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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Das war doch ein schöner Nachmittag, net wahr, Omi?«, fragte Leonie Brandner. Die rüstige Rentnerin ließ sich sofort auf ihren Sessel fallen. »Schön, aber anstrengend«, erwiderte sie. »Ach was, Omi, das war doch bloß ein kleiner Bummel. Bald machen wir mal wieder einen richtigen Ausflug. Vielleicht an den Ammersee.« Jetzt lachte ihre Oma. »Na, was für dich jungen Hüpfer ein kleiner Spaziergang ist, strengt eine alte Frau wie mich ganz schön an.« Sie nickte. »Aber so einen Ausflug könnten wir wirklich mal wieder machen. Da waren dein Opa und ich früher oft, als deine Mutter noch klein war.« Sie lachte. »Sie konnte nie genug davon bekommen, die Enten zu füttern, wusstest du das?« »Ja, Omi, das weiß ich.« Leonie lächelte ebenfalls, konnte aber nicht verhindern, dass sich gleichzeitig auch ein wehmütiger Ausdruck auf ihr Gesicht legte. So ging es der 24-jährigen immer, wenn sie an ihre Eltern dachte, die bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen waren. Drei Jahre war das jetzt her, doch der Verlust schmerzte noch immer sehr. Seitdem kümmerte Leonie sich um so mehr um ihre Großmutter, die seit vielen Jahren Witwe war. Es war Sieglindes ausdrücklicher Wunsch gewesen, ein Zimmer in einer betreuten Apartmentanlage zu ziehen. In ihrer viel zu großen Münchener Wohnung war es ihr irgendwann einfach zu einsam geworden, und sie wollte auf keinen Fall jemandem zur Last fallen, schon gar nicht ihrer Enkelin. Die freute sich sehr darüber, dass ihre Oma sich hier so wohlfühlte, und kam sie beinahe jeden Tag besuchen. Unter der Woche meistens nur für ein
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Seitenzahl: 120
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»Das war doch ein schöner Nachmittag, net wahr, Omi?«, fragte Leonie Brandner.
Die rüstige Rentnerin ließ sich sofort auf ihren Sessel fallen. »Schön, aber anstrengend«, erwiderte sie.
»Ach was, Omi, das war doch bloß ein kleiner Bummel. Bald machen wir mal wieder einen richtigen Ausflug. Vielleicht an den Ammersee.«
Jetzt lachte ihre Oma. »Na, was für dich jungen Hüpfer ein kleiner Spaziergang ist, strengt eine alte Frau wie mich ganz schön an.« Sie nickte. »Aber so einen Ausflug könnten wir wirklich mal wieder machen. Da waren dein Opa und ich früher oft, als deine Mutter noch klein war.« Sie lachte. »Sie konnte nie genug davon bekommen, die Enten zu füttern, wusstest du das?«
»Ja, Omi, das weiß ich.« Leonie lächelte ebenfalls, konnte aber nicht verhindern, dass sich gleichzeitig auch ein wehmütiger Ausdruck auf ihr Gesicht legte.
So ging es der 24-jährigen immer, wenn sie an ihre Eltern dachte, die bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen waren. Drei Jahre war das jetzt her, doch der Verlust schmerzte noch immer sehr. Seitdem kümmerte Leonie sich um so mehr um ihre Großmutter, die seit vielen Jahren Witwe war. Es war Sieglindes ausdrücklicher Wunsch gewesen, ein Zimmer in einer betreuten Apartmentanlage zu ziehen. In ihrer viel zu großen Münchener Wohnung war es ihr irgendwann einfach zu einsam geworden, und sie wollte auf keinen Fall jemandem zur Last fallen, schon gar nicht ihrer Enkelin.
