6 Geisterhafte Gruselthriller Februar 2024 - W. A. Hary - E-Book

6 Geisterhafte Gruselthriller Februar 2024 E-Book

W. A. Hary

0,0

Beschreibung

Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe. Dieser Band enthält folgende Romane (499) W.A.Hary: Die Finsternis W.A.Hary: Armee der Untoten W.A.Hary: Nebel des Todes W.A.Hary: Die Flucht W.A.Hary: Der Schreckensorden W.A.Castell: Nostradamus und die Insel des Teufels

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 460

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



W.A.Hary, W.A.Castell

6 Geisterhafte Gruselthriller Februar 2024

UUID: a079bacb-86b1-4b00-8243-5d5798178079
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

6 Geisterhafte Gruselthriller Februar 2024

Copyright

​W. A. Hary Die Finsternis

​W. A. Hary Armee der Untoten

​W. A. Hary Nebel des Todes

​W. A. Hary Die Flucht

​W. A. Hary Der Schreckensorden

Nostradamus und die Insel des Teufels

6 Geisterhafte Gruselthriller Februar 2024

W.A.Hary, W.A.Castell

Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe.

Dieser Band enthält folgende Romane

W.A.Hary: Die Finsternis

W.A.Hary: Armee der Untoten

W.A.Hary: Nebel des Todes

W.A.Hary: Die Flucht

W.A.Hary: Der Schreckensorden

W.A.Castell: Nostradamus und die Insel des Teufels

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Facebook:

https://www.facebook.com/alfred.bekker.758/

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

Zum Blog des Verlags!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

​W. A. Hary Die Finsternis

Flieh, wenn die Monster kommen!

Ich war neuerdings in Helsinki, der Hauptstadt Finnlands. Als CIA-Agent – offiziell jedenfalls. Tarnname: John Baxter. Weil der amerikanische Präsident hier zu Besuch war und man ein Attentat auf ihn befürchtete. Und dann fiel in ganz Helsinki das Licht aus...

Abbott Sanderson befand sich im Stress. Kein Wunder, seine größte Sorge galt dem Präsidenten. Laufend kamen Meldungen herein, mussten von ihm erwidert werden. Mit seinem Einsatzstab gab er Kommandos, wertete er aus.

Seine Leute saßen auch in der Telefonzentrale von Helsinki. Die Leitung mit der Nummer drei-zwei-neun-sieben-zwei-eins wurde dauernd überwacht, Spezialisten hörten ab, ließen alles auf Band gehen und stellten eine Fangschaltung her. Man wollte genau wissen, wer diese Nummer anwählte und wo er sich befand.

Das Gespräch zwischen Oberst Schukowa und Alvar Kilpinen.

Die Fachleute wurden nicht nervös. Sie arbeiteten routiniert. Die Männer und Frauen in der Zentrale machten große Augen, als sie sahen, mit welcher Fertigkeit hier vorgegangen wurde. Jede Sekunde war kostbar.

Die CIA-Experten kümmerten sich nicht um die Vorgänge bei Kilpinen. Es gehörte nicht zu ihrer Aufgabe.

Das Gespräch zwischen dem einen Agenten und dem Oberst. Die Verbindung wurde unterbrochen.

„Uff, das war knapp!“, sagte einer. Das bedeutete: sie hatten es gerade noch geschafft!

Die Adresse wurde ermittelt und sofort per Telefon an Abbot Sanderson weitergegeben. Gottlob stand diese Leitung ebenfalls - trotz des Stromausfalls, der den größten Teil betraf. Die CIA-Experten mussten teilweise sogar im Licht ihrer Handlampen arbeiten.

Abbott Sanderson ergriff Maßnahmen, noch ehe man ihm den Text überspielte. Man verzichtete darauf, einen Boten mit der Tonbandkassette zu schicken. Bei dem Chaos, das auf allen Straßen herrschte, hätte der Bote echte Schwierigkeiten gehabt.

Es genügte auch so. Sanderson ließ die Leitung vorläufig stehen. Auf der Einsatzkarte steckte er sieben Agenten ab, die sich in der Nähe der ermittelten Adresse befanden. Einer davon hieß John Baxter. Er schickte sie in die betreffende Straße. Bevor er ihnen dort nähere Instruktionen gab, wie versprochen, hatte er den Text abgehört. Er war im Bilde, gab jedoch nicht sein vollständiges Wissen weiter. Erst einmal musste er die Tatsache verarbeiten, dass offenbar ein höheres Tier des Ex-KGB mit ihnen gemeinsame Sache machen wollte.

Jedenfalls war das herauszuhören.

*

Die Anweisungen an die Agenten waren klar: „Sie sind sieben. Stürmen Sie das Haus! Niemand darf entkommen. Wir vermuten ein Nest des KGB.“

Ich war hier als John Baxter – als CIA-Agent John Baxter. Also gehorchte ich: Ich rannte.

Gottlob herrschte hier nicht so viel Verkehr.

Ein Wagen brauste heran, sah, was auf der Hauptstraße vorging und wendete eilig. Das Licht der Scheinwerfer blendete mich sekundenlang. Dann verloren sich die Rücklichter in der Ferne, bogen um eine Hausecke.

Im Laufen zerrte ich meine Lampe hervor. Ich war gut ausgerüstet, auf fast alle Eventualitäten vorbereitet. Das gehörte zum Standard beim CIA.

Noch wusste ich nicht, wer außer mir mit von der Partie war. Das kristallisierte sich jedoch rasch heraus.

Von den wenigen Passanten, die hier in der Dunkelheit umherirrten, schälten sich sechs heraus, die anscheinend denselben Weg hatten wie ich. Das mussten sie sein. Zu erkennen gaben sie sich nicht. Dafür bestand keine Zeit.

Den einen oder anderen jedoch glaubte ich bei der großen Einsatzbesprechung gesehen zu haben.

Mein Gott, dachte ich, zurzeit gibt es scheinbar mehr CIA-Leute in Helsinki als in den USA oder sonstwo in der Welt. Verbindlich war diese Annahme allerdings nicht.

Das Haus war erreicht. Ich war der Dritte. Wortlos handelten wir sieben.

Die ersten beiden sicherten rechts und links der Haustür. Ich zog meine Waffe aus dem Schulterhalfter, legte den Sicherungshebel herum. Der Zeigefinger spannte sich um den Abzug.

Mit dem linken Fuß angelte ich nach der Türklinke, stieß ich die Tür auf - und dann wich ich blitzschnell zur Seite hin aus.

Nichts geschah.

Solchermaßen ermutigt sprang ich in einen Flur hinein.

Das Licht der Lampe in meiner Linken zuckte hin und her. Vier Schritte vor mir eine wacklige Stiege mit ausgetretenen Stufen. Sie führte hinauf in den ersten Stock.

Im Haus roch es nach verbrauchter Luft. Sehr einladend war das Gebäude nicht.

Mehr unterbewusst bemerkte ich, dass andere hinter mir hereinkamen und sich sofort an den Wänden verteilten. Nur einer blieb draußen, um den Rückzug zu gewährleisten.

Ich hatte sozusagen „das große Los gezogen“, dass ich als dritter eingetroffen war. Drum durfte ich als erster eindringen.

Ich hastete zur Treppe. Den linken Arm streckte ich aus. Der Lichtkegel richtete sich nach oben.

Eine blitzschnelle Bewegung, ein Schuss. Die Kugel fuhr mitten in die Lampe, prellte mein Handgelenk.

Ich unterdrückte einen Fluch, fuhr zurück, schoss ebenfalls.

Der Schalldämpfer vor dem Lauf meiner Pistole degradierte das Krachen zu einem widerlichen Schnalzen.

Ich hatte keine Ahnung, ob ich getroffen hatte. Hastende Schritte im ersten Stock. Etwas flog herunter.

Man brauchte mir nicht zu sagen, was es war. Geistesgegenwärtig fing ich es mit der linken Hand auf. Ich war sowieso am meisten gefährdet. Das Ding flog postwendend zurück und detonierte im Flug.

Ich hatte mich rechtzeitig zurückgeworfen. Dennoch bekam ich einen Teil der Druckwelle mit.

Oben schrie jemand durchdringend. Hatte die detonierende Handgranate den Werfer selbst getroffen? Der Schrei riss ab.

Jetzt begannen die Agenten um mich wie wild zu ballern. Und ich musste in diesen Kugelhagel hinein, ob ich wollte oder nicht. Ich jagte die Treppe hinauf. Rechts und links schlugen Kugeln ein. Holz zerfetzte, Splitter flogen mir um die Ohren. Solchermaßen angetrieben schaffte ich den Weg zum ersten Stock in Rekordzeit.

Und dann spuckte meine eigene Waffe Feuer, obwohl ich nichts sehen konnte. Das Obergeschoss lag in Dunkelheit. Die Leute des KGB waren nicht so unvorsichtig, ihren Gegnern auch noch zu leuchten, damit diese besser treffen konnten.

Das Feuer wurde nicht erwidert. Kein Wunder. Die fürchteten sich vor Zufallstreffern.

Zwei Kollegen folgten mir mit knappem Abstand.

Ich wirbelte in den Flur. Die beiden Kollegen hatten noch intakte Lampen. Mit ihnen bewiesen sie, dass der Flur leer war.

Ich trat die erste Tür auf.

Keine Menschenseele. Ich musste weiter. Da sah ich das offene Fenster zum Hinterhof. Sah so aus, als seien die Vögel ausgeflogen.

Ich stolperte über die Trümmer, die von der Handgranate verursacht worden waren. An der Decke befand sich ein Loch.

Oder war das Fenster von der Druckwelle hinausgetrieben worden?

In dem Bewusstsein, dass meine Rückendeckung garantiert war, rannte ich hinüber.

Vorsichtig lugte ich über die Fensterbank hinunter.

