Angst um den kleinen Bobby - Patricia Vandenberg - E-Book

Angst um den kleinen Bobby E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Dr. Daniel Norden war zutiefst erschrocken, als Viktoria Callenberg sein Sprechzimmer betrat, nur noch ein Schatten ihrer selbst, obgleich sie doch gerade erst von einem vierwöchigen Urlaub zurückgekommen sein sollte. »Was fehlt Ihnen?«, fragte er besorgt. »Waren Sie nicht im Urlaub?« Sie nickte und er sah, wie sie gegen die aufsteigenden Tränen an­kämpfte, die dann aber doch über ihre blassen Wangen rannen. »Es war die schrecklichste Zeit meines Lebens«, stammelte sie. »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll, Dr. Norden. Mir kommt es vor, als sei mein Mann nicht mehr normal. Aber er sagt, dass ich einen Tick hätte. Und manchmal denke ich, dass ich tatsächlich durchdrehe.« »Nun mal langsam. Erzählen Sie mir, was passiert ist«, sagte Dr. Norden mitfühlend. Viktoria blickte zu Boden. »Es ist ja nicht erst jetzt so. Er war schon immer eigenartig, aber Genie und Wahnsinn sollen ja dicht beisammenliegen.« Als Genie wurde der Geigenvirtuose Carlo Callenberg sogar von Dr. Nordens Schwager David De­lorme bezeichnet, und der war als Pianist und Dirigent selbst eine Klasse für sich und weltberühmt. Sechs Jahre war Viktoria mit ihm verheiratet. Neunzehn Jahre alt war die Industriellentochter Viktoria Vandamme gewesen, als sie sich in Carlo verliebte, und ihre Eltern hatten nur zögernd dieser Heirat zugestimmt. Dr. Norden wusste das, denn er kannte die Vandammes. »Meine Eltern haben ja so recht gehabt«, sagte Viktoria jetzt leise. »Carlo beansprucht alle Rechte für sich, mir billigt er kein einziges zu. Er sieht sich göttergleich, und ich bin in seinen Augen nur ein verwöhntes Balg. Wenn ich aufbegehre, verlangt er von mir,

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Dr. Norden Bestseller – 207 –

Angst um den kleinen Bobby

Patricia Vandenberg

Dr. Daniel Norden war zutiefst erschrocken, als Viktoria Callenberg sein Sprechzimmer betrat, nur noch ein Schatten ihrer selbst, obgleich sie doch gerade erst von einem vierwöchigen Urlaub zurückgekommen sein sollte.

»Was fehlt Ihnen?«, fragte er besorgt. »Waren Sie nicht im Urlaub?«

Sie nickte und er sah, wie sie gegen die aufsteigenden Tränen an­kämpfte, die dann aber doch über ihre blassen Wangen rannen.

»Es war die schrecklichste Zeit meines Lebens«, stammelte sie. »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll, Dr. Norden. Mir kommt es vor, als sei mein Mann nicht mehr normal. Aber er sagt, dass ich einen Tick hätte. Und manchmal denke ich, dass ich tatsächlich durchdrehe.«

»Nun mal langsam. Erzählen Sie mir, was passiert ist«, sagte Dr. Norden mitfühlend.

Viktoria blickte zu Boden. »Es ist ja nicht erst jetzt so. Er war schon immer eigenartig, aber Genie und Wahnsinn sollen ja dicht beisammenliegen.«

Als Genie wurde der Geigenvirtuose Carlo Callenberg sogar von Dr. Nordens Schwager David De­lorme bezeichnet, und der war als Pianist und Dirigent selbst eine Klasse für sich und weltberühmt.

Sechs Jahre war Viktoria mit ihm verheiratet. Neunzehn Jahre alt war die Industriellentochter Viktoria Vandamme gewesen, als sie sich in Carlo verliebte, und ihre Eltern hatten nur zögernd dieser Heirat zugestimmt. Dr. Norden wusste das, denn er kannte die Vandammes.

»Meine Eltern haben ja so recht gehabt«, sagte Viktoria jetzt leise. »Carlo beansprucht alle Rechte für sich, mir billigt er kein einziges zu. Er sieht sich göttergleich, und ich bin in seinen Augen nur ein verwöhntes Balg. Wenn ich aufbegehre, verlangt er von mir, dass ich niederknie und ihn um Verzeihung bitte.«

Sie schluchzte trocken auf.

