Du bist nicht allein, Lisa! - Toni Waidacher - E-Book

Du bist nicht allein, Lisa! E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Es war an einem Freitagmittag, als Max Trenker, der Leiter der Polizeidienststelle von St. Johann beim Pfarrhaus vorfuhr, den Motor abstellte und aus seinem Dienstwagen stieg. Soeben verhallte der zwölfte Schlag der Kirchturmuhr in den Weiten des Wachnertals. Max rückte seine Dienstmütze zurecht, schaute sich um und läutete dann an der Haustür. Aber Sophie Tappert, die mütterliche Pfarrhaushälterin, hatte ihn schon durch das Küchenfenster vorfahren sehen und öffnete im selben Moment die Haustür, in dem Max den Daumen auf den Klingelknopf legte. »Hereinspaziert«, lud die Haushälterin den Bruder des Pfarrers ein. Er war von Montag bis Freitag täglicher Gast zum Mittagessen im Pfarrhaus. Claudia, seine Frau, war Journalistin bei einem Zeitungsverlag in Garmisch-Partenkirchen und ebenfalls den ganzen Tag über von zu Hause abwesend. Die Betreuung der beiden Kinder, des siebenjährigen Sebastian und der fünfjährigen Luisa, war durch die Schule beziehungsweise den Kindergarten sichergestellt. Max betrat den Flur und schnupperte in die Luft. »Gebackener Fisch«, konstatierte er. »Unverkennbar«, fügte er lächelnd hinzu, während er zur Garderobe ging, um Mütze und Uniformjacke abzulegen. »Goldbarschfilet mit Kartoffelsalat«, präzisierte Sophie. »Gehen S' nur schon ins Esszimmer, Max. Ihr Bruder telefoniert noch, wird aber auch gleich kommen.« Max hatte die Mütze auf die Hutablage gelegt und die Jacke an einen Haken gehängt.

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Der Bergpfarrer – 499 –

Du bist nicht allein, Lisa!

Toni Waidacher

Es war an einem Freitagmittag, als Max Trenker, der Leiter der Polizeidienststelle von St. Johann beim Pfarrhaus vorfuhr, den Motor abstellte und aus seinem Dienstwagen stieg. Soeben verhallte der zwölfte Schlag der Kirchturmuhr in den Weiten des Wachnertals.

Max rückte seine Dienstmütze zurecht, schaute sich um und läutete dann an der Haustür. Aber Sophie Tappert, die mütterliche Pfarrhaushälterin, hatte ihn schon durch das Küchenfenster vorfahren sehen und öffnete im selben Moment die Haustür, in dem Max den Daumen auf den Klingelknopf legte.

»Hereinspaziert«, lud die Haushälterin den Bruder des Pfarrers ein. Er war von Montag bis Freitag täglicher Gast zum Mittagessen im Pfarrhaus. Claudia, seine Frau, war Journalistin bei einem Zeitungsverlag in Garmisch-Partenkirchen und ebenfalls den ganzen Tag über von zu Hause abwesend. Die Betreuung der beiden Kinder, des siebenjährigen Sebastian und der fünfjährigen Luisa, war durch die Schule beziehungsweise den Kindergarten sichergestellt.

Max betrat den Flur und schnupperte in die Luft. »Gebackener Fisch«, konstatierte er. »Unverkennbar«, fügte er lächelnd hinzu, während er zur Garderobe ging, um Mütze und Uniformjacke abzulegen.

»Goldbarschfilet mit Kartoffelsalat«, präzisierte Sophie. »Gehen S’ nur schon ins Esszimmer, Max. Ihr Bruder telefoniert noch, wird aber auch gleich kommen.«

Max hatte die Mütze auf die Hutablage gelegt und die Jacke an einen Haken gehängt. »Goldbarsch ess’ ich für mein Leben gern«, erklärte er grinsend.

Du bist nicht

allein, Lisa

Eine schwierige Aufgabe

wartet auf Pfarrer Trenker…

Roman von Toni Waidacher

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»Und Ihr Kartoffelsalat stellt eh alles in den Schatten, Frau Tappert.«

Er begab sich ins Esszimmer und setzte sich an den gedeckten Tisch. In der Tischmitte stand eine Karaffe mit Mineralwasser, aus der er sich etwas in sein Glas goss und es mit einem Schluck leerte. Da erschien auch schon Sebastian.