Das grelle Licht eines Handscheinwerfers traf mich genau in die Augen. Die folgende Kugel hatte dieses Glück nicht. Meine Reflexe konnten sich sehen lassen. Das Stahlmantelgeschoss stanzte einen Schusskanal in die Decke über mir und richtete weiter keinen Schaden an.

Da flogen rechts und links Türen auf.

So arg gesichert war meine Rückendeckung überhaupt nicht! Meine Kollegen schossen zwar augenblicklich, aber ihre Schüsse sirrten als Querschläger umher: Die betreffenden Türen waren nämlich aus solidem Schwedenstahl!

Schon fuhr ich herum, um mich zu verteidigen, obwohl ich nicht so überzeugt war, dass ich damit Erfolg haben könnte. Deshalb ließ ich die Mündung meiner Pistole vorsorglich zu Boden gerichtet.

Das rettete mir das Leben! Die beiden Russen, die im Schutz der halbgeöffneten Türen standen, hätten sonst nämlich augenblicklich auf mich geschossen.

Die beiden CIA-Kollegen warfen sich bäuchlings zu Boden, mit drohenden Pistolen, mit denen sie die Russen allerdings nicht erreichen konnten. Der dritte kam gerade die Treppe herauf. Er hatte die Sachlage mit einem Blick erkannt.

Ich ließ meine Waffe fallen und folgte dem Wink einer der Waffen, die sich genau auf meinen Bauch richteten. Das Gesicht des Russen war verkniffen.

Ich geriet in Sichtdeckung der Tür.

„Vorsicht!“, brüllte ich, denn einer der Russen machte wieder eine Handgranate klar. Diesmal brachte er die Nerven auf, bis kurz vor der Explosion zu warten und sie dann erst über die schützende Stahltür zu schleudern.

Die drei Agenten vom CIA wussten jedoch meinen Warnruf gut zu deuten.

Sie sprinteten schon davon. Fast kopfüber warfen sie sich die Treppe hinunter. Wahrscheinlich nach dem Motto: Lieber das Genick gebrochen als ganz tot!

Sie überlebten es!

Keiner brach das Genick!

Und bevor noch die Handgranate hochging, wurde ich gepackt und unsanft in den Raum hinter der einen Stahltür gerissen. Die Tür ging zu. Draußen tobte sich die Druckwelle aus. Der Knall war wahrscheinlich in der halben Stadt zu hören. Die Wände wankten, Verputz bröselte von der Decke.

Ich hatte ja meine Pistole draußen im Flur liegen. Es bedurfte nur Sekundenbruchteile, um die beiden Russen davon zu überzeugen, dass ich ansonsten unbewaffnet war.

Sie raubten mir die Ausrüstung. Einer stieß die Tür wieder auf.

„Haut ab, sonst pusten wir euren Kumpel aus!“, brüllte er.

Er sprach ein einwandfreies Englisch. Also wusste er haargenau, mit welchem Gegner er es zu tun hatte.

Meine Gedanken marschierten auf wie eine Kompanie disziplinierter Soldaten.

Sah ganz danach aus, als wäre man auf den Angriff halbwegs vorbereitet gewesen! Wie denn das?

Ich sah mich in dem Zimmer um, sofern es die schlechte Taschenlampenbeleuchtung zuließ. In der Ecke ein wurmstichiger Schreibtisch mit einem Telefon.

Und dieses Telefon klingelte jetzt, wie durch meinen Blick ausgelöst!

*

In der Nobelbar „Trobadur“ war es noch nie so hell gewesen, höchstens morgens um sieben, wenn die Putzfrau kam, um die Spuren der Nacht zu entfernen. Wahrscheinlich hielt man es deshalb so, damit die Gäste die Preise auf der Getränkekarte nicht so genau lesen konnten. Jedenfalls bekam man vom allgemeinen Stromausfall nicht viel mit. Für Sekunden wurde es völlig finster. Dann war der alte Zustand wiederhergestellt.

Die sonore Stimme des Besitzers Kari Nummi klärte über die Situation auf: „Keinen Grund zur Besorgnis, meine Damen und Herren. Das Programm geht weiter. Wir haben ein Notstromaggregat, sind also für alle Fälle gut gerüstet. Bitte, wenn Sie unser Lokal verlassen, das zur Spitze in Helsinki gehört, tun Sie das umsichtig und wohlüberlegt. Es gibt kein Licht mehr in dieser wunderbaren Stadt! Zum ersten Mal in der Geschichte von Helsingfors ist das passiert. Noch sind die Ursachen ungeklärt. Falls sich neue Aspekte ergeben, lasse ich es Sie wissen. Die hiesige Rundfunkanstalt arbeitet ebenfalls mit Notstrom.“

Gerade entfernte die blonde Schönheit auf der Bühne das lästige Kleidungsstück über ihrer linken Brust. Was interessierte da noch die Herren der Schöpfung, was draußen in der Stadt vor sich ging?

Kari Nummi schaltete die Sprechanlage aus und lehnte sich zurück. Sein Blick traf sich mit dem seines „Mitarbeiters“.

Nummi war ein schlanker, öliger Typ um die Vierzig. Sein dunkles Haar war glatt zurückgekämmt. Der schmale Oberlippenbart machte ihn nicht gerade zu einer Schönheit, sondern gab seinem Gesicht etwas Verschlagenes.

Sein „Mitarbeiter“ war genauso groß, dafür aber doppelt so breit. Die Jacke war an Schultern und Oberarmen etwas zu eng. Deshalb übersah man die rollenden Muskelpakete selbst dann nicht, wenn man in eine andere Richtung blickte. In sein Gesicht schien einmal ein Pferd getreten zu haben. Möglicherweise wirkte es deshalb so plattgedrückt. Die Augen waren kleine Glasmurmeln, die wieselflink hin und her rollten.

„Bin gespannt, wie sich das noch entwickelt“, knurrte Nummi. Dabei klang seine Stimme nicht mehr so angenehm und sonor wie am Mikrophon. „Die Jungs haben offenbar saubere Arbeit geleistet.“

Er stellte das Radio lauter. Sein Gorilla, bislang schweigsam, kicherte leise.

„Das sind zwar Wahnsinnige, arbeiten aber wie Profis!“, schwärmte er.

Nummi fuhr ihn barsch an:

„Schnauze!“ Er wollte hören, was die vom Rundfunk zu erzählen hatten.

„...mehr als überraschend. Nach ersten Verlautbarungen fürchtet die Regierung um Leben und Gesundheit unseres hochverehrten Besuchers aus den USA. Der Präsident wird sich wahrscheinlich wieder zum Flughafen zurückziehen, um die weitere Entwicklung abzuwarten. Es steht sogar zu befürchten, dass er seine ursprünglichen Pläne ändert und Helsinki wieder verlässt, um nach Ivalo zu fliegen - unserem nördlichsten Flughafen.“

Die haben an alles gedacht!

Kari Nummi schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich stand der Ausweichflughafen Ivalo schon vorher fest. Sonst wüssten die Kerle vom Rundfunk nichts davon.

Um seinen Gorilla zu beschäftigen, befahl er ihm: „Sieh nach, ob unser Telefon funktioniert!“

Der Bullige brauchte dazu nur den Hörer von der Gabel zu nehmen. Er lauschte. Dann schüttelte er missbilligend den Kopf.

„Alles tot!“, grollte er. Nummi dachte kurz an ein Handy, verwarf den Gedanken aber sofort wieder, es zu benutzen. Die Dinger waren einfach nicht so abhörsicher wie ein stationäres Telefon. Nur Naivlinge wussten das nicht. Dann konzentrierte er sich weiter auf die laufende Nachrichtensendung, die man den Umständen entsprechend eilig dazwischengeschoben hatte.

„Zwar ist die Ursache des allgemeinen Strom- und Energieausfalls noch ungeklärt, aber es gibt bereits Verdachtsmomente. Es ist technisch undenkbar, dass alle Energiezentralen gleichzeitig ausfallen. Deshalb müssen wir mit einem Terrorakt rechnen. - Ehe sich neue Aspekte ergeben, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ein paar Takte Musik.“

„Kein Wort davon, wie es auf den Straßen aussieht!“, knurrte Kari Nummi. „Die fürchten sich wohl vor der Wahrheit?“

„Ganz bestimmt, Boss!“, pflichtete der Gorilla bei. Es erfüllte ihn wohl mit Sorge, seinen Herrn und Meister so übelgelaunt zu erleben.

Kari Nummi überging die Bemerkung. Die Musik interessierte ihn nicht. Deshalb drehte er den Ton wieder leiser.

„Sollen wir was unternehmen, Boss?“

„Dummkopf, wir müssten telefonieren - aber wie, wenn der Apparat nicht mehr funktioniert? Nur die Hauptleitungen, die nach außerhalb der Stadt führen und vom internen Netz unabhängig sind, funktionieren noch. Damit gelingt es zwar, auch interne Verbindungen zu ermöglichen, doch...“ Er unterbrach sich, machte eine wegwerfende Handbewegung. „Was soll ich dir denn von etwas erzählen, was du mit deinem Spatzengehirn ohnehin nicht begreifst!“

„Richtig, Boss!“

Beinahe platzte Nummi der Kragen. Aber da meldete sich der Nachrichtensprecher wieder. Blitzschnell war seine Hand am Lautstärkeregler.

„...erste Dementis verschiedener Organisationen. Das ist so einmalig wie die absolute Dunkelheit über Helsinki. Einschlägige Terrororganisationen, die zum großen Teil weltweit organisiert sind, distanzieren sich von dem Geschehen. Damit bleibt gesichert, dass die gegenwärtige Lage eine Folge eines Gewaltaktes ist. Nur gibt es noch keine Verantwortlichen dafür.

