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Früher entwarfen Designer Gegenstände. Heute wird praktisch alles designt: das Klima, Prozesse, Flüchtlingslager. Wenn jedoch alles designt wird, ist es höchste Zeit, Design nicht länger allein nach ästhetischen Gesichtspunkten zu bewerten. Wir brauchen, so Friedrich von Borries, eine politische Designtheorie. Der Mensch ist gezwungen, die Bedingungen, unter denen er lebt, zu gestalten. Geschieht dies so, dass Handlungsoptionen reduziert werden, haben wir es mit Unterwerfung zu tun.
In seinem Manifest plädiert von Borries für ein entwerfendes Design (des Überlebens, der Gesellschaft, des Selbst), das sich der totalitären Logik der Versicherheitlichung entzieht und gegen die Ideologie der Alternativlosigkeit neue Formen des Zusammenlebens imaginiert.
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Seitenzahl: 120
Früher entwarfen Designer Gegenstände. Heute wird praktisch alles gestaltet: das Klima, Prozesse, Flüchtlingslager. Deshalb darf Design nicht nur nach ästhetischen, funktionalen und ökonomischen Gesichtspunkten bewertet werden. Wir brauchen, so Friedrich von Borries, eine politische Designtheorie. Der Mensch ist gezwungen, die Bedingungen, unter denen er lebt, zu gestalten. Geschieht dies so, dass Handlungsoptionen reduziert werden, haben wir es mit Unterwerfung zu tun.
In seinem Manifest plädiert von Borries für ein entwerfendes Design (des Überlebens, der Sicherheit, der Gesellschaft, des Selbst), das sich der totalitären Logik des Kapitalismus entzieht und gegen die Ideologie der Alternativlosigkeit neue Formen des Zusammenlebens imaginiert.
Friedrich von Borries, geboren 1974, lehrt Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Im Suhrkamp Verlag erschienen zuletzt Wer hat Angst vor Niketown (es 2652), Klimakapseln. Überlebensbedingungen in der Katastrophe (es 2615) sowie die Romane 1WTC (2011) und RLF (2013).
Friedrich von Borries
WELTENTWERFEN
Eine politische Designtheorie
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der edition suhrkamp 2734.
© Suhrkamp Verlag Berlin 2016
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Umschlag gestaltet nach einem Konzept
von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt
Abbildung Schutzumschlag: © Bernhard Leitner
eISBN 978-3-518-74896-1
www.suhrkamp.de
Entwerfen
Überlebensdesign
Sicherheitsdesign
Gesellschaftsdesign
Selbstdesign
Welt
Literatur
Entwerfen. Unterwerfen. Alles, was gestaltet ist, unterwirft uns unter seine Bedingungen. Gleichzeitig befreit uns das Gestaltete aus dem Zustand der Unterwerfung, der Unterworfenheit. Design1 schafft Freiheit, Design ermöglicht Handlungen, die zuvor nicht möglich oder nicht denkbar waren. Indem es dies tut, begrenzt es aber auch den Möglichkeitsraum, weil es neue Bedingungen schafft. Alles, was gestaltet ist, entwirft und unterwirft. Design ist von dieser sich bedingenden und ausschließenden Gegensätzlichkeit grundlegend geprägt. Diese dem Design inhärente Dichotomie2 ist nicht nur eine gestalterische, sondern eine politische. Sie bedingt Freiheit und Unfreiheit, Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Widerstand. Sie ist das politische Wesen von Design.3
Das als Gegenteil zum Unterwerfen verstandene Entwerfen ist Ausgangspunkt für eine politische Perspektive auf Design, die Entwerfen als einen grundlegenden, emanzipatorischen Akt versteht.4 Eine entsprechende Designtheorie baut auf Denkfiguren auf, die aus der Philosophie und den Sozialwissenschaften stammen. Grundlagen sind Überlegungen der Philosophen Martin Heidegger und Vilém Flusser, die sich beide mit dem Entwerfen befasst haben.
Martin Heidegger (1889-1976)5 beschreibt den Menschen als ungefragt in die Welt gekommen, als in die Welt »geworfen«. Diese »Geworfenheit« ist für Heidegger eine Grundstruktur alles Seienden. Der Mensch ist jedoch nicht allein durch die Geworfenheit bestimmt, sondern auch durch den »Entwurf«. Heidegger schreibt in seinem Hauptwerk Sein und Zeit aus dem Jahre 1927: »Der Entwurf ist die existenziale Seinsverfassung des Spielraums des faktischen Seinkönnens. Und als geworfenes ist das Dasein in die Seinsart des Entwerfens geworfen.« (Heidegger 1986 [1927], S. 145) Der Mensch wurde nicht nur ungefragt auf die Welt gebracht, sondern auch unfreiwillig ein entwerfendes Wesen. Heidegger führt aus: »Das Entwerfen hat nichts zu tun mit einem Sichverhalten zu einem ausgedachten Plan, gemäß dem das Dasein sein Sein einrichtet, sondern als Dasein hat es sich je schon entworfen und ist, solange es ist, entwerfend.« (Ebd.)
