Alpengold 442 - Rosi Wallner - E-Book

Alpengold 442 E-Book

Rosi Wallner

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Beschreibung

Tabea Grainer ist vierzehn Jahre alt und gefangen in einem Leben voller Armut und emotionaler Kälte. Ihr Vater, vom Alkohol getrieben, lässt seine Wut immer wieder an ihr und ihrer Mutter aus. Die Mutter schweigt und duldet die Misshandlungen, während Tabea in der Stille leidet. Einzig die einsame Natur der Berge und das Versteck auf dem Hochsitz geben ihr Zuflucht vor der erdrückenden Enge ihres Elternhauses.
Doch eines Tages eskaliert die Situation, und Tabea wird schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Die Erwachsenen um sie herum ahnen längst, was hinter den Mauern des Grainer-Häusls geschieht. Aber Tabea schweigt - aus Angst, aus Liebe zu ihrer Heimat und weil das, was vor ihr liegt, noch ungewisser scheint als das Leid, das sie kennt. Wird sie den Mut finden, ihr Leben zu ändern, bevor es zu spät ist?

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Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

An der Heimat hängt das Herz

Vorschau

Impressum

An der Heimat hängt das Herz

Tabeas Traum vom Glück und ein Weg voller Tränen

Von Rosi Wallner

Tabea Grainer ist vierzehn Jahre alt und gefangen in einem Leben voller Armut und emotionaler Kälte. Ihr Vater, vom Alkohol getrieben, lässt seine Wut immer wieder an ihr und ihrer Mutter aus. Einzig die einsame Natur der Berge und das Versteck auf dem Hochsitz geben Tabea hin und wieder Zuflucht vor der erdrückenden Enge ihres Elternhauses.

Doch eines Tages eskaliert die Situation, und Tabea wird schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Die Erwachsenen um sie herum ahnen längst, was hinter den Mauern des Grainer-Häusls geschieht. Aber Tabea schweigt – aus Angst, aus Liebe zu ihrer Heimat und weil das, was vor ihr liegt, noch ungewisser scheint als das Leid, das sie kennt. Wird sie den Mut finden, ihr Leben zu ändern, bevor es zu spät ist?

Als Tabea ihr Elternhaus durch die Hintertür verließ, hörte sie noch, wie sich laute Stimmen erhoben und ihr Vater in grobe Beschimpfungen ausbrach. Plötzlich schrie ihre Mutter vor Schmerz auf, anscheinend hatte ihr Mann sie wieder einmal geschlagen. Immer wenn Hias Grainer betrunken vom Wirtshaus nach Hause kam, fiel er über sie her, denn er ertrug es nicht, wenn sie ihm dann Vorhaltungen machte.

Tabea rannte so lange, bis sie außer Hörweite war, dann ließ sie sich erleichtert auf den Wegrand sinken. Sobald sie wieder Atem schöpfen konnte, erhob sie sich und überquerte eine große Wiese, die bis zum Waldrand reichte. Dort stand ein Hochsitz, von dem aus man eine weite Aussicht über das Gebirgstal hatte.

Gelenkig kletterte Tabea die Leiter hoch und ruhte sich erneut eine Weile aus. Hier fühlte sie sich sicher, denn wenn sie sich hinsetzte, konnte niemand erkennen, dass sich dort oben jemand verbarg.

Hier verbrachte das Mädchen, das kürzlich vierzehn Jahre alt geworden war, so viel Zeit wie möglich. Immer wieder schlich es sich aus dem Elternhaus, um oft stundenlang nicht mehr zurückzukehren, sehr zur Verärgerung der Eltern. Denn die fanden, dass Tabea sich sowohl an der Haus- als auch an der Gartenarbeit beteiligen sollte, obwohl sie beides verabscheute.

Wie gern hätte sie das Gymnasium besucht, denn sie war begabt und das Lernen fiel ihr leicht. Doch ihre Eltern bestanden darauf, dass sie eine Haushaltsschule und anschließend eine Ausbildung für zukünftige Landfrauen absolvierte.

»Damit du etwas vorweisen kannst, wenn einer der jungen Burschen eine Bäuerin sucht«, meinte ihr Vater jedes Mal, wenn sie sich darüber beschwerte.

Ihre Mutter nickte dazu, und das schien das Einzige zu sein, worin sie mit ihrem Mann einer Meinung war.

