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Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.
Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.
Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:
Alpengold 212: Almut, der gute Geist vom Brunnerhof
Bergkristall 293: Der blonde Engel vom Himmelberg
Der Bergdoktor 1781: Durch deine Schuld
Der Bergdoktor 1782: An die Schweigepflicht gebunden
Das Berghotel 149: Tröster auf vier Pfoten
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 571
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2015/2016/2017 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Andrey Pugachev / Shutterstock
ISBN: 978-3-7517-4697-7
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Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Alpengold 212
Almut, der gute Geist vom Brunnerhof
Bergkristall - Folge 293
Der blonde Engel vom Himmelberg
Der Bergdoktor 1781
Durch deine Schuld
Der Bergdoktor 1782
An die Schweigepflicht gebunden
Das Berghotel 149
Tröster auf vier Pfoten
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Contents
Almut, der gute Geist vom Brunnerhof
Eine junge Magd und ihre heimliche Liebe
Von Rosi Wallner
Verbissen hackt Almut, die Magd vom Brunnerhof, auf das Unkraut ein.
»Wie kann die Bäuerin nur so was sagen?«, murmelt sie verzweifelt. »So was Gemeines …« Dann erschrickt sie, und ihr Herz tut einen harten Schlag. Markus Riedinger, der junge Bauer, steht plötzlich neben ihr.
»Es ist mir arg, dass meine Frau dich so schlecht behandelt«, sagt er mit rauer Stimme, »aber bestimmt meint sie es net so. Gewiss ist nur ihre …«, er zögert, »… ihre Krankheit daran schuld.«
Almut wirft ihm einen raschen Blick zu. »Es ist besser, wenn ich von hier weggehe«, flüstert sie gequält. »Dabei will ich deiner Frau doch nur helfen.«
Sie sieht nicht den seltsamen Ausdruck in Markus’ Augen, denn Tränen verschleiern ihren Blick. Sie weiß doch genau, dass sie niemals fortgehen kann von diesem Hof – und von diesem Mann …
Markus Riedinger sah sich verstohlen in der Bauernstube um, in die ihn eine alte Magd, die ihm griesgrämig vorangeschlurft war, geführt hatte.
»Musst halt warten. Die Bäuerin ist draußen auf dem Feld«, hatte sie ihm beschieden und ihn allein gelassen.
Der behagliche Wohlstand, den der Raum mit den bemalten Bauernmöbeln, der geschnitzten Balkendecke und dem dunkelgrünen Kachelofen mit der Sitzbank ausströmte, blieb nicht ohne Eindruck auf Markus.
So etwas sein eigen nennen zu dürfen, auf einem solchen Hof zu Hause zu sein – es würde ein unerreichbarer Traum für ihn bleiben.
Markus Riedinger entstammte armen Verhältnissen. Der Hof seines Vaters warf nicht genug ab für die vielköpfige Familie, und Markus hatte oft bittere Not spüren müssen. Als der letztgeborene von fünf Brüdern hatte er von frühester Jugend an auf dem Hof mitgearbeitet.
Doch seit er erwachsen war, gab es zunehmend Streit mit dem ältesten Bruder, der sich schon ganz als Hofbauer aufspielte und sich weigerte, ihm nur einen Cent Lohn zu geben.
Es war Markus sehr schwer gefallen, von daheim wegzugehen, denn er hing an seinen Eltern und war in seiner Heimat verwurzelt, aber es gab keine andere Lösung für ihn. So hatte er das Tal, in dem er geboren und aufgewachsen war, verlassen und sah sich in dieser Gegend, wo stattliche Großbauernhöfe von Reichtum kündeten, nach einer passenden Stelle um.
Die Bedienung drunten im Dorfwirtshaus, wo er eine bescheidene Vesper verzehrt hatte, hatte ihn wissen lassen, dass auf dem Brunnerhof eine Stelle frei wäre.
Vertraulich hatte sich das dralle Mädchen zu ihm heruntergebeugt und gekichert.
»Musst dich halt in Acht nehmen! Mit der Bäuerin ist net gut Kirschen essen! Deshalb laufen die Leut auch immer gleich weg, kaum, dass sie auf dem Brunnerhof angefangen haben!«
Ehe Markus sie um weitere Erklärungen bitten konnte, war sie schon aufgestanden, um die Wünsche eines ungeduldigen Gastes zu erfüllen, der unmutig sein Bierseidel hin und her schwenkte.
So hatte Markus beim Zahlen nur noch nach dem Weg gefragt und sich an den Aufstieg gemacht. Blühende Wiesen, Obstgärten und fruchtbare Felder hatten seinen Weg gesäumt, nicht zu vergleichen mit dem kargen Gebirgstal, dem er entstammte …
Markus schrak auf, als die Stubentür ungestüm aufgestoßen wurde. Eine hochgewachsene Frau, erhitzt von der Feldarbeit in der Sonnenglut, trat ein. Lose Strähnen hatten sich aus dem dunkelblonden, zurückgekämmten Haar, das im Nacken zu einem altmodischen Knoten zusammengesteckt war, gelöst und umgaben das herbe, aber nicht unschöne Gesicht.
Ruth Brunner trug einen blauen formlosen Kittel, der ihre Gestalt verbarg, und trotz der Hitze schwarze Strümpfe. Es war schwer, ihr Alter zu bestimmen.
»So, du suchst also Arbeit?«, fragte sie, und ihre hellblauen Augen flogen abschätzend über Markus.
Markus hatte sich erhoben, eine Geste der Höflichkeit, die Ruth eher irritierte.
»Setz dich doch wieder. Woher kommst du, und wo warst du vorher in Dienst?«
Markus berichtete knapp und sachlich von seiner Arbeit auf dem elterlichen Hof, die Auseinandersetzungen mit dem älteren Bruder verschwieg er allerdings.
»Der Hof kann uns nimmer alle ernähren, und so blieb mir nichts anderes übrig, als wegzugehen. So leid es mir auch wegen meiner Eltern getan hat«, schloss er.
»Ja, es ist halt alles nimmer so wie früher. Manch ein schöner Hof ist hier schon zugrunde gegangen«, bemerkte Ruth düster, obgleich Markus nicht ersehen konnte, warum sie Grund zum Klagen haben sollte.
Wieder musterte sie ihn kritisch, und sie glaubte, noch nie einen so gut aussehenden Mann wie ihn gesehen zu haben.
Seine hohe, kräftige Gestalt, die die ihre um Haupteslänge überragte, die markanten Gesichtszüge, beherrscht von dunklen Augen, die ihm im Einklang mit den fast schwarzen ungebärdigen Locken etwas Südländisches verliehen, blieben nicht ohne Eindruck auf die junge Frau.
Er war bescheiden, doch ansprechend gekleidet und wirkte gepflegt. Eigenartigerweise erfüllte es sie mit Erleichterung, dass er nicht einer der herumziehenden Erntehelfer, sondern doch ein Hofsohn war.
»Wenn du willst, kannst du morgen schon hier anfangen! Wir brauchen hier dringend jemanden«, sagte sie dann, ohne zu zögern.
»Ich dank dir, Bäuerin! Es soll dich net reuen«, gab Markus zur Antwort.
Ruth reichte ihm die Hand.
»So wünsch ich dir einen guten Einstand«, meinte sie, »und dass du dich hier bald wie daheim fühlst!«
Noch nie hatte Ruth Brunner jemanden so freundlich auf dem Hof willkommen geheißen, und Markus, der das nicht wissen konnte, war von der Bäuerin sehr angetan.
Was alles so geredet wird! Sicher ist sie ein bisserl herb, aber man kann doch mit ihr auskommen, dachte er, als ihm in den Sinn kam, wie man im Dorf über die Brunnerin urteilte.
»Resi!«, rief Ruth mit scharfer Stimme, und die Alte tauchte sofort auf. »Zeig dem Markus seine Kammer. Da mag noch manches fehlen, sehr nobel schaut’s net drin aus, aber darüber lässt sich ja reden.«
Resi blieb vor Überraschung fast der Mund offen stehen, dann nahm sie sich aber zusammen, um nicht eine heftige Reaktion der Bäuerin heraufzubeschwören.
Schau an, ich glaub, da wird sich etwas tun in der nächsten Zeit, dachte die Alte und verzog hämisch den lippenlosen, eingesunkenen Mund.
»Und komm herunter, wenn du deine Sachen untergebracht hast. Wir essen früh zu Abend«, wies Ruth den neuen Knecht an.
Markus nickte und nahm seine spärlichen Habseligkeiten auf, die er in einem Rucksack verstaut hatte.
Ungläubig sah er sich in der Kammer um, nachdem die Resi ihn wortlos allein gelassen hatte.
»Jesses!«, stieß er kopfschüttelnd hervor und ließ seine Sachen zu Boden fallen.
Eigentlich war es ja mehr ein Verschlag unter einer unverputzten Dachschräge, der mit einem Eisenbett, einem wackligen Tisch und einer verstaubten Truhe ausgestattet war. Das Fenster, durch das trübe Licht einsickerte, war blind vor klebrigem Schmutz.
Rasch brachte er sein Hab und Gut in der Truhe unter, strich sich glättend über das Haar und eilte die Stiege zum Erdgeschoss hinab.
***
Die Hofleute waren schon um den großen Esstisch versammelt, als Markus eintrat. Ruth Brunner stellte ihn mit knappen Worten den anderen vor, was lediglich ein schwaches Echo hervorrief.
