt dessen eröffnete ihr Miss Grace, dass sie gar nicht die Absicht hatte, in Neuyork vorläufig wieder sesshaft zu werden, sondern dass sie in Gesellschaft von Buchwalds und Doktor Dewall erst nach Deutschland reisen und dann sich in ganz Europa umsehen wolle. Da sah Missis Flint die Aussicht auf ein behagliches Ausruhen in ein Nichts zerfliessen. Aber sie kannte ihre junge Herrin und wusste, dass sie ihr nicht das geringste Missvergnügen zeigen durfte. Was Miss Grace beschloss, war immer und überall Evangelium für ihre Umgebung, und Missis Flint merkte sehr wohl, dass Miss Grace auf den jungen deutschen Ingenieur erpicht war, und dass dieser wohl der Grund zu ihrer Europareise war.

So hatte sich also Miss Grace mit ihrer Begleiterin den Buchwald angeschlossen, was natürlich nur Doktor Dewall galt.

Bald genug hatte Miss Grace gespürt, dass zwischen Doktor Dewall und Rosmarie Buchwald heimlich etwas spielte, ihre Eifersucht kam schnell dahinter. Das störte sie aber nicht in ihren Plänen. Sie wusste bald, dass Rosmarie keine reiche Erbin war, wie sie, dass sie wohl in guten Verhältnissen lebte und ihr Vater ein hohes Einkommen hatte, aber was war das gegen Miss Graces Millionen? Diese wusste sehr wohl, wie gierig die Männer, die sie umschwärmten, nach diesen Millionen schielten, und so bekam Miss Grace Vautham eine ganz falsche Ansicht über ihren Wert. Sie war ihrer Sache ganz sicher. Merkte dieser „rasend interessante“ junge Ingenieur, dass er bei ihr, der reichen Erbin, Aussichten hatte, würde er sich sicher schnell genug von Rosmarie Buchwald abwenden. Und wenn nicht? Diese Deutschen hatten zuweilen seltsame Gefühlsanwandlungen. Es könnte schon sein, dass er, wenn er wirklich mit Rosmarie Buchwald angebändelt hatte, sich für immer gebunden fühlte — dann war Grace Vautham nicht um Mittel verlegen, dieses Band zu lösen und Doktor Dewall für sich zu gewinnen. Sie wusste, dass sie reich war, dass sie viel Reize in die Waagschale zu werfen hatte, die, geschickt angewandt, einen Mann betören konnten. Es sollte ihr nicht schwer werden, Rosmarie Buchwald für ihre Pläne unschädlich zu machen.

In den ersten Sturmtagen hatte sie nun freilich sehr viel mit sich selber zu tun, da sich auch bei ihr die Seekrankheit einstellte. Immerhin hatte sie aber Gelegenheit, zu beobachten, dass ein vierter Deutscher an Bord, ein Herr Kurt Wendler, der als reicher Juwelier Japan besuchte, um dort interessante und wertvolle Steine für sein Geschäft zu erwerben, die er aufgespürt hatte, die schöne Rosmarie Buchwald mit verzehrenden Blicken verfolgte und anscheinend auf Doktor Dewall sehr eifersüchtig war.

Auch Kurt Wendler hatte es in Jokohama verstanden, sich den Buchwald als „Landsmann“ zu nähern. In seinem sonst ziemlich nüchternen und berechnenden Wesen hatte bisher die Zauberblume der Liebe keine Wurzeln schlagen können, und er war fast vierzig Jahre alt geworden, ohne dass eine Frau ihn in ihren Bann hätte schlagen können. Jetzt plötzlich hatte ihn eine so heisse und verzehrende Leidenschaft für die blonde „sternenäugige“ Rosmarie Buchwald erfasst, dass er um Sinn und Verstand zu kommen drohte. Allerdings hoffte auch er kraft seines Reichtums den „armseligen“ Ingenieur aus dem Felde schlagen zu können, aber immerhin merkte er, dass dieser vorläufig „die Vorhand“ hatte. Rosmarie Buchwald kam diesem Doktor Dewall unbedingt liebenswürdiger entgegen, trotzdem sie ihr Fühlen streng in sich verschloss, so dass Kurt Wendler merkte, dass er Doktor Dewall nicht so leicht beiseiteschieben konnte. Aber auch er war sich, gleich Miss Grace Vautham, sehr wohl seines Wertes bewusst. Er glaubte, er müsse nur erst Gelegenheit haben, Rosmarie Buchwald begreiflich zu machen, welches Glück ihr in seiner Gestalt blühte, um als Sieger aus diesem Wettbewerb hervorgehen zu können.

