5,99 €
Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!
Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.
Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.
Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:
Alpengold 221: Verführt von seiner schönen Magd
Bergkristall 302: Sie liebte ihren Lebensretter
Der Bergdoktor 1799: Wenn der Schnee im Winter schmilzt ...
Der Bergdoktor 1800: Was bin ich ohne dich?
Das Berghotel 158: Schicksalsrosen für die schöne Hoftochter
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
Jetzt herunterladen und sofort sparen und lesen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 650
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2016/2018 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Henry_film/ Shutterstock
ISBN: 978-3-7517-6499-5
https://www.bastei.de
https://www.sinclair.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Alpengold 221
Verführt von seiner schönen Magd
Bergkristall - Folge 302
Sie liebte ihren Lebensretter
Der Bergdoktor 1799
Wenn der Schnee im Winter schmilzt ...
Der Bergdoktor 1800
Was bin ich ohne dich?
Das Berghotel 158
Schicksalsrosen für die schöne Hoftochter
Start Reading
Contents
Verführt von seiner schönen Magd
Wird er durch sie sein wahres Glück verlieren?
Von Rosi Wallner
»Wir haben ab sofort eine neue Magd!«, berichtet Judith Erbacher ihrem Mann, als er sich an den gedeckten Mittagstisch setzt. »Jetzt kann die Rosel sie noch anlernen, bevor sie heiratet.«
Die Rosel kommt gerade mit der Suppenschüssel, Xaver, der Knecht, hockt auch schon auf seinem Platz, als ein bildschönes Mädchen die Küche betritt.
Unverhohlen starrt Xaver die neue Magd an und bekommt kaum einen Bissen herunter, während Martin Erbacher dem Mädchen nur kurz zunickt und sich dann mit besonderer Aufmerksamkeit seinem Essen widmet. Doch seine Gelassenheit ist nur gespielt, seine Ruhe vorgetäuscht. Denn als die Lena ihn eben mit ihren dunklen Augen angeschaut hat, da ging es durch ihn wie ein Schmerz. Und plötzlich wünscht er sich nichts mehr, als dass sie niemals seinen Hof betreten hätte …
Martin Erbacher hatte auf der Gemeindeversammlung des kleinen Gebirgsdorfes schließlich das Wort ergriffen, und wie üblich wandte sich ihm die allgemeine Aufmerksamkeit zu.
Der Bachmoser erwachte aus seinem geräuschvollen Nickerchen und schob verlegen die Brille gerade, und sogar der spitzfindige Ketterer, der schon aus Prinzip immer dazwischen quengelte, hielt sich zurück.
Wortgewandt äußerte sich Erbacher zu den Problemen des Fremdenverkehrs, die die Gemüter allgemein erhitzten.
»Wir sollten net nur an unseren Profit denken, sondern auch an die Natur!«, rief er am Schluss seines Vortrags aus, in dem er sich heftig gegen den Bau eines neuen Skilifts ausgesprochen hatte.
Nicht alle der anwesenden Dörfler waren damit einverstanden, besonders der Schwanenwirt, der sich vom Zustrom von Wintersportlern großen Gewinn erhofft hatte, war sehr aufgebracht.
Doch er wurde von den anderen überstimmt, zudem der alte Krainer nicht willens war, das dafür infrage kommende Gelände zu verkaufen. Er hielt es noch ganz mit der alten Bauerntradition, nichts von seinem Land herzugeben, was auch immer er dafür geboten bekam.
»Ich mag auch keine narrischen Skifahrer auf meinen Feldern herumsteigen haben! Städter, die von nichts eine Ahnung haben und alles verwüsten!«, grummelte er wütend und hieb mit seiner harten, schwieligen Faust auf den Tisch, dass die Gläser klirrten.
Martin Erbacher schlug vor, stattdessen das Gasthaus zu vergrößern, um mehr Sommerfrischlern mit ihren Familien Unterkunft bieten zu können.
»Immer mehr überarbeitete Städter suchen net den Sportbetrieb, sondern sie wollen auch ein Stück unberührte Natur genießen. Und dafür sollten wir uns einsetzen«, sagte der junge Bauer mit Nachdruck.
Der Schwanenwirt vergaß seinen Unmut, seine Schweinsäuglein glitzerten, als er seine Ausbaupläne unterbreitete, die bislang noch nicht genehmigt worden waren.
Zu guter Letzt war man sich einig, der Schwanenwirt hatte die Aussicht, sein Gasthaus ausbauen zu können, und der Krainer wurde von niemandem mehr zum Verkauf seiner Äcker gedrängt.
Man ging nach der Sitzung noch in den »Schwanen«, und der Wirt ließ es sich nicht nehmen, ein paar Runden zu spendieren. Die Stimmung stieg, Gelächter brandete auf, und Aussprüche fielen, die die Männer in Anwesenheit ihrer Frauen niemals von sich gegeben hätten.
Martin Erbacher blieb jedoch zurückhaltend, wie man es von ihm gewöhnt war. Er sprach dem Bier nur sehr maßvoll zu und beteiligte sich nicht an den derben Witzen und Anekdoten. Hin und wieder richtete er das Wort an den alten Krainer, der sein Schwiegervater war, und mit dem er sich trotz dessen oft barscher Art gut verstand.
Obwohl er erst Anfang dreißig war, wirkte Martin Erbacher über seine Jahre hinaus gereift. In seinen dunklen Augen lag ein ernster, nachdenklicher Ausdruck, dennoch wirkten seine gut geschnittenen Züge nicht düster.
Manchmal glitt ein leichtes Lächeln um seinen Mund, das Humor und Verständnis für andere verriet. Eine seiner Eigenarten war es, sich mit der Rechten zerstreut über die dichten braunen Haare zu fahren, wenn er angestrengt über etwas nachdachte.
Martin war auch der Erste, der vom Tisch aufstand und sich verabschiedete.
»Also, pfiat euch! Wir sehen uns ja nächste Woche wieder! Noch einen schönen Abend, und treibt’s net so arg!«
Die anderen riefen ihm noch ein paar Scherzworte zu, harmlose allerdings, denn man wollte es sich nicht mit dem reizbaren Krainer verderben, der nichts auf seinen Schwiegersohn kommen ließ.
Der Alte sah Erbacher nach, bis sich die Tür hinter seiner hochgewachsenen Gestalt geschlossen hatte.
»Einen ordentlichen Schwiegersohn hast dir ausgesucht, Krainer!«, meinte der Schwanenwirt, der ächzend Martins Platz eingenommen hatte.
»Den hat sich die Judith ausgesucht, net ich!«, erwiderte der Krainer trocken.
»Schad nur, dass …«
»Was ist schad?«, fragte der Krainer zurück und maß sein Gegenüber mit einem Blick, dass der Schwanenwirt zurückzuckte.
»Ach nichts. Die beiden sind ja noch jung«, murmelte er undeutlich und erhob sich hastig. »Muss da drüben nach dem Rechten sehen!«
»Ja, kümmere dich nur um deine Sachen«, sagte Krainer bissig und leerte sein Maß.
***
Obwohl der Erbacherhof weit außerhalb des Dorfes in einer Talsenke lag, liebte Martin es, den Weg zu Fuß zurückzulegen, wie er es von Kind an gewöhnt war.
Ein scharfer Wind, in dem jedoch schon die erste Ahnung des Frühlings zu spüren war, ließ ihn den Mantelkragen hochschlagen. Obwohl er sich auch bei Dunkelheit zurechtfand, setzte er seine Schritte vorsichtig, da der Weg stellenweise noch verreist war.
Es war Vollmond, und die Landschaft war in silbriges Licht getaucht. Hinter der dunklen, undurchdringlichen Wand des Gebirgswaldes erhoben sich schroff die Berge mit ihren bläulich weißen Gletschern, die in eisigem Feuer leuchteten.
Martin sehnte sich plötzlich nach seinem Zuhause, er nahm eine Abzweigung und blieb erst stehen, um Atem zu schöpfen, als er von einer kleinen Anhöhe aus auf den Erbacherhof hinabsehen konnte.
Ursprünglich hatte Martin von seinen Eltern, die sich schwer für ihren Lebensunterhalt abplagen mussten, nur ein bescheidenes Anwesen geerbt, das ihn beinahe den Kleinbauern gleichgestellt hatte. Die Erbachers hatten gedarbt, damit der Sohn eine Schule in der Stadt besuchen konnte, um einen Beruf zu ergreifen, der eine Familie ernährte.
Doch Martin hatte es nicht in der Stadt gehalten, er kehrte auf den Hof zurück und bewirtschaftete ihn mit seinen Eltern, bis diese kurz hintereinander gestorben waren.
Dann begegnete er Judith Krainer, die er jahrelang aus den Augen verloren hatte, und die beiden jungen Menschen verliebten sich heftig ineinander.
Judith, die schöne einzige Tochter des reichen Krainer, hatte sich allen Bewerbern gegenüber bisher unzugänglich gezeigt, erst der junge Erbacher, der sowohl tüchtig als auch gebildet war, gewann ihr Herz.
Zur allgemeinen Überraschung war ihr Vater mit der Heirat einverstanden, obwohl man ihm vorwarf, Judith an einen Habenichts weggegeben zu haben.
»Was der Martin net an Geld hat, das hat er an Verstand. Das ist die beste Mitgift«, pflegte der Krainer zu sagen, und manchmal setzte er auch grimmig hinzu: »Und außerdem wird er meine Judith besser behandeln als ihr eure Frauen!«
Mit Judiths Geld konnte das schöne, jedoch verwohnte Bauernhaus der Erbachers renoviert und die Stallungen zur Vergrößerung des Viehbestands erweitert werden.