Inzwischen spitzt sich die Lage auf den Straßen Helsinkis zu. Nach Polizeiberichten sind mehrere Kaufhäuser bereits teilweise ausgeplündert. Der Schaden ist unschätzbar. Die Polizei ist weitgehend machtlos gegen solche Auswüchse, denn ihre Arbeit wird von umherirrender Passanten, die offenbar völlig die Orientierung verloren haben, erheblich behindert.

Wir haben einen Psychologen ins Studio gebeten, der Ihnen nicht nur ein paar wichtige Verhaltensmaßregeln geben wird, sondern auch zu erklären versucht, warum die Menschen sich so verhalten. Wir sind ein zivilisiertes Land, eine zivilisierte Stadt, genießen Ansehen in der ganzen Welt. Was macht die Menschen in Helsinki zu gefährlichen Wilden, die ganz ihrer Triebe leben - einmal von der Dunkelheit geschützt?“

Kurzerhand schaltete Kari Nummi ab. Für ihn würden die Worte des Psychologen nur Geschwafel bedeuten. Er hatte seine eigenen Ansichten über die Verhaltensweisen der Menschen. Seiner Meinung nach gab es nur negative Charakteren. Sie unterschieden sich in einem Punkt: Die einen waren mutig genug, das zu tun, was ihnen Vorteile versprach, und die anderen gehörten zu den ewigen Feiglingen, die eigentlich nur auf Grund ihrer Feigheit und deshalb ungerechtfertigterweise als friedliche und gesetzestreue Bürger galten.

Kari Nummi zählte sich selbst zu der ersten Sorte. Sein Bankkonto und auch sein Vorstrafenregister bewiesen deutlich genug, dass sich seine Weltanschauung nicht nur in der Theorie erschöpfte.

Für ihn begann jetzt das Warten.

Und dann stellte sich heraus, dass seine Geduld gar nicht so strapaziert wurde. Ein rotes Lämpchen über dem Schreibtisch blinkte auf. Das bedeutete Besuch.

Kari Nummi sprang auf und winkte seinem Gorilla zu. Seiner Auffassung nach war der Typ strohdumm - aber als Leibwächter unbezahlbar.

Gemeinsam gingen sie nach nebenan.

Der Besucher wartete bereits. Es war niemand anderes als ein Agent des KGB - zugehörig der Truppe um Oberst Schukowa.

Kari Nummi runzelte die Stirn.

„He, was ist mit dir los? Was ist passiert?“

Der Agent nickte.

„CIA!“, sagte er tonlos. „Sie kamen überraschend. Zwar wurden wir telefonisch von einem Unbekannten gewarnt, aber das erfolgte reichlich spät. Vier halten noch die Stellung. Wir müssen die Agenten des CIA aufhalten, damit sie nicht die Spur der Flüchtenden verfolgen können.“

„Soll das heißen, ihr seid alle zu mir gekommen?“

„Genau das, mein lieber Kari Nummi! Hier sind wir doch gut aufgehoben, oder?“

Kari Nummi wurde heiß und kalt zugleich. Nicht aus politischen Gründen machte er mit dem ehemaligen russischen Geheimdienst Geschäfte, sondern nur aus Interesse an barer Münze. Aber dass sie jetzt ausgerechnet sein Haus als Unterschlupf aussuchten...

Der Barbesitzer und Dunkelmann dachte dabei weniger an die Gefahren durch Polizei oder Geheimdienst, sondern eher an die Extremisten.

Bisher hatten sie immer herausbekommen, wo sich ihre Quasifreunde aus dem Osten aufhielten. Doch Nummi wollte mit den Mordbuben ganz und gar nichts zu tun haben. In seinen Augen waren das gefährliche Wahnsinnige, Fanatiker, die wahrscheinlich selbst nicht so genau wussten, was sie überhaupt wollten.

„Nein!“, entschied er.

Der russische Agent grinste.

„Nein?“

Da lag etwas in dem Wort, was Kari Nummi nachdenklich stimmte. Gewiss, er hatte seine Gorillas und führte eine kleine Helsinki-Mafia. Es machte ihn mächtig - wenigstens regional gesehen. Seit Jahren blieb seine Weste offiziell weiß. Polizei ging bei ihm nicht mehr wie früher ein und aus - und wenn, dann waren die Beamten ausgesucht höflich, da man Nummi nichts nachweisen konnte.

Aber das alles machte ihn nicht stark genug, um sich gegen den KGB aufzulehnen - vor allem, seit hinter diesem die Russen-Mafia steckte. Es konnte ihm nämlich passieren, dass er dann wie ein Held in den eigenen Stiefeln starb.

Kari Nummi schluckte den Kloß hinunter, der sich in seiner Kehle gebildet hatte.

„Was sagt der Oberst dazu?“

„Den können wir zurzeit leider nicht fragen. Der schlägt sich mit dem CIA herum.“

„Im alten Hauptquartier?“

„Du bist ein Kombinationsgenie!“

„Danke für die Blumen!“ Kari Nummi musste sich erst einmal setzen. Vom Gorilla ließ er sich einen Drink bringen. Für die Zukunft sah er rabenschwarz, und er konnte gar nicht verstehen, dass das Grinsen des Russen immer breiter wurde.

*

Der Besucher von Kari Nummi hatte die Wahrheit gesagt. Die KGB-Agenten legten es nicht unbedingt darauf an, ihre eigenen Leute herauszuhauen. Das hätte nämlich einen kleinen Krieg in Helsinki bedeutet. Es war schon besser, sich zu retten, um der CIA keine Gefangenen zukommen zu lassen.

Denn es war damit zu rechnen, dass die Angreifer nicht lange allein blieben. Gewiss waren noch andere westliche Agenten unterwegs.

Damit lag man goldrichtig.

Abbott Sanderson bewies, dass er nicht zu Unrecht CIA-Chef in Helsinki war und dass die Fäden bei ihm in den richtigen Händen lagen. Er setzte Himmel und Hölle in Marsch. In ihm hatte sich die fixe Idee festgefressen, dass für die ganze Aktion der Ex-KGB verantwortlich war, obwohl er das Motiv noch nicht erkannte. Wollten die Russen den US-Präsidenten ausschalten? Was ergab das für einen Sinn?

Nein, das war kaum vorstellbar, denn der Osten war auf die finanziellen Unterstützungen des Westens zwingend angewiesen und musste politisch sehr vorsichtig agieren.

Trotzdem hielt Sanderson vorläufig an der Idee fest und ließ nichts unversucht, das Nest auszuheben.

Sogar Hubschrauber schickte er los! Und dann wählte er höchstpersönlich die ermittelte Nummer!

Eine Stimme meldete sich schon nach dem zweiten Läuten. Den russischen Akzent verbarg der Mann nicht.

Also hatten Sandersons Leute noch nicht gesiegt!

„Geben Sie auf!“, verlangte Abbott Sanderson. „Sie haben keine Chance. Im Rahmen der geheimen Abkommen werden Sie fair behandelt.“

„So haben Sie sich das gedacht!“, zischte sein Gesprächsteilnehmer.

Sanderson runzelte die Stirn. Die Stimme kam ihm verdammt bekannt vor.

Und dann erinnerte er sich schlagartig: Das war doch der Mann, der mit einem seiner Agenten telefoniert hatte! Derselbe Mann, der als anonymer Anrufer aufgetreten war!

Abbott Sanderson geriet ein wenig aus dem Konzept. Aber nicht lange, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Gewiss hatte der andere überhaupt nichts davon bemerkt. Obwohl er genau wissen musste, wen er an der Strippe hatte.

Dass der Russe nicht offen redete, bewies, dass er nicht allein war.

Abbott Sanderson beging nicht den Fehler, den Spion zur Rede zu stellen. Er tat so, als habe er die Stimme nicht erkannt.

„Seien Sie vernünftig! Wir wollen von Ihnen nur ein paar Informationen: Motiv für die Dunkelaktion, Hintermänner! Das KGB ist doch nicht wirklich dafür verantwortlich?“

Es erfolgte keine Antwort. In der Leitung knackte es.

Die Verbindung wurde einfach unterbrochen.

Sanderson betrachtete den Hörer wie einen Feind. Er spielte verschiedene Denkmodelle durch: Erstens, er ließ seine Leute gewähren. Dabei war es durchaus möglich, dass die KGB-Agenten zu Tode kamen und mit ihnen ein vielleicht wichtiger Informant.

Zweitens, er blies die Aktion ganz ab. Die Russen waren nicht auf den Kopf gefallen. Sie würden darin eine Hinterlist vermuten - mit Recht.

Drittens, die Aktion wurde mit halber Kraft durchgeführt. Der Mann, der sich indirekt als Informant angeboten hatte, überlebte und entkam, wenn er geschickt genug war.

Es war die Möglichkeit, die Sanderson am meisten zusprach. Doch es hatte gleich zwei Haken: Es gab keine Gewähr, dass es der Informant ernst meinte und sie nicht in Wirklichkeit an der Nase herumführte. Außerdem, wenn er entkam, nutzte er nichts mehr. Der CIA hatte mitten in ein Wespennest gestochen. Die KGB-Leute würden Augen und Ohren offenhalten und jede weitere Kontaktaufnahme eines der ihren vereiteln.

Eine verdammte Zwickmühle, in der sich Abbot Sanderson befand. Dennoch: Eine rasche Entscheidung wurde von ihm verlangt.

Und er entschied sich - für den gegnerischen Agenten. Sanderson hieb den Hörer auf die Gabel und setzte sich dann mit dem Hubschrauberkommando in Verbindung.

„Bleibt beim Flughafen!“, befahl er.

„Wie, Kommando zurück?“, wunderte sich der Kommandant.

