Heimat-Roman Treueband 68 - Rosi Wallner - E-Book

Heimat-Roman Treueband 68 E-Book

Rosi Wallner

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Beschreibung

Lesen, was glücklich macht. Und das zum Sparpreis!

Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.

Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Alpengold 226: Doch ihren Stolz konnt‘ keiner brechen
Bergkristall 307: Vroni und der Fremde vom Bergsee
Der Bergdoktor 1809: Was uns das Schicksal auferlegt ...
Der Bergdoktor 1810: Dr. Burger und die Träumerin
Das Berghotel 163: Auf ihre Liebe fiel ein Schatten
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 578

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Rosi Wallner Christina Heiden Andreas Kufsteiner Verena Kufsteiner
Heimat-Roman Treueband 68

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2018 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Boiko Olha / Shutterstock

ISBN: 978-3-7517-6504-6

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Heimat-Roman Treueband 68

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Alpengold 226

Doch ihren Stolz konnt‘ keiner brechen

Bergkristall - Folge 307

Vroni und der Fremde vom Bergsee

Der Bergdoktor 1809

Was uns das Schicksal auferlegt ...

Der Bergdoktor 1810

Dr. Burger und die Träumerin

Das Berghotel 163

Auf ihre Liebe fiel ein Schatten

Guide

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Contents

Doch ihren Stolz konnt’ keiner brechen

Warum Agnes ihr Herz vor der Liebe verschloss

Von Rosi Wallner

Sie ist eine ganz Besondere, die Agnes Windacher, eine, die sich mit Heilkräutern und Gewürzen befasst, die Salben und Tees herzustellen weiß und ein stilles, weltfernes Leben führt droben am Windacher-Hof. Sie versorgt den Vater, der nichts mehr tut, sondern das letzte Geld im Dorf vertrinkt, und die armselige Wirtschaft, die kaum etwas hergibt. Und nur wenige erkennen hinter dem bescheidenen Auftreten der Agnes den Fleiß, den Anstand und den Stolz, die ihr die Kraft geben, das alles zu ertragen.

Stefan, der Jungbauer vom reichen Eschthaler-Hof, gehört zu diesen wenigen, und schon als er die Agnes zum ersten Mal sieht, weiß er, dass sie die Frau seines Lebens ist. Die Liebe überwältigt die beiden jungen Menschen, erfüllt sie mit dem Glauben an das gemeinsame Glück. Doch da kehrt Jutta heim auf den Windacher-Hof, Agnes’ schöne, skrupellose Schwester …

Stefan Eschthaler blieb aufatmend stehen, als er das kleine Gebirgsplateau erreicht hatte, und blickte mit strahlenden Augen um sich.

Wie schön seine Bergheimat jetzt im Frühling war! Fast hatte er vergessen, wie süß die Almwiesen dufteten, die sich bis zum dunklen Bergwald hochzogen. Unter ihm schmiegten sich die Häuser des kleinen Dorfes in das tief eingeschnittene Tal, umkränzt von blütenbeladenen Obstbäumen.

Schützend hob er die Hand über die Augen, als sein Blick über das gewaltige Gebirgsmassiv glitt, das ihm gegenüber emporwuchs, und die Gletscher leuchteten im Sonnenlicht wie blaues Feuer.

Stefan stieß einen Jauchzer aus, so leicht war es ihm ums Herz, dann setzte er seinen Weg fort. Unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte, so sehr freute er sich darauf, seine Eltern wiederzusehen.

Über vier Jahre war er von zu Hause weg gewesen, um auf den Wunsch seines Vaters eine landwirtschaftliche Ausbildung in der Stadt zu absolvieren. Anfangs hatte er es vor Heimweh kaum ausgehalten, doch dann hatte er sich an das Großstadtleben gewöhnt, und war – besonders vor den Prüfungen – seltener nach Hause gekommen.

Jetzt aber empfand er mit überklarer Gewissheit, wo er hingehörte und dass er die Heimat aus freien Stücken niemals mehr verlassen würde.

Bald schon lag der Eschthaler-Hof vor ihm, und erneut hielt Stefan einen Augenblick inne und nahm das vertraute Bild in sich auf. Die Eschthalers waren die reichsten Bauern in der ganzen Gegend. Seit Generationen war der Hof im Besitz der Familie, und jeder Eschthaler hatte das Seine getan, um den Wohlstand zu mehren oder ihn in schlechten Zeiten wenigstens zu wahren.

Während die Zeit an dem Wohnhaus mit seinen blumenüberrankten Balustraden und der kunstvollen Lüftlmalerei nahezu unbemerkt vorübergegangen zu sein schien, bargen die angrenzenden Gebäude modernste Bewirtschaftungsräume. Stefans Vater hatte rechtzeitig die Notwendigkeit einer umfassenden Modernisierung erkannt, ohne jedoch den Eigencharakter des Hofes zu zerstören.

Die holzgeschnitzte Haustür öffnete sich, eine Frauengestalt trat heraus und spähte zum Hoftor hin.

»Mutter!« Stefan eilte zu ihr hin, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sie ungestüm im Kreis herumgeschwenkt.

»Geh, Stefferl, lass mich aus! Du bist halt immer noch so wild wie früher!« Ruth Eschthaler küsste ihren Sohn herzhaft auf beide Wangen und zerzauste ihm das dichte blonde Haar noch mehr. Sie strahlte vor Glück, denn sie liebte diesen Sohn, das einzige Kind, das ihr das Schicksal vergönnt hatte, über alles.

»Gut schaust du aus, Mutterl!«

»Ach geh!« Sie errötete freudig, und Stefan betrachtete seine Mutter, deren Ausstrahlung in der Reife der mittleren Jahre noch stärker geworden war, voller Stolz und Zuneigung.

»Und für deinen armen alten Vater hast du wohl kein Wort übrig?« Unbemerkt hatte sich Thomas Eschthaler zu Mutter und Sohn gesellt, ein liebevolles Schmunzeln lag auf seinen markanten Zügen.

Ihm wurde eine nicht minder herzliche Begrüßung zuteil, und gemeinsam gingen sie dann ins Haus.

»Du kommst grad recht zum Essen, ich hab auch deine Leibspeise gekocht«, sagte die Bäuerin.

»Du verwöhnst mir den Buben schon wieder, kaum, dass er über die Schwelle tritt!«, neckte ihr Mann sie, und Ruth lachte auf.

Stefan empfand das gute Einvernehmen, das zwischen seinen Eltern herrschte, wohltuender denn je, da er inzwischen Gelegenheit gehabt hatte, andere Familienverhältnisse kennenzulernen. Früher hatte er es immer für selbstverständlich gehalten, dass es nie Zank und Hader auf dem Eschthaler-Hof gab, doch jetzt wusste er, dass diese Harmonie ein Geschenk war, für das man dankbar sein musste.

Obwohl die Heirat von Ruth und Thomas Eschthaler von deren Eltern mehr oder weniger in die Wege geleitet worden war, hatten sich die beiden jungen Leute damals in Liebe gefunden, und ihre Zuneigung und innere Verbundenheit war in der Ehe noch gewachsen. Der einzige Schatten, der über ihre Ehe gefallen war, war der Umstand, dass nach Stefans Geburt weitere Kinder ausgeblieben waren. Doch da der kleine Stefan ein gesundes, wohlgeratenes Kind war, fanden sie sich damit ab und schenkten ihm ihre ganze Zuwendung und Zärtlichkeit.

Der große Esstisch in der Stube war festlich gedeckt, auf weißem Leinen prangte das gute Geschirr, auch ein bunter Frühlingsstrauß fehlte nicht.

»Der verlorene Sohn ist endlich zurückgekehrt!«, scherzte Stefan, um seine Rührung zu überspielen.

Die Hofleute, die schon am Tisch saßen, hießen ihn herzlich willkommen. Rupert, der schon seit Stefans Kindheitstagen auf dem Hof war, klopfte ihm mit seiner schwieligen Hand auf den Rücken, und die alte Anni hatte Tränen der Rührung in den Augen.

»Wenn ich net meinen Seppi hätt, würd ich mich reinweg in dich verschauen!«, warf Lisei, die bei der Hauswirtschaft half, keck ein.

Sie war ein dralles Mädchen mit etwas groben, aber nicht unhübschen Zügen, der man ansah, dass sie mit beiden Beinen fest auf der Erde stand und ordentlich zupacken konnte.

»Jawohl, ein fesches Mannsbild bist du geworden! Als du von hier weggegangen bist, warst du noch ein richtiger Grünschnabel«, fuhr sie fort, was Stefan in einige Verlegenheit brachte.

Es war dem jungen Mann eher peinlich, wenn Anspielungen auf sein gutes Aussehen gemacht wurden. Schlank und hochgewachsen und mit ebenmäßig geschnittenem Gesicht, in dem die wachen hellblauen Augen auffielen, erregte er mehr Aufmerksamkeit, als ihm lieb war. Seine besondere Anziehungskraft bestand jedoch gerade darin, dass er sich seines hübschen Äußeren nicht bewusst war und es auch nicht zu seinem Vorteil einsetzte.

Doch auch beim Essen – die Bäuerin hatte eine wunderbar duftende Gemüsesuppe aufgetragen – war Lisei keineswegs gewillt, das Thema fallen zu lassen.