Wie immer empfand Martin Stolz und Genugtuung, wenn er den Hof betrachtete und ihn mit früher verglich. In der Stube brannte noch Licht, und Martin glaubte, die Gestalt seiner Frau am Fenster zu erkennen.
Ein jähes Gefühl der Wärme und Dankbarkeit erfüllte ihn, Judith war aufgeblieben und hatte auf ihn gewartet.
Wie glücklich sie immer noch miteinander lebten! Wenn nur …
Martin verbot sich rasch den Gedanken, der sich ihm aufdrängen wollte, und hielt auf das Haus zu.
***
Judith befand sich in einer für sie ungewöhnlichen Stimmung, sonst zeichneten sie Ausgeglichenheit und ein sicheres Auftreten aus, seit gestern jedoch war sie zerfahren und aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Arbeit, die ihr immer so leicht von der Hand ging, wurde nur mit Widerwillen von ihr verrichtet.
Morgens hatte sie sogar die Rosel, die ihr im Haushalt und bei der Stallarbeit half, so gereizt angefahren, dass das Mädchen aufweinend aus der Nähe gestürzt war.
Judith hat sich dieser Aufwallung sehr geschämt und Rosel Abbitte geleistet. Das Mädchen war rasch versöhnt, warf jedoch der Bäuerin hin und wieder verstohlene Seitenblicke zu.
Im Grunde genommen wusste Judith, was der Auslöser für diese tief greifende Verstimmung war, auch wenn sie es sich nicht eingestehen mochte.
Gestern Nachmittag hatte sie eine Schulfreundin besucht, die auf einem der benachbarten Höfe verheiratet war. Ihre anfängliche Freude, mit der vertrauten aus Kindheitstagen plaudern zu können, legte sich bald.
Brigitte Waldauer erwartete bereits ihr drittes Kind, und obwohl sie recht entstellt war und unter starken Beschwerden litt, konnte sie Judith gegenüber einen heimlichen Triumph nicht verbergen.
»Bei mir ist es halt schon wieder so weit!«, hatte Brigitte gesagt und sich über den unförmigen Leib gestrichen. »Du scheinst es damit ja net grad eilig zu haben, dabei bist doch auch schon ein paar Jahre verheiratet!«
Judith durchfuhr die jähe Erkenntnis, dass Brigitte sie genauso um ihren Reichtum und ihre gute Ehe beneidete wie viele andere Frauen im Tal.
Es gab Gerüchte, dass Brigittes Mann seine Freuden auch außerhalb der Ehe suchte und seine Frau knapp hielt, das mochte der Grund für ihre heimliche Verbitterung sein.
Dennoch war Judith enttäuscht von Brigittes Verhalten, verstand es aber, den Schein zu wahren.
»Meine Mutter hat auch erst nach vielen Ehejahren ein Kind bekommen. Das scheint wohl in der Familie zu liegen«, hatte sie in scherzendem Tonfall hingeworfen und das Gespräch in eine andere Richtung gelenkt.
Sie zwang sich dazu, noch geraume Zeit in der engen, geschmacklos eingerichteten Stube auszuharren, obwohl sie am liebsten weggerannt wäre. Ergeben ließ sie den Dorfklatsch über sich ergehen und bemühte sich um Brigittes Ältesten, der fortwährend unzufrieden vor sich hin quengelte.
Wie erleichtert war sie gewesen, als sie endlich den Waldauerhof hinter sich lassen konnte! Doch auf dem Heimweg befiel sie eine große Niedergeschlagenheit, die ganze Qual und Ungewissheit der letzten Jahre überwältigten sie und trieben ihr die Tränen in die Augen.
Als Martin und sie geheiratet hatten, waren sie sich darüber einig gewesen, dass sie eine große Familie gründen wollten. Doch ihr freudiges Hoffen wurde immer wieder enttäuscht, die alte Bauernwiege der Erbachers blieb leer.
Zunächst waren Martin und Judith nicht sehr besorgt, umso unbeschwerter konnten sie ihr Eheglück genießen. Doch dann folgte eine Zeit des bangen Fragens und der zermürbenden Arztbesuche in der Stadt. Die Ärzte konnten dem jungen Paar nur sagen, dass von ärztlicher Sicht einer Elternschaft nichts im Wege stünde und sie sich in Geduld fassen sollten.
»Du sehnst dich halt zu sehr nach einem Kind. Die Angst, dass dein Wunsch net erfüllt wird, führt dazu, dass du dich völlig verkrampfst, Bäuerin. Das kann der Grund sein«, hatte der gütige alte Dorfdoktor gesagt, zu dem Judith sich anfangs in ihrer Verzweiflung geflüchtet hatte.
Dr. Wiedner mochte es zwar am Fachwissen der Spezialisten fehlen, doch er verstand vielleicht weitaus mehr von der menschlichen Natur.
Judith und ihr Mann sprachen in stillschweigendem Einvernehmen nicht mehr über ihre Kinderlosigkeit. Es hatte sogar den Anschein, als hätte sich Martin damit abgefunden, neben der Arbeit auf dem Hof widmete er sich zunehmend Gemeindeaufgaben, was ihn ausfüllte. Er war bereits Gemeinderat, und es hieß, dass man ihn zum Bürgermeister wählen würde, sobald der bisherige Amtsinhaber aus Altersgründen ausscheiden würde.
Judith aber hatte sich immer mehr vom Dorfleben zurückgezogen, da sie Anspielungen oder gar Sticheleien zu fürchten gelernt hatte. Ihre vielfältigen Pflichten als Hofbäuerin ließen ihr wenig Zeit zum Grübeln, und doch brach immer wieder eine zunehmende Unzufriedenheit mit ihrem Schicksal durch. Besonders, wenn sie mit ansehen musste, wie anderen Frauen das Glück, Mutter zu werden, zuteilwurde, das sie sich so brennend ersehnte.
Judith, die schon einige Zeit auf die Heimkehr ihres Mannes von der Gemeindeversammlung wartete, ließ die Blicke durch die geräumige Stube schweifen.
Alles war neu hergerichtet worden, ohne die Eigenart des großen Raumes zu zerstören. Die sorgfältig restaurierten alten Bauernmöbel, die Judith teilweise mit in die Ehe gebracht hatte, verliehen der Stube eine Atmosphäre behaglichen Wohlstandes, die noch durch den großen Kachelofen in der Ecke erhöht wurde.
Für wen ist dieser ganze Reichtum, wenn wir keine Kinder haben? Wofür mühen wir uns dann eigentlich so ab?, ging es Judith mutlos durch den Sinn.
Da Martin und sie Einzelkinder waren, gab es noch nicht einmal einen Neffen oder eine Nichte, die für den Hof herangezogen werden könnten.
Gedankenverloren spähte Judith wieder am Fenster nach ihrem Mann aus, dann setzte sie sich an den Tisch und rückte den Teller mit dem kleinen Imbiss zurecht, den sie für ihn vorbereitet hatte.
Schließlich überließ sie sich erneut ihren quälenden Grübeleien, aus denen sie erst aufschrak, als Martin eintrat. Er war bester Laune und küsste sie zärtlich auf die Wange.
»Ich dank dir, dass du noch aufgeblieben bist, Schatzerl! Und etwas zum Essen hast du mir auch gemacht – wenn ich dich net hätte, Judith!«
Das Paar ging immer noch so liebevoll miteinander um wie zu Beginn ihrer Ehe, ihre gegenseitige Achtung hatte sich – was nicht häufig der Fall ist – sogar noch verstärkt.
Judith lächelte und erwiderte seine Liebkosung, sie fühlte, dass es ihr in seiner Nähe leichter wurde. Interessiert lauschte sie Martins Bericht über den Ausgang der Gemeindesitzung, unterbrach ihn höchstens einmal mit einer verständigen Zwischenbemerkung.
»Na, da wird der Vater ja zufrieden sein. Er bringt es eh net übers Herz, ein Stückchen Land herzugeben«, meinte Judith mit einer gewissen Erleichterung.
»Und in dem Fall hat er ganz recht! Es wird Schaden genug angerichtet durch rücksichtslose Wintersportler!«
Judith und Martin saßen noch eine Weile zusammen, dann beschlossen sie, zu Bett zu gehen, beide waren rechtschaffen müde. Als Judith vor dem Spiegel ihr blondes Haar aufflocht – sie trug es zu einer altmodischen Krone aufgesteckt, was ihr aber gutstand – erschrak sie. Sie entdeckte hauchfeine Linien in ihrem Gesicht, die von heimlicher Unzufriedenheit und Verbitterung zeugten.
Sie war noch keine dreißig, sollte sie nicht nur eine kinderlose, sondern auch schon bald eine vor der Zeit verblühte Frau sein?
Nicht nur ihr Reichtum, sondern auch ihre Schönheit hatten ihr als junges Mädchen eine große Anzahl von Verehrern beschert, was sie als Selbstverständlichkeit hingenommen hatte. Angstvoll überprüfte Judith ihr Gesicht auf weitere Spuren des Alterns, aber ihre großen Augen von eigenartig leuchtendem Blaugrün, die schmale Nase und der lieblich geschwungene Mund waren reizvoll wie eh und je.
Als sie aufstand, konnte selbst das bauschige Nachthemd nicht das Ebenmaß ihrer Figur verbergen.
»Was ist denn, Judith! Komm doch zu Bett!«, rief Martin etwas ungeduldig.
Er konnte erst einschlafen, wenn er sie neben sich wusste, ein Umstand, der Judith insgeheim rührte.