»Das ist allerdings stark«, sagte Dr. Norden. »Und wie benimmt er sich Bobby gegenüber?«

Bobby, Roberto, war der vierjährige Sohn des Ehepaares, ein bildhübscher kleiner Bursche, schon sehr pfiffig und überaus musikalisch.

»Bobby ist sein Sohn, sein Produkt. Er hat nichts von mir, von meiner Familie, und das redet er ihm auch jeden Tag ein. Von einem gemeinsamen Urlaub kann gar keine Rede sein. Wir sind nach Portugal geflogen, doch am zweiten Tag ist Carlo mit Bobby zu seinen Eltern gefahren. Die hatten schon einen Wagen geschickt. Ich kann Ihnen das nicht schildern, Dr. Norden, es würde zu lange dauern.«

»Ich habe Zeit«, erwiderte er.

»Er hat mir nicht gesagt gehabt, dass er zu seinen Eltern fährt. Er hat nur gesagt, dass er mit dem Jungen die nötigen Besorgungen machen würde. Ich habe auf ihre Rückkehr gewartet und höllische Ängste ausgestanden. Dann kam ein Telegramm. ›Sind zu meinen Eltern, erhol dich gut.‹ Das war alles, was er mir mitteilte. Ich habe eine Woche gewartet, dann bin ich in die Toscana gefahren, wo Carlos Eltern leben, aber das Haus war leer. Ich fuhr zu meinen Eltern und bekam natürlich wieder zu hören, dass sie so was ja vorausgesehen hätten, aber sie waren dennoch sehr hilfsbereit. Ich konnte mit einem Anwalt sprechen, der ein Freund meines Bruders ist.« Sie hielt erschöpft inne. »Aber Marc Rogahn konnte mir auch nur sagen, dass er nicht das Recht hat, mir das Kind ohne weiteres wegzunehmen.«

»Wollte er es wegnehmen?«, fragte Dr. Norden.

Sie zuckte die Schultern. »Mein Bruder flog zur Algarve und fand die Nachricht vor, dass Bobby darauf bestanden hätte, mit seinen Großeltern nach Frankreich zu fahren. Sie waren in Biarritz. Phil reiste nach Biarritz und traf Bobby zufällig allein. Der Junge war völlig verwirrt und sagte, dass er Sehnsucht nach mir hätte. Daraufhin ging Phil der Gaul durch, und er machte Carlos Eltern die Hölle heiß. Carlo war nicht anwesend. Angeblich machte er eine Konzertreise, aber das entspricht nicht der Wahrheit, doch seine Eltern wollten ihn decken. Als Phil dann sagte, dass wir einen Anwalt eingeschaltet hätten und ich die Scheidungsklage einreichen würde, bekamen sie es mit der Angst und gaben Bobby heraus. Zwei Tage später erschien Carlo bei meinen Eltern und erklärte, dass er, falls ich die Scheidung einreichen würde, alles daransetzen würde, den Jungen zu behalten. Ich entschloss mich, in unser Haus zu­rückzukehren. Es war der größte Fehler. Er hat mich bedroht, sich und den Jungen umzubringen, wenn mir Bobby zugesprochen würde. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll, Dr. Norden.«

Da war allerdings guter Rat teuer, aber dass Viktoria seelische Hilfe brauchte, war Dr. Norden klar.

»Sie müssen jetzt Ruhe bewahren«, sagte er eindringlich. »Wenn Ihr Mann mit solchen Drohungen kommt, ist das ernst zu nehmen, denke ich, nach allem, was Sie mir sagten.«

»Es geht doch um mein Kind. Ich liebe Bobby. Ich betrachte ihn nicht als mein Produkt. Neun Monate hatte ich ihn für mich, und es war so viel Glück. Und auch die ersten zwei Jahre hat Carlo sich doch kaum um das Kind gekümmert. Mal sehen, wie er sich entwickelt, hat er so oft gesagt, und weil er sich dann so gut entwickelte, weil er intelligent und musikalisch ist, war Bobby dann plötzlich sein Produkt, das mit mir und meiner Familie überhaupt nichts gemein hat.« Sie machte wieder eine Pause. »Mir macht es nichts mehr aus, dass er mich betrügt, glauben Sie mir das bitte, aber der Gedanke, dass Bobby das miterleben müsste, wie viel Rechte sein Vater für sich beansprucht, wie er jetzt schon erlebt, wie gedemütigt ich werde, darüber könnte ich wirklich den Verstand verlieren.«

»Und gerade das dürfen Sie nicht, da es um Ihr Kind geht.«

Er betrachtete sie forschend. »Sehen Sie Gründe, für das merkwürdige Benehmen Ihres Mannes, Frau Callenberg?«, fragte er sie.

