Die Hoffnung stirbt zuletzt - Toni Waidacher - E-Book

Die Hoffnung stirbt zuletzt E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Nach mehr als sechs Jahren öffnete sich für Michael Böckl das Tor der Justizvollzugsanstalt München in der Stadelheimer Straße. Der Sechsunddreißigjährige atmete tief durch. Er war endlich wieder frei! Eine ganze Weile stand er ratlos auf dem Gehsteig, eine prall gefüllte Reisetasche in der Hand, in der sich sein gesamtes Hab und Gut befand, Michael wusste nicht so recht, wohin er sich wenden sollte. Schließlich aber setzte er sich in Bewegung, überquerte die Straße und hielt Ausschau nach einer Bushaltestelle. Er drehte sich nicht um. Einen Blick zurückzuwerfen hätte er in seinem Fall als schlechtes Omen empfunden. Er sprach einen Passanten an. »Entschuldigen Sie bitte. Können Sie mir sagen, wo ich die nächste Bushaltestelle finde?« »Laufen S' einfach geradeaus weiter«, antwortete der Mann. »Zweihundert Meter, dann sehen S' schon das Bushäusl.« »Danke.« Bei der Haltstelle angekommen, studierte Michael den Fahrplan. Er war zufrieden, als er feststellte, dass einer der Busse zum Bahnhof fuhr. Er löste am Automaten ein Ticket, und als der Bus kam, stieg er zu, entwertete den Fahrschein und setzte sich auf einen freien Platz. Viel hatte sich nicht verändert in den mehr als sechs Jahren, in denen er im Gefängnis gewesen war. Die Autos sahen ein wenig anders aus, und die Mode hatte sich ebenfalls ein klein wenig verändert. Michael dachte nicht länger darüber nach.

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Der Bergpfarrer – 506 –

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Bekommt Michael keine zweite Chance?

Toni Waidacher

Nach mehr als sechs Jahren öffnete sich für Michael Böckl das Tor der Justizvollzugsanstalt München in der Stadelheimer Straße.

Der Sechsunddreißigjährige atmete tief durch. Er war endlich wieder frei! Eine ganze Weile stand er ratlos auf dem Gehsteig, eine prall gefüllte Reisetasche in der Hand, in der sich sein gesamtes Hab und Gut befand, Michael wusste nicht so recht, wohin er sich wenden sollte. Schließlich aber setzte er sich in Bewegung, überquerte die Straße und hielt Ausschau nach einer Bushaltestelle. Er drehte sich nicht um. Einen Blick zurückzuwerfen hätte er in seinem Fall als schlechtes Omen empfunden.

Er sprach einen Passanten an. »Entschuldigen Sie bitte. Können Sie mir sagen, wo ich die nächste Bushaltestelle finde?«

»Laufen S’ einfach geradeaus weiter«, antwortete der Mann. »Zweihundert Meter, dann sehen S’ schon das Bushäusl.«

»Danke.«

Bei der Haltstelle angekommen, studierte Michael den Fahrplan. Er war zufrieden, als er feststellte, dass einer der Busse zum Bahnhof fuhr. Er löste am Automaten ein Ticket, und als der Bus kam, stieg er zu, entwertete den Fahrschein und setzte sich auf einen freien Platz.

Viel hatte sich nicht verändert in den mehr als sechs Jahren, in denen er im Gefängnis gewesen war. Die Autos sahen ein wenig anders aus, und die Mode hatte sich ebenfalls ein klein wenig verändert. Michael dachte nicht länger darüber nach. Er fragte sich vielmehr, wie seine Frau und die Kinder wohl reagieren würden, wenn er plötzlich vor der Tür stand. Niemand wusste von seiner Haftentlassung. Auch nicht seine beiden Halbgeschwister, die hier in München lebten. Der Kontakt zu ihnen hatte sich während seiner Inhaftierung sehr in Grenzen gehalten. Michael ging davon aus, dass sie sich schämten, mit einem verurteilten Bankräuber verwandt zu sein.

