Die Hand aus der Vergangenheit - Toni Waidacher - E-Book

Die Hand aus der Vergangenheit E-Book

Toni Waidacher

0,0
3,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Es war ein Montagmorgen, kurz nach sieben Uhr, als sich die fünfzehnjährige Elenor von ihrer Mutter mit einem flüchtigen Kuss verabschiedete. »Hoffentlich erwisch' ich den Schulbus noch«, brachte sie ihre Besorgnis zum Ausdruck. »Ich bin fast schon ein bissel spät dran.« »Das schaffst du schon«, machte ihr Celine Mut. »Musst halt ein bissel laufen. Aber du bist ja sportlich und es wird dir nix ausmachen.« Elenor lächelte. Ihre blauen Augen blitzten. Sie war ein hübscher Teenager mit langen blonden Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. »Du setzt halt immer das allergrößte Vertrauen in mich, Mama. Bis Mittag dann – tschüss!« Draußen war sie. Celine trat an das Fenster heran, von dem aus man auf die Straße schauen konnte, und gleich darauf erschien Elenor in ihrem Blickfeld. Das Mädchen war Celines ganzer Stolz. Mit verträumten Augen und voller Wärme blickte sie der mittelgroßen, schlanken Gestalt hinterher, die jetzt vom schnellen, ausholenden Schritt in einen leichten Dauerlauf verfiel, um den Schulbus nicht zu versäumen. Elenor besuchte in Garmisch-Partenkirchen das Werdenfels-Gymnasium. Sie wollte mal Naturwissenschaftlerin werden. Celine Kummer war alleinerziehend.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 130

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Bergpfarrer – 502 –

Die Hand aus der Vergangenheit

Als Celines Welt aus den Fugen geriet …

Toni Waidacher

Es war ein Montagmorgen, kurz nach sieben Uhr, als sich die fünfzehnjährige Elenor von ihrer Mutter mit einem flüchtigen Kuss verabschiedete. »Hoffentlich erwisch’ ich den Schulbus noch«, brachte sie ihre Besorgnis zum Ausdruck. »Ich bin fast schon ein bissel spät dran.«

»Das schaffst du schon«, machte ihr Celine Mut. »Musst halt ein bissel laufen. Aber du bist ja sportlich und es wird dir nix ausmachen.«

Elenor lächelte. Ihre blauen Augen blitzten. Sie war ein hübscher Teenager mit langen blonden Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. »Du setzt halt immer das allergrößte Vertrauen in mich, Mama. Bis Mittag dann – tschüss!«

Draußen war sie.

Celine trat an das Fenster heran, von dem aus man auf die Straße schauen konnte, und gleich darauf erschien Elenor in ihrem Blickfeld. Das Mädchen war Celines ganzer Stolz. Mit verträumten Augen und voller Wärme blickte sie der mittelgroßen, schlanken Gestalt hinterher, die jetzt vom schnellen, ausholenden Schritt in einen leichten Dauerlauf verfiel, um den Schulbus nicht zu versäumen. Elenor besuchte in Garmisch-Partenkirchen das Werdenfels-Gymnasium. Sie wollte mal Naturwissenschaftlerin werden. Celine Kummer war alleinerziehend. Ihr Mann, mit dem sie vor sieben Jahren nach St. Johann gezogen war, weil Rüdiger hier damals eine Stelle als Abteilungsleiter bei der Forstverwaltung angetreten hatte, war vor drei Jahren überraschend verstorben. Manches Mal fehlte er ihr sehr, und auch Elenor vermisste den Vater. Sie, Celine, war bemüht, ihn dem Mädchen so gut es ging zu ersetzen.

Einige Verwandte und frühere Bekannte hatten ihr nach Rüdigers Tod geraten, wieder nach Garmisch zurückzukehren. Lange war sie damals auch unschlüssig gewesen. Doch dann hatte sie sich für das Wachnertal und St. Johann entschieden. Hier war ihr Lebensmittelpunkt, hier war sie integriert, Elenors Freundinnen lebten hier – und auf dem Friedhof lag Rüdiger begraben. Sie hatten sich geliebt, Rüdiger hatte sie auf Händen getragen, und als er starb, war für sie eine Welt zusammengebrochen.

Doch sie hatte sich wieder gefangen, und nun lebte sie ausschließlich für Elenor.

