Wo die Liebe auf dich wartet - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Wo die Liebe auf dich wartet E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

Auf dem Weg zur Liebe und ins Glück muss man so manches Hindernis umschiffen. Kaum eine Autorin hat sich diesem Thema so ausführlich und klug gewidmet wie Hedwig Courths-Mahler.

In dieser liebevoll gestalteten Retro-Ausgabe mit den Romanen Rote Rosen und Das ist der Liebe Zaubermacht vereint die Erfolgsautorin erneut die Macht des Schicksals mit dem Zufall der Liebe. Zwei Geschichten, zwei Schicksale, zwei Happy Ends - und pure Lesefreude!


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Seitenzahl: 618

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumUnterschrift der AutorinGedichtRote Rosen1234567891011121314151617181920Rezept »Rosenbowle«GedankensplitterDas ist der Liebe Zaubermacht1234567891011121314151617181920212223242526Rezept »Heiße Biersuppe«Rezept »Schweinebraten mit Kruste«Rezept »Quarkkeulchen«

Über dieses Buch

Auf dem Weg zur Liebe und ins Glück muss man so manches Hindernis umschiffen. Kaum eine Autorin hat sich diesem Thema so ausführlich und klug gewidmet wie Hedwig Courths-Mahler. In dieser liebevoll gestalteten Retro-Ausgabe mit den Romanen Rote Rosen und Das ist der Liebe Zaubermacht vereint die Erfolgsautorin erneut die Macht des Schicksals mit dem Zufall der Liebe. Zwei Geschichten, zwei Schicksale, zwei Happy Ends – und pure Lesefreude!

Rote Rosen

Für Josta Waldow hängt der Himmel voller Geigen. Die reizende Tochter seiner Exzellenz des Ministers Waldow soll die Frau des stattlichen Grundbesitzers Rainer Ramberg werden! Josta nimmt dessen Werbung glückstrahlend an. Doch schon bald fallen dunkle Schatten auf ihr Glück: Ungewollt belauscht sie ein Gespräch zwischen Rainer und ihrem Vater. Dabei erfährt die junge Frau, dass Rainer nur um ihre Hand angehalten hat, um seine Liebe zu einer anderen Frau zu vergessen. Josta ist zutiefst verzweifelt, doch sie ist zu stolz, sich ihre Gefühle anmerken zu lassen. Und so spielen sich die beiden jungen Menschen eine Komödie vor, die ihre Verbindung schließlich zu zerstören droht …

Das ist der Liebe Zaubermacht

Abend für Abend stehen die aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Geschwister Käthe und Heinz Lindner am Fluss und blicken sehnsüchtig hinüber ans andere Ufer, wo sich die Villa des Fabrikanten und Kommerzienrats Ruhland erhebt. Ihre Gedanken fliegen zu Gert und Rose Ruhland. Aber wie der Fluss die Grenze zwischen der Arbeitersiedlung und dem Besitz des Unternehmers bildet, so liegen Welten zwischen den Geschwistern Lindner und den beiden jüngsten Kindern des Kommerzienrats. Nur einer schert sich nicht im Geringsten um diese soziale Kluft: Georg, Ruhlands ältester Sohn. Kein Mädchen in der Fabrik ist vor ihm sicher, auch Käthe nicht. Dass sie ihn abweist, erhöht nur seine Begierde, und als er merkt, dass Käthe seinen Bruder liebt, ist er zum Äußersten entschlossen. Dann aber tritt ein Ereignis ein, das tiefe Schatten auf das Ruhland’sche Haus wirft und einen schwachen Hoffnungsschimmer in den Herzen von Käthe und Heinz aufkeimen lässt …

Über die Autorin

Die Lebensgeschichte der Hedwig Courths-Mahler könnte aus einem ihrer Romane stammen: ein wahrgewordenes Märchen, die Geschichte vom Aschenputtel, das zwar nicht den Prinzen heiratet, aber aus eigener Kraft Königin wird. Am 18. Februar 1867 als Ernestine Friederike Elisabeth Mahler in Nebra a. d. Unstrut unehelich geboren, wuchs Hedwig – wie sie sich selbst als Kind nannte – bei verschiedenen Pflegeeltern auf. Zunächst arbeitete sie in Leipzig als Verkäuferin und schrieb mit siebzehn ihren ersten Roman. Zwischen 1905 und 1939 entstanden die Courths-Mahlerschen Liebesromane und machten ihre Verfasserin – inzwischen verheiratet und Mutter zweier Töchter – zur auflagenstärksten Autorin. In den Schoß fiel der energischen jungen Frau, die zunächst schrieb, um ihre Familie zu ernähren – ihr Mann Fritz Courths war lange Zeit arbeitslos –, der Erfolg allerdings nicht. Sie arbeitete hart, saß bis zu vierzehn Stunden am Schreibtisch und verfaßte sechs bis acht Romane im Jahr.1939 hörte sie auf zu schreiben. Die Nationalsozialisten verweigerten ihrem Verlag das Papier. Schließlich ließ das Leid um ihre Tochter Friede Birkner, die in Gestapohaft kam, die beliebte Schriftstellerin endgültig verstummen. Am 26. November 1950 ist Hedwig Courths-Mahler auf ihrem Bauernhof am Tegernsee gestorben. Die Renaissance ihrer Romane hat sie noch miterlebt.

Hedwig Courths-Mahler

Wo die Liebe auf dich wartet

Rote RosenDas ist der Liebe Zaubermacht

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

  

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Sandra Taufer, München

Unter Verwendung eines Motivs © shutterstock: Knopazyzy | Ola-la | Lekovic Maja | ryabinina

  

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-4937-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

 

 

Wenn zwischen Lieb und Pflicht

Im ungestümen Drange

Ein Herz fiel – richte nicht!

Du weißt nicht, welchem Zwange

Welch einer schwachen Stunde

Und welcher tiefen Wunde

Solch armes Herz erlag

An einem Unglückstag.

8. April 1899

Rote Rosen

1

Es war im Jahre 1908.

Josta Waldow lenkte ihren eleganten Dogcart, den sie von ihrem Vater vor einigen Tagen zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, durch die breite Einfahrt in den Garten bis zu dem Portal des »Jungfernschlösschens«.

Seit drei Jahren erfüllte es die Bestimmung als Ministerresidenz. Exzellenz Waldow war froh gewesen über diesen Wohnungswechsel, und seine Gemahlin und seine Tochter waren es noch mehr. Eiligst wurde damals zum Umzug gerüstet. Aber nur Vater und Tochter sollten daran teilnehmen. Frau Waldow erkrankte und starb kurze Zeit darauf.

Damals war Josta achtzehn Jahre alt gewesen. Jetzt hatte sie schon das einundzwanzigste Jahr vollendet und ersetzte im Ministerhotel die Hausfrau vollständig.

In das mit Blattpflanzen dekorierte Vestibül eintretend, fragte sie den Diener: »Ist Papa zu Hause, Schröder?«

»Sehr wohl, gnädiges Fräulein. Seine Exzellenz haben den Besuch des Herrn Ramberg empfangen«, antwortete dieser.

Über das jugendschöne Antlitz Jostas flog ein frohes Lächeln. Ihre dunklen, in Form, Farbe und Ausdruck wundervollen Augen leuchteten auf. Sie schien freudig überrascht.

»Wo befinden sich die Herren?«

»Im Arbeitszimmer Seiner Exzellenz.«

Josta neigte dankend das Haupt und eilte die Treppe empor zum Arbeitszimmer ihres Vaters.

»Nicht zanken, Papa, wenn ich unangemeldet diesen geheiligten Raum betrete, wo das Wohl und Wehe des Staates beraten zu werden pflegt. Ich hörte, dass Onkel Rainer bei dir ist.«

An dem großen Diplomatenschreibtisch am Fenster saßen sich zwei Herren gegenüber.

Der ältere von ihnen war Seine Exzellenz, der Herr Minister, ein stattlicher Herr Mitte fünfzig, mit einem klugen, energischen Gesicht und graumeliertem Haar und Schnurrbart. Der jüngere Herr, Rainer Ramberg, mochte jedoch auch schon über Mitte dreißig sein. Er war eine schlanke Erscheinung. Auffallend wirkten in seinem Gesicht die tiefliegenden grauen Augen, die seltsam hell aus dem gebräunten Gesicht herausleuchteten und, wie eben jetzt, sehr warm und gütig blicken konnten.

Als Josta Waldow auf der Schwelle erschien, wandte er ihr seine Augen mit hellem Aufleuchten zu und sah entschieden wohlgefällig auf ihre Erscheinung, die wie das holde, blühende Leben selbst erschien.

Rainer Ramberg erhob sich schnell und kam ihr entgegen.

Josta streckte ihm lächelnd beide Hände entgegen. »Grüß Gott, Onkel Rainer!«

»Grüß Gott, meine liebe, kleine Josta!«

Sie maß ihre Schultern schelmisch an den seinen. »Immer noch klein? Bin ich das wirklich?«, fragte sie, sich stolz aufrichtend.

Er lächelte. »Da du noch immer zu mir aufsehen musst, habe ich doch das Recht, dich klein zu nennen. Oder willst du es mir streitig machen?«, antwortete er.

»Oh nein! Im Grunde habe ich es gern, dass ich deine kleine Josta bin. Ich möchte gar nicht, dass du mich anders nennst. Aber – nun will ich Papa schnell einen Kuss geben und dann verschwinden. Ihr beiden macht so schrecklich wichtige Gesichter, als ob ihr über eine Staatsaktion beraten müsstet«, sagte sie lachend, und dabei küsste sie den Vater herzlich.

