Alpengold 404 - Rosi Wallner - E-Book

Alpengold 404 E-Book

Rosi Wallner

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Beschreibung

Schon seit Stunden hockt Marius auf dem Hochsitz, ohne sich zu rühren, und beobachtet die Lichtung. Und dann hat er endlich Glück, und ein Zwölfender taucht auf.
Mechanisch greift Marius nach dem Gewehr. Kaum aber hat er es angelegt, als eine schmale Frauengestalt aus dem Gebüsch tritt und den Arm um den Hals des mächtigen Tieres legt.
Ungläubig beobachtet Marius durch das Fernglas die Szene. Ein fremdes, bildschönes Madl umzärtelt den Hirsch, der keinerlei Versuch macht, zu flüchten. Wie ist das möglich?
Eine heiße Lohe steigt in Marius auf, und der Wunsch, das Geheimnis der jungen Frau zu ergründen, wird zur Besessenheit ...

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Inhalt

Cover

Das Waldmädchen

Vorschau

Impressum

Das Waldmädchen

Nach einem rauschhaften Sommer verschwindet es spurlos

Von Rosi Wallner

Schon seit Stunden hockt Marius Aubinger auf dem Hochsitz, ohne sich zu rühren, und beobachtet die Lichtung. Und dann hat er endlich Glück, und der gewaltige Zwölfender taucht auf.

Mechanisch greift Marius nach dem Gewehr. Kaum aber hat er es angelegt, als eine schmale Frauengestalt aus dem Gebüsch tritt und den Arm um den Hals des mächtigen Tieres legt.

Ungläubig beobachtet Marius durch das Fernglas die Szene. Ein fremdes, bildschönes Madl umzärtelt den Hirsch, der keinerlei Versuch macht, zu flüchten. Wie ist das möglich?

Eine heiße Lohe steigt in Marius auf, und der Wunsch, das Geheimnis der jungen Frau zu ergründen, wird zur Besessenheit ...

»Jessas, bei den Aubingers hängt aber der Haussegen schief«, kam es unwillkürlich über die Lippen von Rudi Gerner, als er die lauten Stimmen vernahm, die bis auf die Straße hinaus drangen.

Der Postbote blieb noch einen Augenblick stehen, nachdem er Zeitschriften und einen Katalog in den Briefkasten geworfen hatte, der neben dem Hoftürl angebracht war. Und so wurde er auch Zeuge davon, wie Marius Aubinger, der Hoferbe, erbost seinen Vater anschrie.

»Ich will aber net heiraten!«

Das nun war sehr verwunderlich, dachte Rudi, denn der Aubinger-Marius war ein sehr zurückhaltender und besonnener junger Mann, der seinen Eltern bisher nur Freude gemacht hatte und sich immer mustergültig benahm. Ganz im Gegensatz zu Rudis eigenem Sohn Bertl, diesem Schluri, der schon früh mit dem Gesetz in Konflikt geraten war und schließlich in der Großstadt sein Glück versucht hatte.

Weniger verwunderlich aber war, dass der Marius nicht heiraten wollte, fand der Postbote. Besonders die jungen Männer schoben es immer weiter hinaus, das Joch der Ehe auf sich zu nehmen, besonders, wenn die Eltern ein Wörterl mitzureden hatten.

Wehmütig dachte Rudi daran, wie lange es gedauert hatte, bis sein geliebtes Marerl endlich mit ihm vor dem Traualtar gestanden hatte. Aber ihnen war nur ein kurzes Eheglück beschieden gewesen. Nun lag sie schon lange auf dem kleinen Dorffriedhof, immer noch betrauert von ihrem untröstlichen Ehemann.

Rudi seufzte auf und setzte seinen Weg fort, der ihn zu einem abgelegenen Gehöft führte. Bei den Aubingers stritt man sich immer noch, und er war froh, als er so weit weg war, dass ihn die Stille und der Frieden der heimischen Bergwelt umfingen.

***

Bei den Aubingers war die Auseinandersetzung inzwischen immer hitziger geworden. Vater und Sohn standen sich gegenüber, ungewöhnlich, weil sie sich doch sonst so gut verstanden. Auch Hilde Aubinger, ihrem Marius über alle Maßen zugetan, funkelte ihn jetzt feindselig an.