Die Bäuerin hatte einen sauberen, wenngleich ebenso tristen Kittel an und sich die Haare mit einer Vielzahl von Nadeln festgesteckt, was sie altjüngferlich erscheinen ließ.
Nachdem Resi frisches Brot und Geselchtes aufgetragen hatte, senkte sich Stille über den Raum. Es war anscheinend üblich, dass die Mahlzeiten schweigend eingenommen wurden, und Markus hatte Gelegenheit, die Anwesenden einer raschen Prüfung zu unterziehen.
Neben der Bäuerin und Resi saß noch ein älterer Mann mit verschlossener Miene am Tisch, der die Woche darauf sang- und klanglos vom Hof verschwinden sollte. Markus’ Gegenüber, ein junges Mädchen, hatte den Kopf tief über den Teller gesenkt, sodass er kaum ihre Züge erkennen konnte.
Später erfuhr Markus, dass Almut May eine entfernte Verwandte der jungen Bäuerin war, die, schon früh verwaist, von dem alten Brunner aufgenommen worden war. Sie hatte schon von frühester Kindheit an durch harte Arbeit abgegolten, dass man ihr das Waisenhaus erspart hatte.
Nach dem Essen hielt Ruth Brunner Markus zurück. Als abgeräumt worden war und die anderen die Stube verlassen hatten, ging sie zur Kredenz und goss Enzian in zwei bunt bemalte Stamperl.
»Damit du dich hier schnell eingewöhnst!« Sie prostete ihm lächelnd zu.
Markus dankte ihr und leerte – wie sie – das Glas mit einem Zug.
»Deine Kammer sieht noch arg aus, aber das lässt sich ja ändern!« Wieder lächelte sie, was ihr Gesicht überraschend verschönte, und nestelte verlegen an ihrem Haarknoten. »Morgen schaust du dich mal auf dem Hof um, damit du dich bald auskennst!«
Markus fühlte sich unbehaglich. Die offenkundige Freundlichkeit und das Entgegenkommen, das im krassen Gegensatz zu Ruths Ruf stand, verunsicherten ihn.
Der junge Mann war recht unerfahren im Umgang mit Frauen, und er hatte kaum eine Ahnung davon, welche Wirkung sein gutes Aussehen und sein angenehmes, zurückhaltendes Wesen auf eine Frau haben konnte.
Da er wegen der Armut, in der seine Familie lebte, oft auf Geringschätzung und Ablehnung gestoßen war, hatte er sich vom dörflichen Leben völlig zurückgezogen. Dorffeste und Tanzvergnügen waren nicht seine Sache, sodass er kaum Gelegenheit gehabt hatte, Mädchen kennenzulernen.
Markus fasste Ruths Worte als Verabschiedung auf und wandte sich mit einem freundlichen Gutenachtgruß zum Gehen.
Ruth blieb ratlos und verwirrt zurück, was ein ungewöhnlicher Zustand für sie war. Sie goss sich noch einmal einen Enzian ein und trank ihn geistesabwesend aus, ohne auf die brennende Schärfe zu achten.
Seit dem Auftauchen von Markus Riedinger war eine seltsame, unerklärliche Unruhe in das kühle Herz der jungen Frau eingezogen und hatte ihr von Berechnung bestimmtes Handeln ins Wanken gebracht.
Ruth Brunners Welt war begrenzt und wohlgeordnet, ihre Zukunftspläne fest umrissen. Sie war – wie viele traditionsbewusste Bauern – davon überzeugt, dass Eheschließungen aus praktischen Erwägungen erfolgen sollten, und Liebe und Leidenschaft nur Hirngespinste überspannter Naturen waren.
Ruth hatte auch schon einen Bewerber ins Auge gefasst – Anselm Lechner, dessen Felder und Wiesen unmittelbar an die ihren grenzten.
Anselm Lechner, ein Mann in den Vierzigern, war kürzlich verwitwet, und da er kinderlos war, würde er mit einer Widerverheiratung nicht lange warten wollen. Was lag da näher, als die beiden Anwesen – und vor allem das Land, das sie beide besaßen – zu vereinigen!
Ruth gab sich unwillkürlich wieder ihren Spekulationen hin, in die sich aber immer das Bild Markus Riedingers einschob.
Unwirsch verbot sie sich jeden Gedanken an ihn, war das Ziel ihrer Wünsche doch inzwischen in greifbare Nähe gerückt. Nachdem eine schickliche Frist seit dem Tod der Lechnerbäuerin verstrichen war, hatte Ruth den Witwer zum Sonntagskaffee eingeladen, und Lechner hatte sofort zugesagt.
Die junge Frau stellte die Flasche mit dem Enzian in die Kredenz zurück und schloss geräuschvoll die Schranktür.
»Nur weil einer gut ausschaut, lass ich mir noch lang net den Kopf verdrehen! Wie man sich bettet, so liegt man, und der Lechner Anselm stellt etwas dar!«, sagte sie halblaut und presste entschlossen die Lippen aufeinander.
Wie jeden Abend unternahm sie noch einen Rundgang durch Haus und Hof, wobei sie aber heute nicht recht bei der Sache war …
***
Markus Riedinger dachte an die Bäuerin, als er auf seinem ungemütlichen harten Bett lag und darauf wartete, dass sich der Schlaf einstellte.
Wenn sie ein bisserl mehr auf ihr Äußeres achten würde, wäre sie gar net uneben, die Bäuerin, ging es ihm durch den Sinn, doch erschrocken verbot er sich jeden weiteren Gedanken an die junge Frau. Er war ein Habenichts, ein Hergelaufener, er hatte nichts mit der reichen Brunnerin zu schaffen!
Während er seinen Träumen nachhing, genug von seinem Lohn – der übrigens recht großzügig bemessen war – zusammenzusparen, um sich vielleicht im Ausland eine neue Existenz aufzubauen, fielen ihm die Augen zu.
Als auf dem Hof alle längst in tiefem Schlaf lagen, huschte eine schattenhafte Gestalt die Stiege hinunter. Almut schlüpfte verstohlen in die Küche und goss sich Milch ein.
Es kam häufig vor, dass Almut stundenlang wach war, weil sie die Erinnerung an den Unfalltod ihrer Eltern quälte. Manchmal fuhr sie schreiend aus dem Schlaf hoch und weinte dann verzweifelt vor sich hin.
Als sie, krank und verschüchtert, auf den Hof gekommen war, hatte sich niemand um ihre Not gekümmert. Sie war ein überflüssiger Esser, und es hieß für sie zupacken, wenn nicht harte Scheltworte auf sie herabhageln sollten.
So hatte sie ein liebeleeres Dasein ertragen, ohne Anteilnahme und Zuwendung, was zur Folge hatte, dass die Wunden der Vergangenheit nicht verheilen konnten. Abgesondert und einsam lebte sie dahin, vernachlässigte ihr Äußeres und kannte nur ihre täglichen Pflichten.
Doch heute war etwas in ihr aufgebrochen, sie hatte in Markus Riedinger einen mitfühlenden Menschen erkannt, der, wie sie instinktiv wusste, Ähnliches wie sie durchlitten hatte. Und gleichzeitig empfand sie Angst vor ihm, weil er Empfindungen in ihr erweckt hatte, die süß und schmerzlich zugleich waren.
***
»So, da schau her! Den Anselm hast du eingeladen! Du lässt ja nichts anbrennen!« Sina Hofer vermaß gerade eine Stoffbahn von einem gewaltigen Ballen und warf dabei ihrer Freundin Ruth Brunner einen neugierigen Seitenblick zu.
Die junge Frau, die eine kleine Schneiderei betrieb, war Ruths Vertraute schon von der Schulzeit an. Die versäumte niemals, bei ihr hereinzuschauen und sich mit ihr zu besprechen, wenn sie unten im Dorf war.
Wie im Äußeren – Sina war immer herausgeputzt und sorgfältig zurechtgemacht – unterschieden sich die beiden Frauen auch vom Wesen her. Die immer gut gelaunte, heitere Sina, die vor Einfällen nur so übersprudelte, verstand sich jedoch mit der spröden, wenig liebenswürdigen Ruth. Vielleicht, weil sie mit ihrem arglosen Naturell gar nicht imstande war, die dunkleren Seiten von Ruths Charakter zu erkennen.
»Ja, ich hab mich entschlossen zu heiraten!«, erklärte Ruth Brunner mit einer Feierlichkeit, die bei jeder anderen Frau lächerlich gewirkt hätte.
»So!«, gab Sina von sich, scheinbar ganz in ihre Arbeit vertieft. Nach einer Weile meinte sie, während sie sorgfältig mit ihrer großen Schere hantierte: »Nimm mir’s net übel, Ruth, aber dazu gehören immer noch zwei. Und der Lechner-Anselm …«
»Der Anselm hat seine Sinne beisammen und weiß genau, was für ihn zum Vorteil ist! Wenn unsere Acker …«
»Das weiß ich, dass der Anselm seine Sinne beisammenhat!«, unterbrach Sina sie beinahe grob. »Und das heißt, dass er net grad blind ist!«
»Was willst damit sagen?«
Ruth Brunners Stimme klang verletzt, doch Sina achtete nicht darauf.
»Was ich dir schon immer sag! Dass du ein bisserl mehr hermachen sollst! Der Anselm hat es net nötig, nur nach dem Geld zu heiraten! Grad Männer in seinem Alter wollen eher etwas Resches und Fesches! Und nimm mir’s net übel, Ruth, aber in diesem Aufzug wie heut wieder lockst du keinen hinterm Ofen hervor! Man könnt ja meinen, dass du dich absichtlich verunstaltest!«
Kopfschüttelnd betrachtete sie die Freundin, die in einem altmodischen weiten Trägerrock und groben Schuhen einen mehr als unvorteilhaften Anblick bot.