»Ja, gleich, Martin!«
»Sag mal, Judith, ist etwas mit dir? Geht es dir net gut, oder hast du Kummer?«, fragte er unvermittelt, als sie neben ihm lag. »Seit gestern bist du ganz anders!«
Mit dem Instinkt des Liebenden erfasste er jede Veränderung im Wesen seiner Frau, und obwohl er seine Aufgaben sehr wichtig nahm, stand Judiths Wohlergehen doch an erster Stelle in seinem Leben.
Judith versteifte sich unmerklich.
»Du weißt ja, dass ich gestern die Waldauer-Brigitte besucht hab! Früher haben wir uns immer so gut verstanden, aber jetzt …« Judith stockte. »Ich hab mich sehr geärgert über sie, und das geht mir heut noch nach!«
Martin dachte daran, dass die Waldauerin bereits ihr drittes Kind erwartete, und er wählte seine nächsten Worte mit Bedacht.
»Weißt du, es pfeifen ja die Spatzen vom Dach, dass die Ehe net gut geht, weil der junge Waldauer net von seinen Seitensprüngen lassen kann. Das verändert halt einen Menschen und macht manche neidisch und ungerecht gegenüber anderen!«
»Ja, du hast sicher recht. Aber leidtut es mir trotzdem, denn ich werd sie nimmer besuchen. Und das nach all den Jahren!«, gab Judith tonlos zur Antwort.
»Nun, vielleicht ist das alles nur vorübergehend, und es kommt alles wieder ins Lot«, versuchte Martin sie zu trösten und rückte ein wenig näher an sie heran.
Doch Judith machte keine Anstalten, sich an ihn zu schmiegen, und es lag ihm fern, sie in irgendeiner Weise zu bedrängen. So beugte er sich nur kurz über sie und küsste sie sanft auf die Stirn.
»Schlaf gut, Schatzerl, und mach dir net zu viele Gedanken«, sagte er liebevoll.
Bevor er einschlief, ging es ihm durch den Sinn, wie selten ihre Umarmungen geworden waren. Vielleicht war das eine Entwicklung, wie sie sich mit der Zeit in jeder Ehe vollzog, obwohl seine Liebe zu Judith unvermindert stark war.
Judith lauschte den regelmäßigen Atemzügen ihres Mannes und etwas wie leichter Groll regte sich in ihrem Herzen. Es kam ihr vor, als ob Martin so in seinen Aufgaben aufgehen würde, dass er außerstande war, ihr Leid zu teilen.
Er hatte sich ein reiches Tätigkeitsfeld erschaffen, während für sie nur ein Leben freudloser häuslicher Pflichterfüllung vorgezeichnet schien.
Tränen liefen ihr über die Wangen, doch die junge Frau verhielt sich völlig still, um ihren Mann nicht zu wecken.
***
Wenige Tage später vernahm Judith um die Mittagszeit ein Klopfen von der Haustür her. Sie war allein mit Rosel im Haus, die Männer waren draußen auf dem Feld, um die Zäune zu überprüfen. So blickte sie erst durch das Fenster hinaus, und als sie nur eine dunkelgekleidete weibliche Gestalt vor dem Eingang stehen sah, öffnete sie die Tür.
Das Erste, was Judith an der jungen Frau auffiel, war ihre große Schönheit, die auch durch die schäbige Kleidung nicht beeinträchtigt werden konnte.
Sie hatte dunkle, fast schwarze Augen, die ein wenig schräg geschnitten waren, was in dem herzförmigen Gesicht sehr reizvoll wirkte. Die weiße Haut bildete einen starken Kontrast zu dem dunkelbraunen üppigen Haargelock, das die Fremde nachlässig im Nacken zusammengebunden hatte. Ihr schwellender, voller Mund erinnerte an eine reife Frucht.
Zu ihren Füßen, die in abgewetzten Schuhen steckten, lag ein Rucksack, der wohl die gesamten Habseligkeiten des Mädchens enthielt.
»Was willst du?«, fragte Judith kürzer angebunden, als es sonst ihre Art war.
»Ich wollt um Arbeit nachfragen, Bäuerin! Im Dorf unten hat man mir gesagt, dass jemand bei euch bald heiratet und deshalb weggeht. Vielleicht …«
Das Mädchen verstummte unter dem prüfenden Blick der jungen Bäuerin.
Wie immer musste Judith ihr Unbehagen darüber bekämpfen, dass man im Dorf so genau Bescheid über die Vorgänge auf dem Hof wusste. Es stimmte in der Tat, dass Rosel im Frühjahr einen eigenen Hausstand gründen würde, und dass es Judith noch nicht gelungen war, jemanden für sie zu finden.
Eigenartigerweise aber zögerte Judith, das Mädchen in ihr Haus zu lassen, eine innere Stimme schien sie davor zu warnen, obwohl es trotz der ärmlichen Kleidung einen ordentlichen Eindruck machte.
Auch an ihrem Benehmen war nichts auszusetzen, es gab weder Anzeichen von versteckter Unverschämtheit noch von geheuchelter Demut.
»Komm herein, wir können alles herinnen besprechen«, forderte Judith das Mädchen schließlich auf.
Es nickte mit unbewegter Miene, nahm seinen Rucksack auf und folgte der Bäuerin ins Haus.
»Wie heißt du eigentlich?«, fragte Judith, als sie durch den Flur gingen.
»Lena«, sagte sie, »Lena Moser.«
»Setz dich hier an den Tisch, du wirst müd und hungrig sein. Wir halten gleich Mittag, die Männer müssten jeden Augenblick vom Feld zurückkommen«, lud Judith das Mädchen in der Stube ein, wo schon der Tisch gedeckt war.
»Meine Zeugnisse sind unten im Rucksack!«
Während Lena nach ihren Papieren suchte, holte Judith in der Küche ein Glas Milch und stellte es vor das Mädchen auf den Esstisch.
»Wirst durstig sein von dem langen Weg hierher«, sagte Judith freundlich.
Eine flüchtige Röte huschte über das ebenmäßige Gesicht des Mädchens.
»Ich dank dir, Bäuerin. Hier sind meine Zeugnisse von den letzten Jahren.«
»Das sieht ja gut aus, Lena«, meinte Judith, nachdem sie die Papiere überflogen hatte.
Insgeheim wunderte sie sich aber darüber, dass das Mädchen trotz ausgezeichneter Beurteilungen so häufig den Arbeitsplatz gewechselt hatte. Es war schwer, heutzutage jemanden für die Landarbeit zu gewinnen, und jeder Bauer setzte alles daran, um eine tüchtige Kraft zu halten.
Lena schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn sie sagte in beiläufigem Tonfall: »Leider bin ich schon mehr herumgekommen, als mir lieb ist. Ich wollt immer eine dauerhafte Stelle haben, aber jedes Mal hat es sich zerschlagen. Mal hat der Bauer den Hof aufgegeben, weil er nimmer rentabel war, ein andermal war die Schwiegertochter grundlos eifersüchtig, und ich musste gehen. So hab ich mich dazu entschlossen, die Gegend, in der ich aufgewachsen bin, ganz zu verlassen und mich anderswo umzuschauen.«
Judith lächelte, die augenscheinliche Offenheit des Mädchens gefiel ihr.
»Dann wollen wir es halt mal miteinander versuchen! Weißt du, bei uns ist noch niemand weggeschickt worden! Wenn die Rosel net heiraten tät, würd sie auch gern länger bleiben«, erwiderte die junge Frau.
»Es soll dich net reuen, Bäuerin!«
»Ich zeig dir jetzt deine Kammer, kommst dann aber gleich zum Essen herunter.«
Mit Genugtuung blickte sich Lena in dem Raum um, den ihr die Bäuerin zugewiesen hatte. Helle naturbelassene Kiefernmöbel, weiße, bauschige Gardinen vor dem Fenster und ein bunter Flickenteppich verliehen ihm Freundlichkeit und Wärme. Für das Bett hatte Judith ihr frisches Leinenzeug gegeben, das angenehm nach Lavendel duftete.
Sie hatte es gut getroffen, nicht zu vergleichen mit den elenden Kammern, die eigentlich mehr Verschläge waren, die ihr von Bauern angeboten worden waren, die in Reichtum und Behaglichkeit lebten. Manchen Winter hatte sie elend in einer ungeheizten, zugigen Kammer verbracht und sich dabei geschworen, dass das einmal anders werden sollte.
Schnell trat sie vor den Wandspiegel und fuhr sich glättend über ihr Haar. Sie dachte nicht daran, ihr abgetragenes Kleid zu wechseln, nur zu genau wusste sie, dass ihr Gesicht alles überstrahlte.
***
»Wir haben ein neues Madel. Wenigstens hat die Rosel jetzt noch Zeit, die Lena in allem anzulernen, bevor sie von hier weggeht.«
Mit diesen Worten begrüßte Judith ihren heimgekehrten Mann, der die Nachricht mit Gleichmut aufnahm, da er dem Urteil seiner Frau vertraute.
»Hoffentlich bleibt sie auch einige Zeit, besonders, wenn’s ein junges Madel ist«, meinte er nur.
»Sie hat sehr gute Zeugnisse und sucht etwas auf Dauer«, fiel ihm Judith ins Wort. »Sie ist grad oben in ihrer Kammer, um ihre Sachen unterzubringen.«
Rosel trug die dampfende Suppenterrine in die Stube, und Xaver, der nach dem Bauer die Stube betreten hatte, seufzte vor Behagen auf, als er sich schwer auf einen Stuhl fallen ließ.
