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Im Sommer 2004 erkrankte Anton, einer der Enkelsöhne des Autors, und musste operiert werden. Diagnose: Hirntumor. Der Text, der daraufhin entstand, ist eine Krankengeschichte - und mehr als das. "Eigentlich" - so ein Bücherwurm - "hat Beetz einen Roman geschrieben, eine Familienchronik, die straff und poetisch ein Stück Zeitgeschichte spiegelt." INHALT: WO ANFANGEN, Aus scheinbar heiterem Himmel DA WAR EIN KIND, ALS SIE ES ERFAHREN, ZU WARTEN MÜSSEN, Zur traurigen Frau UND JETZT KOMMT OSCAR HEUTE, AM 22. JULI, GEBOREN IM MONAT SEPTEMBER, ES IST DIES DIE VERKAUFSSTELLE DAS EIS-CAFÉ DREI ECKEN WEITER, Schon jetzt steht fest EPENDYMOM - INZWISCHEN HATTE MAN "AUCH ICH VERTRETE EIN HANDWERK", "Bis bald, Mama!" DIE OPERATION FÜNF TAGE WARTEZEIT - AM ABEND VOR DER OPERATION Leben - zum ersten, zum zweiten ALS DU ZUR WELT KAMST, ALL DAS SO ZU SEHEN, UM EINEN ANDREN TON HEUTE, AM 28. JULI 2004, WIE FORTFAHREN, Warten auf DIE HISTOLOGIE , WIEDER EINE WOCHE, SO GING DER JULI, Auch das noch DIE HISTOLOGIE DER ANRUF KAM - TAGS DARAUF, AM FREITAG, DEM 13., Daheim sein AM SAMSTAG, DEM 14. AUGUST, WENIG SPÄTER ALS ER IM ALTER VON OSCAR WAR, Der Dreizehnte AM 2. SEPTEMBER 2004, AM 2. SEPTEMBER, ZUR EIGENTLICHEN FEIER WIE ENDEN, Kein Event IM WÜRGEGRIFF DES ALLTAGS OBWOHL DIE FINANZEN - ZAUBERN UND TOBEN AM KRANKENBETT - Sowohl - als auch IM JAHR DARAUF, BARRETSTOWN GANG DIE FAHRT ZUM FLUGHAFEN, Rausschlich DA AUSKLANG BESCHÖNIGUNG WÄR, BARRETSTOWN WAR DIE REISE NACH HEIDELBERG, SEITHER GEHT'S IN A. -
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Seitenzahl: 113
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Dietmar Beetz
Anton G.
Eine Krankengeschichte
ISBN 978-3-86394-825-2 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 2006 im Verlag Edition D. B. Erfurt.
Gestaltung des Titelbildes: Sabine Beck
© 2012 EDITION digital® Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Claudia und ihren Kindern
wo und wie? Wo, wenn das, worum es hier geht, sich hinzieht, wenn noch kein echtes Ende absehbar ist, wenn sich der Anfang, der richtungbestimmende, zudem nur schwerlich benennen lässt? Wenn's vermutlich der Anfänge viele gab?
Der Anfänge viele... Ist, so zu schreiben, dem Thema angemessen? Dieser Schnörkel gleich zu Beginn, am Ende des ersten Absatzes - wirkt der nicht befremdlich, wird der nicht empfunden als peinlicher Versuch, das Schlimme, Bedrohliche, von dem zu berichten ist, tunlichst elegant zu packen, ja zu poetisieren?
Wie aber die Welt, diese Grimmig-Schöne, herrlich Einmalige, arg Gefährdete und alles Gefährdende, ohne solche Folie, solche Brillentönung ins Auge fassen? Wie das Dasein ertragen ohne Linderung, ohne Trost? Wie sich anders einem Menschenleben nähern?
ein Knabe an der, wie man einst schrieb, Schwelle zum Jünglingsalter, dem heute sogenannten Teenage; Anton - sein Name.
Anton G. hatte Mutter und Vater, ein Brüderchen, Großeltern und auch sonst eine zahlreiche, weitläufige Verwandt- und Bekanntschaft. Er lebte in A., einem Ort in Thüringen, dem Grünen Herzen Deutschlands, also dort, wo sich, treibt man diese Sichtweise auf die Spitze, das Zentrum Europas - 1 11und mithin der Mittelpunkt unseres Erdballs - befindet.