Celine räumte den Frühstückstisch ab, dann verließ sie ihre Wohnung, um im Supermarkt ein paar Einkäufe zu tätigen. Beim ›Herrnbacher‹, so wurde der kleine Supermarkt von den Einheimischen genannt, weil der Inhaber diesen Namen trug, traf sie Sophie Tappert, die Pfarrhaushälterin.

»Grüaß Ihnen, Frau Kummer«, grüßte Sophie lächelnd. Sie mochte die Achtunddreißigjährige, und sie respektierte sie, brachte Celine doch Haushalt, Beruf und Kindererziehung ohne fremde Hilfe offenbar problemlos auf die Reihe. Es gab nichts Negatives über sie zu berichten. Nicht einmal die Maria Erbling, bekannt als üble Dorftratsche, die nichts und niemanden verschonte, hatte über Celine etwas zu verbreiten.

»Habe die Ehre, Frau Tappert«, erwiderte Celine den freundlichen Gruß. »Freut mich, Sie wieder mal beim Einkaufen zu treffen. Wie gehts denn allweil so? Den Herrn Pfarrer seh’ ich jeden Sonntag, wenn die Elenor und ich die Messe besuchen.«

»Ja, ja, er hat mir schon erzählt, dass sie jeden Sonntag mit ihrem hübschen Madel die Vormittagsmess’ besuchen. Er ist ziemlich beeindruckt von Ihnen, Frau Kummer. ›Es ist bewundernswert, wie die junge Frau alles so gut meistert und dennoch so positiv eingestellt ist‹, sagt er des Öfteren.«

»Diese hohe Meinung des Pfarrers über mich macht mich ja richtig stolz«, freute sich Celine. »Er grüßt zwar immer recht freundlich zu uns her, aber da er zu allen Leut’ freundlich ist, wär’ ich nie auf die Idee gekommen, dass er über Gebühr Notiz von uns nimmt. Er hätt’ ja auch ganz schön was zu tun, wenn er jedem Mitglied seiner Kirchengemeinde über die Maßen Beachtung schenken müsst’.«

»Unser Hochwürden hat auf jeden ein Aug’«, ertönte es zwischen zwei Regalen. Über die Schulter der Pfarrhaushälterin konnte Celine der Sprecherin direkt in die Augen schauen. Es war die Erbling-Maria, die Witwe des früheren Poststellenleiters von St. Johann.

Das darf doch net wahr sein!, durchfuhr es Sophie. Die Maria! Ist man vor ihr denn nirgends sicher? Die Pfarrhaushälterin drehte sich um. »Sie haben doch net etwa unser Gespräch belauscht, Frau Erbling?«

»I wo, Frau Tappert. Das würd’ mir ja net im Traum einfallen. So was macht man doch net. Es war Zufall, dass ich von der anderen Seite zwischen die beiden Regale gekommen bin. Zunächst mal einen guten Morgen, die Damen. Meistens treffen wir uns ja beim Terzing, Frau Tappert, wenn Sie die Frühstücksemmeln für den Herrn Pfarrer besorgen.«

Leider, dachte Sophie. Gesteigerten Wert leg’ ich darauf allerdings net. Laut sagte sie: »Ich hab’ leider Gottes net allzu viel Zeit, denn ich muss zusehen, dass ich bis um zwölf Uhr eine Mahlzeit fertigbring’, kommt doch der Bruder des Herrn Pfarrers wieder zum Mittagessen.«

»Wie halt jeden Tag während der Woche«, fügte die Maria hinzu. »Es spricht sich immer wieder herum, Frau Tappert, wie Sie die beiden Brüder mit Ihren Kochkünsten verwöhnen. Was kochen S’ den heut’?«

»Eine Jägerpfanne mit Schweinelende, Champignons und Spätzle.«

»Hm, da würd’ ich auf der Stelle mitessen«, stieß die Maria geradezu verzückt hervor. »Na ja, so eilig müssten S’s deswegen aber net haben. Doch lassen S’ sich trotzdem net aufhalten, Frau Tappert. Ich wünsch’ Ihnen einen schönen Tag, und dass dem Herrn Pfarrer und seinem Bruder Ihre Jägerpfanne schmeckt.«

»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Sophie. »Auf Wiedersehen, Frau Kummer, einen schönen Gruß an Ihr Töchterl. Ihnen auch einen schönen Tag, Frau Erbling.«

Sie sah zu, dass sie weiterkam, ehe der Erbling-Maria noch etwas einfiel, das sie Sophie fragen oder erzählen könnte.