»Dass du die Kirsteiner-Luisa heiraten wirst, ist schon lang zwischen uns und ihren Eltern abgesprochen.«

»In welchem Jahrhundert leben wir denn!«, fiel Marius seiner Mutter aufgebracht ins Wort. »Die Zeiten sind zum Glück vorbei, dass die Eltern über das Leben ihrer Kinder bestimmen durften, sogar wenn sie schon erwachsen waren.«

»Aber immerhin enterben dürfen die Eltern sie noch, wenn sie sich gegen sie auflehnen oder Schande über die Familie bringen«, sagte Valentin Aubinger kühl.

»Was nützt mir das Erbe, wenn ich lebenslang an eine Frau gebunden bin, die ich net lieb hab«, hielt Marius dagegen. »Außerdem bin ich net von euch abhängig. Mit meiner Ausbildung als Forstwirt find' ich jederzeit woanders eine Anstellung.«

»Du hast überhaupt keinen Familiensinn«, wetterte sein Vater.

Doch seine Mutter erkannte, dass dies der falsche Weg war, um ihren Sohn umzustimmen, und brachte ihren Mann mit einer Geste dazu, innezuhalten.

»Hör mir mal zu, Bub«, begann sie zu sprechen. »Viele junge Leute heiraten im Überschwang der Leidenschaft, doch die vergeht, und sie erkennen am Ende, dass sie sich nichts mehr zu sagen haben. Und dann ist das Unglück groß. Aber wenn du ein Madl heiratest, das von hier stammt und mit dem du viel gemeinsam hast, dann ist da eine Verbundenheit, die stärker ist als alle Leidenschaft.«

Marius schwieg.

»Weißt du, wie deine Mutter und ich zusammengekommen sind? Unsere Eltern haben das auch abgesprochen, und wir haben uns schließlich gefügt, obwohl ich ...«

Hildes Miene hatte sich verdüstert, und der Aubinger sagte schnell: »Aber das tut nichts zur Sache. Als wir uns besser kennengelernt haben, sind wir uns auch näher gekommen, und ohne deine Mutter könnt' ich mir das Leben gar nimmer vorstellen. Wir sind glücklich miteinander geworden, net wahr, Hilde?«

Seine Mutter nickte errötend und griff nach der Hand ihres Mannes, was Marius anrührte, denn Hilde Aubinger neigte nicht dazu, in Anwesenheit anderer zärtlich zu Valentin zu sein.

»Nun, ihr wart ja auch ein schönes Paar«, bemerkte Marius mit einem Blick auf die Familienbilder, die auf der Kredenz aufgereiht standen. Eines von ihnen zeigte die Eltern nach der Trauung.

»Fesch war er, mein Valentin, und ist es immer noch«, sagte Hilde und errötete tief.

»Und die Hilde war das hübscheste Madel im ganzen Tal. Du hättest sehen sollen, wie gut ihr die Brautkrone gestanden hat«, fügte der Aubinger hinzu, dann räusperte er sich mit einiger Verlegenheit, denn auch er zeigte selten Gefühle.

»Ich hab die Luisa ja schon lang nimmer gesehen. Aber ich kann mich daran erinnern, dass sie ein Moppelchen mit strähnigem Haar war. Und schlampig kam sie mir auch vor«, fügte Marius in abschätzigen Tonfall hinzu.

»Du weißt ja net, wie sie jetzt ausschaut. Jedenfalls hat sie bei den Nonnen eine gute Erziehung bekommen, und zur weiteren Ausbildung war sie in München. Und mit ihrer Mutter, der Josefa, kriegst du bestimmt mal keine böse Schwiegermutter«, betonte Hilde

»Außerdem bekommt sie eine große Mitgift, unter anderem auch das Waldstück, das an unseren Forst grenzt. Dann könnten wir mehr Gewinn machen ...«

»Vater«, unterbrach Marius ihn scharf.

»Schon gut, Bub, bist halt noch ein Romantiker. Aber weit kommst du damit net, dass sag ich dir gleich.«

»So wie du eben über die Mutter geredet hat, bist du auch ein Romantiker, Vaterl«, wandte Marius spöttisch ein.

»Dein Vaterl ist ein heimlicher Spätromantiker«, meinte Hilde.

Das brachte nun alle zum Lachen, und die Spannung, die zwischen ihnen geherrscht hatte, löste sich.

