Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Irrsinn oder Realität? Spinnerei oder Wahnsinn? Gibt es eine Wiedergeburt oder eine böse Vorsehung? Und was hat es mit der immerwährenden Vorstellung des Untergangs der Menschheit auf sich? Wird die Erde schon bald vernichtet - vielleicht für immer untergehen? Es sind die unklaren und unbegreiflichen Dinge, die uns beschäftigen. Dennoch weigern wir uns oft, sie anzuerkennen, sie zuzugeben. Da mag es leichter sein, Menschen, die uns stark und nüchtern erscheinen, zu glauben. Aber wissen wir wirklich, ob das, was sie sagen, ehrlich ist? Verbirgt sich hinter so manch vermeintlicher Offenheit ein furchtbares Geheimnis? Die Geschichte der Menschheit zeigt wohl ziemlich deutlich, dass die Dinge, die anfangs noch gut und wichtig erschienen, am Ende das Verderben und den Tod nach sich zogen. Entsetzliche Kriege verwüsteten die Welt und der Irrsinn machte sich breit. Doch immer wieder haben die Menschen begonnen, eine neue Welt aufzubauen. Allerdings bleibt auch immer wieder die Frage bestehen, ob sich diese neue Welt bewährt. Denn nichts ist wie es scheint - und hinter vielen Träumen verbirgt sich eine unbekannte Realität. Wir wollen sie nicht sofort erkennen, denn sie birgt das Unheimliche, das Geisterhafte in sich. Und so mag es kein Wunder sein, dass sich Dinge wiederholen. Doch sollten wir uns die Hoffnung auf das Gute und die Zukunft niemals nehmen lassen. Denn es gibt etwas, das unsere Sinne immer wieder neu belebt - unsere grenzenlose Fantasie.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 378
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Der Schwindler
Ein verrückter Traum
Ausgebrannt
Eine Liebe in New York
Das Geisterhaus
Ihr schönstes Geschenk
Der Lottogewinn
Das alte Auto
Ein altes Ehepaar
Steffen
Die Gedenktafel
Der Schornsteinfeger
Die Zeit des Lebens
Der alte Ring
Anitas Wunder
Beta 3
Gittas Besuch
Die Heilung
Der Fremde
Das Amulett
Die alte Schreibmaschine
Ingos Erkenntnis
Mutters Licht
Lina und Lex
Verfolgt
Teufelsbrigg
Der Geist von Martins Grove
Waldspaziergang
Träume
Herzstechen
Engel der Träume
Amalia
Seltsamer Unfall
Winchester
Der Sprung
Schwarzer Rauch
Sonja
Auf der Reise
Die Zigeunerin
Engel des Glücks
Wiedersehen
Koma
Die böse Schwester
Großmutters Spiegel
Sein größter Kampf
Stille Nacht
Die Gitarre
Die Träne des Engels
Der Zauber
Der Flachmann
Klassentreffen
Der letzte Gast
Dietrich, der Schneider
Engel der Hoffnung
Die Kamera
Der Gerichtsmediziner
Weihnachten an Ausfahrt 77
Adolphs Rückkehr
Es war in einer Zeit, in welcher die Menschen nicht mehr glücklich und schon gar nicht zufrieden waren mit ihrem Leben. Die einen mussten schuften, um ihre Familien irgendwie durchzubringen, brauchten sogar eine staatliche Hilfe, damit es am Monatsende überhaupt noch reichte. Die Anderen machten nichts, bekamen aber dennoch Geld, um leben zu können. Und wieder andere – ja, die anderen – ja, was war eigentlich mit denen? Um die rankten sich die verrücktesten Geschichten.
Man sagte, dass sie sich alles bezahlen ließen, was nur irgendwie Geld bringen konnte, nahmen Geld für Gefälligkeiten und schmierten sich gegenseitig, wo es nur ging. Doch sie taten das heimlich und wollten nicht, dass das arme Volk davon erfuhr. Sie gehörten allesamt einer einzigen mächtigen Partei an, es war die Partei „YYUH“. Es war die Partei der Reichen, die Partei der Dummschwätzer, die Partei derjenigen, die dem Volk das erzählte, was es hören wollte. Es waren Parolen, wie: Wenn ihr uns wählt, dann werdet ihr wieder Arbeit haben, dann werdet ihr glücklich und wohlhabend sein! Leider war das alles nur Gerede und dummes Zeug – in Wahrheit protzten sie mit ihren teuren Luxuswagen und prassten in ihren eigentlich unbezahlbaren Luxusvillen, feierten allabendlich mit Schampus, Kaviar und zweifelhaften Frauen. Und sie pressten das Volk aus wie es nur ging.
Hilmar, ein 50-jähriger Arbeitsloser, der als einzigen Reichtum einen uralten Fernseher besaß, lebte seit vielen Jahren in seiner winzigen Wohnung am Rande der großen Stadt. Sein Fernseher schien das einzige Fenster vor dem er jeden lieben langen Tag saß. Und er war kein Dummkopf, denn er wusste, dass er in seinem Alter trotz seiner einstigen Berufsausbildung zum Monteur kaum noch eine reale Chance besaß, einen Job zu finden. Und als Hilfsarbeiter wollte er sich nicht verdingen, dazu hatte er früher einfach zu viel gearbeitet.
Als er eines Tages seinen Rentenbescheid erhielt, mit Schaudern erkennen musste, wie wenig ihm noch für sein Alter blieb, dachte er schon ans Sterben, denn das schien ihm erheblich billiger. Doch irgendetwas in seinem Inneren, irgendwas in seinem Kopf und in seinem Herzen ließ ihn plötzlich erstarren. Denn schlagartig wurde ihm klar, dass er ja nur dieses eine Leben besaß. Er erkannte, dass er, wenn er jetzt nichts drastisch änderte, vergehen würde wie eine Pusteblume im Wind.
Nein, dafür hatte ihn seine Mutter einst nicht unter Schmerzen geboren. Dafür hatte er auch nicht ein halbes Jahrhundert hart in der Firma gearbeitet, für den Konzern seine Kraft und seine Energie gegeben. Und das durfte es auch nicht schon gewesen sein! Da musste einfach noch etwas mehr sein. Gab es da noch wirklich noch ein Stück Leben, ein Stück vom Kuchen dieser Welt? Als er seinen Blick durch seine spärlich eingerichtete Wohnung vom alten Fernseher bis zu seinem wurmstichigen Kühlschrank schweifen ließ, wurde er ziemlich traurig. Denn wie sollte er ohne Geld, nur mit der Stütze allein, etwas Neues aufbauen?
Entnervt ließ er sich in seinen alten Stoffsessel sinken und starrte lange die fast leere Flasche Bier auf dem wackeligen Eichenholztisch an. Immer wieder schaute er zum Fernseher, beobachtete eine Debatte der starken Partei „YYUH“, wo sich die dicken, vollkommen überbezahlten Politiker gegenseitig beleidigten, weil einer dem anderen nichts gönnte.