Die freute sich sehr darüber, dass ihre Oma sich hier so wohlfühlte, und kam sie beinahe jeden Tag besuchen. Unter der Woche meistens nur für ein Stündchen, anders ließ es ihr Beruf nicht zu. Sie hatte nach ihrem Schulabschluss eine Lehre als Hotelfachfrau gemacht, in einem großen Münchener Hotel, und war dort anschließend übernommen worden. An den Wochenenden hatte sie meistens frei, weil die Schichten aufgrund der Zuschläge gerade bei den Mitarbeitern, die schon länger dabei waren, sehr beliebt waren. Deshalb nutzte sie diese freien Tage dann immer, um mehr Zeit mit ihrer Großmutter zu verbringen.
Der aber schien das manchmal regelrecht unangenehm zu sein. »Kind«, pflegte sie dann immer zu sagen, »du musst dein eigenes Leben führen. Kümmere dich um deine Freunde, net um deine alte Oma. Wie sollst’ denn mal einen feschen Burschen kennenlernen, wenn du immerzu nur hier bei mir herumhockst?«
Aber Leonie war es eben sehr wichtig, sich um ihre Großmutter zu kümmern. Mehr Familie hatte sie schließlich nicht! Und die Sache mit dem Freund … das war eh ein Thema für sich. Ihre Oma sagte zwar stets, dass es für jeden Topf einen Deckel gab, aber Leonie glaubte langsam nicht mehr, dass das auch auf sie zutraf. Die Männer, für die sie sich in der Vergangenheit interessiert hatte, hatten sie nicht mal eines Blickes gewürdigt. Mit ihrem blonden Haar und ihrer natürlich sportlichen Ausstrahlung hatte sie gegen die stark geschminkten jungen Frauen, mit Modelmaßen, auf die die meisten jungen Männer so abfuhren, keine Chance. Tja, und die Kollegen, die sich für sie interessierten, mit denen wurde Leonie nicht wirklich warm, betrachtete sie höchstens als gute Freunde.
»Ich hab erst neulich ein Bild wiedergefunden, das ich dir zeigen wollte«, riss Sieglinde ihre Enkelin aus den Gedanken.
Leonie blickte auf. »Ein Bild?«
»Ja, von deiner Mutter, als sie vier Jahre alt war. Aufgenommen beim Picknick am Ammersee. Warte, wo hab ich es denn noch gleich hingetan?« Sieglinde dachte kurz nach, dann tippte sie sich an die Stirn und deutete anschließend auf den Sekretär am anderen Ende des Raums. »Ach ja, natürlich! Schau doch bitte mal da drüben in der untersten Schublade nach, ja?«
Leonie ging zum massiven Eichenholzsekretär. Oberhalb der Tischplatte befanden sich drei relativ schmale Schubladen. Sie zog die unterste auf und erblickte ein kleines Schmuckkästchen – sonst nichts.
Neugierig hob sie es heraus und betrachtete es von allen Seiten. Es war aus dunklem, polierten Holz, mit Einlegearbeiten aus schimmerndem Perlmutt. Wirklich hübsch gearbeitet! Für einen Moment war das gesuchte Foto ganz vergessen.
»Hast du es gefunden?«, rief ihre Oma von ihrem Sessel aus.
Leonie entdeckte das Foto auf dem Boden der Schublade. Offenbar hatte es unter dem Schmuck-Kästchen gelegen. »Ja«, beeilte sie sich zu rufen. »Ich habe es.« Sie griff danach, stieß dabei aber so ungeschickt mit dem Handgelenk gegen die Tischplatte des Sekretärs, dass sie vor Schmerz aufkeuchte.
Reflexartig öffnete sich ihre Hand und das Kästchen knallte auf dem Boden. Der Deckel schnappte auf, und etwas fiel auf den Boden und rutschte unter den Sekretär.
Rasch kniete sich Leonie hin und tastete mit den Fingern nach dem Gegenstand unter dem schweren Möbelstück. Zuerst fürchtete sie schon, dass sie nicht herankommen würde, doch dann streiften ihre Fingerspitzen plötzlich etwas Kühles.
Sie zog es unter dem Sekretär hervor und staunte nicht schlecht, als eine Kette mit einem Herzanhänger zum Vorschein kam.