Auch ihn hatten die ersten Sturmtage an Bord sehr mit sich selbst beschäftigt, er rang mit der tückischen Seekrankheit und war in diesen Tagen nur auf sein eigenes Wohl bedacht. Etwas wie hass stieg in ihm gegen Doktor Dewall auf, neben seiner Eifersucht, als er gewahr wurde, dass dieser vollständig von der Seekrankheit verschont blieb und sich der ebenfalls seetüchtigen Rosmarie Buchwald ungestört widmen konnte. Auch Miss Grace ärgerte sich sehr, dass Rosmarie nicht seekrank wurde und diese Tage ausnützen konnte, „um Doktor Dewall immer mehr in ihre Netze zu ziehen“. Doch entmutigte sie das keinesfalls, sondern machte sie nur begieriger, Rosmarie aus Doktor Dewalls Herzen zu verdrängen. So standen die Verhältnisse, als das Wetter nun auch alle Seekranken wieder herstellte und einer nach dem andern aus seiner Kabine kroch, um frische Luft zu schöpfen oder Gesellschaft zu suchen, der man seine Leiden schildern konnte, und um sich langsam wieder an den Gedanken zu gewöhnen, dass man Nahrung aufnehmen und nicht immer nur von sich geben konnte.

Vater und Tochter hatten gerade alles Für und Wider ihres Aufenthaltes in Honolulu besprochen, als Doktor Dewall sich bei ihnen einfand mit der Nachricht, dass das Wetter für den Rest der Reise jedenfalls gut bleiben würde. Rosmarie sah aber gar nicht sehr erfreut zu ihm auf und seufzte.

„Hoffentlich haben Sie recht, Herr Doktor, es wäre sehr wünschenswert.“

Seine stahlblauen Augen sahen weich und zärtlich in die ihren.

„Und das sagen Sie mit einem so ernsten, betrübten Gesicht, mein gnädiges Fräulein? Sie waren doch selbst beim ärgsten Unwetter so froh und unverzagt. Kommt bei Ihnen die Angst hinterdrein?“

„Nur für Vater, Herr Doktor. Leider hat das Unwetter sein Leiden verschärft, und eben hat er mir gesagt, dass wir in Honolulu die Reise unterbrechen werden, weil Vater es für besser hält, sich schon dort einer Operation zu unterziehen.“

Doktor Dewall zuckte leise zusammen, und seine Augen verloren das strahlende Leuchten.

„Wie leid tut mir das!“ sagte er mit verhaltener Stimme und beugte sich, neben Vater und Tochter Platz nehmend, zu ersterem herab. „Sind Sie wirklich von der Notwendigkeit dieser Operation überzeugt?“

Doktor Buchwald nickte.

„Ja, lieber Doktor, ich sehe ein, dass es unklug wäre, sie länger hinauszuschieben.“

Und er setzte Doktor Dewall seine Gründe auseinander. Währenddessen hingen Heinz Dewalls Augen in denen Rosmaries, und es waren schmerzliche Blicke, die sie tauschten. Als Doktor Buchwald geendet hatte, erwiderte Heinz Dewall aufatmend:

„Dann freilich — dann darf ich nicht wagen, Sie anderen Sinnes zu machen. Aber — ich muss gestehen, dass es mich sehr schmerzlich bewegt, Sie beide in Honolulu zurückzulassen. Wäre mir nicht zur Heimkehr von den Werken eine bestimmte Frist gesetzt, würde ich in Ihrer Gesellschaft zurückbleiben, damit das gnädige Fräulein auch während Ihrer Krankheit einen männlichen Schutz hat.“

Doktor Buchwald winkte ab.

„Daran ist nicht zu denken, lieber Doktor, Sie wissen, wir werden beide daheim gebraucht, und es ist schon schlimm genug, dass ich zurückbleiben muss. Aber hier liegt die unbedingte Notwendigkeit vor, und ich hoffe, um so frischer an die Arbeit gehen zu können, wenn ich zurückkomme. Ich rechne sehr darauf, dass Sie unsern Herren Direktoren die notwendigen Berichte an meiner Statt liefern können und ihnen klar machen, dass sie mich noch eine Weile entschuldigen müssen.“

Heinz Dewall riss seinen Blick aus Rosmaries Augen und sah ihn an.

„Dessen können Sie versichert sein, Herr Doktor. Aber es ist doch selbstverständlich, dass Ihre Gesundheit vorgeht. Damit müssen sich die Herren abfinden.“

„Das werden sie auch tun, ich hoffe ja nicht lange aussetzen zu müssen. Sie wissen, es erwarten uns interessante Aufgaben, denen ich sehr gern meine Kräfte widmen möchte. Auf ein paar Wochen darf es dann nicht ankommen.“

„Zumal Sie Ihre Aufgabe in Japan glänzend und sogar mit Zeitersparnis gelöst haben. Wie befinden Sie sich jetzt?“

„Wenn ich ruhe, ganz leidlich, nur sobald ich mich lebhaft bewege oder ausschreite, spüre ich mein Leiden schmerzhaft. Jetzt haben wir ja aber zum Glück wieder ruhige Fahrt. Und wenn Sie meiner Tochter zu einem Spaziergang an Bord in Ihrer Begleitung verhelfen wollten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Sie sitzt zu viel still bei ihrem kranken Vater. Das taugt einem jungen Blut nicht.“

Heinz Dewall sprang sehr bereitwillig auf und verbeugte sich vor Rosmarie.