Tabea richtete sich auf und ließ ihren Blick über die Gebirgslandschaft schweifen, die sich in abendlicher Schönheit vor ihr ausbreitete. Die funkensprühenden Gletscher, die dunkle Wand des Bergwalds, der sich bis zu den schroffen Felswänden hochzog, und die Obstwiesen, wo sich die Bäume unter ihrer Blütenlast zu beugen schienen.

Sie liebte ihre Heimat über alles, und doch wusste sie, dass die sie verlassen würde, weil sie die Armut, in der ihre Familie lebte, nicht ertragen konnte. Aber es war nicht nur die Armut, sondern auch der familiäre Unfrieden, der sie jetzt schon von zu Hause wegtrieb.

Unvermittelt überkam sie eine tiefe Erschöpfung, denn sie hatte nach der Schule ohne Ruhepause und ausreichendes Essen ihrer Mutter in Haus und Garten helfen müssen. Tabea sank nieder und schloss die Augen ...

Als das Mädchen wieder zu sich kam, stellte es mit Entsetzen fest, dass schon die Dämmerung herabgesunken war. Tabea kletterte die Leiter herab und rannte auf Abkürzungen nach Hause, mit schlafwandlerischer Sicherheit fand sie sich zurecht.

Als sie sich dem kleinen Gehöft näherte, klopfte ihr Herz bis zum Hals vor Furcht, dass ihr Vater sie ertappen würde. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, dass er sich wieder einmal bis spät in die Nacht im Wirtshaus betrank und so nicht bemerkte, wie lange sie weggeblieben war.

Vorsichtig näherte sie sich dem Haus, um durch die Hintertür hineinschlüpfen zu können. Doch ehe sie eintreten konnte, wurde sie von einer harten Hand gepackt und hineingezogen. Ihr Vater starrte sie mit wutverzerrtem Gesicht an.

»Wo hast du dich denn wieder herumgetrieben? Hast du gar schon ein Gspusi, du Flitscherl?«, schrie Hias Grainer außer sich vor Wut.

Er brachte seiner Tochter nicht die geringste Zuneigung entgegen, das wusste Tabea. Er hatte sich sehnlichst einen Sohn gewünscht, und dass nach ihrer Geburt weiterer Kindersegen ausgeblieben war, verbitterte ihn zutiefst.

»Ich bin spazieren gegangen«, stammelte sie.

Tabea versuchte verzweifelt, sich aus seinem Griff zu befreien, doch das versetzte Hias Grainer nur noch mehr in Zorn.

»Du bleibst die ganzen nächsten Wochen nach der Schule im Haus, hast du gehört?«, kam es von seinen Lippen.

Dann stieß er sie mit dem Kopf gegen die Wand und schlug mit der Faust auf sie ein. Tabea wurde schwarz vor Augen, und wäre ihre Mutter ihr nicht zu Hilfe gekommen, hätte sie diesen gewalttätigen Angriff nicht überlebt.

Josefa half ihrer Tochter, die völlig benommen war, die Treppe hoch. Als Tabea im Bett lag, sah sie mitleidlos auf sie hinab.

»Das geschieht dir ganz recht, immer streunst du draußen herum. Damit ist es jetzt zu Ende, verstanden?«

Tabea nickte, was einen heftigen Schmerz auf ihrer rechten Gesichtsseite auslöste.

Das Mädchen konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, nachdem die Mutter die Tür hinter sich geschlossen hatte. Tabea war hungrig und durstig, doch sie wagte sich nicht hinunter in die Küche, um sich etwas zu holen. Um sich auszukleiden, war sie viel zu schwach, und so schlief sie endlich ein.

***

Als Tabea sich am nächsten Morgen im Spiegel betrachtete, erschrak sie. Auf ihrer Stirn prangte eine blutige Beule, auch an den Armen hatte sie Hämatome, die sich bereits verfärbten. Sie zerrte so lange an ihren Haaren, bis sie zerzaust die Stirn bedeckten. Danach wühlte sie in ihrem Kleiderschrank, bis sie eine alte, mehrfach geflickte Weste fand, die lange Ärmel hatte. Die zog sie über ihr verwaschenes Dirndl. Sie trank lediglich ein Glas Milch unten in der Küche und machte sich zu Fuß auf den Weg zur Schule.