Vilém Flusser (1920-1991)6 führt diese fundamentalontologischen Gedanken Jahrzehnte nach dem Erscheinen von Sein und Zeit weiter. Er fügt dabei Heideggers Konzept von Entwerfen ein politisch widerständiges Moment hinzu. Der Mensch, so Flusser, »stellt die Welt in erster Linie nicht mehr als ihm gegeben dar, sondern eher als von ihm entworfen, und sich selbst nicht mehr als dem Gegebenen unterworfen, sondern sich entwerfend.« (Flusser 1995, S. 307)
Das zentrale Element der Menschwerdung, so Flusser weiter, ist das Entwerfen, der Weg vom Subjekt zum Projekt. Während das »Sub-jekt« (von lateinisch subiectum, das Daruntergeworfene) also unterworfen ist, wirft oder denkt sich das Projekt nach vorne. Wenn wir entwerfen, befreien wir uns. Das ist der Wesenskern unseres Menschseins. Der Designer Otl Aicher (1922-1991)7 postuliert in diesem Sinne: »man kann die welt verstehen als entwurf. als entwurf, das heißt als produkt einer zivilisation, als eine von menschen gemachte und organisierte welt. […] die welt, in der wir leben, ist die von uns gemachte welt. […] entwürfe machen autonom. entwerfer sind gefährlich, gefährlich für jede hoheitliche autorität. […] im entwerfen kommt der mensch zu sich selbst. […] der entwurf ist das erzeugen von welt. […] im entwurf nimmt der mensch seine eigene entwicklung in die hand. entwicklung ist beim menschen nicht mehr natur, sondern selbstentwicklung. […] im entwurf wird der mensch das, was er ist. sprache und wahrnehmung haben auch tiere. aber sie entwerfen nicht.« (Aicher 1991b, S. 195 f.)
Entwerfen, verstanden als Gegenteil von Unterwerfen, ist die praktische Umsetzung der Aufklärung.8 Entwerfen ist subversiv, gefährlich, aufrührerisch. Entwerfen ist Befreiung. Entwerfen ist der Ausgang des Menschen aus seiner Unterworfenheit.
Entwerfen als Praxis des Designs hat immer einen Gegenstand, auf den es sich bezieht. Gegenstand hat dabei zwei Bedeutungen. Die erste Bedeutungsebene bezieht sich auf die Dinglichkeit des Gestalteten. Auch wenn Design unsichtbar sein kann (Burckhardt 2004 [1980]), weil es die Gestaltung von Prozessen, Beziehungen und Situationen mit einbezieht, assoziieren wir mit dem Begriff Design meistens etwas Gegenständliches, Dingliches. Doch dass Design einen Gegenstand hat, bedeutet noch etwas Grundsätzlicheres: dass uns etwas entgegensteht, gegen das wir angehen, dem wir uns entgegenstellen müssen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Zum Wesen des Gegenstandes schreibt Flusser: »›Gegenstand‹ ist, was im Weg steht, dorthin geworfen wurde. […] Die Welt ist insoweit gegenständlich, objektiv, problematisch, insoweit sie hindert.« (Flusser 1993, S. 40) Diese zweite Bedeutungsebene von Gegenstand findet sich etymologisch auch im Begriff »Ob-jekt« (von lateinisch obiectum, das Entgegengeworfene).
Der durch Design zu überwindende Gegenstand von Design sind die Bedingungen des Lebens selbst, die jeder Designer durch die planvolle Gestaltung der Welt zu ändern versucht. Die Philosophin und politische Theoretikerin Hannah Arendt (1906-1975) befasste sich in ihrem Werk Vita Activa mit den Bedingungen des menschlichen Lebens, der conditio humana. »In dieser Dingwelt«, so Arendt, »ist menschliches Leben zu Hause, das von Natur in der Natur heimatlos ist.« (Arendt 2015 [1960], S. 16) Der Mensch lebt unter Bedingungen, die die Menschheit selbst geschaffen hat. »Was immer menschliches Leben berührt«, so Arendt weiter, »was immer in es eingeht, verwandelt sich sofort in eine Bedingung der menschlichen Existenz. Darum sind Menschen, was immer sie tun oder lassen, stets bedingte Wesen.« (Ebd., S. 19) Das, was wir gestalten, entsteht nicht voraussetzungslos. Unser Leben unterliegt Bedingungen. Wir entscheiden nicht frei, sondern bewegen uns in einem Feld von Normen, Werten, Prägungen. Die von uns erzeugten Dinge (und, im Sinne eines erweiterten Designbegriffs, auch die Räume, Beziehungen und Ordnungen) sind diesen Bedingungen unterworfen. Diese Bedingungen sind in der Welt, in die wir geworfen sind, gegeben – und werden durch das Design, das wir projektierend der Welt entgegenwerfen, verändert.