»Wie weit bist du mit deinem Dogcart gefahren?«, fragte der Vater.

»Bis zur Fasanerie. Herrlich war die Fahrt durch den maiengrünen Wald. Nur so schrecklich viel Menschen sind unterwegs. Weißt du, Papa, jetzt müssten wir in unserem alten, lieben Waldow sein. Da ist der Wald so kirchenstill. Wirst du bald einige Wochen Urlaub nehmen können?«

»Vorläufig ist nicht daran zu denken. Vielleicht im Juli!«

Josta seufzte. »Das dauert noch lange. Als ich Onkel Rainer sah, musste ich gleich an Waldow denken. Wenn wir in Waldow sind, besucht er uns viel öfter.«

»Das war früher, Josta, als ich noch in Schellingen wohnte. Da war ich in einer Stunde in Waldow. Jetzt bin ich aber doch nach Ramberg übergesiedelt.«

»Ja, ja, das hatte ich fast vergessen. Aber wenn wir in Waldow sind, Papa und ich, dann musst du deine ›Residenz‹ so lange nach Schellingen verlegen.«

»Möchtest du das gern?«, fragte Ramberg.

»Selbstverständlich. Du und Waldow, das sind mir unzertrennliche Begriffe. Hier besuchst du uns immer nur im Fluge. Schade, dass wir nicht immer in Waldow leben können.«

»Bist du die Stadt müde?«

Sie zuckte die Achseln. »Denkst du, unter all den Menschen, mit denen wir verkehren müssen, ist einer, mit dem ich mich so gern unterhielte wie mit dir? Ausgeschlossen. Es ist alles leere Form, inhaltlose Phrase, was man redet und anhört. Ich bin eben nun einmal mehr für das Landleben. Aber Papa ist leider nicht reich, und Waldow ist zu einem kleinen Pachtgut zusammengeschmolzen. Es bringt kaum so viel ein, dass wir uns satt essen könnten. Und so sehe ich die Notwendigkeit ein, dass Papas Ministergehalt uns die übrigen Annehmlichkeiten des Lebens ermöglicht. Aber – nun will ich euch nicht länger aufhalten, sondern mich umkleiden. Nur eins sage mir schnell noch, Onkel Rainer, wie lange bleibst du?«

»Wahrscheinlich nur wenige Tage. Ich bin jetzt in Ramberg schlecht abkömmlich. Im Frühjahr gibt es viel Arbeit.«

Josta nickte verständig. »Aber – da fällt mir ein – wann bist du denn in der Villa Ramberg abgestiegen? Ich bin eben daran vorbeigefahren und sah alle Fenster und Vorhänge dicht verschlossen.«

»Ich bin eben erst eingetroffen, und ganz unangemeldet. Man hat mich nicht erwartet. Aber natürlich wohne ich dort.«

»Oh, da werde ich morgen vorüberfahren und mich an den offenen Fenstern freuen. Also morgen mache ich dir mit meinem Dogcart Fensterparade.« Mit hellem, warmem Lachen eilte sie hinaus.

Die beiden Herren sahen ihr eine Weile nach. Dann blickten sie sich an, und der Minister sagte lächelnd: »Du siehst, Rainer, sie ist im Herzen noch das reine Kind, trotz ihrer einundzwanzig Jahre, obwohl sie mir nun schon seit drei Jahren die Hausfrau ersetzt und in Haus und Gesellschaft ihren Posten gut ausfüllt. Und wenn sie nun hört, was dich heute zu uns führt, wird sie es nicht fassen können. Bin ich doch selbst überrascht durch deine Werbung um Josta.«

Ramberg atmete tief ein. »Das heißt, du hast Bedenken, Magnus? Du bist mir die Antwort schuldig geblieben.«

Sie hatten wieder Platz genommen.

»Mein lieber Rainer, wie diese Antwort von meiner Seite ausfällt, wird dir nicht zweifelhaft sein. Du hast einer Frau alles zu bieten, was selbst die anspruchsvollste verlangen könnte. Du wärst auch vor dem Tode deines Vetters Rochus, dessen Nachfolger du geworden bist, eine so genannte gute Partie gewesen. Jetzt bist du eine glänzende Partie. Und das Wichtigste – ich kenne dich als einen durchaus vornehmen Charakter, weiß, dass du vortreffliche Eigenschaften als Mensch besitzt. – Also wüsste ich nicht, was ich gegen deine Werbung einwenden sollte. Es fragt sich nur, ob Josta deine Frau werden will. Deine Werbung wird sie vollständig überraschen. Und wie ihre Entscheidung ausfällt, kann ich nicht wissen.«

Ramberg strich sich mit der schönen, kräftig gebauten Hand über die Stirn, als verscheuche er unbequeme Gedanken. »Ganz offen, Magnus, auch ich habe zuvor nie daran gedacht, ihr diese Frage vorzulegen. All die Jahre habe ich den Gedanken an eine Ehe von mir gewiesen. Aber nun will das nicht mehr gehen. Ich stehe im achtunddreißigsten Jahr – und in meinem Herzen ist es nun endlich so ruhig und still geworden, dass ich den Entschluss zu einer Heirat fassen kann.«

»Das ist natürlich und verständlich, Rainer, und ich freue mich über deinen Entschluss. Er beweist mir, dass du mit der alten Geschichte fertig bist.«

»Vollständig, Magnus – sonst würde ich nicht um Josta werben. Ich will nicht sagen, dass ich ihr eine große leidenschaftliche Liebe entgegenbringe. Einer solchen Liebe ist man wohl nur einmal fähig, und dieser Sturm liegt hinter mir. Aber Josta ist mir lieb und wert, und keine andere Frau steht meinem Herzen jetzt näher. Aber ich bin mir ebenso bewusst wie du, dass Josta in mir nur immer Onkel Rainer gesehen hat. Ich bin ja auch nahezu siebzehn Jahre älter als sie. Und dann die Hauptsache – ich weiß nicht, ob ihr Herz noch frei ist. Du wirst mir das offen sagen; denn du hast mich, trotz unseres Altersunterschiedes, deiner Freundschaft gewürdigt.«

Der Minister nickte. »Ja, Rainer! Ich hatte dich immer gern! Dein treuer Freund aber bin ich geworden in jener Stunde, da ich dir eine tiefe Herzenswunde schlagen musste.«

Ramberg wehrte ab. »Nicht du hast mir diese Wunde geschlagen. Niemand hat es getan als das Schicksal selbst. Aber lassen wir das. Es liegt nun hinter mir mit allen Kämpfen und ist verwunden. Sage mir jetzt ehrlich – ist Jostas Herz frei?«

Der Minister lächelte. »Soviel ich weiß – ja.«

»Es ist fast ein Wunder, dass Josta noch frei ist. In den letzten Jahren hat sie sich zu einer außergewöhnlichen Schönheit entwickelt. Das hatte ich nie erwartet«, sagte Ramberg sinnend.

»Ja – bis über die Backfischzeit hinaus war sie eher hässlich als schön. Aber dann blühte sie plötzlich auf. Als wir sie in die Gesellschaft einführten, wurde sie gleich umschwärmt. Sie bezieht das nicht auf ihre Person, sondern auf meine Stellung. Also – soviel ich mich auf meine Augen verlassen kann, ist Jostas Herz noch frei. Ob sie deine Werbung annimmt, kann ich dir freilich nicht sagen. Meiner Einwilligung bist du sicher. Ehe du aber ihr selbst diese Frage vorlegst, möchte ich dir noch eine Eröffnung machen. Was ich dir jetzt sage, bleibt unter uns. Josta soll davon nichts wissen. Sie soll es erst nach meinem Tod erfahren. Du versprichst mir zu schweigen?«

»Mein Wort darauf.«

»Ich danke dir. Also höre – Josta ist nicht meine Tochter.«

Überrascht fuhr Ramberg auf. »Nicht deine Tochter?«

»Josta ist die Tochter meines jüngeren Bruders Georg. Dieser war verheiratet mit einer Baronesse Halden – nur ein Jahr. Sie starb bei Jostas Geburt. Georg brachte Josta zu meiner Frau. Wir hatten damals gerade die betrübende Gewissheit erhalten, dass unsere Ehe kinderlos bleiben würde. Meine Frau, die sehr kinderlieb war, nahm sich Jostas mit wahrhaft mütterlicher Zärtlichkeit an. Mein Bruder war nicht sehr vermögend. Aber er war leicht entflammt für Frauenschönheit, und da er selbst ein bildschöner Mensch war, verwöhnten ihn die Frauen sehr. Josta ist ihm sehr ähnlich geworden, sie hat seine Augen und die Farbe seines Haares geerbt, aber im Wesen und Charakter gleicht sie mehr ihrer Mutter. Diese hatte mein Bruder in seiner leidenschaftlichen Art sehr geliebt, und ihr früher Tod brachte ihn der Verzweiflung nahe. Er wollte Josta nicht sehen, weil sie ihrer Mutter das Leben gekostet hatte.