Ihre Frisur hatte sich halb aufgelöst und hing in Strähnen hinab, sodass die junge Frau abgehetzt und beinahe ältlich wirkte.
Fleckiges Rot stieg in Ruths Wangen, und sie funkelte Sina böse an.
»Was verstehst du denn davon mit all deinem Flitter! Es gibt noch andere Werte als das Äußere!«
»Sicher! Aber deswegen wollt ich net geheiratet werden! Äcker! Viecher im Stall!« Sina blies verächtlich die Backen auf und legte klappernd die Schere auf den Zuschneidetisch. Als sie aber sah, dass Ruth ernstlich gekränkt war, lenkte sie rasch ein, wie gewöhnlich bei ihren kleinen Zwistigkeiten. »Wir wollen uns deswegen net zanken, Ruth! Ich wollt dir halt nur helfen! Du bist nämlich alles andere als schiach, auch wenn du das gut zu verbergen weißt!«
Ruth stieß einen unwilligen Laut aus, während sie den vergeblichen Versuch unternahm, ihre Haare zu ordnen.
»Wär es net besser, wenn sich der Anselm in dich verlieben tät? Das ist doch eine viel bessere Grundlage für eine Ehe, als nur auszurechnen, was da alles zusammenkommt!«, fuhr Sina fort.
»Und du meinst, wenn ich mich herausputz wie ein leichtfertiges Ding, dann wird das mal eine bessere Ehe!«, gab Ruth bissig zur Antwort.
»Niemand verlangt, dass du dich übertrieben herausputzen sollst! Es geht nur darum, dass du dich so kleidest, wie es deinem Alter und deinem Aussehen entspricht. Was du dann aus deiner Ehe machst, das liegt nur an dir!«, sagte Sina ernsthaft. »Wart mal!«
Blitzschnell hatte sie die Haarnadeln aus dem Knoten entfernt, und die weiche Haarflut ergoss sich ungehindert auf Ruths Schultern. Dann legte Sina ihr einen seidigen Stoff um und hob ihr einen Spiegel vor.
»Wie umgewandelt schaust du aus und ohne den altbackenen Knoten! Und du musst helle Farben tragen, die zu deinen Augen und deiner Haut passen!«
Ruth musterte sich, als blicke ihr eine Fremde aus dem Spiegel entgegen.
»Locken müssten dir gut stehen, und dazu mach ich dir ein Dirndl, das dir wirklich passt!«
»Aber es darf net zu ausgefallen sein – und keines mit einem tiefen Ausschnitt und einem kurzen Rock«, murmelte Ruth verlegen.
Sina warf einen anklagenden Blick gen Himmel und seufzte resigniert.
»Alles ist immer noch besser als das, worin du gerade herumläufst!«, sagte sie und fügte hinzu: »Und jetzt suchen wir einen passenden Stoff aus, in dem du net wie eine saure Betschwester aussiehst!«
Ruth gab sich geschlagen, und die zwei Frauen begannen, in den Stoffen zu wühlen, und berieten sich.
***
Anselm Lechners Augen weiteten sich erstaunt, als er sich Ruth, die ihm die Tür geöffnet hatte, gegenübersah.
»Fesch schaust du aus, Ruth!«, sagte er bewundernd und reichte ihr einen großen Blumenstrauß.
Die junge Frau errötete verlegen und erfreut zugleich; sie war weder an Komplimente noch an Blumengeschenke gewöhnt. Sie wirkte wie umgewandelt. Sina war am Morgen da gewesen und hatte aus Ruths glattem Haar eine duftige Lockenfrisur gezaubert, die ihr Gesicht umschmeichelte und es weicher erscheinen ließ.
Das blaue Dirndl mit dem bescheidenen Ausschnitt brachte Ruths ebenmäßigen Wuchs ausgezeichnet zur Geltung – aus der vernachlässigten Hofbäuerin war eine reizvolle Frau geworden.
»Komm doch herein! Die Resi wartet schon mit dem Kaffee!«, stammelte Ruth und hielt den umfangreichen Blumenstrauß wie ein Schutzschild vor sich.
Lechner nahm an dem schön gedeckten Kaffeetisch Platz und versäumte es nicht, den gelungenen Kuchen zu loben. Den hatte eigentlich Almut gebacken, was Ruth allerdings mit keinem Wort erwähnte.
Anselm Lechner war ein stattlicher Mann von etwas gedrungenem Körperbau und angenehmen Zügen. Tief eingekerbte Linien in dem ansonsten blühenden Gesicht zeugten von vergangenem Leiden – die Krankheit seiner Frau, die sich qualvoll über Jahre hinweggezogen hatte, hatte ihren Tribut gefordert.
Doch es war ihm anzumerken, dass er mit dem, was hinter ihm lag, innerlich abgeschlossen hatte, sein Blick war vorwärts gerichtet. Seine arme Barbara war endlich erlöst worden, und es war ganz in ihrem Sinn, dass er ein neues Leben begann. Anselm Lechner war entschlossen, wieder zu heiraten und sich seinen sehnlichsten Wunsch, nämlich Kinder zu haben, zu erfüllen.
Wohlgefällig blieb sein Blick auf der jungen Bäuerin ruhen, die, nachdem sie die Blumen in einer Vase angeordnet hatte, ihm gegenüber Platz nahm.
Wo hatte er nur seine Augen gehabt! Die Ruth war ja wirklich eine bildhübsche Frau!
Er hatte nicht vor, ein junges Mädchen zu heiraten und sich damit vielleicht der Lächerlichkeit preiszugeben. Ruth war genau im richtigen Alter, und sie würde auch noch Kinder haben können. Daneben hatte sie sich als tüchtige Hofbäuerin erwiesen; ganz auf sich allein gestellt hatte sie die Zügel besser in der Hand als mancher gestandene Bauer.
Anselm Lechner lehnte sich behaglich zurück und musterte sie lächelnd.
»Weißt du, Ruth, wenn ich dich so anschau, dann wundere ich mich, dass du noch keinen Ring am Finger hast! Blitzsauber bist, und wie du hier das Regiment führst – alle Achtung!«
Er verstummte vielsagend, und Ruth, die nicht mit einer so unverblümten Äußerung gerechnet hatte, senkte errötend den wohlfrisierten Kopf.
»Ach, Anselm, natürlich hat es Bewerber gegeben! Aber das waren immer junge Burschen, keine rechten Mannsbilder, ich mein …« Sie verhedderte sich und goss sich verwirrt aus der bauchigen Kanne Kaffee ein.
»Eine Frau wie du, die etwas leistet, mag natürlich keinen unerfahrenen jungen Spund als Ehemann, das kann ich verstehen«, erwiderte Anselm.
Das zu hören, tat Ruth ungeheuer wohl. Wer zollte schon einer Frau, die hart arbeitete, anstatt eine Zierpuppe zu sein, so offen Anerkennung!
»Ich meinerseits mach mir auch nichts aus jungen Dingern, die nur ein hübsches Gesicht haben und sich die Hände net schmutzig machen wollen«, fuhr er fort und nahm sich noch ein weiteres Stück Kuchen.
Ruth blickte nicht auf, sie hatte Mühe, ein befriedigtes Lächeln zu verbergen. Ihre Wünsche und Hoffnungen schienen leichter in Erfüllung zu gehen, als sie es sich in ihren Träumen vorgestellt hatte, zudem gefiel ihr Anselm Lechner immer besser.
Er galt etwas in der Gemeinde, und an seiner Seite würde sie gewaltig in der Achtung der Dörfler steigen, von denen manche sie schon als alte Jungfer, die Haare auf den Zähnen hatte, abgetan hatten.
»Machen wir jetzt einen Gang über den Hof, Anselm. Ich hab ein paar neue Milchkühe gekauft, die musst du dir unbedingt ansehen«, schlug Ruth später vor, und Lechner erhob sich bereitwillig.
Langsam schritten sie durch die Stallungen, begutachteten das Vieh und unterhielten sich über landwirtschaftliche Probleme. Lechner bewunderte den Sachverstand der Bäuerin, während Ruth angenehm davon berührt war, dass Lechner ihre Meinung ernst nahm.
Daran schloss sich ein Spaziergang über die Felder an, die in sonntäglichem Frieden dalagen, und man hätte die beiden für ein wohlhabendes bäuerliches Paar halten können, das mit sich und der Welt im Einklang lebte.
Ruth lud den Gast noch zu einem Glas Traminer ein, was er nicht ausschlug, dann brach er jedoch beizeiten auf, weil er diesen ersten Besuch nicht ungebührlich ausdehnen wollte.
Ruth begleitete ihn zum Hofgatter, und er blieb stehen und sah sie eindringlich an.
»Ich würd mich sehr freuen, wenn du nächsten Sonntag zu mir kämst, obwohl es mit der Wirtschaft jetzt im Argen steht. Wär es dir um vier recht?«
»Gern, Anselm!« Sie strahlte ihn an, dass er Mut fasste, und, nachdem er sich geräuspert hatte, leise sagte: »Ich hab mich schon lang nimmer mit einem Menschen so gut unterhalten können wie mit dir!«
Dann wandte er sich schnell ab, als hätte er zu viel von seinen Gefühlen verraten.
