Alpengold 257 - Maria Fernthaler - E-Book

Alpengold 257 E-Book

Maria Fernthaler

4,7
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Allein hat sie an der Seite des geliebten Mannes vor dem Altar gestanden, allein hat sie ihn zu Grabe tragen müssen. Nicht einmal Reinhards tragischer und viel zu früher Tod konnte den stolzen Hartung-Bauern dazu bringen, seiner Schwiegertochter die Hand zur Versöhnung zu reichen.
Wie schwer es Anita jetzt fallen muss, an die reich beschnitzte Eichentür des Hartunghofes zu klopfen, kann man an ihrem blassen, viel zu ernsten Gesicht ablesen. Doch ihr bleibt keine andere Wahl als dieser Bittgang ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 140

Veröffentlichungsjahr: 2017

Bewertungen
4,7 (28 Bewertungen)
20
8
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Unwillkommene Schwiegertochter

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anne von Sarosdy / Bastei Verlag

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-5484-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Unwillkommene Schwiegertochter

Warum Anita alle Qualen ertrug

Von Maria Fernthaler

Allein hat sie an der Seite des geliebten Mannes vor dem Altar gestanden, allein hat sie ihn zu Grabe tragen müssen. Nicht einmal Reinhards tragischer und viel zu früher Tod konnte den stolzen Hartung-Bauern dazu bringen, seiner Schwiegertochter die Hand zur Versöhnung zu reichen.

Wie schwer es Anita jetzt fallen muss, an die reich beschnitzte Eichentür des Hartunghofes zu klopfen, kann man an ihrem blassen, viel zu ernsten Gesicht ablesen. Doch ihr bleibt keine andere Wahl als dieser Bittgang …

Eine dunkel gekleidete Gestalt ging die Straße hinein nach Fieberbrunn. Die Sonne brannte heiß auf das braune Haar, das im Nacken zu einem Knoten gebunden war. Der Gang der jungen Frau war müde und schleppend, und immer wieder musste sie stehen bleiben, um zu verschnaufen.

In der einen Hand trug sie einen Koffer, mit der anderen zog sie einen Leiterwagen hinter sich her. Der Koffer hatte darin keinen Platz mehr gefunden, denn zusammengekrümmt lag ein kleines Kind auf dem Boden des Wagens.

Immer wieder schaute die Frau im Gehen zurück auf das Kind, ob es ja vom Rütteln nicht wach wurde, und bei jedem Blick erhellte sich ihr schmales Gesicht. Nur für das Kind machte sie diesen Weg, der bitter und beschwerlich war.

Zwei Tage waren sie nun schon unterwegs, hatten in offenen Scheunen geschlafen und sich von Beeren und Obst ernährt. Wasser hatten sie an den Quellen gefunden, und ab und zu hatte ihnen eine mitleidige Bäuerin ein Glas Milch geschenkt. Sie war noch nie in Fieberbrunn gewesen, hatte den Hartunghof noch nie gesehen. Jetzt, nach vielen Jahren, und nachdem ihr Mann tödlich verunglückt war, hatte ihr seine Familie geschrieben, sie könne kommen, zusammen mit dem Kind.

Zuerst hatte sie sich gegen dieses Angebot gewehrt. Ihretwegen hatte Reinhard, der zweitälteste Sohn des Hartungbauern aus Fieberbrunn, den elterlichen Hof verlassen. Seine Eltern hatten es nicht geduldet, dass er eine Magd heiratete.

Reinhard und sie hatten sich auf einem Tanzabend drüben in ihrem Heimatdorf kennengelernt und seitdem nicht mehr voneinander gelassen.

Als sich dann die kleine Sabine angemeldet hatte und die Eltern immer noch nicht einsichtig geworden waren, hatte der junge Bauernsohn kurzerhand alles zurückgelassen, um das Madl, das er liebte, heiraten zu können. Sie waren glücklich gewesen, obwohl es an allen Ecken und Enden gefehlt hatte. Nur mühsam hatten sie sich von dem, was Reinhard als Holzfäller verdiente, ernähren können, und Tag für Tag hatten sie auf eine Versöhnung mit seinen Eltern gewartet.