„Sie haben richtig gehört. Sorgen Sie für das Wohl des Präsidenten. Ich überlasse Ihnen die Initiative, weil Sie es besser überblicken können. Der Konvoi des Präsidenten muss sicher sein Ziel erreichen. Dafür zeichnen Sie mir höchstpersönlich verantwortlich!“

Dem Kommandanten leuchtete es ein. Er gehorchte.

Abbot Sanderson dachte an den Doppelagenten. Hoffentlich hatte er keinen unverzeihlichen Fehler begangen. Nicht nur seine Karriere würde dadurch einen erheblichen Knacks bekommen.

Noch war er mit diesen Gedanken beschäftigt, als eine neue Nachricht auflief: „Einer von uns in den Händen des Gegners: John Baxter! Sie wollen ihn als Geisel benutzen.“

Sanderson bedeckte die Sprechmuschel mit der Hand und fluchte zunächst einmal ausgiebig. Dann erst bequemte er sich zu einer Antwort:

„Wir dürfen das Leben eines Kollegen nicht unnötig gefährden. Passt eine Chance ab, um Baxter aus seiner Lage zu befreien!“

Das waren ein wenig ungewohnte Töne. Normalerweise war der CIA weniger zimperlich, was das Wohl und Wehe seiner Mitarbeiter betraf.

Aber Abbott Sanderson dachte wieder mal an den Informanten. Allerdings: Je länger er darüber nachdachte, desto größer wurde sein Verdacht, dass er möglicherweise doch einem Betrug aufgesessen war: Vielleicht ist das versteckte Angebot nichts anderes als eine Rückversicherung für den Fall, wie er jetzt eintrat?

Abbott Sanderson seufzte und lehnte sich zurück. Dann widmete er sich zuerst einmal anderen Dingen. Über die Zustände auf den Straßen der in Dunkelheit getauchten Stadt war er informiert. Was hatte sich inzwischen noch alles ereignet?

*

Mittelpunkt der Stadt Helsinki ist der repräsentative Senatsplatz, von den Einheimischen Suurtori genannt, mit dem Denkmal Zar Alexanders II., gesäumt von der klassizistischen Domkirche, dem Senatsgebäude und der Universität.

Auf den breiten Treppen, die zur Domkirche hinaufführten, hatten sich Ungezählte versammelt, um den Gast aus den USA zu empfangen. Ja, nicht jeder gab etwas auf die gegenteiligen Behauptungen in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Auch die Fenster der Universität hingen voll mit Schaulustigen. Es gab sogar Unentwegte, die versucht hatten, das Denkmal zu erklimmen, um besser sehen zu können.

Sobald die Lichter ausfielen, wandelte sich das Bild schlagartig. Nachdem feststand, dass es sich nicht um einen vorübergehenden Stromausfall handelte, sondern dass mit einer längeren Dauer dieses Zustandes gerechnet werden musste, verlief sich die Menschenmenge. Hier war nichts mehr, was ihr Interesse weckte.

Nicht alle gingen. Einige Leute waren ringsum verteilt. Sie warteten auf Befehle aus dem Universitätsgebäude, das man vom Senatsplatz aus sehen konnte.

Genau dieses Gebäude war Ziel des Terroristen Paavo Aalto. Um es zu erreichen, fuhr er wie der Teufel. Alle fünf waren bei ihm. Eine Kleinigkeit für sie, genauso unerkannt das Gelände des Stromumsetzers zu verlassen, wie sie gekommen waren. Schatten, die Tod und Verderben brachten, und dann verschwanden wie - ja, wie eben Schatten!

Paavo Aalto fuhr absichtlich einen kleinen Umweg. Er mied die Hauptstraßen, denn dort würde erfahrungsgemäß das Chaos zu groß sein. Nach seiner Rechnung spaltete sich die Einwohnerschaft von Helsinki in drei Hauptgruppen: Die einen würden daheim Fenster und Türen verbarrikadieren und warten, bis alles vorbei war. Die anderen gingen auf die Straße, um sich einmal gründlich auszutoben. Die dritten wurden Opfer ihrer Angst und ihrer Panik, irrten umher, drehten durch.

Es war nun nicht so, dass Paavo Aalto dessentwegen Skrupel hatte. Für ihn war dies die Nacht der Nächte. Er war von Anfang an dabei, hatte maßgeblich geholfen, die Extremistenorganisation vor Ort im Auftrag der weltumspannenden X-Organisation aufzubauen. Er wollte auch persönlich die Revolution, den totalen Umsturz. Die Russen kamen ihm gerade gelegen.

Wenn der KGB nicht in ihrem Sinne spurte, sorgten sie schon dafür, dass man für alle Vorgänge den Osten und seine gefürchtete Mafia verantwortlich machte. Egal, wie die Sache ausging: In der Vorstellung von Paavo Aalto begann in dieser Nacht die Weltrevolution. Auch wenn sich kein direkter Erfolg einstellen sollte, so sollte ihre unmenschliche Aktion zumindest allen Gleichgesinnten ein echtes Mahnmal setzen - zur Nachahmung empfohlen.

Schaurige Aussichten!

Auch noch in einer anderer Hinsicht, denn die X-Organisation hatte ihm klar gemacht, dass die sich ausbreitende Finsternis auch noch etwas anderes begünstigen würde – Schattenmonster, wie sie es nannten. Zwar hatte der Terrorist keine Ahnung, was damit gemeint war, genauso wie er nicht wusste, um wen es sich bei der X-Organisation wirklich handelte, aber es war ihm auch egal. Schattenmonster? Nie gehört. So lange sie ihm nicht in die Quere kamen und seine Absichten auch noch unterstützten...

*

Die vom Horizont her ziehende Wolkenbank hatte inzwischen Helsinki erreicht und verdeckte die Sterne endgültig. Aus dem Himmel wurde ein tiefschwarzer Brei. Als würde es sich um besonders schwarze und besonders tief hängende Gewitterwolken handeln, jederzeit bereit, sich zu entladen.

Menschen, denen es gewahr wurde, duckten sich unwillkürlich, denn sie erwarteten tatsächlich herab zuckende Blitze, gefolgt von rollendem Donner. Dann vielleicht noch einen sintflutartigen Regenguss.

Nichts dergleichen geschah. Ganz im Gegenteil: Die schwarzen Wolken über der Hauptstadt Finnlands schluckten nicht nur jegliches Licht, sondern es breitete sich eine Art Nebelschleier aus, von oben kommend. Auch Töne wurden davon stark gedämpft.

Jeder Meteorologe hätte sich sehr gewundert über dieses Phänomen, über das er noch niemals etwas gehört oder gelesen hatte. Und trotzdem war es so. Als würden die schwarzen Wolken auskalben. Als würden sie sich dunstartig weiter ausbreiten wollen, nach unten, bis zum Boden, um die Straßen von Helsinki auszufüllen mit einem Nebel, der eher wie schwarzer Brei war.

Als die ersten Ausläufer die Menschen erreichten, merkten sie zuerst nur, dass es ihren Atem erschwerte. Als hätte diese Art von Nebel eine ganz andere Konsistenz als normaler Nebel. Und damit lagen sie durchaus richtig, denn es blieb nicht bei Atembeschwerden und erschwerter Sicht, verbunden mit einer seltsamen Tonlosigkeit, als sei alles auf einmal in Watte gepackt. Es blieb nicht dabei, dass Taschenlampen und sogar starke Scheinwerfer nur noch wenige Meter weit scheinen konnten, ehe ihr Licht vom schwarzen Nebel verschlungen wurde: An manchen Orten begann der Nebel von sich aus, aktiv zu werden, auf eine erschreckende Weise. Denn aus anfänglichen Verwirbelungen schälten sich allmählich... Gestalten!

Schattenmonster!

Niemand hatte je davon gehört, und doch wurden sie zur grausigen Realität.

Die Schattenmonster verdichteten sich.

Dies alles konzentrierte sich auf die Hauptstraßen, wo es die meisten Menschen gab. Hier gab es normalerweise des Nachts das meiste Licht, und jetzt war es umgekehrt.

Die Schattenmonster flatterten aufgeregt hin und her, wie los gelassene dunkle Gespenster. Aber sie konnten keinen echten Schaden anrichten. Dafür waren sie nicht dicht genug.

Dann taten sie etwas ganz anderes: Sie befielen einige Menschen!

Sie drangen mit dem nächsten Atemzug in diese ein.

Erschrocken wollten die Betroffenen sie wieder ausatmen, doch dies vermochten die Schattenmonster zu verhindern. Sie füllten die Lungen der Befallenen aus, bis diese barsten.

Zwar starben dabei die Betroffenen, doch sie sanken dabei nicht etwa zu Boden, sondern blieben nur wankend stehen, als wollten sie sich sammeln. Und dann gewannen die Schattenmonster endgültig die Herrschaft über die leblosen Körper. Wie Marionetten setzten sich die jetzt Untoten in Bewegung, belebt von einem Leben, wie es unnatürlicher nicht mehr sein konnte.

Mit starren Augen, die wie Glasmurmeln in den verzerrten Gesichtszügen wirkten, wandten sie sich den normalen Menschen zu, die gar nicht sofort begriffen, in welcher neuerlichen Gefahr sie sich befanden. Zumal die meisten sowieso nicht viel sehen konnten, denn das wenige Scheinwerferlicht von Autos, das die Szene mehr schlecht als recht beleuchtete, wurde auch noch zusätzlich von den schwarzen Nebeln auf ein Minimum gedämpft. So konnten die Untoten gegen ihre lebenden Mitmenschen vorrücken, ohne von diesen zunächst auch nur bemerkt zu werden.

Erst als die Untoten auf sie ein droschen, sie bissen und kratzten, begannen sie, sich zu wehren.