Es war aber noch kein Jahr vergangen nach dem Tode seiner Frau, da verliebte er sich sinnlos in eine junge Sängerin. Georg gab ihretwegen seinen Beruf auf und heiratete sie, obwohl wir alles taten, ihn davon zurückzuhalten. Er ging mit seiner Gattin nach Amerika, wo sie ein glänzendes Engagement angenommen hatte. Schon vorher hatte er uns alle Rechte an Josta abgetreten. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Zwei Jahre später schickte mir seine Gattin, die drüben unter ihrem Mädchennamen auftrat, eine Anzeige vom Tode meines Bruders und eine Zeitungsnotiz, aus der ich ersah, dass Georg im Duell mit einem Mann gefallen war, der in einer Gesellschaft die Tugend seiner Frau in Zweifel gezogen hatte. Georgs Witwe hatte es verschmäht, nur ein Wort hinzuzufügen – wahrscheinlich weil wir uns gegen Georgs Heirat aufgelehnt hatten. Ich ließ mir die Todesnachricht meines Bruders amtlich bestätigen. Von seiner Witwe hörte ich nie wieder etwas.

Josta haben wir adoptiert. Und um ihr die Unbefangenheit zu erhalten und nichts Fremdes zwischen uns treten zu lassen, haben wir ihr nie gesagt, dass sie nicht in Wirklichkeit unsere Tochter war. Aber du musst das natürlich wissen, wenn du um Jostas Hand anhalten willst. Bei meinem Testament, das Josta zu meiner Universalerbin einsetzt, liegt ein an Josta gerichtetes Schreiben, in dem ich ihr selbst diese Enthüllung mache. So, Rainer – nun habe ich dir nichts mehr zu sagen.«

Ramberg hatte aufmerksam zugehört. An seinem Entschluss, um Jostas Hand anzuhalten, änderte diese Eröffnung jedoch nichts. Warum dieser Entschluss so plötzlich in ihm wach geworden war, wusste er selbst nicht. Allerdings hatte er sich schon seit einigen Monaten mit dem Gedanken vertraut gemacht, sich endlich zu verheiraten, aber es hatte ihm gar keine Eile.

Da hatte er gestern auf einem Besuch bei seinem Gutsnachbarn, dem Baron Rittbert, einen von dessen Söhnen enthusiastisch von der Schönheit und Liebenswürdigkeit Jostas sprechen hören: »Sie hat die Auswahl unter vielen Freiern, und ich bin gespannt, wer sie als Braut heimführen wird.«

Diese Worte hatten Ramberg plötzlich aus seiner Ruhe aufgerüttelt. Als er nach Hause kam, befahl er, seinen Koffer zu packen, und mit dem Frühzug reiste er.

Er richtete sich jetzt mit einem tiefen Atemzug auf. »Du siehst mich natürlich überrascht, lieber Magnus. Es erscheint mir ganz unfassbar, dass Josta nicht deine Tochter ist. Ein innigeres Verhältnis zwischen Kind und Eltern habe ich nirgends gefunden. Ich bleibe bei meiner Werbung.«

Der Minister reichte ihm die Hand. »Ich will sie nun rufen lassen.«

Der Minister drückte die elektrische Klingel auf seinem Schreibtisch. Der Diener erschien.

»Melden Sie meiner Tochter, dass ich sie bitten lasse, sogleich in den grünen Salon zu kommen.«

Der Diener verschwand, und der Minister wandte sich an Ramberg. »So, mein lieber Rainer. Du begibst dich wohl in den grünen Salon hinüber. Was du mit Josta zu besprechen hast, geschieht am besten ohne Zeugen.«

Mit einem Händedruck schieden die beiden Männer.

Als Josta ihren Vater und Ramberg verlassen hatte, war sie in froher Stimmung in ihr Zimmer geeilt. Ihre Augen strahlten vor Freude über den Besuch Onkel Rainers.

Wie immer freute sie sich recht von Herzen darauf, dass sie Onkel Rainers Gesellschaft einige Tage würde genießen können. Seit ihren Kindertagen war ihr Onkel Rainer der Inbegriff von allem Guten, Lieben und Schönen. Ihm gehörte ihre kindliche Freundschaft, ihm die erste Backfischschwärmerei. Als sie dann älter wurde, trat an Stelle ihrer Backfischschwärmerei eine bewusste Wertschätzung und Freundschaft. Sie verglich im Stillen alle Männer, die sich ihr nahten, mit Onkel Rainer, und nie gefiel ihr einer so gut wie er. Aber nie wäre ihr eingefallen, an ihn wie an einen Mann zu denken, dessen Frau sie werden könnte! Sie dachte überhaupt nicht wie andere Mädchen ans Heiraten, sondern malte sich aus, dass sie in Ruhe und Frieden in Waldow sitzen, jeden Tag Onkel Rainer besuchen und mit ihm plaudern würde.

Deshalb war es ihr gar nicht recht gewesen, dass er nach dem jähen, unerwarteten Tode seines Vetters Rochus nach Schloss Ramberg übersiedelte und nicht mehr auf dem Waldow benachbarten Gute Schellingen, das seine Mutter in die Ehe gebracht hatte, war. Sehr rasch hintereinander waren alle Anwärter gestorben, zuletzt Rochus Ramberg, und dieser hatte eine schöne, junge Witwe hinterlassen, Gerlinde.

Die Einkünfte von Schellingen musste Rainer sich mit seinem Bruder Henning teilen. Beide liebten sich sehr. Der jüngere Bruder sah in dem älteren ein leuchtendes Vorbild, während Rainer fast väterlich für Henning empfand.

Josta kannte natürlich auch Henning seit ihrer Kinderzeit, war aber mit diesem schon seit fast sechs Jahren nicht mehr zusammengetroffen, und so hatte er nur als Onkel Rainers Bruder einige Bedeutung für sie.

Nachdem Josta eine Weile zum Fenster hinausgesehen hatte, klingelte sie ihrer Zofe und ließ sich umkleiden.

»Ein weißes Kleid will ich anziehen, Anna«, sagte sie. Onkel Rainer hatte ihr bei seinem letzten Besuch gesagt: »Du müsstest immer weiße Kleider tragen, Josta.«

Bald war sie fertig und stellte sich, einen dunklen Fliederzweig im Gürtel befestigend, vor den Spiegel. Weich und anmutig schmiegte sich der weiße Stoff ihres Kleides um ihre edel gegliederte Gestalt.

Gerade als sie ihr Boudoir betrat, meldete ihr der Diener, dass Seine Exzellenz sie in den grünen Salon bitten lasse.

Als sie eintrat, stand Ramberg am Fenster und sah durch die Spitzenstores hinaus. Schnell wandte er sich um und ging ihr entgegen.

»Ist Papa nicht hier?«, fragte sie harmlos.

»Nein, Josta – er hat Staatsgeschäfte«, antwortete er. Zum ersten Male betrachtete er sie mit den Augen eines Mannes und wurde sich ihrer Schönheit so recht bewusst.

Josta seufzte. »Ach, die leidigen Staatsgeschäfte.«

»Bist du sehr ungehalten, dass du mich allein hier findest?«

Sie lachte schon wieder. »Ach, was du denkst, Onkel Rainer! Nein, von Herzen froh bin ich, dass ich wenigstens deine Gesellschaft genießen darf. Du bleibst doch zu Tisch?«

»Wenn du mich nicht fortschickst, gern.« Er atmete tief und wurde noch unruhiger. »Ich weiß doch nicht, Josta, ob du mich nicht in einigen Minuten gehen lassen wirst.«

Sie schüttelte verwundert den Kopf. Fragend sah sie ihn an.

»Mir ist feierlich zumute, Josta, und ein wenig bange. Ich bin heute gekommen, dir eine ernste Frage vorzulegen. Und nun, da ich es tun will, meine ich, du müsstest mich auslachen.«

»Auslachen? Wenn du eine ernste Frage an mich richtest? Wie sollte ich denn? So sprich doch nur – was ist es denn?«

Er richtete sich entschlossen auf und sah sie fest an. »Josta – willst du meine Frau werden?«

Sie zuckte zusammen, und ihr junges Antlitz wurde plötzlich bleich. Ihre großen, schönen Augen sahen mit einem unruhig forschenden Blick in die seinen. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. »Onkel Rainer – so darfst du nicht scherzen«, sagte sie mit verhaltener Stimme.

»Es ist mein Ernst, Josta«, antwortete er leise, und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck leichter Entmutigung. Josta stand reglos, wie gebannt. Ein leises Zittern lief über sie dahin. Und doch war plötzlich ein seltsames Singen und Klingen in ihrem Herzen.

»Onkel Rainer«, sagte sie noch einmal, halblaut und zagend, als fasse sie nicht, was er von ihr wollte, und als erschrecke sie vor dem, was er forderte. Hilflos sah sie zu ihm auf. »Ich bin so erschrocken, ich – nein – wie hätte ich je daran denken können. Du und ich – ach, Onkel Rainer, ich bin doch so ein dummes Ding.«

In seinem Herzen war ein tiefes schmerzliches Bedauern. »Also – ich soll für dich Onkel Rainer bleiben, du könntest dich nicht entschließen, mir einen anderen Namen zu geben?«

Da schoss dunkle Glut in ihr Gesicht, und die langen, seidigen Wimpern legten sich wie dunkle Halbmonde auf die glühenden Wangen. Was galt sie ihm? Und doch – es lockte sie trotz allem etwas, seine Werbung anzunehmen. Immer hatte sie es sich als das höchste Glück geträumt, täglich in Onkel Rainers Nähe zu sein.

Er wartete lange vergeblich auf Antwort, und schließlich sagte er leise: »Also keine Antwort? Das heißt, du schickst mich fort, du weist mich zurück, nicht wahr?«

Sie fasste rasch seine Hand. »Nein – bleib«, bat sie leise.