Ruth sah seiner kräftigen Gestalt nach, bis sie außer Sichtweite war, und kehrte dann langsam in das Haus zurück.
Sie war in geradezu verklärter Stimmung; es war zum ersten Mal, dass sie von einem Mann umworben wurde, und es erfüllte sie mit tiefster Befriedigung, dass dieser zugleich der Richtige war. Sie hatte selbst diese Wahl getroffen, und es passte alles aufs Beste zusammen.
Insgeheim musste sie Sina recht geben und leistete ihr stillschweigend Abbitte – eine Ehe, die aus Zuneigung geschlossen wurde, hatte sicher mehr Bestand. Sie nahm sich vor, in Zukunft mehr auf ihr Äußeres zu achten und sich von Sina ein paar Kleider nähen zu lassen – natürlich nichts Übertriebenes, das aus dem Rahmen fiel.
In der Stube öffnete Ruth weit ein Fenster und holte tief Atem. Ihre Wangen glühten, und sie knöpfte geistesabwesend oben ihr Mieder ein wenig auf.
Sie überhörte, dass Markus, der gewartet hatte, bis Anselm Lechner weg war, eingetreten war und sie wie eine Erscheinung anstarrte.
»Wie schön du heut aussiehst!«, stieß er unbedacht hervor, um diese spontanen Worte im gleichen Augenblick heftig zu bereuen. Ihm stand es nicht zu, sich zu solchen persönlichen Äußerungen hinreißen zu lassen. »Tut mir leid, Bäuerin, ich wollt net …« Er verstummte.
Ruth stand wortlos da, ihr Herz klopfte plötzlich zum Zerspringen. Konnte es wirklich sein, dass sie diesem gut aussehenden jungen Mann, der bestimmt allen Mädchen den Kopf verdrehte, gefiel – und nicht nur das?
Ungeschickt nestelte sie an ihrem Mieder herum, um die obersten Knöpfe wieder zu schließen, Ruth war sehr sittenstreng erzogen worden und dementsprechend prüde.
»Was willst du?«, fragte sie barscher als beabsichtigt und mied seinen Blick.
»Ich wollt wegen morgen noch etwas fragen, Bäuerin«, sagte Markus zurückhaltend, jedoch nicht eingeschüchtert.
Sie besprachen noch einige Arbeiten, die am Wochenanfang durchzuführen waren, wobei sich Ruth darüber ärgerte, wie kurzatmig ihre Stimme klang.
Als sie wieder allein war, überlief sie ein Schauder, und mit einer zornigen Bewegung schloss sie das Fenster. Es war ihr, als wäre der Triumph dieses Tages mit einem Mal zunichtegemacht worden.
Als sie in Markus Riedingers Augen gesehen hatte, war eine heiße Flamme in ihr emporgelodert und hatte alles, was sie für Anselm Lechner empfunden hatte, erbarmungslos ausgelöscht.
Ruth ließ sich auf einen Stuhl sinken und blieb regungslos sitzen. Sie musste einen kühlen Kopf behalten, durfte ihre Pläne nicht aufs Spiel setzen. Eine böse Falte kerbte sich in ihre Stirn.
»Ich werd ihm kündigen, sobald ich nur einen Grund dafür hab«, murmelte sie vor sich hin.
Sie stand auf und holte den Enzian aus der Kredenz und goss sich mit zitternden Händen ein.
»Ein Habenichts ist er, ein Hergelaufener, der mir schöne Augen macht, um sich ins warme Nest zu setzen. Aber da ist er bei mir an die Falsche geraten!«, schloss sie erbittert ihre Schmährede.
Gleichzeitig aber fühlte sie sich elend und schuldbeladen, weil sie so von Markus dachte, denn in ihrem Herzen wusste sie, dass es nicht zutraf.
»Ich darf net so viel trinken!«, mahnte sie sich selbst.
Die Erinnerung an ihren Vater stieg in ihr auf, der dem Alkohol allzu zugeneigt gewesen war und sich damit seine ursprünglich so robuste Gesundheit zerstört hatte.
Entschlossen stellte sie die Flasche in den Schrank zurück.
»Ich bin eben durcheinander heut; es war auch ein bisserl viel auf einmal«, versuchte sie sich selbst zu beruhigen.
Es war noch zu früh, um schon zu Bett zu gehen, und so vertiefte sie sich in ihre Rechnungsbücher, was ihr sonst immer große Genugtuung verschaffte, da sie umsichtig und mit Gewinn wirtschaftete.
Heute konnte sie sich jedoch nicht darauf konzentrieren, und verdrossen klappte sie das große schwarz kartonierte Buch zu.
Dann ging sie über den Hof in die Stallungen, ließ hin und wieder die Hand über die warmen Flanken der Tiere gleiten, als suchte sie Trost in dieser Berührung.
Achtlos kleidete sie sich in ihrer Kammer aus und bürstete sich auch nicht ihr Haar, wie Sina es ihr dringend angeraten hatte.
Nachts wälzte sie sich unruhig im Schlaf, als hätte sie Fieber, und ihre Träume waren erschreckend und verworren.
***
Markus Riedinger schien seine Unbefangenheit, die Ruth so gut an ihm gefallen hatte, völlig verloren zu haben. Soweit es überhaupt möglich war bei dem engen Zusammenleben auf dem Hof, zog er sich immer mehr zurück.
Ruth beobachtete ihn verstohlen, und obwohl sein Verhalten in Einklang mit ihren geheimsten Wünschen stand, erfüllte es sie mit dumpfer Unzufriedenheit. Wenn er nach dem Abendessen sofort die Stube verließ, empfand sie eine jähe Kälte und Einsamkeit.
Die Besuche zwischen ihr und Anselm Lechner waren inzwischen fortgesetzt worden, und im Dorf munkelte man bereits von der bevorstehenden Heirat. In Anselms Gegenwart fühlte sie sich wohl und in ihren Absichten bestärkt, doch sobald er das Gespräch in die Richtung lenkte, die zu einem Antrag führen konnte, brach sie es unter einem Vorwand ab.
Danach erging sie sich in Selbstvorwürfen, schalt sich unentschlossen und töricht und nahm sich vor, das nächste Mal eine Entscheidung herbeizuführen.
Eines Abends – sie hätte nicht sagen können, was sie dazu getrieben hatte – klopfte sie an Markus Riedingers Tür.
»Ich wollt nur mal schauen, ob deine Kammer jetzt in Ordnung ist. Wenn ich dich natürlich stör, geh ich gleich wieder«, stammelte sie.
Markus, der überrascht und verlegen errötet war, gab sofort den Eingang frei.
»Du störst mich überhaupt net, Bäuerin! Und die Kammer – ich könnt es gar net besser haben!«
Tatsächlich sah der kleine Raum jetzt freundlich und behaglich aus. Ruth hatte ihn verputzen und tapezieren lassen, außerdem war er mit wenigen aber ansprechenden Möbelstücken aus Naturholz ausgestattet worden.
»In meinem neuen Bett schlaf ich wie im Himmel«, sagte Markus mit einer Kopfbewegung auf das Kieferbett mit dem bunt gemusterten Überwurf.
»Das freut mich«, meinte Ruth gezwungen und dachte an ihre eigenen unruhigen Nächte.
»Setz dich doch.« Er rückte einen Stuhl zurecht, und die junge Frau nahm mit steifen Bewegungen darauf Platz.
»Wollt dich nur fragen, ob dir noch etwas fehlt hier«, meinte sie.
Das war nicht die befehlsgewohnte, selbstsichere Brunnerbäuerin, die da sprach, sondern eine junge Frau, die im Begriff stand, von ihren Gefühlen überwältigt zu werden.
»Wie ich schon gesagt hab …« Markus verstummte.
Ein beklemmendes Schweigen entstand. Markus hatte den Blick unverwandt auf Ruth gerichtet. Ihr Haar fiel in weichen Wellen auf ihre Schultern, und er glaubte den herbsüßen Geruch, den es ausströmte, wahrzunehmen. Sie trug ein schlichtes, aber gut geschnittenes Kleid, das Sina angefertigt hatte und das ihre schönen gebräunten Arme freiließ.
Diese junge Frau bot ein Bild unverfälschter Lebenskraft und Schönheit, sodass sich eine nie zuvor gekannte Glut in Markus Riedinger ausbreitete.
Schon wollte Ruth sich erheben, als sie auf dem Tisch ein Buch erspähte, in dem Markus offensichtlich gelesen hatte, bevor sie eingetreten war.
»Das machst du also, wenn dich hier vergräbst – du liest!«, platzte sie so erstaunt heraus, als hätte sie ihn bei einer eigenartigen Angewohnheit ertappt, über die man besser Schweigen bewahren sollte.
Markus lachte unwillkürlich auf, ein Lachen, das Ruth fast weh tat, so sehr gefiel es ihr.
»Ist das denn eine Schande, Bäuerin? Es ist ein Buch über Australien. Ich will später mal weg von hier, wenn ich genug erspart hab. Und da ist es gut, vorher schon ein bisserl Bescheid über Land und Leute zu wissen!« Markus brachte aus der Truhe ein altes, von häufigem Gebrauch abgenutztes kleines Buch zum Vorschein. »Und Englisch lern ich auch schon, obwohl das sakrisch schwer ist mit der Aussprach«, fuhr er eifrig fort.
Ruth saß wie erstarrt.
»Du willst weg von hier?«, fragte sie und hatte das Gefühl, als ob ihre Lippen eiskalt und taub wären.