Am Bahnhof angekommen, studierte er den Fahrplan und fand, was er suchte. Von München aus verkehrte fast im Stundentakt ein Zug nach Garmisch-Partenkirchen. Schließlich löste er ein Ticket. Es war jetzt kurz nach zehn Uhr. Da er noch Zeit hatte, ging er zu einem der Imbissstände und kaufte sich einen Becher Kaffee. Um ihn herum war reges Treiben. Er schaute in viele Gesichter, die sich im nächsten Moment aus seinem Blickfeld verloren und die er sofort wieder vergaß. Züge fuhren ab, andere kamen. Alle Augenblicke erfolgte irgendeine Durchsage …

Schließlich war es soweit. Er ging zu dem Bahnsteig, auf dem der Zug schon stand, und stieg in eines der Abteile. Es dauerte noch eine ganze Weile, aber dann setzte sich der Zug in Bewegung, verließ den Bahnhof und nahm Fahrt auf.

Michael schaute versonnen aus dem Fenster. Die Gegend schien vorbeizuhuschen. Seine Gedanken drehten sich um seine momentane Situation. Wegen guter Führung war er nach zwei Dritteln der Haftzeit, zu der er damals verurteilt worden war, auf Bewährung entlassen worden.

Er war so sehr in Gedanken versunken, dass er gar nicht merkte, wie die Zeit verrann. Deshalb war er ziemlich erstaunt, als aus dem Lautsprecher die Stimme einer Frau darauf hinwies, dass die nächste Haltestelle Garmisch-Partenkirchen sein würde. Wenig später verlangsamte der Zug schon seine Fahrt, und dann rollte er in den Bahnhof hinein …

Von Garmisch aus musste Michael den Bus nach St. Johann nehmen. Die Mittagszeit war vorüber, als er in dem Bergdorf ankam. Es war ein sonniger Tag, die Gipfel der Gesteinsmassive, die das Wachnertal säumten, gleißten im Sonnenlicht. Den Felsketten vorgelagert waren die bewaldeten Berge. Aus dem dunklen, satten Grün der Fichten und Tannen hob sich mit zartem Hellgrün das austreibende Blattwerk der Laubbäume ab.

Michael schaute sich um. In den gut sechseinhalb Jahren, in denen er nicht mehr hier gewesen war, hatte sich kaum etwas verändert. An den Balkonen und auf den Fensterbänken zeigten sich in den Blumenkästen die ersten Farbtupfer. Wahrscheinlich weilte schon eine kleine Vorhut von Touristen im Tal, denn die Inhaber der Cafés, Eisdielen und Restaurants hatten schon die Außenbereiche ihrer Betriebe mit Tischen und Stühlen bestückt. Michael war nervös. Lara, seine Frau, hatte ihn zu Beginn seiner Haftzeit zwar einige Male besucht, aber dann hatte sie mitsamt den Kindern München verlassen und war nach St. Johann zurückgekehrt, wo sie im Haus ihrer Eltern die Dachgeschosswohnung bezogen hatte. Von da an waren die Besuche immer seltener geworden, und schließlich hatte sie ihn nur noch – ebenfalls recht selten – telefonisch kontaktiert.

Michael gab sich einen Ruck und marschierte los. Das Haus seiner Schwiegereltern befand sich in einer Seitenstraße. Als es in sein Blickfeld geriet, spürte er nur noch Unbehagen. Er erinnerte sich einiger Andeutungen, die Lara von sich gegeben hatte. Danach hatten sie ihre Eltern gedrängt, sich von ihm scheiden zu lassen. Ein verurteilter Straftäter habe in ihrer Familie nichts verloren.

Michael läutete an der Haustür, wartete und fühlte sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut. Aus der Gegensprechanlage erklang eine Frauenstimme: »Ja, bitte?«

Sein Herz drohte einen Schlag zu überspringen, seine Kehle war wie zugeschnürt. Er räusperte sich, dann sagte er mit einer ihm selbst fremden Stimme: »Ich bin’s, Lara – Michael.«

Aus dem Lautsprecher kam ein überraschter, geradezu erschrockener Laut. Dann: »Großer Gott! Du – du hast doch erst sechseinhalb Jahre abgesessen. Du – du bist doch net etwa ausgebrochen?«

»Nein. Sie haben mich nach zwei Dritteln der Zeit laufen lassen. Ich möcht’ mit dir reden, Lara.«

»Ich – ich komm’ zur Haustür.«

Es knackte im Lautsprecher, als Lara den Hörer einhängte und die Verbindung unterbrach.