Diese waren hart geblieben, er hatte die Versöhnung nicht mehr erlebt. Vorgestern hatte Anita ihn beerdigt, er war von einem Stamm getroffen und getötet worden. Selbst zu seiner Beerdigung war niemand gekommen.

Man hatte einen Kranz geschickt und an die junge Witwe einen Brief, dass ihr der Weg in die Heimat ihres Mannes offenstünde. Voller Bitterkeit hatte sie diesen Brief im ersten Impuls zerrissen. Aber dann dachte sie an Sabine, an das kleine Mädchen, das der Vater so sehr geliebt hatte. Konnte sie dem Kind das verwehren, was ihm zustand? Sollte es dem Kind nicht endlich bessergehen? Auf einem Bauernhof mit all den Tieren, vielleicht würde der Schmerz um den geliebten Vater nachlassen.

So hatte Anita sich auf den Weg gemacht, auf den Weg in eine ungewisse Zukunft. Sie hatte das kleine Häuschen zurückgelassen, wo sie so glückliche Stunden verlebt hatte. Ihre Augen waren blind vor Tränen, sie sah die beiden Ringe an ihrer Hand in der Sonne blitzen. Warum hatte ihr der Herrgott das genommen, was sie am meisten liebte auf der Welt?

»Mama, ich hab Durst.« Ein Lockenkopf tauchte aus dem Leiterwagen auf, zwei dünne Ärmchen streckten sich ihr entgegen. Sie kniete neben dem Wagen nieder.

»Wir sind bald da, Schatzl, dort drüben bei dem Kirchturm, da ist der Hof von Oma und Opa. Die werden sich freuen, dich zu sehen. Da kriegst du auch was zu trinken …«

»Ist der Papa auch dort?«, fragte die Kleine, und ihre hellblauen Augen füllten sich mit Tränen.

Die Mutter wandte sich ab. »Der Vater ist im Himmel, Sabine, und er schaut auf uns beide herunter …«

»Ich kann ihn aber net sehen.« Die Kleine hatte angefangen zu weinen.

»Aber er sieht dich und mich, und deshalb dürfen wir net traurig sein.« Die Stimme der Frau erstarb. Sie zog den Wagen wieder an. Neugierig sah das Kind sich um. Das Dorf war viel größer als das, aus dem sie kamen. Kinder spielten am Wegrand und schauten neugierig auf den Wagen.

Einige liefen hinter ihm her und griffen nach der Hand des Kindes. Die Tränen waren versiegt, das Mädchen lachte schon wieder.

Anita hielt eines der Kinder an.

»Den Hartunghof suchen wir. Kannst du ihn uns zeigen?«

Der Junge nickte eifrig. »Gleich hinter der Kirche, du kannst ihn net verfehlen.«

Man konnte ihn auch nicht verfehlen, den Hartunghof, so stolz und majestätisch stand er da. Die Frau blieb stehen und hob das Kind aus dem Wagen.

»Da schau her, Sabinerl, das ist der Hof, von dem der Papa erzählt hat«, sagte sie leise.

»Ich hab Angst.« Die Kleine versteckte sich hinter der Mutter. »In einem so großen Haus mag ich net wohnen.«

»Aber geh, sie werden sich freuen, wenn sie dich sehen, also komm«, sagte die Frau und nahm die kleine warme Hand.

Das Mädchen trippelte neben ihr her. Der Hof vor dem Haus war sauber gekehrt, und von drinnen kamen Stimmen. Die Frau fühlte ihr Herz schneller schlagen. Wie sehr hatte ihr Mann, immer gehofft, sie eines Tages hier über die Schwelle führen zu können. Nun stand sie allein hier mit dem Kind an der Hand.

»Grüß Gott«, sagte sie scheu, als sie den hochgewachsenen Mann mit dem schütteren grauen Haar an der Tür stehen sah. Er hatte viel Ähnlichkeit mit dem Verstorbenen, nur, dass er um viele Jahre älter war. Sie hatte einige alte Fotografien gesehen, wenn sie nicht irrte, musste das sein Vater sein, der Hartung-Bauer.

Er sah sie misstrauisch an. Eine Fremde stand da vor ihm, dunkel gekleidet, mit dunklem Haar und ebensolchen Augen. Wahrscheinlich war sie eine von denen, die von Tür zu Tür gingen, um etwas zu verkaufen.