»Später erst natürlich. Vor der Ernte werd ich net grad wegrennen«, versuchte er zu scherzen. Ihm war ihre Betroffenheit nicht entgangen.
»Das solltest du dir aber gut überlegen. Manch einer hat schon geglaubt, woanders sein Glück zu machen, und dann ist er zugrunde gegangen«, sagte Ruth steif.
Die gesunde Frische war aus ihrem Gesicht gewichen, und ihre Hände fuhren unruhig über den Stoff ihres Rockes.
»Ja, da hast schon recht, Bäuerin, aber welche Aussichten hab ich schon hier?«, entgegnete Markus ernst. »Lebenslange Abhängigkeit, nichts Eigenes, noch net mal eine Familie werd ich gründen können.« Er brach ab. Seine Worte klangen fast wie ein Vorwurf gegen sie, und diesen Eindruck wollte er nicht erwecken.
Ruth Brunner hob den Kopf und schaute ihm fest in die Augen.
»Vielleicht siehst du halt nur net, was für Möglichkeiten du hier hast«, sagte sie. Dann erhob sie sich so unvermittelt, dass der Stuhl beinahe umstürzte. »Eine gute Nacht wünsch ich dir!«
»Danke, dir auch, Bäuerin! Ich lass mir alles noch mal durch den Kopf gehen«, gab Markus zur Antwort.
Ruth nickte, und sanfter, als es sonst ihre Art war, zog sie die Tür hinter sich ins Schloss.
Markus wollte weiterlesen, aber der Abschnitt über den Ayer Rock in Australien, der ihn vorher so gefesselt hatte, berührte ihn nicht mehr.
Er glaubte immer noch Ruths Nähe zu spüren und das überwältigende Gefühl, das sie in ihm ausgelöst hatte. Wenn er nur einmal ihr Haar berühren, ihre schlanke Gestalt in seinen Armen halten dürfte!
Dieses Mal verbot er sich diese Gedanken nicht, denn ihre Reaktion, als sie von seinen Zukunftsplänen gehört hatte, stand ihm noch lebhaft vor Augen.
Ganz blass ist sie geworden, als ob sie sich etwas aus mir machen würde!, dachte er. Aber welche reiche Bäuerin würd schon einen wie mich nehmen? Zudem ist sie mit dem Lechnerbauern schon so gut wie versprochen. Im ganzen Dorf reden sie schon von der baldigen Heirat!
Niedergeschlagen stand er auf und öffnete das Fenster. Tief atmete er die kühle Nachtluft ein, doch der eiserne Reif um sein Herz wollte nicht weichen.
***
»Gefällt dir das Kleid? Das ist so richtig was zum Ausgehen oder Tanzen!«, fragte Sina und bereitete das kostbare Festtagsdirndl vor ihrer Freundin aus, die es schon vor einiger Zeit in Auftrag gegeben hatte.
Ruth fuhr mit der Hand vorsichtig über den kostbaren seidigen Stoff.
»Es ist wirklich wunderschön«, sagte sie leise.
In ihrer Freude, dass die Freundin endlich anderen Sinnes geworden war, was Kleidung anbelangte, entging Sina, wie matt und unbeteiligt Ruths Stimme klang.
»Ich bin froh, dass ich es doch noch rechtzeitig fertigbekommen hab. Weißt, dass ich schon klammheimlich Entwürfe für dein Hochzeitskleid gemacht hab? Etwas ganz Strenges aus Spitzen, aber mit einem verschwenderisch weiten Rock! Jetzt, wo zwischen dir und dem Lechner-Anselm …«
»Ach, Sina!« Ruth war auf einen Stuhl gesunken und brach in Tränen aus.
»Ruth!« Sina legte spontan die Arme um die Freundin – sie war völlig fassungslos. Noch nie hatte jemand die stolze Brunnerbäuerin weinen sehen, noch nicht einmal, als sie sich bei einer Bergwanderung schwere Verletzungen zugezogen hatte, nachdem sie durch einen Fehltritt einen steilen Hang hinabgestürzt war.
»Willst mir net sagen, was dich bedrückt?«, drang Sina nach einer Weile sanft in Ruth, als das Schluchzen immer noch nicht verebbt war. »Der Anselm mag dich doch, oder?«
Ruth nickte.
»Warum bist dann net glücklich und zufrieden? Du hast ihn doch heiraten wollen!«
»Das kann ich net sagen, Sina!«
Ruth wischte sich die Tränen von den Wangen, doch es gelang ihr nicht, ihre Selbstbeherrschung wiederzuerlangen.
»Du gibst doch immer so gute Ratschläge, Sina! Was soll, deiner Meinung nach, eine Frau machen, die sich zwischen zwei Männern zu entscheiden hat. Bei dem einen passt alles – das Alter, der Stand und er würde auch einen guten Ehemann abgeben. Und bei dem anderen – alle würden nur darüber herziehen!«
Ruth begann wieder heftig zu weinen.
»Ich würd beinahe sagen, dass keiner von den beiden der Richtige ist! Bei dem einen stimmt’s mit der Liebe net, bei dem anderen net mit den Verhältnissen«, meinte Sina und streichelte die Schultern der Freundin.
»Das kann ich net!«
»Dann gibt es ja nichts mehr zu entscheiden! Dann muss man seinem Herzen eben einen Stoß geben und zu seiner Liebe stehen, auch wenn die Schwierigkeiten groß sind!«
Sina seufzte und dachte fieberhaft darüber nach, wen die Freundin wohl meinen könnte. Außer mit Anselm Lechner hatte Ruth doch mit keinem Mann Umgang.
»Ich dank dir!«, sagte Ruth, trocknete sich entschlossen die Augen und stand auf. Sie ließ sich das neue Kleid einpacken und nahm es gedankenverloren entgegen.
An der Tür drehte sie sich noch einmal um und sagte kaum vernehmbar: »Die Entwürfe für mein Hochzeitskleid heb bitte auf. Vielleicht kannst sie doch noch brauchen!«
***
Ruth Brunner wusste, dass Markus es nie wagen würde, sich ihr zu nähern. Doch sie war nicht die Frau, die sich in diesem Fall von traditionellen Rollenvorstellungen abschrecken ließ.
Sie liebte Markus Riedinger, das wusste sie jetzt sicher, und sie wollte ihn zum Mann, gleichgültig, wie man im Dorf diesen Schritt beurteilen würde. Die Vorstellung, ihn zu verlieren, hatte ihr die Augen geöffnet, und sie hatte erkannt, dass er für sie das Wichtigste auf der Welt war. Wichtiger als Ansehen und Besitz.
»Ich komm später zu dir hinauf. Wir wollten doch noch mal über deine Pläne reden«, kündigte sie Markus in einem unbeobachteten Augenblick an.
Markus verbrachte die Zeit, bis sie bei ihm anklopfte, in fieberhafter Unrast. Er räumte in der Kammer herum, fuhr sich immer wieder glättend über die Haare und überlegte sich, was er ihr sagen sollte.
Ruth war befangen, sie suchte nach Worten, gleichzeitig ging aber ein seltsames Strahlen von ihr aus.
»Ich wollte dir einen Vorschlag machen, Markus«, begann sie sichtlich aufgeregt. »Auf die Dauer will ich den Hof net allein bewirtschaften, ich will heiraten und Kinder haben. Du bist tüchtig, zum Hofbauer wie geschaffen, und ich glaube, dass wir auch gut miteinander anskämen. Der Hof würde bei der Heirat genauso dir gehören wie mir, und du könntest dir dann die sakrische Englischlernerei ersparen. Überleg es dir gut, und wenn du net damit einverstanden bist, dann vergessen wir beide die ganze Sache!«
Ruth stieß nach dieser langen Rede einen zitternden Atemzug aus und blickte auf ihre Hände, die verkrampft in ihrem Schoß lagen.
Markus Riedingers Herz raste. Ruths Mut, ihre Entschlossenheit verstärkten seine Liebe zu ihr nur noch.
»Unter einer Bedingung, Ruth«, sagte er mit heiserer Stimme und griff nach ihrer Hand.
»Und die wäre?«
»Dass du mich ein bisserl magst! Ich hab dich nämlich sehr lieb, Ruth, und ich würd keine Frau heiraten, die …«
»Dann musst wirklich vor Liebe blind sein, wenn du net gemerkt hast, wie es um mich steht!«, stieß Ruth hervor.
Er zog sie hoch, und sie glitt in seine Arme, dann küssten sie sich voller Leidenschaft.
***
Anselm Lechner war außer sich, als Ruth ihm eröffnete, dass sie Markus Riedinger heiraten würde. Er hatte gehofft, heute die Entscheidung herbeiführen zu können, und stattdessen zerstörte Ruth alle seine Hoffnungen.
Er hatte sich ernsthaft in die junge Frau verliebt und schmiedete die ganze Zeit über glückliche Zukunftspläne, sodass ihn dieser Schlag hart und unvorbereitet traf.
Anselm war so enttäuscht, dass er seine Selbstbeherrschung verlor und wütend auffuhr: »Du weißt net, was du tust, Ruth! Und mir hast du die ganzen letzten Wochen etwas vorgespielt! Warum eigentlich? Um den Riedinger eifersüchtig zu machen?«
Ruth senkte den Kopf; sie hatte sich verpflichtet gefühlt, dem Lechner die Wahrheit zu sagen, doch nun ging das Gespräch über ihre Kräfte.
»Das stimmt net, Anselm. Ich hab dich nie zu irgendetwas benutzt. Ich war sogar fest entschlossen, dich zu heiraten, bevor ich Markus besser gekannt hab.« Sie verstummte.