»Habe die Ehre, Bruderherz«, grüßte er. »Wie geht’s, wie steht’s?«

»Servus, Sebastian. Wie soll’s schon gehen? Tagaus und tagein fast immer das Gleiche: ein paar Falschparker, hin und wieder ein Temposünder … Das war’s dann auch schon.«

»Seien wir froh, dass es so ruhig zugeht bei uns im Tal«, erwiderte der Bergpfarrer. »Ich möcht’ sagen, bei uns ist die Welt noch in Ordnung.«

»Dass das so ist, dafür bin ich auch dankbar«, erklärte Max.

»Wie geht’s der Claudia und den Kindern?«, erkundigte sich Sebastian.

In diesem Moment brachte Sophie Tappert das Essen. Die Fischfilets lagen auf einer Platte, der Kartoffelsalat, der mit fein geschnittenen Gewürzgurken durchmischt war, befand sich in einer Porzellanterrine. Sie stellte Platte und Schüssel auf den Tisch. »Bedienen S’ sich bitte selbst«, sagte sie, »und lassen S’ es sich schmecken.«

»Danke«, erwiderte Sebastian. »Dass es schmeckt, da bin ich mir völlig sicher.«

»Sie kriegen zwölf von zehn Punkten«, fügte Max lachend hinzu.

»Sie sind ein Charmeur«, versetzte die Haushälterin. »Sollten S’ irgendetwas brauchen, dann rühren S’ sich«, setzte sie noch hinzu, dann verließ sie das Esszimmer.

»Der Claudia und den beiden Kleinen geht’s gut«, beantwortete nun Max die Frage seines Bruders, während er ein Stück des goldbraun gebackenen Fischfilets mit der Gabel aufspießte und auf seinen Teller legte. »Hm«, machte er. »Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.«

»Tropf’ den Tisch net voll«, scherzte Sebastian und häufte sich mit einem Löffel Kartoffelsalat auf den Teller. »Ich hab’ mir eh vorgenommen, am Wochenende mal bei euch vorbeizuschauen«, sagte er. »Am Samstag, also morgen, am späten Nachmittag, wenn’s euch nix ausmacht.«

»Das passt hervorragend«, versetzte Max, »denn morgen Nachmittag hat die Lena Dienst, und ich darf den Herrgott einen guten Mann sein lassen. Die Claudia und die Kinder werden sich freuen. Was gibt’s sonst Neues?«

»In der Gemeinde Engelsbach ist etwas in Gang«, antwortete der Pfarrer. »Der Gemeinderat hat dort einen neuen Flächennutzungsplan gebilligt. Etwa fünf Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche am Rand von Engelsbach sollen in Bauland umgewandelt und erschlossen werden. Eine Berliner Bauträgergesellschaft will die Grundstücke kaufen und ein Feriendorf errichten. Der Garten der Marie-Luise Schuirer

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sollte ursprünglich in das Feriendorf integriert und den Vorstellungen der Bauträgergesellschaft entsprechend genutzt werden, aber dahingehend haben wir sowohl dem Bürgermeister von Engelsbach als auch dem Bauträger einen Strich durch die Rechnung gemacht.«

»Ich kenne diese Geschichte«, erklärte Max, der sich ebenfalls Kartoffelsalat auf den Teller gehäuft hatte und nun den ersten Bissen nahm. »Die Diözese in München kauft ihr den Grund ab. Der Marie-Luise wird nur der etwa sechshundert Quadratmeter große Platz bleiben, auf dem ihr Haus steht.«

»Wahrscheinlich wird s’ das Haus auch verkaufen«, gab Sebastian zu verstehen. »Der Hönig-Joachim hat nämlich ihrer Enkelin einen Heiratsantrag gemacht, und das Madel hat Ja gesagt. Die Karina wird dann, wenn sie und der Joachim verheiratet sind, in sein Haus einziehen und ihre Oma mitnehmen. Der Joachim hat nix dagegen. Er meint, dass sein Haus ausreichend Platz bietet, selbst wenn Kinder kommen sollten.«

Max schluckte einen Bissen von dem Fisch. »Schmeckt vorzüglich«, lobte er. Dann fügte er hinzu: »Geschäftsführer dieser Bauträgergesellschaft ist doch der Fast-Schwiegervater von Karina. Schubert ist sein Name, wenn ich mich net irr’.«

»Ja. Die Karina ist fest davon überzeugt, dass ihr der Andreas Schubert, mit dem sie ungefähr zwei Jahre zusammen war, eins auswischen wollt’. Und jetzt ist sie glücklich, dass für ihren Ex der Schuss gewissermaßen nach hinten losgegangen ist.«

