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Der Wildschütz von der Geierwand - Kann er das Herz der Sennerin gewinnen?
Von einem Tag auf den anderen gerät Margots beschauliches Leben aus den Fugen. Plötzlich steht ein fremder Mann mit einem kleinen Madl vor ihrer Almhütte und bittet sie um Hilfe. Ein Streifschuss hat ihn schwer am Arm verletzt.
Margot dämmert es bald, dass dieser Mann der Wilderer sein muss, der in den Wäldern sein Unwesen treibt. Und gewiss hat kein anderer als ihr Verlobter, der Jäger Stefan Moser, auf ihn geschossen.
Dennoch beschließt sie, den Fremden nicht zu verraten, sondern ihm zu helfen. Und während sie die Wunden versorgt, verliebt sie sich unsterblich in den geheimnisvollen Mann mit dem großen Schlapphut und den dunklen Augen ...
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Seitenzahl: 147
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Der Wildschütz von der Geierwand
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-6758-4
www.bastei-entertainment.de
Der Wildschütz von der Geierwand
Kann er das Herz der Sennerin gewinnen?
Von Maria Fernthaler
Von einem Tag auf den anderen gerät Margots beschauliches Leben aus den Fugen. Plötzlich steht ein fremder Mann mit einem kleinen Madl vor ihrer Almhütte und bittet sie um Hilfe. Ein Streifschuss hat ihn schwer am Arm verletzt.
Margot dämmert es bald, dass dieser Mann der Wilderer sein muss, der in den Wäldern sein Unwesen treibt. Und gewiss hat kein anderer als ihr Verlobter, der Jäger Stefan Moser, auf ihn geschossen.
Dennoch beschließt sie, den Fremden nicht zu verraten, sondern ihm zu helfen. Und während sie die Wunden versorgt, verliebt sie sich unsterblich in den geheimnisvollen Mann mit dem großen Schlapphut und den dunklen Augen …
Die Abkühlung nach dem Gewitter tat der Natur gut, denn seit einigen Wochen hatte in den Tälern und auf den Bergen eine starke Hitze geherrscht.
Es war August, und für diese Jahreszeit war es recht ungewöhnlich, dass Schnee auf die Felsen oberhalb der Branneralm gefallen war. Einen richtigen Schneesturm hatte es gegeben, und die junge Sennerin sah staunend auf die weiße Pracht ringsherum. Gerade noch rechtzeitig hatte sie die Kühe in den Stall bringen können, da war das Unwetter auch schon hereingebrochen.
Margot seufzte und schaute auf ihre Wäsche. Die hatte sie hängen lassen müssen, weil die Tiere wichtiger gewesen waren. Und nun waren die Wäschestücke wieder durch und durch nass. Sie musste sie abnehmen, denn es sah nicht aus, als würden sie an der Luft trocken werden. Die Sennerin war ärgerlich, denn die Arbeit zweimal zu machen, dafür hatte sie eigentlich keine Zeit.
Jetzt, im Hochsommer, ging es den ganzen Tag wie im Taubenschlag zu in ihrer Almhütte. Bergsteiger kamen und gingen, ein jeder suchte etwas Kaltes zu trinken und einen schattigen Platz zum Ausruhen. Sonst hatte Margot immer den Pepperl, ihren jüngsten Bruder, mit oben gehabt, aber heuer war der Vater dagegen gewesen. Pepperl war jetzt groß genug, dass er unten auf dem Hof helfen konnte.
Sie vermisste Pepperl schon manchmal, besonders am Abend, wenn Stefan einmal keine Zeit hatte, um sie oben auf dem Berg zu besuchen. Der Moser-Stefan war vor zwei Jahren als Hilfsjäger ins Dorf gekommen, und er hatte sich gleich beim ersten Tanzabend in die jüngste Tochter vom Brannerbauern verliebt.
Und jetzt trug das bildsaubere Madl einen goldenen Ring vom Stefan am Finger.
Margot liebte ihren Stefan von ganzem Herzen und war manchmal recht unruhig, wenn er so weit weg war von ihr. Denn in seiner grünen Uniform, hochgewachsen und braun gebrannt, sah er schon fesch aus, das erkannten auch andere Madln.