»Nun gut, ich tu euch halt den Gefallen. Ich treffe mich mit der Luisa, und dann wird man weitersehen. Aber wenn sie schiach ist oder deppert, dann wird nichts draus. Stell dir nur mal vor, du tätest schiache oder depperte Enkel bekommen, Vaterl«, gab Marius schließlich halbherzig nach.

»Von den Kirsteiners ist noch keiner hässlich oder deppert gewesen, es gibt sogar Studierte in der Familie. Und die Kirsteinerin war zu ihrer Zeit ein sauberes Madl.«

»Das weißt du noch?«, unterbrach ihn Hilde.

»Kein Grund, eifersüchtig zu sein.«

»Das hoff' ich. Am Wochenende ist doch das Gründungsfest vom Sängerbund, da gehen die Kirsteiners auch immer hin. Abends ist Tanz, da kannst die Luisa dann kennenlernen«, erklärte Hilde.

»Das habt ihr wohl alles schon geplant?«, warf Marius leicht gereizt ein.

»Natürlich. Die jungen Leut' heutzutage täten ja sonst überhaupt net zusammenfinden, wenn man ihnen net auf die Sprünge hilft«, erwiderte seine Mutter unerschütterlich.

»Da hat deine Mutter ganz recht«, bekräftigte Valentin Aubinger.

Da der Hofbauer immer sehr bestimmt auftrat, nahm man an, dass er auch zu Hause das Sagen hatte. Doch das war weit gefehlt. In Wirklichkeit bestimmte Hilde Aubinger letztendlich alles, und damit war die Familie immer gut gefahren.

Auch Marius ergab sich schließlich in sein Schicksal und versprach, sich bei seinem Treffen mit Luisa Kirsteiner von seiner besten Seite zu zeigen. Das würde ihm nicht schwerfallen, denn er konnte sehr charmant sein, wenn er nur wollte. Allerdings war er kein Schürzenjäger. Es hatte Liebeleien gegeben, gewiss, doch die Richtige war nie darunter gewesen, und so hatte er sich bald wieder zurückgezogen.

Als Vater und Sohn das Haus verlassen hatten, rief Hilde sofort Josefa Kirsteiner an, mit der sie schon seit Kindheitstagen befreundet war.

»Ich hab den Marius endlich dazu gebracht, dass er sich mit deiner Luisa trifft. Wie steht denn sie dazu?«

Josefa seufzte. »Sie weiß noch gar nichts von ihrem Glück. Denn sie würde ja fuchsteufelswild werden, wenn wir uns in ihr Leben einmischen, das hat sie uns schon früh klargemacht. Aber sie wird auf jeden Fall beim Gründungsfest dabei sein, das hat sie uns versprochen. Und dann hat der Marius ja die Gelegenheit, sie kennenzulernen.«

»Jesses. Die jungen Leut' machen es uns heutzutage aber auch wirklich schwer. Ich kann mir allerdings net vorstellen, dass ihr mein Marius net gefällt. Außer, sie hätt' schon einen Schatz, von dem du nichts weißt.«

»Nein, nein, das wüsste ich. Sie steht den Mannsleuten halt sehr kritisch gegenüber«, erklärte Josefa und seufzte wieder.

»Da ist sie net die Einzige. Wenn ich da erst an unsere Apollonia denke! Die hält jedes Mannsbild für eine Ausgeburt des Teufels. Gut, dass sie noch net zu Hause ist, sonst tät sie das Ganze noch hintertreiben.«

»Ach, das kann sich über Nacht ändern«, meinte Josefa tröstend, dann beendeten sie das Gespräch.

***

»Dass du dich auch mal wieder blicken lässt«, rief Franzl Bachmayr erfreut aus und schlug Marius so heftig auf die Schulter, dass er zusammenzuckte.

Franzl und Marius waren schon lange Spezeln, von der ersten Klasse an, und sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel. In der letzten Zeit hatten sie sich aber kaum noch getroffen, noch nicht einmal zum Stammtisch, denn es gab auf dem Aubingerhof gerade viel Arbeit zu bewältigen.

Ein paar weitere Freunde gesellten sich zu ihnen, allen voran Hubertus Thaler, ein hochgewachsener, kräftiger Mann, der das offene Wort liebte, was man ihm häufig übel nahm. Begleitet wurde er von Siggi Berner, dem Apotheker, einem jungen Mann von schmächtiger Gestalt, dessen Hinterkopf von einem zerrupften kleinen Haarknoten geschmückt war. Niemand konnte verstehen, was diese beiden unterschiedlichen Menschen eigentlich verband, doch die beiden verstanden sich auch ohne Worte und waren unzertrennlich.

