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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Hallo, Astrid!« Die Stimme Pfarrer Trenkers holte die etwa vierzigjährige Frau ein, die – vier Kinder zwischen zwölf und fünfzehn Jahren im Schlepptau – aus der Kirche gekommen war und schon ein gutes Stück des Pfarrplatzes überquert hatte. Es war Sonntag, und der Pfarrer hatte die Frühmesse gelesen. Nachdem die Gläubigen unter dem beruhigenden Klang getragener Orgelmusik die Kirche verlassen hatten, war Sebastian in die Sakristei gegangen und hatte sein Messgewand ausgezogen. Jetzt wollte er hinüber ins Pfarrhaus. »Hast du ein paar Minuten Zeit für mich?« Astrid Altmeier und die vier Kinder hatten sich nach seinen ersten Worten schon umgedreht und sahen nun den Pfarrer auf sich zukommen. Er lächelte, obwohl im nicht entging, dass Astrid etwas verhärmt wirkte. Sie sah nicht glücklich aus. »Habe die Ehre, Astrid, guten Morgen Kinder«, grüßte Sebastian freundlich. »Ein schönes Bild, wenn ihr so einträchtig über den Pfarrplatz marschiert.« »Guten Morgen, Hochwürden«, erwiderte Astrid Altmeier den Gruß. »Wir haben im Vorraum noch ein paar Kerzen angezündet«, fügte sie hinzu, als bedurfte es dem Pfarrer gegenüber einer Erklärung, weshalb sie und die Kinder jetzt erst die Kirche verlassen hatten. »Habt ihr dazu in Gedanken auch eure Wünsche geäußert?«, erkundigte sich Sebastian mit einem schalkhaften Augenzwinkern. »Eigentlich sind wir wunschlos glücklich«, antwortete Astrid, doch die herben Linien um ihren Mund erzählten das Gegenteil.
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Seitenzahl: 135
»Hallo, Astrid!« Die Stimme Pfarrer Trenkers holte die etwa vierzigjährige Frau ein, die – vier Kinder zwischen zwölf und fünfzehn Jahren im Schlepptau – aus der Kirche gekommen war und schon ein gutes Stück des Pfarrplatzes überquert hatte. Es war Sonntag, und der Pfarrer hatte die Frühmesse gelesen. Nachdem die Gläubigen unter dem beruhigenden Klang getragener Orgelmusik die Kirche verlassen hatten, war Sebastian in die Sakristei gegangen und hatte sein Messgewand ausgezogen. Jetzt wollte er hinüber ins Pfarrhaus. »Hast du ein paar Minuten Zeit für mich?«
Astrid Altmeier und die vier Kinder hatten sich nach seinen ersten Worten schon umgedreht und sahen nun den Pfarrer auf sich zukommen. Er lächelte, obwohl im nicht entging, dass Astrid etwas verhärmt wirkte. Sie sah nicht glücklich aus. »Habe die Ehre, Astrid, guten Morgen Kinder«, grüßte Sebastian freundlich. »Ein schönes Bild, wenn ihr so einträchtig über den Pfarrplatz marschiert.«
»Guten Morgen, Hochwürden«, erwiderte Astrid Altmeier den Gruß. »Wir haben im Vorraum noch ein paar Kerzen angezündet«, fügte sie hinzu, als bedurfte es dem Pfarrer gegenüber einer Erklärung, weshalb sie und die Kinder jetzt erst die Kirche verlassen hatten. »Habt ihr dazu in Gedanken auch eure Wünsche geäußert?«, erkundigte sich Sebastian mit einem schalkhaften Augenzwinkern.
»Eigentlich sind wir wunschlos glücklich«, antwortete Astrid, doch die herben Linien um ihren Mund erzählten das Gegenteil.
Sebastian machte sich seine Gedanken, stellte aber keine weiteren Fragen, sondern deutete mit einer flüchtigen Geste auf einen der Buben, der im Gegensatz zu den drei blondhaarigen Kindern einen dunklen Wuschelkopf und braune Augen hatte, und sagte: »Ich hab’s schon gehört, Astrid. Ihr habt Familienzuwachs bekommen.«
»Das stimmt, Hochwürden. Der Lukas ist jetzt seit einer Woche bei uns.« Astrid strich dem Zwölfjährigen liebevoll über die dunklen Haare. »Ich hätt’s net mit meinem Gewissen vereinbaren können, ihn im Waisenhaus zu lassen. Schließlich ist er das Kind meiner Schwester – Gott hab’ sie selig.« Sie hob die Hände, ließ sie wieder sinken und endete: »Es dauert wahrscheinlich einige Zeit, bis sich der Lukas an uns gewöhnt hat. Das Landleben ist ihm fremd. Einen Bauernhof kennt er nur vom Sehen oder vom Hörensagen. Aber ich denk’, das wird schon.«
»Wie gefällt’s dir denn bei uns hier in St. Johann, Lukas?«, fragte Sebastian, an den Jungen gewandt.