Verdinglichung bedeutet, dass unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse auch der Mensch selbst zu einem Ding wird: durch den Verkauf seiner Arbeitskraft, seines Wissens und seiner Kreativität, der Produkte seiner Arbeit. Er tut dies, um wiederum Dinge, Waren, konsumieren zu können. »Eine Ware«, schreibt Karl Marx (1818-1883), »scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding« zu sein (Marx 1968 [1867], S. 85). Aber sobald das Produkt menschlicher Arbeit als Ware auftrete, verwandele es sich »in ein sinnlich übersinnliches Ding« (ebd.). Dabei entspringt der übersinnlich-mystische Charakter der Ware aus der Warenform selbst. Denn der Wert einer Ware bestimmt sich nicht auf Grundlage des Gebrauchswertes oder der benötigten Arbeitszeit, sondern ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses. Das »bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst« nimmt »hier für sie [die Menschen] die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen« an (ebd., S. 86). Das Resultat ist eine Verdinglichung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Mit der Verdinglichung geht eine Entfremdung einher, der Mensch wird sich selbst, anderen Menschen, seiner ganzen Lebenswelt gegenüber entfremdet – und vor allem dem Produkt seiner Arbeit, die nun Ware ist. Die Menschen beginnen, sich selbst und andere, so der Philosoph Theodor W. Adorno (1903-1969), »wie Sachen« zu behandeln (Adorno 1980 [1951], S. 46).
Die Gesellschaft, in der diese Form von Entfremdung möglich ist, baut auf einer Täuschung auf. Es scheint, als ob nicht die Menschen selbst, sondern Waren ein gesellschaftliches Verhältnis eingehen würden. Dieses sucht Marx mit dem Begriff »Fetischismus« zu fassen. Die Ware ist der Fetisch. Und für die ihre Arbeitsprodukte tauschenden Menschen besitzt ihre »eigene gesellschaftliche Bewegung […] die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren« (Marx 1968 [1867], S.89). Die von Marx analysierte Verkehrung, der Fetischcharakter der Ware und die damit einhergehende Überhöhung der von den Menschen produzierten Dinge, ist in der Massenkonsumgesellschaft durch die Kulturindustrie perfektioniert worden.
Man kann den Begriff »Verdinglichung« aber auch so verwenden, dass er die Verdinglichung von Bedingungen durch Design bezeichnet. Dann können die Lebensumstände, in denen sich die Menschen in der Welt befinden, als Produkte, als Designobjekte verstanden werden. Sie treten materiell oder strukturell in Erscheinung. Design im Sinne des Begriffs De-Signum, der »Ent-zeichnung« (vgl. Flusser 1993, S. 9), legt offen, welche gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen, kulturellen Bedingungen der Gestaltung der Dinge zugrunde liegen. Design kann damit als Ausdruck von Normen, aber auch von Ängsten und Hoffnungen verstanden werden: Es verdinglicht die Bedingungen. So werden diese anschaulich, greifbar und entfalten ihre Rückwirkung auf den Menschen. Gleichzeitig werden dadurch die Bedingungen selbst zum Gegenstand von Design.
Das, was wir erzeugen, beeinflusst die Bedingungen, unter denen wir leben. Das Verhältnis von gesellschaftlichen Bedingungen und dem Dinglichen des Designs sind die Bedingtheiten. Die Bedingtheit beschreibt den Zusammenhang zwischen den Dingen und der Welt, in der sie sich befinden. Oder mit den Worten Arendts: »Was in [der] Welt erscheint, wird sofort Bestandteil der menschlichen Bedingtheit.« (Arendt 2015 [1960], S. 19)
Die Dinge, das von uns erzeugte Zeug9 und die sie beherbergenden Räume und Orte sind die Bedingtheiten unseres Lebens (oder zumindest Repräsentanten der Bedingungen, in und unter denen wir leben). Die Analyse der zugrunde liegenden Wechselbeziehung von Bedingungen, Verdinglichung und Bedingtheiten ist die Grundlage einer politischen Designtheorie, denn in der Analyse der gestalteten Dinge (Gegenstände, Räume, Beziehungen etc.) erschließen sich die jeweiligen politischen, kulturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen.