Stöhnend und kopfschüttelnd sah er dem irren Treiben zu und flüsterte leise vor sich hin: „Diese Idioten, die wissen doch gar nicht, wie das ist, wenn einen keiner mehr braucht und man nicht mal das Geld hat, um richtig leben zu können…“
Und als er so sinnierte, erkannte er plötzlich, dass er selbst etwas tun musste, irgendetwas, bei dem man auf ihn aufmerksam werden würde.
Plötzlich sah er sich, wie er in dem riesigen Parteien-Plenarsaal am funkelnden Rednerpult stand und lautstark und recht heftig gestikulierend irgendetwas von sich gab. Da wurde ihm klar, dass es wohl gar nicht so wichtig war, was er da so rief – viel wichtiger war es vermutlich, einfach nur herumzuschreien, wichtig zu tun und zu zeigen, dass man da ist. Und weil ihm gleichzeitig einfiel, dass er früher mal Sprecher bei der Gewerkschaft war, griff er zielsicher zum Telefonbuch. Flink suchte er sich die Nummer der Partei „YYUH“ heraus, sprach mit einem Verantwortlichen und hatte auf einmal den festen Willen, dieser mächtigen Partei beizutreten. Mehr noch, er wollte sogar einen Posten und redete und redete und redete. Immer sah er sich, wie er in der Armut verging, in einem Leben, in welchem ihn keiner mehr bemerkte. Das spornte ihn unheimlich an und schon nach kurzer Zeit wurde er in die regionale Führungs-Elite der Partei berufen. Was er sagte, war nicht sehr gehaltvoll und auch nicht sonderlich intelligent, aber es war laut und voller Kraft und Energie.
Schon bald war er zu einer Person geworden, zu der man aufschaute, der man zuhörte, und der man letztendlich sogar gehorchte.
Irgendwann war das alte armselige Leben vergessen und das mehr als üppige Honorar, welches er auf seinem Konto erblickte, ließ ihn noch euphorischer werden. Schließlich wollte man ihn als Redner an Hochschulen und Universitäten, in Führungsetagen großer Firmen und Konsortien – und der sprichwörtliche Rubel rollte und rollte und rollte.
Nach drei Jahren war er so einflussreich und reich geworden, dass er eigentlich gar nichts mehr tun musste. Das Geld arbeitete von ganz allein und er war so beliebt, wie sonst niemand im Lande.
Und es kam so, wie es immer kam, er bekam einfach nicht genug und wollte die gesamte Macht.
Er wollte Staats-General werden, welches das allerhöchste Amt des Landes war. Überall hingen seine Wahlplakate und es kam genauso, wie er es wollte: Er wurde einstimmig gewählt.
Vorher hatte er den Menschen das Blaue vom Himmel heruntergeschwindelt. Er wollte allen Arbeit geben, wollte die Menschen reich und glücklich werden lassen, wollte ihnen Verantwortung und großartige Chancen geben, sodass sie ihr Leben in Wohlstand und Glück verbringen zu könnten.
In Wirklichkeit sah er sich aber schon als Kaiser, der sich krönen ließ und der sich als Gott in den Himmel erhob.
Einige Zeit ging das tatsächlich gut, denn die Menschen ließen sich all den Unsinn, den er jahrein und jahraus verkündete, dankbar einreden.
Doch als sie merkten, dass nichts von dem, was er predigte, eintraf, sie hingegen immer ärmer und kränker wurden, wollten sie ihn nicht mehr.
Allerdings gab er auch nicht mehr so leicht auf, denn er war nun so unermesslich reich und mächtig, dass er seine Leib-Armee damit beauftragte, die Aufwiegler, die Stimmung gegen ihn machten, zu beseitigen. Er hatte nämlich vor, der unangefochtene Herrscher der Welt zu werden, sich nur noch mit Gehorchenden und Dienern zu umgeben und dann das Universum zu erobern.
Um all das jedoch auch noch zu erreichen, musste er Krieg führen. Denn die Leute ließen sich nur mit Gewalt zu seinen verrückten Vorhaben zwingen.
So machte er den Leuten den Krieg schmackhaft, meinte, dass es ihn wesentlich bessergehen würde, wenn sie für ihn in den Krieg zögen. Er versprach ihnen Schösser aus purem Gold und das fürstlichste Leben, welches sie sich nicht einmal zu erträumen vermochten. Die Leute aber winkten schon ab, wenn sie ihn nur sahen und irgendwann verlor er sogar den Rückenhalt seiner Partei, der „YYUH“.
Als er eines Tages nachdenklich in seinem riesigen Anwesen saß und Fernsehen schaute, musste er hören, wie ein anderer Lügner, der den Leuten noch viel mehr Glück und Wohlstand vorgaukelte, als er es je getan hatte, davon sprach, ihn einzukerkern, weil er ein Lügner sei.
Da erkannte er den ganzen Wahnsinn, sprang aus seinem Sessel und verließ das Haus, welches wohl in Kürze zur Todesfalle für ihn werden würde.
Tief im Wald hatte er ein geheimes Domizil als besseren Tagen herübergerettet. Nein, es war kein Bunker und auch keine Felsenhöhle, in welche er fliehen konnte. Es war eine Rakete, die er sich bauen ließ, weil er ja zu den Sternen fliegen wollte, um das Universum zu erobern.
Traurig kletterte er hinein und startete. Hinter ihm schrie schon der aufgebrachte Mob, der sein Versteck im Wald herausgefunden hatte. Sie wollten sich an ihm rächen. In allerletzter Sekunde schaffte er es, die Erde zu verlassen. Immer kleiner wurde der eigentlich riesige Erdball unter ihm und schnell näherte er sich dem Mond. Dort landete er das kleine Raumschiff und wartete. Die Stille und die Dunkelheit ließen ihn noch trauriger werden, als er schon war.
Und wie er so dasaß und weinte, vernahm er eine Stimme hinter sich. Zu Tode erschrocken fuhr er herum und blickte entgeistert in das runzelige Gesicht eines alten Mannes, der hinter ihm stand.
„Ich sehe, du bist traurig“, sprach der Alte und wiegte dabei seinen Kopf hin und her.
Hilmar wusste nicht, was er sagen sollte. Natürlich war er traurig, natürlich wusste er auch nicht, wie all das geschehen konnte und natürlich wollte er so nicht mehr weiterleben.
Der Alte schien das zu verstehen, obwohl Hilmar gar nichts sagte.
„Dann komm mit mir“, sagte er schließlich leise und streckte seine Hand nach ihm aus.
Hilmar wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, er wusste, dass er alles falsch gemacht hatte und er ergriff die Hand des alten Mannes. Augenblicklich verschwanden die beiden und nur die kleine Rakete, sozusagen ein Relikt eines Menschen, der auf einem falschen Wege war, blieb schweigend zurück.
Auf der Erde aber wurde es nicht besser. Denn der andere, der neue geld- und machtgierige Schwindler, dem die Leute diesmal hinterherrannten, führte die Menschen in einen Krieg, aus dem sie nie wieder herauskommen sollten.
Die Sonne schien und der Wind wehte ganz leise. Es war kühl, dennoch konnte Elli entspannt auf ihrer kleinen Dachterrasse, hoch über Hollywood, sitzen, um ein wenig zu träumen.
