Am Anfang war es Liebe - Patricia Vandenberg - E-Book

Am Anfang war es Liebe E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. April – der weiß nicht, was er will, und so sah es draußen auch aus. Ariane lehnte die Stirn an die kalte Fensterscheibe. Schnee war wieder gefallen in der Nacht, jetzt lugte die Sonne ein bißchen hervor, doch schon wenige Minuten später begann es zu rieseln. Diesmal war es kein Schnee, sondern Regen. So war es auch an ihrem Hochzeitstag gewesen vor genau vier Jahren, und da hatte man gesagt, daß es Glück brächte, wenn Regentropfen auf den Brautschleier fallen. Ein spöttisches Lächeln legte sich um ihren Mund. Was ist denn Glück, dachte sie. Jedenfalls war Carlo mal wieder weg, und er hatte den Hochzeitstag bestimmt vergessen. Nicht mal für einen Anruf nahm er sich Zeit. Es tat ihm auch nicht leid. Was ist das denn schon, muß man immer so ein Theater machen um bestimmte Tage, um Feste, die sich doch immer wiederholen? Das war sein Reden, aber sie hatte ihn so erst in der Ehe kennengelernt. Vorher war er aufmerksam, charmant und liebenswürdig gewesen. Sie wußte längst, warum er sich so um sie bemüht hatte. Sie war eine glänzende Partie, und sie war bis über beide Ohren in den attraktiven Carlo Torello verliebt gewesen, der ein bekannter Turnierreiter war. Sie war eine Pferdenärrin. So hatten sie sich auch kennengelernt, und ihr Vater, der Gutsbesitzer Rodenburg, hatte großzügig das Gestüt finanziert, für das Carlo sich interessiert hatte. Im ersten Ehejahr hatte er noch einige Erfolge gehabt, aber dann schien ihn das Glück verlassen zu haben. Zuerst hatte er noch gescherzt, daß er eben zuviel Glück in der Liebe hätte, aber Ariane hatte sich bald Gedanken gemacht, daß er damit nicht ein Glück mit ihr meinen könnte. Er war viel unterwegs.

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Dr. Norden Bestseller – 304 –

Am Anfang war es Liebe

Patricia Vandenberg

April – der weiß nicht, was er will, und so sah es draußen auch aus. Ariane lehnte die Stirn an die kalte Fensterscheibe. Schnee war wieder gefallen in der Nacht, jetzt lugte die Sonne ein bißchen hervor, doch schon wenige Minuten später begann es zu rieseln. Diesmal war es kein Schnee, sondern Regen.

So war es auch an ihrem Hochzeitstag gewesen vor genau vier Jahren, und da hatte man gesagt, daß es Glück brächte, wenn Regentropfen auf den Brautschleier fallen.

Ein spöttisches Lächeln legte sich um ihren Mund. Was ist denn Glück, dachte sie. Jedenfalls war Carlo mal wieder weg, und er hatte den Hochzeitstag bestimmt vergessen. Nicht mal für einen Anruf nahm er sich Zeit.

Es tat ihm auch nicht leid. Was ist das denn schon, muß man immer so ein Theater machen um bestimmte Tage, um Feste, die sich doch immer wiederholen? Das war sein Reden, aber sie hatte ihn so erst in der Ehe kennengelernt. Vorher war er aufmerksam, charmant und liebenswürdig gewesen.

Sie wußte längst, warum er sich so um sie bemüht hatte. Sie war eine glänzende Partie, und sie war bis über beide Ohren in den attraktiven Carlo Torello verliebt gewesen, der ein bekannter Turnierreiter war. Sie war eine Pferdenärrin. So hatten sie sich auch kennengelernt, und ihr Vater, der Gutsbesitzer Rodenburg, hatte großzügig das Gestüt finanziert, für das Carlo sich interessiert hatte.

Im ersten Ehejahr hatte er noch einige Erfolge gehabt, aber dann schien ihn das Glück verlassen zu haben. Zuerst hatte er noch gescherzt, daß er eben zuviel Glück in der Liebe hätte, aber Ariane hatte sich bald Gedanken gemacht, daß er damit nicht ein Glück mit ihr meinen könnte.