»Wie ich dich kenn’, Bruder, hast du gegen die Idee, im Wachnertal ein Feriendorf zu etablieren, sicherlich eine Menge einzuwenden.«

»Du kennst mich gut«, erwiderte Sebastian. »Aber ich hab’ das, glaub’ ich, bereits das eine oder andere Mal angedeutet. Ja, ich hab’ eine Menge gegen den Plan einzuwenden, dass fünf Hektar Flora und Fauna den Schubraupen und Baggern zum Opfer fallen sollen, nur weil sich eine Gemeinde und eine Bauträgergesellschaft einen großen Reibach versprechen.«

»Es besteht ja auch die Gefahr, dass unser verehrtes Gemeindeoberhaupt auf dumme Gedanken kommt«, sagte Max lachend, »wenn er feststellt, dass der Greitlinger-Sepp von Engelsbach seine Pläne widerstandslos umsetzen kann.«

»Und schon hätten wir in der Gemeinde St. Johann einen neuen Kriegsschauplatz«, versetzte Sebastian grinsend. »Nein, nein, soweit lass’ ich’s erst gar net kommen. Das hab’ ich dem Greitlinger auch schon angedeutet. Ich glaub’ zwar net, dass er seine Absichten deswegen aufgibt, aber er wird sich drauf einstellen, dass ich alle Hebel in Bewegung setzen werd’, um das Projekt zu verhindern.«

»Ich wünsch’ dir jedenfalls viel Erfolg, Bruder«, erklärte Max.

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»Danke. Noch ist nix spruchreif. Die Sach’ mit der Schuirer-Marie-Luise ist jedenfalls in trockenen Tüchern. Sobald ihr Garten in Baugrundstücke umgelegt worden ist, lässt ihn die Diözese erschließen. Die Grundstücke werden dann im Rahmen der Erbpacht für neunundneunzig Jahre an Bauwillige abgegeben.«

»Das wird dem Greitlinger-Sepp und seinen Parteigängern ganz und gar net gefallen haben«, resümierte Max.

»Natürlich net. Aber ändern können sie’s auch nimmer. Jetzt machen s’ lange Gesichter, aber der Zug ist für sie abgefahren. Greitlingers Fehler war, dass er gleich mit dem schwersten Geschütz aufgefahren ist, als er von Enteignung gesprochen hat. Das war ein Einschüchterungsversuch, der im Endeffekt nach hinten losgegangen ist.«

»Das schadet gar nix«, erklärte Max. »Den Herrn Politikern darf ruhig mal ihre Grenze aufgezeigt werden, ehe sie zu übermütig werden. Das holt den einen oder anderen – zumindest für eine Weile – auf den Boden der Tatsachen zurück.«

*

»Dann pack’ ich’s mal wieder«, verabschiedete sich Max von seinem Bruder, nachdem sowohl sämtliche Fischfilets als auch der Kartoffelsalat verzehrt waren. Sophie war dabei, das Geschirr abzuräumen. »Es hat wieder einmal erstklassig geschmeckt, Frau Tappert«, lobte er, während er sich am Tisch hochstemmte.

»Das wär’ das allererste Mal, dass ihm Ihr Essen net erstklassig oder vorzüglich oder einmalig gemundet hätt’, Frau Tappert«, scherzte der Bergpfarrer.

Sophie lächelte stolz.

»Das kann ich gar net oft genug wiederholen«, erklärte Max. »Also, besten Dank für Speis’ und Trank, wir sehen uns dann am Montag wieder, Frau Tappert. Ich wünsch’ ein schönes Wochenende. – Du willst ja morgen Nachmittag mal vorbeischauen bei uns, Sebastian.«

»So ist es«, bestätigte der Pfarrer. »Sollt’ was dazwischenkommen, sag’ ich telefonisch Bescheid.«

Max ging in den Flur, zog seine Jacke an, stülpte sich die Mütze auf den Kopf und war wenig später mit seinem Dienstwagen unterwegs. Langsam ließ er den Wagen durch St. Johann rollen. Der Ort war schon voller Urlauber. Sie schlenderten auf den Gehsteigen entlang und schauten in die Auslagen der Geschäfte, oder saßen im Außenservicebereich der Cafés, Eisdielen und Restaurants und ließen es sich gut gehen.

Am Ortsrand gab es einen großen Parkplatz, auf dem unzählige Autos, aber auch einige Omnibusse geparkt waren. Mit den Omnibussen kamen zumeist Tagesausflügler, angezogen von den Schönheiten, der Ruhe und Beschaulichkeit sowie der Natürlichkeit des Wachnertals und seiner drei Gemeinden.