Hier nichts zu den Kriegen und Schwelbränden, Katastrophen und Hungersnöten anderswo, weit weg auf den Kontinenten im Süden, Südosten oder Südwesten. Auch nichts hier zu dem, was thüringenweit und in verwandten Ländern Ängste und Frust fast schon üblicherweise wieder und wieder in Siedepunktnähe trieb und treibt. Hier was zum Wetter.
Das war damals, 2004, kurz vor der Grenze vom Früh- zum Hochsommer, vielversprechend, ja verheißungsvoll. Juli, für Alte noch der Heumond oder Heuert, wie er im Wunschkalender steht, für Kids gleich Anton, Thüringer im Schulkindesalter, am 21. des Monats seit 13 Tagen: sommerlich sonnige Ferienzeit. -
13 Monate zuvor, im Juni 2003, lag Anton im Krankenhaus. Unterarmbruch beiderseits.
Er war mit Friedo, einem Freund, beim Sportplatz auf einen Kirschbaum geklettert, auf einen morschen Ast getreten, und da...
Friedo flitzte zum noch unverputzten Haus der Familie G., wo Kurt, das Oberhaupt, sich gerade an der Fassade zu schaffen machte, und als der, alarmiert, Richtung Sportplatz rannte, kam ihm Anton entgegen, wankend, an den erhobenen Armen die Hände wie geknickte Flügel.
"Bin von 'nem Kischbaum gefallen. Aus etwa vier Meter Höhe. Können auch viereinhalb Meter gewesen sein."
So Pingel Anton, der Coolman, damals. -
Mittlerweile waren die Brüche verheilt, und an den Unfall hatten sich, als er sich jährte, außer Anton vermutlich nur dessen Mutter und ihre Eltern, die Großeltern mütterlicherseits, erinnert, auch sie bloß beiläufig.
Verdrängt jenes Unglück, wenngleich nicht vergessen - eine Art Schwelbrand, der aufschoss im Gedächtnis der Großeltern an jenem 21. Juli 2004. -
13 Tage vorher waren die beiden Alten in A. gewesen, hatten die Zeugnisausgabe und den bevorstehenden Urlaub der Familie G. - zwei Wochen bei Freunden in Mecklenburg - zum Anlass genommen, mal wieder vorbeizuschaun.
Gute Zensuren für Anton, obwohl nicht ganz so prächtig wie noch im Vorjahr, am Ende der ersten Gymnasialklasse; Nachlassen speziell in Mathematik, dem Fach, für das er als besonders befähigt gegolten hatte - und dann auch seine Schul-Unlust in letzter Zeit, die angeblich vergessenen Hausaufgaben, die zur Unterschrift nicht vorlegten Mitteilungen, Mahnungen, Tadel...
"Er kommt in die Pubertät, unser Großer", diagnostizierte die Oma, um Festigkeit bemüht, und der Opa pflichtete kummervoll bei.
Bettina, die Mutter, nickte - in Gedanken offenbar wieder mal mehr bei dem nie gänzlich entwirrbaren, da und dort bereits verfilzten, durch Urlaubsvorbereitungen zusätzlich strapazierten Haushalts-Job-Ehe-Problemkonglomerat.
Beim Abgang nach diesem Kurzbesuch begleitete Anton die Großeltern zum Auto. Am Weg, auf einem Haufen Pflastersteine, der Tret-Roller, den er, erstmals mit einer Kugel in der Hand, Wochen zuvor beim Kegeln anläßlich der 1225-Jahr-Feier von A. gewonnen hatte.
Er müsse noch eine Feder auswechseln, dann wolle er ihn verkaufen; einen Käufer habe er schon.
So Anton - ungefragt - zum Opa, der stirnrunzelnd vor dem chromglänzenden, stellenweise bereits rostfleckigen Roller stehengeblieben war - eine Beiläufigkeit, die erst im nachhinein Gewicht bekommen sollte, und das gleich allem anderen
im Vorfeld des 21. Juli 2004.
Bei jenem Kurzbesuch 13 Tage zuvor - und knapp eine Woche vor dem Urlaub in Mecklenburg - sahen die Großeltern Anton zum letzten Mal scheinbar gesund.
erst die Oma, dann - von ihr - der Großvater, ist es noch nur ein Verdacht, der nicht einmal beim Namen genannt wird, doch erfassen beide, von Berufs wegen mit Symptomen vertraut, dass da was Schlimmes zur Abklärung ansteht, von allem, was ihnen bislang innerfamiliär widerfahren ist, das Schlimmste überhaupt.
"Bettina hat angerufen."
"Ja, und?"