„Wenn Sie sich meine Gesellschaft gefallen lassen wollen, mein gnädiges Fräulein?“

Rosmarie sah den Vater besorgt an.

„Ich möchte dich nicht gern allein lassen, lieber Vater.“

„Geh nur ruhig, ich will versuchen, ein Schläfchen zu machen.“

Da erhob sich Rosmarie, legte dem Vater ein Kissen unter den Kopf, zog die warme Decke fest um den Körper, damit er warm genug war und nickte ihm liebevoll zu.

„Also, dann laufe ich mich ein wenig aus, Vater, es wird mir gut tun.“

Er nickte ihr lächelnd zu und schloss die Augen, als wenn er gleich bereit wäre, einzuschlafen.

Rosmarie schritt an Heinz Dewalds Seite die Deckpromenade entlang. Zunächst schwiegen sie beide und suchten mit ihrer Enttäuschung fertig zu werden, denn sie waren beide sehr erregt über die bevorstehende Trennung. Endlich vermochte Doktor Dewall zu sprechen.

„Das war eine sehr betrübende Nachricht, die ich eben bekam, mein gnädiges Fräulein.“

Schnell sah sie von der Seite zu ihm auf.

„Ja, ganz abgesehen davon, dass mein Vater krank ist und operiert werden muss, was mir natürlich schwere Sorge macht, so leicht er es auch hinzustellen versucht, hatten wir uns doch alle drei auf die gemeinsame Heimreise gefreut. In Japan waren die Herren von früh bis spät mit Geschäften und Arbeiten überhäuft, da blieb für mich wenig Zeit. Und die ersten Sturmtage haben uns auch keine Ruhe und Behagen gebracht. Nun ich endlich darauf hoffen durfte, Vaters und Ihre Gesellschaft zu geniessen, muss ich Vater ins Sanatorium bringen — und — Sie reisen nun allein weiter.“

Die Muskeln seines grosszügigen, energischen Gesichts zuckten wie in verhaltenem Schmerz.

„Wenn Sie wüssten, wie schwer mich diese Aussicht getroffen hat. So froh und glücklich machte es mich, in Ihrer — und Ihres Herrn Vaters Gesellschaft zu reisen. Sie wissen, ich verehre Ihren Herrn Vater grenzenlos, ich verdanke ihm so viel und bin immer sein eifriger Schüler gewesen. Ihm verdanke ich auch, dass ich ihm nach Japan nachgeschickt wurde. So viel des Neuen und Schönen habe ich in mich aufnehmen können und — so glücklich bin ich gewesen, dass — dass ich Sie hier kennen lernte und — Ihnen etwas näher kommen durfte. Nun soll das alles in wenig Tagen zu Ende sein — und — es bekümmert mich, dass ich Sie gewissermassen schutzlos in Honolulu zurücklassen muss. Solange Ihr Herr Vater ans Bett gefesselt ist, kann er sich doch gar nicht um Sie kümmern.“

Sie sah in seine besorgt blickenden Augen hinein, die wieder den warmen zärtlichen Ausdruck hatten. Ihr Herz klopfte rasch und laut und ihr Gesicht bedeckte eine lebhafte Röte. Aber sie sagte anscheinend ruhig:

„Natürlich werde ich nicht viel von Vaters Seite weichen, solange er festliegen muss. Der Schiffsarzt hat ihm gesagt, es könne nicht länger als vierzehn Tage dauern, bis er wieder aufstehen kann. Wir wollen also schlimmsten Falles mit drei Wochen rechnen. Der liebe Gott wird helfen, dass alles gut geht. Ich will Vater sein Leiden nicht noch durch ängstliche Verzagtheit erschweren. Dass Sie nicht gern allein weiterreisen werden, kann ich mir denken — Sie werden der einzige Deutsche sein, der an Bord zurückbleibt — oh nein — der Juwelier Wendler ist ja auch noch vorhanden — aber — mir scheint, der ist Ihnen nicht sehr sympathisch?“

„Nein — sogar ausgesprochen unsympathisch, wenn ich offen sein darf.“

Sie musste ein wenig lachen.

„Das klang sehr energisch! Ich finde ihn ganz nett, er ist immer guter Laune und sehr aufmerksam.“

Heinz Dewall fand, dass dieser Herr Wendler Rosmarie gegenüber sogar ziemlich aufdringlich war, aber das wollte er nicht aussprechen, weil er ganz gut wusste, dass er eine gewisse Eifersucht hegte gegen den Juwelier. So sagte er nur:

„Ich kann Menschen seiner Art nicht leiden und bin da vielleicht ungerecht.“

„Also jedenfalls wird Herr Wendler kein angenehmer Gesellschafter für Sie sein, Herr Doktor.“

Er zuckte mit den Augenbrauen. Dann lachte er ein wenig spöttisch über sich selbst und sagte humorvoll:

„Jedenfalls würde ich ihn mit Vergnügen missen.“

„Nun, es sind ja noch viele andere liebenswürdige Passagiere an Bord.“

Er seufzte tief.