Deshalb war Margot froh, wenn der Vater sie im Herbst wieder hinunter ins Dorf holen würde, weil sie da dem Liebsten näher war.
Wenn alles gut ging, musste sich der alte Branner übers Jahr eine neue Sennerin auf seine Alm holen, denn Stefan und Margot wollten nicht mehr länger aufeinander warten. Und sobald der alte Jäger sich auf das Altenteil zurückziehen würde und Stefan an seine Stelle treten konnte, sollte die Hochzeit sein. Denn dann verdiente er gut genug, um für zwei sorgen zu können.
Margot hatte gerade die letzten nassen Tücher in ihren Korb gelegt, als zwei starke Arme sie umfassten.
»Schatzl!« Sie drehte sich um und schlang beide Arme um den Hals des Mannes, der sie lachend in die Luft hob.
»Gott sei Dank ist dir nix passiert, Margot! Deswegen bin ich gleich von der Edelweißspitze herübergestiegen. So ein Unwetter hab ich noch net erlebt.« Er presste sie an sich und küsste sie, dass ihr die Luft ausging. »Wenn du net bald hinunterkommst, sterb ich vor Sehnsucht.«
»Komm, gehen wir in die Hütte, es ist kalt heraußen«, sagte sie, und er nahm ihr den schweren Korb ab. In dem einfachen Holzhaus war es gemütlich warm. Das Feuer im Ofen prasselte, und Margot schob rasch noch ein paar Scheite nach.
Stefan hatte seinen Rucksack mit dem Gewehr auf die Holzbank gestellt und schnürte jetzt seine schweren Bergstiefel auf.
»Ich soll noch zur Geierwand hinüberschauen. Im Berghaus hat man in der Nacht Schüsse gehört. Und ein paar Böcke gehen auch ab. Wie mir scheint, ist da ein ganz gerissener Wilderer am Werk.«
Margot setzte erschrocken den Teekessel ab.
»Zur Geierwand kommst du heut nimmer, Stefan. Es ist gleich drei Uhr und der Weg verschneit und glatt. Sei gescheit und bleib hier. Was nützt es dir, wenn du den Wilderer kriegst und verunglückst dabei?« Sie setzte sich neben ihn und strich ihm eine Strähne seines dichten schwarzen Haares aus der Stirn.
»Einmal so einen Kerl zu erwischen, das ist der Stolz eines jeden Jägers! Erst dann wird er anerkannt.«
Der junge Mann war mit Leib und Seele Jäger. Die Natur, die Berge und Wälder, ihnen gehörte seine Liebe. Und er konnte es sich nur schwer vorstellen, dass es Menschen gab, denen dies nichts bedeutete. So wie dem Wilderer, dem seit Sommerbeginn sämtliche Jäger und Förster aus den Dörfern im Umkreis auf der Spur waren. Wenn es ihm gelang, den Kerl zu erwischen, dann gnade Gott dem Lumpen.
»Wir wissen alle, dass du ein guter Jäger bist, Stefan. Das hast du schon oft genug bewiesen. Aber bitte, tu mir den Gefallen und steig nimmer in die Wand. Wenn die da oben wirklich Schüsse gehört haben, dann war das in der Nacht, und jetzt ist der Kerl schon über alle Berge.«
»Aber er wird wiederkommen, und das muss er, solange es hell ist, Margot. Er versteckt sich, bis es dunkel wird, sicher in einem Felsenvorsprung. Deswegen muss ich hinüber, verstehst du.«
»Nein, das versteh ich net. Aber ich will dich auch net aufhalten. Tu, was du net lassen kannst. Kommst du dann am Abend noch einmal vorbei?«
Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie zuerst auf die kleine Stupsnase, dann auf den Mund.
»Ich werde im Berghaus bleiben, Schatz. Dann kann ich gleich in der Früh wieder los. Mach kein Gesicht, ich komm morgen und möchte ein gescheites Frühstück.«
»Ja, gut. Ich begleite dich ein Stückl, denn ich will im Wald noch ein paar Zweige sammeln«, erwiderte Margot und band ein buntes Kopftuch um die langen braunen Haare. Stefan hatte seinen Rucksack genommen und sah sich noch einmal in der Stube um.
»Hoffentlich lässt er dich in Ruh! Verriegle die Tür, wenn du nimmer raus musst. Wer weiß, was so einem Kerl einfällt!«
Das Mädchen lachte silberhell auf und griff nach seiner Hand.