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Fremdenverkehr fand Max – ebenso wie sein Bruder, der Pfarrer – in Ordnung. Mit den Bestrebungen Bürgermeister Bruckners, St. Johann in eine Urlaubshochburg zu verwandeln, die alle möglichen Attraktionen im Angebot hatte, konnten er und Sebastian sich allerdings nicht anfreunden.

Max fuhr auf den Parkplatz und stellte den Dienstwagen im Schatten einer Baumkrone so ab, dass er die Landstraße aus Richtung Engelsbach im Auge hatte. Er öffnete das Seitenfenster, denn es war ein heißer Tag, und es würde sonst sehr schnell ungemütlich werden im Wageninnern.

Nur vereinzelte Autos näherten sich dem Ort. Eine knappe Viertelstunde war verstrichen. Keines der Fahrzeuge, die vorbeigefahren waren, war Max negativ aufgefallen, und er griff schon nach dem Zündschlüssel, um den Motor wieder zu starten, als er einen schwarzen Personenwagen näherkommen sah. Mal scherte er nach links aus, überfuhr die weiße Linie, wurde auf die rechte Seite zurückgesteuert, kam mit den Rädern aufs Bankett, wurde wieder auf die Fahrbahn gebracht, um gleich darauf wieder den Mittelstreifen zu überfahren.

Max kniff die Augen leicht zusammen. Der Fahrer hatte entweder ein gesundheitliches Problem, oder er war – betrunken.

Max startete den Motor, fuhr einen Kreis und folgte dem schwarzen Wagen. Kurz vor St. Johann bog er rechts ab und befuhr eine Seitenstraße – wieder in deutlichen Schlangenlinien.

Max gab etwas Gas, holte auf und schaltete die rote Signalschrift ›Stopp, Polizei‹ an der Windschutzscheibe ein. Außerdem hupte er zwei-mal, sodass der vor ihm fahrende Fahrzeuglenker auf ihn aufmerksam wurde. Das Martinshorn wollte er nicht benutzen, denn es war seiner Meinung nach nicht nötig.

In der Zwischenzeit hatte er auch die Nummer des Fahrzeugs lesen können und wusste, wer der Fahrer war. Sein Name war Xaver Römisch. Römisch war Mitte dreißig, lebte mit seiner Frau und zwei Kindern in St. Johann und arbeitete bei der Brauerei Deininger im Außendienst.

Xaver Römisch, wenn er denn am Lenkrad saß, schien ihn bemerkt zu haben, denn die Bremslichter des Nissan glühten auf, der Wagen wurde rechts rangesteuert und angehalten. Max setzte sein Fahrzeug hinter dem Nissan an den Straßenrand. Sie stiegen fast gleichzeitig aus.

Xaver Römisch schwankte, grinste schief, und Max schaute in zwei gerötete Augen. »Ah, die Polizei …«, kam es mit schwerer Zunge von Xaver, »… dein Freund und Helfer.« Er hickste, dann fuhr er fort: »Servus, Max. Was ist denn los? Bin ich zu schnell gefahren, hab’ ich jemand die Vorfahrt genommen? Warum hältst du mich an?«

Max forschte kurz in Xavers Zügen, dann antwortete er: »Du hast mit deinem Nissan die ganze Straße gebraucht, DubistnichtalleinLisa_Haberl_000065498.indd 7 08.07.22 14:11

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Xaver. Wenn ich dich sprechen hör’ und wenn ich dich so anschau’, dann kann ich mich des Eindrucks net erwehren, dass du ein paar Halbe oder Schnäpse zu viel intus hast.«

»Aber geh’, Max, ich fahr’ doch net betrunken mit dem Auto.« Xaver sprach abgehackt und lallend, was dafür sprach, dass er in der Tat dem Alkohol zu sehr zugesprochen hatte. »Du irrst dich. Ich schau’ vielleicht so aus, weil ich mich ein bissel erkältet hab’. Sommergrippe! Du weißt schon …«

»Mit einer Sommergrippe fährt man net Slalom auf der Landstraße«, entgegnete Max. »Außerdem kannst du vor Suff kaum reden. Tut mir leid, Xaver, aber ich muss mit dir einen Alkoholtest durchführen. Ich bin nämlich der Überzeugung, dass du sturzbetrunken bist. In deinem Zustand mit dem Auto zu fahren ist unverantwortlich. Mensch, Xaver, du hast einen Job, in dem du auf deinen Führerschein angewiesen bist. Du trägst für deine Familie die finanzielle Verantwortung. Was meinst du, was aus euch wird, wenn du wegen dieser Trunkenheitsfahrt den Führerschein verlierst?«