Das Schmuckstück war wunderschön, und sie war sich ziemlich sicher, dass sie es noch nie an ihrer Großmutter gesehen hatte. Es glänzte auch, als wäre es nicht häufig getragen worden. Dabei sah es vom Stil her so aus, als wäre es schon ziemlich alt.
Leonie nahm es und brachte es hinüber zum Sessel, in dem ihre Oma saß und in einer Illustrierten blätterte.
»Ah, da bist du ja wieder. Gib das Foto mal her, ich zeig dir …« Sie verstummte, als sie aufblickte und ihre Enkelin mit der Kette in der Hand vor sich stehen sah. »Wo hast du die her?«
»Das Kistchen … Es ist mir heruntergefallen und dabei ist es aufgegangen. Tut mir leid, ich wollte nicht in deinen Sachen herumstöbern, aber die Kette ist halt rausgefallen … Was ist das für eine Kette, Omi?«
Sieglinde winkte ab, wirkte dabei aber seltsam steif. »Ach, das ist nichts. Billiger Modeschmuck, den ich nur aus sentimentalen Gründen behalten hab.«
Leonie schaute sie kritisch an. Was hatte das nun zu bedeuten? Ihre Oma log normalerweise nie. Sie war die ehrlichste Frau, die sie kannte, doch jetzt hatte die junge Hotelfachfrau das eindeutige Gefühl, dass sie nicht ganz die Wahrheit sagte.
Aber warum? Sie musterte die Kette erneut. Billiger Modeschmuck war das auf keinen Fall. Es handelte sich um echtes Gold, das sah sie an dem Stempel am Kettenverschluss. Und der schöne Anhänger …
Doch sie wollte ihre Großmutter auch nicht vor den Kopf stoßen, indem sie sie einer Lüge beschuldigte. Das wäre nicht höflich und auch nicht richtig. Dennoch … Leonie brannte jetzt regelrecht vor Neugierde.
Sie hatte einem Geheimnis noch nie widerstehen können. Das war wohl eine ihrer großen Schwächen. Und so war sie auch nicht bereit, so einfach lockerzulassen.
»Aus sentimentalen Gründen, sagtest du? Welche sind es denn genau?«
»Du bist ganz schön neugierig, mein Kind«, tadelte ihre Oma.
Darüber musste Leonie lachen. »Das sollte dich aber nun wirklich net überraschen.«
»Tut es auch net«, entgegnete Sieglinde, die nun ebenfalls schmunzelte. »Net wirklich.«
»Aber erzählen, was es mit dieser Kette auf sich hat, willst du trotzdem net?«
Sieglinde runzelte die Stirn. »Um ganz ehrlich zu sein, nein. Nimm es mir bitte net übel, aber das ist eine Geschichte aus meiner Vergangenheit, die du vielleicht falsch verstehen könntest.« Ihr Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. »Du wärst jedenfalls net die Erste, mein Kind.«
Nachdenklich neigte Leonie den Kopf zur Seite. Das war wieder etwas ganz Neues – normalerweise hatte ihre Oma keine Geheimnisse vor ihr. Zumindest nicht, soweit sie wusste. Und das machte sie, wenn das überhaupt möglich war, sogar noch neugieriger. Was meinte ihre Oma bloß damit, dass sie es falsch verstehen könnte? Das konnte doch eigentlich nur bedeuten … Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Sag mal, Omi, könnte es vielleicht sein, dass es mit einem Mann zu tun hat?«
Die Wangen ihrer Großmutter färbten sich rosa, da wusste Leonie, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Dabei tat die Großmutter ihr fast ein bisschen leid, denn sie schien sich im Augenblick äußerst unwohl in ihrer Haut zu fühlen.
War es vielleicht doch besser, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen?