Xaver Rieder war ein noch sehr junger Mann, kaum zwanzig, von massigem, ungefügem Körperbau. Sein eigenartig platt gedrücktes, breitflächiges Gesicht zeigte einen einfältigen Ausdruck, was manchmal durch ein törichtes Grinsen, das seine etwas schief stehenden Zähne entblößte, noch verstärkt wurde.
Keiner der Bauern hat den Xaver in Dienst nehmen wollen, galt er doch als eine Art Dorfdepp, der zwar über ungeheure Körperkräfte, aber nur über geringe Denkfähigkeit verfügte. Doch Martin Erbacher hat sich seiner angenommen und ihm Arbeit und ein Zuhause gegeben und ihn so vor dem Schicksal des Ausgestoßenseins bewahrt.
Xaver arbeitete unermüdlich und hing mit bedingungsloser Zuneigung und Dankbarkeit an den Erbachers. Er entwickelte im Laufe der Zeit eine außerordentliche Geschicklichkeit, mit Tieren umzugehen, wenn eines der Tiere erkrankt war, überwachte er mit liebevoller Geduld den Heilungsprozess.
Als Xaver das junge Mädchen, das schüchtern grüßte, auf der Türschwelle erblickte, erstarrten seine Züge zu einer Grimasse fassungslosen Staunens.
Er stammelte etwas Unverständliches und beobachtete jede von Lenas Bewegungen, kaum, dass er einen Bissen des herzhaften Mittagsmahls hinunterbrachte.
Wieder beschlich Judith ein unangenehmes Gefühl, als sie Xavers Reaktion wahrnahm, sie fürchtete nun doch, mit Lenas Einstellung einen großen Fehler gemacht zu haben. Doch sie konnte und wollte ihre Zusage nicht mehr zurücknehmen, falls Lena jedoch tatsächlich Unruhe stiften sollte, waren ihre Tage auf dem Hof bald gezählt.
Doch nichts in ihrem Benehmen war zu beanstanden, das Mädchen saß mit gesenktem Kopf am Tisch und aß hungrig, aber manierlich die schmackhaften Knödel mit Kraut. Sie schien Xavers rückhaltlose Bewunderung überhaupt nicht bemerkt zu haben.
Judith wäre weit mehr beunruhigt gewesen, wenn sie geahnt hätte, was bei Lenas Anblick in ihrem Mann vor sich gegangen war. Als ihn das Mädchen aus großen schwarzen Augen angesehen hatte, tat sein Herz ein paar rasche Schläge, die er fast als Schmerz empfand. Doch er war zu beherrscht und wohlerzogen, um sich etwas anmerken zu lassen.
Er nickte dem Mädchen nur kurz zu und widmete dann seine volle Aufmerksamkeit dem Essen. Doch plötzlich wünschte er sich nichts mehr, als dass seine Frau sich gegen das Mädchen entschieden hätte und doch Lena niemals in sein Leben eingedrungen wäre.
***
Doch die heimlichen Befürchtungen der Erbachers erwiesen sich als unbegründet, Lena führte sich ohne Schwierigkeiten auf dem Hof ein. Sie arbeitete tüchtig und unverdrossen und nahm jede Anweisung ohne Widerworte entgegen, sodass Judith wirklich entlastet wurde.
Mit Rosel vertrug sie sich gut, und Judith freute sich, wenn sie das Kichern und Lachen der beiden Mädchen aus der Küche vernahm, auch wenn sie angesichts solcher Unbeschwertheit manchmal eine leise Trauer beschlich.
Auch sonst führte Lena ein mustergültiges Leben, sie unternahm in ihren freien Stunden höchstens einen kleinen Spaziergang, durchtanzte Nächte auf Dorffesten waren nicht ihre Sache. Selbstverständlich begleitete sie die Familie bei dem sonntäglichen Kirchenbesuch, wobei ein grobes wollenes Tuch ihr Haar bedeckte, was sie wohl unscheinbarer machen sollte.
Schwieriger war es für Lena gewesen, mit Xaver umzugehen, der ihr in hündischer Ergebenheit auf Schritt und Tritt folgte.
Schließlich hatte sie Judith gebeten, mit dem verliebten jungen Mann zu sprechen, was die Bäuerin sehr für Lena einnahm.
»Weißt du, Bäuerin, ich will kein Gspusi haben, weder mit dem Xaver noch mit sonst jemanden. Ich hab keine guten Erfahrungen gemacht in der Vergangenheit, und ich möcht keinen Ärger. Könntest du mit dem Xaver reden, Bäuerin? Ich will ihn net kränken!«
»Sicher werd ich das, Lena. Man kann es ja kaum mit anschauen«, erklärte sich Judith sofort bereit.
Behutsam machte sie dem unglücklichen jungen Mann klar, dass er nicht auf Lenas Zuneigung hoffen konnte. Xaver hielt sich von da an zurück, doch seine Leidenschaft wurde dadurch, wie es oft bei Menschen seiner Art der Fall ist – eher noch verstärkt.
Einem aufmerksamen Beobachter wäre aufgefallen, dass sich Martin Erbacher geradezu ablehnend gegenüber Lena verhielt. Er beachtete sie kaum, richtete nur das Wort an sie, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Doch wenn er sich, was selten vorkam, allein mit ihr fühlte, streifte er sie mit einem schnellen, verstohlenen Blick.
***
Eingebettet in ihre sichere, fest gefügte Welt, verflossen für Judith die Tage in ruhigem Gleichmaß. Sie war so gefangen genommen von ihren eigenen quälenden Gedanken, dass sie gar nicht wahrnahm, dass sich ihr Mann unmerklich von ihr zurückzog.
Aber Martin war schon immer zurückhaltend und in sich gekehrt gewesen – bei seiner Brautwerbung damals hatte sie ihn sogar nachhaltig ermutigen müssen – sodass sie keinen Verdacht schöpfte.
Wenn sie spätabends arglos neben ihrem Mann in dem alten Bauernbett lag und auf den Schlaf wartete, entfaltete Lena heimlich in ihrer Kammer eine Geschäftigkeit, die nicht ins Bild eines unschuldsvollen Mädchens passen wollte.
Sobald im Haus alles still war, drehte Lena behutsam den Türschlüssel herum, damit sie vor unerwartetem Besuch sicher sein konnte.
Dann zog sie die Übergardine zu und holte unter dem Bett sorglich in Seidenpapier eingeschlagene Päckchen hervor. Lena bürstete und kämmte sodann ihr reiches Haar, bis es ihr wie ein knisternder Mantel die Schultern umwallte, und tupfte sich sorgsam abgestimmt Rouge auf Wangen und Mund.
Verächtlich schleuderte sie die alten Kleider von sich und schlüpfte in spitzenbesetzte Wäsche, so kostbar und raffiniert, wie sie keines der Dorfmädchen jemals zu Gesicht bekommen hatte. Dann folgte ein schlicht geschnittenes Kleid mit tiefem Ausschnitt, das ihre wunderbar gewachsene Gestalt voll zur Geltung brachte.
In hochhackigen Schuhen tänzelte sie vor dem Wandspiegel herum, wand und bog sich verführerisch – aus dem einfachen Landmädchen war ein gefährlich berückendes Geschöpf geworden, das sich seiner starken Ausstrahlungskraft bewusst war und sie auch einzusetzen verstand.
Zufrieden musterte Lena ihr Spiegelbild, sie konnte nicht genug von diesem Anblick bekommen. Dabei führte sie ununterbrochen Selbstgespräche, allerdings leise genug, dass man sie in den angrenzenden Kammern nicht hören konnte.
»Nun Aschenputtel – wieder mal aus deinen elenden Lumpen gestiegen?« Sie kicherte ein wenig zu schrill. »Eines Tages werd ich immer solche Kleider tragen, net nur heimlich!«, flüsterte sie erregt. »Dann werd ich reich sein. Reich!«
Sie fuhr sich über die Hüften, wobei sie sich wieder bewusst wurde, wie rau und verarbeitet ihre Hände waren und dass sie den kostbaren Stoff zu beschädigen drohte.
»Dieses Mal muss ich es richtig anfangen – Schritt für Schritt. Widerstehen kann mir keiner, das weiß ich nur zu gut, aber danach …«, murmelte sie mit einer sonderbaren Härte in der Stimme.
Ihre Brauen zogen sich Unheil verkündend zusammen, sodass ihre Züge mit einem Mal alle Schönheit einbüßten, Gier und kalte Berechnung traten zutage.
»Es braucht halt Geduld«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, und ihr Gesicht glättete sich wieder.
Nach einer Weile, nachdem sie sich offensichtlich angenehmen Vorstellungen hingegeben hatte, entkleidete sie sich vorsichtig und zog ein biederes rüschenbesetztes Baumwollnachthemd an. Sie wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser ab und steckte die Haare zusammen, sodass ihre Rückverwandlung in das rechtschaffene junge Mädchen wieder vollkommen war.
Liebevoll packte sie ihre Schätze in ihre schützenden Umhüllungen und verbarg sie unter dem Bett in dem alten Rucksack.
Bevor sie zu Bett ging, warf sie noch einen letzten Blick in den Spiegel, ein spöttisches Lächeln kräuselte dabei ihre vollen Lippen.
Lena gönnte sich dieses Ritual nicht jeden Tag, um sich dessen Reiz zu erhalten und nicht abzustumpfen. Doch immer wenn es sich vollzog, überfiel es sie wie ein Rausch, der in die eiserne Entschlossenheit einmündete, ihr Leben in andere Bahnen als bisher zu lenken.