»Ich hab’ nur zwei Halbe Bier getrunken«, beteuerte Xaver und hatte Mühe, sich aufrecht zu halten. »Wirklich, Max – zwei Halbe nur. Du – du kannst doch mal ein Auge zudrücken. Du hast es eben selbst angesprochen. Ich hab’ eine Frau und zwei Kinder zu ernähren. Es reicht jetzt schon fast net von einem Ersten zum nächsten.«

»Das geht net, Xaver«, lehnte Max das Ansinnen ab. »Das wär’ eine Ungleichbehandlung und könnt’ mich in des Teufels Küche bringen. Unabhängig davon kann ich net dulden, dass du in deinem Zustand am Straßenverkehr teilnimmst. Du gefährdet net nur dich selber, sondern in einem hohen Maß auch andere. Du bist eine Gefahr für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer. Komm mit zu meinem Wagen. Du machst jetzt einen Alkoholtest, und wenn der anzeigt, dass du betrunken bist, dann fahr’ ich dich hinauf in die Bergklinik und lass dir Blut abzapfen. Also komm!«

In Xavers Gesicht arbeitete es krampfhaft. Seine geröteten Augen flackerten unruhig, seine Hände öffneten und schlossen sich. Er war total angespannt, und einen Moment lang sah es sogar so aus, als würde er sich herumwerfen und die Flucht ergreifen wollen. Plötzlich aber sackten seine Schultern nach vorn, er stieß scharf die Luft durch die Nase aus und murmelte: »Ist schon gut, Max. Du tust ja auch nur deine Pflicht.«

Er folgte Max zum Einsatzfahrzeug. Max holte die Utensilien für den Alkoholtest aus dem Wagen, gab Xaver das Messgerät und sagte: »Tief Luft holen und dann hineinblasen, Xaver, und zwar in einem gleichmäßigen Tempo und ohne abzusetzen, bis der Beutel voll Luft ist. Verstanden?«

Xaver nickte nur, holte Luft, setzte sich das Mundstück an die Lippen

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und blies. Dann reichte er das Messgerät Max, der einen Blick darauf warf. »Donnerwetter, Xaver! Von zwei Halben Bier hast du einen Blutalkoholwert von fast zweieinhalb Promille. Zwei Halbe – die erste und die letzte, gell? Die Biere dazwischen hast du net gezählt, wie?«

»Diese Messgeräte sind doch gar net zuverlässig«, brummte Xaver.

»Weil das so ist, Xaver, setzt du dich jetzt zu mir ins Auto, und wir fahren gemeinsam hinauf in die Bergklinik. Dort nimmt man dir Blut ab und gibt es ins Labor, und man wird auf ein Hundertstel Promille genau feststellen, wie viel Alkohol durch deine Adern fließt.«

»Willst du net doch ein Auge zudrücken, Max? Du stürzt uns in die bittere Armut, wenn du …«

Etwas ungeduldig winkte Max ab. »Net ich stürz’ euch in die Armut, Xaver. Du bist es, der sich selbst ins Unglück gestürzt hat. Und deine Familie ziehst du mit hinein in den Schlamassel. Ich find’s schon ein bissel fatal, wenn du jetzt versuchst, die Schuld dafür mir zuzuschieben. Du hast es vorhin selbst zum Ausdruck gebracht: Ich mach’ hier meinen Job. – Dein Auto kannst du hier stehenlassen. Sperr’s ab, und dann schwing’ dich auf den Beifahrersitz im Dienstwagen. Und hör’ auf, mich zu bedrängen, dass ich dich laufen lass’. Das wär’ meinerseits eine grobe Dienstpflichtverletzung. Wenn dir was passiert oder du in deinem Suff einem anderen schadest, müsst’ ich mir mein Leben lang Vorwürfe machen. Keine Chance, Xaver.«

Der Betrunkene zog den Kopf zwischen die Schultern und ergab sich in sein Schicksal.

*

Am Samstagnachmittag, gegen vier Uhr, besuchte der Bergpfarrer seinen Bruder und dessen Familie. Für sein Taufkind, den kleinen Sebastian, brachte er eine Packung Bauernhof-Zubehör von Playmobil mit, der fünfjährigen Luisa ein Bekleidungsset für ihre Barbiepuppen. Claudia erhielt einen bunten Strauß Blumen, Max eine Flasche Rotwein der Marke, von der er gerne mal abends zusammen mit Claudia ein Gläschen trank.