Doch ehe sie sich dazu durchringen konnte, ergriff ihre Großmutter erneut das Wort. »Da du, wie ich dich kenne, ja ohnehin keine Ruhe geben wirst, erzähle ich es dir halt. Ich hoffe nur, dass du mir deswegen nicht gram sein wirst. Dein Großvater war nämlich alles andere, als angetan, als er die Geschichte der Kette erfuhr.«
»Wenn wirklich ein anderer Mann dahintersteckt, kann man ihm das wohl kaum verübeln.«
Sieglinde seufzte. »Stimmt wohl, aber die Geschichte, um die es geht, spielte sich ab, lange bevor ich deinen Opa kennenlernte. Und deswegen gab es eigentlich überhaupt keinen Grund, weshalb er sich daran stören sollte. Aber er verstand halt net, warum ich die Kette behalten wollte, obwohl die Sache schon längst beendet gewesen ist.«
»Und? Warum wolltest du sie behalten?«
»Weil Erinnerungen mitunter das Einzige sind, was einem bleibt. Das wirst du eines Tages auch verstehen, mein Kind.«
»Hast du den Mann …«
»Johannes«, sagte Sieglinde. »Sein Name war Johannes.«
»Hast du diesen Johannes denn einmal sehr liebgehabt?«
Nach kurzem Nachdenken nickte sie langsam. »Er war meine erste große Liebe«, entgegnete sie. »Wir haben damals im selben Ort gelebt – im schönen St. Johann.«
»Du bist in St. Johann aufgewachsen? Das wusste ich ja gar nicht!«
Sieglinde lachte. »Es gibt so einiges, was du net über mich weißt«, sagte sie schließlich. »Und so wichtig ist das ja letztlich auch net. Aber ja, meine Kindheit und Jugend habe ich in St. Johann verbracht. Und was den Johannes betrifft, in den war ich damals schwer verliebt. Und er mochte mich auch. Dachte ich zumindest …«
»Na, wenn er dir so ein schönes Schmuckstück geschenkt hat, dann musst du ihm ja schon etwas bedeutet haben.«
Sieglinde zuckte mit den Achseln. »Vielleicht. Ich weiß es net. Und das ist jetzt auch net mehr von Bedeutung. Immerhin sind seitdem über fünfzig Jahre ins Land gegangen, und es macht keinen Sinn, sich den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die längst vergangen sind.«
Leonie runzelte die Stirn.
»Aber …«
»Kein Aber«, fiel ihre Oma ihr ins Wort. Sie sah plötzlich müde aus. »Ich hätte gar net damit anfangen sollen. Tu mir bitte den Gefallen und pack die Kette wieder dorthin, wo du sie gefunden hast, und vergiss das alles. Ich werde genau dasselbe tun.«
Leonie wollte protestieren, doch ihr war klar, dass das keinen Sinn machen würde. Wenn ihre Oma sich einmal zu etwas entschieden hatte, dann rückte sie nicht mehr davon ab.
Das bedeutete allerdings nicht, dass das letzte Wort zu diesem Thema bereits gesprochen war, ganz und gar nicht.
*
»Ja, ich werde dann so gegen Mittag in St. Johann ankommen. Ja, genau … Vielen Dank, Frau Stubler, und bis bald.«
Leonie legte den Telefonhörer zurück auf den Apparat, der in der Diele stand, und ging zurück zum Schreibtisch ihrer kleinen Dachgeschosswohnung.
Nachdenklich blickte sie auf ihren Computerbildschirm, wo die Seite des Fremdenverkehrsamtes von St. Johann geöffnet war. Die junge Frau hatte sich, gleich nachdem sie wieder zu Hause angekommen war, ein bisschen über den hübschen kleinen Ort im Wachnertal informiert und dann spontan einen Entschluss gefasst. Den Entschluss, nach St. Johann zu reisen, um mehr über diesen Johannes herauszubekommen.
Natürlich wollte sie ihrer Oma nicht hinterher schnüffeln, das wäre auch Unsinn, schließlich hatte die diesen Mann seit über fünfzig Jahren nicht mehr gesehen. Und so genau wusste Leonie selbst nicht mal, was sie eigentlich vorhatte, wie sie vorgehen sollte.