Während der großen Pause erregte Tabea die Aufmerksamkeit einer Gruppe von Mädchen. Zwei von ihnen kamen schließlich lässig auf sie zu geschlendert und betrachteten sie abschätzig von oben bis unten.

»Du siehst aus, als hättest du in deinen Kleidern geschlafen«, sagte Priska Stettner, die Tochter eines Großbauern.

»Und die Haare hast du dir auch net gekämmt. Und dann diese Weste! Wie kann man denn bei dieser Wärme eine Weste mit langen Ärmeln anziehen«, befand ihre Freundin Lioba und schüttelte den Kopf.

Franziska Krumbiegel, die man mit »Fräulein Krumbiegel« ansprechen musste, führte die Hofaufsicht und beobachtete die kleine Gruppe aus den Augenwinkeln, während sie in ihr Pausenbrot biss.

Als Lioba, diese freche, verwöhnte Metzgerstochter, Anstalten machte, Tabea die Weste auszuziehen, eilte sie herbei. Sie war die Klassenlehrerin von Tabea, eine strenge Frau unbestimmbaren Alters, die sich jedoch für ihre Schülerinnen verantwortlich fühlte, vor allem für diejenigen wie Tabea.

»Was gibt es?«

Die beiden Mädchen ließen sofort von Tabea ab.

»Wir haben uns nur drüber gewundert, dass Tabea bei dieser Hitze eine Weste trägt«, sagte Priska scheinheilig.

»Und da wolltet ihr wohl der Tabea beim Ausziehen helfen?«, fragte Fräulein Krumbiegel spöttisch.

Dann fiel ihr Blick auf Tabeas entblößten Arm, den das Mädchen unbeholfen zu bedecken versuchte.

»Jessas – was ist denn das?«, kam es entsetzt von Fräulein Krumbiegels Lippen. »Wer hat dir das angetan?«

»Ich bin zu Hause die Treppe hinuntergefallen«, erwiderte Tabea hastig, »dabei hab ich mich angestoßen.«

»Am Kopf blutet sie auch«, meine Lioba.

Fräulein Krumbiegel strich Tabea vorsichtig das Haar aus der Stirn und sah mit Entsetzen, dass eine Verletzung an ihrem Kopf heftig zu bluten begonnen hatte. Wahrscheinlich war die Wunde bei dem Gerangel mit den beiden Mädchen wieder aufgebrochen.

»Ich rufe sofort Dr. Urbanek an«, verkündete sie.

»Bitte net«, begann Tabea zu betteln.

»Das muss behandelt werden«, beschied ihr Fräulein Krumbiegel, « und jetzt legst du dich im Krankenzimmer hin.«

Dr. Urbanek, ein freundlicher älterer Arzt, traf kurz darauf ein, und schon nach flüchtiger Untersuchung fand er, dass Tabea sofort in eine nahegelegene Unfallklinik gebracht werden musste.

»Ich will das net«, flehte das Mädchen.

»Warum denn nicht? Das muss dringend untersucht und behandelt werden, mit Kopfverletzungen ist nicht zu spaßen.«

»Ich muss pünktlich zu Hause sein. Ich hab Hausarrest. Der Vater ...« Tabea verstummte abrupt.

»Dein Vater hat da überhaupt nichts zu sagen«, erwiderte Dr. Urbanek, und der Verdacht, den er schon nach dem ersten flüchtigen Blick auf Tabeas Verletzungen gefasst hatte, verdichtete sich noch.

Als der Krankenwagen mit Tabea abgefahren war, wandte sich der Arzt Fräulein Krumbiegel zu.

»Ich glaube, wir müssen einmal ein ernstes Wort mit Tabeas Vater sprechen«, sagte Dr. Urbanek aufgebracht.

»Das sehe ich auch so. Diese Verletzungen stammen nicht von einem Treppensturz. Das arme Madl ist heillos verprügelt worden. Sie scheint außerdem große Angst vor ihrem Vater zu haben. Der Grainer ist ein unangenehmer Mensch«, erwiderte Fräulein Krumbiegel.