»Wir brauchen nix«, sagte er unfreundlich.

Die junge Frau wurde rot. Die Kleine hatte bis jetzt ruhig dagestanden. Jetzt wurden ihre Augen groß.

»Du bist mein Opa, gell«, sagte sie vertraulich und ließ die Hand der Mutter los.

»Sabine«, sagte die mahnend, doch da hatte der alte Mann schon gestutzt, von der Frau zum Kind gesehen und sich dann über die Augen gewischt.

»Du bist doch net …«

»Ich bin Anita Hartung«, sagte die Frau und reichte ihrem Schwiegervater die Hand. Er drückte sie nur kurz.

»So früh hat man euch net erwartet. Seid ihr mit der Bahn gekommen?«

»Die Mama hat mich im Wagen gezogen«, plauderte die Kleine drauflos. Sie schien an ihrem Großvater Gefallen gefunden zu haben.

»Dann kommt mit.« Er nahm das Kind an der Hand, um die Frau kümmerte er sich nicht mehr.

Anita folgte den beiden in die Küche. Zwei Frauen saßen dort, sie waren mit einer Näharbeit beschäftigt. Die ältere musste Reinhards Mutter sein. Sie trug dunkle Kleidung und hatte verweinte Augen. Die jüngere Frau daneben war hellblond und blass, hatte eine leicht gebogene Nase und einen stechenden Blick, mit dem sie den Besuch zu durchbohren schien.

Die kleine Sabine war wieder ruhig geworden. So viele fremde Menschen erschreckten sie. Verlegen steckte sie den Finger in den Mund und sah Hilfe suchend zu dem großen Mann hoch, der doch ihr Opa war.

»Hier ist dein Enkelkind, Mutter«, sagte der Mann rau. »Das ist Reinhards Kind.«

Die alte Frau sprang auf und sank vor dem Kind in die Knie. Mit beiden Armen umschlang sie die Kleine.

»O du armes Ding«, schluchzte sie immer wieder.

»Nimm dich zusammen!« Der Mann stieß sie unsanft an. »Was soll das Kind denn von dir denken? Sicher wird es Hunger und Durst haben.«

Die Frau stand auf und reichte Anita mit einem scheuen Lächeln die Hand.

»Willkommen auf dem Hartunghof«, sagte sie leise.

Von dieser Frau konnte der Hass nicht gekommen sein, das hatte Anita auf den ersten Blick erkannt. Wahrscheinlich war es der Bauer, der seinen Willen allen aufgedrängt und jedermann verboten hatte, Reinhard wieder in die Familie aufzunehmen.

Die junge Frau hatte ihre Näharbeit nicht aus der Hand gelegt. Immer wieder musterte sie Anita von oben bis unten mit einer gewissen Feindseligkeit.

»Das ist Rosemarie, Martins Frau«, sagte der Bauer kurz. »Wer Martin ist, weißt du ja wohl.«

Das wusste die junge Frau nur zu gut. Martin war Reinhards älterer Bruder, der einstige Erbe vom Hartunghof. Auch er hatte sich von ihm abgewandt, als er vor den Altar getreten war, um eine Magd zu heiraten.

»Grüß Gott«, sagte Anita und nickte der jungen Frau freundlich zu.

Die wandte ihr den Rücken zu, ohne den Gruß zu erwidern.

Die alte Bäuerin hatte Sabine Milch und ein dickes Butterbrot hingestellt, und Anita sah mit glücklichem Lächeln, wie es dem Kind schmeckte. Schon deshalb schien sich der weite Weg gelohnt zu haben. Zum ersten Mal an diesem Tag spürte sie, wie sehr ihre Beine schmerzten. Einen Stuhl hatte man ihr nicht angeboten.

»Ich muss mit dir reden«, sagte der Bauer, nachdem er eine Weile seiner Enkelin beim Essen zugesehen hatte.

Anita nickte. Es gab ja so viel zu sagen. Von Reinhard und dem Heimweh, das er immer nach dem Hof gehabt hatte. Es musste doch den Vater rühren, und an dem Kind konnte er gutmachen, was er an seinem Sohn versäumt hatte.