Aber in ihr erwachte der Wunsch, den Ort kennenzulernen, in dem ihre Großmutter aufgewachsen war. Und sie wollte sich ein wenig umhören, ob dieser Johannes noch lebte – und falls ja, wo er sich heutzutage aufhielt.
Und ja, irgendwo in ihren romantischen Träumen malte sie sich wohl schon aus, Johannes nicht nur ausfindig zu machen, sondern ihn mit ihrer Oma wieder zusammenzubringen. Denn sie spürte, dass ihre Oma mit der Sache von damals bis heute nicht wirklich abgeschlossen hatte. Was, wenn beiden den Wunsch hatten, noch einmal über diese Zeit ihres Lebens miteinander zu sprechen?
Leonie wusste genau, was ihre Oma zu ihr sagen würde: ›Misch dich net in Dinge ein, die dich nix angehen, Kind.‹
Und genau deshalb würde sie ihr auch nichts von ihrer Reise sagen. Zwar log sie nicht gerne, aber in diesem Fall heiligte der Zweck die Mittel, wie sie fand. Denn sich nicht einzumischen, obwohl man vielleicht etwas Gutes tun konnte, das war einfach nicht ihre Art.
Daher traf es sich auch hervorragend, dass die junge Hotelfachfrau in drei Wochen sowieso ihren Sommerurlaub genommen hatte. Bisher hatte sie nicht vorgehabt, zu verreisen – jetzt schon!
*
Als Leonie sich drei Wochen später St. Johann näherte, nahm die Landschaft, die an ihr vorbeizog, sie regelrecht gefangen. Grüne Wiesen, dunkle Tannen und im Hintergrund die Berge, deren schneebedeckte Gipfel in den strahlendblauen Himmel ragten … Das Bild, das sich ihr hier bot, sah aus, als würde es direkt von einer Ansichtskarte stammen. Und als sie die Seitenscheibe ein Stück runterließ, strömte eine Luft in ihren kleinen Wagen, so rein und klar, dass es eine wahre Wohltat war.
Die Geschichte, die damals zwischen ihrer Großmutter und diesem Johannes in St. Johann ihren Anfang und dann auch ihr Ende gefunden hatte, beschäftigte Leonie noch immer. Grund dafür war zweifellos, dass die alte Dame so ein Geheimnis darum gemacht hatte. All die Jahre hatte sie nie irgendetwas von diesem Mann erzählt, und dabei stand für Leonie fest, dass ihre Großmutter einmal sehr in ihn verliebt gewesen sein musste. Dabei bezweifelte sie keineswegs, dass sie mit ihrem späteren Ehemann – ihrem Opa – glücklich gewesen war. Die beiden waren ein Herz und eine Seele gewesen, und als Ludwig vor ein paar Jahren plötzlich und unerwartet verstorben war, hatte ihre Oma lange gebraucht, um darüber hinwegzukommen.
Aber wenn dieser Johannes ihr noch etwas bedeutete, dann musste Leonie ihn finden. Vielleicht ließe sich ja irgendwie in Ordnung bringen, was zwischen ihnen schief gelaufen war. Sie hatte einfach sofort gespürt, dass Oma Sieglinde ihn noch immer vermisste. Es gab keinen Zweifel, dass sie gern noch einmal mit ihm sprechen wollte, und diesen Wunsch wollte sie ihrer Großmutter erfüllen.
Dabei war ihr schon klar, dass sie vielleicht ein bisschen zu blauäugig an die Sache heranging. Nein, nicht nur vielleicht, ganz sicher sogar! Schließlich hatte sie keinerlei Informationen über diesen Mann, außer dem Vornamen und das ungefähre Alter. Aber weder wusste sie, ob er überhaupt noch lebte, noch, ob er in St. Johann geblieben war. Ihre Oma war schließlich auch fortgezogen. Gut möglich also, dass ihre Reise nach St. Johann nicht nur spontan, sondern auch völlig umsonst war.