»Gut«, war die etwas einsilbige Antwort.
»Er ist noch ein bissel schüchtern, der Lukas«, erklärte Astrid. »Ich denk’ aber, dass er diese Scheu auch noch verliert. An der Schule hab’ ich ihn auch schon angemeldet. Morgen besucht er zum ersten Mal den Unterricht.«
»In welche Klasse geht er denn?«
»In die Sechste.«
»Dann sehen wir uns ja am Mittwoch«, sagte Sebastian. »Da halt’ ich in deiner Klasse Religionsunterricht.« Sebastian schaute wieder Astrid an. »Was sagt denn der Martin dazu, dass ihr jetzt ein – hm, viertes Kind bekommen habt?«, wollte er wissen.
»Er war einverstanden, dass ich den Lukas zu uns hol’«, antwortete Astrid etwas klanglos. »Der Martin hat ja mit der Kindererziehung kaum was zu tun, ist er doch von früh bis spät eingespannt. Sobald die Äcker und Felder bestellt sind, gehts hinaus in den Wald. Dann kommt die Erntezeit. Daneben ist Tag für Tag das Vieh zu versorgen.«
»Du musst mir nix sagen, Astrid«, versetzte Sebastian. »Ich weiß, was für Arbeiten auf einem Bauernhof ständig anfallen. Na ja, ich wünsch’ euch jedenfalls alles Gute, und dir natürlich auch, Lukas. Du wirst dich schnell eingewöhnen, schätz’ ich.« Er heftete den Blick wieder auf Astrid. »Kinder tun sich da viel leichter als Erwachsene. Außerdem hat er ja auf dem Hof drei Spielkameraden. – Ihr habt den Lukas doch wie einen Bruder aufgenommen?«, wandte er sich lächelnd an die drei Altmeierkinder.
Sie nickten, der fünfzehnjährige Emil sagte: »Uns ist der Lukas willkommen, Herr Pfarrer. Er hält sich halt mehr an die Jana und den Paul und net an mich, weil die vom Alter her besser zu ihm passen.«
»Deswegen bist du ihm aber net bös?«
»Natürlich net, Herr Pfarrer. Ich seh’ in ihm halt den kleinen Bruder.«
»Das zu hören freut mich«, sagte Sebastian. »Dann wünsch’ ich euch noch einen angenehmen Sonntag. Bestell’ dem Martin die besten Grüße von mir, Astrid. Und …«, er forschte sekundenlang in ihrem Gesicht, »… sollt’s Probleme geben, gleich welcher Art«, endete er schließlich, »du weißt, dass du dich immer vertrauensvoll an mich wenden kannst.«
»Es gibt keine Probleme, Hochwürden«, versicherte Astrid, aber auch jetzt verriet ihr freudloser Gesichtsausdruck, dass dem offenbar nicht so war. »Auf Wiedersehen. Auch Ihnen noch einen schönen Tag.«
Sie gingen auseinander.