Die Bewegungen der Untoten waren sehr ungelenk. Es war kein Problem, sich ihnen zu entziehen, doch die Schattenmonster lernten rasch. Zwar würde es ihnen nicht gelingen, ihre Opfer so zu bewegen, als würde es sich um Lebende handeln, aber es genügte bereits, um neuerliche Panik in den Hauptstraßen von Helsinki zu erzeugen. Dabei wussten die von den Untoten gejagten Menschen gar nicht so recht, wie ihnen überhaupt geschah.

*

Inzwischen erreichte Paavo Aalto mit seinen Kumpanen das Ziel, ohne von den neuerlichen Ereignissen etwas mitzubekommen. Es interessierte sie auch überhaupt nicht, weil sie anderes im Sinn hatten. Sie wurden auch schon sehnsüchtig erwartet. Sofort setzte man sie über den neuesten Stand der Gesamtlage in Kenntnis. Soweit sie bekannt war.

Der Bericht schloss mit den Worten: „Es kam wie vorausgesehen. Der amerikanische Präsident tritt sozusagen die Flucht an.“

Paavo Aalto lachte abfällig: „Diese Narren! Wie lange wird es dauern, bis sie merken, dass wir mit dem überhaupt nichts im Sinn haben? Seine Anwesenheit sollte lediglich vom Wesentlichen ablenken. - Aber weiter!“

„Einer unserer Leute beobachtete das Hauptquartier des KGB. Irgendwie gelang es den Amerikanern, das Haus ausfindig zu machen. Sie schickten Agenten, um das Nest auszuheben. Unser Mann versuchte, die Russen zu warnen. Ein wenig zu spät. Zurzeit sitzen noch ein paar fest. Anderen gelang die Flucht.“

Abermals ein Grund für Aalto, zu lachen.

„Lasst sie doch! Sie schlagen sich gegenseitig die Köpfe blutig und niemand denkt an die eigentliche Gefahr: An uns!“

„Ja, wir haben auch einen zusätzlichen Schlupfwinkel des KGB ausfindig gemacht! Einer hat die flüchtenden Agenten verfolgt und traf auf die Bar TROBADUR. Dort halten sie sich auf. Der Besitzer ist ein sehr zwielichtiger Bursche, ein Geschäftemacher.“

Jetzt knirschte Aalto mit den Zähnen.

„So sehen die vom Osten aus: Machen Geschäfte mit Kapitalistenschweinen der übelsten Sorte. Kein Wunder, dass bei denen alles zusammengebrochen ist und es ihnen nie gelingt, die Welt zu beherrschen. Eine verstaubte Ideologie, die der Überholung bedarf - und eine Mafia, die sich des ehemaligen KGB bedient, nur um Geld zu scheffeln.“

Der Bericht war noch nicht beendet.

„Wir stehen alle bereit, Paavo. Die anderen haben bereits das Zeichen gegeben. Beim Regierungskonvoi sind führende Regierungsmitglieder zugegen. Der Senatsplatz wird nicht so bewacht, wie es sich normalerweise gehört.“

Das versöhnte Aalto wieder. Er stieß die Faust zum Himmel.

„Also auf zur Schaltstelle der Macht!“

Die anderen jubelten. Alle waren zum Kampf bereit.

Nicht nur hier am Senatsplatz!

*

Der Nachrichtensprecher blickte durch die Glasscheibe. Er wartete auf das Zeichen des Technikers.

Das Zeichen kam. Der Techniker blendete die Musik aus. Gleichzeitig ging das rote Warnlicht am Mikrophon an.

„Weitere Meldungen!“, sagte der Nachrichtensprecher geistesgegenwärtig. Sein Blick heftete sich auf den kleinen Papierstapel auf dem Tisch.

„Der Zustand in Helsinki, der Hauptstadt Finnlands, ist unverändert. Erste Tote sind zu verzeichnen. Unsere geliebte Hauptstadt versinkt mehr und mehr im Chaos – und inzwischen sogar im Blut unschuldiger Opfer. Vor allem in den Hauptstraßen herrscht Mord und Todschlag, in einem Maße, das weit über das hinaus geht, was Verhaltensexperten prognostizieren. Es scheint so, als würden sich viele Menschen regelrecht in reißende Bestien verwandeln, ohne Rücksicht auf Verluste. Es liegt uns eine noch unbestätigte Meldung vor, dass selbst mit Waffengewalt gegen die Betreffenden nicht vorgegangen werden kann. Sie ignorieren es, wenn auf sie geschossen wird. Trotz eigentlich schwerster Verletzungen fallen sie wahllos weitere Menschen an und versuchen, mit bloßen Händen, sie zu ermorden. Augenzeugen berichten auch von tödlichen Gebisswunden, die von diesen offensichtlich Durchgedrehten stammen. Es kursieren Gerüchte, nach denen böse Mächte die Menschen besessen haben – Mächte, die im Zusammenhang mit einem Dunkelnebel zu sehen wären, der sich auf Helsinki herabgesenkt hat. Das ist natürlich Unsinn, aber dennoch: Die Polizei wird jedenfalls nicht Herr der Lage. Deshalb wurde bereits Militär angefordert.

Inzwischen scheinen wenigstens die wahren Ursachen des totalen Stromausfalls gefunden zu sein. Alle fünf Energiezentralen wurden gleichzeitig überfallen, die dort Arbeitenden getötet, die Anlagen teilweise zerstört. Die Ermittlungsbehörde steht vor einem Rätsel. Bisher hat keine der sattsam bekannten Organisationen etwas von sich hören lassen - bis auf diejenigen, die jegliche Schuld von sich abweisen. Noch immer fragt man sich nach dem Motiv für die furchtbare Tat und nach den Hintermännern. Die...“

Weiter kam der Nachrichtensprecher nicht. Hinter ihm hatte sich die gepolsterte und somit schallisolierte Tür geöffnet. Er hatte es nur am Rande registriert. Vielleicht nahm er an, man reiche ihm einen Zettel mit brandneuen Informationen herein?

Aber etwas stimmte nicht. Jemand rannte an ihm vorbei zur Verbindungstür der Technik.

Der Techniker hatte einen Moment lang nicht aufgepasst. Er konzentrierte sich auf seine Arbeit. Zu spät sah er auf. Die Tür wurde aufgestoßen, ein Bewaffneter schob sich herein.

Die Unterbrechung der laufenden Sendung hätte der Techniker gewiss mit dem Leben bezahlt.

Den Nachrichtensprecher riss man unsanft von seinem Stuhl und hielt ihn in Schach. Einer der Eindringlinge übernahm seinen Platz.

„Hier spricht die AKTION DUNKELMORD! Wir sind für die Vorgänge verantwortlich. Das Rundfunkgebäude und der Senat befinden sich in unserer Hand! Wir wenden uns an alle Mitmenschen, die ihren Verstand gebrauchen...“

Es folgte eine lange Reihe unausgegorener, verworrener Ideen. Beendet wurde das mit den Worten: „Wir sind Beauftragte des ehemaligen und trotzdem nach wie vor weltweit agierenden russischen Geheimdienstes, wenn auch gebürtige Finnen. Unsere russischen Freunde arbeiten mit uns Hand in Hand.“

Eine Aussage, die nicht ganz so folgenschwer war, wie es die Extremisten im Auftrag der X-Organisation beabsichtigten. Es dauerte nämlich keine halbe Stunde, bis der Kreml davon erfahren und eine Protestnote verbreitet hatte - weltweit. Und doch sah es so aus, als sei Finnland bereits in der Hand des ehemaligen KGB.

Was die Extremisten zu sagen hatten, verbreiteten sie auch über das Fernsehen. Gerade sahen die Zuschauer außerhalb von Helsinki, dort, wo es noch Strom gab, den Konvoi des amerikanischen Präsidenten auf der Mannerheimintie, einer der Hauptverkehrsstraßen, die bis ins Stadtzentrum führten. Es hatte dort eine Verzögerung gegeben, die erst behoben werden musste. Die Polizei war vollauf beschäftigt.

Eine beeindruckende Luftaufnahme. Von Hubschraubern aus geschossen. Mit blendend hellen Schweinwerfern hielten sie in die Szene hinein. Man sah seltsam sich bewegende Gestalten. Sie torkelten mehr als dass sie aufrecht gingen. Irgendwie erinnerte das Bild an einschlägige Horrorfilme. Das konnte doch nur gestellt sein – oder? Aber es sah so schrecklich echt aus...

Mit weit aufgerissenen Augen sahen die Menschen an ihren Bildschirmen, wie die Leute, die sich wie Zombies benahmen, andere Menschen anfielen. Manche bissen ihren unschuldigen Opfern die Kehle durch. Blutbesudelt und mit grausig verzerrten Gesichtszügen suchten sie sich neue Opfer aus.

Die Polizei ging mit Waffengewalt gegen die Zombies vor, doch mit nur mäßigem Erfolg. Sie mussten einen solchen regelrecht vollpumpen mit Blei, bis dieser endlich zusammenbrach und sich nicht mehr rührte. Dabei löste sich aus dem weit aufgerissenen, blutigen Mund eine Art dunkler Nebelschleier, der wild hin und her flatterte. Gegen Schüsse war er völlig immun.

Deutlich konnte man sehen, dass sich die Nebelschleier, die eher wie Gespenster wirkten, neue Opfer fanden, in diese eindrangen und sie ebenfalls in Zombies verwandelten.

Noch größer hätte das Chaos nicht mehr werden können. Kein Wunder, dass es für den amerikanischen Präsidenten nicht mehr weiter ging.

Und da brach die Übertragung plötzlich ab. Ein Maskierter erschien auf den Bildschirmen. Er benutzte fast dieselben Worte wie sein Kumpan über Radiosender. Die Zombies erwähnte er allerdings nicht. Als würde es diese gar nicht in Wirklichkeit geben.

Finnland hielt dennoch den Atem an wegen seinen hetzerischen Worten. Der ehemalige KGB? Aber was sollte das eigentlich? Nur Chaos, Mord und Totschlag? Wollten sie die Hauptstadt auslöschen, ja, vielleicht sogar das ganze Land? Wie einen schlimmen Todfeind?