Er war viel unterwegs. Anfangs hatte sie ihn auch meist begleitet, aber dann hatte er plötzlich Andeutungen gemacht, daß sie sich mehr schonen solle, weil sie doch wohl auch Kinder haben wolle.

Das ist es also, was er vermißt, hatte sie damals gedacht, aber im Grunde konnte sie sich das doch nicht so recht vorstellen. Und nun, an diesem Tag, ihrem vierten Hochzeitstag, war sie an dem Punkt angelangt, sich einzugestehen, daß ihre Ehe wohl kaum noch zu retten sein würde, denn ein Kind war nicht gekommen, das diese noch zusammenhalten könnte.

Aber es war fast eine Trotzreaktion, als sie sich nun entschloß, Dr. Norden aufzusuchen, den einzigen Arzt, zu dem sie volles Vertrauen hatte, und der ihr bestimmt die Wahrheit sagen würde, warum sie kein Kind bekam, auch wenn er kein Gynäkologe war.

Gut Rodenburg lag etwa dreißig Minuten von München entfernt, und zur Praxis von Dr. Norden brauchte sie sogar noch zehn Minuten mehr, und eigentlich war die Entfernung zu groß, um Dr. Norden als Hausarzt zu bezeichnen, aber Arianes Eltern hatten ihn kennengelernt, als sie auf der Insel der Hoffnung zur Kur waren, und diese gehörte Daniel Norden und seinem Schwiegervater Dr. Johannes Cornelius zu gleichen Teilen. So war auch ein recht enger Kontakt entstanden, und vielleicht, so sagte Ariane, wie auch ihre Mutter, hätte Albrecht Rodenburg länger leben dürfen, wenn sie die beiden Ärzte früher kennengelernt hätte. Aber vor einem Jahr war er dann gestorben, schnell und schmerzlos, wie er es sich gewünscht hatte, aber das kranke Herz hatte versagt.

Es war ein harter Schicksalsschlag für Margret Rodenburg und Ariane gewesen, aber sie hatten schnell die Hoffnung aufgeben müssen, daß sich nun Carlo auch um das Gut kümmern würde.

Krullmann, der Verwalter, war auch nicht mehr der Jüngste, und wenn auch auf die Angestellten Verlaß war, die Sorgen wuchsen Margret und Ariane über den Kopf.

Einen Überblick über die finanziellen Verhältnisse hatten sie noch immer nicht gewonnen, und um diese zu bekommen, erwartete Margret Rodenburg an diesem Tag einen wichtigen Besuch. Sie hatte dies Ariane nur angedeutet.

Ariane rief bei Dr. Norden an und fragte Dorthe Harling, ob sie vielleicht am frühen Nachmittag kommen könne.

»Das trifft sich gut, Frau Torello«, erwiderte Dorthe, »heute ist keine offizielle Sprechstunde, es kommen nur Dauerpatienten zum Spritzen.«

Die Namen Rodenburg und Torello waren Dorthe Harling bekannt, obgleich sie noch nicht gar so lange in der Praxis tätig war, aber da sich ihre Tochter Jocelyn und ihr Mann Harald auch für Pferde interessierten, war ihnen Carlo Torello wohlbekannt. Dorthe Harling wußte auch einiges über Carlo, was keine Sympathie für ihn aufkommen ließ. Sie empfand für Ariane ein mütterliches Mitgefühl.

Ariane aß mit ihrer Mutter zu Mittag. Appetit hatten sie beide nicht.

»Wen erwartest du eigentlich, Mutsch?« fragte Ariane ihre noch jugendlich wirkende Mutter, deren glattes Gesicht nur von Wehmut überschattet war.

»Dr. Theissen von der Bank. Er hat sich freundlicherweise erboten, mich aufzusuchen, um mit mir die Finanzlage zu besprechen.«

»Ich wollte in die Stadt fahren«, sagte Ariane stockend.