In dem Moment erklang es hinter Michael: »Ich glaub’, mich laust der Affe! Wo kommst du denn her? Du müsstest doch noch mindestens dreieinhalb Jahre absitzen.«

Michael drehte sich um. An der Gartentür stand sein Schwiegervater und starrte ihn an wie eine außerirdische Erscheinung. Einen Moment lang war auch Michael ziemlich perplex, doch dann erwiderte er: »Sie haben mich auf Bewährung entlassen. Einmal in der Woche muss ich mich bei der Polizei in Garmisch melden.«

Langsam kam sein Schwiegervater näher. »Wieso kommst du ausgerechnet zu uns?«

»Hier leben meine Frau und meine Kinder.« Deutlich spürte Michael die Woge der Ablehnung, die ihm entgegenschlug. Das Gesicht Reinhard Färbers, seines Schwiegervaters, wirkte wie versteinert, seine Augen zeigten nicht die Spur von Freundlichkeit oder Entgegenkommen.

»Wir wollen dich hier net!«, stieß Reinhard Färber unverblümt hervor. »Die Leut’ haben sich über uns genug die Mäuler zerrissen. Sie haben mit dem Finger auf uns gezeigt. Das ist erneut losgegangen, als Lara mit den Kindern nach St. Johann gekommen ist. Zu verdanken hatten wir das dir. Du hast traurige Berühmtheit erlangt.«

»Ich hab’ die Tat net begangen!«, rief Michael fast ein wenig verzweifelt. »Man hat mich zu Unrecht verurteilt.«

Reinhard Färber lachte gallig auf. »Natürlich! Die Gefängnisse in Deutschland sind voll mit Unschuldigen. Die Tatsache, dass du nie zugegeben hast, die Bank überfallen zu haben, macht dich net unschuldig. Die Ermittler haben nachgewiesen, dass du der Haderlump warst, der maskiert und mit einer Waffe in die Sparkasse gegangen ist und die Leut’ bedroht hat. Du bist ein verurteilter Straftäter. Und jetzt bitt’ ich dich, meinen Grund und Boden zu verlassen. Von denen, die in dem Haus leben, will mit dir keiner mehr was zu tun haben.«

In dem Moment ging die Haustür auf und Lara zeigte sich. Ehe sie etwas sagen konnte, knurrte ihr Vater: »Ich hab’ ihn gebeten zu verschwinden. Es ist ja fast schon anmaßend, dass er sich überhaupt hierhergewagt hat, nach allem, was er dir, den Kindern und der ganzen Familie angetan hat. Wenn du gescheit bist, Madel, dann lässt du dich endlich von ihm scheiden.«

Lara gab den Platz in der Haustür frei und ließ ihren Vater passieren. Michael hatte er keinen Blick mehr gegönnt. Sie sagte zu ihren Mann gewandt: »Du hättest anrufen und Bescheid sagen können, dass du freigelassen worden bist und hierherkommst.«

»Ich hab’ kein Telefon. Dem Gericht hab’ ich eine Anschrift nennen müssen, bei der ich mich während meiner Bewährungszeit aufhalten werd’. Und da hab’ ich mir gedacht, ich geb’ den Wohnort meiner Familie an. – Wo sind die Kinder?«

»Unten, bei der Oma. Ich weiß net, ob’s gut ist, wenn ich dich ihnen als ihren Vater vorstell’. Sie haben keine Erinnerung mehr an dich, und es könnt’ ihrer Psyche schaden. Die Mama meint auch, dass das verantwortungslos wär’.«

»Aber sie wissen doch hoffentlich, dass es mich gibt«, platzte Michael heraus.

Lara nickte. »Natürlich. Nicht nur, dass es dich gibt. Alles, was wir ihnen verschwiegen haben über ihren Vater, hat man schon im Kindergarten und später dann in der Schule an sie herangetragen. Andere Eltern haben ihren Kindern verboten, mit dem Jonas und der Emma zu spielen. Den Grund muss ich dir ja wohl net nennen.«