Als sie zwischen zwei anderen Regalen verschwunden war, wandte sich Maria Erbling an Celine: »Vorgestern, am Samstag also, hat mir die Schreiber-Gundi erzählt, dass sich ein Mann auf der Straße bei ihr erkundigt hat, wo Sie wohnen, Frau Kummer. Hat er Sie gefunden? Es war kein Hiesiger, hat mir die Gundi verraten. Sie hat gemeint, dass es vielleicht ein Beamter vom Jugendamt war, weil er sich auch nach Ihrer Tochter und den Verhältnissen kundig gemacht hat, unter denen Sie und das Madel leben.«

Marias lauernder und gleichzeitig erwartungsvoller Blick hatte sich auf Celines Gesicht geheftet. Die Achtunddreißigjährige schaute ziemlich überrascht drein. »Bei mir war niemand«, antwortete sie. »Warum sollt’ sich das Jugendamt für mich interessieren? Wir leben in geordneten Verhältnissen, haben unser Auskommen, die Elenor besucht regelmäßig die Schule und bringt sehr gute Noten nach Hause. Es gibt keinen Grund für das Jugendamt, mir auf die Finger zu schauen.«

Maria winkte ab. »Es war ja auch nur eine Vermutung der Schreiber-Gundi. Hört man doch immer wieder, dass Alleinerziehenden alles über den Kopf wächst und das Jugendamt eingreifen muss. Bei Ihnen hab’ ich da keine Bedenken. Das hab’ ich der Gundi auch gesagt.«

»Hat die Gundi den Mann beschrieben?«, fragte Celine, deren Interesse natürlich geweckt war. Sie konnte sich nicht vorstellen, wer es gewesen sein konnte, der sich nach ihrer Adresse erkundigte und Fragen über sie und Elenor stellte.

»Es war ein gut aussehender Mann um die vierzig, hat mir die Gundi erzählt«, antwortete Maria bereitwillig. »Elegant gekleidet, hat sehr vornehm gewirkt. Drum hat die Gundi ja gemeint, es könnt’ ein Beamter sein. Er hat auch wie wir gesprochen, muss also aus dem Allgäu kommen.«

Celine dachte kurz nach, dann zuckte sie mit den Schultern und sagte: »Ich hab’ keine Ahnung, wer an mir und Elenor Interesse haben könnt’. Gemeldet hat er sich jedenfalls net bei mir. Wenn er was von uns möcht’, wird er sich schon rühren. Sollt’s tatsächlich jemand vom Jugendamt sein … Ich hab’ mir nix vorzuwerfen.«

»Das weiß jeder im Dorf. Ja mei, Sie wissen ja, wie das manchmal so ist mit den Ämtern. Da wird oft mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Aber dort, wo’s angebracht wär’, da greifen s’ net ein. Da muss immer erst was passieren, damit s’ aufwachen, diese Bürohengste.«

Langsam aber sicher geriet die Erbling-Maria wieder in Fahrt, und Celine hatte keine Lust, sich ihrem Palaver länger als nötig auszusetzen. Sie schaute auf die Uhr an ihrem Handgelenk. »Ich muss heim, Frau Erbling, und für die Elenor das Essen kochen. Wenn sie heimkommt, bin ich nämlich schon auf dem Weg zu meiner Arbeit.«

»Sind S’ immer noch halbtags beim Obwandner im Büro beschäftigt?«, fragte die Maria.

»Ja, nach wie vor. Der Job ist genau das Richtige für mich, Frau Erbling. Tschüss. Man sieht sich gewiss irgendwann mal wieder.«

»Vielleicht wars auch nur ein Staubsaugervertreter oder einer, der billige Kochtöpf’ für teures Geld an den Mann bringen möcht’, der sich nach Ihrer Adresse erkundigt hat, Frau Kummer. Machen S’ sich deswegen keine Gedanken.«

»Tu’ ich schon net, Frau Erbling. Pfüat Ihnen.«

Celine lächelte Maria zu, wandte sich ab und steuerte ein Regal an, in dem eine Menge verschiedener Gemüsesorten und Kartoffeln feilgeboten wurden. Sie fragte sich, wer es gewesen sein konnte, der sich nach ihr und Elenor erkundigt hatte. Wer auch immer, dachte sie ein wenig sorgenvoll, er hat es gewiss nicht ohne irgendeinen Grund getan.