Es war ein merkwürdiger Tag. Ganz tief in sich spürte sie ein Gefühl, welches sie bisher nicht kannte. War das Sehnsucht? Immer hatte sie ein offenes Ohr für die Sorgen der anderen. Alle heulten sich immer nur bei ihr aus.
Sicher, sie tat es gern und sie hatte zu allen ihren Bekannten ein sehr gutes Verhältnis. Aber gerade heute spürte sie ganz deutlich, dass ihr irgendetwas fehlte.
Irgendetwas schien nicht wie sonst. Sie schaute sich um; diese herrliche Dachterrasse, dieser wunderbare blaue Himmel, das Vogelgezwitscher. All das hatte sie doch immer gewollt? Sie ließ sich in die weichen Polster ihres Gartensessels zurückfallen und schloss verzückt die Augen.
Ganz langsam erhob sich ihre Seele und flog federleicht und einem Vogel gleich in den makellosen Himmel hinauf. Unter sich sah sie ihr Haus, ihre Terrasse, ihre Freunde – alles verschwand schließlich in dichten Nebelschleiern.
Und als sie so flog, da wurde ihr plötzlich klar, dass ihre Träume ganz anders waren als ihr Leben. Hier oben, in dieser endlosen Weite, da fühlte sie sich plötzlich frei und weit entfernt von all den kleinlichen Alltagsgeschichten dort unten. Sie fühlte eine unbändige Kraft in ihrem Leibe und einen unbezwingbaren Drang, Neues zu erleben, das Alte endgültig abzuschütteln.
Sie sah keine Barriere, die sie aufzuhalten drohte. Nichts hielt sie auf – sie konnte fliegen und atmen, grenzenlos.
Plötzlich riss der Nebel vor ihren Augen abrupt auf und gab die Sicht auf eine endlose Steppenlandschaft frei. Über ihr brannte heiß die Sonne, die Luft flirrte, und nur schemenhaft konnte sie etwas Dunkles am Horizont sehen.
Dieser dunkle Schatte formte sich mehr und mehr zu einem schwarzen Band. Es wurde größer, länger und reichte vom Horizont bis hin zu ihr. Jetzt erkannte sie es: es war eine lange Straße, und sie landete unmittelbar darauf.
Neugierig schaute sie in alle Richtungen dieses öden Landes. Plötzlich erschrak sie – hinter ihr stand ein bulliges Motorrad – sie kannte das Modell – es war eine Harley! Ihre üppigen Chromteile blitzten wie Edelsteine in der Sonne.
Vor Schreck sprang sie zur Seite, doch die Harley stand einfach nur so da. Aufgeregt zog sie und an ihrer Jacke und dabei bemerkte sie, dass sie eine Lederkombi trug.
„Unglaublich!“, stieß sie erstaunt hervor, „Das ist ja total easy!“
Und weil sie niemanden im weiten Umkreis sehen konnte, dem das Motorrad gehören könnte, keimte in ihr der Verdacht, dass es wohl ihre eigene Maschine sein musste. Es war alles wie im Märchen. Sie wusste nicht einmal, wo sie sich befand. Aber das schien angesichts dieser unglaublichen Situation völlig egal.
Sie wollte plötzlich nur noch eines: auf die Harley steigen und losfahren! Die Hitze brannte ihr gnadenlos ins Gesicht und der Schweiß rann ihr über den Rücken.
„Also los!“, rief sie laut, stieg auf und fuhr los. Und welch Wunder, es war beinahe so, als ob sie ihr ganzes Leben mit dieser Maschine gefahren sei. Sie fuhr diese Legende eines Motorrades nahezu blind. Der tiefe brummende Ton der Maschine ließ ihr Herz höherschlagen.
Ein Schild am Straßenrand fiel ihr ins Auge. „ROUTE 66“ stand darauf. Jetzt hielt sie es nicht mehr aus – sie gab der Maschine die Sporen und brauste wie ein Pfeil über den Highway. Und es ging immer geradeaus, kilometerweit, stundenlang.
An einer alten windschiefen Hütte hielt sie an. Der aufgewirbelte Staub klebte an ihrem Gesicht. Mit dem Arm wischte sie sich den Dreck vom Gesicht und stieg ab. Über dem Eingang hing ein hölzernes Schild. „6-9-12-35-17-1“ stand da in großer Schrift zu lesen.
Sie wunderte sich zwar, dass man dieser Kneipe keinen richtigen Namen gegeben hatte, sondern nur Zahlen. Aber es war ihr egal – sie hatte Durst und einen Riesenappetit.
Entschlossen trat sie ein. In der kleinen gemütlichen Gaststube saß niemand. Sie schien ganz allein hier zu sein.
Plötzlich erschien ein kleiner alter Mann hinter dem Tresen und fragte interessiert: „Na, bei der Hitze noch unterwegs? Ich bring Ihnen ´n Wasser und ´ne Wurst. Sie sehen so aus, als ob Sie was vertragen könnten.“
Elli nickte nur und lächelte verlegen. Dann nahm sie am Tresen Platz und öffnete ihre Lederkombi ein ganz klein wenig. Sofort drang die aufgewirbelte Luft des Deckenventilators an ihre Haut …
„Herrlich“, stöhnte sie nur und lehnte sich entspannt zurück.
Der Alte kam mit einem großen Tablett zurück. Darauf befand sich ein Krug mit kristallklarem Wasser und ein Teller mit zwei leckeren Bratwürsten.
„Hier, jetzt hauen Sie erst mal richtig rein. Geht aufs Haus!“
Elli bedankte sich und fragte dann nach den merkwürdigen Zahlen über dem Eingang. Der Alte grinste nur und begann zu erzählen:
„Ach wissen Sie, damals, als wir in diese Gegend kamen, haben wir hier nach Gold geschürft. Anstatt eines sinnlosen Namens habe ich einfach die Nummer meines Claims für diese Kneipe genommen. Etwas Besseres ist mir eben nicht eingefallen. Aber sagen Sie mal, wie haben Sie es nur geschafft, bis hierher vorzudringen? Seit Tagen ist hier keiner mehr vorbeigekommen. Scheint wohl in der Nähe von Diggers-Point eine Havarie gegeben zu haben. Die haben da öfter mal ´n Brückenschaden. Kein Wunder, bei dem Hochwasser dort.“
Elli schaute den Alten misstrauisch an. Hochwasser? Wieso Hochwasser? Nirgendwo an der Straße hatte sie Hochwasser gesehen. Und über eine Brücke war sie auch nicht gefahren. Hatte sich der Alte geirrt?
Das frische Wasser tat gut und die Würste gaben wieder neue Kraft. Der Alte musterte sie und meinte dann: „Na ich sehe schon, Sie wollen gleich wieder weiter, was? So ist´s recht, Mädel. Und vergiss nicht Lotto zu spielen, ist ´ne Menge im Jackpot. Gute Fahrt!“
Elli verabschiedete sich ebenfalls und verließ die Hütte. Draußen hatte es wohl einen Wetterumschwung gegeben. Es regnete in Strömen und die Dunkelheit breitete sich gespenstisch über der verlassenen Gegend aus. Dennoch wollte sie zurück zu der Stelle, wo sie die Harley gefunden hatte. Vielleicht gehörte sie ja doch nicht ihr.
