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Elisa Beck betritt ihre winzige Wohnung und schleudert ihre Tasche auf das abgenutzte Sofa. Ein aufreibender Arbeitstag liegt hinter ihr. Warum muss man Frauen das Leben immer so schwer machen? Obwohl sie sich weitergebildet hat, ist ihr nichts anderes übrig geblieben, als in der Kreisstadt an einer Supermarktkasse zu arbeiten. Ihr gutes Aussehen ist dort keineswegs ein Vorteil. Die älteren Frauen beneiden sie darum und bedenken sie mit boshaften Bemerkungen, die Männer neigen eher zu Anzüglichkeiten.
Und heute hat der Marktleiter sie auch noch in der Umkleide belästigt! Wäre nicht eine Kollegin dazugekommen, hätte sie sich kaum noch zur Wehr setzen können. Und genau diese Kollegin hat später behauptet, sie, Elisa, hätte sich mit dem Marktleiter eingelassen, um sich dadurch Vorteile zu verschaffen.
Die schöne Elisa, ja, so nennen sie alle, und doch hat ihr diese Schönheit kein Glück gebracht. So sehr sie sich auch bemüht, ist sie gerade deswegen beruflich immer wieder gescheitert. Doch warum soll sie ihre Schönheit nicht benutzen und versuchen, einen reichen Mann zu finden, der sie heiraten will?
Je mehr Elisa darüber nachdenkt, desto mehr kommt sie zu der Erkenntnis, dass dies die einzige Möglichkeit ist, ihrer unerträglichen Lebenssituation ein Ende zu setzen ...
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Seitenzahl: 138
Cover
Der Preis der Liebe
Vorschau
Impressum
Der Preis der Liebe
Zwei junge, vom Schicksal benachteiligte Menschen kämpfen um ihr Glück
Von Rosi Wallner
Elisa Beck betritt ihre winzige Wohnung und schleudert ihre Tasche auf das abgenutzte Sofa. Ein aufreibender Arbeitstag liegt hinter ihr. Warum muss man Frauen das Leben immer so schwer machen? Obwohl sie sich weitergebildet hat, ist ihr nichts anderes übrig geblieben, als in der Kreisstadt an einer Supermarktkasse zu arbeiten. Ihr gutes Aussehen ist dort keineswegs ein Vorteil. Die älteren Frauen beneiden sie darum und bedenken sie mit boshaften Bemerkungen, die Männer neigen eher zu Anzüglichkeiten.
Und heute hat der Marktleiter sie auch noch in der Umkleide belästigt! Wäre nicht eine Kollegin dazugekommen, hätte sie sich kaum noch zur Wehr setzen können. Und genau diese Kollegin hat später behauptet, sie, Elisa, hätte sich mit dem Marktleiter eingelassen, um sich dadurch Vorteile zu verschaffen.
Die schöne Elisa, ja, so nennen sie alle, und doch hat ihr diese Schönheit kein Glück gebracht. So sehr sie sich auch bemüht, ist sie gerade deswegen beruflich immer wieder gescheitert. Doch warum soll sie ihre Schönheit nicht benutzen und versuchen, einen reichen Mann zu finden, der sie heiraten will?
Je mehr Elisa darüber nachdenkt, desto mehr kommt sie zu der Erkenntnis, dass dies die einzige Möglichkeit ist, ihrer unerträglichen Lebenssituation ein Ende zu setzen ...
Julian Aichner wurde von lautem Geschrei und Gepolter aus dem Schlaf gerissen, wahrscheinlich stritt sich das Paar in der Nachbarwohnung wieder einmal heftig.
Er setzte sich auf und sah auf den Wecker, um festzustellen, dass es noch viel zu früh zum Aufstehen war. Sicher war der Ehemann wieder einmal betrunken nach Hause zurückgekehrt, sodass sich darüber der heftige Streit entzündet hatte.
Ergeben ließ sich Julian wieder in die Kissen zurücksinken, in der Hoffnung, dass bald wieder Ruhe einkehren würde, denn er brauchte dringend noch ein paar Stunden Schlaf. Doch die beiden lärmten unverdrossen weiter, einmal schien etwas auf dem Boden zu zersplittern, was einen gellenden Aufschrei zur Folge hatte.
Wie hatte es nur so weit mit ihm kommen können, dass er nun in einem winzigen Zimmer in einem Hochhaus in Neuperlach hauste!