»Sicher hast du allen Madeln in der Stadt den Kopf verdreht und ihnen die Herzen gebrochen! Man weiß ja, wie die Mannsbilder so sind!«

»Was du dir so denkst, Lisei!« Stefan schüttelte den Kopf. »Ich hab viel zu lernen gehabt, und da ist mir kaum Zeit geblieben, mich um die Madeln zu kümmern. Und Herzen brech ich schon gar net!«

»Es gibt also keinen Schatz, der in der Stadt sehnsüchtig auf dich wartet?«, fragte Lisei ungläubig.

»Nein. Ich fühl mich auch noch zu jung, um ans Heiraten zu denken. Außerdem haben mir die Madeln in der Stadt net gefallen. Wenn ich schon eine nehm, dann muss sie von hier sein.«

»Ja, wenn du das so siehst! Aber du hast schon recht damit«, erwiderte Lisei etwas kleinlaut.

Obwohl die Bäuerin Liseis vorlaute Art missbilligte, hob doch ein befreiter Atemzug ihre Brust. Sie hatte es wie ihr Mann gutgeheißen, dass Stefan sich in der Stadt das nötige Rüstzeug erwarb, um ein tüchtiger Großbauer zu werden. Doch insgeheim hatte immer die Furcht an ihrem Herzen genagt, dass Stefan eine Braut aus der Großstadt mitbringen würde, die sich nicht in das bäuerliche Leben einfügen könnte.

»Aber jetzt mal zu dir, Lisei! Wie steht es denn mit dir und deinem Seppi?«, fragte Stefan in scherzendem Tonfall.

Nun war es an Lisei zu erröten. Sie lachte auf.

»Gut steht es! Wir haben schon das Aufgebot bestellt!«, gab sie dann zur Antwort.

»Ich weiß gar net, was ich ohne dich anfangen soll, Lisei, obwohl ich dir den Seppi von Herzen gönn«, meinte die Bäuerin aufseufzend.

Sie ließ die tüchtige, zuverlässige Lisei, die ihr trotz ihres losen Mundwerks wie eine Tochter ans Herz gewachsen war, nur ungern ziehen. Doch sie verstand die Sehnsucht der jungen Frau nach einem eigenen Hausstand.

Lisei hatte lange genug darauf warten müssen, denn auch Josef Angerer war von Haus aus arm wie eine Kirchenmaus, und da hieß es sparen und sich in Geduld fassen. Wie Lisei war er jedoch arbeitsam und auch sehr ehrgeizig, und es hieß, dass er bald Verwalter im großen Sägewerk am Rande des Dorfes werden würde.

Das Gespräch wandte sich nun anderen Themen zu – Ereignissen, die sich im Dorf zugetragen hatten –, und Stefan steuerte noch ein paar Anekdoten von seinen Lehrern hinzu, die alle zum Lachen brachten.

In bester Stimmung wurde das Mittagsmahl beendet, und als Stefan danach seinem Vater seine Hilfe anbieten wollte, wehrte dieser freundlich ab.

»Nein, Stefan, das muss net sein! Jetzt lässt du dir erst mal ein bisserl Zeit, um dich wieder einzugewöhnen, und auspacken musst du ja auch noch. Nächste Woche sehen wir dann weiter.«

»Du kannst dich ja in der Kuchel nützlich machen«, meinte Lisei, die gerade abräumte, schelmisch.

Gefolgt von Gelächter und Neckereien stieg Stefan zu seiner Kammer hoch, um seine Sachen einzuräumen. Der Raum lag unter dem Dach, und das Fenster bot einen weiten Blick auf das Gebirgspanorama, das er in der Enge der Großstadt so schmerzlich vermisst hatte.

Stefan stand eine Weile in regloser Betrachtung versunken da. Tiefe Zufriedenheit erfüllte ihn, die Zufriedenheit eines Menschen, der weiß, wo sein Platz ist und dessen Zukunftsweg klar vorgezeichnet scheint.

Dann wandte er sich ab und nahm wieder von der Kammer Besitz, die die Erinnerungen an eine unbeschwerte Kindheit und Jugend barg.

Bald hatte er seine Sachen verstaut, und er beschloss, einen längeren Gang zu unternehmen, so als müsste er sich auch wieder mit seiner näheren Umgebung vertraut machen. Durch Wiesen und Felder schlug er den Weg zum Bergwald ein, der in seiner Kindheit einer seiner liebsten Aufenthaltsorte gewesen war und ihm und den Dorfbuben Raum für abenteuerliche Spiele gegeben hatte.

Der Weg war ziemlich zugewuchert und so moosbewachsen, dass seine Schritte gedämpft wurden, und geheimnisvolle grüngoldene Dämmerung umfing ihn.

Schließlich kam Stefan zu dem Bach, der bei der Schneeschmelze im Vorfrühling wild ins Tal brauste und Schlamm und Geröll mit sich führte. Jetzt war er jedoch flach und träge, und der junge Bursche stellte lächelnd fest, dass die Dorfjungen an einer geeigneten Stelle kleine Staudämme aus Zweigen und Steinen errichtet hatten, so wie er es einst mit seinen Gefährten gemacht hatte.

Er überquerte den Bach und drang tiefer in die Wildnis ein. Stefan wollte wissen, ob es noch die alte Jagdhütte gab, die auf einer kleinen Lichtung dem langsamen Verfall überlassen worden war. Auch mit ihr verband er Erinnerungen …

Stefan wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als er ein ungewohntes Geräusch vernahm.

Ein Reh vielleicht. Er wollte es nicht aufscheuchen und blieb stehen. Doch dann erklang ein seltsamer Singsang, eintönig und traurig, eine sich immer wiederholende Klage, wie ihn die Mädchen und Frauen in alter Zeit in den Spinnstuben um ihren verlorenen Liebsten gesungen haben mochten.

Die Stimme war so hell und süß, dass Stefan zutiefst angerührt war – ewig hätte er ihr lauschen können. Plötzlich trat mit schnellen Schritten ein junges Mädchen aus einem Seitenpfad. Es stieß einen Schrei aus, als Stefan Eschthaler so unvermittelt vor ihm stand.

»Du musst dich doch net fürchten, ich bin es nur«, stammelte er und errötete über seine törichten Worte. Doch sie schienen eine beruhigende Wirkung auf das Mädchen auszuüben, jedenfalls ließ es seinen Korb sinken und sah den jungen Mann unverwandt an.

Auch Stefan konnte den Blick nicht von dem Mädchen lösen. Er glaubte, noch nie ein solches Mädchen gesehen zu haben. Es war klein und zierlich, fast zerbrechlich, doch die Gestalt in dem ausgeblichenen hellblauen Leinendirndl war vollkommen geformt.

Die Haut war sehr hell, fast durchscheinend, was durch das tiefe Braun seiner Augen noch mehr hervorgehoben wurde. Das fein geschnittene Gesicht wurde von einer Woge dunkler Locken umrahmt, die rötlich schimmerten, wenn sich ein Sonnenstrahl darauf verirrte.

Die ganze Erscheinung hatte etwas Unwirkliches. Es war Stefan, als wäre er hier in der Waldeinsamkeit einem seltsamen elfenhaften Geschöpf begegnet, das ihn ganz in seinen Bann zog.

So schauten sie sich schweigend an, er staunend, sie, als ob sie jede Einzelheit seiner Züge erforschen wollte, um etwas über ihn zu erfahren.

»Ich bin der Eschthaler-Stefan – von dem Hof hier ganz in der Nähe«, brach er schließlich das Schweigen, obwohl ihm seine Stimme kaum gehorchen wollte.

»Ja, jetzt erkenn ich dich«, sagte sie beherrscht. »Und ich bin die Agnes – die Agnes Windacher!«

»Was? Die Agnes? Hast du dich aber verändert! Kein Wunder, dass ich dich net wiedererkannt hab!«

Ungläubig starrte Stefan sie an, sodass sie verlegen den Kopf abwandte. Er konnte sich noch gut daran erinnern, was für ein unscheinbares Geschöpf sie gewesen war, als er vor vier Jahren von daheim weggegangen war.

»Hast du net noch eine Schwester?«, vergewisserte er sich dann.

»Ja, eine Zwillingsschwester, die Jutta«, bestätigte sie.

Über die Windacher-Schwestern war schon immer viel gesprochen worden, weniger, weil sie ohne Mutter aufwachsen mussten, sondern weil sie so verschieden voneinander waren. Während Jutta ein freches, aufgewecktes Ding war, deren Streiche oft Anlass zur Verärgerung boten, wurde Agnes allgemein als »seltsam« bezeichnet.

Sie schien völlig im Schatten ihrer ungestümen, lebenssprühenden Schwester zu stehen, und sie war obendrein so verschüchtert und menschenscheu, dass sie kaum mit jemandem sprach. Manche hielten sie sogar für etwas zurückgeblieben, auch wenn ihre guten Schulleistungen gegen diese Annahme sprachen.

»Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass du ein mageres Madel warst mit viel zu langen Beinen. Deine Zöpfe waren immer so fest geflochten, dass sie ganz komisch vom Kopf abstanden. Die Buben haben daran gezogen, aber ich war net dabei!«, sagte Stefan in dem Versuch zu scherzen.

»Nein, du warst nie dabei«, pflichtete Agnes ihm in ernstem Ton bei. »Einmal hast du sogar einen der Jungen arg gebeutelt, weil er mich gar zu schlimm geplagt hat.«

Diesen Vorfall hatte Stefan längst vergessen, doch er freute sich, dass er der Grund war, dass sie jetzt Vertrauen zu ihm zu fassen schien.