Die Großmutter, die auf diesen Seiten "Katinka" genannt werden soll - sie schluckt. Wartet, bis der Großvater seinen Arbeitsutensilienkoffer abgestellt hat. Sagt dann: "Vorhin - von unterwegs. Wegen Anton."
Unwichtig, was der Großvater erwidert, wie er reagiert. Er, den seine Enkel "Teddy" nennen, woraus er selber gelegentlich gern "Deppy" macht - er hockt wenig später am Küchentisch, die Unterarme aufgestützt, die altersfleckigen Hände gefaltet.
Bettina, erfährt er, ist mit Anton zurückgefahren, allein; Kurt wird mit Oscar, dem Kleinen, nachkommen, mit der Bahn. - Nein, kein Ehekrach, im Gegenteil; was das betrifft, sei es schön gewesen. - Hätte es sein können.
Und dann - plötzlich: "Anton... Seit Tagen erbricht er, hat Kopfschmerzen und erbricht. Sie halten es... Sie haben es für einen Sonnenstich gehalten. Eine Bootsfahrt auf dem See dort, bei herrlichem Wetter, alle, auch Anton, in Höchstform - und seit der Nacht darauf das Erbrechen, ständig Übelkeit und nun, seit gestern Abend, auch - Doppelbilder."
Das kommt fast tonlos heraus. Stille danach, doch im Ohr, im Kopf wie ein Echo - dieses Wort, die Bezeichnung für ein richtungweisendes, beängstigendes Symptom: Doppelbilder, Doppelbilder...
"Tina", sagt die Mutter und Oma nach einer Weile, "sie wollte beruhigt werden, von mir hören, es sei nicht so schlimm, vielleicht doch nur ein Sonnenstich; aber ich hab ihr gesagt, dass Anton untersucht werden muss, gründlich und unverzüglich, dass sie am besten durchfährt mit ihm, weiter nach Arnstadt, gleich ins Krankenhaus zum Notfallarzt. Eigentlich müssten sie jetzt schon dort sein."
also gezwungen sein, untätig auszuharren - da werden, wie es ein vom Dasein durchgewalkter Sprücheklopfer auf den Punkt gebracht hat, selbst bei hellem Tageslicht Nachtmahr-Geschwader aktiv.
An jenem 21. Juli ging die Sonne 20 Uhr 25 unter, und die Dämmerung zog sich, hochsommergemäß, hin bis gegen halb zehn. Man konnte auf dem Balkon sitzen, an einem Glas nippen, was lesen oder zumindest auf bedruckte Seiten starren, doch spätestens um elf empfahl es sich, sich im Bett zu verkriechen.
Müde sein, wie betäubt - und dennoch die Lagerstatt fürchten. Ahnen, was da herankriechen, sich auf dich wälzen wird, sobald die Lid-Jalousien herabgehn und das Bewusstsein sich ausdimmt. Einer der Albträume, die im Gedächtnis hausen, sich nicht ausmerzen, sich allenfalls eine Zeitlang zurückdrängen lassen, ein Mahr, der seit Jahr und Tag auf der Lauer liegt - seit ziemlich genau einem Jahrzehnt...
Vor ziemlich genau zehn Jahren, an einem sonnigen Spätsommertag, war Teddy-Deppy mit Anton, seinem damals dreijährigen und im übrigen noch einzigen Enkel, zum Zoopark gereist, per Straßenbahn quer durch die Stadt von Ost-Südost nach Ost-Nordost - des Ausflugvergnügens erster, bereits hochinteressanter Teil.
Nach leeren Fensterhöhlen, vernagelten Fabrikmaueraugen, nach einem Baukran, einem Bagger da und dort, nach glänzenden Schnecken-Schleimspur-Geheimschriftzeichen auf einem Betonplattenweg und nach all den Tieren von A (wie Affe) bis Z (wie Zebra), durchweg alten Bekannten von früheren Zoobesuchen her - oben auf dem baumgekrönten Bergplateau als Höhepunkt: der Spielplatz mit Rutsche, Schaukel, Klettergerüst, mit schwenkbarem Bagger-Maul und frisch geöltem Drehwurm-Karussell.
Kaum Spielplatz-Gefährten-und-Konkurrenten an diesem Samstag-Vormittag. Wohl nicht mal 'ne Cola und ein Würstchen mit Senf oder viel Ketchup vom Kiosk weiter vorn; vermutlich nur Äpfel und Trinkpäckchen aus dem Ausflugs-Umhängebeutel.