Die Stube, in die er sie führte, war karg eingerichtet. Beklommen setzte sich Anita auf die Bank. Der Alte hatte ihr gegenüber Platz genommen.

»Weswegen wir dich gerufen haben, kannst du dir denken«, sagte er unvermittelt und ließ sie nicht aus den Augen.

Anita fror trotz des milden Sommerabends.

»Ich habe euch am Tage der Beerdigung erwartet«, sagte sie leise. »Sabine und ich waren die Einzigen, die am Sarg gestanden haben.«

Der Bauer nickte. »Das hab ich net anders erwartet. In der Fremde bleibt man ein Fremder, das hätt er wissen müssen, der Reinhard, bevor er alles zurückgelassen hat.«

Anita senkte den Kopf, die Tränen wollten schon wieder hochsteigen. Sie hatte sie den ganzen Tag mühsam bekämpft.

»Er hat es für mich getan«, sagte sie tonlos, »wir haben uns sehr geliebt.«

»Geliebt«, brummte der Bauer, »was hat er jetzt von dieser Liebe? Nicht einmal sein Kind kann er heranwachsen sehen.«

Anita stand auf. Sie war nicht den weiten Weg gekommen, um sich beleidigen zu lassen.

»Ich hab geglaubt, du willst wiedergutmachen, was du an deinem Sohn gesündigt hast. Nur deshalb hab ich mich mit dem Kind auf den Weg gemacht. Aber anscheinend willst du mir deinen Hass nur persönlich zeigen. Ich werde wieder gehen, noch heute Abend.«

»Und was wird aus dem Kind?«, fragte er.

Sie sah ihn empört an, und ihre dunklen Augen blitzten. Eine schöne Frau, er musste es sich bei allem Unwillen eingestehen. Kein Wunder, dass Reinhard nicht an ihr vorübergehen konnte.

»Sabine nehm ich mit, hast du was anders erwartet? In einem Haus, wo man ihre Mutter net gut behandelt, wird auch sie net froh sein können. Das Kind ist alles, was ich hab.«

»Bleib noch eine Weile, ich hab dir einen Vorschlag zu machen. Deswegen auch der Brief, den du bekommen hast. Sabine ist unser Enkelkind, sie kann nix dafür, dass ihr Vater sich net so benommen hat, wie es sich für den Sohn vom Hartung-Bauern gehört hätte. Seit Jahrhunderten schon hat es keiner gewagt, eine Magd zur Bäuerin zu machen. Reinhard hat sich net an unsere ungeschriebenen Gesetze gehalten und ist verstoßen worden. Aber das Kind kann nix dafür, deshalb soll es net büßen für die Schuld des Vaters. Es soll auf dem Hof groß werden, denn es trägt seinen Namen. Es wird ihm an nix fehlen. Aber ich stell eine Bedingung.«

Anita war ruhiger geworden. Dieser Mann hat Schwächen, hatte sie erkannt, und diese Schwächen ließen sie erkennen, dass er nicht so hartherzig war, wie es schien.

»Ich hör sie mir an«, sagte sie.

»Wir haben hinter dem Haus, etwa fünfzig Meter entfernt, eine alte Scheune. Vor Jahren ist sie ausgebaut worden. Sie ist durchaus bewohnbar. Bis jetzt haben immer die Mägde darinnen gewohnt. Das soll deine Unterkunft sein, wenn du hierbleibst. Das ist meine Bedingung. Du sollst dort drüben wohnen und weiter als Magd arbeiten, wie du es gewohnt bist.«

»Als Magd? Ich bin doch Reinhards Frau.«

»Du warst eine Magd und wirst wieder eine sein, wenn es deinem Kind an nix fehlen soll. Du kannst es sehen, wann immer du willst, und es kann auch hinüberkommen, sooft du willst. Es soll seine Mutter net entbehren. Nur im Haus können wir dich net dulden, das musst du verstehen. Niemand im Dorf hat je erfahren, dass mein Sohn eine Magd geheiratet hat. Du musst uns dein Versprechen geben, es für dich zu behalten.«

»Sabine ist mein Ein und Alles. Ich hab den Mann verloren, den ich geliebt hab, nun dürft ihr mir net das Kind nehmen«, sagte die junge Frau und warf den Kopf in den Nacken. Für Reinhards Fleisch und Blut musste sie kämpfen.