Ihre Hilflosigkeit steigerte Anselm Lechners Zorn nur noch ins Maßlose.
»Du hast dich da in etwas verrannt, weil du zu lang allein gelebt hast!«, stieß er hervor. »Das soll es ja bei Frauen geben, solche Verwirrungen!«
»Wie kannst du das beurteilen! Du bist gekränkt, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, so zu mir zu sprechen!«, schleuderte Ruth ihm aufgebracht entgegen.
Alle Rücksichtnahme fiel von Anselm Lechner, der in seinem männlichen Stolz zutiefst gekränkt war, ab.
»Ich kann noch ganz anders mit dir reden! Noch deutlicher nämlich, wenn du schon so blind bist! Dieser Hungerleider spekuliert doch nur auf dein Hab und Gut!«
»Du hättest meinen Hof doch auch net verschmäht! Oder hättest du mich etwa genommen, wenn ich nichts gehabt hätte?«
Tiefe Röte hatte sich, vom Hals aufsteigend, auf Ruths Gesicht ausgebreitet.
»Ich kann es mir leisten, eine arme Frau zu heiraten! Aber bei dir sieht das doch ein bisserl anders aus! Der Riedinger ist doch einige Jahre jünger als du, net wahr?«
Ruth gab ihm keine Antwort, sie starrte ihn nur mit einem Blick an, der ihn unter normalen Umständen sofort zum Einlenken gebracht hätte.
»Na ja, alte Scheunen brennen ja am hellsten, heißt es. Das ist doch nur eine Frage der Zeit, so eine Ehe mit einem jüngeren Mann. Vielleicht ist er dir noch am Anfang dankbar, aber früher oder später schaut er sich nach einem Madl um, das besser zu ihm passt.«
»Es ist besser, wenn du jetzt gehst, Lechner«, sagte Ruth hart, und die Eiseskälte in ihrer Stimme brachte ihn zum Schweigen. »Und wenn du dich noch mal hier blicken lässt, dann hetz ich den Hund auf dich!«
Lechner stand so abrupt auf, dass der Stuhl über die Dielenbretter flog, und verließ wortlos die Stube. Ruth, die ihm durch das Fenster nachblickte, wie er mit weit ausholenden Schritten dem Gattertor zustrebte, wusste, dass sie sich einen unversöhnlichen Feind geschaffen hatte.
Sie versuchte, seine niederträchtigen Worte aus ihrem Gedächtnis zu streichen, doch die böse Saat würde früher, als sie jetzt ahnen konnte, in ihrem Herzen zu keimen beginnen.
Später suchte sie in Markus’ Armen Trost; eingehüllt in seine Zärtlichkeiten und Liebkosungen fand sie Vergessen.
***
Da die Besorgungsgänge ins Dorf für Ruth zu einem Spießrutenlaufen geworden waren, zog sie es vor, stattdessen Almut hinunterzuschicken.
Das Mädchen kam dieser Verpflichtung ohne Murren nach; sie war froh, dem Hof und seinen Bewohnern für kurze Zeit entrinnen zu können. Zwar machte Ruth ihr nicht mehr das Leben so schwer wie früher, denn seitdem sie in Markus verliebt war, hatte sich ihre Strenge und Unnachsichtigkeit gemildert, dennoch war Almut nicht glücklich.
Wann immer Markus die junge Frau ansah oder schnell mal umarmte, und Almut zufällig Zeugin vom Glück des verliebten Paares wurde, zog sich ihr Herz schmerzlich zusammen. Sie schämte sich ihrer Empfindungen, aber sie konnte sich nicht dagegen wehren.
Auch bei ihren Gängen ins Dorf wurde sie immer wieder daran erinnert, dass Markus bald der Mann einer anderen wurde und unwiederbringlich für sie verloren war.
Wenn sie den Krämerladen betrat, wurde sie sofort von neugierigen Dörflerinnen umringt, die sie entweder ausfragten oder das heftige Bedürfnis verspürten, ihr Urteil über Ruths Eheschließung abzugeben.
»So, da nimmt sich deine Bäuerin also einen jungen Mann! Aber warum sollte sie denn auch einen alten nehmen, wenn sie noch einen jungen bekommt.«
»Ein bisserl aufpassen muss sie halt später auf ihn!«
»Und eilig hat sie es mit dem Heiraten – kein Wunder, wo sie doch schon unter einem Dach leben!«, hieß es hämisch und schadenfroh.
Almut floh meistens aus dem Laden, ehe sie noch alle Einkäufe getätigt hatte, und kehrte später noch einmal zurück, um das Versäumte nachzuholen.
Wegen Almut hätte es zwischen dem jungen Paar beinahe eine erste Verstimmung gegeben. Als sie nämlich wieder einmal schwer beladen von ihrem Dorfgang zurückkam, ging Markus ihr entgegen und nahm ihr den schweren Einkaufskorb ab. Dabei fiel ihm auf, wie ärmlich ihr Kleid und wie vernachlässigt ihre ganze äußere Erscheinung war.
Es berührte ihn auch eigenartig, dass sie so verschüchtert war, dass sie ihn nicht anzusehen wagte, als sie sich für seine Hilfe bedankte. Als er und Ruth spät abends einen Gang über die Felder machten, kam Markus auf das Mädchen zu sprechen.
»Die Almut – das ist doch eine Verwandte von dir, net wahr?«, fragte er.
Ruth nickte. »Eine sehr entfernte. Mein Vater hat sie nach dem Tod ihrer Eltern auf den Hof genommen.«
»Man könnt doch denken, dass ihr beide wie Schwestern miteinander aufgewachsen seid«, meinte Markus nachdenklich.
Ruth unterdrückte mit Mühe eine scharfe Entgegnung. Nie im Leben hätte sie dieses armselige, verdruckste Ding als Schwester betrachtet.
»Ich hab halt schon früh die Hauswirtschaft besorgen müssen, da konnt ich mich net auch noch um die Almut kümmern«, erwiderte sie hart.
»Ja, du hast es net leicht gehabt«, sagte Markus teilnahmsvoll und zog sie an sich.
Ruths Unmut schmolz jäh dahin; sie hatte nur selten echtes Mitgefühl erfahren, alles, was sie bisher geleistet hatte, galt als Selbstverständlichkeit.
»Warum kauft sie sich net von ihrem Lohn etwas Anständiges zum Anziehen?«, fuhr Markus dann fort. »Sie kommt ja wirklich daher wie eine arme Verwandte, die nur ausgenützt wird!«
Ruth verschwieg wohlweislich, dass sie Almut noch nie einen Lohn ausgezahlt hatte, da sie der Meinung war, dass sie dankbar sein sollte, überhaupt auf dem Hof leben und arbeiten zu können.
»Ich werd sie runter zu Sina schicken, die wird schon Rat wissen«, sagte sie daher kurz angebunden.
»Das ist sicher das Beste!« Markus küsste sie liebevoll, und eng umschlungen setzten sie ihren Weg fort.
Almut war sehr erstaunt, als ihr die Bäuerin am nächsten Tag beschied, zu Sina zu gehen und sich ordentliche Kleidung nähen zu lassen.
»Und noch etwas – von jetzt an bekommst du regelmäßig Lohn. Net viel, aber genug, dass du dich in Zukunft selber darum kümmern kannst, dass du nimmer so verlottert herumläufst wie bisher«, sagte Ruth nicht sonderlich freundlich und schob ihr ein paar Geldscheine zu.
Almut wollte sich bedanken, doch die Bäuerin wehrte unwillig ab.
Das junge Mädchen befolgte Ruths Anweisung tatsächlich; doch die neuen Sachen waren so unvorteilhaft geschnitten, dass ihre zierliche Figur darin mager und reizlos wirkte. Ihr Haar trug sie weiterhin am Hinterkopf zu einem Zopf geflochten, was ihr nicht stand.
Markus bedauerte das Mädchen insgeheim, doch er war zu klug, um noch ein Wort darüber zu verlieren.
***
Als Markus den Vorschlag machte, das Hochzeitsfest in seinem Heimatdorf zu feiern, war Ruth sofort einverstanden. Sie sah darin eine Möglichkeit, allen Anfeindungen aus dem Weg zu gehen. Denn es war bis an ihr Ohr gedrungen, dass Anselm Lechner aus seiner Verachtung für sie und Markus kein Hehl machte und sich überall abträglich über sie ausließ. Sie hielt ihn sogar für imstande, dass er seinen Einfluss dazu missbrauchte, die meisten Großbauern zu bewegen, ihrer Einladung zur Hochzeitsfeier fernzubleiben.
»Ich hab keine näheren Verwandten mehr, und eine Hochzeit ist doch zuerst mal ein Familienfest. Und ich weiß doch, wie gern du mit den Deinigen zusammen sein willst«, sagte die junge Frau erleichtert.
So wurde das Fest, für das Ruth keine Kosten scheute, im Wirtssaal von Markus’ Heimatdorf ausgerichtet. Die zahlreiche Verwandtschaft der Riedingers strömte zusammen, und alle fanden, dass Markus sein Glück gemacht hatte.
Ruth war in ihrem Glück aufgeblüht und wirkte wie ein junges Mädchen. Keinem blieb verborgen, dass das Paar sich aus Zuneigung gefunden hatte.
Markus’ Mutter war selig, dass sie sich um die Zukunft ihres jüngsten Sohnes, der ihrem Herzen besonders nahestand, keine Sorgen mehr zu machen brauchte. Ihre Schwiegertochter, die das Selbstbewusstsein ausstrahlte, das Vermögen und Stand verlieh, mochte zwar etwas herb sein, doch sie liebte Markus offenbar aufrichtig.