»Das fünfte Jahr bin ich nun schon hier oben, und noch ist mir keiner hereingekommen, den ich net wollen hab.«
Es hatte wieder angefangen zu regnen, und oben, wo der Schnee eben noch gelegen hatte, sah man wieder den kahlen Felsen. Stefan zog seine Kapuze hoch.
»Bei dem Wetter siehst du keine fünf Meter. Und da soll man einen Wilderer erwischen! Noch dazu so einen gerissenen. Wirst sehen, ich hab heut auch wieder kein Glück.«
Margot ging mit bis zum Wald, da nahm er sie noch einmal in die Arme.
»Vergiss mich net«, flüsterte Stefan und presste sie an sich.
Margot hielt ihn fest und hatte auf einmal furchtbare Angst.
»Komm gesund wieder, Schatz, ich …«
Er legte ihr die Hand auf den Mund.
»Sag’s net! Ich denk an dich, und dann passiert mir schon nix.«
Ein letzter Kuss, dann war Margot allein. Ihre Hände umklammerten den Korb, und sie hätte weinen mögen vor Angst. Wenn es ein Leben lang so ging, dass sie immer um ihn zittern musste – der Gedanke war alles andere als schön.
Margot ging tiefer in den Wald hinein. Dort war der Regen nicht hingekommen und das Holz trocken. Plötzlich hörte sie ein seltsames Geräusch.
***
Ungefähr eine halbe Stunde von der Branneralm entfernt stand mitten im Wald eine verfallene Holzhütte. Dort hatten früher die Holzfäller ihre Nächte verbracht, wenn ihnen der Abstieg zu gefährlich gewesen war.
Nun hatte schon seit Jahren keiner mehr darin gewohnt, denn das Holz war morsch und das Dach undicht geworden. Auf der anderen Seite des Berges hatte man eine neue Hütte mit mehreren Räumen gebaut, die schön eingerichtet war.
An die alte Hütte dachte keiner mehr. Das kleine Mädchen, das mit gefalteten Händen drinnen in dem ungeheizten kalten Raum saß, fror erbärmlich und hatte obendrein große Angst. Als der Donner über den Berg gebraust war, hatte es sich an die Wand gedrückt und laut um Hilfe gerufen. Aber niemand hatte es gehört, und niemand war gekommen.
Längst waren das Brot und die Milch aufgebraucht, die der Vater ihr zurückgelassen hatte. Der kleine Magen knurrte erbärmlich. Sie hatte dem Vater versprechen müssen, nicht wegzulaufen, bis er wiederkam. Es war nicht das erste Mal, dass er sie hierhergebracht hatte, in die kalte Hütte.
Wenn er doch nur endlich käme und sie abholte! Sie hatte Angst, das Gewitter würde noch einmal zurückkommen. Und bis zum Abend war es sicher auch nicht mehr lange. Kurz entschlossen öffnete sie die Tür und erschrak, als sie nichts als den dunklen Wald um sich herum sah. Trotzdem wagte sie einen Schritt hinaus ins Freie.
Neben dem schmalen Pfad, der zu der Hütte führte, wuchsen Blaubeeren. Über das bleiche Gesicht des Mädchens glitt ein Lächeln. Sie kniete sich nieder, um die Beeren zu pflücken. Dass sie sich dabei immer weiter von der Hütte entfernte, merkte sie gar nicht.
Erst als der größte Hunger gestillt war, sah das Mädchen auf. Ringsumher Wald, und kein Holzhaus war mehr zu sehen! Sie erschrak heftig. Sicher war der Vater schon zurückgekommen und hatte das Haus leer vorgefunden. Und ganz bestimmt würde er wütend werden, sie vielleicht sogar schlagen.
Die Angst vor seinem Zorn war so schlimm, dass die Kleine anfing zu weinen. Sie lief durch das Dickicht und hoffte einen Weg zu finden, aber vergebens. Längst hatte sie sich die dünnen Ärmchen zerkratzt, und die Füße taten ihr weh.
Schließlich kam sie zu einer Waldlichtung, wo eine Frau in einem bunten Kleid und mit einem Kopftuch Holz in einen Korb sammelte.