***
»Hier hab ich es wahrhaftig gut getroffen! Was für ein glücklicher Zufall, dass man mir damals unten im Dorf den Rat gegeben hat, auf dem Erbacherhof um Arbeit nachzufragen«, sagte Lena im Verlauf einer Unterhaltung zu Rosel, als die Mädchen in der Küche abwuschen und aufräumten.
»Wenn ich daran denk, was ich auf anderen Höfen erlebt hab! Für einen Hungerlohn hab ich schuften müssen, und im Winter war die Kammer ungeheizt!«, fuhr das schöne Mädchen in echter Erbitterung fort.
Rosel riss verschreckt und ungläubig zugleich ihre vergissmeinnichtblauen Augen auf.
»Na, so was kenn ich net! Ich bin schon seit dem Schulabschluss hier auf dem Hof und kann mich net beklagen. Hab mir fein ordentlich was ersparen können, der Ferdl, das ist mein Zukünftiger, hat nur so gestaunt! Eine schöne Aussteuer bring ich mit! Und eine Kammer hatt ich auch von Anfang an für mich allein. Daheim hab ich sie mit meinen zwei Schwestern teilen müssen, du kannst dir ja denken, wie das war!«
Rosel stammte aus einer Kleinhäuslerfamilie, in der immer große Not geherrscht hatte … Als sie ihre Stellung auf dem Hof angetreten hat, war das verschüchterte unterernährte Mädchen geradezu aufgeblüht. Auch mit ihrem Ferdl hat sie Glück gehabt, er war ein fleißiger junger Handwerker, der ein eigenes kleines Unternehmen anstrebte.
»Und was es immer für Zank und Hader gegeben hat, dass es kaum zum Aushalten war! Manche Bauersleut, bei denen ich gearbeitet hab, lebten wie Hund und Katz miteinander! Und die Hofleut sind in die ganzen Streitigkeiten miteinbezogen worden. Die meisten sind dann woanders in Dienst gegangen, wenn die Leut so oft wechseln!«, führte Lena weiter aus, ohne dass Rosel, die von argloser Natur war, eine Absicht dahinter erkennen konnte.
»Das gibt es hier net«, berichtete sie ganz begeistert. »Die Erbachers vertragen sich noch so gut miteinander wie zu Beginn ihrer Ehe. Ich kann mich überhaupt net entsinnen, dass die mal richtig miteinander gestritten haben. Wenn ich es mal so gut hab mit meinem Ferdl, dann kann ich nur dankbar sein!«
Lena schwieg dazu und polierte nachdenklich ein Glas. Eine leise Verdrossenheit malte sich auf ihrem Gesicht, die Rosel nicht wahrnahm.
Es war Lena gelungen, sich völlig in das Vertrauen des jungen Mädchens einzuschließen, teils durch kleine Schmeicheleien oder die Übernahme unangenehmer Arbeiten, teils durch Klatschgeschichten aus ihren früheren Stellungen.
Rosel, die nie aus ihrem heimatlichen Dorf herausgekommen war, gierte inzwischen geradezu nach Lenas anschaulichen Schilderungen, und sie bewunderte die Ältere rückhaltlos für ihre vielfältigen Erfahrungen.
»Wie lang sind sie eigentlich schon verheiratet, die Erbachers?«, fragte Lena unvermittelt.
»Oh, schon ziemlich lang! Ich bin gleich nach der Hochzeit hierhergekommen! Müsste schon bald ein halbes Dutzend Jahre sein«, erwiderte Rosel unbefangen.
Lena schüttelte den Kopf.
»Und dann immer noch alles eitel Sonnenschein – net zu fassen!«
»Na, so ist es auch wieder net!«, entfuhr es Rosel.
»Brauchst ja net lang zu überlegen, um zu wissen, was hier net stimmt!«
»Ja, etwas fehlt nämlich zu ihrem Glück – der Hoferbe!«
Rosel blickte überrascht hoch, denn in Lenas Stimme klang ein eigenartig hämischer Ton mit. Doch sie hatte sich wohl getäuscht, denn die Miene des Mädchens spiegelte nur Mitgefühl wider.
»Ein Unglück ist es und eine solche Ungerechtigkeit! Man könnt sich keine besseren Eltern vorstellen als die Erbachers. Andere – ich brauch bloß die Waldauers zu nennen – haben einen Stall voll Kinder und machen sich nichts daraus! Der junge Waldauer hat nichts für seine Familie übrig, lieber amüsiert er sich im Wirtshaus oder – aber ich will besser nichts sagen! Und seine Frau jammert nur den lieben langen Tag über ihre Plagen! Wenn ich dagegen unsere Bäuerin seh, wie die sich die Augen ausweint und sich grämt, weil sie kein Kindl hat!«, rief die gutherzige Rosel aus.
Lena gab die von ihr erwarteten Laute des Bedauerns von sich.
»Und der Bauer – wie nimmt er das auf?«, fragte sie dann.
Rosel zuckte die Schultern.
»Weißt du, es ist schwer, ihn zu verstehen, verschlossen, wie er ist. Aber er ist ein guter Ehemann, das steht fest. Er kennt nur seine Pflichten und schaut keine andere Frau an.«
»So!«, sagte Lena kurz und wandte rasch das Gesicht ab, damit Rosel nicht das boshafte Lächeln sah, das sie nicht verbergen konnte.
Es war ihr nämlich keineswegs entgangen, dass Martin Erbacher sie heimlich beobachtete.
»Leidtut mir das alles schon, denn so etwas kann die beste Ehe ruinieren. So ein schöner Hof, und niemand da, der ihn später mal erbt«, meinte sie dann scheinheilig.
»Ja«, seufzte Rosel, »dabei wissen die Ärzte noch net mal, woran es liegt, beide sind kerngesund.«
Rosel hätte diese Worte am liebsten wieder zurückgenommen, weil sie sie plötzlich wie einen Vertrauensbruch gegenüber Judith empfand, die ihr das einmal in einer dunklen Stunde der Verzweiflung eröffnet hatte.
Doch Lena hatte etwas an sich, das in anderen Menschen die Schleusen öffnete, sodass sie sich an deren Geheimnisse herantasten konnte.
»Am besten, man redet net darüber. Und wer weiß – vielleicht geschieht noch ein Wunder und die Erbachers kommen doch zu einem Kind. Ich hab schon von Paaren gehört, die über fünfzehn Jahre verheiratet waren und alle Hoffnung aufgegeben hatten, und dann sind sie doch noch Eltern geworden«, sagte Lena in abschließendem Tonfall.
»Hast recht«, meinte Rosel erleichtert und trocknete weiter ab.
Und während Lena sorgfältig das Essbesteck in die Schublade einräumte, kreisten hinter ihrer weißen Stirn die Gedanken. Von Rosel hatte sie erfahren, was sie wissen wollte, und sie würde dieses Wissen für ihre Pläne nutzen.
***
Auch die Erbachers führten an jenem Tag – allerdings erst spät am Abend – ein längeres Gespräch.
Als Judith sich für die Nacht fertigmachte, trödelte sie gegen ihre Gewohnheit einige Zeit herum, bis sie sich schließlich abrupt ihrem Mann zuwandte.
»Ich wollt was mit dir bereden, Martin!«
Erbacher, der schon entspannt im Bett lag, richtete sich auf und sah seine Frau an, die unruhig an den Rüschen ihres Nachthemdes herumnestelte.
»Was gibt es denn? Ein schreckliches Geheimnis?«, versuchte er zu scherzen, denn er spürte instinktiv, dass es ihr schwerfiel, die richtigen Worte zu finden.
Judith ging nicht darauf ein, aber ihre verkrampfte Haltung löste sich und sie nahm auf der Bettkante Platz.
»Doktor Wiedner hat mir geraten, es doch mal mit einer Kur zu versuchen«, brachte sie mühsam hervor.
Als Martin ihr ermutigend zunickte, fuhr sie nach kurzer Unterbrechung fort: »Luftveränderung, Bäder und Gesprächsgruppen könnten Wunder wirken, meint er. Was sagst du dazu?«, fügte sie fast angstvoll hinzu.
»Ich halte große Stücke auf Doktor Wiedner, mehr als auf die ganzen Spezialisten, die aufgebläht sind von lauter Fachausdrücken und es doch net besser wissen. Das Wichtigste aber ist, dass es dir etwas bringt, Judith! Wenn du glaubst, dass es dir hilft, dann solltest du net zögern.«
Judith atmete sichtlich auf.
»Ja, ich glaub schon. Weißt du, die Sach mit der Waldauer-Brigitte hat mir wieder mal gezeigt, wie schlecht ich mit allem fertig werd! Selbst wenn die Kur ohne Erfolg bleibt, so kann ich doch mit anderen Frauen reden und sehen, wie die mit ihrem Schicksal zurechtkommen.«
Martin verspürte eine Woge des Mitleids in sich emporwallen – gleichzeitig aber auch ein gewisses Schuldgefühl darüber, dass es ihm nicht möglich gewesen war, seiner Frau mehr Trost und Beistand zu bieten.
»Ich hab gedacht, ich geh noch vor der Ernte in Kur. Die Lena ist ja inzwischen so gut eingearbeitet, dass es dir und dem Xaver an nichts fehlen wird.«
Judith hatte sich offensichtlich im Geiste schon mit allen Einzelheiten auseinandergesetzt, die es zu bedenken gab, bevor sie ihre Kur antrat.
Flüchtig ging es Martin durch den Sinn, dass er dann nach Rosels Heirat die ganze Zeit über von Xaver abgesehen – mit Lena allein sein würde, aber rasch verbannte er diesen Gedanken wieder.