»Fahr nur, lenk dich ein bißchen ab, Carlo wird ja wohl doch nicht kommen«, sagte Margret ironisch. »Er braucht ja nicht zu erwarten, daß du auf dem Sprung sitzt, wenn es dem Herrn gefällt, mal vorbeizuschauen.«

Ariane errötete leicht. »Ich habe mir eine Ehe auch anders vorgestellt, Mutsch«, sagte sie leise. »Aber was würdest du sagen, wenn es zu einer endgültigen Trennung käme?«

»Bitte, so schnell wie möglich«, erwiderte Margret, ohne eine Sekunde zu zögern.

»Das war deutlich«, sagte Ariane.

»Und ich würde es sehr begrüßen. Aber es wird sich ohnehin einiges verändern. Wir sprechen morgen darüber.«

»Kann ich dir etwas mitbringen aus der Stadt, Mutsch?« fragte Ariane stockend.

»O ja, Sachertorte von Raffael, mir läuft schon bei dem Gedanken das Wasser im Mund zusammen. Und kauf du dir was Hübsches, das hebt die Stimmung.«

Es war das erste Mal seit dem Tod des Gutsherrn, daß Margret wieder mal heitere Töne anschlug. Ariane überlegte, ob das mit dem Besuch zusammenhängen könnte, der auf Gut Rodenburg erwartet wurde.

Sie brach bald auf und fuhr noch am Gestüt vorbei. Die Pferde waren auf der Koppel. Sie vermißte zwei, die ihr besonders am Herzen lagen. Der Stallbursche Janko stand mit einem jungen Mädchen am Gatter.

»Hallo, Janko!« rief Ariane, und sie sah, daß er zusammenzuckte. Aber er kam näher. »Grüß Gott, gnädige Frau«, sagte er stockend. »Wollen Sie ausreiten?«

»Nein, ich fahre in die Stadt, aber ich vermisse Bianca und Dario.«

»Die sind doch gestern abgeholt worden.«

»Von wem?« fragte sie.

»Vom Boß. Hat er Ihnen nicht Bescheid gesagt?«

»Nein«, erwiderte sie knapp.

»Ich muß doch seinen Anordnungen folgen.«

»Aber Sie hätten mich anrufen können«, erwiderte sie. »Ich möchte informiert werden, wenn hier Pferde abgeholt werden und noch dazu wertvolle.«

»Sie sind alle wertvoll«, sagte Janko heiser.

»Dann sage ich, daß ab heute keines mehr geholt wird, wenn ich nicht einverstanden bin. Und wo ist Ruthart?«

»Er hat doch den Transport begleitet.«

»Dann soll er zu mir kommen, wenn er zurück ist.«

Ariane war zornig wie schon lange nicht mehr, wie überhaupt noch nie, wenn sie darüber nachdachte.

Aber war sie nicht selbst schuld, wenn Carlo sich soviel herausnahm? Sie hatte doch damals gesagt, daß ihnen alles gemeinsam gehöre. Er sollte doch wirklich nicht das Gefühl haben, daß er nichts allein entscheiden dürfe.

Sie war nicht nur verliebt gewesen, sondern blind und taub, das wurde ihr nun auch bewußt. Es gab gar keine Vertrauensbasis in ihrer Ehe.

Sie fuhren ganz schnell weiter, und Janko ging zu dem Mädchen zurück, das öfter kam und beim Stalldienst half.

»Das wird wohl bald krachen, Hanni«, sagte er, »und verdenken könnte ich es Frau Torello nicht.«

»Ich verstehe manche Männer nicht. Sie sieht doch sehr gut aus«, sagte Hanni.

»Aber ihm laufen die Weiber halt nach, und er ist so ein richtiger Pascha.«

*

Was macht er mit Bianca und Dario, was hat er vor, ging es Ariane durch den Sinn. Sie war sehr beunruhigt und konnte sich kaum auf den Verkehr konzentrieren, bis ein Taxifahrer sie anbrüllte, sie solle gefälligst aufpassen. »Grüner wird’s nicht mehr, blöde Kuh«, rief er aus dem Fenster. »Auch für Sie nicht, wenn Sie vom Dorf kommen.«

»Blöde Kuh«, wiederholte sie für sich selbst und fuhr dann weiter, aber sie war jetzt auch konzentrierter.

Sie war sehr pünktlich in Dr. Nordens Praxis. Dorthe war schon da, und Daniel Norden kam ein paar Minuten später.