Der Vater hatte ihr verboten, mit anderen Menschen zu sprechen, doch das hatte die Kleine jetzt vergessen. Sie lief über das weiche Moos, bis sie vor dem jungen Mädchen stand, das sie überrascht ansah.
Das Mädchen war bestimmt nicht älter als höchstens sechs Jahre. Es trug eine Kleidung, die so gar nicht zu dieser Umgebung passen wollte. Eine karierte, enge, moderne Hose, dazu einen passenden Pullover. Darüber einen fast eleganten dunkelblauen Mantel mit Goldknöpfen.
Es war ein hübsches Mädchen mit großen dunklen Augen unter einem silberblonden Pony. Die langen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz hochgebunden. Der kleine schmale Mund war über und über blau, und man sah, dass ihr die Beeren geschmeckt hatten.
»Wie kommst du denn hierher? Und wer bist du?« Margot versuchte die Kleine in die Arme zu nehmen, doch da wich das Mädchen erschrocken zurück.
»So lauf doch net weg, ich will dir nix tun.« Die junge Sennerin sah, dass das Kind völlig verschüchtert war.
Sicher war es das Kind von Urlaubsgästen, und es hatte sich im Wald verlaufen. Am besten war es, sie nahm es mit zur Hütte und gab es morgen dem Stefan mit hinunter ins Dorf.
»Jetzt komm erst mal mit, sicher hast du Hunger und Durst.« Sie wollte das Mädchen an die Hand nehmen, doch die Kleine blieb stehen und schüttelte den Kopf.
Jetzt war Margot mit ihrem Latein am Ende. Sie konnte das Kind doch nicht mutterseelenallein hier zurücklassen!
»Ich muss zurück zu meinen Tieren. Wenn ich fort bin, bist du ganz alleine im Wald, und bald wird es dunkel«, sagte sie eindringlich.
Das Mädchen schaute sie mit seinen dunklen Augen ängstlich an, ohne etwas zu erwidern.
»Sag mir wenigstens deinen Namen«, bat Margot.
»Evi.« Es klang sehr leise, und doch atmete das junge Mädchen auf. Sie hatte schon Angst gehabt, die Kleine wäre womöglich stumm.
»Das ist ein schöner Name. Ich heiße Margot. Drüben, nicht weit von hier, wohne ich den Sommer über und habe viele Tiere zu betreuen. Wenn du mit mir kommst, will ich sie dir alle zeigen.«
Die hohen Tannenwipfel rauschten, und es wurde langsam dämmrig. Das kleine Mädchen schien zu überlegen und nickte zaghaft.
»Aber ich kann net lang bleiben«, sagte sie, »ich muss wieder zur Hütte zurück.«
»Zu was für einer Hütte?«
Evi biss sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf, als hätte sie schon zu viel gesagt. Als Margot aber die kleine kalte Hand nahm, fühlte sie sich einigermaßen beruhigt und ging mit.
Sie traten hinaus auf die Almwiese. Margot schaute hinauf zur Geierwand und dachte an ihren Liebsten.
Die Kleine wollte zuerst in den Stall, und bereitwillig führte die junge Sennerin sie zwischen den einzelnen Kühen umher und nannte von jeder den Namen.
»Jetzt komm, Evi, du frierst ja, ich mache dir ein Glas heiße Milch.«
In der Stube war es gemütlich warm, und die Kleine setzte sich dicht an den Ofen. Hier war es viel schöner als in der Hütte, in die sie der Vater immer brachte. Mit Schaudern dachte sie daran, dass er sie bestimmt schon suchen würde.
Margot stellte ein Glas heiße, dampfende Milch vor sie hin und eine große Scheibe Brot mit goldgelber Butter.
»Nun iss schön, Evi, und dann wollen wir überlegen, was wir mit dir anstellen. Du musst die Nacht hier bei mir bleiben, gehen lasse ich dich auf keinen Fall mehr. Wie alt bist du denn?«
»Fünf, aber im Winter werde ich schon sechs«, sagte die Kleine kauend.
»Wenn du dein Brot aufgegessen hast, erzählst du mir, wie du in den Wald gekommen bist und wo deine Eltern sind, ja?«
Die Kleine legte ihr Brot zurück auf den Teller.