»Und was suchst du hier im Wald so mutterseelenallein? Fürchtest du dich net?«

»Hier verirrt sich kaum jemand herauf, du bist der Erste, den ich getroffen hab. Ab und zu spielen die Dorfbuben am Wildbach, aber die trauen sich net weiter hoch!«

Neugierig spähte Stefan in ihren Weidenkorb.

»Ich sammle Kräuter, so wie es mir die Großmutter, Gott hab sie selig, beigebracht hat«, erklärte Agnes ihm. Dann bekreuzigte sie sich mit einer schnellen Bewegung und seufzte auf.

Stefan wusste, dass die Schwestern von ihrer Großmutter aufgezogen worden waren, da ihre Mutter die Zwillingsgeburt nicht überlebt hatte. Die alte Windacherin war eine strenge Frau gewesen, ihr Ruf als Kräuterkundige reichte weit über das Tal hinaus. Sie verstand sich darauf, heilende Tees und Salben zuzubereiten, und die Bergler schworen auf ihre Mittel. Sehr zum Ärger des Dorfarztes holten sie sich lieber bei der Windacherin Rat und Hilfe, als ihn in seiner Praxis aufzusuchen.

Die Windacherin war mit hellseherischer Menschenkenntnis und einem untrüglichen Instinkt begabt gewesen, und sie pflegte ihre Meinung mit vernichtender Offenheit zu äußern.

»Hör auf mit dem Saufen und friss net so viel von dem Fettgebackenen! Sonst fällst du in einem Jahr auf den Rücken, und deine Erben tanzen auf deinem Grab. Meine Kräuter nützen dir überhaupt nichts, wenn du net auf dich hältst!«

Auf diese drastische Weise hatte sie beispielsweise den alten Krummeter beraten. Der war ganz geduckt nach Hause geschlichen und änderte seine Gewohnheiten, sodass er doch noch ein recht hohes Alter erreichte.

Und jetzt lebte die Windacherin, von allen verehrt und respektiert, selbst nicht mehr, was Stefan mit leiser Trauer erfüllte.

»Musst du die Kräuter net bei Mondschein pflücken?«, neckte er das Mädchen, um die wehmütige Stimmung zu durchbrechen.

Agnes warf ihm nur einen eigenartigen Seitenblick zu und begann dann in ihrer singenden Sprechweise die Wirkungskraft der einzelnen Kräuter zu beschreiben, sodass Stefan ganz beschämt war.

Es hatte sich ergeben, dass sie nebeneinander weitergingen, und es schien sie nicht zu stören, dass er sie begleitete. Hin und wieder blieb sie stehen und beugte sich zu einer Pflanze nieder, die er vorher nie wahrgenommen hatte, und begutachtete sie.

Es tat Stefan seltsam wohl, in ihrer Nähe zu sein, und er verlor jegliches Zeitgefühl. Sie waren inzwischen bei der alten Jagdhütte angelangt, die sich wider Erwarten noch in erstaunlich gutem Zustand befand.

»Hier such ich manchmal Unterschlupf, wenn mich ein Unwetter überrascht. Einmal hab ich die halbe Nacht hier gewartet, weil das Gewitter kein End nehmen wollt.«

Dieses Erlebnis hatte Agnes aber offenbar nicht sehr erschüttert, sie war zu sehr mit der Natur vertraut, um deren Erscheinungen als unheimlich und Furcht einflößend zu empfinden.

Stefan konnte sich vorstellen, wie sie nachts durch die Wälder streifte, jeden Laut zu unterscheiden wusste und sich auf geheimen Wegen sicher zurechtfand.

Als die Schatten länger wurden, kam es ihm zu Bewusstsein, dass bald die Dunkelheit hereinbrechen würde und dass es an der Zeit war, an die Heimkehr zu denken.

»Wir müssen zurück. Meine Eltern werden schon auf mich warten.«

Agnes nickte, und sie kehrten um, wobei sie eine schnellere Gangart einlegten.

»Ich bin eh spät dran. Ich muss dem Vater noch das Essen kochen, sonst wird er grantig, wenn es net rechtzeitig auf dem Tisch steht«, bemerkte sie.

»Und deine Schwester?«

»Jutta lebt nimmer bei uns, sie ist woanders in Dienst gegangen«, erwiderte sie kurz.

Sie sagte ihm nicht die ganze Wahrheit, nämlich dass Jutta ihr Glück in der Stadt versuchen wollte. Sie hatte für das bescheidene Leben auf dem Windacher-Hof nur Verachtung übrig. Sie ließ nichts mehr von sich hören, und ihr Vater sprach nicht mehr von ihr. Seiner Meinung nach war sie in der Großstadt auf die schiefe Bahn geraten.

So musste Agnes die Arbeit, die Jutta früher nur widerwillig verrichtet hatte, auch noch übernehmen. Der kleine Hof warf kaum etwas ab, und sie war froh, wenn sie mit ihren Tees und Salben ein Zubrot verdiente, um das Notwendigste kaufen zu können.

Stefan war klar, dass sich ihre Wege bald trennen würden, und der Gedanke versetzte ihn geradezu in Verzweiflung.

»Bist du öfters hier in der Nähe?«, fragte er hastig.

»Ja schon. Also pfüat dich! Ich geh hier weiter, das ist kürzer.«

Sie bog in einen Seitenpfad ein, für einen Augenblick sah er noch ihr helles Kleid aufschimmern, dann war sie verschwunden. Er stand hilflos da, und wieder überfiel ihn das Gefühl des Unwirklichen, als hätte sich die Begegnung mit dem eigenartigen Mädchen nur in seiner Fantasie zugetragen. Unerträglich, es nicht mehr wiederzusehen!

»Ich bin ja schon ganz narrisch! Warum soll ich net einfach auf den Windacher-Hof gehen! Es wird sich schon ein Grund finden lassen«, sagte er dann laut vor sich hin.

Getröstet von dieser Vorstellung, schritt er schnell aus und trat gerade noch rechtzeitig zum Abendessen in die Stube.

»Na, wir haben schon gedacht, du hättest dich verirrt«, spöttelte seine Mutter.

»Tut mir leid, ich hab mich versäumt! Ich bin in den Wald aufgestiegen.«

»Ja, ja, was wir dir als Kind immer verboten haben!« Die Mutter lachte. Sie wusste genau, dass er dieses Verbot mehr als einmal umgangen hatte.

Beim Essen war Stefan so geistesabwesend, dass es sogar Lisei auffiel, und das veranlasste sie sofort zu einer anzüglichen Bemerkung.

»Du schaust aus, als wärst du dort oben einem Geist begegnet oder vielleicht einer schönen Waldfee?«

Stefan zuckte zusammen, und beinahe wäre ihm das Messer aus der Hand geglitten.

»Weißt du, dein Seppi tut mir irgendwie schon leid«, sagte er ungewohnt bissig.

Lisei, wie viele Menschen ihrer Art sehr verletzlich, errötete tief und senkte den Kopf. Stefan bekam sofort ein schlechtes Gewissen, denn er mochte Lisei und wollte diesen Tag auch nicht mit einem Missklang enden lassen. Es gelang ihm schnell, Lisei mit ein paar Neckereien wieder aufzumuntern, bis sie kicherte und lachte.

Als er später bei einem Glas Traminer mit seinen Eltern zusammensaß, um seine Heimkehr noch ein wenig zu feiern, hatte er sich gefangen und erschien ihnen unverändert. Erst als er allein in seiner Kammer war und zu Bett ging, überfiel ihn die Erinnerung an das Mädchen im Wald mit ganzer Macht. Agnes’ Bild hatte sich unauslöschlich in ihm eingeprägt, und im Geist wiederholte er jede Einzelheit ihrer Begegnung.

»Reinweg verhext hat’s mich, das Madel!«, murmelte er, ehe er einschlief.

Doch selbst dann war er noch von ihr gefangen, und er träumte, dass Agnes ihm plötzlich auf dem Waldweg erschien. Sie trug aber nicht ihr einfaches blaues Dirndl, sondern sie war in bräutliches Weiß gekleidet. Ihr schönes Haar wurde jedoch weder von Brautkranz noch Schleier geschmückt, und in den Händen hielt Agnes einen Strauß wilder Blumen.

Sie sah ihn mit einem langen schmerzlichen Blick an, und als er sie umfangen wollte, entzog sie sich ihm und verschwand wie ein Schemen zwischen den Bäumen.

Als Stefan am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich erschöpft und niedergeschlagen, und den ganzen Tag ging ihm dieser Traum nicht aus dem Sinn. Er machte sich im Garten nützlich, hackte Holz und suchte auf jede Weise, sich von seinen Traumbildern zu befreien. Eigentlich hatte er vorgehabt, zum Windacher-Hof zu gehen und nach Agnes Ausschau zu halten, doch etwas hielt ihn jetzt davon ab.

***

Agnes hatte einen qualvollen Abend mit ihrem Vater verbracht. Er war früher vom Feld heimgekehrt und befand sich in noch schlechterer Stimmung als gewöhnlich. Sofort beschwerte er sich lautstark, dass das Essen noch nicht auf dem Tisch stand.

Er war ein kräftiger Mann, der früher einmal gut ausgesehen hatte, doch jetzt hatten Verbitterung und harte Arbeit tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben und ihn vor der Zeit alt werden lassen.

Er hatte den Tod seiner Frau nie verwunden und liebte seine Töchter nicht, denen er wahrscheinlich insgeheim die Schuld an ihrem Tod gab. Agnes hatte nie ein freundliches Wort von ihm gehört oder eine Geste der Zuneigung erfahren. Seit die Großmutter nicht mehr lebte und Jutta fort war, behandelte er sie sogar ausgesprochen schlecht.