Aber die eigentlichen Probleme entstanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Beispielsweise in einer Nobelbar mit Namen TROBADUR oder auch in einem unbekannten Raum, in dem ein gewisser Oberst Eduard Schukowa ein Büro unterhalten hatte...

*

Schukowa war tatsächlich selber ans Telefon gegangen. Er unterhielt sich mit Abbott Sanderson und legte dann einfach auf.

Sein Blick richtete sich auf mich.

„Die wollen uns ein Ultimatum stellen. Unser eigenes Ultimatum aber läuft noch.“

Ich glaubte ihm gern, dass mein Leben nur noch an einem seidenen Faden hing. Die Burschen würden keine Skrupel kennen, wenn es um ihre eigene Haut ging.

Schukowa hob die Stimme.

„Was ist? Verschwindet! Einer von euch ist in unserer Gewalt. Uns kriegt ihr nicht lebend. Zuvor aber schicken wir ihn zur Hölle.“

Tja, wahrlich eine heikle Sache für die Agenten des CIA.

Auf der anderen Flurseite stand ebenfalls die Tür offen - nach wie vor. In ihrer Deckung lief einer der Russen zum Gangfenster.

Er hatte richtig vermutet. Zwei CIA-Agenten erreichten eben den Hinterhof. Sie waren nur Schatten der Nacht. Licht hatten sie keins mitgebracht, um nicht ihren Standort zu verraten. Jetzt schickten sie sich an, die Hausfassade zu erklettern.

Wahrscheinlich standen ihre Kollegen an der Treppe bereit. Man wollte die Russen in die Zange nehmen.

Der Beobachter wartete ein paar Sekunden. Dann sagte er: „Wenn ich jetzt eine Handgranate werfe, seid ihr verloren!“

Die CIA-Agenten zuckten zusammen. Der Russe zog sich eilig zurück und erklärte seinem Oberst in meinem Beisein mit knappen Worten, was er gesehen hatte.

Dieser rief:

„Es wäre besser, ihr würdet auf uns hören! Lasst uns abziehen, oder wir kämpfen uns den Weg nach draußen gewaltsam frei!“

Oberst Schukowa winkte seinen Leuten zu. Sie machten sich fertig. Es hatte keinen Sinn mehr, Volksreden zu halten. Jetzt mussten sie handeln.

Schukowa hielt mich wie ein Schutzschild vor sich.

Ich hatte mehrmals schon mit dem Gedanken gespielt, mich mit dem im Mund versteckten Wirkstoff D3 unsichtbar zu machen. Eine ungeheure Waffe - aber auch nur am rechten Ort und zur richtigen Zeit. Wenn ich es jetzt wagte, brachte es mir nur den Tod. Die Russen würden sofort schießen, wenn etwas Ungewöhnliches geschah.

Und ein unsichtbarer CIA-Mann war schon mehr als ungewöhnlich!

Es blieb mir also nichts anderes übrig, als mich in mein Schicksal zu fügen, zumal dieser Schukowa direkten Körperkontakt mit mir hatte. Die Unsichtbarkeit machte mich keineswegs körperlos. Schukowa würde mich nach wie vor festhalten können. Einmal ganz abgesehen davon, dass meine Kleidung nach wie vor sichtbar bleiben würde...

Sie gingen mit mir auf den Flur hinaus, verließen die Deckung der Stahltüren. Die auf dem Hof hatten sich schleunigst zurückgezogen. Sie befanden sich in Lauerstellung.

Im Treppenhaus rührte sich nichts.

Die Russen hatten ihre Waffen schussbereit in den Händen. Nur Schukowa richtete sein Hauptaugenmerk auf mich, seinen Gefangenen.

Immer noch nichts von den CIA-Agenten zu sehen. Zögerten sie wirklich, um mein Leben nicht zu gefährden?

Kurz vor der Treppe stoppte die kleine Kolonne. Der die Nachhut bildete, zielte mit der Waffe zum offenen Fenster. Auch dort alles ruhig.

Schukowa wunderte sich am meisten.

Er hatte seine trüben Erfahrungen mit den Methoden von Geheimdiensten. Und jetzt das hier. Das konnte doch nur eine Falle sein.

Fast war er versucht, eine Handgranate direkt auf die Treppe zu werfen, aber dann hätten sie diesen Weg nicht mehr gehen können.

Einen seiner Leute schickte er vor. Der Mann lugte vorsichtig um die Ecke. Er winkte zurück. Also war die Luft sauber.

Die Kolonne ging weiter, betrat die Treppe.

In diesem Augenblick sah Schukowa, dass eine der Türen im Obergeschoß nur angelehnt war. Er zog sofort die richtigen Schlüsse und feuerte an mir vorbei.

Die Kugel fetzte ein Loch in das Türblatt. Ein Schmerzensschrei. Die Tür schwang ein Stückchen weiter auf. Eine rasche Bewegung. Die Mündung einer Waffe schob sich in ihre Richtung.

Schukowa war ein guter Schütze. Er wollte nicht töten, sondern nur überleben. Deshalb schoss er auf die andere Waffe, prellte sie dem Schützen damit aus der Hand.

Ein zweiter Schmerzensschrei, der Schukowa nicht rührte.

„Weiter!“, drängte er.

Sie rannten jetzt die Treppe hinunter. Noch immer benutzte der Oberst dabei mich als Schutzschild.

Auch unter der Treppe hielt sich einer versteckt. Man hatte die Gruppe abermals in die Zange nehmen wollen.

Schukowa konnte es sich denken und hielt mich wieder so, dass er selber von einer Kugel nicht getroffen werden konnte. Auf jeden Fall würde ich allein der Leidtragende sein.

Der CIA-Agent unter der Treppe hielt sich zurück, als er es sah.

Oberst Schukowa und seine Leute kümmerten sich auch gar nicht mehr um ihn. Der Ausgang war für sie wichtiger. Sie öffneten und sahen in die Dunkelheit hinaus.

Einer sprang auf den Bürgersteig und duckte sich automatisch. Eine Kugel pfiff über ihn hinweg. Ehe der Schütze noch einmal schießen konnte, schickte der Russe eine Kugel in die Richtung, in der sein Gegner stand.

Auch jetzt nahm man Rücksicht auf mich. Niemand wunderte sich mehr als ich mich selber. Denn ich hatte beinahe mit meinem Leben abgeschlossen.

Sie verließen mit mir das Haus.

Kaum war das geschehen, als mehrere Lampen gleichzeitig aufflammten. Die Russen unterließen es, darauf zu schießen. Sie gruppierten sich um ihren Oberst und dessen Gefangenen.

Es mussten fünf Agenten des CIA sein. Sie hatten sich so gestellt, dass man sie unmöglich gleichzeitig angreifen konnte. Zumindest einer würde zum Schuss kommen.

Die Sekunden tropften zäh wie Sirup dahin. Eine ungeheure Spannung entstand.

Würde man auch jetzt auf mein Leben Rücksicht nehmen? Oder würde man das Feuer auf die Gruppe eröffnen?

Mir stand längst der kalte Schweiß auf der Stirn, und ich wagte nicht, ihn wegzuwischen, damit dies nicht als verdächtige Bewegung ausgelegt werden konnte. Ich verwünschte meine Rolle als Mitarbeiter des Geheimdienstes. Das hier jedenfalls wäre mir ansonsten mit Sicherheit erspart geblieben.

Es half nichts, solche Gedanken zu hegen. Eine Entscheidung musste herbeigeführt werden.

Oberst Eduard Schukowa sprach:

„Ihr kennt unsere Forderung! Es gibt nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Entweder wir entkommen lebend - alle, einschließlich dem Gefangenen - oder ihr müsst mit unseren Leichen vorlieb nehmen.“

Das klang ernst und durchaus glaubwürdig.

Die Scheinwerfer erloschen, glühten nur noch in der Dunkelheit nach wie die Augen von Geistern der Nacht.

Ich sah darin keinen Grund zum Aufatmen. Ich wurde weitergestoßen, auf den Wagen zu.

Einer der Russen öffnete sämtliche Türen, während seine Kollegen an der Hauswand Deckung suchten. Als es soweit war, stiegen sie blitzschnell ein.

Kein einziger Schuss fiel.

Der Fahrer startete den Motor und ließ die Scheinwerfer aufleuchten. Ihr grelles Licht stach in die Dunkelheit.

Die Straße war leer. Die Anwohner hatten inzwischen gemerkt, dass hier scharf geschossen wurde. Sie zogen es vor, in Deckung zu bleiben, um nicht von einem verirrten Geschoss getroffen zu werden.

Eine besondere Nacht mit besonderen Umständen. Ich hätte ebenfalls gern den Kopf eingezogen und mich irgendwo verbarrikadiert.

Die besonderen Umstände waren halt absolut gegen mich!

Da torkelte plötzlich eine Gestalt auf die Straße, direkt vor den Wagen. Der Fahrer konnte gerade noch rechtzeitig bremsen.

Jeder erwartete, dass der Fremde zum CIA gehörte und eine Waffe in den Händen hielt, aber die zumindest fehlte.

Der Wagen kam kurz vor ihm zum Stehen.

Er hob die Arme.

Ich schaute in das verzerrte Gesicht des Fremden, sah das Blut, das aus seinem aufgerissenen Mund floss. Er war über und über mit Blut bedeckt.

Und dann schaute ich in seine Augen und begriff: Es handelte sich um einen Untoten!

Ein Untoter auf offener Straße?