Unwillkürlich gingen seine Gedanken in die Vergangenheit zurück. Julian wuchs als Heimkind auf, seine Eltern waren bei einem Hausbrand ums Leben gekommen, und es fand sich kein Verwandter, der das verwaiste Kind bei sich aufgenommen hätte. Zudem hatten die Eltern hohe Schulden angehäuft, sodass der Verkauf der Wiesen und Äcker – sie hatten ein kleines Gütl besessen – sie gerade abgedeckt hatten. Ihr kleiner Sohn, der nur durch die Aufmerksamkeit eines Feuerwehrmanns aus dem brennenden Haus gerettet worden war, hatte also kein Erbe zu erwarten.
Julian hatte keine Erinnerung an seine Eltern. So war das Heim, das von Nonnen geleitet wurde, zu seinem Zuhause geworden. Es war ein Zuhause, in dem er sich in all den Jahren wohlgefühlt hatte. Die Mutter Oberin hatte ihn in ihr Herz geschlossen, und er hatte ihre Zuneigung erwidert. Sie hatte ihn gefördert und dafür gesorgt, dass er in das benachbarte Konvikt gekommen war, ein Internat, wo er bis zum Abitur geblieben war.
Doch seiner Mutter Oberin war er treu geblieben. In seiner Freizeit hatte er im weitläufigen Klostergarten gearbeitet, wo es Obstbäume gab und Gemüse angebaut wurde. Unter der Aufsicht eines mürrischen Gärtners hatte er alles gelernt, was es darüber zu wissen gab, selbst die Bäume konnte er zuletzt fachgerecht schneiden.
Dann aber war die Mutter Oberin verstorben, und mit ihrem Tod hatte Julian den einzigen Menschen verloren, der ihm nahe gestanden hatte. Er war nach München gezogen, um ein Studium zu beginnen, das er jedoch wieder aufgegeben hatte, weil er kein rechtes Interesse dafür aufbringen konnte. Außerdem hatten sich die anderen über den weltfremden jungen Mann lustig gemacht, und er hatte ihrem Spott nichts entgegenzusetzen.
Schließlich hatte er sich nach dem Verlust seines Stipendiums mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser gehalten, was ihn schließlich dazu gezwungen hatte, vom Studentenwohnheim nach Neuperlach zu ziehen, wo er sich denkbar unglücklich fühlte.
Julian zuckte zusammen, als die Schreie noch lauter wurden, weil sich offenbar ein anderer Nachbar eingemischt hatte. Hoffentlich musste nicht wieder die Polizei anrücken, um die Streithähne auseinanderzuzerren.
Julian stand auf und bereitete sich eine Tasse Tee zu. Und während in der Nachbarwohnung der Lärm unvermindert weiterging, setzte er sich ans Fenster und starrte in den nachtdunklen Himmel.
Eine tiefe Trostlosigkeit ergriff von ihm Besitz. Seine Vorfahren waren alle Bauern auf eigenem Grund und Boden gewesen, eigenständig und stolz. Auch er hatte Bauernblut in den Adern, am liebsten hielt er sich draußen auf, hier fühlte er sich gefangen. Doch ohne Landbesitz konnte er nicht in die Heimat seiner Eltern zurückkehren, das wusste er.
Als es draußen hell wurde, brach er auf und fuhr mit dem Bus zu dem Gewerbegebiet, wo er in einem großen Elektronikmarkt beschäftigt war. Eine öde Arbeit, die er jedoch zur vollen Zufriedenheit des Leiters und der Kunden verrichtete. Aber Julian war von nagender Unzufriedenheit erfüllt, fühlte sich im falschen Leben
Doch dann sollte etwas geschehen, was alles veränderte.
***
Als er eines Abends den Briefkasten öffnete, wollte er den Inhalt, der hauptsächlich aus Reklamesendungen bestand, schon wegwerfen, als er dazwischen ein größeres Kuvert entdeckte, das amtlich wirkte. Ohne es zu öffnen, stieg er mit einem bangen Gefühl die mit Müll bedeckte Treppe zu seiner Behausung hoch, der Aufzug war einmal wieder ausgefallen.
Nachdem er die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, riss er das Kuvert auf und überflog den Text. Das Schreiben enthielt die Bitte, dass er bei einem Notar in einer Kreisstadt, woher seine Eltern stammten, vorsprechen sollte. Worum es sich handelte, war nicht angegeben, sodass Julian keine besonderen Hoffnungen daran knüpfte.
Aber er nahm sich an dem Tag frei und machte sich auf den Weg, sodass er nach mehrmaligem Umsteigen gerade noch rechtzeitig bei dem Notar anlangte. Dort wurde er überaus freundlich empfangen.