»Wo hast du dich wieder herumgetrieben, statt im Haus zu schaffen?«, herrschte er sie an, als sie ihm den Teller mit dem Geselchten hinstellte.

»Du weißt doch, dass ich Kräuter sammeln geh. Das Geld, das ich für die Salben und die anderen Sachen bekomm, hat uns oft schon weitergeholfen«, hielt das Mädchen fast ein wenig trotzig dagegen.

»Tu net so, als könntest du das alles so wie deine Großmutter selig! Nichts verstehst du davon, überhaupt nichts, nur vor der Hausarbeit willst du dich drücken! Und wenn dir tatsächlich einer von den Deppen Geld dafür gibt, dann wirfst du es gewiss für irgendein Gelump zum Fenster hinaus, wie es die jungen Dinger heutzutag tun!«

Agnes unterdrückte die aufsteigenden Tränen, denn bisher hatte sie jeden Cent für den Haushalt verwendet.

»Und kochen kannst du auch net!« Mit einem Ausdruck des Widerwillens schob der Vater den Teller zurück und erhob sich ungestüm. »Kümmere dich lieber um die Kuchel, statt dich herumzutreiben! Die Leut werden noch mit Fingern auf uns zeigen, es wird eh schon geredet!«

Er schlug die Tür hinter sich zu und verließ bald darauf das Haus, wahrscheinlich würde er im Dorfwirtshaus das Wenige vertrinken, was er noch an Geld besaß.

Agnes sah ihm seufzend nach, war gleichzeitig jedoch erleichtert, nicht mehr seinen bösartigen Angriffen ausgesetzt zu sein. Nachdem sie die Hausarbeit erledigt hatte, ging sie hinüber zu dem kleinen Schuppen im angrenzenden Garten. Das war der Lieblingsplatz der Großmutter gewesen, ihr jedoch diente er zunehmend als Zuflucht vor dem Vater.

Eingehüllt in den würzigen Duft der Kräuter, sortierte Agnes ihre heutige Ausbeute. Überall lagen Kräuterbündel, manche hingen zum Trocknen an Schnüren von den Balken herab. Auf Regalen und auf dem Holztisch vor ihr standen sorgfältig angeordnet und aufgereiht kleine Tiegel und Töpfe mit Heilsalben.

In dieser vertrauten Umgebung gewann Agnes langsam ihr inneres Gleichgewicht zurück, obgleich sie es nicht verhindern konnte, dass ihre Gedanken immer wieder zu Stefan Eschthaler abschweiften.

Agnes mied junge Männer, empfand sogar Unbehagen in ihrer Gegenwart. Doch an Stefans Seite hatte sie sich sicher und geborgen gefühlt, hatte Furcht und Argwohn überwunden.

»Er ist anders, net so plump und aufdringlich«, murmelte sie.

Erstaunt lauschte sie ihren eigenen Worten nach. Dann aber beschloss sie, Stefan aus ihren Gedanken zu verbannen, denn trotz ihres zurückgezogenen Lebens war sie keineswegs weltfremd.

»Er ist der Sohn vom reichen Eschthaler. Was soll er mit mir zu schaffen haben? Das bringt nur Unglück«, setzte sie ihr Selbstgespräch fort. Doch die Arbeit wollte ihr nicht mehr recht von der Hand gehen, und so stieg sie bald in ihre kleine Kammer hinauf und ging zu Bett.

Weit nach Mitternacht wurde sie aus einem unruhigem Schlaf geweckt, als der Vater polternd und fluchend aus dem Wirtshaus heimkehrte. Am nächsten Morgen würde er in übler Verfassung sein und seine Wut an ihr auslassen, das wusste Agnes schon im Voraus.

Und sie verstand noch einmal mehr, warum Jutta diesem trostlosen Leben entflohen war, auch wenn sie ihr nicht verzeihen konnte, dass sie einfach die Schwester im Stich gelassen hatte.

***

Viele Entschlüsse sind schon von Menschen gefasst worden, doch dann erweisen sich Leidenschaft und der Drang nach Erfüllung doch als stärker, und sie machen alles hinfällig.

So hatte Stefan sich vorgenommen, Agnes nicht wiederzusehen, aber schon nach wenigen Tagen schlich er auf Umwegen zum Windacher-Hof. Er verbarg sich hinter dichtem Buschwerk und hoffte, einen Blick auf das Mädchen zu erhaschen.

Umso größer war seine Enttäuschung, als sich niemand zeigte. Der Hof, der deutlich Spuren der Vernachlässigung aufwies, wirkte wie ausgestorben. Stefan ahnte nicht, dass sich Agnes in der Nähe der alten Jagdhütte aufhielt, wohl in der Hoffnung, dass ihn sein Weg wieder dorthin führen würde – was sie sich aber niemals eingestanden hätte.

Erst nach geraumer Zeit kam es wieder zu einer zufälligen Begegnung, nachdem Stefan seine abendlichen Spaziergänge wieder aufgenommen hatte. Anscheinend befand Agnes sich gerade auf dem Heimweg, denn sie kam ihm entgegen, und er begrüßte sie freudig.

»Du scheinst dich ja richtig zu verstecken, Agnes. Ich war schon ein paar Mal heroben, hab dich aber nie gesehen.«

Sie errötete vor Freude darüber, dass er freimütig zugab, sie gesucht zu haben.

»Sag, Agnes, kommst du mit mir am Wochenende zum Tanz?«, fragte er unvermittelt.

Das Mädchen erschrak und senkte den Kopf.

»Das geht net!«, sagte es leise und umkrampfte den Henkel seines Korbes.

»Warum denn net? Lässt dich dein Vater net gehen? Aber du bist doch alt genug!«, fragte er enttäuscht.

Agnes war nur einmal auf einem Dorftanz gewesen, ihre Schwester hatte sie dazu überredet.

»Sonst wirst du ja noch eine alte Betschwester hier heroben!«, hatte Jutta spitz gesagt.

Der Abend war für Agnes ein einziger Albtraum gewesen. Jutta hingegen hatte vor guter Laune und Übermut gesprüht und war ganz in ihrem Element gewesen. Der Lärm, die laute Musik, die Anzüglichkeiten der bald schon angetrunkenen Burschen – am liebsten hätte Agnes schon nach kurzer Zeit die Flucht ergriffen. Beim Tanzen fühlte sie sich unbeholfen und ungeschickt, und auf die plumpen Komplimente wusste sie nichts zu erwidern.

»Du hast aber eine fade Schwester!«, hatte einer der Burschen hämisch gesagt, und sie hatte es gehört.

»Was hast du denn?« Stefans besorgte Frage riss sie aus ihren unangenehmen Erinnerungen.

»Wir müssen ja net unbedingt zum Tanzen gehen. So sehr gefällt mir der Trubel auch net«, fuhr er fort. »Wenn du willst, begleite ich dich beim Kräutersammeln, dabei können wir uns unterhalten.«

Jetzt willigte Agnes zu seiner Freude sofort ein, und sie vereinbarten ein Treffen. Die Tage waren nun länger, sodass Stefan, der inzwischen auf dem elterlichen Hof tüchtig mithalf, nach den täglichen Pflichten noch Zeit zur Verfügung stand.

Für Stefan war es viel zu selten, dass sie sich sehen konnten, doch Agnes musste daheim hart arbeiten. Sie wollte ihren Vater, der immer unleidlicher wurde, nicht noch misstrauischer machen, indem sie zu oft verschwand.

Aber wenn sie zusammen waren, war es für beide eine tiefe Freude. Seite an Seite gingen sie dahin, und Agnes’ Kräuterkorb blieb oft genug fast leer, so sehr waren sie ins Gespräch vertieft.

Zu Stefans Überraschung war das junge Mädchen sehr belesen, und es war das erste Mal, dass er sich mit einer Frau auch geistig auseinandersetzen konnte. In vielen Fragen stimmten sie überein, und es entwickelte sich ein tiefes gegenseitiges Verständnis.

Noch ehe er von Liebe gesprochen hatte, stand für Stefan fest, dass Agnes seine Frau werden sollte. Er empfand überwältigende Zuneigung für sie und wollte sein Leben mit ihr teilen. Er war davon überzeugt, dass ihre Ehe genauso glücklich werden würde wie die seiner Eltern.

Auch von der praktischen Seite her hatte Stefan keine Bedenken, Agnes war klug und tüchtig und würde sich trotz ihrer scheuen Art gut in die Aufgaben einer Großbäuerin einfinden. Doch er wusste, dass er behutsam vorgehen musste und dass er sie nicht mit Leidenschaft erschrecken durfte.

Inzwischen hatten sie es sich zur Gewohnheit gemacht, sich an der Jagdhütte zu treffen, und Stefan hatte davor einen provisorischen Tisch aus den Überresten eines Holzstapels aufgeschlagen. Er brachte regelmäßig irgendwelche Leckereien oder auch hin und wieder etwas Deftigeres vom Hof herüber, und sie vesperten vergnügt zusammen.

Stefan sah mit Genugtuung, wie Agnes herzhaft zugriff, und er ahnte, dass auf dem Windacher-Hof Schmalhans Küchenmeister war. Auch sonst ging es ihr gewiss nicht gut, ihre Hände waren verarbeitet und rau. Aber wenn er vorsichtig diesbezüglich Fragen stellte, verdüsterte sich ihr Gesicht, und sie wich ihm aus.