„Aber gerade die, welche ich am liebenswürdigsten und liebenswertesten finde, verlassen in Honolulu den Dampfer — und das betrübt mich sehr. Nichts kann mich darüber trösten.“

Sie wurde wieder sehr rot und wagte ihn nicht anzusehen. Vielleicht wäre sie auch erschrocken vor dem Ausdruck seiner Augen, die so schmerzlich und sehnsüchtig an ihren reinen, weichen Zügen hafteten. Erst nach einer Weile sagte sie leise:

„Wir sehen uns ja hoffentlich recht bald wieder — daheim.“

Er atmete auf.

„Ja — sehen Sie, das ist doch ein Trost für mich — daran hatte ich in meinem Schmerz gar nicht gedacht. Wenn ich nur wüsste — ob es Ihnen auch, ganz abgesehen von Ihrer Sorge um Ihren Herrn Vater, ein wenig leid tut, dass — dass wir nicht zusammen weiterreisen können.“

Sie sah mit ihren schönen grauen Augen, die so bezaubernd aus ihrem reizenden Gesicht leuchteten, zu ihm auf. Sie riss die weisse Sturmkappe von ihrem welligen Blondhaar, so dass der Wind mit den Locken spielte, und dann sagte sie leise, dass er es kaum verstehen konnte:

,Sehr leid tut es mir — ich glaube, das brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen.“

Sie traten an die Reling heran und schauten auf die Wellen herab, die noch immer weisse Schaumkronen trugen. Schweigend standen sie nebeneinander. Seine Hand lag dicht neben der ihren und sie schaute auf diese schöne kräftige Männerhand herab, die so energisch zufassen konnte, wie sie wusste. Und wie schon oft, betrachtete sie den seltsamen Ring an seinem kleinen Finger.

„Sie tragen einen sehr originellen Ring, Herr Doktor!“ sagte sie, um ein unverfängliches Thema anzuschlagen.

Nun sah er auch auf den Ring herab.

„Es ist ein altes Erbstück meiner Familie. Meine Grossmutter mütterlicherseits hat ihn von einem Onkel als Geschenk erhalten, der ihn von einer Forschungsreise durch Afrika für sie mitbrachte. Er hat dabei gesagt, dieser Ring sei durch den Zauberspruch eines grossen Zauberers aus einem Negerstamme mit magischer Kraft versehen worden. Alles Unheil soll er abwenden von dem Menschen, der ihn trägt. Meine Grossmutter glaubte an diesen Zauber und hinterliess den Ring ihrer einzigen Tochter, meiner Mutter. Diese hinterliess ihn wieder mir mit ihrem Segensspruch, dass er mir immer nur Glück bringen möge. Sie schwor darauf, dass er sie aus mancherlei Not und Bedrängnis errettet hatte, und da sie ihn mir mit ihrem letzten Segen überliess, halte ich ihn, mehr durch diesen Segen, als durch den Spruch des schwarzen Zauberers, für glückbringend. Der Segen einer Mutter übertrifft meines Erachtens jeden anderen Zauber. Und zum Gedenken an meine Mutter, die ich sehr geliebt habe, trage ich den Ring — bis ich ihn eines Tages der Frau an den Finger stecke, die ich liebe, die ich an meine Seite stellen möchte für alle Zeit.“

Wieder wurde sie sehr rot und sagte mit leise bebender Stimme:

„Aber — dann schützt er Sie nicht mehr!“

„Dafür wird er die Frau schützen, die mein Höchstes auf der Welt sein wird — und damit wird er mir das Liebste und Kostbarste schützen, was ich besitze.“

Ehe Rosmarie auf diese Worte eine Antwort fand, wurden sie beide gestört. Miss Grace Vautham trat mit dem Juwelier Wendler zu den beiden heran.

„Sehen Sie dem Spiel der Delphine zu? Herr Wendler sagte mir, dass er eben ein Rudel davon gesichtet hat. Wenn wir nicht stören, möchten wir sie gleichfalls beobachten“, sagte Miss Grace lachend und warf Doktor Dewall einen koketten Blick zu.

Dieser war allerdings sehr ärgerlich über die Störung, sagte aber ruhig und artig:

„Sie stören gewiss nicht, miss Vautham, aber Delphine gibt es hier nicht zu bewundern, wenigstens für den Augenblick nicht.“

„Oh, wie schade! Es soll ja Glück bringen, wenn man Delphine um den Dampfer spielen sieht.“

„Dann bedaure ich doppelt, dass ich Ihnen keine zeigen kann, miss Vautham.“

„Wir haben soeben Ihrem Herrn Vater einen Besuch gemacht, mein gnädiges Fräulein“, sagte der Juwelier. „Leider hörten wir von ihm, dass Sie wahrscheinlich in Honolulu zurückbleiben werden.“

Rosmarie wandte sich ihm zu.