Zuletzt kam auch noch Kilian Hauser dazu, der zwar freundlich, aber nicht gerade mit Überschwang begrüßt wurde. Denn Kilian war ein Mensch von düsterer Wesensart, der alles kritisierte und der Auffassung war, dass die Welt unaufhaltsam ihrem Untergang entgegensteuerte.

»Diese Feiern hasse ich. Erst die ganzen Reden ohne Sinn und Verstand, dann dieses sittenlose Tanzvergnügen«, begann er sofort zu nörgeln. »Und was kommt dabei heraus? Kinder, die niemand gewollt hat, und schlechte Ehen ...«

Das brachte Hubertus Thaler ungemein auf.

»Meine Eltern haben sich auch hier auf dem Tanzboden kennengelernt, und mein Mutterl war schon mit mir schwanger, als sie geheiratet haben. Und du wirst es net glauben, Kilian, die beiden waren sehr glücklich miteinander bis zu ihrem frühen Tod.«

Hubertus' Stimme war bei den letzten Worten ins Schwanken geraten, und er bekreuzigte sich. Seine Eltern waren bei einem Murenabgang ums Leben gekommen, betrauert von allen, die sie gekannt hatten.

»Auch meine ältere Schwester hat ihren Mann so gefunden und hat es net bereut. Weißt, Kilian, du bist ja bloß neidisch, weil dich keine haben will«, sagte Siggi Berner, der manchmal ziemlich scharf sein konnte.

»Komm, Kilian, trink erst mal ein Bier, dann fühlst du dich gleich besser«, wiegelte Marius ab.

Kilian murrte noch ein wenig, dann widmete er sich seinem Bier, das, seiner Meinung nach, nicht kalt genug war und nur eine dürftige Schaumkrone hatte. Doch man hörte schon gar nicht mehr hin, denn die Aufmerksamkeit der Burschen war auf die Madeln gerichtet, die in kleinen Gruppen die Tanzfläche säumten.

Marius war froh, dass die Reden der Honoratioren endlich überstanden waren, die sich, wie befürchtet, sehr in die Länge gezogen hatten. Doch nun stand der Höhepunkt des Abends bevor: Zum heutigen Tanz würden bekannte Musiker aufspielen, denn das Gasthaus »Zum schwarzen Adler« war über die Grenzen des Ortes hinaus bekannt.

Sepp Kofler, den alle nur den Adlerwirt nannten, war sehr geschäftstüchtig. Als zwei Nachbarhäuser zum Verkauf standen, ersteigerte er sie, ließ sie abreißen und einen großen Saal anbauen, der Raum für die verschiedensten Veranstaltungen bot. Wie unter anderem die beliebten Tanzabende an den Wochenenden oder Vereinsfeste.

So wurde der »Schwarze Adler« zum Mittelpunkt des dörflichen Lebens, wo man sich zum Stammtisch traf und sich die jungen Leute kennenlernen konnten. Manchmal ging es auch richtig hoch her. Es kam zu Raufereien, teils aus Eifersucht, teils aber aus Groll und lang genährten Rachegefühlen, die plötzlich wieder hervorbrachen. Doch das duldete der Adlerwirt nicht. Obwohl er nicht mehr der Jüngste war, griff er sofort beherzt ein und setzte alle Beteiligten vor die Tür, im schlimmsten Fall erhielten sie sogar Hausverbot.

Und so warteten die jungen Leute sittsam darauf, bis die Musik einsetzte. Einige der Paare hatten sich schon gefunden, manche Burschen spähten noch suchend umher und konnten sich nicht entscheiden, wen sie zum Tanz auffordern sollten.

»Flitscherl sind's, untreu allesamt«, gab Kilian von sich. »Und es ist eine Schande, wie sie sich herausgeputzt haben.«

»Das dort drüben ist meine Schwester, die Rosel«, fuhr Franzl Bachmayr wütend auf. »Meinst du die auch damit?«

Kilian fuhr zurück. »Nein, natürlich net«, stammelte er.