»Als dein Verlobter, Josta?«

Sie sah in sein ruhiges Gesicht, unsicher, befangen und zaghaft. »Ach – ich weiß nicht. Das kommt so überraschend.«

»So sage mir wenigstens, ob dein Herz noch frei ist, ob du keinen anderen liebst.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich liebe niemanden als …« Sie stockte. »Als dich«, hatte sie sagen wollen. Aber das wollte jetzt nicht über ihre Lippen. Bisher hatte sie nie daran gedacht, ihm etwas zu verbergen. Nun musste sie es tun, einem inneren Zwange folgend. »Niemanden als Papa«, vollendete sie hastig.

Er zog sie wieder an sich. »Und mich hast du gar nicht ein wenig lieb, kleine Josta?«, fragte er weich.

Sie atmete schnell und hastig. »Doch, das weißt du, dich habe ich immer lieb gehabt.«

»So frage ich dich nochmals – willst du meine Frau werden?«

Ihre dunklen Augen sahen ernst und fragend in die seinen. »Warum fragst du mich das? O–?« Nein – »Onkel« konnte sie ihn jetzt nicht nennen; es wollte ihr nicht über die Lippen.

»Warum ich dich bitte, meine Frau zu werden?«, erwiderte er schnell. »Weil ich keine Frau wüsste, die ich lieber heiraten möchte als dich.«

Sie empfand, dass dies recht kühl klang für eine Werbung, und ahnte nicht, dass er absichtlich so gelassen blieb, um sie nicht zu erschrecken.

»Aber warum willst du nur plötzlich heiraten? Ich habe immer gedacht, du wirst es nie tun«, sagte sie hastig.

Er musste lächeln. Das klang fast wie ein Vorwurf.

»Es ist die Sehnsucht jedes Mannes, jemanden zur Seite zu haben, zumal wenn man auf einer so verantwortungsvollen Stelle steht. Lange genug habe ich schon gezögert. Nun wird es höchste Zeit. Nicht wahr, ich erscheine dir schon reichlich alt zum Heiraten?«

Sie schüttelte den Kopf. »Du bist doch nicht alt, aber als Onkel Rainer warst du mir immer so vertraut.«

»Könnte ich dir nicht noch mehr sein? Vermagst du dich zu entschließen, meine Frau zu werden, oder muss ich betrübt mit einem ›Nein‹ von hier gehen?«, fragte er nochmals und fühlte, dass er die Wahrheit sprach, obwohl er Josta nicht liebte.

»Ich möchte dich um alles nicht betrüben«, sagte sie leise.

»So willigst du ein?«

Einen Augenblick schwankte sie noch, dann aber sagte sie hastig, als fürchte sie, nochmals unschlüssig zu werden: »Wenn du es willst – so willige ich ein.«

Da erst zog er ihre Hand an seine Lippen, und dann legte er den Arm um sie und wollte sie auf den Mund küssen. Aber sie neigte schnell, wie in instinktiver Abwehr, das Haupt, und seine Lippen berührten nur ihre Stirn. Er merkte, dass sie ihm auswich, und das weckte eine seltsame Unruhe in ihm.

»Ich danke dir herzlich für dein Vertrauen, meine liebe, kleine Josta. Ich war sehr bange, dass du mir einen Korb geben würdest«, sagte er herzlich.

Ehe sie etwas erwidern konnte, trat der Minister ein und sah fragend auf die beiden. Josta flüchtete in seine Arme, als suche sie Schutz vor sich selbst. »Papa – lieber Papa!«

Der Minister wechselte über ihren Kopf hinweg einen Blick mit Ramberg. Dieser neigte bejahend das Haupt. Da schloss der Minister seine Tochter fest in seine Arme.

Ramberg trat heran. »Josta hat mir ihr Jawort gegeben. Nun sei du mir ein treuer Vater, wie du mir bisher ein väterlicher Freund warst, und gib uns deinen Segen«, bat er ernst.

Schweigend legte der Minister die Hände beider ineinander. Und dann sagte er warm: »Gott segne euch beide!«

Josta war es zu eng in der Brust. Sie fühlte, dass sie jetzt, wenigstens einige Minuten, mit sich allein sein müsse. Sie küsste den Vater und stammelte eine hastige Entschuldigung. Dann ging sie schnell hinaus und sank im Nebenzimmer in einen Sessel. Die Hände fest auf das klopfende Herz gepresst, saß sie da und lauschte in sich hinein, bis von drüben die Stimmen der beiden Männer an ihr Ohr drangen.

Die beiden Herren hatten keine Ahnung, dass Josta im Nebenzimmer saß. So wurde sie Zeugin ihres Gesprächs.

Zuerst sprach ihr Vater. »Mein lieber Rainer, es macht mich sehr glücklich, dass ich meine Tochter an deinem Herzen geborgen weiß. Wenn du mir auch offen gesagt hast, dass du Josta nicht leidenschaftlich liebst, wenn ich auch weiß, dass du dein Herz nur mit Schmerzen losgerissen hast von der Frau, der deine große, heiße Liebe gehörte, so weiß ich doch auch, dass du meine Josta immer hochhalten und deine Hände über sie breiten wirst. Und so hoffe ich, dass ihr glücklich miteinander werdet.«

»Das wünsche und hoffe ich auch«, erwiderte Ramberg ernst, »und was in meiner Macht steht, will ich tun, dass sie es niemals zu bereuen braucht, mir ihre Hand gereicht zu haben. Was ich ihr vielleicht innerlich schuldig bleiben muss, hoffe ich ihr durch Äußerlichkeiten zu ersetzen.«

So sagte Rainer ruhig und klar, und jetzt, da Josta nicht zugegen war, fühlte er sich auch sehr ruhig.

Josta hatte jedes dieser Worte gehört. Sie war wie gelähmt. Rainers Herz gehörte einer anderen Frau, einer Frau, von der er sich schweren Herzens losgerissen hatte. Warum hatte er sie nicht zu seiner Frau gemacht? Sie war wohl unerreichbar für ihn aus irgendeinem Grund. Und nun – nun war sie seine Braut geworden. Warum? Warum hatte er gerade sie erwählt?

Und dann dachte sie daran, dass sie von den beiden Männern hier entdeckt werden könnte. Das durfte nicht sein, sie durften nicht ahnen, dass sie ihr Gespräch belauscht hatte. Mit einiger Anstrengung erhob sie sich, glitt über die weichen Teppiche, trat auf den Korridor hinaus und eilte auf ihr Zimmer. Dort saß sie eine ganze Weile und lauschte in sich hinein, und dabei kam sie zur Erkenntnis ihrer eigenen Empfindungen, dass sie Rainer von jeher geliebt und es nur nicht gewusst hatte. Und dass ihr alle Männer nur deshalb so gleichgültig gewesen waren.

Wie ein helles Licht war es in dieser Stunde in ihr bisher so unklares Denken und Empfinden gefallen, und diese Klarheit erschreckte sie mehr, als sie sie beglückte:

»Nein – ich kann seine Frau nicht werden, nicht mit der Gewissheit, dass ich ihn liebe und dass er mir im Herzen so ruhig und gelassen gegenübersteht. Wie soll ich es ertragen, dass sein Herz einer anderen gehört? Nein – das kann ich nicht.«

Und sie wollte hinuntereilen und ihm sagen, dass sie seine Frau nicht werden könne. Aber ehe sie die Tür ihres Zimmers erreicht hatte, stockte sie und konnte nicht weitergehen.

Wenn ich ihm das sage, dann wird er gehen und vielleicht niemals wiederkommen. Und – dann wird er bald eine andere Frau an seine Seite nehmen, eine, die zufrieden ist mit dem, was er ihr bietet. – Der Gedanke, dass er eine andere heiraten könnte, war ihr unerträglich. Sie fiel in ihren Sessel und faltete die Hände wie im Gebet:

»Vielleicht lernt er es doch eines Tages, mich zu lieben – so wie ich von ihm geliebt sein möchte.«

Diese Hoffnung belebte sie. Aufatmend erhob sie sich und trat vor den Spiegel. Und zum ersten Mal sah sie ihr eigenes Spiegelbild mit brennendem Interesse an. Viele hatten ihr gesagt, sie sei schön, seit sie in die Gesellschaft eingeführt worden war. Auch Papa hatte gesagt: »Aus meinem hässlichen jungen Entlein ist unversehens ein stolzer Schwan geworden.« Aber Rainer hatte das wohl kaum bemerkt. Für ihn war sie wohl noch immer der reizlose Backfisch mit den ruschligen Hängezöpfen. Kritisch sah sie sich an, von allen Seiten. Und das helle Rot stieg ihr ins Gesicht, als sie dachte: Ja, ich bin schön. Vielleicht gelingt es mir doch, Rainers Liebe zu erringen, wenn ich mich darum mühe.

Wenn ich mich darum mühe? Dieser Gedanke verwandelte das Rot ihres Gesichts in eine dunkle Glut. Sie sollte sich mühen um die Liebe eines Mannes? Nein – nein – tausendmal nein! Das würde ihr Stolz nicht zulassen.

Sie trat mit einem tiefen Seufzer von dem Spiegel zurück. Sie musste nun wieder hinübergehen zum Vater – und zu dem Verlobten. Sie würden sich sonst über ihr langes Ausbleiben Gedanken machen.

Als sie den grünen Salon betrat, schien sie ruhig und unbewegt. Und zum ersten Mal in ihrem Leben zeigte sie sich gegen den Vater und Ramberg anders, als sie war.