„Leider muss sich mein Vater einer Operation unterziehen.“

„Das hörten wir! Ist ja sehr bedauerlich“, meinte Miss Grace, aber im Innern fand sie es sehr erspriesslich für ihre Pläne, dass die reizende Nebenbuhlerin aus dem Wege geräumt wurde. Wieder mit einem koketten Blick zu Doktor Dewall aufsehend, sagte sie lächelnd:

„Dann müssen wir uns gegenseitig über den Verlust trösten, der uns bedroht. Wie schade, dass Sie nicht weiterreisen können mit uns.“

„Es tut mir auch sehr leid“, sagte Rosmarie.

„Aber wie leid tut es erst mir, mein gnädiges Fräulein. Leider ist meine Zeit gemessen, ich muss zu einem bestimmten Termin in Berlin sein, sonst würde ich mich Ihnen als Kavalier und Beschützer zur Verfügung stellen“, sagte Wendler, Rosmarie anschmachtend.

Doktor Dewall hätte den Juwelier in diesem Augenblick mit Vergnügen und Erleichterung über Bord werfen mögen. Was bildete sich dieser Mensch ein, dass er sich so aufzudrängen wagte? Und Rosmarie Buchwald erwiderte auch noch sehr freundlich auf seine Worte:

„Ich danke Ihnen jedenfalls schon für Ihren guten Willen, Herr Wendler. Sie sind sehr liebenswürdig.“

Wendler warf Rosmarie einen verliebten Blick zu.

„Hoffentlich sehen wir uns dann sehr bald in Berlin wieder, ich werde mir sofort nach Ihrer Rückkehr erlauben, Ihnen und Ihrem Herrn Vater meine Aufwartung zu machen.“

„Das wird uns sehr freuen, Herr Wendler“, sagte Rosmarie freundlich und liebenswürdig, wie sie immer war. Heinz Dewall aber fand, dass sie viel zu liebenswürdig zu diesem „aufdringlichen Laffen“ gewesen war, und sein Wunsch, diesen in den Ozean zu werfen, wurde noch viel stärker. Rosmarie ahnte nicht, dass ihn Eifersucht verzehrte. Wendler war ein landläufig hübscher Mensch, der bei den Frauen viel Glück hatte. Für Rosmarie hatte er keinerlei Bedeutung und sie fand ihn zuweilen etwas lästig. Aber gerade darum suchte sie ihm sehr liebenswürdig zu begegnen. Es war ihr immer sehr peinlich, einen Menschen merken zu lassen, dass er ihr wenig oder gar nicht sympathisch war. Sie sagte sich immer, dafür könne kein Mensch verantwortlich gemacht werden, und sie nahm ohne weiteres an, dass sie auch vielen Menschen unsympathisch sein müsse und diese sie auch nicht merken lassen durften, dass sie nicht wohlgelitten von ihnen war.

So schien es gar nicht, als sei ihr Herr Wendler nicht angenehm, im Gegenteil, Heinz Dewall konnte sich sehr wohl einbilden, dass sie den Juwelenhändler auszeichnen wollte. Warum auch nicht? Ein reicher und ansehnlicher Mensch! Frauen waren immer unberechenbar! — Wer konnte wissen, ob Wendler Rosmarie nicht angenehmer war, als er selbst.

Bei dieser Erwägung stieg der Wunsch, Wendler über Bord werfen zu dürfen, immer höher.

Das eitle, gefallsüchtige Lächeln dieses Kleinodhändlers störte Doktor Dewall derartig, dass er sich abwenden musste. Er unterhielt sich mit Miss Vautham, die nun an seiner andern Seite an der Reling lehnte, und auch sie bemerkte den seltsamen Ring an seiner Hand. Doch sprach sie nicht darüber, sondern benützte die Zeit besser, indem sie mit ihm zu flirten versuchte, worauf Doktor Dewall jedoch nicht einging.

Darüber ärgerte sich Miss Grace sehr, zumal sie bemerkt hatte, dass er Rosmarie vorhin, als sie herzutrat, sehr zärtlich und innig angesehen hatte. Und sie war sehr froh und zufrieden, dass diese mit ihrem Vater in Honolulu zurückbleiben musste. Irgendwie, sie wusste noch nicht, auf welche Weise, würde sie Rosmarie schon ausstechen.

Immer wieder sah sie, wie hypnotisch angezogen, auf den Ring hinab, den Heinz Dewall am Finger trug, und sie prägte sich die seltsame Form desselben ein, obwohl sie nicht wusste, warum.

Nachdem man noch eine Weile geplaudert und vergeblich nach Delphinen Ausschau gehalten hatte, richtete sich Rosmarie auf.

„Ich muss jetzt zu meinem Vater zurückehren. Bitte entschuldigen Sie mich!“

Damit wollte sie sich entfernen, aber gleich war Heinz Dewall an ihrer Seite.

„Ich begleite Sie natürlich zu Ihrem Herrn Vater zurück, mein gnädiges Fräulein“, sagte er und verneigte sich vor den beiden Zurückbleibenden.

Wendler sah ihm wütend nach.