Wieder zuckten ihre Schultern. »Er hatte ein paar schlechte Kritiken, er ist nicht mehr so gefragt. Er hat sich einige Male wohl sehr seltsam benommen. Man entschuldigt nicht alles mit Starallüren. Aber vielleicht weiß Herr Delorme mehr. Würden Sie ihn fragen, Dr. Norden?«

»Das werde ich.«

»Ich stehe ja abseits, ich erfahre nichts, was nicht gerade in den Zeitungen steht. Seine Konzerte darf ich sowieso nicht besuchen. Das stört ihn. Ich bleibe auch lieber zu Hause bei Bobby. Da habe ich ihn dann wenigstens ganz für mich. Ja, es ist besonders schlimm geworden, seit Carlo so viel zu Hause ist.«

»Eine Scheidung kostet viel Geld«, sagte Dr. Norden nachdenklich.

»Das hat Marc auch gesagt, und darum will Carlo wohl auch keine Trennung.«

»Sie haben eine beträchtliche Mitgift in die Ehe gebracht, wie ich annehme.«

»Ich habe da nie egoistisch gedacht, aber mein Vater ist ein kühler Geschäftsmann. Er hat Sicherheitsventile eingebaut, wie er es selbst bezeichnet.«

»Dann denken Sie vorerst mal an Bobby«, sagte Dr. Norden.

»Aber ich lebe in ständiger Angst, dass etwas passieren könnte. Ich kann nicht mehr schlafen.«

»Ich gebe Ihnen ein leichtes Beruhigungsmittel, aber sprechen Sie alles noch einmal mit dem Anwalt durch. Sie vertrauen ihm?«

»O ja, er wird mir nicht falsch raten.«

»Und Ihre Familie?«

»Auf meinen Bruder kann ich mich auch verlassen. Meine Eltern sind natürlich nicht erbaut, dass es so gekommen ist, wie sie es vermutet haben. Ich bekomme schon immer wieder Vorwürfe zu hören. Ja, ich war jung, dumm und blind verliebt. Ich habe alles eingesehen, aber ich muss es nun auch ausbaden.«

Sie bemühte sich, tapfer zu sein, aber sie war im Innersten verzweifelt, und Dr. Norden wusste jetzt auch nicht, wie man ihr helfen könnte. Es war ein menschliches Schicksal, das ihm zu Herzen ging. Seine Frau Fee bekam es zu spüren, aber sie teilte ja alles mit ihm, und sie rief auch gleich in Zürich an, um David Delorme zu sprechen. Allerdings konnte sie nur seine Frau Katja erreichen, die sich allerdings sehr freute. Nur wenigen war bekannt, dass Katja Delorme nicht Fee Nordens richtige Schwester war. Katjas Mutter Anne hatte Dr. Cornelius, Fees Vater, in zweiter Ehe geheiratet.

Hatte Katja sich auch ganz dem Leben ihres Mannes angepasst und nicht viel Zeit für die übrige Familie, zu Fee hatte sie ein besonders herzliches Verhältnis gefunden.

»Was, den Callenberg habt ihr im Visier?«, fragte sie. »Der ist doch weg vom Fenster. Da geht es nur noch bergab. Was meinst du, was David mit ihm alles erlebt hat. In Paris hat er die Proben total geschmissen. Seine Frau ist doch eigentlich sehr nett, aber diese Affären, nein, die würde ich mir nicht bieten lassen.«

»David hat doch keine«, sagte Fee beruhigend.

»Das würde ihm auch nicht bekommen. Aber ich lasse ihn ja auch nicht aus den Augen. Außerdem ist er nicht so schizophren wie Callenberg. Einen Tick haben sie ja alle, diese Künstler, aber ich weiß zum Glück genau, wie ich meinen Mann behandeln muss.«

»Es kann doch nicht nur an der Frau liegen«, sagte Fee nachdenklich.

»Bei Callenberg bestimmt nicht, bei dem liegt es an zu vielen Frauen. Er sonnt sich darin, dass sie ihm zu Füßen liegen, David sehnt sich mehr nach seinem Bett.«

Katja sah es nach sieben Ehejahren schon gelassen. Früher war sie auch manchmal aus dem Häuschen geraten, wenn er zu sehr umschwärmt wurde, aber Fee gefiel es, wie munter sie plauderte.