Der behandelnde Arzt in der Klinik, in die Tabea eingeliefert worden war, war ebenfalls der Meinung, dass Tabea das Opfer einer Misshandlung geworden war. Doch sie beharrte darauf, dass ihr Vater ihr nichts angetan hätte. Sie wollte außerdem so schnell wie möglich wieder in ihr Elternhaus zurückkehren.

Denn eine ältere Schulkameradin war, nachdem ihr Vater sie schwer verletzt hatte, in eine Pflegefamilie gekommen. Sie hatte danach berichtet, dass dort alles noch schlimmer geworden sei. Nach kurzer Zeit war sie verschwunden, und man nahm an, dass sie in München auf der Straße lebte.

Und ehe sie in ein Heim oder zu Pflegeeltern kam, wollte Tabea lieber in ihr Elternhaus zurück. Bald würde sie volljährig sein, und dann war der Weg frei für sie.

Nach mehreren Gesprächen von amtlicher Seite mit Hias Grainer durfte Tabea schließlich wieder nach Hause zurückkehren, wo sie von ihren Eltern mit großer Kälte empfangen wurde.

***

Dann jedoch kam es zu einer Begegnung, die Tabeas Leben grundlegend veränderte.

Nachdem auch Tabeas Hausarrest aufgehoben worden war, erfreute sich das Mädchen einer gewissen Freiheit. Die Eltern behandelten sie nun mit völliger Nichtachtung, und so suchte sie immer wieder ihren Lieblingsplatz, den Hochsitz, auf. Doch einmal verfehlte sie beim Hochklettern eine Sprosse, mit einem Aufschrei stürzte die Leiter hinab und schlug hart auf dem Boden auf.

Beat Laubacher, der auf einem Bergpfad ganz in der Nähe unterwegs war, hörte den Schrei und eilte in die Richtung, woher er gekommen war. Vor dem Hochsitz fand er ein junges Mädchen vor, das sich mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Knöchel rieb.

»Zeig her, ich hab einen Kurs in erster Hilfe gemacht«, forderte er sie auf, und widerstrebend überließ sie ihm ihren Fuß.

Vorsichtig betastete er ihren Knöchel und meinte schließlich, dass es sich nur um eine Prellung handelte.

»Das ist halt ziemlich schmerzhaft, aber net so langwierig wie eine Zerrung«, tröstete er das Mädchen.

Immer noch hielt er ihren Fuß in der Hand, und Tabea konnte kaum den Blick von ihm lassen. Sie glaubte noch nie so einen schönen jungen Mann gesehen zu haben. Er hatte ein schmales, regelmäßiges Gesicht, eingerahmt von lockigen, dunklen Haaren. Seine Augen waren honigbraun. Und sein Mund ...

Ein eigenartiges Gefühl überkam sie, und sie entzog ihm rasch ihren Knöchel. Aber auch er schaute sie wie gebannt an. Was für schöne, tiefblaue Augen sie hatte!

Aber wenn er genauer hinsah, stellte er fest, dass sie sehr ungepflegt war. Ihr weißblonder Haarzopf wirkte verfilzt, und ihre Fingernägel waren abgesplittert und nicht sehr sauber. Auch ihre Kleidung sah so aus, als wäre sie schon mehrmals geflickt, aber schon lange nicht mehr gewaschen worden. Offensichtlich war sie ein Kind armer Leute, und er verspürte großes Mitleid mit ihr.

Als Tabea sich dann mit seiner Hilfe erhob, stellte er verwundert fest, dass sie der Kindheit längst erwachsen war, und er senkte den Blick. Er bot ihr seinen Arm an, und sie humpelte ein paar Schritte vorwärts, fand jedoch, dass es sich nicht so schlimm anfühlte.

Sie machte kehrt, und beide setzten sich auf eine der Sprossen. Er zog den kleinen Rucksack, den er abgelegt hatte, zu sich heran und sagte: »Zeit für eine Jause.«

Beat brachte wunderbare Dinge zum Vorschein – üppig belegte Brötchen, harte Eier, einen halben Streuselkuchen und Süßigkeiten. Auch eine Thermosflasche zog er heraus, und Tabea verspürte jäh ein quälendes Hungergefühl.

»Willst du net mithalten? Das ist doch viel zu viel für mich«, lud er sie ein.

»Das kann ich net annehmen«, stammelte sie.

»Ach geh.« Er reichte ihr eine Serviette, die sie auf ihrem Schoß ausbreiten konnte, und forderte sie auf, sich etwas auszusuchen.