Man bot ihm Getränke und Gebäck an, nachdem er vor einem gewaltigen Schreibtisch aus schimmerndem Holz Platz genommen hatte. Auch die Wände waren teilweise mit Holz getäfelt, an beiden Seiten zogen sich Regale entlang, die Fachbücher enthielten.
Julian fühlte sich eingeschüchtert, noch nie hatte er einen solch prächtigen Raum gesehen. Doch das freundliche Lächeln seines Gegenübers, eines älteren Mannes mit gutgeschnittenen Zügen, dessen Kleidung dezent, aber kostspielig war, ließ ihn sein inneres Gleichgewicht wiederfinden.
»Es geht um eine Erbschaftsangelegenheit«, eröffnete der Notar sachlich den Termin.
»Ich habe keine Verwandten mehr«, erwiderte Julian erstaunt.
»Doch. Es gab einen Großonkel, doch Sie konnten angesichts seiner häuslichen Situation nicht bei ihm untergebracht werden. Nun ist er verstorben, und da er keine eigenen Nachkommen hat, sind Sie der Haupterbe«, erklärte der Notar.
Julian schwieg.
»Sie werden sicher wissen wollen, was Sie geerbt haben«, sagte der Notar schließlich und ordnete die Papiere, die vor ihm lagen.
»Nun ja«, stammelte Julian unbeholfen.
»Da wäre zunächst ein Gehöft außerhalb Ihres ursprünglichen Heimatdorfs, ein nicht unerheblicher Betrag auf einem Festgeldkonto und vor allem eine Lebensversicherung, die an Sie ausbezahlt werden soll. Den genauen Betrag habe ich allerdings noch nicht in Erfahrung gebracht«, schloss er.
Ein jäher Schwindel überkam Julian. Sollte es wirklich wahr sein, dass er einen Hof erbte? Dass sich seine kühnsten Träume erfüllen würden?
»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte der Notar besorgt, denn Julian war tief erblasst und umklammerte die Lehnen des Sessels.
»Das kommt alles so überraschend«, brachte Julian hervor.
»Ihr Großonkel hat Ihnen auch einen Brief hinterlassen«, sagte der Notar und reichte ihm einen Umschlag, auf dem mit zittriger Handschrift »Für Julian« stand.
»Ich werde ihn später zu Hause lesen«, sagte Julian und nahm das Schreiben an sich.
Der Notar nickte, dann musste Julian zahlreiche Unterschriften leisten, zum Zeichen, dass er das Erbe annahm.
»So, das wäre alles. Über das Konto können Sie schon jetzt verfügen, die Lebensversicherung wird in absehbarer Zeit ausbezahlt, wenn Sie die notwendigen Unterlagen eingereicht haben. Dabei kann ich Ihnen gerne behilflich sein.«
»Und das Gehöft? Kann ich dort wohnen?«, fragte Julian nach.
»Ihr Onkel hat bis zuletzt dort gewohnt. Meine Mitarbeiterin kann Sie gerne hinfahren«, bot der Notar Julian an und überreichte ihm mehrere Schlüssel.
»Nein, nein, ich finde schon allein hin«, versicherte Julian schnell.
»Das verstehe ich«, meinte der Notar und lächelte.
Julian bedankte sich, ein neuer Termin wurde vereinbart, dann verließ er das Gebäude.
Wie im Traum machte er sich auf die Heimfahrt und stieg die Treppe zu seinem Zimmer hoch, wo er von Halbwüchsigen angerempelt wurde, die ihn mit wüsten Schimpfwörtern bedachten. Er hörte auch nicht das Gekreische seiner Nachbarin, die ankündigte, ihren Mann zu verlassen, der daraufhin in Hohngelächter ausbrach.
Julian ließ sich auf sein Bett sinken und starrte blicklos vor sich hin. Dann besann er sich, zog den Brief seines Großonkels hervor und begann zu lesen.
»Lieber Julian!
Wahrscheinlich hast du erst jetzt, nach meinem Tod, erfahren, dass du noch einen Großonkel hast. Und du wirst dich auch fragen, warum ich dich nicht zu mir genommen habe, nachdem du deine Eltern auf so tragische Weise verloren hast. Doch zu diesem Zeitpunkt war meine Frau schwer erkrankt, und ich musste sie pflegen, sodass für ein Kind keine Kraft mehr übrig war. Du wärst außerdem in einer sehr bedrückenden Atmosphäre aufgewachsen. Ich habe mich nach dir erkundigt und erfahren, dass du dich in dem Heim wohlfühlst. Als Ausgleich dafür, dass ich mich nicht um dich kümmern konnte, sollst du mich beerben.