»Ich werd alles an ihr gutmachen«, schwor er sich. »Wenn sie erst meine Frau ist, wird ein neues Leben für sie beginnen.«

***

Stefans abendliche Ausflüge blieben nicht verborgen und gaben Anlass zu den verschiedensten Vermutungen. Natürlich war es Lisei, die ihren Mund nicht halten konnte und sie schließlich zur Sprache brachte.

Als er in der Küche möglichst unauffällig ein paar frisch gebackene Hörnchen wegnahm, die er später mit Agnes verzehren wollte, konnte Lisei sich nicht zurückhalten, eine schnippische Bemerkung zu machen.

»Einen gesegneten Appetit hast du jedenfalls, Stefan! Dass du die Hörnchen allein essen willst, das kann ich kaum glauben!«

»Junge Männer haben halt einen gesunden Hunger. Was soll denn daran so Besonderes sein«, nahm ihn seine Mutter, die gerade in der Küche herumwirtschaftete, in Schutz.

»Vielleicht trifft er da draußen jemanden – einen Waldschrat oder gar eine Kräuterhexe!«

Stefan zuckte zusammen und verbarg nur mühsam seine Verärgerung.

»Eine schöne Fantasie hast du, Madel«, sagte er. »Wird Zeit, dass du unter die Haube kommst! Also, pfüat euch, ich geh noch ein bisserl draußen herum!«

»Viel Spaß!«, kam es frech von Lisei, und es hätte nicht viel gefehlt, und Stefan hätte aufgebracht die Tür hinter sich zugeschlagen.

Wie viele Verliebte hatte er den Wunsch, sein Glück noch geheim zu halten, als könnte es, wenn die anderen erst einmal davon erfuhren, an Glanz verlieren und sogar gefährdet werden. Ihm war klar, dass seine Wahl auf Kritik stoßen würde, denn der Windacher war im Dorf alles andere als beliebt.

Seine Eltern hofften bestimmt, dass er eine der Großbauerntöchter heiraten würde, denn sie waren der Auffassung, dass alles »passen« musste, um eine glückliche Ehe zu gewährleisten.

Wenn er auch keinen Augenblick daran zweifelte, sie umstimmen zu können, so wollte er doch diese Spanne ungetrübten Glücks mit Agnes auskosten, ohne sich mit jemandem darüber auseinandersetzen zu müssen.

Gleichzeitig hatte er sich vorgenommen, heute die Entscheidung herbeizuführen, er wollte Agnes endlich fragen, ob sie seine Frau werden wollte. Und obgleich er spürte, dass sie seine Zuneigung erwiderte, hatte er doch Furcht davor, und sein Herz klopfte heftig, als er ihr entgegeneilte.

***

Agnes wartete schon auf ihn, und als sie das Gesicht zu ihm emporhob und ihn anlächelte, schwanden alle seine Bedenken dahin.

Sie sah reizender aus denn je, die Wangen rosig überhaucht, und ihre lieblich geschwungenen Lippen leuchteten ihm entgegen. Sie trug einen einfachen, weit schwingenden blauen Rock und dazu eine weiße Bluse, schlank stieg ihr Hals aus dem runden Ausschnitt empor.

»Agnes!« Stefan konnte sich nicht länger beherrschen, er nahm sie in die Arme und küsste sie voller Verlangen. Agnes erschrak zuerst, doch dann schmiegte sie sich an ihn und erwiderte seine Zärtlichkeiten mit derselben Leidenschaft.

Endlich lösten sie sich voneinander.

»Ich hab dich über alles lieb, Agnes, und ich möchte, dass du meine Frau wirst«, sagte Stefan in sanftem Ton. »Sag, willst du mich haben?«

Sie nickte stumm, in ihren schönen Augen schimmerten Tränen. Wie unter einem geheimen Befehl gingen sie zu der kleinen, nach Gräsern duftenden Wiese hinter der Jagdhütte, um sich dort niederzulassen und in einer Umarmung zu versinken, die nicht enden wollte.

Sie fanden sich ganz selbstverständlich in ihrer Liebe, und als die Dunkelheit hereingebrochen war, lag Agnes immer noch in Stefans Armen. Schweigend sahen sie zu den Sternen hinauf, die Nacht umgab sie wie eine schützende Wand.

»Nun sind wir also Mann und Frau, und nichts kann uns mehr trennen!«, sagte Stefan leise. Er ahnte in diesem Augenblick des Glücks nicht, wie leicht solche Schwüre gebrochen werden können.

Auch als sie widerstrebend voneinander Abschied genommen hatten, bewahrten sie den Zauber dieser Nacht, der durch nichts zerstört werden konnte, in ihren Herzen.

Agnes’ Vater empfing seine Tochter mit Schmähungen übelster Art und war nahe dran, die Hand gegen sie zu erheben. Doch Agnes ging nur an ihm vorbei, die Widerwärtigkeiten ihres alltäglichen Daseins konnten sie nicht mehr erreichen.

***

Jutta Windacher versuchte sich die Haare aus der Stirn zu blasen und setzte das mit Biergläsern beladene Tablett unnötig hart auf.

»Muss das sein? Kannst du net ein bisserl vorsichtiger umgehen mit dem Zeug?«, fuhr der Dreimühlenwirt das Mädchen mit unterdrückter Stimme an.

Dann aber wandte er sich mit gewinnendem Lächeln den Gästen zu, die am Stammtisch saßen, und er ließ es sich nicht nehmen, selbst die Gläser zu verteilen. Wortgewandt plauderte er mit den Leuten, um so das wenig zuvorkommende Betragen seiner Kellnerin zu überspielen.

Glücklicherweise schienen es ihr die meisten Gäste nicht übel zu nehmen. Sie machten Jutta die üblichen Komplimente, was deren mürrischen Gesichtsausdruck keineswegs milderte.

»Ein schönes Madel ist sie, die Jutta! Da müsste man noch mal jung sein«, seufzte der Apotheker wehmütig.

»Du kannst ja ein paar von deinen viel gepriesenen Verjüngungspillen nehmen«, schlug sein Freund, der Ratsschreiber, boshaft vor.

»Da müsst er aber seine ganzen Vorräte aufbrauchen«, setzte ein anderer der Stammtischbrüder hinzu, und weitere Anspielungen gingen im allgemeinen Gelächter unter.

Auch der Wirt lachte, doch seine Augen, die Jutta folgten, hatten einen kalten Glanz.

Ja, schön war sie, die Jutta Windacher, ohne Zweifel, und sie wusste auch, wie man einen Mann sämtliche gute Vorsätze vergessen ließ. Sie trug das üppige honigblonde Haar hoch aufgetürmt, was ihr mit ihrem regelmäßig geschnittenen Gesicht und der geraden Körperhaltung fast etwas Königliches verlieh.

Ihre blaugrünen Augen und der volle Mund zogen sofort alle Blicke auf sich, auch versäumte sie niemals, ihre gute Figur zur Geltung zu bringen. Heute trug sie ein tief ausgeschnittenes Dirndl, das knappe Mieder gab ihren Brustansatz frei und betonte ihre schlanke Taille.

Jutta konnte jeden Mann um den Verstand bringen, aber bei ihm hatte sie ausgespielt!

»Ferdl!« Die etwas spröde Stimme seiner Frau klang von der Theke her, und Ferdinand Unger wandte sich sofort um.

Ursula Unger, die Dreimühlenwirtin, war auf ihre Weise eine anziehende Frau. Sie war schlank und hochgewachsen und wirkte mit den großen dunklen Augen und dem kurzen Haar sehr apart.

Doch ihre Züge wie auch ihr Gebaren hatten eine gewisse Herbheit angenommen, Folgen eines nicht allzu glücklichen Ehelebens. Sie hatte den charmanten Ferdl Unger aus Liebe geheiratet, um bald feststellen zu müssen, dass ihr Mann zu ehelicher Treue nicht imstande war.

Beide dachten nicht an Scheidung, sie hatten sich ihr Leben gut eingerichtet. Ursula verschloss die Augen vor den Seitensprüngen ihres Mannes, sosehr sie darunter leiden mochte, denn Ferdl war immer ein aufmerksamer Ehemann gewesen.

Doch das hatte sich geändert, seit Jutta Windacher als Bedienung eingestellt worden war. Denn dieses Mal war alles anders. Ihr Mann schien von so großer Leidenschaft für das schöne, herausfordernde Mädchen ergriffen zu sein, dass Ursula zum ersten Mal ernstlich um den Bestand ihrer Ehe zu fürchten begann.

Als er jetzt zu ihr trat, sah sie sofort, dass er schlechte Laune hatte.

»Es geht um die neuen Gäste, Ferdl.«

»Ich hab mich schon darum gekümmert«, schnitt er ihr mit einer wegwerfenden Handbewegung das Wort ab.

Trotz seines unfreundlichen Benehmens regte sich zaghafte Freude in ihrem Herzen. Aus leidvoller Erfahrung wusste sie, dass Übellaunigkeit das sicherste Anzeichen dafür war, dass Ferdl im Begriff stand, eine Beziehung zu beenden.

Und das Mädchen, diese Jutta, die plötzlich hier aufgetaucht war wie ein böser Geist, machte auch nicht mehr den Eindruck einer strahlenden Siegerin.

Ursula verschwand in den hinteren Räumlichkeiten, wo sich ein kleines Büro befand, und trank – wie schon seit Langem nicht mehr – mit Genuss eine Tasse Kaffee und entspannte sich.