Michael schluckte würgend. Jonas war damals dreieinhalb Jahre alt gewesen, Emma anderthalb Jahre. Er hatte seine Kinder abgöttisch geliebt. Der Gedanke an sie hatte dazu beigetragen, dass er im Strafvollzug nicht verzweifelte. Und nun sollten sie ihm vorenthalten werden. Er war nicht auf Streit aus. Ihm war vielmehr daran gelegen, in der Freiheit wieder Fuß zu fassen, zu sich zu finden und sich seiner Frau und den Kindern nach und nach wieder anzunähern. Darum sagte er: »Ein bissel kann ich dich sogar verstehen, Lara. Und ich kann mir auch gut vorstellen, dass du von der momentanen Situation ziemlich überfordert bist. Ich werd’ mir hier in St. Johann ein Zimmer suchen und mich ein bissel akklimatisieren, und dann müssen wir uns an einen Tisch setzen, Lara. Wir müssen besprechen, wie es mit uns weitergehen soll.«

»Das ist ein vernünftiger Vorschlag«, murmelte Lara. »Ich würd’ sagen, du meldest dich bei mir, wenn du soweit bist.«

Obwohl er keine andere Reaktion erwartet hatte, verließ Michael ziemlich enttäuscht den Garten seiner Schwiegereltern. Sein Start in die Freiheit verlief nicht glatt, sondern war, wie es schien, uneben, möglicherweise sogar ausgesprochen holprig.

*

Michael Böckl erinnerte sich an Ria Stubler, die in St. Johann eine Pension betrieb, und marschierte schnurstracks zum Tannenweg. Die Haustür war nicht abgeschlossen, sodass er das Haus betreten konnte, ohne läuten zu müssen. Es gab eine kleine Rezeption, die allerdings verwaist war. Auf dem Tresen stand aber eine altmodische Glocke, auf die er mit der flachen Hand schlug, sodass sie ein metallisches Scheppern erzeugte. Sogleich ging weiter hinten im Flur eine Tür auf, und Ria zeigte sich. Fragend musterte sie den Besucher.

»Grüß Gott«, grüßte Michael. »Ich wollte nachfragen, ob Sie noch ein Zimmer freihaben, Frau Stubler. Ich würde es gerne für einige Zeit mieten.«

»Grüaß Ihnen«, erwiderte Ria den Gruß. »In der Art, wie Sie fragen, muss ich annehmen, dass sie nix gebucht haben.« Sie musterte Michael forschend. »Sagen S’, kennen wir uns?«, fragte sie dann. »Sie kommen mir so bekannt vor.«

Michael zeigte ein freudloses Lächeln. »Es ist schon einige Jahre her, da war ich einige Male in St. Johann. Vielleicht erinnern Sie sich. Mein Name ist Böckl – Michael Böckl.«

Jetzt schien der Schimmer des Begreifens über Rias gutmütiges Gesicht zu huschen. »Der Mann von der Färber-Lara?«, stieß sie hervor. »Ich mein, von der Lara, die jetzt wieder bei ihren Eltern wohnt, nachdem …«

Ria spürte selbst, dass sie ziemlichen Wirrwarr sprach und brach ab. Sie war in der Tat ziemlich konfus und griff sich unwillkürlich an den Kopf. Die Geschichte hatte damals die Gemüter über Wochen hinweg aufgewühlt. Und jetzt stand Michael Böckl, der Bankräuber, der verurteilte Straftäter, leibhaftig vor ihr. Ihr fehlten die Worte.

Michael nickte und sagte: »Man hat mich vorzeitig entlassen. Wegen guter Führung und infolge einer positiven Sozialprognose. Ich musste wegen der wöchentlichen Meldung bei der Polizei einen ständigen Aufenthalt nennen und hab’ mich für St. Johann entschieden. Im Haus meiner Schwiegereltern kann ich allerdings net wohnen. Ich weiß net, wohin, Frau Stubler.«

Er wirkte völlig hilflos, fast verzweifelt, und der Blick, mit dem er Ria anschaute, brachte eine ganze Gefühlswelt zum Ausdruck: da waren Verbitterung, Schwermut, Einsamkeit … Die mütterliche Pensionswirtin empfand unvermittelt Mitleid mit Michael. Und weil das so war, stellte sie auch keine Fragen, sondern sagte: »Ich hab’ ein Zimmer für Sie, Herr Böckl. Wie lange haben S’ denn vor, in St. Johann zu bleiben?«

»Ich nehm’ das Zimmer zunächst für eine Woche. Keine Sorge, Frau Stubler, ich hab’ Geld und kann es bezahlen …«