Ich wünsche dir ein gutes Leben, Julian.
Dein Großonkel Kajetan«
Julian legte den Brief beiseite und bedeckte seine Augen mit den Händen. So saß er lange da. Die Nacht verbrachte er schlaflos, doch am nächsten Morgen stand er auf, bereitete sich ein üppiges Frühstück zu und begann damit, sein neues Leben in Angriff zu nehmen ...
***
Eine fiebrige Unruhe hatte Julian erfasst. Immer wieder schweifte sein Blick zu den Schlüsseln, die auf dem kleinen Tisch vor dem Sofa lagen. Sie würden ihm Zugang zu dem Gehöft verschaffen, und er konnte es kaum erwarten, es in Besitz zu nehmen. Als Erstes fuhr er zu seinem Arbeitsplatz, wo er mit der Begründung kündigte, dass er auf dem Land leben wolle. Zu seinem Erstaunen bedauerte man seinen Weggang.
»Hast du net in dem verrufenen Hochhaus gewohnt? Und jetzt willst du aufs Land ziehen? Das wird ja immer schlimmer«, sagte einer seiner Kollegen mitleidig.
»Lass dich wieder mal blicken«, meinte ein anderer.
»Ja, sicher. Ich werde schon noch hin und wieder nach München kommen.«
Aber Julian wusste, dass er dieses Versprechen nicht halten würde, denn er wollte alles hinter sich lassen. Sein Mietvertrag lief noch weiter, dennoch schaffte er Ordnung in dem kleinen Raum, der nur mit dem Nötigsten ausgestattet war. Er packte seine wenigen Habseligkeiten in einen alten Rucksack, alles Übrige wollte er dem Nachmieter überlassen.
In der Nachbarwohnung waren erneut Streitigkeiten aufgeflammt, auf dem Flur schrie eine erboste Mutter nach ihrem Kind, das sich heimlich davongemacht hatte. Etwas schepperte, und eine raue Männerstimme fluchte.
Auch das würde bald der Vergangenheit angehören.
Zuletzt kaufte er noch Essensvorräte ein und gönnte sich eine Butterbrezen, obwohl er kaum einen Bissen hinunterbrachte. Dann trat er die umständliche Fahrt zu dem kleinen Bergdorf an, in dessen Nähe das Anwesen, das ihm sein Großonkel hinterlassen hatte, lag.
Erst im Zug schlief er unvermittelt ein und hätte es beinahe verpasst, in Hinterwaldkirchen auszusteigen. Doch dann stand er auf dem Bahnsteig und machte sich auf den Weg ins Dorf. Es zeigte sich sofort, dass es sich um einen wohlhabenden Ort handelte. Die Häuser waren breit hingelagert und gut instand gehalten, auf den Fenstersimsen leuchteten Blumen.
Um den Marktplatz herum befanden sich mehrere Geschäfte, daneben eine Apotheke und eine Arztpraxis. Es gab sogar zwei Wirtshäuser, ein etwas heruntergekommenes, das »Der Waldschrat« hieß, und gegenüber »Das Waldhorn«, das sehr einladend wirkte. Es war ganz in bayrischem Stil erbaut. Rote Geranien blühten in Pflanzkästen auf den Simsen, und über dem Eingang hing ein kunstvoll geschmiedetes Horn. Davor stand eine Gruppe älterer Frauen, die mit ihrer Unterhaltung innehielten, als sie ihn erblickten. Ihre neugierigen Blicke folgten ihm.
Das sind wohl die Dorfratschen, dachte Julian erheitert, mit denen muss ich mich in Zukunft gut stellen.
Er drehte sich noch einmal um und schenkte ihnen ein kurzes Lächeln in der Hoffnung, dass sie es gut aufnahmen. Dann ging er auf der Landstraße weiter, nachdem er das Dorf durchquert hatte, bis er zu einer Wegkreuzung kam, die er einschlug.
Hin und wieder blieb er stehen und bestaunte die herrliche Naturlandschaft, die sich seinen Augen darbot. Die Gebirgskette, die das Tal begrenzte, die Wälder, die sie säumten und dem Ort seinen Namen verliehen hatten. Und wie die Almen in tiefem Grün leuchteten!
Die Sonne brannte von einem wolkenlos blauen Himmel herab, doch gleichzeitig wehte ein leichter Wind, sodass die sommerliche Hitze erträglich war. Der Weg ging nun steiler bergauf zu einem weitläufigen Plateau, und Julian beschleunigte seine Schritte. Dort musste das Gehöft liegen.