Schnell schwang sie sich auf die Maschine und fuhr in das immer heftiger werdende Unwetter hinein. Instinktiv schaute sie auf ihr Handgelenk, wollte nach der Uhrzeit sehen. Doch ihr Handgelenk war leer. Keine Uhr, kein Ortsschild, nichts, nur Dunkelheit, Regen und Sturm!
Plötzlich zog auch noch ein Gewitter auf. Grelle Blitze zuckten auf die Fahrbahn nieder und der laute Donner ließ den Boden erbeben. Ein Weiterfahren schien einfach unmöglich.
An einer kleinen Schonung hielt sie an. Zwischen den Bäumen entdeckte sie eine Erdhöhle. „Vermutlich der eingestürzte Eingang zu einer der alten Goldminen“, murmelte sie vor sich hin. Vorsichtig legte sie das Motorrad ins Gras und kroch in die enge Grube. Zwar rieselte andauernd Erde herunter, doch wenigstens war es trocken und warm. Hundemüde legte sie sich auf den Boden und schloss ihre Augen …
Irgendein lästiger nagender Ton dröhnte wie eine Bohrmaschine in ihren Ohren. Das Geräusch wurde lauter und lauter – was war das nur? Ein herannahender Truck, ein Motorrad, ein Auto?
Langsam öffnete sie die Augen – da ertönte erneut das seltsame Geräusch – jetzt hörte sie es ganz deutlich! Erschrocken fuhr sie hoch – wo war sie nur? Sie lag nicht mehr in der engen Erdhöhle, sondern auf einer Terrasse, hoch über dem Lichtermeer einer großen Stadt – und das Geräusch? Ja, richtig, es klingelte!
Langsam kehrte sie in die Wirklichkeit zurück. Es war ihre Terrasse, auf der sie wohl eingeschlafen sein musste. In der Zwischenzeit war es Nacht geworden. An der Tür stand ihre Nachbarin, Frau Schulze. Sie brachte ein Päckchen Kaffee. Sozusagen als Dankeschön, weil Elli ihr einmal ausgeholfen hatte.
Als die Nachbarin gegangen war, schaute sich Elli im Spiegel an. Doch da stand keine wilde Harley-Bikerin in schwarzer Lederkombi und wüsten Haaren. Da schaute ihr eine blasse übermüdete, etwas mollige und mies gelaunte Hausfrau entgegen, die so gar nicht nach Lust und Großer Welt aussah. Und morgen musste sie also wieder in die Firma und den ganzen Tag funktionieren, wie alle, wie jeder, wie immer …
Sie schüttelte sich. Beinahe so, als wollte sie sich diesen abgestandenen Muff von der Seele schütteln. Sehnsüchtig dachte sie an den endlosen Highway, an die chromblitzende Harley, an den Alten und an diese windschiefe Kneipe an der Straße. Und sie spürte wieder diesen Drang nach Freiheit, nach Luft und Leben. Sie atmete tief ein, doch hier roch es nur nach Spießigkeit, Alltagstrott und Langeweile. Und sie vermisste ihren Traum so sehr.
Ihr fielen die letzten Worte des alten Mannes ein. Sie sollte das Lotto spielen nicht vergessen. Aber wie oft hatte sie das schon versucht und niemals Glück gehabt?
In der darauffolgenden Woche spielte sie dennoch mit. Und weil in ihr noch immer dieser Traum im Kopf herumgeisterte, fielen ihr die rätselhaften Zahlen über dem Eingang der alten Kneipe wieder ein. Kurzerhand nahm sie genau diese Zahlen und gab den Spielschein ab.
Und sie konnte es nicht glauben, sie gewann den Jackpot! Es gab 6 Millionen. Laut jubelnd konnte sie ihr Glück nicht fassen.
Tage später gab sie die kleine Wohnung auf und ging nach Australien. Dort kaufte sie sich eine Harley und eine alte, abgewetzte schwarze Lederkombi.
Schließlich schloss sie sich einer Biker-Clique an, die jeden Tag auf dem endlosen Highway unterwegs war. Heute hier und morgen dort – und immer irgendwo.
Endlich spürte sie die Freiheit, die sie sich immer so sehr erträumt hatte. Endlich spürte sie LEBEN!
Und plötzlich wusste sie es: auch ohne Lottoschein hätte sie das alles schaffen können, wenn sie sich nur viel eher getraut hätte. Es war doch nur ein Schritt, der in die langersehnte Freiheit führte. Es lag ganz allein an ihr selbst.
Jetzt hielt sie das Glück in ihren Händen und spendete eine ansehnliche Summe einem Kinderhilfswerk. Und manchmal, wenn sie mit den anderen Bikern durch die Nacht fuhr, glaubte sie, in der Ferne die matten Lichter der windschiefen Hütte am Straßenrand zu erkennen. Und sie hörte die Stimme des alten Mannes, der leise zu ihr sagte: „So ist´s recht, Mädel“
An jenem Abend saß ich mal wieder ganz allein zu Haus in meiner winzigen Wohnung in Hollywood. Nachdenklich fragte ich mich, wie das alles noch weitergehen sollte. Ich fühlte mich schlecht, ausgebrannt und leer. Unendlich viele Bilder flogen mir durch die jammernde Seele. Ich sah die Vergangenheit, die zahllosen Erlebnisse und die guten und schlechten Tage. Und ich erkannte die tiefe Traurigkeit, die in meiner Einsamkeit lag.
Da klingelte das Telefon. Mutter rief an. Wie schon so oft machte sie sich große Sorgen um mich. Zwar erzählte ich ihr nichts von meinem Gefühl. Doch sie schien meine Verzweiflung und meine Traurigkeit zu spüren. Und sie tröstete mich, dass es irgendwann auch wieder bergauf gehen würde.
An diesem Abend hatte ich noch eine Verabredung mit einem Geschäftspartner. Ich konnte ihn nicht warten lassen, denn das Geld musste ja verdient werden. So verabschiedete ich mich schnell. Mutter sagte an diesem Abend etwas sehr Merkwürdiges. Sie meinte, dass ich unbedingt vorsichtig fahren sollte. Und es sei gar nicht gut, heute noch weg zufahren …
Ich konnte meinen Termin jedoch nicht platzen lassen und fuhr los. Es hatte zu regnen begonnen und die Straße glänzte im Scheinwerferlicht derart, dass ich zeitweise kaum etwas sehen konnte. Da ich es eilig hatte, fuhr ich recht schnell, doch die Sicht wurde immer schlechter.
Plötzlich vernahm ich ein Geräusch, welches sich wie eine Stimme anhörte. Nervös schaute ich zum Radio. Doch das hatte ich nicht eingeschaltet. Die Stimme wurde lauter und rief plötzlich: „Fahr jetzt langsamer! Sofort!“
Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm ich den Fuß vom Gaspedal und bremste augenblicklich stark ab. Da sah ich es auch schon: auf meiner Fahrspur flogen mir zwei grell aufblitzende Scheinwerferkegel entgegen.