Und dann konnte sie ihrem Mann sagen, dass Callenberg anscheinend mehrere Affären hatte.

»Das müsste bei einer Scheidung doch gegen ihn sprechen«, sagte er.

»Es muss bewiesen werden. Er scheint raffiniert zu sein. Jedenfalls wird Katja jetzt Augen und Ohren offen halten.«

»Bei ihnen ist alles okay?«

»Dafür sorgt sie schon. David braucht solche Frau.«

»Er will sie ja auch immer im Visier haben, in allen Konzerten«, lächelte Daniel amüsiert.

»Du lässt mich ja auch nicht allein ausgehen«, lachte Fee.

»Willst du es?«

»Gott bewahre mich. Wie können wir Viktoria Callenberg helfen?«

»Ich weiß es nicht, Fee. Ich denke, dass er sie mit solchen Drohungen nur unter Druck setzt, damit sie die Scheidung nicht einreicht.«

Aber Viktoria war nun bereit dazu, da ihr Mann ihr eine schreckliche Szene gemacht hatte, als sie nach Haus kam.

Er hatte gleich einen furchterregenden Eindruck auf sie gemacht, als er sie barsch fragte, wo sie sich herumgetrieben hätte.

Sie beherrschte sich, da sie Mieke, die Haushälterin, nahe wusste, der sie trauen konnte.

»Ich war bei Dr. Norden«, erwiderte sie mit erzwungener Ruhe.

»Dieser Wald- und Wiesendoktor. Wenn du krank bist, geh in eine Klinik«, fauchte er sie an.

»Ich bin nicht krank«, erwiderte sie.

»Und warum gehst du dann zum Arzt? Ach ja, er ist ja ein charmanter Mann, so ein richtiger Frauenheld.«

»Das ist er gewiss nicht«, widersprach Viktoria gereizt. »Er ist glücklich verheiratet, hat eine bildschöne Frau und fünf Kinder.«

Er kniff die Augen zusammen. »Wie die Proleten, direkt asozial, aber man kann ja eine Menge Kindergeld kassieren.«

»Ich finde solche Bemerkungen ziemlich geschmacklos«, sagte Viktoria eisig. »Geh du doch mal in eine Klinik und lass dich gründlich untersuchen.« Nun war ihr das doch noch herausgerutscht. Sie hatte sich nicht mehr beherrschen können.

Er stürzte auf sie zu, beschimpfte sie mit den übelsten Ausdrücken und schien auf sie einschlagen zu wollen, aber da kam Bobby hereingestürzt. Wie versteinert blieb das Kind stehen und starrte den Vater mit angstvollen Augen an. »Warum beschimpfst du Mami dauernd?«, fragte er bebend.

Carlo nahm sich zusammen. »Ich war ärgerlich, weil sie dich allein gelassen hat, Bobby«, sagte er.

»Ich war nicht allein. Mieke ist doch da, und sie passt auf mich auf. Mami war doch gar nicht lange weg. Und wir wissen immer, wo sie ist. Du sagst das nie, wenn du weggehst.«

»Geh ins Bett, du hast dich gar nicht einzumischen«, stieß Carlo hervor.

Bobby sah seine Mutter fragend an. Sie nickte. »Mieke wird dir zu essen geben, Bobby«, sagte sie leise.

»Ich habe keinen Hunger«, sagte der Junge trotzig, aber er verschwand.

»Ich habe heute noch eine Verabredung«, sagte Carlo kühl, »meine Anwesenheit bleibt dir erspart.«

»So kann es auch nicht weitergehen«, erklärte Viktoria. »Dieses Leben ist für mich unerträglich geworden.«

»Dann bring dich doch um«, sagte er böse, und darauf verließ auch sie das Zimmer.

Wenig später verließ er das Haus. Schnell ging Viktoria zu Bobby. Er saß auf dem Fensterbrett und starrte in den Garten.

»Ist er weg, Mami?«, fragte er.

»Ja, aber er wird wiederkommen.«

»Ich will aber nicht wieder zu den anderen Großeltern«, sagte der Kleine.

»Hat er das gesagt?«, fragte Viktoria vorsichtig.