***

Jutta war heute nicht nur schlechter Stimmung, sondern sie fühlte sich auch überlastet, weil ein ungewöhnlicher Gästeandrang war. Das schöne Sommerwetter lockte viele Besucher in den großen, von Kastanien überschatteten Biergarten, sodass sie dauernd zwischen Wirtsstube und Außenbereich hin und her eilen musste.

Sie hatte sich noch vor Kurzem am Ziel ihrer Wünsche geglaubt, aber jetzt fürchtete sie, dass ihre ausgeklügelten Pläne gescheitert waren. Mit Schaudern dachte sie an den Windacher-Hof zurück, an die strenge Großmutter und den lieblosen Vater. Vor allem aber hatte sie die Armut gehasst – das karge Essen, die abgetragenen Kleider und die verächtlichen Blicke. Sie hatte nur den einen Wunsch gehabt, nämlich diesem Leben zu entrinnen.

In dem Dorf gab es keine Zukunft für sie, sie hätte sich für andere abrackern müssen, um dann vielleicht einmal einen Kleinbauern oder einen Holzfäller heiraten zu können. Nein, ihr schwebte etwas anderes vor, und das schien sie als Bedienung in dem »Dreimühlen-Gasthof« gefunden zu haben.

An den großen Landgasthof war auch eine gut gehende Pension angegliedert. Viele Städter suchten sie auf, denn es war ein traditionsreiches Haus, und Gastlichkeit und Küche hatten einen hervorragenden Ruf. Jutta genoss die Schmeicheleien der Gäste, und sie verfügte zum ersten Mal über Geld, denn Unger zahlte einen guten Lohn, und die Trinkgelder flossen reichlich.

Bald jedoch steckte sie ihre ehrgeizigen Ziele noch höher, denn ihr entging nicht, dass der Wirt für weibliche Reize sehr empfänglich war. Sie verhielt sich spröde und zurückhaltend, während sie sich schon den kühnsten Träumen hingab: Jutta wollte die Dreimühlenwirtin werden.

Es bereitete ihr keine Gewissensbisse, dass Unger schon verheiratet war. Scheidungen waren schließlich nichts Ungewöhnliches, es galt nur, klug zu taktieren und Unger dorthin zu lenken, wohin sie ihn haben wollte …

So hatte sie es sich ausgemalt, und zunächst verlief auch alles nach ihren Plänen. Während eines Kuraufenthaltes seiner Frau gelang es ihr, Unger für sich zu gewinnen. Er war ihr bald völlig verfallen und begann zu ihrer Genugtuung aus eigenem Antrieb, von Scheidung zu sprechen.

Umso unbegreiflicher war es für sie, als er sich nun plötzlich zurückzog. Ihrer letzten Verabredung war er sogar ferngeblieben, ohne ein Wort darüber zu verlieren.

Das war so nicht geplant. Daher versuchte sie kurz vor Feierabend, ein Treffen zu erzwingen.

»Ich will dich heut bei mir sehen!«, zischte sie ihm in einem unbeobachteten Augenblick zu. »Und wag es ja net, mich wieder zu versetzen, sonst kannst du was erleben, hast du gehört?«

»Ja, ich wollt sowieso mit dir reden«, gab er kühl zurück und zog verächtlich die Mundwinkel nach unten.

Aber das sah sie nicht mehr, denn sie war schon mit wiegenden Hüften weitergeeilt. Unger zögerte die Unterredung nicht hinaus. Sobald er sicher sein konnte, dass es nicht auffiel, stieg er zu der Kammer hinauf, die Jutta im obersten Stockwerk des Gasthofes bewohnte.

Sie hatte sich für ihn herausgeputzt, und fast tat sie ihm ein wenig leid. Mit dem gelösten Haar, das weich um ihre Schultern fiel, und der tief ausgeschnittenen Bluse bot sie einen verführerischen Anblick. Doch Ungers Leidenschaft war erloschen. Schnell hatte er erkannt, dass sich hinter all ihrem Gebaren nur kalte Berechnung verbarg.

Jutta lächelte ihn betörend an und bedeutete ihm, neben ihr auf dem schmalen Bett Platz zu nehmen. Doch er blieb stehen und maß sie mit abwägendem Blick.

»Tut mir leid, dass ich so unwirsch zu dir war, aber es hat mich gekränkt, dass du letztes Mal einfach weggeblieben bist«, sagte sie sanft.

»Ja, das war ein Fehler von mir«, gab er zurück. »Ich hätt lieber gleich reinen Tisch machen sollen.«

»Was meinst du denn damit?«, fuhr das Mädchen beunruhigt auf.

»Ich mein damit, dass es ein Ende hat mit uns beiden.«

»Das kannst du net machen! Ich bin net so eine, die sich ausnutzen und dann abschieben lässt!«, fiel Jutta ihm ins Wort.

Sie war aufgesprungen und stand ihm mit funkelnden Augen gegenüber, alle Freundlichkeit war schlagartig von ihr abgefallen.

»Wir wollen uns net im Streit trennen, Jutta! Also sei vernünftig!«, beschwor er sie.

»Vernünftig? Du hast mir die Ehe versprochen, und jetzt soll mit einem Mal nichts mehr sein?«

»Du vergisst, dass ich schon verheiratet bin.«

Jutta lachte verächtlich auf.

»Das hast du aber eine Zeit lang sehr gründlich vergessen!«

»Ja, ich war verliebt in dich, aber so etwas vergeht auch wieder. Da sagt man oft Sachen, die man gar net so meint.«

Juttas Augen verengten sich, und ein böses Licht glomm in ihnen auf.

»Glaubst du wirklich, du könntest so mit mir umspringen? Weißt du, was ich tun werd? Ich sag deiner Frau Bescheid!«

»Das bringt dir nix! Erstens weiß meine Frau Bescheid, und zweitens geh ich bei einer Scheidung leer aus, weil alles ihr gehört.«

Das war zwar eine glatte Lüge, doch sie verfehlte nicht ihre Wirkung. Juttas Gesicht verfärbte sich, und sie wich vor ihm zurück.

»Das hast du mir net gesagt! Du spielst dich doch immer auf, als wärst du hier der Herr im Haus!«

»Siehst du, und ich hab gedacht, ich wär deine große Liebe, und Geld und Gut zählt net!«, höhnte er. Er nahm nun keine Rücksicht mehr, wollte die unliebsame Auseinandersetzung nur so schnell wie möglich beenden. »Ich mach dir einen Vorschlag zur Güte. Ich zahl dir drei Monatsgehälter, das ist net wenig, und du packst deine Sachen und lässt dich hier nimmer blicken. Weißt du, ich lass mich net erpressen, und von so einer wie dir schon gar net!«

Er zog ein Bündel Geldscheine aus der Jackentasche, eine Summe, die Jutta unter anderen Umständen mehr als zufriedengestellt hätte, warf es mit einer nachlässigen Geste achtlos auf das Bett und wollte gehen.

Wie eine Furie stürzte sich Jutta auf das Geld und zerfetzte es in kleine Stücke, die ihm vor die Füße flatterten.

»Behalt dein schäbiges Geld! Ich bin net so ein Flitscherl, das du so abfinden kannst! Und jetzt mach, dass du rauskommst!«

Ihre schrille Stimme folgte ihm, und sichtlich erschüttert suchte er Zuflucht in dem inzwischen verlassenen Gastraum. Dort goss er sich einen Obstler ein, den er mit einem Zug hastig hinunterschüttete. Und mit einem Mal befiel ihn ein heftiger Widerwille gegen das Leben, das er führte – seine kinderlose Ehe ohne Höhen und Tiefen, die sinnlosen Liebschaften, die immer ein hässliches Ende nahmen.

Als er sich wieder beruhigt hatte, ging er hinüber zu seiner Frau. Er wusste, dass sie noch wach war, und kleidete sich im Dunkeln aus.

»Ich hab der Jutta heut gekündigt!«, sagte er in beiläufigem Ton. »Sie wird immer mürrischer, und das vertragen die Leut auf die Dauer net. Du hast es ja mitbekommen!«

»Ja, allerdings«, erwiderte Ursula kurz.

»Und vielleicht wird sich noch mehr ändern in Zukunft!«, meinte er nach einer Weile leise.

Sie wusste, was er andeuten wollte, und schwache Hoffnung begann in ihrem Herzen zu keimen.

Es war, als wollte das Schicksal Ursula Unger endlich für all das Leid entschädigen, das ihr widerfahren war. Sie hatte schon lange die Hoffnung auf Kinder aufgegeben gehabt, doch unverhofft, obwohl sie schon auf die vierzig zuging, wurde sie doch noch schwanger. Ob die Kur dieses Wunder bewirkt hatte oder der Umstand, dass ihre Ehe harmonischer geworden war – Ursula und ihr Mann waren jedenfalls überglücklich. Sie schenkte einem gesunden Sohn das Leben, dem nach zwei Jahren noch ein Mädchen folgte.

Ferdl Unger änderte sich tatsächlich. Der unstete Mann verwandelte sich in einen liebevollen Vater und zuverlässigen Gatten, dem die Familie über alles ging …

***

Jutta warf sich weinend vor Wut auf ihr Bett und schlug mit den Fäusten auf die Kissen ein. Wie töricht sie gewesen war, Ungers Versprechungen und Schwüren Glauben zu schenken! Nie wieder sollte ihr so etwas widerfahren, das schwor sie sich in dieser Stunde äußerster Verzweiflung und Demütigung.