Ich erschrak fürchterlich, schaute zum Straßenrand. Ich rechnete schon mit dem Schlimmsten, wollte das Auto im letzten Moment nach rechts lenken, um vielleicht irgendwo im Graben zum Stehen zu kommen.
Alles ging ganz schnell! Kurz vor mir bog das Fahrzeug wieder auf seine Fahrspur ein und raste knapp an mir vorbei. Ich atmete auf und spürte, wie mein Herz in der Brust raste. Auf dem nächstbesten Parkplatz hielt ich den Wagen an und stieg aus. Ich brauchte erst einmal Luft.
Der heftige Regen prasselte mir auf den Anzug und durchnässte mich bis auf die Haut. Doch das war mir in diesem Augenblick völlig egal. Mit zitternden Beinen lehnte ich mich an mein Auto und kramte das Handy aus der Hosentasche. Ich sagte den Termin ab. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte.
Plötzlich wurde mir klar, dass es nichts Wichtigeres gab, als das Leben. Ja, plötzlich hatte ich so viel Zeit. In diesen Minuten nahm ich mir vor, nichts mehr so eng zu sehen. Und das Gejammer, wenn es mal nicht so lief, wollte ich mir abgewöhnen. Stattdessen wollte ich froh sein und das Leben spüren.
Als ich Mutter anrief und ihr schilderte, was ich soeben erlebt hatte, wurde sie ganz schweigsam. Dann meinte sie nur: „Ich wusste das. Aber ich konnte dich nicht aufhalten. Ich bin froh, dass es dir gut geht.“
Die seltsame Stimme hatte ich nie wieder gehört.
Eine kleine Melodie ging mir nicht mehr aus dem Sinn: You don´t bring me flowers. Sanft war sie, wie dieses Mädchen aus einer anderen Welt. Sie hieß Ann, eine zauberhafte dunkelhäutige Sängerin. Wir lernten uns in New York kennen. Einfach so, auf einer Bank im Central Park. Ich wollte über die Menschen nach dem Terroranschlag vom 11. September schreiben. Ich schaute in ihre Gesichter, die mir endlose Geschichten erzählen konnten. Und ich schaute auf diese riesige faszinierende Stadt mit ihren unzähligen Gefühlen, Sehnsüchten und Hoffnungen. Diese Stadt mit ihrem ständigen Auf und Ab.
Immer und überall hier spürte ich den stetigen Puls dieser unergründlichen Metropole.
Die Joggerin, die sich an diesem Septembermorgen auf die Bank neben mich setzte, kam mir gerade recht. Ich wollte ihr Fragen stellen, wollte sie in ein Gespräch verwickeln. Ich wollte von ihr erfahren, wie sie diesen verhängnisvollen 11. September erlebte.
Die junge gutaussehende Frau schien völlig außer Puste zu sein. Sie atmete schnell und musste plötzlich niesen.
„Na, ist wohl doch ein bisschen kühl heut Morgen?“, fragte ich sie grinsend. Doch sie winkte nur ab, wollte eigentlich gleich weiterlaufen. Mir gefiel diese Frau. Ihre Spontaneität, ihre Sicherheit – ich fand das einfach toll.
Etwas verwegen fragte ich noch schnell: „Kann ich Sie irgendwo wiedersehen?“
Im gleichen Augenblick jedoch fand ich diese Frage blöd und wollte mich entschuldigen. Als sie jedoch lächelnd nickte, hielt ich sofort inne.
„Klar“, antwortete sie kurz entschlossen. „Heute Abend, 19 Uhr im Jingle-Club, Ecke 114! Findest Du schon!“
Während sie das sprach, rannte sie auch schon wieder weiter. Ich schmunzelte, rief noch ein „OK“ hinter ihr her.
Dann hockte ich den ganzen Tag in meinem Hotelzimmer und überlegte. Ich erwischte mich bei dem albernen Gedanken, mich irgendwie schön für sie machen zu wollen. Aber vielleicht hatte sie ja auch schon einen Freund. Sicher hatte sie das! Ganz sicher, oder?
Die Zeit schien einfach nicht vergehen zu wollen. Ich zählte die Stunden, die Minuten bis zu unserer Verabredung. Als es endlich soweit war, vergaß ich mein Outfit und sprang, so wie ich war, in ein Taxi. Als ich dem Taxifahrer meinen Zielort mitteilte, schaute der mich misstrauisch an.
„Was wollen Sie denn beim Jingle-Club“, fragte er mich mit gesenkter Stimme. Ich erzählte ihm von meiner Verabredung.
„Na, Sie müssen es ja wissen“, raunte der Taxifahrer mit verkniffenem Gesicht und fuhr los.
Als wir am Zielort eintrafen, konnte ich meine Enttäuschung kaum verbergen.
„Ich hab´s Ihnen ja gleich gesagt“, spottete der Taxifahrer, „das ist hier ´ne ganz heruntergekommen Gegend. Hier will keiner gern her.“
Ich gab dem Fahrer das Geld und der brauste eiligst davon. Ich schaute mich um. Tatsächlich schien diese Gegend schon bessere Zeiten gesehen zu haben. Die alten Häuser sahen aus wie Ruinen, um die sich lange keiner mehr gekümmert haben musste. Manche Gebäude waren zusammengefallen. Schutt und Müll lagen überall auf der löcherigen Straße verteilt. Wie kam nur eine so schöne Frau dazu, sich hier zu verabreden?
Etwas weiter von mir entfernt fiel ein schwacher Lichtschein auf die Straße. Langsam lief ich dorthin. Das Licht fiel aus einem ziemlich heruntergekommen Lokal. Ich ging hinein, setzte mich entschlossen an die Bar und bestellte mir einen Drink.
Ungefähr eine halbe Stunde musste vergangen sein, doch meine Verabredung kam nicht. Immer wieder schaute ich durch die schlecht geputzten Fenster auf die Straße hinaus. Ohne Erfolg.
So trank ich einen Whisky nach dem anderen und fühlte mich schon recht lebhaft. Da wurde die Beleuchtung etwas heruntergedreht. Rote Scheinwerfer flammten auf und beleuchteten eine kleine Bühne gegenüber von meinem Tisch. Eine Stimme rief über Mikrofon: „Ladys and Gentleman! Hier ist der Star des heutigen Abends, Ann!“
Der rote Vorhang glitt zur Seite – und da stand sie, diese wunderschöne junge Frau, meine Verabredung! Ganz in Schwarz war sie gekleidet und irgendwie erschien sie mir noch schöner als heute Morgen. Sie begann, ein wunderschönes Lied zu singen: You don´t bring me Flowers …
Ich hatte Tränen in den Augen. Das Lied war noch nicht verklungen, da applaudierte ich. Irgendein Säufer rief aus einer Ecke: „Bravo Ann! Weiter so!“
Ich fühlte mich gut und doch schlecht, fand es endlos traurig, dass diese wunderschöne Frau in einem solchen miesen Lokal auftreten musste.
