Auf der Suche nach Pippi L. - Pit Vogt - E-Book

Auf der Suche nach Pippi L. E-Book

Pit Vogt

0,0

Beschreibung

Wer ist Pippi L.? Wo hält sie sich verborgen? Im Nirgendwo vielleicht? Ist diese Suche eine Zeitreise in die Fantasie? In jedem Fall ist sie eine Betrachtung, eine vermeintliche Suche nach dem, was schwer zu beschreiben sein mag. Etwas, das für jeden anders sein könnte - wer ist diese Pippi L. wirklich? In diesem Buch werden mehrere Betrachtungsweisen, unterschiedliche Gefühle, dramatische Wendungen beschrieben. Irgendwie bleibt am Ende immer wieder eine Suche. Ist es eine Suche nach einem anderen Leben? Die Antwort auf diese Frage kann nicht gegeben werden, sie bleibt vage als Vorstellung in der Seele. Vielleicht ist sie am Ende eine Aufforderung, eine Art Aufbruch, ein Aufbruch in eine neue Zeit? Ein Aufbruch in ein neues Leben? Oder ein Aufbruch in die eigene Seele? Wer ist Pippi L.? Wo ist sie zu finden? Wer weiß das schon wirklich?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 76

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Auf der Suche nach Pippi L.

Aufbruch

Die Angestellt

Er

Der Schauspieler

Maskerade

Zeit

Im Wald

Eine Weihnachtsgeschichte

Das Leben

Alte Frau

Besuch am Grab

Leuchtturm

Resümee

Maskerade

Flucht

Der Karton

2 Minuten Ewigkeit

Vogel

Die Königin

Die Bar

Mit Fuffzich –

Das Kilometerlied

Der Taxifahrer

Bedrohung

Beim Engel

Die Wahrsagerin

In der Buch

Am Hafen

Kneipenschluss

Drittes Reich

Der Major

Fremde Mächte

Sequenzen

Clown

Der Minister

Frau Holle

Die Wärterin

Die Frau an der Grenze

Familiendrama

Der Terrorist

Maskerade

Drei Jahre

Besuch im Westen

Ankunft im Westen

Auf der Suche nach Pippi L.

Maueröffnung / 1989

Der Grenzsoldat sah mich mit großen Augen an. Er war sich wohl nicht so ganz schlüssig, sollte er mich nun durchlassen oder nicht? Dutzende von Leuten quetschten sich an mir vorüber. Wenn ich jetzt einfach nur losliefe, wird er bei mir wohl auch nichts sagen. Mit weit aufgerissenen Augen schlich ich mich an dem sichtlich nervösen Soldaten vorbei. Er hatte sich wieder von mir abgewendet und sprach unentwegt irgendwas in sein Mikrofon. Um mich herum war ein tierisches Geschrei! Die Leute sangen, klatschten, schrien, riefen, weinten, fielen sich in die Arme! Was für ein Moment, was für ein Augenblick! Ziellos rannte ich einfach los, atmete dabei die würzig feuchte West-Luft tief in mich ein. In diesem Augenblick fühlte ich mich so frei, so unendlich frei! Irgendwo, an einem etwas ruhigeren Ort blieb ich stehen, konnte einfach nicht mehr. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein Mädchen. Sie trug geringelte Kniestrümpfe und schaute zu mir herüber und lächelte ziemlich frech! Irgendwie sah sie jemandem ähnlich, nur wem? Plötzlich schoss es mir in den Sinn – ja, sie musste eine Figur aus meinen Kindertagen sein, wie hieß die doch gleich: Pippi, Pippi Langstrumpf! Na klar, das musste Pippi Langstrumpf sein. Wie versteinert stand ich da und konnte mich nicht rühren. Hatte sie auf mich gewartet?

War sie extra wegen mir hierhergekommen? Unmöglich! Das kecke Mädchen lachte und winkte. „Komm rüber“, rief sie mir zu. Ich konnte es nicht glauben. Ich sprang über die Straße, hätte beinahe noch ein Auto übersehen und stand plötzlich vor ihr.