Nach einer Weile stand sie auf und kühlte ihr brennendes Gesicht. Sie war außerstande, irgendwelche Entschlüsse zu fassen. Sie wusste nur, dass sie nicht hierbleiben wollte. Nun bereute sie schon, das Geld verschmäht zu haben, denn ihre Lage war alles andere als beneidenswert. Jutta besaß so gut wie keine Ersparnisse. Eitel, wie sie war, hatte sie fast ihr ganzes Geld für Kleider und Schmuck ausgegeben. Schließlich hatte sie für Unger schön sein wollen!

Das wenige Geld, das ihr geblieben war, würde nicht ausreichen, um die Zeit zu überbrücken, bis sie einen neuen Arbeitsplatz gefunden hatte. Es gab also nur eine Möglichkeit – sie musste auf den väterlichen Hof zurückkehren, Kräfte sammeln und ihre Lage überdenken. Sosehr sie diese Vorstellung auch hasste, im Augenblick war sie zu erschöpft und ratlos, um eine andere Lösung ins Auge zu fassen.

Als sie ihre Sachen zusammenpackte, fiel ihr Blick auf den Ring, der auf dem Nachttisch lag. Unger hatte ihr diesen Ring geschenkt, was sie damals sehr beeindruckt hatte.

Nachdenklich hielt sie ihn gegen das Licht, und der Stein sprühte feurig auf.

Sie beschloss, den Ring zu verkaufen, denn das Geschenk war ihr nun verleidet. Es war auch auf alle Fälle besser, nicht mit leeren Taschen auf dem Windacher-Hof anzukommen.

In aller Frühe schlich sie aus dem Gasthof, in dem sie in ihren Träumen schon das Zepter geschwungen hatte, schlich hinaus wie eine Diebin. Es gelang ihr schnell, den Ring zu veräußern, und die Höhe der Summe überraschte sie.

Obwohl sie jetzt genug Geld besaß, um sich ein Zimmer zu nehmen und abzuwarten, bis sich ihr eine geeignete Stelle bot, wich sie nicht von ihrem Entschluss ab, in ihr Heimatdorf zurückzukehren. Der erlittene Fehlschlag hatte sie in ihrem Selbstbewusstsein empfindlich getroffen und ihre Tatkraft gelähmt.

Als sie in dem leeren Zugabteil saß, schloss sie erschöpft die brennenden Augen.

Das nächste Mal muss ich es klüger anstellen, sonst nimmt es noch ein böses Ende mit mir, ging es ihr durch den Sinn, als sie an das Geschehene dachte.

Jutta schenkte der Schönheit der vorbeifliegenden Landschaft keinen Blick. Sie war zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Schließlich schlief sie ein, bis sie von dem Schaffner an ihrem Bestimmungsort recht unsanft geweckt wurde.

***

»Ja, da schau her! Wen haben wir denn da! Eine feine Madame aus der Stadt«, begrüßte der Windacher seine Tochter.

Jutta ließ sich von der unverhohlenen Ablehnung ihres Vaters nicht beeindrucken, sondern setzte mit einem Seufzer der Erleichterung ihre beiden Koffer ab.

»Du hast immer noch die gleichen Koffer, mit denen du weggegangen bist, wenn ich es recht sehe«, fügte er höhnisch hinzu.

»Ich weiß Besseres mit Geld anzufangen, als es für teures Geraffel auszugeben!«

Windacher wurde hellhörig, obwohl er eben noch bereit gewesen war, seine, wie er glaubte, auf Abwege geratene Tochter aus dem Haus zu jagen. Dennoch wurde sein Ton keineswegs freundlicher.

»Und warum schmeckt dir die Stadtluft nimmer? Ober bist du gar zur Sommerfrische hier? Gäste können wir hier net brauchen!«

»Warum hast du nie von dir hören lassen, Jutta? Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht«, warf Agnes ein, die bisher still am Stubenfenster gestanden hatte.

»Arbeit halt, viel Arbeit«, gab Jutta zurück. »Abends bin ich todmüde ins Bett gefallen. Ich hab in einem bekannten Gasthof außerhalb der Stadt geschafft. Das war hart, aber ich hab gutes Geld verdient.«

Dann spann sie eine Lügengeschichte aus, die erklären sollte, warum sie ihren Arbeitsplatz verloren hatte.

»Der alte Eigentümer hat das Gasthaus verkauft, und der neue hat als Erstes Leute entlassen, vor allem die, die zuletzt eingestellt worden sind. Und so bin ich halt wieder da. Aber ich wär euch eh bald besuchen gekommen. Schließlich lass ich euch net im Stich, auch wenn ich ein bisserl schreibfaul bin«, setzte sie in honigsüßem Ton hinzu.

Sie holte ein Bündel Geldscheine aus ihrer Handtasche – einen Teil des Erlöses aus dem Ringverkauf –, und Windachers Augen weiteten sich ungläubig. Er hatte noch nie so viel Geld auf einmal gesehen.

Jutta legte das Bündel auf den Tisch und schob es mit einer nachlässigen Handbewegung ihrem Vater zu.

»Ich hab net vor, hier als unnützer Esser zu wohnen. Außerdem kann ich ja wie früher mitschaffen. Für die Agnes ist es eh hart, dass sie jetzt allein mit allem fertig werden muss.«

Jutta wartete vergebens auf eine Antwort. Agnes schwieg, weil sie nur zu gut wusste, dass Jutta ihr keine große Hilfe sein würde. Sie hatte es schon in der Vergangenheit immer verstanden, ihr die härteste Arbeit zuzuschanzen.

Windacher war verstummt, weil er mit seinen Prinzipien kämpfte. Doch schließlich entschied er sich dafür, seine Tochter wieder aufzunehmen. Jutta sah keineswegs danach aus, als wäre sie unter die Räder gekommen, und ihre Darstellung der Ereignisse klang durchaus glaubhaft. Und all das Geld! Windacher raffte es mit einer schnellen Bewegung an sich, und es kostete ihn einige Überwindung, es nicht sofort durchzuzählen.

Während Agnes, beschämt über die Gier ihres Vaters, zu Boden blickte, glitt ein triumphierendes Lächeln über Juttas Gesicht.

»Na gut, mir soll’s recht sein. Dann schläfst du halt wieder bei der Agnes in der Kammer, wie früher auch«, gab der Windacher kund.

»Und für dich hab ich was zum Anziehen mitgebracht. Das hast du wahrhaftig nötig«, wandte sich Jutta an ihre Schwester und maß deren abgetragenen Kittelrock derart verächtlich, dass Agnes errötete.

Als Jutta später in der jetzt wieder gemeinsamen Kammer ein wunderschönes Seidendirndl vor ihr auf dem Bett ausbreitete, wehrte Agnes erschrocken ab.

»Das kann ich net annehmen, Jutta, das ist viel zu fein für mich!«

In diesem Festtagskleid wäre sie sich nur herausgeputzt vorgekommen und der allgemeinen Lächerlichkeit preisgegeben. Jutta stieß einen übertriebenen Seufzer aus, insgeheim hatte sie aber damit gerechnet, dass Agnes das Geschenk zurückweisen würde.

Um ihre Schwester nicht zu kränken, nahm Agnes eine weiße Bluse mit zartem Spitzenbesatz an, die Jutta gern hergab, weil sie ihr zu bieder erschien.

Ausnahmsweise verzichtete der Windacher-Vater auf seinen üblichen Gang zum Wirtshaus und blieb zum Abendessen zu Hause. Jutta hatte nicht versäumt, ein paar ausgesuchte Lebensmittel und eine gute Flasche Wein mitzubringen, sodass der Tisch so reich wie nie gedeckt war.

Windacher sprach dem Wein eifrig zu, bald war er in bester Stimmung und ließ sich sogar dazu hinreißen, die Tüchtigkeit seiner Tochter Jutta zu rühmen. Agnes saß still dabei, ihr war, als nähme ihr Juttas lebenssprühende, überwältigende Gegenwart die Luft zum Atmen.

»Jetzt sitz doch net so verdruckst herum! Du machst ja ein Gesicht, als gehörst du net zu uns!«, fuhr Windacher sie unvermittelt an.

»Freust du dich denn net, dass ich zurück bin?«, fragte Jutta scheinheilig.

»Aber natürlich …«

»Ist ja auch gleich. Ich werd mir sowieso bald eine Stelle suchen. Ich kann ja net ewig hier heroben in der Einöde herumsitzen.«

»Lass dir nur Zeit! Hier ist schließlich dein Zuhause«, sagte Windacher salbungsvoll, und Agnes wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen.

***

»Was ist denn heut so Besonderes? Alles ist geputzt und gescheuert, und einen Kuchen hast du auch gebacken!«, sagte Windacher, der von einem Besuch in der Kreisstadt heimkehrte.

»Ja, die Agnes werkelt schon den ganzen Tag herum«, fügte Jutta hinzu, »aber sie rückt net damit raus, was das eigentlich soll!«

Agnes war tiefrot vor Verlegenheit, und es fiel ihr sichtlich schwer, eine Erklärung abzugeben.

»Ich bekomm Besuch heut Abend«, brachte sie schließlich mühsam hervor und nestelte an ihrer Schürze herum.

»Besuch? Und warum erfahr ich erst jetzt davon? Meinst du net, dass das ein bisserl spät ist? Das ist immer noch mein Haus«, knurrte Windacher unwillig.

Er hatte in der Kreisstadt mehr Geld ausgegeben als geplant, und das trug nicht dazu bei, dieser Nachricht mit Wohlwollen zu begegnen.

»Wer ist es denn überhaupt, dass du so einen Aufwand veranstaltest?«, fragte Jutta dazwischen.