»Das freut mich aber sehr, daß Sie wieder mal den Weg hierher finden, Frau Torello«, begrüßte er sie herzlich. »Wie geht es der Frau Mama?«

»So langsam scheinen die Lebensgeister wieder zu erwachen«, erwiderte Ariane.

»Und wo drückt bei Ihnen der Schuh?« fragte er, sie forschend betrachtend.

»Ich komme mit zwei Fragen zu Ihnen«, sagte sie leise. »Einmal woran es liegen kann, daß ich keine Kinder bekomme, zum anderen, wie es kommt, daß mir mein Mann immer gleichgültiger geworden ist.«

»Mit der zweiten Frage könnte man die erste womöglich beantworten«, erwiderte er ernst. »Psychische Spannungen können die Ursache sein. Andererseits könnte es aber auch der Fall sein, daß es am Mann liegt, wenn sich keine Kinder einstellen, wenn Männer das wohl auch nicht gern hören.«

»Ich will es genau wissen, und deshalb möchte ich mich gründlich untersuchen lassen.«

»Eine gründliche Untersuchung kann nie schaden, aber die sollten Sie bei Dr. Leitner vornehmen lassen. Er ist Gynäkologe, und in seiner Privatklinik befinden sich die modernsten Einrichtungen, die ich nicht habe. Dr. Leitner ist ein ausgezeichneter Frauenarzt, und er ist mein Freund. Ich wüßte Sie bestens betreut, Frau Torello.«

»Wird er mir auch die Wahrheit sagen?« fragte sie.

»Aber sicher, und in diesem besonderen Fall kann er Ihnen sicher besser helfen als ich. Es gibt da so viele Therapien, und sie sind auf die einzelnen Patientinnen zugeschnitten. Ich kann mich darum nicht so kümmern, weil bei mir sowieso so viele verschiedene Krankheiten zusammenkommen, und eine nicht ausgewogene Hormonbehandlung kann auch Folgen haben, die nicht vorausschaubar sind. Sie sind doch noch jung, und manchmal hilft allein schon die richtige Einstellung.«

Ariane sprach nicht aus, was sie dachte, aber vielleicht war es tatsächlich so, daß sie von Carlo keine Kinder mehr haben wollte. Sie war innerlich schon so weit von ihm entfernt, daß sie darüber auch schon nachdenken konnte. Aber da sie sich nun einmal zu einer Untersuchung entschlossen hatte und vielleicht steckte ja etwas in ihr, was man in den Griff bekommen konnte, fuhr sie auch gleich zu Dr. Leitner, nachdem Dr. Norden ein kurzes Telefongespräch mit ihm geführt hatte.

In der Leitner-Klinik ging es auch mal ruhiger zu, was ihn schon zu der Bemerkung veranlaßt hatte, daß die Babies bei dem gräßlichen Wetter lieber nicht die Nase ins rauhe Leben stecken wollten.

Ariane verlor schnell die Scheu vor Dr. Leitner. Er war ein ruhiger, sympathischer Mann, der nicht viel Worte machte, und sie konnte dann nur staunen, was es alles für Apparaturen gab, durch die langwierige und manchmal auch schmerzhafte Untersuchungen vermieden werden konnten.

Sie erfuhr dann, daß sie organisch, wie auch konstitutionell in bester Verfassung sei.

»Es wäre für einen Arzt eine Freude, wenn es viele solcher Patienten gäbe«, stellte Dr. Leitner fest, »aber leider sind so nur ganz wenige. Sie können sich glücklich und dankbar schätzen, aber sicher haben Sie durch eine gesunde und natürliche Lebensweise auch sehr viel dazu beigetragen.«

Ariane lächelte flüchtig. »Ich bin auf dem Gut aufgewachsen und hatte viel frische Luft, und gesund ernährt haben wir uns immer. Und trotzdem ist mein Vater nur achtundfünfzig Jahre alt geworden.«

»Manches wird ewig ein Rätsel bleiben, auch für uns Ärzte, Frau Torello. Wie es vom Schicksal bestimmt ist, kann man da nur sagen. Aber manches kann der Mensch auch selbst bestimmen.«

»Dann könnte ich also Kinder bekommen?« fragte sie.