Das Fest verlief heiter und harmonisch; übermütig drehte Markus, der sonst immer so zurückhaltend gewesen war, seine Frau im Kreis herum, als sie den Brauttanz eröffneten. Der Rock des weißen Kleides, das Sina für Ruth in langen mühevollen Stunden genäht hatte, schwang weit aus, und alle bewunderten das gut aussehende junge Paar.
»Wie geschaffen sind sie füreinander!«, sagte der alte Riedinger, und da er schon einige Male auf das Wohl der beiden getrunken hatte, schämte er sich nicht, dass ihm dabei die Tränen in die Augen stiegen.
»Eine gute Ehe werden sie führen«, fiel ihm seine Frau ins Wort. »Gut im altmodischen Sinn, dass sie immer zusammenhalten und net bei der ersten Schwierigkeit auseinanderrennen, wie es heutzutage Mode geworden ist!«
Ihr ältester Sohn, der Florian, der neben ihnen saß, nickte zustimmend, obwohl ihm der Neid schier das Herz zerfraß. Denn seiner Meinung nach, hatte Markus letzten Endes das bessere Los gezogen. Während er hier auf dem armseligen Hof seiner Eltern saß, war aus Markus mit einem Schlag ein Großbauer geworden, der nicht um seine Existenz zu bangen brauchte. Doch da er auf die Unterstützung seines Bruders hoffte, enthielt sich Florian jeder feindseligen Äußerung.
Das Brautpaar tanzte spät bis in die Nacht hinein, und als sie sich – endlich allein – in die Arme sanken, waren beide überwältigt vor Glück.
***
Diesen Eindruck – den eines überwältigenden Glücks – hatte auch Sina, als sie die Riedingers nach einiger Zeit zum ersten Mal besuchte.
»Ihr seid ja immer noch wie die Turteltauben! Verliebt wie am ersten Tag!«, scherzte sie, und vielleicht klang ein klein wenig Neid in ihrer Stimme mit.
Denn obwohl Sina eine sehr ansehnliche Frau war, hatte sie noch keinen Mann gefunden, den sie heiraten wollte; für die boshaften Dörflerinnen galt sie bereits als »überfällig«. Man gab ihr allein die Schuld für ihre Ehelosigkeit, denn offensichtlich war sie zu wählerisch. Sina beharrte jedoch darauf, nur aus Zuneigung heiraten zu wollen, und das Beispiel ihrer Freundin bestärkte sie nur noch darin.
»Wir sind halt glücklich miteinander!«, sagte Markus lächelnd und legte den Arm um seine Frau.
Das Leben als Ehemann schien ihm zu bekommen, er wirkte selbstbewusster und gelöster.
Für den hätt ich auch eine reiche Heirat aufgegeben!, dachte Sina unwillkürlich und empfand gleichzeitig ein gewisses Schuldbewusstsein, obwohl sie der Freundin, die so lange vom Schicksal benachteiligt gewesen war, das Glück nicht missgönnte.
»Bei euch werden ja die Götter noch neidisch – obwohl es genügt, dass die unten im Dorf neidisch sind!«, entfuhr es ihr, und am liebsten hätte sie sich für diese unbedachte Bemerkung in die Zunge gebissen.
»So, was reden sie denn im Dorf? Lassen sie immer noch kein gutes Haar an uns?«, erkundigte sich Ruth, und ihre Wangen röteten sich vor innerer Erregung.
Sina zuckte die Schultern.
»Ach, die wundern sich, dass ihr euch nimmer blicken lasst«, erwiderte sie unbestimmt.
»Das hat schon seinen Grund! Als wir mal sonntags in der Kirche waren, gab es fortwährend ein Getuschel hinter uns, und alle haben uns angestarrt, als hätten wir weiß Gott etwas verbrochen«, erwiderte Ruth erbittert.
»Jetzt reden sie halt, aber eines Tages werden sie wieder damit aufhören. Macht euch nichts draus«, tröstete Sina die Freundin, wobei sie allerdings verschwieg, welche hässlichen Gerüchte über Ruth und ihren »gekauften« Ehemann umgingen.
»Da hat die Sina ganz recht«, pflichtete Markus bei. »Am besten achten wir net drauf, sonst wird es nur noch schlimmer. Und den Gefallen tun wir ihnen net!«
Er lenkte das Gespräch in eine andere Richtung, und Ruths Verärgerung war bald verflogen, und sie unterhielten sich bei Kaffee und Kuchen angeregt.
Später ließ Markus die beiden Freundinnen allein, denn sie hatten sich sicher viel zu erzählen, was nicht gerade für männliche Ohren bestimmt war.
»Ich wünsch mir halt so sehr gleich ein Kindl. Und der Markus würd sich auch drüber freuen«, gestand Ruth sehnsüchtig, nachdem sie eine Weile über die großen Veränderungen gesprochen hatten, die eine Eheschließung mit sich bringt.
Im Gegensatz zu anderen Frauen, die lange allein gelebt hatten, bereitete es Ruth keine Schwierigkeiten, sich an die Zweisamkeit zu gewöhnen, die doch eine gewisse Anpassungsfähigkeit erforderte. Es war ihr oft so, dass sie völlig in ihrem Mann aufging, dass nichts mehr in der Welt Gültigkeit für sie hatte als er.
»Nun, dem steht ja nichts im Weg. Ihr könnt ja noch Dutzende von Kinder haben«, gab Sina in scherzendem Tonfall zur Antwort und nahm sich noch ein Stück Kuchen.
»Bis jetzt hat es aber noch net den Anschein, dass …« Ruth verhedderte sich und errötete.
Sina lachte auf. »Du bist doch erst so kurze Zeit verheiratet! Was net ist, kann noch werden!«
Ruths Gesicht, das sich plötzlich überschattet und seinen Glanz eingebüßt hatte, hellte sich wieder auf.
»Ich kann es halt net abwarten!«, gestand sie.
»Geduld war noch nie deine starke Seite«, entgegnete Sina in gutmütigem Spott und strich der Freundin tröstend über den Arm.
Um Ruth auf andere Gedanken zu bringen, erzählte Sina ein paar deftige Klatschgeschichten aus dem Dorf, die Ruth sichtlich aufheiterten.
Bevor es dunkelte, verabschiedeten sich die beiden Freundinnen und vereinbarten ein baldiges Wiedersehen.
Sina war sehr nachdenklich auf ihrem Rückweg ins Dorf. Sie hatte zunächst auch ihre Zweifel und Bedenken gehabt, was Ruths Heirat anbelangte – von vielen Erwägungen her wäre Anselm Lechner vielleicht doch der geeignetere Lebensgefährte gewesen.
Inzwischen war sie jedoch völlig davon überzeugt, dass Markus Riedinger seine junge Frau aufrichtig liebte und es nicht nur auf ihr Vermögen abgesehen hatte. Er war keineswegs der »gekaufte Bräutigam«, wie er im Dorf verächtlich genannt wurde.
Was Sina jedoch mit Besorgnis erfüllte, war die Intensität von Ruths Gefühlen für ihren Mann. Diese flammende, bedingungslose Leidenschaft, die die eher kühle junge Frau erfasst hatte, schien sie innerlich zu verbrennen. Und Sina hoffte um der Freundin willen, dass diese Liebe, die ans Maßlose grenzte, niemals in Gefahr geriete.
***
Wie blind betrat Ruth die kleine Kapelle und sank in einer dunklen Nische verzweifelt in die Knie.
»Lass ein Wunder geschehen«, murmelte sie immer wieder nach inbrünstigem Gebet vor sich hin.
In der Stille des Gotteshauses sammelte sich Ruth allmählich wieder und gewann die Fassung zurück nach dem schweren Schicksalsschlag, der sie getroffen hatte.
Nachdem sie nun ein halbes Jahr verheiratet war und ihr sehnlichster Wunsch nach einem Kind fern der Erfüllung war, hatte sie sich schließlich heimlich an einen Spezialisten in der Stadt gewandt. Und ihre angstvollen Vorahnungen hatten sich bewahrheitet; nach langwierigen Untersuchungen musste ihr der Arzt eröffnen, dass es ausgeschlossen war, dass sie jemals Mutter würde.
Wie erstarrt hatte sie seinen umständlichen Erklärungen gelauscht, ohne sie zu verstehen.
»Heutzutage adoptieren viele Ehepaare ein Kind und führen ein glückliches Familienleben«, hatte er sie zu trösten versucht. Er empfand tiefes Mitleid mit der jungen Frau, deren Hoffnungen er eben zunichtegemacht hatte.
»Nein!«, hatte sie hervorgestoßen und sich abrupt erhoben; dann hatte sie fluchtartig die Praxis verlassen.
Sie wusste nicht mehr, wie sie die Fahrt in ihr Heimatdorf überstanden hatte, doch bevor sie auf ihren Hof zurückkehrte, machte sie an der kleinen Bergkapelle am Wegrand halt, weil sie es noch nicht ertragen konnte, ihrem Mann entgegenzutreten.
Sie fühlte sich leer und ausgebrannt, als sie schließlich daheim ankam. Markus war, wie sie von Resi erfuhr, im Stall, weil eine der Kühe kalbte. Ohne sich umzukleiden, saß sie am Tisch, die Gedanken kreisten hinter ihrer Stirn.