Ann stieg wie ein großer Star von der Bühne und setzte sich an meinen Tisch.
„Schön, dass Du gekommen bist. Na, wie war ich?“, fragte sie mich leise.
Ich schaute lange in ihre großen braunen Augen.
„Du warst großartig“, hauchte ich und hatte in dieser Sekunde längst vergessen, was ich sie eigentlich fragen wollte. Ich schaute sie nur an und war wie verzaubert. Sie lächelte nur und meinte, dass sie gleich wieder auf die Bühne müsse.
„Klar“, sagte ich verständnisvoll, „ich verstehe schon. Kommst Du dann wieder her?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete sie mit ernster Miene. Sie war plötzlich so ernst, als hätte ich etwas Schlimmes gesagt. „Ich darf mich nicht mit den Gästen abgeben. Ich freue mich aber, wenn Du ab und zu mal kommst.“
Bei diesen Worten liefen ihr Tränen über die Wangen.
Plötzlich griff sie in ihre Tasche und holte einen Briefumschlag heraus. Unter dem Tisch steckte sie ihn mir heimlich zu.
„Pass gut auf ihn auf“, flüsterte sie. „Wenn mir etwas zustößt, behalte ihn für Dich. Mach´s gut. Ich muss wieder auf die Bühne.“
Mit einem gekonnten Satz sprang sie auf und lachte, als sei gar nichts gewesen. Verwundert schaute ich ihr hinterher. Als sie ihren Song beendet hatte, verschwand sie hinter der Bühne und die roten Scheinwerfer verloschen.
Ich fragte eine Bedienung nach ihr. Doch die recht freizügig gekleidete Dame schüttelte nur mit dem Kopf. „Nein, das geht nicht“, sagte sie dann traurig. „Vielleicht ist es besser, wenn Sie jetzt gehen.“
Ich konnte meine Trauer kaum verbergen. Dennoch zahlte ich und fuhr mit einem Taxi zurück zum Hotel.
Die ganze Nacht brachte ich kein Auge zu. Ann ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Was meinte sie nur und was hatte es mit diesem vermeintlichen Brief auf sich? Ich nahm mir vor, gleich am nächsten Morgen noch einmal zu dieser Bar zu fahren. Vielleicht gelang es mir ja doch noch, Ann zu finden und mit ihr zu sprechen.
Ein komisches Gefühl machte sich in meinem Magen breit – ein seltsam flaues Gefühl – war das Liebe?
Am nächsten Morgen ließ ich mir einen Mietwagen buchen und fuhr schon recht zeitig los. Ich wollte mir diese Gegend bei Tageslicht betrachten. Doch an der Stelle, wo gestern noch diese einsame Bar stand, befand sich heute eine verlassene Ruine. Lediglich über dem verfallenen Eingang konnte ich die teilweise zerbrochenen Buchstaben entziffern: Jingle-Club.
Zwei Penner torkelten an mir vorüber. Ich rief laut: „Wo ist denn die Bar? Gestern war hier noch eine Bar. Sie nannte sich Jingle-Club. Wo ist das alles hin?“
Die beiden Penner lachten laut: „Hey Du Spinner! Was für ´ne Bar? Hier ist schon lange nichts mehr! Den Schuppen haben die Cops schon vor Jahren ausgehoben. War ein Drogenmarkplatz, Du verstehst? Gib lieber ein paar Dollar rüber!“
Verstört kramte ich in meiner Jackentasche und drückte einem der beiden Trunkenbolde schließlich einen Zehn-Dollar-Schein in die Hand. „Danke Euer Gnaden!“, rief der hinter mir her.
Verwirrt lief ich um das Gebäude herum, schaute durch die zerbrochene Scheibe ins Innere. Doch mehr als zerbrochene Stühle und Tische konnte ich nicht erkennen. Überall lagen Glasscherben und Müll – hier musste schon seit Jahren keiner mehr gewesen sein.
In diesem Augenblick fiel mir der Briefumschlag, den mir Ann heimlich zugesteckt hatte. Ich zog ihn aus der Tasche und faltete ihn vorsichtig auseinander. Auf fleckigem, zerrissenen Papier stand dort geschrieben: „Hallo, ich habe eine letzte Bitte an Dich. Geh in die Bar und schau unter den Tresen. Dort findest Du eine Urne. Begrabe sie auf dem Friedhof. Anbei liegt ein goldener Ring. Er ist das Wertvollste und Teuerste, was mir blieb. Er ist ein Erbstück meiner Mutter. Löse ihn ein und bezahle die Beerdigung davon. Dann finde ich endlich meine Ruh. In Liebe, Ann.“
Ich konnte nicht glauben, was ich da las. Ich hatte Tränen in den Augen und las den Brief wieder und wieder. Ann war also eine Seele, die noch immer nicht zur Ruhe gekommen war. Doch wie war sie zu Tode gekommen? Wer hatte diese Urne unter dem Tresen versteckt? Ich erhielt keine Antwort auf diese Fragen.
Durch ein zerbrochenes Fenster kletterte ich in das Gebäude und suchte an der Stelle, wo der Tresen gestanden haben musste. Und tatsächlich! Unter einer alten verwitterten Bierleitung, zwischen Steinen, Unrat und Dreck ertastete ich einen Gegenstand. Ich zog ihn heraus und hielt eine Urne in der Hand.
Mit den Fingern wischte ich den Schmutz ab und las den eingravierten Namen: Ann.
Ich kümmerte mich um die Beisetzung und bezahlte alles. Die schönsten Blumen stellte ich auf ihr Grab. Und ihren goldenen Ring behielt ich in Gedenken an diese einzigartige Frau.
Monate später wurde mir vieles klar. Ann war wohl noch einmal zurückgekommen, weil ihre Seele keine Ruhe fand. Ich war auserwählt, um ihr diesen letzten Dienst zu erweisen. Jetzt, nach all den vielen Jahren, konnte ihre rastlose Seele endlich Frieden finden. Mir jedoch blieb nur ein goldener Ring und dieses Lied von ihr, welches ich in so manch lauer Nacht noch höre: You don´t bring me Flowers.
Irgendetwas ist in diesem Haus! An diese Worte erinnere ich mich noch heute mit Schaudern. Eigentlich wollte ich nie wieder darüber sprechen. Trotzdem kommt die Erinnerung immer wieder hoch.
Ich kam gerade von einer Geburtstagsfeier und wollte nach Hause. Die Fahrt bis zur Autobahn hatte ich mir etwas leichter vorgestellt. Doch es stürmte und schneite wie seit Langem nicht mehr. Die Scheinwerferkegel meines Wagens suchten vergeblich nach der Straße in dem immer dichter werdenden Schneetreiben.
Schließlich wurde klar, dass ein Weiterfahren einem Selbstmord gleichen würde. Irgendwo hielt ich den Wagen an. Ich musste schleunigst eine Pension finden, um nicht vom Schnee lebendig begraben zu werden. So fuhr ich weiter bis es wirklich nicht mehr ging. Ich wusste nicht einmal mehr, ob ich mich überhaupt noch auf einer Straße befand. Der Blizzard tobte wie ein bösartiges Ungeheuer.