Er stimmte Judith in allem zu, versprach ihr auch, regelmäßig den alten Krainer zu besuchen und bei ihm nach dem Rechten zu sehen.
»Ich bin froh, dass du mit allem einverstanden bist, Martin. Mir ist jetzt viel leichter ums Herz«, gestand Judith zuletzt leise.
Martin zog sie stumm an sich, und eng aneinandergeschmiegt schliefen sie ein.
***
Endlich war der lang ersehnte Frühling auch in das abgelegene Bergtal gekommen, die Wiesen wogten in sanftem Grün, das sich bald mit dem Blütenschnee der Obstbäume vermengen würde.
Die Erbachers waren zusammen mit Lena in der Kirche gewesen, während Rosel das Sonntagsessen vorbereitete und Xaver nicht dazu zu bewegen gewesen war, seinen Platz neben einem erkrankten Kalb zu verlassen.
Das Ehepaar ging nebeneinander her – ab und zu umfasste Martin seine Frau – und unterhielt sich, Lena folgte in einigem Abstand. Sie war damit beschäftigt, einen Feldblumenstrauß zusammenzustellen und schweifte deshalb immer wieder in die Wiesen rechts und links von der Landstraße ab.
Auch wenn sie nach wie vor einfach gekleidet war, so wirkte sie doch sehr verändert. Das üppige Haar war scheinbar achtlos im Nacken verschlungen, in Wirklichkeit hatte sich Lena aber größte Mühe gegeben, es in dieser raffinierten Schlichtheit anzuordnen.
Zu einem dunkelblauen weiten Rock trug sie eine schmucklose weiße Bluse, die ihre vollen fraulichen Formen gut zur Geltung brachte.
»Der Vater kam mir heut ein bisserl abwesend vor, ich hoff nur, dass ihm das Alter net allzu sehr zu schaffen macht«, sagte Judith besorgt.
Wie gewöhnlich hatten sie nach dem Gottesdienst noch bei dem Krainer gestanden, wobei er einen ungewöhnlich gedankenverlorenen Eindruck auf seine Tochter gemacht hatte.
»Ich wünscht, er wär net so eigensinnig und würd zu uns ziehen, damit wir uns um ihn kümmern könnten«, erwiderte Martin, dem dieser Umstand auch aufgefallen war.
»Aber du weißt ja, was für ein Eigenbrötler er geworden ist, besonders seitdem die Mutter nimmer lebt. Net heraus will er aus seinem Bau«, sagte Judith halb verärgert, halb liebevoll.
»Das findet man öfters bei älteren Leuten. Man kann ja auch verstehen, dass er unabhängig sein will, solange es geht. Jedenfalls werd ich nach ihm schauen, wenn du weg bist.«
Dadurch kam das Gespräch auf die Kur, für die bereits alle Vorbereitungen getroffen worden waren. Martin war sehr erleichtert, seine Frau so gelöst und tatenfroh zu sehen, dass sie beinahe wieder dem lebensprühenden Mädchen glich, in das er sich damals so heftig verliebt hatte.
Ein Schmerzensschrei schreckte sie aus ihrer Unterhaltung auf, und sie blickten sich nach Lena um, die in der Wiese zu Fall gekommen war.
Sie hatte sich halb aufgerichtet, hatte aber offensichtlich Schwierigkeiten, aufzutreten. Martin eilte sofort zu ihr hin und bemühte sich, seine Stimme nicht allzu besorgt klingen zu lassen.
»Was hast dir getan, Madl? Hoffentlich ist der Knöchel net gar …«
»Nein, so schlimm ist es net!«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich bin in ein Erdloch getreten und umgeknickt. Wahrscheinlich ist der Fuß ein bisserl verstaucht!«
Wieder versuchte sie vergeblich, festen Halt zu finden, beinahe verlor sie erneut das Gleichgewicht.
»Wart, ich helf dir!«
Martin stützte sie ein wenig, und da fühlte er plötzlich die wunderbare Wärme und Weichheit ihrer Gestalt, ohne zu ahnen, dass Lena diese Berührung absichtlich herbeigeführt hatte. Ein würziger Geruch ging von ihr aus, und als sich eine lange Strähne aus ihrem Knoten löste und seine Wange streifte, glaubte er, die bittere Süße ihres Haares zu schmecken.
Einen Augenblick verharrte er so regungslos, glühende Hitze stieg in ihm empor, die auf das Mädchen überzuströmen schien. Sie beugte sich hinab und strich mit beiden Händen langsam über ihren weißen, schön geformten Knöchel, und Martin wünschte sich, dass sie ihn so berühren würde.
Dann wich sie ein wenig von ihm zurück und machte einen unbeholfenen Schritt nach vorn.
»Es geht schon wieder. Lass die Bäuerin net warten, ich komm langsam nach«, sagte sie.
Martin bückte sich, ohne ein Wort zu erwidern, nach ihrem Strauß, der ins Gras gefallen war, und reichte ihn ihr. Dabei berührten sich ihre Hände, sodass er vor ihr zurückzuckte und sich rasch umwandte.
»Kannst du auch wirklich gehen?«, fragte Judith, die sich ihnen inzwischen genähert hatte.
Fürsorglich half sie dem Mädchen den kleinen Abhang zur Straße hinauf. Erleichtert stellte sie dann fest, dass Lena mit ihnen Schritt halten konnte, wenn sie ihre Gangart verlangsamten.
Rosel spähte schon beunruhigt nach ihnen aus, als sie mit einiger Verspätung zu Hause anlangten.
»Hoffentlich schmeckt das Essen noch, ich hab es die ganze Zeit in der Röhre gehabt!«, lamentierte sie.
Als die Erbachers von Lenas Missgeschick berichteten, zerfloss sie jedoch fast vor Mitleid und gab die üblichen gut gemeinten Ratschläge.
Xaver, der gerade aus dem Stall gekommen war, riss vor Aufregung die Augen auf und verlangte sofort, Lenas Knöchel untersuchen zu dürfen.
»Nein, bleib du nur bei deinen Viechern, Xaver, an mir doktorst net herum!« Sie lachte. »Aber es tut schon kaum noch weh, bis heut Abend spür ich sicher gar nichts mehr davon!«
Der unglückliche junge Mann senkte errötend den Blick, als könne er ihr Lächeln nicht ertragen.
Beim Essen war Martin so ungewöhnlich einsilbig, dass Judith fragte: »Sag mal, schmeckt es dir heut net? Die Rosel hat sich solche Müh gegeben!«
Da erst fiel ihm auf, dass er kaum etwas zu sich genommen hatte, während sich Xaver schon zum zweiten Mal Braten und Knödel auf seinen Teller häufte.
»Doch, doch!«, versicherte er hastig, und er verwünschte sich, dass er sich nicht besser in der Gewalt hatte. »Mir geht halt so allerhand durch den Sinn. Bei der letzten Gemeindeversammlung hat es Ärger gegeben«, behauptete er schnell gefasst.
Und während er sich zum Essen zwang, obwohl ihm jeder Bissen widerstand, schilderte er unzusammenhängend eine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei ausnehmend zänkischen Gemeinderäten.
»Darfst dich da net so reinziehen lassen, Martin! Sollen die beiden Streithähne – jeder weiß ja, wie die beiden sind – mit ihrem Gezerre allein fertig werden!«, meinte Judith mitfühlend.
Martin schämte sich, weil er seine Frau belogen hatte, denn das Gezänk der beiden dickschädligen Bauern kümmerte ihn herzlich wenig. Er ahnte nicht, dass das erst der Anfang einer langen Kette von Lügen sein würde.
Eine verheerende Glut schien sein Inneres aufzuzehren – er sehnte sich plötzlich geradezu schmerzlich nach Lenas Nähe, ihrem Geruch, der sanften Fülle ihres Körpers.
Gleichzeitig war er zutiefst verstört, er hatte nicht geglaubt, dass es Empfindungen dieser Art gab. Die liebevolle Leidenschaft, die ihn mit Judith verbunden hatte, war plötzlich in weite Ferne gerückt. Dennoch war er zu diesem Zeitpunkt fest entschlossen, dieser »Anwandlung«, wie er seine Gefühle vor sich selbst zu verharmlosen versuchte, nicht nachzugeben.
Jede Ehe wurde einmal einer Belastungsprobe ausgesetzt, und er konnte es sich nicht vorstellen, mit einer anderen Frau als Judith zu leben. Sie gehörte unauflöslich zu ihm, das hatte er nicht nur vor dem Altar geschworen, sondern das wusste er auch in seinem Herzen.
Ihre Kinderlosigkeit – ein schwerer Schicksalsschlag, auch wenn Martin aus Rücksichtnahme auf Judith niemals zeigte, wie schwer er davon betroffen war – hatte ihre Ehe nicht gefährden können. Wie viel weniger bedeutete dann diese Gefühlsverwirrung! Eine Gefühlsverwirrung, die vorübergehen würde, davon war Martin Erbacher felsenfest überzeugt.
***
Die nächste Zeit brachte so viel Ablenkung, dass sich Martin wieder fing und seine verbotenen Wünsche beiseiteschob und fast vergaß.
Rosels Hochzeit wurde gefeiert, größtenteils von Judith ausgerichtet, als Entgelt für ihre treuen Dienste. Die junge Frau vergoss Tränen der Dankbarkeit und vielleicht auch der Wehmut, als sie von den Erbachers Abschied nahm.
