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Die majestätische Sierra Madre erhebt sich stolz über das Land. In ihrem Zentrum liegt ein geheimnisumwitterter Berg. Seine Hänge beherbergen einen uralten Indianerfriedhof, von dem der Hauch der Ewigkeit ausgeht. Doch das größte Geheimnis verbirgt sich in den Tiefen der Gesteinsmassen. Dort soll ein Silberschatz ruhen, der noch aus den Zeiten der Azteken stammt. Old Jed und sein Freund Jivaro folgen immerzu den Spuren zweier Schurken, die sie um ihr Hab und Gut gebracht haben. So gelangen sie zum Berg der Toten. Was sie dort erleben, übertrifft jede Vorstellung von Grauen und stellt ihre Entschlossenheit auf eine harte Probe ...
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Seitenzahl: 142
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In der Hölle der Sierra Madre
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Impressum
In der Hölle der Sierra Madre
Von Hal Warner
Die majestätische Sierra Madre erhebt sich stolz über das Land. In ihrem Zentrum liegt ein geheimnisumwitterter Berg. Seine Hänge beherbergen einen uralten Indianerfriedhof, von dem der Hauch der Ewigkeit ausgeht. Doch das größte Geheimnis verbirgt sich in den Tiefen der Gesteinsmassen. Dort soll ein Silberschatz ruhen, der noch aus den Zeiten der Azteken stammt. Old Jed und sein Freund Jivaro reiten gerade auf der Fährte von zwei skrupellosen Halunken, und so stoßen sie auf den Berg der Toten. Was sie dort erleben, ist grauenvoll ...
Haarscharf fegte die Kugel an Jivaros Kopf vorbei und ließ den Cayusen erschrocken auf die Hinterhand steigen. Das Halbblut zwang ihn zu Boden, glitt aus dem Sattel und zog den Hengst rasch hinter eine dicke Cottonwoodpappel.
Gleichzeitig sprang auch Jed Hawkins vom Pferd und suchte ebenfalls Deckung.
Es war keinen Augenblick zu früh, denn, schon feuerte der unsichtbare Gegner erneut. Das heiße Blei zischte über den alten Totengräber hinweg und streifte einen Baum im Hintergrund. Rindenstücke spritzten davon.
»Das ist ja eine schöne Begrüßung!«, knurrte er und schickte seinen Worten einen Fluch hinterher.
Jivaro hatte bereits seine Winchester aus dem Scabbard gezogen.
»Hast du was anderes erwartet?«, rief er, als er das Gewehr durchhebelte. »Wir sind am Ziel, schätze ich. Da vorne ist Towles Repose.«
Damit meinte er die armselige Gebäudeansammlung am westlichen Ufer des Rio Grande. Es waren nicht mehr als fünf oder sechs Häuser und Schuppen, die sich unter der sengenden Nachmittagssonne zu ducken schienen. Ein paar standen links der staubigen, von Unkraut überwucherten Straße, die anderen rechts.
Zu sehen war niemand. Wären die Schüsse nicht gefallen, hätten die beiden Freunde annehmen können, dass die winzige Ortschaft völlig ausgestorben war.
Doch es gab hier jemand, der sie aufhalten wollte. Jemand, der ihnen nach dem Leben trachtete. Denn die Schüsse waren gezielt gewesen.
Wo der Schütze steckte, hatten Jivaro und Old Jed nicht feststellen können. Auch als sie jetzt vorsichtig aus der Deckung spähten, bekamen sie keinen Hinweis darüber.
Entschlossen, den Gegner aus der Reserve zu locken, nahm Old Jed seinen verbeulten Schlapphut vom Kopf, steckte ihn auf die Mündung seiner alten Rifle und schob ihn aus der Deckung.
Prompt krachte ein dritter Schuss. Die Kugel traf den Hut und ließ ihn davonwirbeln.
In einem glaslosen Fenster war kurz ein Gewehrlauf zu sehen. Der heiße Wind zerpflückte den weißlichen Pulverrauch.
Jivaro hatte aufgepasst und wusste jetzt Bescheid. Er nickte Hawkins zu.
»Ich werde mir den Burschen schnappen. Bleib hier und beschäftige ihn.«
Mehr Worte waren nicht nötig. Der graubärtige Oldtimer wusste auch so, dass er abwechselnd mit seiner Rifle und der von Jivaro zurückgelassenen Winchester auf den Gegner schießen musste, damit dieser in dem Glauben blieb, dass niemand den Platz bei den Cottonwoods verlassen hatte. Die beiden Freunde waren bestens aufeinander eingespielt.