Glücklicherweise stand nicht weit entfernt ein Haus. Es lag einsam mitten im Schnee und sah schon recht verfallen aus. Doch aus den Fenstern fiel ein schwacher Lichtschein. Also wohnt hier auch jemand, dachte ich mir.
Ich stieg aus und stemmte mich mühevoll gegen die eisigen Schneeböen. Eine Klingel fand ich nicht, so pochte ich mehrmals gegen die alte Holztür. Doch es öffnete niemand.
Der Sturm heulte unheilvoll um die Ecken und blies mir immer wieder neuen Schnee in die Augen.
„Hallo!“, rief ich so laut ich konnte, „Ist jemand zu Hause!“
Endlich öffnete sich die Tür einen winzigen Spalt. Eine alte Frau steckte ihren grauhaarigen Kopf hindurch und fragte dann mit zittriger Stimme: „Was wünschen Sie junger Mann?“
Fröstelnd bat ich um ein Nachtquartier. Die Alte musterte mich misstrauisch von oben bis unten. Dann nickte sie zufrieden und kicherte leise vor sich hin.
„Na, komm schon rein, Söhnchen. Komm nur rein.“
Schnell stapfte ich hinein und klopfte mir die Schuhe ab. Dann schaute ich mich verwundert um. Überall standen alte Kommoden, die wohl schon bessere Zeiten gesehen haben mussten. Der Fußboden war schmutzig und Spinnweben hingen an den Wänden. Im düsteren Licht der Deckenlampe konnte ich die Alte besser erkennen. Sie trug ein langes schwarzes Kleid und ihr faltiges Gesicht schien verhärmt und kränklich. Fahl und leblos schauten ihre Augen zu mir herüber.
Schließlich sagte sie leise: „Ich hol Dir erst mal einen heißen Tee. Und gegessen hast Du sicher auch noch nichts.“
Mit diesen Worten verschwand sie in einem Nebenraum. Irgendwann brachte sie mir einen Kräutertee und eine heiße Bockwurst.
„Nun stärke Dich erst einmal, Söhnchen“, meinte sie noch. „Ich zieh mich jetzt zurück. Kannst da drüben auf dem Sofa schlafen. Da liegt auch eine warme Decke. Gute Nacht Söhnchen.“
Sie schaute sich noch einmal um, während sie in dem vermeintlichen Nebenraum verschwand. Es war, als wollte sie mir noch etwas sagen. Doch ich war zu müde, um sie danach zu fragen. Ich schlürfte meinen heißen Tee und verschlang die Bockwurst. Dann legte ich mich auf das gemütliche Sofa und schlief ein.
Wie lange ich schlief, weiß ich nicht mehr. Irgendwann riss mich ein lauter Schrei aus dem Schlaf. Ich fuhr hoch und starrte in die Dunkelheit. Was war das? Wer hatte da geschrieben? Ging es der Alten nicht gut? Ich suchte nach einem Lichtschalter. Ich fand ihn, knipste mehrmals, doch das Licht ließ sich nicht einschalten.
Glücklicherweise hatte meine Uhr eine Beleuchtung. So konnte ich wenigstens die Zeit ablesen – es war kurz nach 1. Mir fiel die eisige Kälte auf, die wie ein Windstoß durch die Räume fuhr.
Plötzlich vernahm ich eine Stimme, sie flüsterte: „Irgendetwas ist in diesem Haus. Helfe mir, helfe mir!“
Ein eisiger Schauer lief mir über den Rücken. Eilig zog ich mich an und rief noch einmal nach der Alten. Doch es kam keine Antwort. Mir wurde klar, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Was ging hier nur vor? Nervös schaute ich zum Fenster. Es war zerschlagen und der eisige Wind fuhr wie ein scharfes Schwert herein. Vor dem Fenster sah ich eine Gestalt. Ich erschrak – war das die Alte? Hatte sie vielleicht Spaß daran, mir einen Schrecken einzujagen?
„Wer sind Sie!“, rief ich laut und zog mir dabei die Jacke über. Die Gestalt rührte sich nicht, flehte nur: „Hilf mir, bitte hilf mir! Irgendetwas ist in diesem Haus! Bitte hilf mir.“
Nachdem ich meine Mütze aufgesetzt hatte, schaute ich nochmals zum Fenster. Doch die Gestalt schien verschwunden zu sein. Ich wollte noch einmal zum Fenster, um mich zu überzeugen, dass dort niemand war. Doch dazu kam ich nicht mehr.
Das Haus begann plötzlich hin und her zu schwanken. Krachend fielen die Möbel um und in den Mauern bildeten sich lange Risse. Splitternd zerbrachen die Scheiben und ich hatte nur noch einen Gedanken: nichts wie raus!
Panisch rannte ich los, durch die halbwegs noch intakte Tür hinaus ins Freie. Mein Fahrzeug stand unter einem hohen Baum. So war es nicht total eingeschneit. Mit zittrigen Händen schob ich den Schnee von der Scheibe, stieg ein und fuhr los.
Noch einmal schaute ich in den Rückspiegel. Doch was war das? Entsetzt stellte ich fest, dass das Haus eingestürzt war. Außerdem flog eine beängstigende, rot schimmernde Gestalt auf mein Fahrzeug zu. Wie von Sinnen gab ich Gas und raste davon!
Irgendwann erreichte ich eine Kreuzung und bog auf eine befahrene Straße ab. Ich bebte am ganzen Leibe. Hatte ich jetzt schon Halluzinationen? Noch einmal schaute ich in den Rückspiegel – doch da war nichts mehr.
Ich fuhr bis zur Autobahn. An einer großen Raststätte hielt ich schließlich an. Noch immer völlig durcheinander brauchte ich erst einmal einen Cognac. Ich setzte mich an einen Tisch, an welchem bereits zwei Trucker genüsslich ihr riesiges Steak verzehrten.
Schnell kam ich mit ihnen ins Gespräch, denn ich musste jetzt dringend mit jemandem reden.
Als ich den Cognac intus hatte, kehrten auch die Lebensgeister zurück. Wohlige Wärme stieg in den Kopf und in die Beine, und meine Zunge wurde locker wie es selten war.
In allen Einzelheiten berichtete ich den beiden von meinem schier unglaublichen Erlebnis. Schweigend schauten sie mich an. Ihre Gesichter wurden plötzlich sehr ernst.
Einer der beiden fasste sich und meinte nur: „Das war das Haus der alten Agathe. Sie ist bei einem Brand vor vielen Jahren ums Leben gekommen. Die Überreste ihres Hauses liegen noch heute an der Stelle herum. Man sagt, ihre Seele komme seitdem nicht mehr zur Ruhe. In mancher Winternacht erscheint sie Vorbeifahrenden und gewährt ihnen Unterkunft. Sie sucht wohl noch immer den Brandstifter. Der soll angeblich rot ausgesehen haben und konnte fliegen. Manche sagen, es sei der Teufel gewesen“
Das Wichtigste auf dieser Welt
Ist stets das Leben und die Kraft
Ist Hoffnung, die uns sicher hält
Und Liebe, die uns leidend macht
Es war im Sommer 69. Ich lebte von meinem Mann getrennt – er arbeitete im Ausland, ziemlich weit weg. Sicher, es war schwer, den Jungen allein großzuziehen. Ich arbeitete damals in Chemnitz als Säuglings- und Kinderkrankenschwester in drei Schichten. Auch wenn wenig Zeit blieb, unternahm ich so oft ich konnte etwas mit meinem Sohn. Stundenlang gingen wir spazieren. Und als ich ihm das lang ersehnte Fahrrad schenkte, konnte er unterwegs sein und mit seinen Freunden baden fahren.