Mir fiel es sozusagen wie Schuppen von den Augen. Jetzt begriff ich, was hier geschah, zumindest glaubte ich, es zu begreifen: Die X-Organisation steckte dahinter! Logisch! Die Extremisten, die für den Stromausfall sorgten, waren nur Erfüllungsgehilfen, ohne es wahrscheinlich selber auch nur zu ahnen. Denn die X-Organisation hatte ganz andere Motive als jene. Auch andere als der ehemalige KGB oder die Russenmafia. Niemand wusste das besser als ich.

Der Untote wollte das Auto angreifen. Der Fahrer knurrte nur unwillig und gab einfach Gas. Wir mussten schließlich fliehen. Der blutüberströmte Fremde konnte uns nicht aufhalten, und er war dem Fahrer offensichtlich egal.

Der Untote wurde wie eine leblose Puppe beiseite geschleudert und verschwand in der Dunkelheit. Die Scheinwerfer des Fluchtfahrzeuges stachen in eine menschenleere Nacht.

*

Der Wagen erreichte die nächste Straßenecke und bog ab.

Weiter kam er nicht. Der Motor begann zu spucken und zu stottern.

„Verdammt!“, entfuhr es dem Fahrer. Selbstverständlich fluchte er auf Russisch. „Die haben an dem Ding herum jongliert, werden uns bald auf den Fersen sein.“

Auf den Zwischenfall mit dem Untoten ging keiner ein. Sie wussten das Erlebnis offenbar in keiner Weise einzuordnen, und ich hatte keine Lust, sie eines Besseren zu belehren.

„Raus hier!“, bellte Oberst Schukowa und ging mit bestem Beispiel voran.

Ich gelangte trotzdem als erster ins Freie.

Schritte aus der Straße, die wir verlassen hatten - sehr schnelle Schritte. Weitere Untote?

Nein, diesmal die CIA-Agenten als Verfolger! Untote hätten sich nicht so geschickt bewegt.

Eine Einfahrt vor uns.

„Wir verteilen uns!“, befahl der Oberst, „und ab sofort wird wieder scharf geschossen!“

„Der Gefangene?“, erkundigte sich einer. Offenbar war er mit dem Befehl des Oberst nicht ganz einverstanden.

„Bleibt natürlich bei mir! Sobald einer von euch in die Klemme kommt, kann er behaupten, selber den Gefangenen zu haben, als Geisel.“

Es klang nicht gut und auch nicht überzeugend, aber das Wort eines Oberst war nun mal das Wort eines hohen Vorgesetzten. Befehl und Gehorsam. Wo die Mischung stimmte, gab es keine eigene Meinung.

Die Russen spritzten auseinander, liefen in alle Richtungen. Oberst Schukowa hatte ihnen nicht sagen müssen, dass sie unabhängig voneinander versuchen mussten, sich zu der Truppe zurück zu kämpfen.

Mit mir zusammen tauchte er in einer Einfahrt unter. Die war so schwarz wie der Schlund der Hölle.

Und ich hoffte, dass es hier nicht noch weitere Untote gab. Denn natürlich nicht nur die Kollegen vom CIA waren jetzt für mich gefährlich...

*

Die Tür flog auf. Boris Stroganow stand im Rahmen.

Kari Nummi runzelte ärgerlich die Stirn. Er hasste es, wenn sich jemand in seinem Haus benahm, als gehörte ihm alles.

Boris Stroganow war ein wenig blass um die Nase. Das hielt Nummi davon ab, eine entsprechende Bemerkung zu machen.

„Ein Bote!“, sagte er zu seinem Kollegen. „Die vier sind ausgebrochen, scheinen einen Gefangenen als Geisel zu benutzen. Wir hörten auch den Funkverkehr der CIA-Leute ab. Die halten sich zurück, sollen auf eine passende Gelegenheit warten und nicht das Leben der Geisel unnötig gefährden.“

Der Russe, mit dem Kari Nummi gesprochen hatte, sprang auf.

„Was schlägst du vor, Boris?“

„Ich habe das Gefühl, dass die Geisel besonders wichtig ist. Sonst würden die wohl unmöglich so handeln, klar. Wir sollten dem Oberst unter die Arme greifen.“

Er war indessen nicht wirklich dieser Meinung, sondern wollte nur Schukowa nicht aus den Augen verlieren. Ein Vorwand also. Doch der andere sprach darauf an. Er wollte sogleich ans Werk gehen.

Boris Stroganow bremste seinen Eifer.

„Du nicht! Bleib hier bei Kari Nummi. Wir werden vorübergehend unser Hauptquartier hier aufschlagen. Du bist mir dafür verantwortlich!“

Der Mann war sich seiner Verantwortung bewusst und nickte ernst.

Für Boris war das Ganze ein Testfall gewesen. Er lief hinaus und erzählte den anderen dasselbe.

Da war niemand gegenteiliger Meinung. Jeder glaubte, es gäbe nichts Wichtigeres im Moment, als Oberst Schukowa aus der Patsche zu helfen.

Obwohl man über die genauen Vorgänge nicht im Bilde war.

*

Kari Nummi starrte auf die Tür und schwitzte. Mit einem großen, bunten Taschentuch wischte er sich über die Stirn.

„Ist was?“, erkundigte sich der Russe scheinheilig.

„Und wenn es jetzt zu Kämpfen kommt?“, gab Kari Nummi zu bedenken. „Soll mein Haus der Tummelplatz für...?“ Er brach ab.

Das Grinsen im Gesicht des Russen erstarb.

„Was soll das heißen, Nummi? Haben wir uns vielleicht geirrt? Bist du vielleicht gar nicht der richtige Mann für uns?“

Automatisch nahm Nummis Gorilla eine drohende Haltung ein. Der Russe übersah es einfach.

„Moment!“, rief Kari Nummi aus, „das haben Sie völlig in den falschen Hals gekriegt, glauben Sie mir. Ich bin nach wie vor integer. Meinetwegen könnt ihr euch in meinem Haus niederlassen. Meine Bedenken zielen in eine ganz andere Richtung. Denken Sie daran, wie wichtig meine Funktion in Helsinki ist! Hier werden wesentliche Informationen umgeschlagen. Diese Quelle wollt ihr mit Sand zuschütten? Meine Bitte: Sorgt dafür, dass das Geheimnis erhalten bleibt! Ich will nicht ab sofort den CIA als Dauergast haben - und auch keine wahnsinnigen Extremisten.“

Abermals öffnete sich die Tür.

Einer von Nummis eingeweihten Angestellten trat ein.

„Chef, eben kam etwas durch die Nachrichten!“

Er erzählte detailliert, dass das Rundfunkgebäude in der Hand der Extremisten war.

„Gemeinsame Sache mit dem KGB, eh?“ Forschend sah Nummi den Russen an. „Das wäre mir aber neu, nicht wahr?“

Der Russe runzelte die Stirn.

„Mir auch! Damit sind die Burschen einen Schritt zu weit gegangen. Wir wollten sie uns als Bollwerk erhalten, doch erweisen sie sich jetzt als Bumerang. Moskau wird sich natürlich davon distanzieren. Im Moment können wir zwar mit unseren vorgesetzten Dienstbehörden nicht korrespondieren, aber die Sache liegt klar auf der Hand: Keine Zusammenarbeit mehr - falls es die überhaupt jemals gegeben hat!“

Nummi hatte auf der Zunge, zu fragen: „Vorgesetzte Dienstbehörden? Von einer Organisation, die es offiziell gar nicht mehr gibt?“ Aber er verkniff sich das und lachte stattdessen humorlos:

„Wissen Sie, dass das eben trotzdem Ihr Todesurteil war? Bald werden Sie sich nicht nur mit dem CIA herumschlagen müssen, sondern auch noch zusätzlich mit den Extremisten - und die scheinen mir zurzeit in der wesentlich stärkeren Position zu sein. Zweifeln Sie daran?“

Der Russe zweifelte nicht. Er wünschte sich im Moment nichts sehnsüchtiger, als den guten Rat von einem gewissen Oberst Eduard Schukowa - auch wenn es Leute gab, die ihn für einen Verräter hielten, der die gemeinsame Sache hintergehen wollte.

Wäre es denn nicht besser gewesen, den CIA rechtzeitig in Kenntnis zu setzen und sich denen vielleicht sogar zu stellen? Dann hätte man sich zumindest viel Ärger erspart - wenn nicht noch mehr.

Der seinem Chef die Nachricht übermittelt hatte, räusperte sich verhalten, um auf sich aufmerksam zu machen, und lenkte damit den Russen von seinen trüben Gedanken ab.

„Öh, da wäre noch was...“

„Hä?“, raunzte Nummi ihn an.

„Es scheint irgendwelche – äh – Untote zu geben, die...“

„Untote? Was soll das denn sein?“

„Nun, das – äh – sind Leute, die nicht mehr leben und trotzdem herumlaufen. Also sogenannte Wiedergänger. Manche nennen sie auch Zombies und...“

„Bist du verrückt geworden oder was? Was erzählst du denn hier für einen Müll? Also, wenn das genauso eine Scheiße ist wie das mit den Extremisten...“ Den Rest ließ der total aufgebrachte Nummi unausgesprochen.

Sein Angestellter duckte sich wie unter Hieben.

„Bitte, Chef, das ist alles nicht von mir. Ich gebe es einfach nur wieder. Es kam durch das Fernsehen. Das wurde im ganzen Land ausgestrahlt und wahrscheinlich auch darüber hinaus. Der amerikanische Präsident...“ Und dann erzählte er erst stockend und dann immer flüssiger, was er gesehen hatte, ehe die Extremisten die Bildübertragung beendet hatten.

Nummi beruhigte sich tatsächlich wieder. Er schaute den Russen an. Beide waren jetzt bleich geworden.

„Die haben doch zu viele Horrorfilme gesehen oder was?“, vermutete Nummi.

Der Russe schüttelte sich wie ein begossener Pudel.