Geduckt glitt Jivaro davon. Er hatte nur seinen Colt bei sich. Ein niedriger Geländerücken gab ihm gegen die Häuser hin Deckung.
Mit donnerndem Krachen entlud sich Old Jeds alte Rifle. Die Kugel schlug irgendwo in einen Balken. Auch in der ehemaligen Poststation wurde geschossen.
Jivaro lief weiter und erreichte einen Buschgürtel, der sich in einem halbkreisförmigen Bogen bis hinter die verwitterten Gebäude auf der dem Fluss abgewandten Straßenseite zog.
Das erste Haus schien eine Schmiede zu sein. Ein offener Schuppen mit abgeschrägtem Dach grenzte an das verwahrloste Wohnhaus, aus dem soeben wieder geschossen wurde.
Jivaro nahm seinen Colt in die Faust. Wachsam verharrte er am Rand des Gebüsches und beobachtete das Gebäude.
Es hatte eine Hintertür. Auf dem mit mannshohen Disteln bewachsenen Hof lagen zerbrochene Wagenräder und rostige Radreifen herum. Fliegen umschwärmten einen stinkenden Abfallhaufen.
Nur wenige Schritte trennten Jivaro von der Tür. Nur wenige Schritte. Doch er würde auf dem Weg dorthin keine ausreichende Deckung haben. Nur zu leicht konnte er das Opfer einer Kugel werden.
Trotzdem musste er es wagen. Er hatte keine andere Wahl.
Schon sprang der sehnige Mann vorwärts.
Nichts geschah. Ungehindert erreichte Jivaro die Hintertür und presste sich seitlich von ihr gegen die Wand.
Die Tür war nur angelehnt. Jivaro brauchte sie nur aufzuschieben.
Doch was würde ihn in dem Haus erwarten?
Drüben bei den Cottonwoods erklang das helle Peitschen der Winchester. Es war der dritte Schuss, den Old Jed aus ihr abfeuerte, seit Jivaro sich von ihm getrennt hatte. Zweimal hatte er in der Zwischenzeit auch mit der Rifle geschossen.
Auch im Haus war mehrmals geschossen worden.
Jetzt krachte erneut ein Schuss, in dem das Knarren der rostigen Türangeln völlig unterging.
Mit dem Fuß schob Jivaro die Tür noch weiter auf und stand im nächsten Moment in dem halbdunklen Gebäude.
Sein Blick erfasste eine Gestalt am Fenster. Die Gestalt einer Frau, die ihm den Rücken zuwandte.
Eine junge Frau, die ein Gewehr in ihren zierlichen Fäusten hielt.
Jivaro war überrascht, denn er hatte mit einem Mann gerechnet.
Nicht mit Biddy Lucas, die er auch von hinten sofort wiedererkannte.
Forschend spähte sie ins Freie und wollte dann ihre Waffe nachladen.
Doch dazu ließ es Jivaro nicht mehr kommen.
»Hallo, Biddy!«, sagte er. »Ich hab' gar nicht gewusst, dass du mit einem Gewehr so gut umgehen kannst.«
Sie zuckte unter seiner Stimme wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Das etwa fünfundzwanzigjährige Mädchen mit den giftblond gefärbten Haaren ließ das Gewehr fallen; es landete polternd auf dem schmutzigen Bretterfußboden.
Noch immer starrte sie ihn entgeistert an. Sie konnte nicht begreifen, dass er sich plötzlich im Haus befand. Nur langsam dämmerte es ihr, dass sie auf einen Trick hereingefallen war.
Aus ihrem hübschen Gesicht war alle Farbe gewichen. Angst verdunkelte ihre graugrünen Augen.
»Was willst du von mir?«, stieß sie endlich hervor.
»Kannst du dir das nicht denken?«
Biddy Lucas senkte den Kopf.
Sie wusste nur zu gut, warum Jivaro mit seinem Freund Jed Hawkins hier aufgetaucht war. Deshalb hatte sie auch allen Grund gehabt, auf sie zu schießen...
»Scher dich raus, Jessup!«, rief der muskelbepackte Rauswerfer und hob drohend die Fäuste. »Für Falschspieler ist hier kein Platz! Verschwinde, bevor ich dich durch die Tür in den Straßendreck werfe!«
»Ich will doch nur mit Biddy reden«, entgegnete der dunkelgekleidete Kartenhai.