Gepeinigt presste sie die Fäuste gegen die schmerzenden Augen; unvermittelt sprang sie auf und öffnete die Kredenz. Sie goss sich in rascher Folge mehrere Gläser Enzian ein, die sie hastig leerte, als könnte sie auf diese Weise ihre Qual betäuben.
Als sie durch das Fenster sah, dass Markus aus dem Stallgebäude kam, ließ sie die verräterische Flasche und das Glas schnell wieder in der Kredenz verschwinden.
»Das war eine schwierige Geburt, Ruth! Aber wir haben’s geschafft! Ein prächtiges, gesundes Kalb …« Markus, der stolz diese Nachricht verkündet hatte, hielt jäh inne. »Was hast du, Schatzerl?«
Ruth war am Tisch zusammengesunken und hatte weinend den Kopf auf die Unterarme gebettet. Er wollte sich ihr nähern, sie zärtlich berühren, doch sie zuckte vor ihm zurück.
»Fass mich net an!«
Schmerz und Betroffenheit malten sich auf seinen Zügen, aus denen alle Freude gewichen war.
»Kann ich dir helfen?«, fragte er sie nach einer Weile leise; das Weinen seiner Frau schnitt ihm ins Herz.
»Niemand kann mir helfen, niemand!«, kam es abgerissen von ihren Lippen.
Da sie jeden seiner Versuche, sie zu trösten, geradezu zornig abwehrte, ließ er sie schließlich allein. Er war zutiefst bestürzt. Noch nie hatte er Ruth, die immer so glücklich und ausgeglichen gewirkt hatte, in einem solchen Zustand gesehen.
Und es beunruhigte ihn noch mehr, dass sie ihm den Grund für ihre Verzweiflung nicht offenbaren wollte.
Vielleicht erwartet sie ein Kind, ging es ihm durch den Sinn.
Doch er verwarf diesen Gedanken wieder; zwar sollten Frauen in diesem Zustand zu Stimmungsschwankungen neigen, doch er wusste, dass sich Ruth viel zu sehr nach einem Kind sehnte, um etwas anderes als Freude bei dieser Aussicht zu empfinden.
Sicher hat wieder eines dieser boshaften Klatschweiber Gift verspritzt!, vermutete er dann, doch er wusste selbst, dass das keine ausreichende Erklärung für Ruths verzweifelten Ausbruch war.
Er blieb wach, bis sie endlich in die eheliche Schlafkammer kam, doch als er sie in seine Arme nehmen wollte, entzog sie sich ihm mit einer heftigen Bewegung.
***
Von diesem Tag an, der ein unglückseliger Wendepunkt in ihrem Leben bedeutete, veränderte sich Ruths Wesen und damit auch ihre Ehe.
Die junge Frau wollte sich nicht damit abfinden, kinderlos zu bleiben, und sie verbohrte sich so in ihrem Schmerz, dass das Viele, das sie besaß, ihr als wertlos erschien. Was sollte der Besitz, um den sie alle beneideten, wenn sie ihn nicht an ihr eigen Fleisch und Blut vererben konnte?
Selbst die Umarmungen ihres Mannes, die für sie der Innbegriff der Seligkeit gewesen waren, empfand sie als quälend. Ohne die Hoffnung auf ein Kind damit verknüpfen zu können, erschienen sie ihr nutzlos und sinnentleert.
Markus bemühte sich aufs Zärtlichste um sie, und um ihn nicht zu kränken, gab sie nach. Aber er spürte bald, dass sie seine Empfindungen nicht mehr teilte, und zog sich zurück.
Manchmal jedoch wallten ihre ursprünglichen Gefühle wieder in ihr auf, und sie umarmte ihn so plötzlich und voller Leidenschaft, dass er erschrak.
Es war ihr unmöglich, offen mit ihm zu sprechen. Wie eine Schande verbarg sie die Wahrheit vor allen, denn wie manche Frauen empfand sie ihre Unfruchtbarkeit als Schuld und Schande.
Ihre Pflichten als Hofbäuerin bereiteten ihr keine Freude mehr, waren ihr nur noch eine unerträgliche Last, die sie auf Almuts Schultern abwälzte.
Obwohl sich das junge Mädchen größte Mühe gab, konnte sie es Ruth nicht recht machen, ihr Leben auf dem Brunnerhof war schwerer denn je.
Oft dachte sie daran, wegzugehen und woanders unter besseren Bedingungen und bei angemessenem Lohn zu arbeiten. Doch sie brachte es nicht fertig, einen Schlussstrich zu ziehen, aber sie wagte es auch nicht, sich einzugestehen, was sie noch auf dem Hof hielt, der ihr nie eine richtige Heimstatt gewesen war.
Sobald Markus, in dessen Gegenwart sich Ruth zusammennahm, aus dem Haus war, ließ die junge Frau jegliche Haltung vermissen. Sie kümmerte sich nicht mehr um das Hauswesen, sondern saß entweder dumpf vor sich hinbrütend in einem Winkel oder beschimpfte Almut und Resi.
Die alte Resi war darüber so verbittert, dass sie sogar ankündigte, sie würde sich trotz ihres Alters nach einer anderen Bleibe umsehen.
»Ich weiß net, was in dich gefahren ist, Bäuerin! Vor Kurzem warst noch eine glücklich verheiratete junge Frau und jetzt benimmst dich, dass es eine Schand ist! Und ich hab gehofft, auf dem Hof, wo ich mein Lebtag gearbeitet hab, einen friedlichen Lebensabend verbringen zu können!« Die Stimme der alten Frau brach.
Resis Vorhaltungen schienen die junge Frau für kurze Zeit zur Vernunft zu bringen. Doch bald verfiel sie wieder in ihre alten Verhaltensweisen, und immer häufiger suchte sie Trost im Alkohol.
Der alte Brunner hatte einen gut bestückten Weinkeller angelegt, in dem sich auch ein großer Vorrat von selbst gebranntem Weinbrand befand. So war es für Ruth ein Leichtes, sich unbemerkt mit Obstler zu versorgen, und sie verstand es auch anfangs, ihre Sucht zu verbergen.
***
Markus blieb wie angewurzelt auf der Schwelle der Stube stehen; weder seine Frau noch Almut hatten seine Anwesenheit bemerkt.
»Gib mir net immer Widerworte, du nichtsnutziges Ding! Damit kommst net weit!« Ruths Stimme klang schrill und keifend, die einzelnen Worte waren undeutlich und verschliffen; noch nie hatte Markus seine Frau so sprechen hören. »Dankbar kannst du sein, dass du hier leben durftest! Stattdessen willst mir Vorschriften machen!«, fuhr Ruth fort.
»Aber Bäuerin! Ich wollt dir doch bloß vorschlagen …«
Ehe Almut den Satz beenden konnte, war Ruth aufgefahren und schlug mit wutverzerrtem Gesicht auf das wehrlose Mädchen ein.
»Lass das, Ruth!« Markus hatte seine Frau am Arm ergriffen, und Almut flüchtete mit tränenüberströmtem Gesicht aus dem Raum. »Wie kannst du das Madl schlagen? Schämst du dich net? Sie versucht es doch wirklich, dir alles recht zu machen!«
Markus war sehr blass geworden; fassungslos sah er seine Frau an, deren Arm er immer noch mit unbarmherzigem Griff umklammert hielt.
Ruths Züge waren verzerrt, die Augen gerötet. Das Haar hing ihr strähnig auf die Schultern hinab, und sie trug wieder einen ihrer alten, formlosen Kittel und dazu die ausgetretenen Pantoffeln.
Ein unangenehmer Geruch nach Alkohol ging von ihr aus, und mit einem Mal wurde Markus klar, warum sich seine Frau so verändert hatte.
Ruth entriss ihm wütend den Arm. Dass er die Partei des jungen Mädchens ergriff, war mehr, als sie in ihrem jetzigen Zustand ertragen konnte. Rasende Eifersucht loderte in ihr empor, die bösartigen Worte Anselm Lechners kamen ihr wieder in den Sinn.
»Was fällt dir ein, mich vor dem Madl herunterzumachen! Mit nichts bist du hergekommen! Alles, was du hast und bist, verdankst du nur mir, und jetzt spielst hier den starken Mann! Hast schon genug von der Ehe, dass du ein junges Madl …«
»Was hat die Almut mit uns zu tun? Du weißt genau, dass ich dir treu bin!«, unterbrach Markus sie heftig. »Ich hab dich aus Liebe geheiratet, und ich hab dir noch nie einen Grund gegeben, daran zu zweifeln! Und wenn du mir vorwirfst, ich wär nur aus Berechnung dein Mann geworden, dann trennen sich unsere Wege! Dann geh ich genauso vom Hof, wie ich damals gekommen bin!«
Entsetzt starrte Ruth ihn an, und sie versuchte erst gar nicht, das Zittern ihrer Hände zu verbergen.
»Du würdest mich verlassen?«, stammelte sie, und ihre Augen weiteten sich vor Schmerz.
Markus verspürte trotz seiner Verletztheit jähes Mitgefühl für seine Frau.
»Was ist nur mit uns geschehen?«, stieß er hervor. »Wir waren doch so glücklich miteinander! Ich kann das einfach net begreifen, Ruth, sag mir doch den Grund!«
Ruth schlug die Hände vor das Gesicht und weinte mit vornübergebeugten Schultern. Er wagte nicht, sie zu berühren, mühsam suchte er nach Worten.
»Und dann, Ruth – warum hast du angefangen zu trinken?«, fragte er schließlich gepresst.