Nicht jedes Design ist entwerfend. Im Gegenteil, Design kann, wie der Designer und Designtheoretiker Victor Papanek (1923-1998) in seinem 1971 erschienenen Buch Design for the Real World ausführt, Schlimmstes bewirken, also nicht befreien, sondern unterdrücken. »Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Industriedesigners, aber viele sind es nicht. Verlogener ist wahrscheinlich nur noch ein Beruf: Werbung zu machen, die Menschen davon überzeugen, dass sie Dinge kaufen müssen, die sie nicht brauchen, um Geld [auszugeben], das sie nicht haben, damit sie andere beeindrucken, denen das egal ist – das ist vermutlich der schlimmste Beruf, den es heute gibt. Die industrielle Formgebung braut eine Mischung aus billigen Idiotien zusammen, die von den Werbeleuten verhökert werden. […] Früher […] musste man, wenn man gerne Menschen umbrachte, noch General werden, ein Kohlekraftwerk kaufen oder Kernphysik studieren. Heute kann durch industrielle Formgebung Mord auf Basis der Massenproduktion erfolgen.« (Papanek 2009 [1971], S. 7)
Nicht jedes Design ist emanzipatorisch. Design kann sowohl entwerfend als auch unterwerfend sein. Dass die Grenzen dazwischen fließend sind, bürdet Designern die Verpflichtung auf, sich immer wieder mit den Verwertungskontexten und Instrumentalisierungen ihrer Arbeit auseinanderzusetzen.
Unterwerfendes Design bringt Objekte, Räume und Kontexte hervor, die die Handlungsmöglichkeiten ihrer Benutzer nicht – oder nur in einem vorgegebenen Rahmen – erweitern. Unterwerfendes Design bestätigt bestehende Herrschafts- und Machtverhältnisse, indem es diese funktional und ästhetisch manifestiert. Ein modernes Hochhaus wirkt dabei nicht anders als eine barocke Schlossanlage, und eine Monstranz unterscheidet sich in ihrer Wirkungsweise nicht von einem Smartphone. In beiden Fällen dient die Gestaltung der Verherrlichung eines Identifikationsangebotes, dem der Mensch sich unterwerfen soll. Auch ein vermeintlich neutrales, funktionalistisches Design, das sich nur einer unpolitischen Problemlösung verschrieben zu haben meint, entgeht nicht der immanenten Bindung des Designs an die Sphäre des Politischen. Denn oft sichert ein problemlösungsorientiertes Design die bestehende Ordnung – und übernimmt damit, auch ohne es zu wollen, eine politische Funktion.
Im gegenwärtigen westlichen System erfolgt die Unterwerfung nicht primär durch Zwang, sondern freiwillig. Man kann daher heute einen neuen Typ von Gesellschaft diagnostizieren: die Suggestionsgesellschaft.10 Sie beruht nicht auf Disziplinierung und Kontrolle, sondern ist von Freiwilligkeit geprägt; wir müssen nicht zur Unterwerfung gezwungen werden, sondern begeben uns freiwillig in Kontexte, in denen wir überwacht, kontrolliert und manipuliert werden können. Denn Unterwerfung bedeutet auch Entlastung, sie befreit von der Last der Entscheidung, von den Herausforderungen der Freiheit. Diese freiwillige Unterwerfung ist nur durch eine gleichzeitige Täuschung möglich, der kollektiven Übereinkunft, bestehende Zwangsstrukturen auszublenden und Freiheit zu simulieren. An die Stelle von Kritik, Opposition und Widerstand tritt die Selbsttäuschung: die Autosuggestion von Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung und Entfaltung.
Die Freiwilligkeit der Unterwerfung beruht aber auf einer Täuschung. Denn die Entmächtigung in der Konsumkultur wird nicht als Entmächtigung erlebt, sondern als Bereitstellung von Erlebnis- und Entfaltungsmöglichkeiten. Überwachung wird als Service verstanden, Unterwerfung als Selbstverwirklichung. Die Autosuggestion der Gegenwart besteht darin, dass wir glauben, uns zu entfalten, während die vermeintlichen Erfahrungs- und Entfaltungsmöglichkeiten in Wirklichkeit von Anfang an definiert, begrenzt und kontrolliert sind. So wie der Spieler eines Computerspiels denkt, er würde eigene Entscheidungen treffen, sich dabei aber nur zwischen programmierten Handlungsmöglichkeiten entscheiden kann, navigieren wir durch die Gesellschaft der Suggestion. Die angebotene »Freiheit« und »Selbstentfaltung« ist ein Fake, jedwede Handlungsmöglichkeit ist scripted, in der Programmstruktur angelegt. Die condition humaine der Gegenwart ist Täuschung und Selbstbetrug.