»Aber sie nicht mit dir! Los, hau ab! Oder willst du es wirklich darauf ankommen lassen?«
Carter Jessup verzog das hohlwangige Gesicht. Er war überdurchschnittlich groß, auffallend schlank und trug einen gepflegten Schnurrbart. Ansonsten machte er eher einen heruntergekommenen Eindruck. Sein schwarzer Spielerrock war an den Ärmeln und an den Aufschlägen zerschlissen, seine gestreifte Röhrenhose ausgebeult. Auch seine übrige Kleidung hatte schon bessere Zeiten gesehen.
Er hob beschwichtigend die Hand.
»Nur nichts überstürzen, Nick«, sagte er. »Ich will ganz bestimmt keine Schwierigkeiten machen. Nur was Biddy angeht, da solltest du die Entscheidung schon ihr selbst überlassen.«
Seine Augen saugten sich an dem grellgeschminkten Mädchen fest, das mit Jivaro und Old Jed an einem Tisch im Rio Grande Saloon saß.
»Hast du gehört, Biddy, ich will mit dir reden!«, rief er. »Du kommst doch vor die Tür?«
»Nein«, gab sie abweisend zurück. »Ich denke nicht daran! Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben! Verschwinde!«
»Na also, jetzt hat sie's dir selbst gesagt!«, rief der Rauswerfer höhnisch. »Genügt dir das, Jessup? Oder muss ich mich wirklich in einer anderen Sprache mit dir unterhalten?«
Jessup schüttelte leicht den Kopf. Er sah, dass der Keeper eine abgesägte Greener über die Theke geschoben hatte, deren Doppelmündung drohend auf seine Brust wies.
»Nein, ich hab' verstanden.«
»Dann mach dich dünn! Und lass dich nie wieder hier blicken!«, rief der Salooner. »Raus, du Betrüger!«
Carter Jessup nickte. Noch einmal traf sein brennender Blick das blonde Animiermädchen.
»Das wird dir noch leidtun, Biddy!«, knurrte er mit schmalen Lippen. »Verlass dich darauf!«
Nach diesen Worten wandte er sich um und verließ den Saloon. Klappend schlossen sich in seinem Rücken die Flügel der Schwingtür.
Der Keeper ließ die verkürzte Schrotflinte wieder unter der Theke verschwinden, während Nick Shawn wieder seinen Platz neben dem Eingang einnahm.
Biddy Lucas nippte nervös an ihrem Drink, den Jivaro ihr spendiert hatte. Sie schien Angst zu haben.
»Hat dich der Kerl schon öfter belästigt?«, fragte Jivaro und blickte das Mädchen forschend an. Er war erst vor wenigen Stunden mit Old Jed nach Rincon gekommen, wo sie beide übernachten wollten.
»Du musst nicht über ihn reden, wenn du nicht willst«, fuhr er fort, als sie keine Antwort gab.
»Er war mein Freund«, sagte da Biddy. »Wir haben uns zerstritten, denn er konnte einfach das Falschspielen nicht lassen. Er ist eine Niete mit den Karten. Er taugt nicht zum Spieler. Heute hat man ihn erneut beim Betrügen erwischt. Nun hat er vierundzwanzig Stunden Zeit, um die Stadt zu verlassen.«
»Und er möchte wohl, dass du mit ihm gehst, was?«
»So ist es.« Biddy Lucas nickte. »Aber für mich ist jetzt Schluss. Ich hab' die Nase endgültig voll. Soll er doch zum Teufel gehen, dieser Versager!«
Jivaro grinste. Er saß direkt neben Biddy und konnte so ihre Schenkel unter dem hochgerutschten Kleid bewundern. Sie hatte eine gute Figur. Kein Wunder, dass dieser Carter Jessup mächtig sauer war, weil sie ohne ihn in der Stadt bleiben wollte.
Sie leerte ihr Glas, stellte es auf den Tisch zurück und fragte: »Darf ich noch einen trinken?«
»Klar«, sagte Old Jed, ehe Jivaro antworten konnte. »Jetzt bin ich an der Reihe. – He, Keeper, die junge Lady bekommt noch einen Brandy!«
Wenig später hatte Biddy ein neues Glas vor sich stehen. Es war bis zum Rand gefüllt. Biddy griff danach, prostete ihren Gönnern zu und leerte es gleich bis zur Hälfte.
»Trink nicht so schnell!«, ermahnte sie Jivaro. »Sonst liegst du in einer Stunde unter dem Tisch.«
Ganz nüchtern war das Mädchen sowieso nicht mehr. Ihre graugrünen Augen glänzten bereits.
»Heute muss ich trinken«, sagte sie. »Es hilft mir gegen die Angst.«
»Vor Jessup?«
»Ja.« Biddy nickte.