Miss Grace vermochte seine Gedanken zu lesen und sagte ironisch:

„Er hat mehr Glück als Sie, Herr Wendler!“

Dieser fuhr auf.

„Wie meinen Sie das?“

„So, wie ich sage. Die kleine süsse Rosmarie Buchwald scheint einen grossen Zauber auf die Männer auszuüben.“

Wendler richtete sich straff empor.

„Nun, man wird ja noch mit ihm in die Schranken treten können.“

„Da er ein armer Ingenieur ist, haben Sie sicher einige Aussichten — genau so, wie ich.“

Er starrte sie an.

„Sie? Ah — soll das heissen, dass — nun ja — dass Sie Absichten haben auf diesen Herrn Doktor?“

Ihre Augen blitzten ihn an.

„Ja — das soll es heissen — genau, wie Sie Absichten auf die reizende blonde Rosmarie mit den Sternenaugen haben.“

Er sah etwas unbehaglich aus.

„Warum sagen Sie mir das?“

„Um Ihnen zu zeigen — dass wir an einem Strange ziehen. Ganz offen, Herr Wendler — wir könnten einander sehr von Nutzen sein, wenn wir gemeinsame Sache machten. Ich könnte Ihnen zur schönen Rosmarie verhelfen, wenn Sie mir helfen würden, meine Nebenbuhlerin bei Doktor Dewall aus dem Felde zu schlagen.“

Wendlers Augen blitzten verschlagen auf, was sein Gesicht nicht gerade verschönte. Und plötzlich hielt er ihr die Hand hin.

„Einverstanden — wir beide können uns gegenseitig viel Schwierigkeiten aus dem Wege räumen.“

„Das ist auch meine Ansicht. Jedenfalls sind wir darüber einig, dass wir eine Verbindung zwischen Doktor Dewall und Fräulein Buchwald um jeden Preis verhindern wollen, nicht wahr?“

„Ja, darüber sind wir einig!“ rief der Juwelier, dem ein begehrliches Feuer aus den Augen brannte. Und dann fuhr er fort: „Aber wie machen wir das?“

„Lassen Sie mich überlegen. Vor allen Dingen müssen wir den Vorteil ausnützen, dass Fräulein Buchwald mit ihrem Vater in Honolulu zurückbleibt. Das ist ein sehr günstiger Zufall für uns beide.“

Unsicher sah er sie an.

„Für Sie allerdings, Miss Vautham, weil Sie dann Gelegenheit haben, Doktor Dewall für sich zu gewinnen, ohne dass Ihnen Fräulein Buchwald dazwischen kommt. Aber für mich? — Ich habe dann doch gar keine Gelegenheit, mich bei Fräulein Buchwald niedlich zu machen.“

„Aber bedenken Sie doch — wir ziehen an einem Strang. Wenn ich Doktor Dewall für mich gewinne, ist für Sie doch der Weg zu Fräulein Buchwald frei. Sie können dann in Berlin ungehindert auf Ihr Ziel losgehen.“

Es blitzte in seinen Augen auf.

„Das ist richtig! Also Sie überlegen sich einen Feldzugsplan — ich bin ganz der Ihre und werde mich in den Dienst Ihrer Sache stellen, um die meine zu fördern. Frauen sind ja in solchen Sachen erfinderischer als Männer.“

Sie warf entschlossen den Kopf zurück.

„Verlassen Sie sich auf mich — wir werden zum Ziel kommen. Dor Honolulu werden wir nicht viel tun können, als möglichst oft störend zwischen den beiden aufzutauchen. Bis Honolulu aber habe ich sicher meinen Plan fertig.“

„Wir sind also treue Verbündete?“

Sie reichte ihm die Hand.

„Das sind wir. Und Sie werden vorsichtig sein, damit unser Komplott nicht verraten wird.“

„Selbstverständlich! Vielleicht ist es gut, wenn wir beide uns einander etwas fernhalten.“

Miss Grace lächelte seltsam.

„Das ist nicht nötig, im Gegenteil werden wir recht vertraulich miteinander verkehren. Damit machen wir Doktor Dewall ein wenig eifersüchtig. Es reizt die Männer immer besonders, wenn sie merken, dass eine Frau auch anderweitig begehrt wird.“

Der Juwelier lachte sein spitzes, unschönes Lachen und funkelte sie an.

„Aha, ich verstehe. Nun, meine Rolle werde ich schon zu Ihrer Zufriedenheit spielen. Dem Herrn Doktor werden wir mit vereinten Kräften schon einheizen.“

Sie unterhielten sich über dies Thema noch eine Weile im Flüstertone und schlenderten dann Seite an Seite die Deckpromenade entlang.