Doch als er dann anlangte und davor stand, bemächtigte sich tiefe Enttäuschung seiner. Das kleine Anwesen – viel kleiner, als er es sich vorgestellt hatte – wirkte sehr vernachlässigt. Die Schindeln waren marode, die Fensterläden, deren Farbe abblätterte, hingen teilweise herab, und vor dem Haus waren rostige Gerätschaften angehäuft. Auf dem Hofplatz spross hohes Unkraut, und es roch nach Verfall.
Er ging um das Haus herum, wo sich ein großer Bauerngarten erstreckte, der jedoch schon lange nicht mehr gejätet und daher fast völlig zugewuchert war. Eine Wiese mit Obstbäumen lag dahinter, und wie sein geschultes Auge erkannte, reiften dort seltene Apfel- und Birnensorten heran.
Er ging ein paar Schritte weiter und genoss den Blick über die Weite dieser Landschaft. Und diese Stille, diese wunderbare Stille!
»Das ist jetzt meine Heimat«, kam es flüsternd über Julians Lippen.
Dann sank er in die Knie, und Tränen rannen über seine Wangen.
Später nahm er die Scheune in Augenschein, und als er das Tor öffnete, erlebte er eine Überraschung. Vor ihm stand ein großer Geländewagen, der zwar schon lange nicht mehr gewaschen war, aber durchaus fahrtüchtig wirkte.
Julian nahm sich die Schlüssel noch einmal vor und fand tatsächlich einen Autoschlüssel. Er schwang sich hinter das Lenkrad, und sofort erwachte der Motor mit einigen grollenden und knirschenden Lauten wieder zum Leben.
Das würde seinen Alltag auf diesem abgelegenen Hof sehr erleichtern. Er schloss sorgfältig wieder das Tor, danach wandte er sich dem Wohnhaus zu und suchte nach dem passenden Schlüssel. Auf dem Flur schlug ihm modriger Geruch entgegen, und er betrat linkerhand die Stube, wo er die Fenster aufriss und die Läden beiseite schob.
Helles Licht ergoss sich in den Raum, und sein Blick wurde von einem großen Ofen angezogen, dessen Kacheln kunstvoll bemalt waren. Eine breite Ofenbank zog sich darum, auf der noch Kissen lagen. Julian stellte sich vor, wie die Bewohner, im Winter darauf liegend, die Wärme genossen hatten.
In der Ecke unter dem Fenster stand ein altes Sofa. Hier hatte anscheinend sein Großonkel unter den zahlreichen Decken seine letzten Tage verbracht. Der Stoff war abgeschabt und teilweise geflickt, anscheinend war es schon lange im Besitz der Familie gewesen. Der runde Esstisch, die Stühle als auch die Kredenz waren von einer dichten Staubschicht bedeckt. Die Möbel waren früher einmal kostbar gewesen, und es würde sich lohnen, sie restaurieren zu lassen. Genau wie der Holzboden, der abgeschliffen werden müsste.
Im unteren Stockwerk gab es noch eine altmodische Küche mit einem Kohlenherd und einem Wäscheraum. Eine Hintertür führte in den Garten, sie war fest verschlossen und hatte zusätzlich einen Riegel.
Vorsichtig stieg er danach die Stiege hoch, doch die Schlafkammer als auch zwei weitere Räume waren schon lange nicht mehr benutzt worden und mussten dringend gelüftet und gesäubert werden.
Da liegt noch sehr viel Arbeit vor mir, dachte Julian, aber insgeheim freute er sich schon darauf.
In einem Schrank fand er zwei noch nicht benutzte Decken vor, die nahm er mit nach unten. Er entfernte alles, was auf dem Sofa lag, und klopfte es aus, dann bereitete er sich darauf ein Nachtlager vor.
Nun erst verspürte er Hunger, und Julian zündete im Ofen ein Feuer an, um sich Tee zu kochen. Er nahm eine Butterbrezen und seine große Tasse, die er mitgebracht hatte, mit hinaus und setzte sich auf einen alten Gartenstuhl an eine Stelle, von der er die wunderschöne Aussicht genießen konnte. Noch nie hatte er sich so glücklich gefühlt, denn seitdem die Mutter Oberin nicht mehr lebte und er nach München gezogen war, hatte sich ein grauer Schleier über sein Leben gelegt.
Dort blieb er, bis die Dämmerung herabsank und er zu frösteln begann, dann erst kehrte er ins Haus zurück. Plötzlich überfiel ihn eine große Müdigkeit, und nachdem er Fenster und Türen gesichert hatte, legte er sich auf das Sofa und fiel in einen tiefen Schlaf.
***