All das tat der Hochstimmung keinen Abbruch - leider, könnte man sagen; denn beim Abmarsch, mittlerweile gegen Mittag, drehte Deppy, eben noch Karussell-Schwungmasse-und-Motor, durch und hob ab: fiel, Anton an der Hand, in Trab, geriet, betonwegabwärts neben Treppenstufen, in Galopp, in nicht mehr bremsbare Tal-Schussfahrt.
Der Sturz auf die Betonpiste - und kurz vorm Aufschlagen: ein Riss an der umklammerten Hand, dem wie mit Krallen gepackten Händchen.
Der Kopf, Antons Kopf - ein, zwei Zentimeter neben einer Treppenkante.
Keine Tränen, schon gar kein Geschrei, nicht mal ein Zucken der Mundwinkel. "Nichts tut mir weh, wirklich nicht, aber du, Opa, deine Hose... "
Und später, bereits in der Straßenbahn, als der Staub abgeklopft, der Jeans-Riss geglättet und die Abschürfungen an der linken Deppy-Hand mit Spucke behandelt worden waren, da erklärte Anton einer kritisch äugenden Oma nicht ohne Stolz: "Wir sind hingeschlagen."
Sein Köpfchen, die rechte Schläfe - zentimeternah neben jener Treppenkante... Der Albtraum, der seitdem im Gedächtnis haust, seitdem auf der Lauer liegt, der sich nicht ausmerzen lässt, den du allenfalls zurückdrängen kannst, solang er nicht aktiviert wird und dich nicht in Panik stößt.
Der Anruf, der erwartete, kam kurz nach neun, und der stockende Wortwechsel, der sich ergab, hatte etwas Befremdlich-Starres.
Bettina teilte per Handy vom Parkplatz beim Krankenhaus mit, man habe von Meningitis gesprochen - hier ein hörbares Fragezeichen - und für morgen früh eine Untersuchung in der "Röhre" angekündigt.
Ja, so die beiden Alten synchron am lautgestellten Telefon, das sei so üblich und nötig und gut so, und man dürfe, solle, müsse hoffen, und ob sie helfen könnten?
"Lieb von euch, danke, aber jetzt - jetzt noch nicht."
Und als nichts nachkam, weder tröstlicher Schwindel noch die indirekte Bitte darum - von Bettina die Information: Jetzt fahre sie erst mal heim, stelle die Koffer rein, und dann hole sie Kurt und Oscar vom Bahnhof ab. -
"Gut, dass sie so eingespannt ist und kaum zur Besinnung kommt", äußerte Teddy-Deppy nach einiger Zeit über den Rand eines Buches hinweg, und Katinka, über die Tageszeitung gebeugt, nickte - nickte, ohne aufzublicken.
Sie, schon im "Ruhestand", würde morgen - uneingespannt -rumhocken oder rumtigern müssen, während er noch das Glück hatte, ja das Privileg genoss, in den Sielen zu gehn und kaum zur Besinnung zu kommen.
Fiel er auch deshalb rasch in Schlaf, schneller vermutlich als seine Katinka?
Als er wach wird, stehen die Zeiger beider Leuchtziffer-Wecker auf Viertel nach zwei. - Ende der Tiefschlaf-Phase und Ende des Selbstbetrugs.
Ein Tumor, geht es durch den Kopf, tinnitus-stur, ein Tumor, was sonst? - Ein Hirntumor.
Und da ist auch wieder jener Albtraum - die Treppenkante, Zentimeter neben der rechten Schläfe - eine Brandspur, von der man weiß, dass dergleichen Psychosyndrom genannt wird, posttraumatisches Psychosyndrom. Merkwürdig diesmal, dass der Schweiß nicht ausbricht, das Herz nicht zu rasen beginnt, dass all die Paniksymptome, ähnlich denen bei Absturzphobie, ausbleiben, und nicht minder seltsam, dass dem Alten da im Dunkeln plötzlich sein Vater in den Sinn kommt.
Dieser Uropa, Anton, an den du dich vielleicht noch erinnern kannst, war ein tatkräftiger, scheinbar völlig sachlicher Mann. Nie himmelhoch jauchzend, nie zu Tode betrübt, aller Duselei und Spökenkiekerei abhold. Dennoch verriet er, altersduldsam geworden, seinem aus seiner Sicht einschlägig missratenen, von der mütterlichen Linie geprägten Sohn, seit dem Tod seiner Mutter habe ihn jahrelang eine ihm unerklärliche, kaum beherrschbare Unruhe umgetrieben, zu Motorradrennen, Ski-Eskapaden, Sauftouren verleitet. Bis - und das ist der springende Punkt - bis der Krieg ausbrach, der Zweite Weltkrieg; da habe er plötzlich gewusst, das also war's, und von da an sei er ruhig gewesen, gefasst, kühl - ja, so könne man sagen: kühl bis ans Herz hinan.