»Vom medizinischen Standpunkt steht dem nichts im Wege.«

»Das ist immerhin beruhigend«, meinte sie, aber Dr. Leitner hörte da einen Unterton heraus, der ihn stutzig machte.

»Vielleicht sollten Sie Ihren Mann zu einer Untersuchung bewegen«, sagte er vorsichtig.

»Ich kann es ihm ja vorschlagen, aber die Antwort kenne ich schon«, erwiderte sie sarkastisch. Mehr sagte sie nicht, und Dr. Leitner, der erfahrene Frauenarzt, konnte sich sein Teil denken.

Ariane war dann so mit ihren Gedanken beschäftigt, daß sie fast die Sachertorte vergessen hätte.

Daran, sich etwas zu kaufen, dachte sie überhaupt nicht. Sie dachte jetzt über die Pferde nach, und da stieg dumpfer Groll in ihr empor.

Als sie heimkam, sank schon die Dämmerung herab, und anscheinend wollte Margrets Gast sich gerade verabschieden. Nun war Ariane doch ein bißchen neugierig.

Die Tür zum Wohnzimmer ging auf, und Margret erschien. »Da kommt ja meine Tochter gerade«, sagte sie, »dann können Sie Ariane auch gleich kennenlernen, Herr Doktor.«

Daß Mutsch sich diese Anreden nicht sparen kann, dachte Ariane unwillig, sie könnte doch auch einfach Dr. Theisen sagen, wenn es unbedingt mit Titel sein muß. Aber dieser Dr. Theisen war von imponierender Erscheinung, schwer schätzbaren Alters. Ariane würde auf Mitte dreißig tippen, aber ein Bankdirektor mußte wohl älter sein. Warum dachte sie überhaupt darüber nach?

Er machte eine höfliche Verbeugung, und blitzschnell wurde Ariane von sehr hellen grauen Augen gemustert. Er war groß und breitschultrig, hatte ein markantes Gesicht und blondgraues dichtes Haar.

»Es freut mich sehr, Frau Torello«, sagte er mit angenehmer dunkler Stimme. »Und ich hoffe, daß Sie den Entschluß Ihrer Frau Mutter billigen werden. Ich muß mich jetzt beeilen, meine Frau wartet, aber wir werden uns ja bald öfter sehen.«

Er küßte Margret die Hand, machte wieder eine Verbeugung vor Ariane und eilte zu seinem Wagen.

»Toller Schlitten«, sagte Ariane zu ihrer Mutter. »Gut, daß Carlo den nicht sieht, sonst würde er auch gleich solchen haben wollen.«

»Und wovon bitte?« fragte Margret spöttisch. »Es wird dich hoffentlich nicht zu sehr erschrecken, daß er ziemlich hoch verschuldet ist und uns mit an den Rand des Ruins getrieben hat.«

Ariane wurde kreidebleich. »Das erschreckt mich aber sehr«, stieß sie hervor, »und sollte er nun vielleicht unsere Pferde verkaufen?«

»Was meinst du damit?« fragte Margret, nun ihrerseits erschrocken.

»Er hat Bianca und Dario abholen lassen. Hat sich Ruthart schon gemeldet?«

»Nein, aber woher weißt du das?« fragte Margret heiser.

»Ich war beim Gestüt. Janko hat es mir gesagt.«

»Setzen wir uns erst einmal«, murmelte Margret, »es gibt ja auch bessere Nachrichten.«

»Und wie ist es mit der Sachertorte, Mutsch?« fragte Ariane.

»Später, Jane.«

Jane hatte sie sich selbst als Kind genannt, und das war ihr dann auch geblieben, wenigstens für gewisse Situationen.

»Genehmigen wir uns lieber ein Gläschen Sekt«, sagte Margret. »Welchen Eindruck hattest du von Dr. Theisen?«

»Einen ganz guten auf den ersten Blick. Für einen Bankdirektor ziemlich jung.«

»Aber sehr tüchtig. Seit sieben Jahren verheiratet, Vater von zwei Kindern. Er hat eine reizende Frau.«

»Warum gleich so persönlich, und warum erzählst du mir das? Ich werde froh sein, wenn ich den einen Mann loswerde. Meinst du, ich schiele nach einem anderen?«

»Sei nicht gleich so empfindlich.