Meine Mutter half mir in dieser schweren Zeit wo sie nur konnte. Mit vereinter Kraft kamen wir über die Runden. Und obwohl die damalige DDR viel für junge Mütter tat, musste man doch zusehen, wie man die Dinge unter einen Hut bekam.
In diesem Sommer jedenfalls war es besonders schön. Es war ein wunderschöner Sommer am Meer – ein FDGB-Ferienplatz, der kaum Wünsche offenließ.
Meinem Sohn gefiel es am Meer. Er war und ist eine regelrechte Wasserratte.
Doch bereits auf der Heimreise hatte ich immer wieder diese bohrenden Schmerzen im Oberbauch. Ich konnte es mir einfach nicht erklären. All diese wundervollen Tage am Meer, die Wanderungen, das Schwimmen – ich hatte nie etwas bemerkt. Und nun?
Pit, mein damals achtjähriger Sohn, durfte nichts von alledem mitbekommen. Darauf achtete ich sehr. Doch in der Nacht, als wir im Schlafwagen in die Heimat zurückfuhren, konnte ich vor Schmerzen kein Auge zu tun.
Nervös lief ich den langen Gang vor dem Abteil auf und ab. Der Schaffner fragte mich, ob er mir helfen könnte. Doch ich winkte nur ab und zwang mir dabei ein verkrampftes Lächeln aufs Gesicht. Irgendwie musste es gehen! Natürlich fielen mir seine besorgten Blicke auf – wieder und wieder kam er aus seinem Dienstabteil und rollte bedenklich mit den Augen.
Am nächsten Morgen, längst hatte ich den Frühstücksbeutel aus der Reisetasche gekramt und die Thermoskanne mit Früchtetee auf die Ablage unterm Fenster abgestellt, weckte ich meinen Sohn. Verschlafen schaute er mich an. „Wir sind bald da. Komm, Du musst noch etwas frühstücken“, sagte ich leise. Die Schmerzen hatten merkwürdigerweise etwas nachgelassen.
Auf dem Chemnitzer Hauptbahnhof half mir der Schaffner aufopferungsvoll, die schweren Koffer aus dem Abteil zu tragen.
„Kann ich sonst noch was für Sie tun, junge Frau?“, fragte er nur. Ich verneinte.
„Na denn, kommen Sie gut heim“, entgegnete er noch immer ziemlich sorgenvoll.
Pit sprang schon übermütig auf dem Bahnsteig herum und zählte die einfahrenden Züge. Ich war glücklich, ihm wieder einen schönen Urlaub ermöglicht zu haben.
Doch plötzlich kehrten die Schmerzen zurück! Sie wurden stärker und stärker. Zeitweise wurde mir so schlecht, dass ich die Koffer absetzen musste, um tief durchzuatmen. Und da waren auch diese quälenden Ängste. Was, wenn ich nicht mehr in der Lage wäre, mich um meinen Sohn zu kümmern … was, wenn ich plötzlich …
Ich konnte diesen Gedanken nicht zu Ende denken, denn ich spürte bereits, wie die ersten Tränen aus den Augen rannen. Hastig zog ich ein Zellstofftaschentuch aus der Tasche und wischte mir heimlich die Augen trocken. Hoffentlich hatte Pit nichts bemerkt. Doch der schien bester Laune und hatte bereits einen kleinen Eisstand im Visier.
„Nur nicht an die Schmerzen denken“, zwang ich mich, „Du musst Deinen Jungen groß bekommen! Du hast für ihn da zu sein! Du MUSST!“
Die gesamte Bahnfahrt über bis in unsere kleine Stadt schien sich mein Körper an die drastischen Befehle zu halten. Doch als wir endlich daheim auf dem kleinen Bahnhof eintrafen, hielt ich es vor Schmerzen einfach nicht mehr aus.
Ich drückte Pit zwanzig Pfennig in die Hand und bat ihn, bei Evi und Kurt, meiner Schwester und meinem Schwager, anzurufen. Sie besaßen ein Fahrzeug und sollten uns nun vom Bahnhof abholen.
Es dauerte nicht lange bis sie kamen. Sie bemerkten sofort, dass mit mir etwas nicht stimmte. Ich wollte es ihnen erklären. Doch dazu kam ich nicht mehr. Mir wurde übel und taumelig. Ich spürte, wie ein leichtes Taubheitsgefühl durch meine Gliedmaßen fuhr und mir die Kräfte nahm. Große Angst machte sich breit, vor allem die Angst um meinen Sohn. Was sollte nur aus ihm werden, wenn ich kein Geld mehr verdienen konnte? Niemals wollte ich ihn in irgendein Heim geben. Ich musste doch für ihn da sein.
Evi rief den Notarzt an. Frau Dr. Müller kam sofort. Sie war eine gute Freundin und ihre Praxis lag nicht sehr weit entfernt. Wenigstens kein fremder Arzt, dachte ich nur.
Plötzlich bekam ich keine Luft mehr. Ich röchelte nur noch und ein schneidender Schmerz zuckte durch meinen Leib. Die Sinne schwanden mir … ich fiel und fiel … endlos tief. Während ich fiel sah ich viele Etappen meines Lebens an mir vorüberziehen, sah die Geburt meines Sohnes und am Ende eines seltsamen Tunnels ein weißes, warmes, wunderbares Licht.
Rasch kam es näher, alle Schmerzen vergingen und mir wurde leicht, so unendlich leicht … Unter mir breitete sich die Erde aus, eine Szenerie wie in einem Science-Fiction-Film.
Ich sah, wie sich Ärzte über eine leblose Frau beugten, sah, wie die Frau beatmet wurde, wie ein kleiner Junge weggeführt wurde. Ich wusste damals nicht, dass ich mich selber sah.
Das weiße Licht war plötzlich so nah, dass ich es beinahe greifen konnte, da flackerte plötzlich ein greller Blitz auf und abrupt wurde es schwarz um mich herum! Nur eine leise Stimme sang aus der Ferne:
Oh Du wundervolles Leben, Du
Gabst mir viel, doch niemals Ruh
Gabst mir meinen lieben Sohn
Gabst mir Kraft als schönsten Lohn
Oh Du wundervolles Leben, ach
Halte meine Sinne wach
Denn mein Sohn braucht mich so sehr
Lass nicht zu, dass ich verlier
Wenn´s Dich gibt, Du lieber Gott,
mach gesund mich, mach mich flott
Meine Zeit, ich spüre es,
ist nicht um – muss leben jetzt!