Im Pfarrhaus angekommen, begab sich der Pfarrer in die Küche, dem Reich Sophie Tapperts. Es roch nach bratendem Fleisch. »Zwiebelrostbraten, Hochwürden«, sagte die Haushälterin, ehe der Pfarrer Fragen stellen konnte. »Dazu gibts Bratkartoffeln und gemischten Salat. Ich hab’ mir gedacht, einen Braten und Knödel haben S’ erst am Donnerstag von mir vorgesetzt bekommen.«
»Zwiebelrostbraten ess’ ich für mein Leben gern«, erklärte Sebastian. »Ein schöner gemischter Braten mit Kartoffelknödeln ist allerdings auch net zu verachten.«
»Ich acht’ für Sie halt ein bissel auf die Kalorien, Hochwürden. Oder wollen S’ irgendwann so ausschauen wie unser Bürgermeister? Der schiebt ja eine Wampe vor sich her, dass er, wenn er so weiter macht, nimmer hinter seinen Schreibtisch im Rathaus passt.«
»Wenn ich mal so aussehen sollt, Frau Tappert, was der liebe Gott verhüten möcht’, dann verordne ich mir selber eine Nulldiät. Wie oft hab’ ich den Markus schon wegen seiner Leibesfülle angesprochen. Das geht bei dem ins linke Ohr rein und beim rechten sofort wieder raus. Dabei war er damals, als wir für die Fußwallfahrt von München nach Altötting trainiert haben, so gut drauf. Jetzt schafft er es wahrscheinlich net mal mehr bis zur Kachlachklamm. Er würd’ mit Sicherheit auf halber Strecke zusammenbrechen.«
Sophie winkte ab. »Wem net zu raten ist, dem ist auch net zu helfen, Hochwürden«, war ihr abwertender Kommentar. »Irgendwann wird er’s schon spüren, der Bruckner, was er für Schindluder mit seinem Körper treibt. Hoffentlich ists dann net zu spät. – Ich hab’ Sie durchs Fenster mit der Altmeier-Astrid reden sehen, Hochwürden. Es hat sich schon herumgesprochen, dass sie seit ein paar Tagen den Buben ihrer verstorbenen Schwester in Pflege hat. Scheint ein recht netter kleiner Kerl zu sein.«
»Er heißt Lukas und ist noch ein bissel schüchtern, Frau Tappert. Ab morgen geht er hier in die Schule. Aber ich denk’, er taut schnell auf und findet Freunde. Außerdem hat er daheim ja drei …«, Sebastian malte mit beiden Händen Anführungszeichen in die Luft, »… Geschwister, die ihn, so mein Eindruck, voll und ganz akzeptieren.«
»Das war ja auch der Grund, weshalb man ihn der Astrid und dem Martin in Pflege gegeben hat«, sagte Sophie. »Ein Bruder seines Vaters, er bewirtschaftet einen Bauernhof in der Nähe von Ruhpolding, hätt’ ihn auch genommen. Aber dessen Töchter sind schon erwachsen, und vonseiten des Jugendamts hat man argumentiert, dass der Bub in der Familie wie ein Einzelkind aufwachsen würd’.«
»Ist es schlimm, als Einzelkind aufzuwachsen?«
»Nein«, versetzte Sophie. »Aber beim Jugendamt war man der Meinung, dass sich der Bub besser in einer neuen Familie eingewöhnt, wenn weitere Kinder vorhanden sind.«
»Natürlich, das hat was für sich«, gab der Bergpfarrer zu und wurde nachdenklich. »Die Astrid ist mir recht niedergeschlagen vorgekommen, Frau Tappert. Sie ist aber net herausgerückt mit der Sprache, sondern hat mir erklärt, dass sie auf dem Altmeierhof wunschlos glücklich wären. Haben Sie vielleicht was gehört, dass es dort eventuell doch net ganz so glatt laufen soll?«
Sophie schüttelte den Kopf. »Mir ist nix bekannt, Hochwürden. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass die Astrid ziemlich gefordert ist. Schließlich hat sie drei pubertierende Kinder, die gewiss net einfach zu händeln sind. Und jetzt hat sie sich noch ein viertes Kind angetan. Wobei ich der Meinung bin, dass man ihr das hoch anrechnen muss. Sie hat halt ein gutes Herz, die Astrid.«
»Das mit Sicherheit«, pflichtete Sebastian seiner Haushälterin bei. »Ich setz’ mich auf die Terrasse, Sophie, und les’ ein bissel. Wenn’s Ihnen nix ausmacht, können S’ mir vielleicht ein Haferl-Kaffee hinausbringen.«
»Hat mir das je schon was ausgemacht, Hochwürden?«
»Sorry, Frau Tappert. Das war eine rein rhetorische Aussage.«
Lächelnd verließ Sebastian die Küche. Er und seine Haushälterin waren ein Herz und eine Seele.
*
Fast drei Wochen waren seitdem verstrichen. Es war an einem Freitagmorgen, als Sophie Tappert die Bäckerei Terzing betrat, um für den Pfarrer frische Frühstücksemmeln und zwei Stangerln zu besorgen.
Am liebsten wäre sie sofort wieder umgekehrt, als sie die Erbling-Maria an der Verkaufstheke stehen sah. Ihr Metier war Ratsch und Tratsch im Ort zu verbreiten, harmlose Vorfälle aufzubauschen und an kaum jemandem ein gutes Haar zu lassen.
Wenn es sich einrichten ließ, ging Sophie der Maria aus dem Weg. Oft aber war es nicht möglich, und da die Pfarrhaushälterin ein verträglicher und höflicher Mensch war, machte sie gute Miene zum bösen Spiel.