„Ich habe keine Ahnung, was die damit bewirken wollen. Wahrscheinlich von den Extremisten vorher gedreht, der Film. Sie verkaufen das jetzt als Echtaufnahmen.“

Nummi nickte überzeugt.

„Ja, kann ja gar nicht anders sein. Aber dann sind die Extremisten noch bescheuerter als ich sowieso schon angenommen habe. Gnade uns, denn ich sehe jetzt keinen Vorteil mehr in der Situation, so sehr ich mich auch abmühe.“

„Ich auch nicht!“, pflichtete ihm der Russe zu. Sein Lächeln hatte er endgültig verlernt.

*

Der Russe sprach mit Kari Nummi danach kein Wort mehr. Er verhielt sich sehr brummig. Es gefiel ihm offensichtlich nicht, tatenlos hier herumzusitzen.

Endlich stand er auf und lief hinaus - angeblich, um sich das Haus genauer anzusehen. Sie hätten in der Eile auch ein paar Gerätschaften retten können, die sie installieren wollten.

Kari Nummi hatte keine blasse Ahnung, was das für Gerätschaften waren. Er tippte unter anderem auf ein leistungsstarkes Funkgerät. Ja, das konnten die KGB-Leute im Moment dringend gebrauchen.

„Ich allerdings nicht - genauso wenig wie so ein scheiß Handy!“, murmelte er im Selbstgespräch. „Die werden uns dann nämlich anpeilen und hochjagen wie eine Bombe!“

„Wer?“, erkundigte sich sein Gorilla erschrocken.

Nummi erinnerte sich jetzt erst wieder daran, dass der ja auch anwesend war.

„Der Kaiser von China!“, knurrte er abweisend.

„Wie, Boss, die Chinesen mischen jetzt auch noch mit?“

Bloß nicht!, dachte Kari Nummi bestürzt - obwohl er wusste, dass die Chinesen hier oben in Finnland noch nie hatten Fuß fassen können.

Die hätten gerade noch gefehlt in diesem makabren Spiel, inszeniert von Extremisten, wie sie durchgeknallter nicht mehr sein könnten, seiner Meinung nach!

*

Kaum hatte uns die Dunkelheit verschlungen wie das Maul des sprichwörtlichen Molochs, als sich die Situation für mich änderte - und zwar schlagartig.

Schukowa packte mich am Kragen und stieß mich mit dem Rücken gegen die Hauswand. Er ließ mich an der Mündung seiner Pistole schnuppern.

Ich rümpfte unwillkürlich die Nase.

„Hör zu, mein Freund von der anderen Seite!“, zischte Oberst Eduard Schukowa. Er sagte seinen Namen und seinen Titel. „Damit du weißt, mit wem du es zu tun hast. Und noch etwas: Merk dir die Parole: Aktion Dunkelmord! Ich weiß, gefällt mir auch nicht. Die Verrückten, die für diese Dunkelheit verantwortlich sind, haben es sich ausgedacht. Glauben sowieso, sie spielen Räuber und Gendarm. Andere sind die Leidtragenden.“

„Mir kommen bald die Tränen!“, behauptete ich.

„Bloß nicht! Dann beginnt mein Lauf zu rosten! Den brauche ich in diesen schlimmen Zeiten noch dringend.“

Während Schukowa den Schritten der CIA-Agenten lauschte, überlegte ich, was ich von dem Ganzen halten sollte. Von der besonderen Rolle, die sich Schukowa selber zugedacht hatte, wusste ich ja zur Stunde noch nichts.

Die Schritte eilten vorläufig vorbei. Es blieb uns noch eine kleine Verschnaufpause in dieser Dunkelheit.

Schukowa nahm den Faden wieder auf.

„Ich werde dir zur Flucht verhelfen, und du musst deinen Kollegen klarmachen, dass ich mich als Doppelagent eigne, hörst du?“

Ich hatte Mühe, das Gehörte erst einmal zu verarbeiten. Schukowa ließ mir allerdings keine Zeit dazu: „Ihr müsst begreifen, dass der KGB nach wie vor lebt, auch wenn er halbwegs zu einer Organisation innerhalb der Russen-Mafia entartet ist. Allerdings: Führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Russland sind nach wie vor die Drahtzieher - weltweit sogar.

Mit Abbott Sanderson habe ich bereits telefoniert. Er weiß Bescheid von meinem Vorhaben. Das hoffe ich zumindest. Deshalb hat er wohl seine Hunde auch halbwegs zurückgepfiffen. Das geschah nicht nur aus Rücksicht auf deine Wenigkeit, Kollege! Also, ich muss auf jeden Fall zu meinen Leuten zurück und du...“

„Finde ich nicht ratsam!“, warf ich ein.

„Wie bitte?“

„Jetzt weiß ich endlich die Zeichen zu deuten. Meinen Sie nicht, dass Ihre Leute Verdacht haben?“

„Dummes Zeug. Außerdem ist das meine Sache, nicht deine!“

„Ich soll Ihnen also nicht nur zur Flucht verhelfen, sondern auch meine Vorgesetzten auf Sie vorbereiten?“

„Bist ein kluger Bursche!“

„Klar, merkst du das erst jetzt?“

Schukowa ließ mich endlich los. Ich konnte wieder nach Luft schnappen.

„Und wie sollen wir das Kunststück fertig bringen?“, erkundigte ich mich. „Die werden sich einen solchen Gefangenen doch nicht entgehen lassen. Mein Wort gilt leider nicht soviel, dass sie gleich in Ehrfurcht niedersinken, wenn ich es an sie richte.“

„Dann komm, wir müssen weiter! Es wird sich zeigen. Man sollte keine Pläne schmieden, wenn die Zukunft so ungewiss ist.“

Ich musste ihm rechtgeben. Nebeneinander hasteten wir tiefer in die Einfahrt hinein.

Unterwegs dachte ich mal wieder an die Möglichkeit, mich unsichtbar zu machen.

Völlig sinnlos!, konstatierte ich. Bei dieser Dunkelheit kann man sowieso nichts sehen!

Die Möglichkeiten eines Unsichtbaren würden nicht größer sein.

Plötzlich flammte vor uns Licht auf, schnitt in unsere Augen.

Wir hatten uns geirrt - beide. Die Schritte, die vor der Einfahrt vorbeigegangen waren... Die Agenten hatten ihr Augenmerk durchaus auch auf diese Einfahrt gerichtet, nur waren sie nicht so dumm, gleich mit allen Mann hineinzustürmen. Vielmehr bastelten sie eine Falle. In die wir jetzt hineintappten!

Eine Waffe schnalzte hässlich. Gern hätte Schukowa mich wieder als lebenden Schild benutzt. Dazu war es jedoch zu spät. Zumal ich unwillkürlich beiseite sprang. Der Abstand vergrößerte sich dadurch noch.

Oberst Schukowa sah eine andere Möglichkeit, denn so ohne Weiteres wollte er sich nicht in Gefangenschaft begeben.

Er kam in einer gekonnten Rolle am Boden auf. Seine Waffe war noch immer entsichert.

Die Tokarew spuckte Feuer - zweimal kurz hintereinander. Die Kugeln indessen, die dem Oberst galten, geißelten das Pflaster, sangen als Querschläger ihr höllisches Lied.

Schukowa traf besser. Zwei Scheinwerfer gaben ihren Geist auf, und der dritte strahlte in die falsche Richtung - nämlich zu mir, der ich mich gegen die Hauswand drückte - darauf hoffend, nicht mit einem russischen Agenten verwechselt zu werden.

Die Hoffnung trügte. Ich wurde ebenso in Schach gehalten wie man sich bemühte, Schukowa zu erwischen.

Nur nahm man auf das Leben des Oberst weniger Rücksicht. Schließlich setzte er sich ja zur Wehr.

Im Trainingscamp des KGB war Oberst Eduard Schukowa lange Zeit Ausbilder gewesen, und er beherrschte das, was er anderen beigebracht hatte, selbst am besten.

Die Dunkelheit nutzte er. Dabei war er noch besser dran als seine Gegner. Von denen wusste er, wo sie sich befanden, doch er selber war inzwischen längst dort, wo ihn niemand vermutete.

Den einen Scheinwerfer konnten sie nicht von mir lassen, um mir nicht auch noch die Flucht zu ermöglichen, und bis sie einen anderen einsetzten, war es zu spät.

Wie Hagelkörner prasselten Kugeln rechts und links von Schukowa in den Boden und in die halbhohe Umgrenzungsmauer. Nur waren diese Körner tödlich, wenn sie trafen.

Schukowa flankte über die Mauer. Ein Geschoss erwischte sein Hosenbein. Mehr geschah nicht.

Reine Glückssache, gepaart mit dem Vermögen Schukowas, schnell wie ein sprichwörtlicher geölter Blitz zu sein.

Unsanft kam er auf der anderen Seite auf. Er kümmerte sich nicht um den Schmerz im linken Arm, verursacht durch die Kollision mit einem herumliegenden Stein. Sofort sprintete er los, die Mauer entlang.

Nur fünf Meter, dann ein erneuter Angriff.

Schukowa befand sich noch im Flug, als er auch schon zurückschoss. Trotzdem traf er.

Ein wahrer James Bond wäre vor Neid erblasst. Doch daran dachte der Oberst im Moment am allerwenigsten. Er hörte den Schrei des getroffenen Agenten, kam mit der Schulter auf, rollte sich ab, schoss zum zweiten, zum dritten, zum vierten Mal.

Oberst Schukowa rollte seitlich davon, als hätte er ein Leben lang nichts anderes gemacht.

Der mit dem intakten Scheinwerfer sah endlich ein, dass er falsch gehandelt hatte. Er riss die Lampe herum, suchte nach dem Oberst, erfasste ihn auch.

Zu spät! Schukowa war schneller. Seine Waffe schnalzte. Klirrend zersprang das Glas der Lampe. Sie erlosch.