»Du hast Zeit zum Überlegen, aber ich bitt dich, denk an das Kind. Sabine wird aufwachsen, wie es sich für das Kind eines Hartung-Bauern gehört, aber nur, wenn du vernünftig bist. Behältst du deinen Starrsinn, dann wird es ein armseliges Leben sein, das sie führen muss.«

Der Bauer hielt die Aussprache für beendet, jedenfalls ließ er mit einem kurzen Kopfnicken die junge Frau allein.

Anita stand wie angewurzelt. Den Empfang hatte sie sich anders vorgestellt. Jetzt wusste sie, dass es den Schwiegerleuten nur um das Kind ging, um Sabine. Wegen des Kindes waren sie dazu bereit, sie als Magd auf dem Hof arbeiten zu lassen. Wenn der geliebte Mann das miterlebt hätte, dass sie auf dem Hof des Vaters nur geduldet war.

Sie musste wieder fort, noch am selben Abend. Draußen vor der Tür stand der kleine Leiterwagen. Wenn sie wenigstens das nächste Dorf noch erreichte …

Die Tür öffnete sich, und ein kleines blondes Mädchen streckte seinen Kopf herein.

»Es ist so schön hier, Mami, dürfen wir bleiben? Ich bin so müde und möcht nimmer fort«, piepste eine helle Stimme, und zwei dünne Ärmchen legten sich um sie.

Sie strich über das dichte Blondhaar und wusste im gleichen Augenblick, dass sie sich gegen das harte Schicksal nicht auflehnen durfte. Sabines Heimat war hier, sie musste ihr diese Heimat erhalten, gleichgültig, welches Opfer sie selber dafür bringen musste.

***

Viktor Martens saß kopfschüttelnd über einem Stoß von Heften. Hier in der fast immer unleserlichen, fehlerhaften Schreibweise seiner Schüler merkte er stets, welche Jahreszeit sie hatten. Und er konnte es ihnen nicht verdenken, dass bei diesem heißen Wetter die kleinen Gehirne nicht so arbeiten konnten, wie es wünschenswert gewesen wäre. Heute hatte er ihnen nach der Pause freigegeben, und lachend und jubelnd waren vierzig kleine Buben und Mädchen aus dem alten Schulhaus gelaufen.

Er selber saß in der Laube seines kleinen Häuschens und schaute sehnsüchtig hinauf, wo sich über seinem Kopf die Rosen rankten. Auch er wäre gern woanders gewesen als hier über seinen Heften. Drunten am See zum Beispiel, dessen Fluten selbst jetzt im heißesten Sommer angenehm kühl waren. Oder noch lieber im Schatten des Wirtsgartens vom Moserwirt, wo zwei blaue Augen jedes Mal aufleuchteten, wenn er dort sein Glas Bier trank.

Er überlegte, wie lange es her war, seit dem Tag, an dem er sich in die braunhaarige Kathrin verliebt hatte. Eigentlich hatte sie ihm schon immer gut gefallen, mit ihrer Stubsnase und den lustigen Sommersprossen im runden Gesicht. Der Moserwirt hatte nur eine Tochter, und er hatte es sich nicht nehmen lassen, ihr eine Geburtstagsfeier auszurichten, von der man im Dorf noch lange sprach. Einen ganzen Ochsen hatten sie draußen im Garten gebraten, und die Musikkapelle hatte bis spät in die Nacht gespielt. Zu einem Tanz mit ihr war es gar nicht gekommen, die jungen Burschen hatten sich förmlich um sie gerissen.

Aber dann, als er zu später Stunde draußen auf der Straße gestanden und in den Sternenhimmel geschaut hatte, da war sie plötzlich neben ihm gewesen. Ihre blauen Augen hatten geleuchtet, und ihre kleine Hand hatte die seine gesucht.

»Der Trubel ist mir zu viel geworden«, hatte sie gemeint, »nur hier draußen merkt man, wie schön die Nacht ist.«

Er hatte diese Hand an seine Lippen geführt und gefühlt, wie sie zitterte.

»Es ist die Nacht in ein neues Lebensjahr, Kathrin.«