Wenige Tage danach brach Judith zu ihrer Kur auf, und als Martin sie zum Bahnhof gebracht hatte und nach Hause zurückgekehrt war, fühlte er sich einsam und verlassen. Es war das erste Mal in seiner Ehe, dass er von seiner Frau getrennt war, und schon am ersten Abend empfand er das Alleinsein als unerträglich.
Kurz entschlossen machte er sich auf den Weg zu seinem Schwiegervater, der ihn wohlwollend empfing.
»So, da ist er ja, der Strohwitwer! Ich hol einen guten Traminer aus dem Keller, dabei redet es sich besser!«
Die beiden Männer saßen lange beisammen, unterhielten sich über allgemeine Themen oder schwiegen ganz einfach in stillem Einverständnis.
Zu vorgerückter Stunde machte sich Martin Erbacher auf den Heimweg. Die vertraute Wärme des Hauses umfing ihn tröstlich, und er ging in die Küche, um noch etwas Kaltes zu trinken. Er hatte dem Traminer doch etwas zu reichlich zugesprochen und verspürte starken Durst.
Da vernahm er ein leises Geräusch und fuhr herum, Lena stand auf der Schwelle. Sie wich seinem Blick nicht aus und machte auch keine Anstalten, sich zurückzuziehen, obwohl sie nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidet war.
Martin hatte sie noch nie so gesehen und konnte seine Augen nicht von ihr wenden. Ihr Haar, sonst immer zusammengefasst, ringelte sich in wilder Fülle über die Schultern hinab. Ihre Augen brannten schwarz, der Mund, rot und feucht, war leicht geöffnet.
Das bodenlange Hemd, das sie trug, war aus einem leichten seidigen Gespinst und betonte jede Einzelheit ihrer vollkommenen Gestalt.
Als sie sich nicht von der Stelle rührte, sagte Martin mit heiserer Stimme: »Was machst du denn hier und so spät? Hast mich ganz schön erschreckt.«
Mit einer gleitenden Bewegung kam sie in die Küche, ein leichtes Lächeln spielte um ihre Lippen.
»Erschreckt hab ich dich?«, wiederholte sie. »Das kann ich mir net vorstellen, ich hab dich immer für ein richtiges Mannsbild gehalten, das nichts so leicht erschüttern kann.«
Ihre Worte klangen wie ein Gurren, und Martin spürte, wie sich eine jähe Hitze in ihm ausbreitete.
Er wandte ihr den Rücken zu und goss sich etwas zu trinken ein, zu seiner Bestürzung zitterten seine Hände.
»Ich kann net schlafen, und da wollt ich mir etwas warme Milch machen«, erklärte Lena schließlich.
»Du kannst die Küche gleich für dich allein haben. Und in Zukunft ziehst dir etwas über, wenn du nachts durchs Haus geisterst!«, sagte Martin bissig und ärgerte sich gleichzeitig darüber, dass er sich wie ein Schulmeister anhörte.
Lena lachte leise auf, ein perlendes, spöttisches Lachen, das ihm das Blut ins Gesicht trieb.
»Konnt ja net ahnen, dass hier eine Versammlung stattfindet, wo jeder nur in sittsamem Aufzug zu erscheinen hat! Scheinst mein Gewand aber genau angeschaut zu haben – oder?«
Wieder lachte sie auf.
Martin gab ihr keine Antwort, er trank in hastigen Zügen und wollte dann die Küche verlassen. Da. Lena im gleichen Augenblick auch zwei schnelle Schritte vorwärts machte, war es unvermeidlich, dass er mit ihr in Berührung kam.
Ihr Duft, würzig und schwer, überschwemmte ihn, ihre Augen brannten sich in seine. Mit Gewalt riss er sich los und floh geradezu aus dem Raum.
Lena warf die dunkle Haarflut zurück und lächelte triumphierend. Mit trägen Bewegungen bereitete sie sich ihren Schlaftrunk zu.
Sie hatte sich sorgfältig zurechtgemacht und dieses Nachtgewand, das sie in einem teuren Geschäft in der Stadt gekauft hatte und das zu ihren geheimen Schätzen zählte, angezogen. Dann hatte sie Martin Erbachers Rückkehr abgepasst und die nächtliche Begegnung herbeigeführt.
»Du wirst mir net entkommen! Du sitzt drin in der Falle!«, flüsterte sie mit glitzernden Augen.
Ihr Instinkt sagte ihr, dass Martin Erbacher ihr bereits verfallen war, obwohl er noch dagegen ankämpfte. Unhörbar, wie sie gekommen war, huschte sie in ihre Kammer zurück und fiel in tiefen, traumlosen Schlaf.
Martin Erbacher war ebenfalls zu Bett gegangen, sein Körper schien zu glühen, und unmutig schleuderte er die schwere Decke von sich.
Er tastete nach dem leeren Platz neben sich und murmelte verzweifelt: »Hilf mir, Judith, hilf mir!«
***
Ein paar Tage verstrichen ohne Zwischenfälle, Lena verrichtete umsichtig und schweigsam ihre Pflichten, ging Martin sogar aus dem Weg, als ob sie nicht mehr an diesen Zwischenfall erinnert werden wollte.
Manchmal war Martin, der sie mit verstohlener Intensität beobachtete, geneigt, das Treffen in jener Nacht für eine Art Traumvorstellung zu halten. Vielleicht hatte der reichliche Weingenuss die Wirklichkeit verzerrt und entstellt, sodass das bescheiden wirkende Mädchen, das geschäftig im Haus herumwirtschaftete, sich in seinen Augen in ein derart verführerisches Wesen verwandelt hatte.
Dennoch wollte ihm das Bild von Lena mit den aufgelösten Haaren und dem fließenden Gewand nicht aus dem Kopf gehen. Es verfolgte ihn bis in seine Träume, sodass er sich schlaflos im Bett herumwälzte.
Tagsüber war er unruhig und gereizt, quälende Tagträume und Fantasien überfielen ihn mit plötzlicher Gewalt. Er schrieb Briefe an Judith, zerriss sie aber wieder aus Furcht, dass sie wie Hilfeschreie klangen.
Martin bemerkte nicht, dass Lena ihn ihrerseits genauestens beobachtete, und was sie sah, erfüllte sie mit Genugtuung.
Dann fasste Martin einen Entschluss, den er sofort in die Tat umsetzen wollte.
»Sie muss von hier verschwinden, jetzt ist die beste Gelegenheit dafür! Judith werd ich sagen, sie wär freiwillig gegangen, mir wird schon eine Erklärung einfallen!«, murmelte er vor sich hin, nachdem er wieder eine schlechte Nacht verbracht hatte.
Nach dem Mittagessen schickte er Xaver allein auf die Felder und wappnete sich für das Gespräch mit Lena, das vor ihm lag.
»Wenn du in der Kuchel fertig bist, kommst du mal in die Stube, ich hab mit dir zu reden«, sagte er kurz angebunden, als Lena den Tisch abräumte.
Sie warf ihm einen schrägen Seitenblick zu, bekundete ihm aber nur durch ein Nicken ihr Einverständnis.
Während Martin auf sie wartete, ging er unruhig in der Stube auf und ab, goss sich einen Obstler ein, den er in einem Zug trank, und verwünschte die ganze Situation.
***
»Ja, was gibt’s denn, Bauer?«
Lena hatte es offensichtlich eilig gehabt, seiner Aufforderung Folge zu leisten, denn sie trocknete sich hastig die Hände an der Schürze ab. Sie machte einen so arglosen Eindruck, dass sich Martins Herz zusammenkrampfte.
Verlegen räusperte er sich.
»Die Sach ist halt so, Lena – es wär besser, wenn du dir woanders Arbeit suchst …«
»Was hab ich denn falsch gemacht? Ich hab so gehofft, hier bleiben zu können!«, fiel sie ihm erregt ins Wort.
Ihre großen dunklen Augen füllten sich mit Tränen, während sie ihn unverwandt ansah und die Hände ineinander verkrampfte.
»Ich werd dir auch dabei helfen, etwas anderes zu finden. Vielleicht bei meinem Schwiegervater«, stammelte Martin hilflos.
»Was nützt mir das! Ich wollt endlich mal wissen, wo ich hingehöre! Immer bin ich herumgestoßen worden – mein Leben lang! Was mach ich nur falsch!«, klagte Lena und schlug die Hände vor das Gesicht.
»Wein net. Das kann ich net ertragen, Lena!«, stieß Martin hervor und trat auf sie zu.
Er fühlte sich elend und schuldbewusst, musste sie doch für seine Leidenschaft büßen. Aus dieser Empfindung heraus umfasste er sie tröstend, und das wurde ihm zum Verhängnis.
Sie lehnte sich an seine Brust, und er begann, ihre Schultern zu streicheln. Dann wusste er nicht mehr, was er tat, die Wärme ihres Körpers betörte ihn. Er hob ihr tränenüberströmtes Gesicht zu sich empor und küsste sie wie ein Verdurstender.
»Komm!«, sagte sie nach einer Weile leise und nahm ihn bei der Hand.
Willenlos folgte er ihr in ihre Kammer, und sie versanken in einem Rausch der Leidenschaft.
Martin Erbacher verfiel Lena in einem Maße, das ihn alles um sich herum vergessen ließ. Wenn er nachts zu ihr ging, geschah es ohne jegliche Vorsicht, als wäre es ihm gleichgültig, ob Xaver ihn dabei entdeckte oder nicht.
Er vernachlässigte seine Amtsgeschäfte und suchte seinen Schwiegervater entgegen seiner Versprechungen kaum mehr auf. Seine spärlichen Mitteilungen an Judith fielen knapp und sachlich aus, und er las ihre zahlreichen liebevollen Briefe nur flüchtig durch und legte sie dann beiseite.