Seine Mutter, eine meiner Großmütter und eine deiner Ururgroßmütter - sie starb 1929, ziemlich genau zehn Jahre zuvor.
ins Bild, Oscar, das Brüderchen, neun Jahre jünger als Anton, mithin Ende Juli 2004 knapp vier Jahre alt, nichtdestotrotz bereits eine ausgeprägte, markante Persönlichkeit.
Wie die Familien-Chronik zu berichten weiß, erkundigte er sich als Mal-Grade-Zweijähriger, sobald Bettina den Telefonhörer abhob, rollengerecht im Tonfall von Papa Kurt: "For mich, Mama?"
Zur Vor-Osterzeit im Jahr darauf stand er eines frühen Morgens, nachthemdgewandet, am Küchenfenster, spähte raus zu einem frisch verschneiten Rasenstück, über das offenbar Katzen gewandelt waren, und verkündete: "Ich sehe Spuren. Ob das der Osterhase war?"
Wenig später - über Nacht hatte der Frühling Einzug gehalten - fragte Oscar plötzlich während einer Fahrt durch Stadtilm: "Mama, ist es noch kalt? - "Kalt? Wieso denn? Schön warm ist es." - "Da können wir ja Eis essen!"
Woraufhin Mama Betty, was selten vorkommt, momentlang sprachlos war, trotz allem Stress dann aber - und nicht ohne Stolz - prompt zu dem Wort stand, das sie Wochen zuvor ihrem Bübchen beiläufig gegeben hatte: "Wenn's wieder warm ist, gehn wir Eis essen."
steht zunächst einiges andere auf dem Programm. Da ruft kurz nach acht Bettina an und fragt Mutter Katinka, ob der Vater früh genug heimkomme, Oscar aus dem Kindergarten abzuholen; Kurt sei schon los, nach Hessen, weil der Auftrag dort nun doch wieder wackle, und sie selber, sie...
"Klar, Betty, wir kümmern uns um den Kleinen."
Was zunächst einmal hieß, dass Katinka den Opa dort, wo der an diesem Morgen seinen Utensilienkoffer ausgepackt hatte, anklingelte und fragte, ob er es einrichten könne, Oscar in W. mit abzuholen?
"Wird knapp werden - ja, aber zu schaffen sein. Und... " - die Stimme plötzlich brüchig wie vorhin die von Bettina - "und Anton?"
"Nichts Neues. Wie denn auch, jetzt schon, und was?" -Das eine Spur zu heftig, beinah zurechtweisend, doch ausbalanciert im nächsten Moment. - "Fahr vorsichtig! Zur Not nehm ich den Bus."
Gemeint war - dies für Zeitgeistfremde - ein öffentliches Nahverkehrsmittel namens Bus (einst auch "Omnibus") mit einer Fahrtdauer (inclusive Anschluss-Wartezeiten an Umsteigestationen) von gut zwei Stunden für die Strecke vom Rand der Landeshauptstadt nach W. (rund 20 Kilometer). - Die Alternative: ein Bahn-Bus-Kombi-Angebot von etwa gleicher Dauer, vorausgesetzt, man fuhr werktags und zu nahverkehrsunternehmensgünstiger Jahres- und Tageszeit.
Erwägungen, die dann - gottlob! - nicht ausgekostet werden mussten. Fünf vor vier stoppte Teddy vor der Wohnburg, wo die Alten sich für das, was man "Lebensabend" nennt, eingerichtet haben, und Katinka stieg zu.
Nach W., unweit von A., dauert die Autofahrt knapp eine halbe Stunde, und seit Kurt in A. ein Grundstück erworben, ein Haus gebaut und mitsamt Familie bezogen hat, ist die Strecke dorthin für die beiden Alten zur vielbefahrenen Lieblingsroute geworden.
Am Anfang seines ersten Gymnasialjahres fuhr auch Anton hier lang, zum Schulbus-Anschluss nach Stadtilm, wo damals wegen Renovierung des Arnstädter Gymnasiums zeitweilig unterrichtet wurde. Umsteigestation war in E., am Platz neben der Kirche, und in Höhe der Haltestelle dort fängt Katinka plötzlich zu schniefen an. Im nächsten Moment schluchzt auch Opa Teddy.