Die Bäckermeisterfrau erwiderte Sophies Gruß, ebenso die Erbling-Maria. Diese ergriff allerdings sofort das Wort: »Sie hab’ ich ja schon eine ganze Weile nimmer getroffen, Frau Tappert. Gut schauen S’ aus, richtig gesund, wie Milch und Blut. Da brauch’ ich wohl gar net zu fragen, wie’s allweil so geht.«
»Ich verrat’s Ihnen aber trotzdem, Frau Erbling«, erwiderte Sophie. »Mir gehts gut, und dem Pfarrer auch. Von Ihnen hoff’ ich das Gleiche.«
»Na ja, Sie wissen ja selber, wie’s ist, wenn man ins Alter kommt. Jeden Tag spürt man ein anderes Zipperlein. Man darf das nur net überbewerten, weil dann würd’ man nimmer fertig werden. Man kann ja net wegen jedem Grummeln im Bauch gleich zum Arzt rennen. Wie hat mein Mann – Gott hab’ ihn selig – immer gesagt? Richtig krank ist man eh erst, wenn man beim Arzt war. Ich glaub’, da ist was dran. Der Brandhuber-Loisl hat net ganz Unrecht, wenn er behauptet, dass die Schulmediziner die Krankheiten verkaufen wie die Händler ihre Ware.«
»Das lassen S’ nur den Wiesinger-Toni net hören, Frau Erbling«, sagte Sophie. »Der würd’s als persönlichen Angriff werten. Der Toni macht nämlich nix, was net unbedingt notwendig ist.«
»Jeder will verdienen, Frau Tappert, auch der Wiesinger. Ich dreh’ da die Hand net um. Heutzutag’ geht doch alles nur noch um den schnöden Mammon.« Maria seufzte. »Bin ich froh, dass ich net so bin. Ich bin mit dem, was ich hab’, zufrieden. Was muss ich denn zahlen, Frau Terzing?«
Die Bäckermeisterfrau nannte den Betrag, und Maria zählte ihn auf den Tresen. Dann nahm sie die Tüte mit ihrem Einkauf. »Dass die auf dem Altmeierhof seit einiger Zeit ein Pflegekind haben, das wissen S’ sicherlich, Frau Tappert«, wandte sie sich noch einmal an die Pfarrhaushälterin.
»Ja, das ist bekannt«, antwortete Sophie. »Geben S’ mir bitte zwei Körnersemmeln und zwei Pfefferstangerln, Frau Terzing.«
»Der Loisl hat mir erzählt, dass der Bub recht fleißig sein soll. Er sieht ihn oft mit dem Altmeier-Martin auf den Wiesen und Äckern. Er geht dem Martin stets zur Hand und arbeitet wie ein Erwachsener. Sogar im Wald hat der Loisl den Martin schon mit dem Buben gesehen, als sie Totholz herausgemacht haben. Der Loisl meint, der Bub ist der geborene Bauer.«
»Wenn kein Zwang dahintersteht und es dem Buben Spaß macht«, murmelte Sophie, »warum net? Der Martin und die Astrid müssen halt aufpassen, dass der Kleine die Schule net vernachlässigt. Aber die werden schon wissen, was wichtig und richtig ist für den Buben. Wissen s’ es ja bei ihren eigenen Kindern auch.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte die Maria. »Na ja, ich muss weiter und wünsch’ allseits einen schönen Tag.«
»Ihnen das Gleiche, Frau Erbling«, sagte Sophie.