*

Die Woche verging. Am Samstagmittag hielt ein Mercedes der C-Klasse mit Garmisch-Partenkirchener Kennzeichen auf dem Parkplatz des Hotels ›Zum Löwen‹ in St. Johann. Ein Mann, etwa eins fünfundachtzig groß in einem saloppen braunen Anzug, stieg aus. Unter der Anzugjacke trug er lediglich ein schwarzes Sweatshirt. Seine Haare waren blond und leicht gewellt. Er schaute ausführlich in die Runde, ließ den Blick über die Bergketten schweifen, die das Wachnertal begrenzten und eine imposante Kulisse boten, dann ging er ins Hotel.

An der Rezeption saß Susanne Reisinger, die älteste Tochter des Hoteliers. Sie hatte längst die gesamte Verwaltung, die ein Hotelbetrieb notwendig machte, von ihrem Vater übernommen. Sepp Reisinger hatte sich mehr und mehr aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen und fungierte nur noch als Repräsentant des ›Löwen‹ und Berater seiner Töchter.

»Habe die Ehre«, grüßte der Neuankömmling. »Grüaß Ihnen«, erwiderte Susi den Gruß. Sie hatte den Blick vom Bildschirm ihres Laptops genommen und blickte den Gast an. Sie schätzte ihn auf etwa vierzig Jahre und stufte ihn augenblicklich als ziemlich weltgewandt ein. »Was kann ich für Sie tun?«

»Mein Name ist Pfaffenzeller – Dennis Pfaffenzeller. Ich vermute, dass Sie es waren, mit der ich vorgestern wegen eines Zimmers telefoniert habe. Ich habe bis zum nächsten Sonntag gebucht.«

»Ja, ich erinnere mich. Sie kommen aus Garmisch, gell? Da ich mir net vorstellen kann, dass Sie nur eine Halbstundenfahrt von ihrem Wohnort entfernt Urlaub machen, nehm’ ich an, dass Sie geschäftlich hier sind.«

Dennis schob die Unterlippe etwas vor, schien nachzudenken, wiegte den Kopf und erwiderte: »So kann man es net bezeichnen. Ich möcht’ sagen, es ist mehr privater Natur.« Für einige Augenblicke trat wieder der grüblerische Ausdruck in seine blauen Augen. »Ich muss mich erst mal an die Sache herantasten – vorsichtig herantasten. Es ist alles so ungewiss.«

»Sie sprechen in Rätseln, Herr Pfaffenzeller.« Susi lachte entwaffnend. »Doch ich will net neugierig sein. Ich heiße Sie bei uns im Hotel ›Zum Löwen‹ willkommen. Das Zimmer für Sie ist vorbereitet, ich mein’, Sie können es sofort beziehen. Frühstück gibt es ab sieben Uhr. Sollten S’ fragen oder Beschwerden haben, können S’ sich jederzeit an mich wenden.«

»Danke, Sie sind sehr freundlich.« Dennis nahm von Susi den Zimmerschlüssel entgegen. »Ich hol’ dann mal mein Gepäck«, murmelte er, wandte sich um und ging wieder nach draußen. Als er zurückkam, trug er über dem linken Arm eine Reisetasche.

»Das Zimmer finden S’ in der ersten Etage«, rief ihm Susi hinterher, als er zur Treppe ging. »Sie können auch den Aufzug benutzen.«

»Ich bin zwar nimmer der Jüngste«, rief er lachend über die Schulter, »aber die paar Stufen schaff’ ich noch.« Sprach’s und stieg leichtfüßig die Treppe empor.

»Net mehr der Jüngste«, wiederholte Susi lächelnd und klickte die Anmeldung auf den Bildschirm. »Gerade mal vierzig«, murmelte sie, »und schaut aus, als könnt’ er Bäum’ ausreißen.«

Schon zehn Minuten später erschien Dennis wieder bei der Rezeption. Er hielt einen kleinen Zettel in der Hand, auf den er etwas notiert hatte. »Entschuldigen S’ bitte, wenn ich Sie stör’«, sagte er, »aber können Sie mir verraten, wie ich zum …«, er brach ab und warf einen Blick auf den Zettel, »… Landrat-Hennes-Baldauf-Weg komm’?«

Susi erklärte ihm, wie er gehen musste.

»Sie kennen doch sicher die Frau Celine Kummer?«, fragte er, als er sich schon abwenden wollte, es sich offenbar aber anders überlegt hatte.