»Ich mach’ mir wegen des Geldes keine Sorgen. Gestatten S’ mir eine Frage, Herr Böckl?«

»Fragen S’, Frau Stubler.«

»Warum können S’ net im Haus Ihrer Schwiegereltern bei Ihrer Frau und Ihren Kindern wohnen?«

»Die Eltern meiner Frau wollen net mit einem verurteilten Straftäter unter einem Dach leben«, antwortete Michael. »Meinen Beteuerungen, dass ich den Bankraub net begangen hab’, glaubt kein Mensch. Nun ja, irgendwie ist das auch verständlich. Hat mir ja das Gericht auch net geglaubt. Man hat eine Maske und eine Schreckschusspistole im Kofferraum meines Autos gefunden, und das war Beweis genug.« Michael winkte ab. »Ich will nimmer drüber reden. Ich hab’ die Strafe abgesessen. Meine Unschuld wird sich wohl nie herausstellen. Nun muss ich um meine Familie kämpfen. Sie zu verlieren wär’ für mich schlimmer – viel schlimmer als die Jahre im Gefängnis.«

»Haben S’ denn schon mit der Lara gesprochen?«, erkundigte sich Ria.

»Ja. Zu allem Unglück ist ihr Vater dazugekommen. Sie hat mich an der Haustür abgefertigt. Ich hab’ sie um ein Gespräch gebeten, und sie hat zugesagt.«

»Na ja, vielleicht wird alles gut, Herr Böckl. Füllen S’ bitte eine Anmeldung aus, dann geb’ ich Ihnen den Zimmerschlüssel. Ich kann Ihnen das Zimmer sogar um einen reduzierten Preis vermieten, da die Saison noch net begonnen hat. Frühstück ist im Preis inbegriffen. Haben S’ irgendeinen besonderen Wunsch, das Frühstück betreffend?«

»Das hat mich schon lang keiner mehr gefragt«, sagte Michael, und jetzt lächelte er sogar. Dann schüttelte er den Kopf: »Keine Sonderwünsche, Frau Stubler. Ich bin ganz und gar net anspruchsvoll.«

Ria legte ihm ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber hin. Er füllte die Anmeldung aus, dann übergab ihm die Pensionswirtin den Zimmerschlüssel, wies mit dem ausgestreckten Arm in den Korridor hinein und sagte: »Ganz hinten, links. Es ist ein ruhiges Zimmer. Wenn S’ aus dem Fenster schauen, sehen S’ nur die Bäume und Sträucher meines Gartens. Ich hoff’, das behagt Ihnen.«

»Mit Sicherheit. Gibts hier im Dorf einen Telefonladen? Ich brauch’ ein Handy. Meines hat im Gefängnis den Geist aufgegeben, und ein neues hab’ ich mir net angeschafft. Wenn ich telefoniert hab’, dann übers Festnetz. Man sieht ja die meisten jungen Leut’ nur noch mit dem Handy am Ohr oder den Blick auf das Display gerichtet herumlaufen. Bevor ich …« Er brach ab, räusperte sich, schluckte und fuhr fort: »… damals festgenommen worden bin, war das bei Weitem net so schlimm.«

»Es sind net nur die jungen Leut’«, bemerkte Ria. »Was meinen S’, was wegen der Handysucht schon für Unfälle passiert sind. Die haben nur noch Augen für das Smartphone und laufen sogar in Autos, gegen Laternenmasten, stolpern über Gehsteigränder und rennen sich gegenseitig über den Haufen.« Ria zuckte mit den Schultern. »Das ist so, und niemand kanns mehr ändern.« Nach diesen Worten, die sehr ergeben geklungen hatten, erklärte sie Michael den Weg zum Telefonshop. Michael bezog sein Zimmer. Er räumte die wenigen Habseligkeiten aus der Reisetasche und verstaute sie im Schrank. Im Badezimmer warf er sich einige Hände kaltes Wasser ins Gesicht und frottierte es ab. Es erfrischte ihn. Dann trat er ans Fenster heran und schaute gedankenverloren hinaus in den Garten. Bäume und Sträucher hatten zu grünen begonnen. Vögel zwitscherten, im Gras waren hier und dort die kleinen weißen Köpfe der Gänseblümchen und die größeren, gelben des Löwenzahns zu sehen.

Frühlingserwachen!