Die beiden Herren hatten inzwischen allerlei Gespräche über die Veröffentlichung der Verlobung und den Termin der Hochzeit geführt. Sie hatten den 10. Juli dafür in Aussicht genommen und fragten Josta, ob sie einverstanden sei. Sie bejahte ruhig, obwohl sie darüber erschrak, dass die Zeit so kurz bemessen war.

Rainer gab sich seiner Braut gegenüber mit der feinen, liebenswürdigen Artigkeit, die so bestrickend bei ihm wirkte, und suchte sie durch harmlose Scherze aufzuheitern. Er wollte Josta die Unbefangenheit vor allen Dingen wiedergeben. Sie nahm das scheinbar heiter auf. Und so täuschten sich die beiden Verlobten eine große Herzensruhe vor, die sie beide gar nicht empfanden.

Später wurde der Minister wieder von Geschäften in Anspruch genommen, und Ramberg empfahl sich vorläufig, um noch dringende Besorgungen zu tätigen. Als er sich von Josta verabschiedete, gewannen seine Wünsche plötzlich die Oberhand. Er zog sie fest in seine Arme und küsste sie auf den Mund. Wie erstarrt lag sie einen Moment an seinem Herzen und hätte aufschreien mögen.

Als sich Ramberg entfernt hatte, legte der Minister seinen Arm auf Jostas Schulter.

»Nun, mein Kind, du scheinst mir so ernst und bedrückt. Hast du Rainer auch freien Herzens dein Jawort gegeben?«, fragte er.

Sie barg ihr Antlitz an seiner Brust. Wie gern hätte sie sich die Seele freigesprochen. »Ich bin nur ein wenig bange, lieber Papa – weil ich dich nun so bald verlassen muss.«

Er streichelte ihr Haar. »Das ist der Lauf der Welt, mein liebes Kind. Ich denke, du hast gut gewählt und wirst an Rainers Seite ein ruhiges, sicheres Glück finden.«

Josta nickte nur, sprechen konnte sie nicht.

Als sie sich am Abend dieses Tages auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte, setzte sie sich noch eine Weile an ihren Schreibtisch. Sie entnahm ihm ihr Tagebuch, das sie schon seit dem Tode ihrer Mutter führte. Josta hatte sich daran gewöhnt, diesem Buche alles anzuvertrauen, womit sie wohl sonst zu ihrer Mutter gekommen wäre.

Sie blätterte in den beschriebenen Seiten und las hier und da einige Worte. Und auf jeder Seite fand sie den Namen »Onkel Rainer«. So fest verwachsen war er mit ihrem innersten Sein. Als sie die erste leere Seite vor sich sah, ergriff sie die Feder und schrieb:

»Am 4. Mai – Ich bin Braut – Rainer Rambergs Braut. Und nun wird er mir niemals mehr Onkel Rainer sein. Was ich dabei empfinde? Ich liebe Rainer – ja, ich liebe ihn, mit der Liebe, die das Weib in die Arme des Mannes treibt, mit unwiderstehlicher Gewalt. Ich erschrecke selbst vor der Größe und Tiefe dieses Gefühls, das plötzlich mein ganzes Sein verwandelt hat und das ich doch ängstlich verbergen muss. Warum? Weil Rainer mich nicht liebt, so wie ich von ihm geliebt sein möchte, weil sein Herz einer anderen gehört, von der er sich mit Schmerzen losgerissen hat. Ich hörte das, als ich ihm schon mein Wort gegeben hatte. Sonst – nein, sonst hätte ich es nicht getan. Oder doch? Ach, ich kenne mich nicht mehr. Wo ist mein Stolz? Ich kenne nur eine Angst, ihn zu verlieren für immer. Das ist härter als der Tod. Warum hat er mich erwählt? Weil ich ihm sympathisch bin, weil er wohl meint, dass ich nie lästig fallen werde und nie mehr begehre, als mir die andere übriglässt. Und obwohl ich das weiß, will ich seine Frau werden. Aber er soll niemals erfahren, wie es in meiner Seele aussieht. – Wer mag die andere sein? Wenn ich es doch wüsste, wenn ich sie sehen könnte, um herauszufinden, was ihm so liebenswert erscheint. Törichte Josta, wenn du es auch wüsstest, was würde es dir helfen? Ein Mann wie Rainer kann doch nur einmal lieben. Er ist nicht flatterhaft und treulos. Warum er wohl mit ihr nicht glücklich werden durfte? Ach, das werde ich mich immer fragen müssen. Rainer – Rainer – was hast du in mir geweckt heute? Gott helfe mir, dass ich mich dir nie verrate. Ich liebe dich – ich liebe dich!«

Hier warf Josta die Feder fort und barg das Antlitz in den Händen. Ein Zittern lief über sie hin.

2

Minister Waldow kam vom Amt. Als er am Portal des Jungfernschlösschens anlangte, fuhr Ramberg vor, der seiner Braut und ihrem Vater einen Besuch machen wollte.

Josta saß in ihrem Boudoir, mit der Lektüre eines Buches beschäftigt, als ihr der Diener den Besuch meldete. Sie legte sogleich das Buch fort und erhob sich. Ein verlorener Blick streifte die mit wundervollen roten Rosen gefüllte Jardiniere, die auf der schwarzen Marmorplatte des runden Tisches stand. Diese Rosen hatte ihr Rainer heute Morgen geschickt. Sie trat heran und barg ihr Gesicht in den duftenden Blüten.

Rote Rosen sind Blumen der Liebe, die kommen mir nicht zu, dachte sie schmerzlich.

Langsam ging sie hinüber, um Rainer zu begrüßen. Sonst hatte sie nicht schnell genug sein können, aber heute eilte es ihr gar nicht, wenigstens wollte sie sich das vortäuschen. Vor der Tür des Salons blieb sie sogar stehen und holte tief Atem, als werde ihr die Brust zu eng. Als sie eintrat, fand sie Rainer allein.

Er ging Josta schnell entgegen und begrüßte sie, aber nur mit einem Handkuss, weil er die ängstliche Abwehr in ihren Augen las. Sie versuchte unbefangen zu erscheinen.

Sie seufzte lächelnd: »Ach, wir werden in nächster Zeit wenig zur Ruhe kommen, wenn unsere Verlobung proklamiert wird.«

»Ist dir das so unangenehm?« Sie ließ sich in einen Sessel gleiten.

»Es ist mir eine Pein, der Mittelpunkt eines solchen Treibens zu sein. Weißt du, im Grunde bin ich kein Gesellschaftsmensch. Eher hätte ich Talent zum Einsiedler. Deshalb bin ich so gerne auf dem Lande.«

In ihren letzten Worten lag etwas von ihrer alten frohen Vertraulichkeit, mit der sie ihm sonst begegnet war.

Er zog sich einen Sessel in ihre Nähe, lächelnd sah er ihr nun ins Gesicht.

»Dann brauche ich mir also keine Vorwürfe zu machen, wenn ich dich nach Ramberg entführe?«

»Oh nein, das brauchst du nicht«, antwortete sie freundlich.

»Wird es dir recht sein, wenn wir den größten Teil des Jahres in Ramberg leben? Wir haben dort nur wenig Besuch, einige Nachbarn, vor allem Baron Rittberg und seine Familie.«

»Ich werde mich nie über zu wenig Besuch beklagen. Wenn du mir nur versprichst, dass du mit mir nach Schellingen gehst, wenn Papa seinen Urlaub in Waldow verlebt.«

»Das will ich gern versprechen. Aber vielleicht verbringt dein Vater in Zukunft seine Ruhezeit lieber in Ramberg.«

Sie lächelte. »Das ginge auch. Wenn er nur mit uns zusammen sein kann.«

»Seinen Urlaub muss er unbedingt mit uns verleben. Auch denke ich, dass wir im Winter einige Wochen hier wohnen werden. Ich denke doch, du bist noch zu jung, um dich von allen geselligen Freuden zurückzuziehen.«

»Oh, ich glaube nicht, dass mir das etwas ausmacht. Aber wenn ich einige Wochen hier in Papas Nähe wohnen kann, soll mir das lieb sein. Da wird auch das Gut endlich wieder zu seinem Recht kommen. Ich liebe das schöne, alte Haus mit seinen wundervollen alten Möbeln. Es hat so liebe, heimliche Winkel.«

»Ich habe gar nicht gewusst, dass du so für Altertümer schwärmst. Da wirst du in Ramberg noch mehr auf deine Kosten kommen.«

Sie löste ihre Hand aus der seinen und erhob sich, angeblich, um das Fenster zu öffnen, weil es so heiß im Zimmer sei. Dann sagte sie: »Ich werde mich mit diesen Schätzen anfreunden. Sie reden eine eigene Sprache.«

Er hatte sich gleichfalls erhoben und trat neben sie. Leicht legte er seinen Arm um ihre Schultern.

»Freust du dich ein wenig, die Herrin von Ramberg zu werden?«

»Ich freue mich sehr, dass du nun in Zukunft immer bei mir sein wirst, hier und dort.«

Als sie das gesagt hatte, wollte er sie küssen. Gar so hold und lieblich erschien sie ihm. Sie aber wich erschrocken zurück und strebte aus seinen Armen.

»Du musst Geduld mit mir haben, Rainer – ich muss erst lernen – mich daran gewöhnen, dass du für mich nicht mehr Onkel Rainer bist.«

Geduld musste er haben, das sah er ein. Sie hatte ein Recht, das zu fordern. Er atmete tief auf.