»Die Celine … Natürlich kenn’ ich sie. In St. Johann kennt jeder jeden.« Plötzlich lächelte Susi. »Ist etwa die Celine der Grund, der Sie nach St. Johann geführt hat?«

»Mehr oder weniger«, gestand Dennis. »Sie und ihre Tochter sollen es net besonders einfach haben, hab’ ich mir sagen lassen.«

»Das hört sich an, als würden S’ die Celine gar net persönlich kennen.«

»In der Tat«, murmelte Dennis, »ich hatte noch nicht das Vergnügen, sie kennenzulernen.« Er dachte kurz nach und vermied es dabei, Susi anzusehen. Schließlich ergriff er noch einmal das Wort und sagte: »Wir haben uns auf einer Dating-Plattform ein bissel ausgetauscht. Natürlich will ich net die Katze im Sack kaufen, und so hab’ ich mich vor einer Woche ein bissel kundig gemacht …«

»Das heißt, dass Sie vorigen Samstag schon einmal in St. Johann waren?«, schloss Susi.

Dennis nickte. »Ja. Ich hab’ mit einer Frau auf der Straße gesprochen. Sie hat mir erzählt, dass es die Celine Kummer net gerade leicht gehabt hat im Leben.«

»Hat Ihnen die Celine, als Sie sich online ausgetauscht haben, etwa was anderes erzählt?«, fragte Susi.

»Darüber haben wir gar net geredet«, versetzte Dennis. »Ich hab’ net danach gefragt, weil ich weiß, dass bei diesen Online-Dates oftmals sehr geflunkert wird. Jeder versucht sich natürlich so gut wie möglich zu verkaufen. Nein, das ist net meins. Ich will genau wissen, worauf ich mich einlass’. Und darum hab’ ich Erkundigungen eingezogen.«

»Schau an, schau an«, murmelte Susi fast ungläubig wie im Selbstgespräch vor sich hin. »Wer hätt’ das gedacht.« Etwas lauter fügte sie hinzu: »Warum net? Die Celine ist noch net mal vierzig, und ihr Mann ist seit drei Jahren tot. Das Leben besteht net nur aus Arbeit, Kindererziehung, Haushalt und dem Gedenken an einen verstorbenen Ehemann. Eigentlich muss man die Celine beglückwünschen, dass sie sich zu diesem Schritt entschlossen hat. Ein paar Jahre noch, dann geht wahrscheinlich die Elenor auch aus dem Haus, und dann sitzt die Celine mutterseelenallein in der Wohnung und vereinsamt total.«

»Ihre Tochter soll das Gymnasium besuchen«, sagte Dennis.

»Die Elenor ist ein blitzsauberes, anständiges und sehr gescheites Madel«, antwortete Susi. »Aus der wird mal was. Das ist ja auch das Problem. Wenn das Madel Karriere machen möcht’, dann muss sie St. Johann verlassen. Dann hat die Celine niemand mehr. Ihre Verwandten wohnen in Garmisch oder in der Nähe … Ich glaub’, sie hat einen Bruder, der in Mittenwald wohnt. Die Celine ist noch viel zu jung, um nimmer am Leben teilzuhaben.«

»Sie arbeitet also«, zog Dennis Resümee. »Das hab’ ich Ihren Worten eben entnommen.«

»Mit dem bissel Witwenrente, die man ihr zahlt, käm’ sie kaum über die Runden«, erklärte Susi. »Drum hat sie einen Halbtagsjob beim Obwandner angenommen. Das ist der große Souvenirladen mitten im Ort. Da arbeitet sie im Büro; sie erledigt die Buchhaltung.« Susi zuckte mit den Schultern. »Das Leben ist halt teuer«, stieß sie hervor. »Sie muss Miete zahlen, hat ihre monatlichen fixen Kosten, und die Schule, die das Madel besucht, kostet auch Geld. Da muss jemand wie die Celine schon ranklotzen, um über die Runden zu kommen.«

»Also net auf Rosen gebettet«, fasste Dennis die Lebensverhältnisse von Celine Kummer und ihrer Tochter zusammen. »Aber sie schlägt sich tapfer.«

»Mit dieser Umschreibung haben S’ die Situation der Celine und Ihrer Tochter auf einen Nenner gebracht«, lobte Susi.

»Dann will ich mich mal auf den Weg machen«, sagte Dennis. »Danke, dass Sie mir etwas von Ihrer Zeit geschenkt haben, Frau Reisinger. Es war für mich ausgesprochen informativ.« Er winkte Susi mit einer lässigen Geste seiner rechten Hand zu, dann verließ er das Hotel.

*