»Aber der muss doch die Stadt verlassen. Hier bist du sicher vor ihm.«
»Jetzt, im Augenblick, ja, da bin ich sicher. Aber was ist nach der Sperrstunde? In spätestens einer Stunde ist es so weit. Dann muss ich nach Hause. Nein, ich wohne nicht hier im Saloon. Ich hab' ein Zimmer weiter die Straße runter.«
»Und du meinst, Jessup wird dort auf dich warten?«
»Ja, er wird mir auflauern, da gibt es keinen Zweifel. Er wird mich zwingen wollen, mit ihm zu gehen. Und wie ich ihn kenne...« Biddy unterbrach sich und blickte Jivaro hoffnungsvoll an.
»Könntet ihr mich nicht begleiten? Ihr würdet mir einen großen Gefallen tun.«
»Du meinst, wir sollen dich beschützen?«
»Ja, Jivaro. Ihr beide werdet sicher fertig mit dem Burschen, falls er Ärger machen sollte.«
»Worauf du dich verlassen kannst!«, rief Jed Hawkins. »Jivaro, ich schätze, dass wir der Lady ihren Wunsch nicht abschlagen dürfen. Sobald der Keeper seinen Laden dichtmacht, bringen wir sie sicher nach Hause.«
»Einverstanden, Jed. Also, Biddy, du kannst auf uns zählen.«
Biddy war sehr erleichtert. Sie trank von dieser Minute an nur noch wenig.
Und als der Saloon dann geschlossen wurde, begleiteten die beiden Freunde das Mädchen zu dem Haus, in dem es wohnte.
»Kommt mit rein!«, sagte sie, als sie die Tür des schäbigen Gebäudes erreichten, ohne Carter Jessup irgendwo erblickt zu haben. »Wer weiß, vielleicht wartet der Kerl drinnen auf mich. Er besitzt zwar keinen Schlüssel, könnte sich aber irgendwie Einlass verschafft haben.«
Doch das Türschloss war unversehrt. Niemand wartete in dem Zimmer, das eigentlich nur eine erbärmliche Absteige war. Jivaro und Old Jed konnten jedoch erkennen, dass hier bis vor Kurzem außer Biddy noch jemand gewohnt haben musste.
»Bleibt doch noch ein wenig«, sagte sie und schloss die Tür. »Ich hab' was zu trinken hier. Na, setzt euch schon.«
Jivaro und Old Jed nahmen die Einladung an. Schon allein deshalb, weil nicht auszuschließen war, dass Carter Jessup noch hier auftauchte. Sie zündeten sich Zigaretten an und ließen sich von Biddy Whisky einschenken.
Als sie den ersten Schluck getrunken hatten, überkam sie plötzlich eine angenehme Müdigkeit. Sie wussten gar nicht, wo das starke Schlafbedürfnis auf einmal herkam.
Und sie kamen auch nicht mehr dazu, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Ihre Gehirne umnebelten sich, die Lider wurden ihnen schwer. Schon nach wenigen Sekunden wurden sie beide von einem tiefen Schlaf übermannt.
Als sie gegen Morgen wieder erwachten, fanden sie sich in einem halb eingestürzten Schuppen wieder. Fröstelnd richtete sich zuerst Jivaro auf und etwas später auch Old Jed, den Jivaro allerdings erst wachrütteln musste. Beiden brummte heftig der Schädel.
Fluchend stellten sie dann fest, dass man ihnen die Taschen geleert und ihr ganzes Geld geraubt hatte. Insgesamt mehr als dreitausend Dollar.
Ein Vermögen für die beiden Freunde, die nur deshalb zu so viel Geld gekommen waren, weil sie in den letzten Wochen und Monaten gefährliche Aufträge übernommen hatten.
Jetzt war alles weg. Bis auf den letzten Cent hatte man sie ausgeplündert.
Nachdem sie sich von ihrem ersten Schreck erholt hatten, liefen sie los, um sich Biddy Lucas vorzuknöpfen. Doch sie fanden in ihrem Zimmer nur noch ein paar zurückgelassene Kleidungsstücke. Offenbar hatte sie das Haus fluchtartig verlassen.
Eine Stunde später wussten sie mit Sicherheit, dass sie zusammen mit Carter Jessup aus der Stadt verschwunden war. Die beiden waren von einem dritten Reiter begleitet worden. Dass es sich dabei um keinen anderen als um Nick Shawn handeln konnte, den Rauswerfer aus dem Rio Grande Saloon, fanden sie auch bald heraus, denn dieser war ebenfalls verschwunden.