»Und sie hat sich hier mit ihren Freundinnen getroffen, alles brave Madeln. Wenn dir halt alles net passt, dann geh doch nach Hause und zieh dir die Decke über den Kopf. Auf dich können wir hier verzichten, du Grantler.«

»Ich hab deine Schwester net wiedererkannt, sie schaut jetzt ganz anders aus. Es tut mir leid, ich wollt net schlecht über sie reden.«

Doch bevor Kilian den Satz noch beenden konnte, hatte sich Franzl schon von ihm abgewandt und ließ ihn einfach stehen. Das traf Kilian hart, denn außer seinen Freunden fand sich sonst niemand mehr, der sein ständiges Genörgel ertragen konnte. Niedergeschlagen ließ er sich an einem Tisch weit hinten im Raum nieder und ergab sich dem Alkohol.

Marius aber hatte endlich ein Mädchen erblickt, das ihn so beeindruckte, dass er unbedingt mit ihr tanzen wollte. Er eilte zu ihr hin, und ihre Blicke versanken ineinander. Beinahe versagte ihm die Stimme, als er sie schließlich bat, mit ihm zu tanzen.

Inzwischen hatten die Musiker Aufstellung genommen, eine weithin bekannte Blaskapelle, die in heimischer Tracht auftrat und dafür bekannt war, jeden Tanzsaal zum Beben zu bringen. Marius und das Mädchen standen sich abwartend gegenüber, bis die Musik einsetzte. Er wagte es kaum, sie zu umfassen, und es dauerte eine Weile, bis er sie schließlich an sich zog und sie sich im Rhythmus eines Walzers bewegten.

Er konnte die Augen nicht von ihr lassen, so schön fand er sie. Das schmale Gesicht mit den regelmäßigen Zügen, die großen meergrünen Augen und der volle Mund, den er schon jetzt so gerne geküsst hätte. Und ihre üppigen goldbraunen Haare, die ihr bis auf die Schultern herabfielen, empfand er ebenso reizvoll.

Sie war sehr schlank, hatte aber weibliche Formen, wie der tiefe Ausschnitt ihres Seidendirndls verriet, in den sich Marius' Blick einmal verirrt hatte. Das hatte ihn so verwirrt, dass er aus dem Takt kam und das Mädchen leise auflachte. Verlegen errötete er, was er damit überspielte, dass er sich nach ihrem Namen erkundigte.

»Ich heiße Agathe«, gab sie Auskunft.

»Das ist aber ein ziemlich altmodischer Name«, kam es von seinen Lippen.

»Nach meiner Tante.«

»Ach so. Meine Schwester ist nach unserer Großtante genannt. Sie heißt Apollonia, was ihr überhaupt net gefällt.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Wieder lachte sie hell auf. »Und du? Gibt es einen Erbonkel ...«

»Nein, ich heiße Marius.«

»Nun, das klingt doch gut.«

Marius zog sie ein wenig enger an sich, wogegen sie nichts einzuwenden hatte, sodass er an ihrem Ohr flüsterte: »Weißt, am liebsten tät ich den ganzen Abend mit dir tanzen. Was meinst du?«

»Ich meine, dass mir das gefallen tät. Aber net, dass du mich bei der bairischen Polka gnadenlos quer über den Tanzboden zerrst oder mich schreiend in die Höhe wirfst. Das bitt' ich mir aus, Marius.«

Er musste lachen. Dass Agathe Sinn für Humor hatte und kein Blatt vor den Mund nahm, beeindruckte ihn.

»Dazu bin ich viel zu faul.«

»Ich mag romantische Männer«, sagte sie mit einem neckischen Augenaufschlag.

Franzl und Hubertus standen derweilen am Rand der Tanzfläche und beobachteten das Geschehen.

»Schau dir mal den Marius an! Der ist ja völlig hingerissen und flirtet richtiggehend. So hab ich den noch nie erlebt«, sagte Franzl.

»Ich hör' schon die Hochzeitsglocken«, erwiderte sein Freund.

»Ja, jeden von uns überkommt es mal«, kommentierte Franzl schicksalsergeben.

Auch ihn »überkam es« an diesem Abend. Doch er verliebte sich nicht in eine Großbauerntochter, sondern in eine der Nichten des Adlerwirts, die hin und wieder im Gasthaus bediente. Noch ahnte er nicht, wie lange er um sein Glück kämpfen musste.

Marius und sein Madel blieben unzertrennlich. Wenn man sie abzuklatschen versuchte, entzogen sie sich geschickt, denn keiner von beiden konnte es sich vorstellen, den Abend mit jemand anderem zu verbringen.