Maria verließ den Laden, Sophie bekam ihren Einkauf, bezahlte ihn und kehrte ins Pfarrhaus zurück, um das Frühstück für den Pfarrer, der die Morgenandacht hielt, vorzubereiten. Als sich Sebastian später an den Frühstückstisch setzte und ihm Sophie Kaffee eingoss, fragte er: »Gibts was Neues, Frau Tappert? Sind wieder irgendwelche Gerüchte im Umlauf, über die ich vielleicht Bescheid wissen sollt’?«
»Nix Besonderes, Hochwürden. Der Erbling-Maria bin ich wieder mal in die Arme gelaufen. Sie hat aber nur zu erzählen gewusst, dass der Lukas, der auf dem Altermeierhof in Pflege ist, ein besonders fleißiger Bub sein soll.«
»Fleißiger Bub? Inwiefern?«, erkundigte sich der Pfarrer. »Im Unterricht hab’ ich noch net den Eindruck gewonnen, dass der Lukas besonders aktiv ist. Er ist eher still und in sich gekehrt. Ich führ’s darauf zurück, dass er fremd und für ihn alles neu ist und er sich eingewöhnen muss.«
»Er soll bei allen anfallenden Arbeiten, sei’s auf den Feldern und Äckern oder auf den Wiesen und auch im Wald dem Martin fest zur Hand gehen. So hats zumindest der Brandhuber-Loisl der Maria erzählt. Der beobachtet die beiden des Öfteren bei der gemeinsamen Arbeit.« Sophie zuckte mit den Schultern. »Jedes Kind ist halt anders, Hochwürden. Der Lukas gehört halt offenbar net zu denen, die der Meinung sind, dass man sich die Hände net mit Arbeit schmutzig machen sollt’.«
»Arbeit hat sicher noch keinem geschadet«, erklärte Sebastian. »Der Martin muss halt Obacht geben, dass er den Buben net überbelastet. So ein Kind kann oftmals seine Grenzen net einschätzen und übernimmt sich leicht. So weit darf es bei einem Zwölfjährigen – bei allem Spaß an der Arbeit – net kommen.«
»Das wird der Altmeier-Martin schon wissen«, erwiderte Sophie. »Schließlich ist er ja selber auf dem Hof aufgewachsen, und früher hat man von den Kindern auf den Höfen viel mehr verlangt als heutzutage. Also wird er einschätzen können, wo der Spaß aufhört, und der Ernst beginnt.«
»Stimmt. Früher darf man nimmer mit heut’ vergleichen. Die Zeiten haben sich geändert.« Sebastian sprach es und begann, eine der Semmeln, die Sophie schon aufgeschnitten und dünn mit Butter bestrichen hatte, mit Käse zu belegen …
*
Seitdem waren wieder zwei Wochen ins Land gezogen.
»Wo bleibt denn das Bürscherl bloß?«, erregte sich Martin Altmeier und schaute demonstrativ auf die Uhr. »Es ist gleich halb zwei. Der Lukas müsst’ längst daheim sein. Gewiss hat er den Schulbus vertrödelt, und jetzt muss er zusehen, wie er heimkommt.«
Die Familie, also Martin, seine Frau Astrid und die drei Kinder, hatten längst zu Mittag gegessen, Astrid hatte den Tisch abgeräumt, und die Kinder waren in ihren Zimmern, um ihre Hausaufgaben zu erledigen.
»Reg’ dich net auf, Martin«, versuchte Astrid beruhigend auf ihren Mann einzuwirken. »Wir kriegen den Lukas schon noch hin. Er lebt ja erst seit ein paar Wochen bei uns, und schließlich ist er ja auch erst zwölf Jahre alt. Er hat sich noch immer net so richtig bei uns eingefunden. Gib ihm einfach Zeit. Dann wird der Bub schon.«
»Er ist kein Säugling mehr!«, stieß Martin hervor. »In unserem Haushalt herrscht Ordnung. Wo kämen wir hin, wenn jeder tät’, was ihm gerade gefällt. Ich hab’ dem Bürscherl schon fünfzig Mal oder noch öfter gesagt, dass er nach der Schule sofort heimzukommen hat. Es ist doch nix dabei, dass er von der Schule schnurstracks zur Bushaltestelle geht, in den Bus steigt und nach St. Johann fährt?«
»Du darfst net vergessen, Martin, dass der Bub viel mitgemacht hat. Das hat ihn vielleicht geprägt und er …«
Mit einer heftigen Bewegung seiner Hand schnitt Martin seiner Frau das Wort ab. »Darüber kommt ein Kind schneller weg als ein Erwachsener, weil’s gar net so richtig begreift, was passiert ist. Eins muss jedenfalls klar sein: Solang der Lukas seine Beine unter meinen Tisch streckt, hat er zu parieren und zu tun, was ich ihm sag’. Weißt du, was meine Meinung ist, Astrid? Der Lukas wird mal der gleiche liederliche Nixnutz, wie sein Vater einer war. Der hat das im Blut. Es war ein Fehler, ihn in Pflege zu nehmen. Wir hätten ihn im Heim lassen sollen.«
»Ich bitt’ dich recht schön, Martin«, kam es fast weinerlich von Astrid. »Es ist der Bub meiner Schwester – Gott hab’ sie selig. Ich kann doch net zuschauen, wie er im Waisenhaus verkümmert.«
»Der Kandsperger-Hans in Ruhpolding hätt’ ihn auch genommen«, stieß Martin hervor. »Er hat ihn schließlich dir überlassen, weil du wahrscheinlich Eier gelegt hättest, würd’ das Jugendamt den Buben net zu dir – ich mein’ natürlich zu uns – gegeben haben. Dass die Ruth tot ist, hat sie auch ihrem Mann zu verdanken. Sie hätt’ sich nie zu ihm ins Auto setzen dürfen. Jeder hat doch gewusst, dass er ständig die Landstraße mit einer Rennstrecke verwechselt hat.«