Willst du dich wirklich von Carlo trennen?«

»Jetzt langt es doch. Soll ich auch noch für ihn arbeiten gehen, wenn er uns um alles gebracht hat?«

»Nun mal langsam und leise. Es braucht ja niemand zu wissen, daß es so schlimm nicht kommen wird. Wir werden ihm nur vorhalten, was er verwirtschaftet hat. Dr. Theisen hat eine genaue Aufstellung machen lassen. Und Rodenburg wird einen Pächter bekommen.«

»Einen Pächter? Aber kann ein Pächter die Schulden dann decken?«

»Es handelt sich um Dr. Theisens Bruder und um seinen Vater. Aber ich muß mich jetzt auch erst ein bißchen entspannen. Wir haben ja nicht geplaudert, sondern hart kalkuliert.«

»Das sind ja Neuigkeiten«, seufzte Ariane, aber sie wunderte sich im stillen, daß ihre Mutter sich gar nicht aufregte. Den Grund sollte sie dann bald erfahren.

Sie hatten zwei Gläschen Sekt getrunken und dazu dann doch Sachertorte gegessen. Wenn sich die Mutsch nicht aufregte, sah Ariane keinen Grund, nervös zu werden.

»Also, mein Kind, die Sache ist die: Rodenburg würde unter den Hammer kommen, wenn wir keinen Pächter finden. Für Carlo wird er allerdings als Käufer auftreten. Ich habe nicht die geringste Lust, ihn weiter auszuhalten. Sei mir deswegen nicht böse.«

»Keineswegs, Mutsch, du kennst ja meine Einstellung. Ich lasse mir nicht alles bieten. Was hat er denn schon mitgebracht? Ein paar Pokale und ein großartiges Auftreten. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, daß ich blind und taub war.«

»Aber wir haben uns auch beeindrucken lassen, Jane, und deshalb gibt es kein Scherbengericht zwischen uns. Immerhin habe ich mein Privatvermögen, und dein Vater war so klug, auch für dich ein hübsches Sümmchen festzulegen, daß sich dank Dr. Theisens Geschäftstüchtigkeit und Zuverlässigkeit vermehrt hat.«

»Es ist aber schon komisch, daß über ihn nie gesprochen wurde.«

»Carlo brauchte doch nicht Einblick in alles zu haben. Er hat sich doch an jeden herangemacht, bei dem er etwas profitieren konnte. Nun, ich bin froh, daß keine Kinder da sind, die er als Druckmittel benutzen könnte.«

»Da bin ich jetzt aber auch froh«, sagte Ariane. »Und was ist nun mit den Pächtern?«

»Dr. Theisens Vater stammte aus einem Gutshaushalt. Sie haben allerdings in Pommern alles verloren und nach dem Krieg war dann kein Geld da, um hier eine Landwirtschaft zu kaufen. Er hat alles mögliche gemacht, um wieder zu etwas zu kommen, und dann hatte er das Glück, daß sich die Tochter eines Hoteliers in ihn verliebte, als er es dort zum Geschäftsführer gebracht hatte. Von da an ging’s bergauf, aber er war nicht so ein Schlawiner wie Carlo. Er sorgte mit dafür, daß sich das Vermögen vermehrte, daß die Buben studieren konnten, aber den jüngeren, Jan heißt er übrigens, zog es zur Landwirtschaft. Das saß ihm im Blut. Und er hätte auch eine reiche Landwirtstochter heiraten können, aber da fehlte es an Zuneigung bei ihm. Er hat dann in einem landwirtschaftlichen Forschungsinstitut gearbeitet und wohl auch ganz ansehnlich verdient. Und nun bietet sich Rodenburg an. Dr. Theisen hat erst ganz vorsichtig vorgefühlt, aber er hat genauen Durchblick, was Carlo da alles angerichtet hat.«

»Und er wird sich gedacht haben, was ich für eine blöde Kuh sein muß, daß es soweit kommen konnte.«