*

Die Tage bis zur Landung in Honolulu vergingen für Rosmarie Buchwald und Doktor Dewall nur zu schnell. Sie waren vom herrlichsten Wetter begünstigt und da sich Doktor Buchwald ruhig in seinem Liegestuhl auf Deck verhielt, war sein Zustand so erträglich, als er nur sein konnte. Rosmarie umgab den Vater mit liebevoller Sorgfalt und wäre kaum von seiner Seite gewichen, wenn er sie nicht immer wieder dazu veranlasst hätte, sich bei Spiel und Sport Bewegung zu machen. Sie musste auch ihre gewohnte Gymnastik treiben, nahm jeden Morgen ein Schwimmbad, beteiligte sich mit Doktor Dewall an den sportlichen Spielen an Bord, und wenn ihnen dabei auch selten ein Alleinsein beschieden war, da zum mindesten Miss Vautham und Kurt Wendler sich in ihrer Gesellschaft aufhielten, so konnten sie doch wenigstens zuweilen einen verstohlenen Blick, einen heimlichen Händedruck oder einige scheinbar belanglose Worte tauschen, die ihnen aber doch verrieten, wie ihre Herzen zu einander standen.

Am Abend vor dem Tage, da der Dampfer in Honolulu anlegen sollte, litt es Rosmarie nicht in ihrer Kabine. Sie nahm einen Mantel um und begab sich auf Deck. Langsam promenierte sie auf und ab, sog in tiefen Zügen die abgekühlte Abendluft ein, und liess ihre Blicke sinnend in die Ferne schweifen. Morgen sollte es also zu einem Abschied zwischen ihr und Heinz Dewall kommen. Dieser Gedanke machte ihr das Herz schwer, zumal sie sehr wohl in den letzten Tagen bemerkt hatte, dass Miss Vautham ihm sehr kokette und schmachtende Blicke zuwarf und sich immer an seiner Seite hielt, trotzdem sie auch wieder mit Kurt Wendler kokettierte, der seine Aufmerksamkeiten zwischen ihr und Miss Vautham teilte.

Wie Doktor Dewall zu Miss Vautham stand, glaubte sie zu wissen. Er war aufmerksam und artig zu ihr, wie zu jeder Dame, sie aber wusste dem allem eine besondere Note zu geben, die zuweilen Intimitäten auslöste. Rosmarie wurde sehr traurig, als sie darüber nachdachte, wie intensiv wohl Miss Vautham auf der Weiterreise mit Heinz Dewall kokettieren würde. Männer sind so schwach werbenden Frauen gegenüber, das wusste sie. Und wenn er auch für sie immer einen viel wärmeren Ton hatte als für Miss Vautham, so hatte er doch nie ein Wort gesprochen, das ihr Gewissheit gegeben hatte, an seine Liebe glauben zu können. In den letzten Tagen war es zu keiner ungestörten Stunde zwischen ihnen gekommen, immer waren entweder Miss Vautham oder der Juwelier, wenn nicht gar alle beide in ihrer Nähe aufgetaucht. So musste sie fürchten, dass sie sich morgen von Heinz Dewall trennen musste, ohne eine bestimmte Hoffnung zu haben, dass er sie liebte und zu ihr gehören wollte. Sie lehnte sich an die Reling und sah mit feuchtschimmernden Augen zum Mond empor, der in einer scharfen, hellen Sichel am Himmel stand. Ein Seufzer flog hinauf zum Himmel. So tief war sie in ihre schmerzlichen Gedanken versunken, dass sie nicht hörte, wie Heinz Dewall auf den Platz zugeschritten kam, wo sie verweilte. Auch ihn hatte es ins Freie getrieben mit seinem sehnsüchtigen vollen Herzen. Dass er Rosmarie jetzt nicht mit einem Antrag kommen dürfe, sah er ein. Ihre Sorge galt jetzt dem Vater, und dieser war sicher auch nicht in der Stimmung, seine Tochter zu verloben. Es tröstete ihn daher ein wenig, dass der Juwelier, auf den er eifersüchtig war, ebenfalls von Rosmarie getrennt werden würde, da er mit ihm weiter reiste. Wie konnte er wissen, ob sich nicht andere Bewerber in seiner Abwesenheit um Rosmarie drängen würden.

Diese Gedanken hatten ihn hinaufgetrieben auf Deck, als schon alles an Bord zur Ruhe gegangen war, ausser einigen Herren, die noch in der Bar zusammensassen.

Und nun erblickte er zu seiner grossen Freude Rosmarie an der Reling. Ihr blonder Kopf wurde vom Mond beleuchtet und er erkannte sie sofort an dem metallischen Flimmern ihres Haares.

„Sie sind noch wach, gnädiges Fräulein?“

Rosmarie wandte sich erschrocken um und sah ihn an. Er erkannte, dass ihre Augen feucht waren und das liess ihm das Herz schneller klopfen.

„Ja, es war so heiss in der Kabine, Herr Doktor, und ich wollte noch ein wenig frische Luft schöpfen.“

„So erging es mir auch und ich freue mich nun sehr, dass ich mich noch zu diesem späten Spaziergang verleiten liess. So kann ich doch ungestört Abschied von Ihnen nehmen, denn morgen werden wir kaum eine Weile für uns allein haben können. Ich zweifelte schon daran, dass ich Ihnen ohne Zeugen Lebewohl sagen könnte. Immer sind wir in Gesellschaft. Dieser Herr Wendler geht ja kaum noch von Ihrer Seite.“

Sie hörte etwas wie Eifersucht durch seine Stimme klingen und das machte sie froh. Sie lachte ein wenig.