»Du sollst mich immer geduldig finden, meine liebe, kleine Josta. Und denke immer daran, dass es mein innigstes Bestreben ist, dich glücklich und froh zu machen«, sagte er, so ruhig er konnte.

Sie sah an ihm vorüber ins Weite, seine Ruhe nahm sie für Gleichgültigkeit. Sie meinte, er habe sie nur küssen wollen, weil solche Zärtlichkeiten zu den Pflichten eines Verlobten gehörten. So fand auch sie ihre Haltung wieder, und um auf ein anderes Thema zu kommen, sagte sie: »Ich habe dir noch nicht einmal für die schönen Rosen gedankt, die du mir heute Morgen gesandt hast.«

Er sah sie lächelnd an. »Ich hatte gehofft, du würdest einige dieser Blumen als Schmuck an deinem Kleid tragen.«

Weil sie fühlte, dass ihr das Blut ins Gesicht schoss, machte sie eine abweisende Miene. »Sie würden nur welken, und das wäre schade.«

Gleich darauf trat der Minister ein, und sie plauderten nun zu dritt. Zunächst verabredeten sie für den Nachmittag eine gemeinsame Ausfahrt. Und im Laufe des Gesprächs sagte Rainer scherzend: »Ich habe heute vergeblich aufgepasst, ob du dein Versprechen einlösen würdest, Josta.«

Sie sah ihn fragend an. »Welches Versprechen?«

»Du wolltest mir doch mit deinem Dogcart Fensterparade machen?«

Sie ging auf den Scherz ein. »Dies Versprechen gab ich unter anderen Verhältnissen«, sagte sie lachend. »Ich wollte Onkel Rainer Fensterparade machen. Meinem Verlobten darf ich solche Aufmerksamkeiten nicht erweisen, das würde sich nicht schicken.«

»Oh, mir scheint, so ein guter Onkel hat es viel besser als ein Bräutigam.«

»Ja, wer sich leichtsinnig in Gefahr begibt, kommt darin um«, neckte sie.

So kam das Brautpaar langsam, wenigstens im äußerlichen Verkehr, wieder ins Gleichgewicht. Sie hielten beide den unbefangen scheinenden heiteren Ton fest, und als Rainer sich verabschiedete, zeigte ihm Josta ein lachendes Gesicht.

Die nächsten Tage vergingen in ziemlicher Unruhe für das Brautpaar. Sie kamen kaum noch dazu, ungestört miteinander zu plaudern. Am Nachmittag des 8. Mai wollte Rainer nach Ramberg zurückkehren, aber am 15. Mai wollte er noch einmal in die Stadt kommen. An diesem Tage sollte die offizielle Verlobungsfeier im Jungfernschlösschen stattfinden. Dieser Feier sollten auch Henning, Rainers Bruder, und Gerlinde, die Witwe des verstorbenen Rochus, beiwohnen.

»Wenn sich Gerlinde dazu entschließen kann«, sagte Rainer zu seiner Braut, als sie über die Verlobung sprachen. »Das Trauerjahr um ihren Gemahl ist zwar zu Ende, aber sie lebt noch sehr zurückgezogen.«

Josta sah ihn fragend an. »Gerlinde lebt noch in Ramberg, nicht wahr?«

»Ja. Eigentlich hätte sie nach dem Tode ihres Gemahls das Witwenhaus beziehen müssen, ein villenartiges Gebäude am Ausgang des Ramberger Parkes. Aber da ich bisher unvermählt war, habe ich ihr angeboten, ihre bisherigen Zimmer zu behalten, bis einmal eine neue Herrin in Ramberg einzieht. Ich wohne in dem so genannten Fremdenflügel, der sonst nur von Gästen bewohnt wurde. Wir sehen uns täglich bei den Mahlzeiten. Sie ist eine kluge, geistvolle Frau. Wir haben uns die Einsamkeit gegenseitig erträglich gemacht. So ist eine Art treue Kameradschaft zwischen uns entstanden.«

Josta hatte aufmerksam zugehört. »Weiß sie, dass du in die Stadt gereist bist, um – nun, um dich zu verloben?«

Er schüttelte lächelnd das Haupt. »Nein, Josta. So sicher war ich nicht, dein Jawort zu erhalten, dass ich eher darüber hätte sprechen mögen. Jedenfalls soll sie durch mich selbst erfahren, dass ich mich verlobt habe. Deshalb habe ich an sie keine Verlobungsanzeige schicken lassen, und ich habe auch die für Baron Rittberg noch zurückgehalten, damit sie nicht eher davon erfährt, als bis ich heimkomme. Sie muss zugleich erfahren, dass du am 10. Juli in Ramberg einziehst. Ihre Übersiedlung in das Witwenhaus ist nun nötig.«

»Oh, so werde ich sie aus dem Haus vertreiben?«, sagte Josta erschrocken.

»Nein, Josta! Sie hat ja von Anfang an gewusst, dass ihr Aufenthalt darin ein Ende hat, sobald ich mich vermähle. Einige Wochen hat es ja auch noch Zeit, denn im Witwenhaus muss mancherlei vorgerichtet werden, da es seit dem Tod von Rochus’ Mutter leersteht. Diese musste Gerlinde Platz machen, und Gerlinde muss dir weichen. Das ist nicht anders. Darüber brauchst du dir keine Kopfschmerzen zu machen.«

Josta seufzte. »Dieser Brauch eures Hauses erscheint mir ein wenig grausam. Gerlinde tut mir leid.«

»Sie wird sich ruhig darein fügen, Josta. Ich werde ihr die Übersiedlung leicht machen und ihr in deinem Namen sagen, dass sie nach wie vor im Haus ein- und ausgehen kann. Und ihr beiden, hoffe ich, werdet euch in Freundschaft zusammenfinden. Es liegt an dir, ihr durch liebenswürdiges Entgegenkommen den Wechsel weniger schmerzlich zu machen. Sie wird ja auch oft genug unser Gast sein. Jedenfalls hoffe ich, ihr lernt einander gut verstehen. Und ich werde sie natürlich bitten, an unserer Verlobungsfeier teilzunehmen. Das darf ich doch auch in deinem Namen tun, Josta?«

»Gewiss, Rainer, ich bitte darum. Und was in meiner Macht steht, will ich gern tun, um zu Gerlinde freundlich zu sein.«

Er küsste ihre Hand. »Das ist lieb von dir. Und nun will ich mich von dir verabschieden. In zwei Stunden fahre ich nach Ramberg zurück. Von Papa habe ich mich bereits verabschiedet. Auf Wiedersehen also am 14. Mai.«

Mit großen Augen sah sie ihm nach, als er mit seinem schnellen, elastischen Gang durch das Vestibül schritt und in den Wagen sprang, der am Portal hielt. Noch einmal erblickte sie sein von der Sonne scharf beleuchtetes Profil, und dann blickte er zurück mit den ernsten, gütigen Augen, als suche er sie. Aber sie war im Hintergrund des Vestibüls stehen geblieben; er konnte sie nicht sehen, das Sonnenlicht blendete ihn.

Langsam ging sie in ihr Zimmer zurück und ließ sich müde in einen Sessel fallen. Sie musste gleich wieder an die Stunde denken, da sie gehört hatte, dass Rainer eine andere Frau hoffnungslos geliebt hatte. Sie stand vor einem halbenthüllten Geheimnis und konnte es doch nicht ganz ergründen. Denn auch den Vater durfte sie nicht fragen, wenn sie nicht verraten wollte, was sie neulich erlauscht hatte.

Weil sie nun keinen Menschen hatte, zu dem sie mit ihren Zweifeln und Unruhen hätte flüchten können, nahm sie zu ihrem geliebten, verschwiegenen Tagebuch Zuflucht, um sich vom Herzen zu schreiben, was sie bedrückte.

3

Gut Ramberg lag in waldreicher Gegend an einem großen Fluss. Es war ein mächtiges Gebäude in Hufeisenform. Große Rasenplätze mit riesigen Sandsteingruppen als Mittelpunkt, dazwischen ein sternförmig bepflanztes Blumenrondell, in dessen Mitte ein Springbrunnen verträumt plätscherte, füllten die offene Mitte dieses Hufeisens.

An den imposanten Mittelbau schlossen sich die beiden Seitenflügel an, jeder aus zwei Stockwerken bestehend. Der Westflügel war kostbarer eingerichtet als der Ostflügel, in dem sich eine Reihe Gastzimmer, Wirtschaftsräume und Domestikenzimmer befanden und wo vorläufig Rainer Ramberg wohnte.

Die Rückfront des Mittelbaues begrenzte eine Terrasse. Zu beiden Seiten führten von der Terrasse breite Treppen hinab auf freies Wiesengelände, das sich bis an den Fluss erstreckte. Jenseits des Flusses lag prachtvolles Ramberger Forstgebiet mit riesigen Buchen und Eichen. An die Rasenplätze an der offenen Seite des Hufeisens grenzte der schöne Park, der wieder in dichten Wald auslief. Der Park war von einem hohen Gitter aus Eisenstangen umzäunt. Unweit davon stand an der Ostseite des Parkes ein hübsches, villenartiges Gebäude, der Witwensitz der Rambergs. Das Haus war nicht sehr groß, es umschloss nur acht Zimmer mit Nebengelassen, lag aber mit seiner efeuumwachsenen Veranda friedlich und idyllisch im Grünen.

Freilich, mit dem stolzen Gutshaus verglichen, sah es recht bescheiden aus, und es mochte wohl mancher stolzen Frau schwergefallen sein, in dies Exil zu wandern.