»Nicht so, aber er hat gesagt, dass es da doch sehr schön ist. So schön ist es aber nicht. Er will nicht, dass ich dich lieb habe, aber ich habe dich lieb, Mami.«

»Ich habe dich auch sehr lieb, Bobby.« Sie unterdrückte ein Schluchzen.

»Du bist immer so traurig und so blass, Mami.«

Viktoria verlor jetzt doch die Fassung. »Ich habe mich schrecklich aufgeregt, weil er so einfach weggefahren ist mit dir, Bobby«, flüsterte sie. »Und ich hatte Angst.«

»Ich wollte ja mit dir telefonieren, aber sie haben es nicht erlaubt. Ich war so froh, als Phil gekommen ist, sonst hätten sie mich noch nach Amerika mitgenommen.«

Plötzlich war Viktoria ganz da. »Haben sie das gesagt?«, fragte sie.

»Sie haben darüber geredet, Mami. Sie haben gedacht, dass ich schlafe, aber ich habe nicht geschlafen. Warum ist Papi jetzt eigentlich so oft böse? Stimmt es, dass du weg willst, wegen einem anderen Mann?«

»Nein, das stimmt nicht, Bobby. Ich will nur dich nicht verlieren«, flüsterte sie.

»Aber ich will doch gar nicht weg von dir und Mieke. Warum ist Papi jetzt so oft zu Hause?«

Ja, warum, dachte Viktoria, so lange hat er doch nie Urlaub gemacht.

Sie ging dann zu Mieke, die recht trübsinnig in der Küche saß.

»War was los?«, fragte Viktoria ganz beiläufig.

»Ich weiß nicht. Zuerst ist ein Eilbrief gekommen, und dann hat er ein paarmal telefoniert. Um Bobby hat er sich jedenfalls nicht gekümmert, aber gepasst hat ihm auch nichts. Man kriegt ja richtig Angst vor ihm. Wenn Sie nicht wären, würde ich kündigen.«

»Tun Sie mir das nicht auch noch an, Mieke«, sagte Viktoria.

»Sie halten das doch auch nicht mehr lange durch, so dünn und durchsichtig, wie Sie jetzt schon sind«, sagte Mieke.

»Ich muss durchhalten, Mieke«, sagte Viktoria leise. »Es geht um Bobby. Aber wenn Sie gehen würden …«

»Nein, nein, so war das nicht gemeint. Ich halte schon zu Ihnen, darauf können Sie sich verlassen«, sagte Mieke rasch.

*

Am nächsten Morgen war Carlo wieder ganz der Alte, jedenfalls schien es so. Er war spät in der Nacht heimgekommen, obgleich sie schon lange getrennte Schlafzimmer hatten, hatte Viktoria ihn kommen hören.

Er müsse drei Tage nach London fliegen, sagte er. Nähere Erklärungen gab er nicht, aber die gab er ja auch schon lange nicht mehr. Von Bobby verabschiedete er sich auch nicht mit so viel Getue wie sonst, und so atmete Viktoria auf, als er in das Taxi stieg, das ihn zum Flughafen bringen sollte.

Mieke schüttelte nur den Kopf, und Bobby freute sich, als Viktoria sagte, dass sie den schönen Tag nützen wollten, um in den Tierpark zu fahren.

Sie fuhren auch bald los, und Viktoria merkte nicht, dass sie verfolgt wurden. Sie wäre auf solchen Gedanken auch niemals gekommen.

Merkwürdig kam es ihr erst vor, als sie auch im Tierpark mehrmals denselben Mann trafen, und der dann sogar versuchte, mit Bobby zu sprechen. Aber Bobby war scheu, und Viktoria legte nicht den geringsten Wert darauf, mit einem wildfremden Mann ins Gespräch zu kommen, auch wenn er es noch so geschickt anfing.

Bobby freute sich an den kleinen Affen und vor allem an den Löwenbabys, die so niedlich miteinander spielten.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mal groß und wild werden, Mami«, sagte er nachdenklich. »Sie sind doch so niedlich.«

Viktoria fand es auch immer noch unbegreiflich, wie Menschen sich verändern konnten, vor allem ihr Mann, der doch so liebenswürdig und charmant gewesen war, als sie sich kennenlernten, und in seinen Augen war jetzt auch manchmal so ein tückischer Ausdruck, wie bei jenem ausgewachsenen Tiger, der mit seiner Pranke durch das Gitter schlug und fauchte, sodass Bobby Angst bekam und schnell weitergehen wollte.