„Oh, er überbietet sich an Aufmerksamkeiten, das muss ich sagen.“

„Worüber ich gar nicht so entzückt bin. Sagen Sie mir ehrlich, mein gnädiges Fräulein — haben Sie sehr viel Interesse an Herrn Wendler?“

Wieder lachte sie leise.

„Er ist ja sehr amüsant und versteht es zuweilen, meine Sorgen um Vater zu zerstreuen. Wenn Sie das Interesse nennen, dann ist solches allerdings vorhanden.“

Er seufzte tief auf.

„Das gönne ich ihm nicht!“ stiess er heiser hervor.

Da richtete sie ihre Augen mit einem so lieben Blick auf sein Gesicht, dass ihm plötzlich ganz leicht ums Herz wurde. Nein, wenn Rosmarie Buchwald ihn so ansehen konnte, dann hatte Herr Wendler sicher keine Aussichten bei ihr, wenn er auch ein noch so reicher Mann, eine noch so glänzende Partie war.

Er fasste plötzlich ihre Hand.

„Es schmerzt mich so sehr, dass wir uns morgen trennen müssen, dass Sie allein zurückbleiben mit Ihrem kranken Vater. Ich bin so sehr besorgt um Sie, und darf doch jetzt meiner Sorge nicht beredteren Ausdruck geben. Aber — eins müssen Sie mir gestatten — Fräulein Rosmarie — Sie wissen, was ich Ihnen von diesem Ring erzählt habe, den mir meine Mutter mit ihren Segenssprüchen hinterliess. Bitte, wollen Sie diesen Ring als glückbringendes Amulett tragen? Er soll ein Talisman sein, der Sie beschützt und behütet vor allen Gefahren und Sie sicher und unversehrt wieder in die Heimat zurückführt — wo ich Sie mit Sehnsucht erwarten werde.“

Damit zog er den Ring von seinem Finger und hielt ihn ihr mit bittender Gebärde hin. Sie fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, denn sie erinnerte sich sehr wohl, was er gesagt hatte, als er ihr von dem Ringe sprach: „. . . bis ich ihn eines Tages der Frau an den Finger stecke, die ich liebe, die ich an meine Seite stellen möchte für alle Zeit.“

Sie wusste, fühlte, dass er ihr jetzt den Ring bot, war so gut wie ein stilles Verlöbnis. Es wurde ihr plötzlich klar, dass er jetzt nicht offiziell um sie werben wollte, solange ihr Vater krank war. Aber er wollte sie auch nicht von seiner Seite lassen, ohne ihr zu verstehen zu geben, dass er sie liebte. Unsicher sah sie zu ihm auf.

„Aber — wenn Sie den Ring von sich lassen, wird er Sie nicht mehr schützen!“ sagte sie leise.

„Wenn er Sie beschützt, dann beschützt er auch mich, Fräulein Rosmarie. Bitte, nehmen Sie ihn und tragen Sie ihn — es — es wird mich ruhig machen und — mir eine süsse Hoffnung geben.“

Ihre Augen ruhten ineinander mit einem unbeschreiblichen Blick. Dann streckte sie ihm langsam die Hand entgegen und er fasste diese Hand und steckte den Ring daran. Dann küsste er die kleine bebende Mädchenhand wie in andächtiger Feierlichkeit. Rosmarie überlief ein Zittern und wieder versanken ihre Blicke ineinander. So standen sie noch eine Weile, ohne zu sprechen, Hand in Hand, Auge in Auge. Und sie fühlten sich beide durch diese symbolische Handlung inniger und fester verbunden, als durch ein feierliches Verlöbnis.

Es bedurfte keiner Worte mehr. Aber trotzdem waren sie beide sehr unliebsam berührt, als plötzlich Miss Vautham neben ihnen auftauchte.

„Ah, Sie sind auch noch auf Deck! Es war so heiss in der Kabine und ich wollte mir etwas Luft schaffen“, sagte sie anscheinend ganz unbefangen, obwohl sie sehr wohl merkte, dass die beiden Menschen ihr Kommen durchaus nicht erfreut begrüssten.

Doktor Dewall fasste sich zuerst und erwiderte artig:

„Die Sehnsucht nach einem frischen Luftzug hat auch uns zufällig heraufgetrieben. Fräulein Buchwald traf ich schon im Freien, als ich heraufkam.“

Rosmarie strich sich mit der Hand das lose Haar aus der Stirn, sie war noch viel weniger als Heinz Dewall entzückt, dass Miss Vautham sie auch jetzt, wie so oft, wieder störte. Aber sie war doch so froh und glücklich über das, was zuvor zwischen ihr und Heinz Dewall vorgefallen war, dass sie alle eifersüchtigen Regungen vergass. Ein Lächeln huschte über ihre Züge.