Vor diesem friedlichen Haus stand eine hohe, schlanke Frauengestalt in einem schwarzen Trauergewand. Ein kostbarer schwarzer Spitzensonnenschirm lag über ihren Schultern, aber sie hielt ihn nicht schützend über sich, da sich nur vereinzelte Sonnenstrahlen durch das dichte Laub der Bäume drängten, die goldene Reflexe über das helle, schimmernde Blondhaar warfen.

Sie war schön, diese stolze Frau, obwohl sie bereits die erste Jugend hinter sich hatte. Gerlinde Ramberg zählte dreißig Jahre. Trotzdem zeigte ihr schönes, regelmäßig geschnittenes Gesicht noch einen zarten, blühenden Teint.

Große dunkelblaue Augen belebten das schöne Gesicht der einsamen Frau. So sanft diese Augen aber meist blickten, manchmal konnte es darin aufblitzen wie das Funkeln geschliffenen Stahls. Und dann bekamen sie einen seltsam energischen und leidenschaftlichen Ausdruck. So sah sie jetzt auf die geschlossenen Fensterläden des Witwenhauses.

Hier soll ich meine Tage vertrauern? Nein – nein – solange ich es verhindern kann, soll das nicht geschehen. So gehen Königinnen ins Exil, die nicht mehr die Macht haben zu herrschen. Ich aber will herrschen – lieben und geliebt werden.

Dann wandte sie sich und ging durch den Park zurück. Vor dem Gutshaus blieb sie stehen und betrachtete es mit großen, heißen Augen.

Dort ist meine Heimat, und so soll es bleiben. Bei dir, Rainer – mit dir! Wie lange wirst du noch blind neben mir hergehen? Fühlst du nicht, wie sich mein ganzes Sein dir entgegendrängt, wie die Blume dem Licht? Weshalb bist du fortgegangen? Ahnst du nicht, dass dieses Trauerjahr das seligste meines Lebens war, weil ich es mit dir verleben durfte? Komm heim, Rainer, ich sehne mich nach dir!

Diese Gedanken und Wünsche erfüllten Gerlinde. Langsam, in stolzer und doch anmutiger Haltung schritt sie weiter. Als sie auf den breiten Fahrweg kam, der den Park durchschnitt und zum Gutshaus führte, sah sie eine Equipage herankommen.

Im Fond saß eine lebhaft blickende Dame, etwa Mitte der vierzig, in einer farbenfreudigen Toilette. Es war die Baronin Rittberg.

Sie ließ den Wagen anhalten und winkte ihr lebhaft zu.

»Liebste Gerlinde – guten Tag! Ich wollte Ihnen in Ihre einsame Teestunde hineinfallen. Darf ich das? Sonst sagen Sie mir ruhig nein, dann kehre ich wieder um.«

Mit einem sanften Lächeln trat Gerlinde an den Wagen heran.

»Es ist so lieb von Ihnen, Baronin, dass Sie sich meiner Einsamkeit erbarmen. Ich habe einen Spaziergang durch den Park gemacht. Nun freue ich mich, dass ich zum Tee Gesellschaft habe.«

»Und ich freue mich, dass ich Sie wieder einmal ansehen kann; für Ihre Schönheit würde ich, glaube ich, sogar Entree bezahlen. Sehen Sie – nun lachen Sie schon. Das ist recht. Ich bin ja gekommen, um Sie ein bisschen aufzuheitern. Kommen Sie, steigen Sie ein.«

Gerlinde stieg in den Wagen. Dieser rollte weiter.

»Ist Ramberg noch nicht von seiner Reise zurück?«, fragte die Baronin in ihrer lebhaften Art.

»Nein, noch nicht.«

»Aber nun sagen Sie mir nur, was ist das für eine Idee von ihm, so plötzlich abzureisen? Sicher nach der Stadt oder nach Berlin! Aber da ist doch jetzt im Mai schon nichts mehr los?«

»Vielleicht besucht er in Berlin seinen Bruder. Am Abend vor seiner Abreise hatte er die Absicht noch nicht, und am Morgen habe ich ihn nicht mehr gesehen.«

»Nun, hoffentlich bleibt er nicht mehr lange weg, da er dem Diener gesagt hat, er bliebe nur wenige Tage aus. Sonntag sollen Sie nämlich mit ihm bei uns dinieren. Sie sagen doch zu?«

»Gewiss, nach Rittberg komme ich gern, wenn ich auch sonst sehr zurückgezogen lebe.«

»Ja, ja, über diesen Punkt wollte ich auch mit Ihnen sprechen. Ich habe es heute am Kalender ausgerechnet, vor vier Tagen jährte sich der Todestag Ihres Gatten. Sie müssen nun die Trauer ablegen und wieder unter Menschen gehen. So ein junges Blut wie Sie hat noch Rechte an das Leben und Pflichten gegen sich selbst.«

Das hörte Gerlinde gern. Aber sie seufzte wehmütig.

»Mir ist, als sei ich mit diesem Trauerkleid verwachsen.«

»Mein Gott, so etwas müssen Sie nicht sagen. Allerdings, die schwarzen Kleider stehen Ihnen ja sinnverwirrend gut. Wundervoll ist der Kontrast zu Ihrem goldenen Haar und Ihrem blütenzarten Teint.«

Gerlinde kannte die etwas überschwängliche Art der Baronin. Sie wollte sich nun mit einem Kompliment revanchieren. »Liebe Baronin, wenn ich mit vierzig Jahren so vorzüglich aussehe wie Sie, will ich sehr zufrieden sein.«

»Bitte sehr – ich bin fünfundvierzig, davon beißt keine Maus einen Faden ab. Meine Jungens sind ja schon fünfundzwanzig und sechsundzwanzig Jahre alt. Aber Sie sehen mit Ihren dreißig Jahren – wir sind entre nous – genau aus wie zwanzig.« Sie sah mit ehrlichem Wohlgefallen auf die schöne Frau.

Jetzt fuhr der Wagen die Auffahrt vor dem Gutshaus hinauf. Als er hielt, sprang Gerlinde leichtfüßig heraus. Die etwas korpulente Baronin stützte sich jedoch kräftig auf die Hand eines Lakaien. Und dann hängte sie sich in den Arm Gerlindes und schritt mit dieser durch die hohe Halle und von da durch den Waffensaal und die Bibliothek zum Westflügel.

Die beiden Damen gelangten in die Gemächer Gerlindes. Es waren die schönsten Wohnräume im Gutshaus.

Und dann saßen die beiden Damen an dem gedeckten Teetisch. Gerlinde füllte selbst die Tassen, feine Porzellanschalen aus altem chinesischem Hartporzellan. Ganz selbstverständlich beanspruchte sie für ihren persönlichen Gebrauch stets die kostbarsten Geräte, wie sie es als Herrin des Hauses gewohnt gewesen war.

Die Baronin bemerkte das heute, wie schon oft, und während sie über allerlei Neuigkeiten plauderte, sagte sie plötzlich: »Meinen Sie nicht, Gerlinde, dass es nun höchste Zeit wäre für Rainer, sich zu verheiraten? Wenn er nicht rettungslos als Hagestolz verkümmern will, muss er doch nun endlich Anstalten machen.«

In Gerlindes Antlitz stieg eine leise Röte. Aber sie zuckte nachlässig die schönen Schultern und lächelte. »Auf meine Meinung kommt es hierbei nicht an, liebe Baronin.«

»Aber Sie wissen doch jedenfalls, wie er darüber denkt.«

Wieder zuckte Gerlinde die Schultern. Dann sagte sie lächelnd: »Entre nous, meine liebe Baronin, ich glaube, mein Vetter hat eine sehr ernste Herzensaffäre hinter sich, die ihm vielleicht die Lust zum Heiraten genommen hat. Vielleicht, sage ich. Aber hoffen wir, dass es kein ganz rettungsloser Fall ist. Sie sollten ihm das einmal sagen, Baronin. Für Sie hegt er eine große Verehrung, und vielleicht machen ihm Ihre Worte Eindruck.«

Die gutmütigen Augen der Baronin blitzten entschlossen auf. »Jawohl, das tue ich, das tue ich ganz bestimmt. Er soll nur seine Augen aufmachen. Wahrlich, er braucht nicht erst in die Ferne schweifen, das Gute liegt wirklich nahe genug für ihn.«

Gerlinde war derselben Ansicht, doch hielt sie es für klug und gut, sich ahnungslos zu stellen.

»Nun ja – aber immerhin –, man müsste ihm einen Wink geben. Männer sind manchmal so umständlich in den einfachsten Sachen. Und – um auf etwas anderes zu kommen, Sie sollten nun wirklich die Trauerkleider ablegen. Tun Sie mir die Liebe an, und kommen Sie Sonntag in einem hellen Kleid zu uns.«

Gerlinde seufzte, als fiele ihr diese Zusage schwer.

»Nun also, Ihnen zuliebe. Ich weiß ja, schon mit Rücksicht auf meine Umgebung muss es doch einmal sein.«

»Sie sollten sich selbst wieder dem Leben zuwenden. Es ist doch zu schön, als es zweckloser Trauer wegen zu vergeuden. Nun will ich aber aufbrechen, liebste Gerlinde. Bis Sonntag also auf Wiedersehen, und hoffentlich bringen Sie Rainer mit.«

Grüßend und winkend fuhr die lebhafte Baronin davon.