»Der Eschthaler-Stefan«, sagte Agnes zögernd.

»Der Eschthaler-Stefan?«, echote Windacher und starrte Agnes verständnislos an. »Du meinst den Sohn vom Eschthaler drüben, vom reichsten Bauern weit und breit?«

»Na, es gibt ja nur den einen!«, ließ sich Jutta vernehmen, und sie musterte ihre Schwester neugierig.

Windacher stieß ein kollerndes Lachen aus.

»Und der kommt hier hoch? Doch net gar wegen dir?«, höhnte er.

Windacher, der sich einst sehnlichst einen Sohn und Erben gewünscht hatte, hegte keine sehr hohe Meinung von seinen Töchtern.

»Die eine taugt nichts, und die andere ist verdruckt!«, pflegte er gehässig zu sagen.

Er war weder imstande, das Wesen noch die eigenartige Schönheit von Agnes zu erfassen, und seiner Meinung nach würde diese Tochter als nutzlose alte Jungfer sterben.

»Es ist aber so. Und ich versteh net, was daran so sonderbar sein soll«, gab Agnes jetzt beinahe trotzig zurück.

»Na ja, manche mögen’s halt fad! Ich kann mir das zwar net so recht vorstellen …« Sein Blick flog zu seiner anderen Tochter hinüber, neben der Agnes seiner Meinung nach geradezu farblos wirkte. Beinahe hätte er gesagt, er hätte verstehen können, wenn der junge Eschthaler ein Auge auf Jutta geworfen hätte, aber er hielt gerade noch an sich.

Seine Gedanken überschlugen sich. Der Eschthaler als Schwiegersohn, das war mehr, als er in seinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hätte.

Dann schüttelte er erneut den Kopf.

»Ich kann net glauben, dass er es ernst meint. Sicher sucht er nur ein Gspusi mit einer, die so einfältig ist wie du. Der wird doch net ein armes Madel zur Frau nehmen. Geld kommt zu Geld, so hat es immer geheißen, und daran hat sich nichts geändert, da könnt ihr sagen, was ihr wollt!«

Agnes war erblasst.

»Er meint es ernst!«, flüsterte sie tonlos.

Es war ihr plötzlich, als könnte sie die Gegenwart von Vater und Schwester nicht mehr ertragen.

»Wart doch erst mal ab, Vater!«, sagte Jutta in gespielter Gleichgültigkeit, in Wirklichkeit aber war sie mehr als gespannt, wie sich die Dinge entwickeln würden.

Windacher erhob nun keine Einwände mehr, stattdessen maß er Anges mit einem abschätzenden Blick.

»Hast du wenigstens etwas Anständiges zum Anziehen? Es ist ja eine Schand, in welchem Gelump du herumläufst«, sagte er in einem Ton, als wäre es ihre Schuld, dass sie sich nicht besser kleidete.

»Ja, Vater. Ich geh mich jetzt umziehen!«

Agnes sah Stefans Besuch mit Bangen entgegen, und sie hatte es daher nicht über sich gebracht, ihn früher anzukündigen. Nur zu gut kannte sie das Naturell ihres Vaters, und die unerwartete Anwesenheit ihrer Schwester verschlimmerte die Lage noch.

Doch Stefan hatte darauf bestanden, dass sie ihren Vater auf seine Werbung vorbereitete.

»Wir können uns net ewig verstecken, Agnes! Ich möcht deinen Vater kennenlernen, schließlich werden wir mal eine Familie sein«, hatte er gesagt.

Sie hatte sich bisher ängstlich gesträubt, ihn auf den Eschthaler-Hof zu begleiten. Sie konnte sich nichts anderes vorstellen, als dass die reichen, einflussreichen Eschthalers die Wahl ihres Sohnes missbilligen würden.

Für Stefan war dieser Besuch der erste Schritt an die Öffentlichkeit, denn ihm lag nichts an einem heimlichen Brautstand.

»Ich möchte, dass du bald bei mir auf dem Eschthaler-Hof lebst als zukünftige Bäuerin! Keinen Augenblick will ich dich dann mehr entbehren!«

An diese Worte Stefans dachte sie, als sie sich in ihrer Kammer für ihn schmückte. Doch alle Freude war in ihr erloschen durch das lieblose und boshafte Verhalten ihres Vaters, der ihre Liebe zu Stefan in den Schmutz zu ziehen schien.

Und Jutta – mit einem Mal empfand Agnes eine seltsame dumpfe Furcht. Fast widerwillig zog sie die schöne Spitzenbluse an, die die Schwester ihr geschenkt hatte, und kämmte sich die dunkle Haarflut.

Dann ging sie hinunter und überprüfte noch einmal den gedeckten Tisch. Sie konnte mit ihrem Werk zufrieden sein. Sie hatte eine Leinendecke frisch gestärkt, und das gute Geschirr, das gerade noch für vier Personen reichte, hervorgeholt. Ein bunter Feldblumenstrauß war geschmackvoll angeordnet, daneben prangte ein köstlicher Obstkuchen.

Und dennoch wünschte sie, hinaus in den Wald laufen zu können, nur weg von hier, um mit Stefan allein zu sein – allein und in Sicherheit.

***

Stefan Eschthaler wurde auf dem Windacher-Hof von Agnes’ Vater und ihrer Schwester herzlich empfangen. Hätte er etwas mehr Menschenkenntnis besessen, so wäre ihm das Unechte daran gewiss aufgefallen. Doch er war überrascht, Jutta auf dem Hof vorzufinden, gleichzeitig auch erleichtert, dass die ganzen Gerüchte, die im Dorf die Runde machten, nicht der Wahrheit entsprachen.

Die Windachers waren also keineswegs die zerrüttete Familie, wie es oft hingestellt wurde. Zwischen Vater und Töchtern, besonders was Jutta betraf, schien doch ein Einvernehmen zu herrschen. Sicher bot das Anwesen einen heruntergekommenen Eindruck, aber dem Windacher mochte es ergehen wie vielen Bauern, die unverschuldet in Not geraten waren. Der Hof war nicht groß und modern genug, um in der heutigen Zeit noch rentabel sein zu können.

Im Haus war, wenn auch die Einrichtung zu wünschen übrig ließ, alles sauber und ordentlich gehalten. Man spürte, dass Agnes sich bemühte, mit geringen Mitteln eine wohnliche Atmosphäre zu schaffen.

Stefan geizte nicht mit seinem Lob über den schön gedeckten Tisch und den Kuchen, was Agnes sichtlich freute.

»Ja, unsere Agnes ist ein richtiges Hausmütterchen«, sagte Jutta daraufhin. Und obwohl ihr Tonfall so überaus freundlich war, empfand Agnes die Worte ihrer Schwester doch wie einen Schlag ins Gesicht, und sie errötete.

Bald schon riss Jutta das Gespräch an sich, zwar war sie nicht so belesen wie ihre Schwester, doch sie verstand witzig und ironisch zu plaudern, was Stefan unwillkürlich fesselte. Nicht weniger klug als Agnes, jedoch weitaus geschickter darin, Aufmerksamkeit zu erregen, gelang es Jutta bald, die Schwester ins Hintertreffen geraten zu lassen.

Sie hatte oft den Gästen zugehört, dabei manches, das ihr nützen konnte, im Gedächtnis behalten, sodass sie damit leicht über ihre Oberflächlichkeit und Wissensmängel hinwegtäuschen konnte.

Agnes wurde immer schweigsamer. Es war, als verblasste sie neben Jutta, als wäre sie nur ein bleiches Abbild ihrer Schwester, die so voller Kraft und Leben war.

Nach einer Weile fiel Stefan auf, wie wortkarg Agnes war, und er bemühte sich, sie in das Gespräch mit einzubeziehen. Doch der Versuch misslang kläglich, Agnes verstand wenig von der Unterhaltung, die sich um recht oberflächliche Dinge drehte. Sie fühlte sich linkisch und ausgeschlossen und zog sich immer mehr in sich zurück.

Windacher warf nur gelegentlich eine Bemerkung ein, wohlweislich schwieg er meist, beobachtete aber die jungen Leute mit scharfem Blick.

Da schau her! Der Jutta gefällt der Eschthaler anscheinend, und er versteht sich auch mit ihr. Da kann die Agnes noch sehen, wo sie bleibt, dachte er mitleidlos.

Im Grunde genommen wäre es auch besser, wenn Jutta den jungen Eschthaler heiraten würde. Dann wäre sie gut versorgt, und Agnes bliebe auf dem Hof als billige Arbeitskraft.

Juttas Gedanken gingen in eine ähnliche Richtung, ihre Verdrossenheit über die jüngst erlittene Niederlage war wie weggeblasen. Jetzt war sie sogar froh, dass alles so gekommen war. Das Schicksal schien Besseres für sie in Bereitschaft zu halten.

Und der junge Eschthaler gefiel ihr weitaus besser als der schon ältliche Unger. Er war auch kein plumper Bauernlackel, sondern redegewandt und freundlich.

Gut schaute er aus mit seinem dunkelblonden Schopf und der sportlichen Gestalt. Selbst wenn er nicht der reiche Eschthaler gewesen wäre, so war er ein Mann, der die Leidenschaft in ihr erwecken konnte. Es würde keine Kunst sein, ihn ihrer Schwester, die dasaß wie eine ängstliche Maus, auszuspannen.

Und wieder einmal flogen ihre Träume hoch. Sie sah sich schon an Stefan Eschthalers Seite, als künftige Großbäuerin, angesehen und geachtet.