Biddy Lucas hatte die beiden Freunde aufs Kreuz gelegt. Sie hatte ihnen ein Betäubungsmittel in den Whisky getan und gewartet, bis sie eingeschlafen waren. Danach war sie mit ihren Kumpanen und der fetten Beute getürmt.
An all das musste Jivaro jetzt wieder denken. Hart blickte er Biddy Lucas an.
»Wo sind unsere dreitausend Bucks?«
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, antwortete das Mädchen.
»Du willst mich nur nicht verstehen. Aber gut, ich kann deutlicher werden«, versetzte Jivaro grob. »Ich rede von dem Geld, das du mir und meinem Freund gestohlen hast, nachdem wir in deiner Bude eingeschlafen waren. Als wir wieder aufwachten, warst du auf und davon. Und mit dir Carter Jessup, von dem du angeblich nichts mehr wissen wolltest, und Nick Shawn, der Rauswerfer aus dem Saloon. Ihr drei steckt unter einer Decke, das wissen wir inzwischen. Und jetzt wollen wir unser Geld zurück! Also, wo ist es?«
»Ich hab' es nicht. Lass mich in Ruhe!«
Da packte Jivaro das Mädchen so fest am Handgelenk, dass es vor Schmerz fast aufschrie. Er riss sie an sich heran und starrte ihr wütend in die Augen.
»Nun hör mal gut zu!«, knurrte er. »Ich bin nicht gekommen, um mich von dir belügen zu lassen. Wenn ich nicht sofort erfahre, wo unsere Dollars geblieben sind, setzt es was, verstanden?«
Biddy Lucas wehrte sich unter seinem Griff, gab aber auf, als Jivaro noch fester zupackte. Angst malte sich in ihrem Gesicht, auf dem heute jede Schminke fehlte. Es war blass und wirkte verlebt und auch irgendwie verbittert.
»Jessup und Shawn haben das Geld«, stieß sie hervor.
»Und wo sind die beiden?«
»Fortgeritten.«
»Wohin?«
»Keine Ahnung.«
»Du lügst! Los, sag die Wahrheit! Wohin sind die beiden Strolche geritten?«
»Such doch ihre Spur.« Biddy zeigte sich aufsässig, konnte bei Jivaro damit aber nicht landen.
»Wohin?«, wiederholte er mit Schärfe. Er schüttelte sie ein wenig.
»Nach Süden. Wohin genau, weiß ich nicht. Die beiden haben mir nichts gesagt.«
»Das glaubst du doch selbst nicht!«, knurrte Jivaro. »Na schön, wir finden sie schon. Wenn du nicht reden willst, ist es deine Sache. Aber es wird dir wohl klar sein, dass wir in diesem Fall auch dich einem Sheriff übergeben werden. Auf Diebstahl steht Gefängnis, Biddy Lucas!«
»Ich bin unschuldig!«, rief die Blonde. »Jessup hat mich gezwungen, euch ein Schlafmittel zu geben. Nein, ich konnte nicht anders!«
»Red keinen Quatsch! Woher sollte Jessup wissen, dass es sich überhaupt lohnte, uns auszurauben? Das hast nur du gewusst, Biddy, denn du hattest gesehen, dass wir eine Menge Dollars eingesteckt hatten. Nach meiner Schätzung hast du Nick Shawn davon erzählt, und der wird sein Wissen an Jessup weitergegeben haben, worauf dieser hinterhältige Plan ausgekocht wurde. So war es doch, oder?«
Biddy wich seinem Blick aus und schwieg.
»Natürlich war es so«, setzte er hinzu. »Und warum hast du denn auf uns geschossen, wenn du ein reines Gewissen hast? Das beweist doch, dass du alles andere als ein Unschuldsengel bist.«
Biddy nagte an ihrer Unterlippe und schwieg sich weiterhin aus.
Jivaro bedrängte sie mit keinen weiteren Fragen mehr, denn er erinnerte sich an Old Jed, der sicher ungeduldig in seiner Deckung wartete. Höchste Zeit, den Alten zu verständigen, dass er nachkommen konnte.
Er hatte sich schon die ganze Zeit gewundert, dass sich niemand sonst bemerkbar machte. Es konnte doch nicht sein, dass es hier keinen Menschen außer Biddy Lucas gab.
Trotzdem wurde er jetzt fast überrascht. Nicht von der Tür her, denn die hatte er ständig im Auge behalten.
Das Knarren kam von der nach oben führenden Treppe her. Jivaro bemerkte auf ihr eine dicke Gestalt und registrierte auch noch das auf ihn angeschlagene Gewehr. Da ließ er sich bereits fallen und riss Biddy mit sich zu Boden.