»Das kann ich net, nein bitte, das kann ich net!« Die Augen hatten sich wieder mit Tränen gefüllt. Beruhigend strich die junge Sennerin über das blonde gelockte Haar des Kindes.
»Nun, dann nicht, vielleicht erzählst du es mir morgen, ja?«
Margot konnte sich nicht erklären, wie das Kind in diese Gegend kam. Es sprach zwar den Dialekt des Tales, und doch hatte sie es noch nie gesehen. Aber sie sollte noch am selben Abend alles erfahren, ja, mehr noch, Margots Leben änderte sich mit diesem Tag auf recht seltsame Weise.
***
Das Kind schlief nach dem Essen vor Ermüdung ein. Margot legte ihm ein Kissen unter den Kopf und holte von ihrem Bett eine Decke. Dann setzte sie sich mit ihrer Handarbeit neben das schlafende Kind, das im Traum glücklich und gelöst aussah. Wer konnte so ein Kind mutterseelenallein im Wald herumirren lassen?
Draußen pfiff der Wind, und Margot war froh, dass das Vieh bereits versorgt war und sie nicht mehr hinaus in die Kälte musste. Es hatte wieder angefangen zu regnen, und der Sturm peitschte die Tropfen gegen die Fenster. Sie wollte aufstehen, um die Läden zu schließen, doch im selben Augenblick fuhr sie herum, denn eine hochgewachsene Männergestalt stand in der offenen Tür.
»Wo ist das Kind?«, fragte der Mann rau und ging zu der Ofenbank, wo Evi friedlich schlief. Rücksichtslos riss er sie in die Höhe und schrie: »Ich hab dir doch verboten wegzulaufen. Strafen sollt ich dich, und zwar …«
Plötzlich stand Margot zwischen ihm und Evi, die in ein erschrockenes Weinen ausgebrochen war und sich eng an die junge Frau schmiegte.
»Nichts werden Sie ihr tun, sondern sofort meine Hütte verlassen«, sagte sie ruhig und mit kalter Stimme.
Erst jetzt sah sie das Gesicht des Fremden mit den schwarzen Bartstoppeln unter dem breitrandigen Schlapphut. Zwei dunkle Augen starrten sie finster an. Der Mann verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen.
»Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen widersprechen muss, meine Teuerste, aber dieses Kind ist meine Tochter, und was mit ihr geschieht, bestimme ich ganz alleine.«
»Evi mag Ihre Tochter sein, aber es ist strafbar, ein so kleines Kind mitten im Wald allein zu lassen«, sagte Margot und drückte das zitternde Mädchen an sich.
»Was hat Evi Ihnen erzählt? Es ist alles gelogen«, gab der Mann zurück und sah das Mädchen an.
»Gar nix hat sie mir erzählt, leider. Sonst würde ich Sie anzeigen unten beim Gendarmen. Und ich werde es trotzdem tun, wenn Sie der Kleinen etwas tun. Ich habe sie in meine Hütte genommen, weil sie sich verlaufen hatte. Das ist alles.«
Der Fremde schien sich beruhigt zu haben. Er ließ sich auf die Ofenbank fallen und zog Evi an sich.
»Ich habe Angst gehabt, das weißt du doch«, sagte er mit plötzlich ganz leiser, ruhiger Stimme und küsste die Kleine auf die Stirn. Sie hatte Margot losgelassen und schlang nun die dünnen Arme um den Hals ihres Vaters.
»Du warst so lange fort, und ich wollte nur Beeren holen«, erklärte sie.
»Darf ich Ihnen eine heiße Milch anbieten?« Die junge Sennerin sah, dass der Mann bis auf die Haut durchnässt war. Er schaute sie einen Augenblick lang prüfend an, und sie wusste selbst nicht, warum dieser Blick sie rot werden ließ.
»Nein danke, wir müssen gehen. Wir wollen noch heute ins Tal hinunter.«
»Bei dem Wetter? Evi wird sich erkälten.«
»Ich habe schon einmal gesagt, was mit dem Kind geschieht, bestimme ich.« Jetzt war seine Stimme wieder zornig und laut. »Und Sie vergessen am besten, dass Sie uns heute hier gesehen haben. Wenn Sie etwas für Evi tun wollen, dann halten Sie den Mund. Es soll uns keiner hier oben sehen.«