Es war, als hätte seine Leidenschaft für Lena alles in ihm ausgelöscht, was früher im Mittelpunkt seines Lebens gestanden hatte.
Lena veränderte sich nicht weniger, sie arbeitete nur noch so viel, um den Schein zu wahren. Gemeinsam unternahmen Martin und sie heimliche Fahrten in die Stadt und gingen dort Vergnügungen nach, die Martin bislang nicht gekannt, geschweige denn zu schätzen gewusst hatte.
Lena trug kostbare Kleider und Schmuck, den Martin ihr geschenkt hatte. Endlich schienen sich ihre ehrgeizigen Träume zu erfüllen, und sie sah sich schon als reiche Hofbäuerin, die sich aber gleichzeitig alles gönnen konnte, was das Stadtleben an Zerstreuungen bot.
***
»Was soll nur aus uns werden? Wie soll das alles weitergehen?«, fragte Lena in einer Nacht kurz vor der Rückkehr der Erbacherbäuerin.
Die Frage traf Martin unvermittelt, er war noch völlig betäubt von Lenas Zärtlichkeiten. Er richtete sich auf und schaute zu ihr hin, sie war aufgestanden und blickte aus ihrem Kammerfenster hinaus in die Dunkelheit.
Martin gab keine Antwort, er war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Wirst du es deiner Frau sagen?«
Lena hatte ihm immer noch den Rücken zugewandt, sodass sie nicht sehen konnte, dass er wie unter einem schmerzhaften Schlag zusammenzuckte.
»So wie jetzt kann es natürlich net bleiben«, brachte er mühsam hervor.
Sein Mund war ausgetrocknet, die Ausweglosigkeit seiner Lage nahm ihm fast den Atem.
»Ihr habt keine Kinder! Eine Trennung von deiner Frau müsste deshalb doch net so schwierig sein!«, fuhr das Mädchen unbedacht fort.
»Eine Trennung von meiner Frau?«, wiederholte Martin ungläubig, schon die bloße Vorstellung erschien ihm als eine Ungeheuerlichkeit. Für ihn war die Ehe nichts Auflösbares, dazu war er viel zu sehr im traditionellen Denken der Gebirgler verhaftet.
»Hast das noch nie im Sinn gehabt? Welcher Bauer verzichtet schon auf einen Erben! Und so groß kann die Liebe zu deiner Frau auch net sein, sonst wären wir zwei net zusammengekommen. Du bist nämlich keiner von denen, die ihre Frau gewohnheitsmäßig betrügen.«
Lena war herumgeschnellt, ihr aufgelöstes Haar verlieh ihr etwas Wildes, das Martin plötzlich Unbehagen einflößte.
Etwas in ihm hielt ihn davor zurück, sich über seine Gefühle für seine Frau zu äußern, die tiefe Verbundenheit, die er für sie empfand.
Stattdessen sagte er hölzern und unbeholfen: »Hier hat es noch nie eine Scheidung gegeben, das ist net üblich!«
In Lenas Augen trat ein Unheil verkündendes Funkeln, und zum ersten Mal beschlich Martin der Verdacht, dass er sie völlig falsch eingeschätzt hatte. Sie war nicht das demütige, bescheidene Mädchen, wie sie es immer mit großem Geschick vorgespielt hatte – Lena war gefährlich.
»Dann bin ich also die ganze Zeit über nur ein Gspusi für dich gewesen? Ein Ersatz für deine Frau, weil sie grad net verfügbar ist!«, fauchte sie.
In ihrem Zorn war sie berückend schön und wider Willen flammte wieder Begehren in Martin empor.
»Lena! Du weißt genau, dass es net so ist!«, stieß er hervor.
Er wollte sie in die Arme ziehen, aber sie wich ihm mit einer katzenhaften Bewegung aus.
»Das musst du mir erst beweisen!«
»Wie soll das möglich sein, Lena? Ich seh einfach keine Lösung für uns!«, erwiderte er gequält. »Ich kann net von heut auf morgen mein ganzes Leben …«
»Und mein Leben? Was meinst du, was das für ein Leben für mich ist, wenn deine Frau erst wieder zurück ist! Schäbige Heimlichkeiten, immer die Angst vor Entdeckung – das mach ich net mit, Martin!«, schleuderte sie ihm entgegen.
Dann wechselte jäh ihre Stimmung, sie umschlang ihn und brach in hemmungsloses Schluchzen aus.
»Ich muss dich verlassen, Martin, das kann ich alles net ertragen!«
Bei dem Gedanken, Lena zu verlieren, wurde ihm eiskalt vor Entsetzen. Er presste sein Gesicht an ihre tränennasse Wange und flüsterte beschwörend: »Ich geb dich net auf, Lena, niemals! Du brauchst keine Angst zu haben.«
Ihr Weinen verebbte.
»Aber ich brauch Zeit, um alles zu regeln«, fuhr er fort, »dafür musst du Verständnis haben.« Er wiegte sie sacht hin und her. »Versprichst du mir, dass du Geduld haben wirst und nichts Unbedachtes tust?«
»Ja«, sagte sie leise.
»Es bringt uns gar nichts, wenn wir versuchen, jetzt alles zu erzwingen. Damit würden wir, wie die Dinge im Augenblick stehen, höchstens alles verspielen«, überlegte Martin, selbstsicherer geworden, weiter.
Er schlug Lena schließlich vor, sich nichts anmerken zu lassen und wieder in die Rolle des bescheidenen Mädchens zu schlüpfen. Als zukünftigen Treffpunkt nannte er eine verlassene Sennhütte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie dort entdeckt werden konnten, war sehr gering.
»Es wird bitter für uns werden, Lena, und ich werd vergehen vor Sehnsucht nach dir!«, gestand Martin leidenschaftlich und küsste heiß ihre Schläfe.
»Ich auch, Martin!«, schwor Lena. »Nur die Stunden, in denen ich mit dir zusammen sein kann, zählen!«
Sie versanken in einer langen Umarmung, und erst im Morgengrauen verließ Martin die Kammer des Mädchens.
Lena war nicht sehr zufrieden über den Ausgang des Gesprächs, sie hatte gehofft, leichteres Spiel mit Martin zu haben. Aber sie würde nicht aufgeben, zwar lag ihr vor allem daran, Hofbäuerin zu werden, doch inzwischen kettete sie auch echte Leidenschaft an Martin Erbacher.
Noch nie war es einem Mann gelungen – und Lena hatte nicht wenige Erfahrungen in ihrem Leben gemacht – diese Empfindungen in ihr zu erwecken.
Er sollte der Mann an ihrer Seite sein, nicht irgendein Tölpel, der es nicht verstand, auf eine anspruchsvolle Frau einzugehen!
Wir werden ein prächtiges Paar abgeben. Alle werden uns beneiden, dachte sie schlaftrunken.
Vorerst musste sie sich mit den Gegebenheiten abfinden, es wäre unklug von ihr, Martin weiter zu drängen. Vielleicht würde der Umstand, dass sie nicht mehr so leicht erreichbar für ihn war, ihn ja um so enger an sie fesseln.
»Er muss mich heiraten!«, flüsterte sie.
An Judith verschwendete sie keinen Gedanken.
***
»Schaust gut aus, Judith!«, sagte Martin in ehrlicher Bewunderung zu seiner Frau, als sie nach wochenlanger Abwesenheit nach Hause zurückgekehrt war.
Judith Erbacher wirkte tatsächlich wieder wie ein junges Mädchen, so leicht und beschwingt war ihr Gang. Die Haare trug sie zu einer lockigen Hochfrisur aufgesteckt und das Dirndl in frischen Farben stand ihr wesentlich besser als ihre vorher eher allzu frauliche Kleidung.
Der bittere Zug um ihren Mund war verschwunden, sie strahlte Ausgeglichenheit und Herzenswärme aus.
»Ich fühl mich auch gut, Martin! Net nur die Behandlung, sondern auch die Gespräche haben mir sehr geholfen. Und wie ist es dir die ganze Zeit über ergangen?«
Martin errötete leicht, er schämte sich wegen seiner dürftigen Briefe, aber Judith machte ihm keinen Vorwurf. In dürren Worten fasste er zusammen, was sich im Dorf und auf dem Hof alles ereignet hatte.
»Das Vieh ist jetzt durchweg in Ordnung, dank Xaver«, berichtete er. »Der Tierdoktor könnt glatt noch was bei ihm lernen. Der hätt das Kalb nie durchgebracht.«
Judith hatte nach dem Kaffee den Wunsch gehabt, durch die Ställe und über die Felder zu gehen, als wollte sie ihr Reich wieder in Besitz nehmen.
»Und der Vater?
»Er ist wohlauf, sogar in besserer Verfassung als vor deiner Abreise. Wir haben seinem Traminer ganz schön zugesetzt!«, beeilte sich Martin zu versichern.
Zwei Tage, bevor Judith eintraf, hatte er seinem Schwiegervater einen längeren Besuch abgestattet und er konnte nur hoffen, dass der alte Krainer nicht misstrauisch geworden war, weil er ihn zeitweise so vernachlässigt hatte.
»Das freut mich. Ich hab mir Sorgen um ihn gemacht. Aber auf dich ist ja Verlass«, sagte Judith dankbar und drückte fest Martins Arm.
»Und die Rosel war auch mal hier heroben, um mit der Lena zu schwatzen. Sie scheint eine glückliche Ehefrau zu sein, sie strahlt ja nur so.«
»Das ist ihr auch zu wünschen! Sie hat es als Kind wahrhaftig net schön gehabt!«