Gerlinde stand noch eine Weile und sah dem Wagen nach. Als sie sich umwenden wollte, um wieder ins Haus zu gehen, sah sie den Administrator Heilmann vom Ostflügel herüberkommen. Das war ein hagerer, sehniger Mann von etwa fünfzig Jahren.

»Sie haben wohl viel zu tun, Herr Administrator, seit der Herr verreist ist?«, fragte sie liebenswürdiger, als es sonst Untergebenen gegenüber ihre Art war.

Heilmann zog die Mütze. Aber in seinem Gesicht zeigte sich keine Freude über die Liebenswürdigkeit seiner schönen Herrin. Seit vielen Jahren war er schon in Ramberg. Er war Rochus’ Vertrauter gewesen und wusste mehr über dessen Ehe mit Gerlinde als sonst jemand. Sein Gesicht blieb unbewegt.

»Wir schaffen es schon, gnädige Frau. Und außerdem kommt der Herr mit dem Abendzug nach Hause.«

Gerlinde fragte interessiert: »Woher wissen Sie das?«

»Ich habe vor zwei Stunden ein Telegramm bekommen, dass ich den Wagen zur Station schicken soll.«

Die Liebenswürdigkeit war plötzlich aus ihrem Gesicht verschwunden.

»Weshalb ist mir nicht sofort gemeldet worden, dass der Herr heute heimkommt?«

»Der Herr hat mir dazu keinen Auftrag gegeben.«

»Aber das versteht sich doch von selbst«, herrschte sie ihn an.

»Ich tue, was meines Amtes ist, gnädige Frau, und ich war außerdem der Meinung, dass Sie wüssten, wann der Herr zurückkehrt.«

Sie biss sich auf die Lippen. Sie ärgerte sich über das Benehmen des Administrators, der ihr schon längst ein Dorn im Auge war. Oft genug hatte sie von ihrem verstorbenen Gemahl gewünscht, er möge Heilmann entlassen. Sie hatte es nicht durchgesetzt, und als er jetzt wieder so selbstsicher vor ihr stand, dachte sie zornig: Ich werde dafür sorgen, dass Rainer diesen Menschen entlässt!

Sie wandte sich schnell um und ging zu ihren Zimmern zurück.

Kopfschüttelnd sah ihr Heilmann nach mit einem Ausdruck, der zu sagen schien, dass er froh sein würde, säße sie erst sicher und geborgen drüben im Witwenhaus.

Gerlinde klingelte heftig ihrer Zofe. Als diese eintrat, befahl sie: »Legen Sie mir sofort die neue Seidenkrepp-Robe zurecht, Hanna, die mit der schwarzen Samtschärpe. Ich will mich für das Souper umkleiden.«

Die Augen der hübschen Zofe blitzten auf. »Sehr wohl! Gnädige Frau befehlen weiße oder schwarze Chaussures dazu?«

Sie überlegte einen Augenblick. Dann warf sie entschlossen den Kopf zurück. »Weiß! Sie haben doch alle meine Toiletten in Ordnung gebracht, Hanna? Ich trage von heute an keine Trauer mehr.«

»Es ist alles fertig, gnädige Frau.«

»Gut. Dann eilen Sie sich. Sie müssen mich noch anders frisieren. In einer halben Stunde spätestens muss ich fertig sein.«

»Sehr wohl. Belieben gnädige Frau Schmuck oder Blumen – vielleicht weiße Rosen oder weißen Flieder?«

Gerlinde überlegte. »Nein, diese Blumen mag ich nicht, sie sind zu farblos. Und Schmuck – nun ja – die lange Perlenkette mit dem Brillantschloss würde passen. Sonst nichts. Also schnell, Hanna! Herr Ramberg kommt nach Hause!«

Die Zofe knickste und eilte in das Ankleidezimmer hinüber, um alles zurechtzulegen und vorzubereiten.

Eine Viertelstunde später saß Gerlinde vor ihrem Toilettentisch, und die Zofe hantierte mit den kostbaren, in Schildpatt und Gold gefassten Gegenständen.

Dann wurden seidene, spinnwebfeine Strümpfe übergestreift und elegante weiße Schuhchen. Zuletzt warf die Zofe mit geschickten Händen das gewünschte Kleid über die spitzenbesetzten Dessous. Ein schmaler Streifen des Nackens blieb frei, auch der schlanke Hals wurde nicht neidisch verhüllt. Ebenso blieben die schön geformten Unterarme frei.

Mit stolz flammenden Augen und sieghaftem Lächeln betrachtete Gerlinde ihr Spiegelbild.

Weiß kleidet mich nicht weniger gut als Schwarz, dachte sie, und mit dem Trauerkleid lege ich heute auch die Trauermiene ab. Das seligste Leben soll dir aus meinen Augen entgegenstrahlen, Rainer. Und nun will ich mit allen Mitteln versuchen, dich zu erringen.

Gerade als sie sich langsam vom Spiegel abwandte, meldete ihr die Zofe: »Soeben ist der gnädige Herr vorgefahren.«

Gerlinde nickte gnädig und gut gelaunt. »Die schwarzen Kleider werden ausrangiert aus meiner Garderobe, Hanna. Sie können Sie für sich verwenden.«

Hanna knickste erfreut und küsste der Herrin die Hand.

Sie wusste sehr wohl, warum Gerlinde so gut gelaunt war, wie sie stets die Gründe für die Laune ihrer Herrin kannte.

Es wäre der Zofe nicht eingefallen, diese kostbaren Kleider selbst zu tragen. Sie schickte sie nach Berlin an ein Geschäft, wo derartige Sachen von Bühnenkünstlerinnen sehr gern gekauft wurden, und erhielt dafür ganz anständige Preise. Da die Herrin ziemlich verschwenderisch war in der Anschaffung von Toiletten und nie ein Kleid sehr lange trug, hatte Hanna eine sehr hübsche Nebeneinnahme. Sie wusste aber sehr wohl, dass dieser Luxus ihrer Herrin nicht mehr im gleichen Maße fortgesetzt werden konnte, wenn diese erst mit dem Einkommen einer entthronten Königin im Witwenhaus zu rechnen hatte.

Hanna war also genauso interessiert, dass ihre Herrin zum zweiten Male auf den Thron gehoben wurde in Ramberg, wie diese selbst.

Gerlinde saß in ihrem blauen Salon in einem der hohen Lehnstühle und hielt ein Buch in ihren schönen Händen. Sie bot ein wundervolles Bild. Ihre lichte Erscheinung hob sich sehr reizvoll von dem tiefen Königsblau ab. Die vergoldeten Gestelle der Rokoko-Möbel mit ihren geschweiften Formen passten im Stil allerdings nicht zu ihrer streng modernen Erscheinung. In träumender Haltung hielt sie den blonden Kopf geneigt, und ihre Augen blickten mit sehnsüchtigem Glanz vor sich hin. Ihre Lippen brannten heiß und glühend aus dem weißen Gesicht, und auch die zierlichen Ohren waren gerötet, ein Zeichen verhaltener Erregung.

Sie wartete auf Rainer.

Schon war über eine halbe Stunde vergangen, seit er heimgekehrt war, und er hatte sich noch nicht bei ihr sehen lassen. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt.

Als ihre Erregung aufs höchste gestiegen war, vernahm sie endlich draußen seinen schnellen, elastischen Schritt. Sie richtete sich lauschend empor. War es kein Irrtum? Aber nein – schon öffnete sich die Tür.

Ramberg kam mit strahlendem Gesicht auf sie zu. Sie streckte ihm mit einem sinnbetörenden Lächeln die Hand entgegen.

»Endlich wieder da, lieber Vetter! Du hast mich durch deine Gesellschaft so sträflich verwöhnt, dass ich mir in diesen Tagen deiner Abwesenheit sehr einsam und verlassen vorkam.«

Sein Blick streifte erfreut ihre Erscheinung.

»Ich freue mich, Gerlinde, dich in einem weißen Kleid zu sehen – zum ersten Mal ohne Trauerkleider. Das will ich als ein freundliches Omen ansehen«, sagte er herzlich, ihr die Hand küssend.

»Ein Omen wofür, Vetter?«, fragte sie, ihn mit einem strahlenden Blick messend.

»Das sollst du gleich hören. Aber sage mir, wie ist dein Befinden?«

Sie lächelte. »Gut, seit du wieder in Ramberg bist«, neckte sie.

»Du musst entschuldigen, Gerlinde. Ich hatte mich erst am Morgen zu dieser Reise entschlossen, da wollte ich dich nicht stören.«

»Wo warst du nur?«

»In der Stadt.«

»Oh! Ich glaubte, du seiest nach Berlin gereist, um Henning zu besuchen. Hattest du etwas Wichtiges zu besorgen, oder hast du Exzellenz Waldow einen Besuch gemacht?«

»Beides, Gerlinde. Du sollst gleich alles hören.«

Gerlinde nickte lächelnd.

»Bitte, nimm doch Platz – du hast doch ein wenig Zeit für mich. Ich habe die Stunden gezählt bis zu deiner Rückkehr, die doch so unbestimmt war. Und Heilmann, dieses Ungeheuer, hat mir nicht einmal gemeldet, dass du deine Ankunft telegraphisch angezeigt hattest«, scherzte sie mit einem schmollenden Lächeln.

Er hatte Platz genommen. Seine gütigen Augen sahen warm und freundlich in ihr Gesicht. »Heilmann wird nicht geahnt haben, dass dich meine Rückkehr so interessiert, sonst hätte er es dir sicher gemeldet.«