»Ich weiß net ...«, sagte sie unentschlossen.

Dann aber griff sie nach einem belegten Brötchen, in das sie zögernd biss, denn sie wollte verbergen, wie schwer es ihr fiel, ihren Heißhunger zu verbergen.

Beat wandte sich taktvoll ab und beschäftigte sich mit der Thermosflasche, sodass sie sich keinen Zwang mehr auferlegen musste. Danach verzehrte sie noch eines der Eier und ein Stück Kuchen, wozu sie Tee aus einem Becher trank.

Noch nie hatte ihr etwas so gut geschmeckt.

»Eigentlich will ich den Rest gar nimmer mit nach Hause nehmen, denn es wird bald Abendbrot geben. Willst du es haben?«

Zuerst sträubte sich Tabea, dann aber nahm sie die Tüten an. Er reichte ihr noch zwei Schokoladenriegel, und Tabea konnte ihr Glück kaum fassen.

Dann saßen sie schweigend nebeneinander und gaben sich ganz dem Zauber dieser Landschaft hin. Ein seltsames Einvernehmen herrschte zwischen ihnen, etwas, was Tabea noch nie empfunden hatte.

Schließlich brach sie das Schweigen.

»Du bist net von hier, oder?«

»Meine Eltern sind von hier, später aber weggezogen. Meine Tante und ihr Mann leben ganz in der Nähe, und ich besuche sie jedes Jahr. Das ist die beste Zeit, ich hab dann immer das Gefühl, eigentlich hier daheim zu sein«, gab er Auskunft.

»An der Heimat hängt eben das Herz«, meinte sie.

»Das klingt aber sehr traurig.«

Tabea zuckte die Schultern. »Ich werde bald von hier weggehen müssen, denn für mich gibt es hier keine Zukunft. Meine Eltern haben mich nichts lernen lassen, und ich will nirgends einheiraten. In der Stadt hab ich ganz andere Möglichkeiten ...«

»Aber es gibt doch auch hier bestimmt Abendkurse«, fiel er ihr ins Wort, »damit du dich weiterbilden kannst.«

»Ja, aber da müsste ich mit dem Bus nach Hochstetten fahren, außerdem kostet so ein Kurs Geld. Und meine Eltern sind er Meinung, dass das alles überflüssig ist«, wandte Tabea niedergeschlagen ein.

»Das tut mir leid.« Nach kurzem Überlegen meinte Beat: »Ich hab genug Bücher zu Hause, die ich nimmer brauche. Für dich wären sie aber sicher von Nutzen. Dieses Wochenende fahre ich nach Hause und könnte sie holen. Magst du so etwas haben? Man kann sich sein Wissen auch durch Lesen erweitern.« Er grinste. »Oje, jetzt klinge ich schon fast wie mein Deutschlehrer in der Oberstufe ...«

Beat lachte unwillkürlich auf. Es war ein heiteres, unbeschwertes Lachen, wie Tabea es noch nie gehört hatte.

»Ja, ich lese gern. Ich weiß viel zu wenig, es ist so eine Schande«, gestand Tabea leise und blickte zu Boden.

»Eine Schande ist es nur, wenn man seine Fähigkeiten net nutzt. Und du willst ja etwas aus dir machen, net wahr?«

Tabea nickte heftig.

»Gut, dann bringe ich dir eine Auswahl mit. Nächsten Dienstag bin ich wieder in der Gegend unterwegs, können wir uns dann wieder hier treffen?«

»Ja, ja«, stammelte sie.

»Gut. Dann freu' ich mich auf unser nächstes Wiedersehen. Jetzt muss ich mich aber auf den Rückweg machen, denn die Tante wartet net gern mit dem Abendessen«, sagte Beat und erhob sich.

»Ich bleib' noch ein bisserl.«

Tabea sah ihm nach, bis er ihren Blicken entschwand. Plötzlich kam ihr alles ganz unwirklich vor, so, als hätte sie eine Erscheinung gehabt. Regungslos verharrte sie, bis die Dämmerung herabsank, und sie sich beeilte, nach Hause zu kommen.

***

Ihr Vater hielt sich anscheinend im Wirtshaus auf, und die Mutter war wohl bereits zu Bett gegangen.