Ihre lustigen Sommersprossen leuchteten märchenhaft durch die Dunkelheit. Ich schaute sie an, schaute hinter sie, um zu kontrollieren, ob sie auch die langen Zöpfe hatte. „Genau wie damals im Fernsehen“, rief ich laut. „Du bist doch Pippi, Pippi Langstrumpf?“ Das Mädchen nickte. Dann rief sie lachend: „Komm, lass uns Karussell fahren! Es ist so schön, dass Du endlich hier bist!“ Damit zog sie mich trällernd hinter sich her. Sie sang immer lauter und irgendwie hatte ich große Lust, mitzusingen. Ich kannte das Lied von irgendwoher. Ja, ich hatte es im Fernsehen schon einmal gehört. „Los, sing mit“, rief sie. Und ich sang, obwohl ich in der Schule beim Singen immer eine 3 hatte. Jetzt aber konnte ich singen und so richtig fröhlich sein. Wir rannten die Straße hinunter, bis wir zu einem einsam gelegenen, verlassenen Rummelplatz gelangten. Alles lag in gespenstischer Ruhe und träumte vor sich hin. Das Mädchen sang und trällerte in allen Tonlagen und auf einmal flackerten bunte Lichter auf. Ganz langsam begannen sich die Karussells zu drehen. Laute Musik ertönte und Pippi sprang mit einem Satz auf ein hölzernes Pferd! „Los, komm mit rauf, wir fahren ein paar Runden!“ Das Karussell setzte sich in Bewegung und wurde schneller, schneller, immer schneller! Ich konnte das Gleichgewicht schließlich nicht mehr halten, vor meinen Augen drehte sich alles, ich fiel, dann wurde es dunkel. Meine Zunge schien bleischwer zu sein und mir war übel. Langsam öffnete ich meine Augen. Doch es war dunkel. Noch immer schien es Nacht zu sein. „Pippi, Pippi, bist du noch da“, rief ich krächzend. Doch es antworte keiner. Stöhnend erhob ich mich. Irgendwie musste ich vorhin von diesem Holzpferd gefallen sein. Ich verstand gar nichts mehr. War das alles etwa nur ein Traum? Doch warum lag ich dann hier auf diesem verlassenen Rummelplatz im Dreck? War ich am Ende in Trance hierhergelaufen? Doch dann fiel mir wieder ein, wie lustig alles war. Das Lachen, der Gesang und das hübsche Mädchen selbst. Es war wie ein Wunder und mir war, als wäre ich in dieser Nacht Pippi Langstrumpf begegnet. Sollte sie tatsächlich nur ein Traum gewesen sein? Wenn ja, dann wars ein wunderschöner Traum. Ich wischte mir den Schmutz von Hose und Jacke. Aus welcher Richtung mochten wir gekommen sein? Egal, ich muss weg von hier, schoss es mir durch den Kopf. Mit straffem Schritt lief ich los. Während des Fußmarsches wurde mir klar, ich musste sie suchen. Ich wollte unbedingt wissen, wer dieses geheimnisvolle Mädchen war. Als ich sie so vor meinem inneren Auge sah, wurde mir ganz warm ums Herz. War das schon Liebe? War da mehr, als ich mir anfangs eingestanden hatte. Ja, ich mochte sie, aber Liebe? Und woher kam dieser Wunsch oder war es ein innerer Drang, sie unbedingt wiedersehen zu wollen. Wieso? Ich konnte mir diese Frage nicht beantworten. Die Erinnerung kehrte zurück. Diese Grenzöffnung, Westberlin, diese wundervolle Stadt bei Nacht. Und dann dieser Traum, dieser seltsame Rummelplatz. Unterdessen musste ich auf eine Straße gelangt sein. Die Straßenlaternen blendeten mich. Und schon wieder verschwamm alles vor meinen Augen! Doch halt, nein, es waren meine Tränen! Langsam wurde es heller und viele Menschen kamen mir entgegengerannt. Sie lagen sich weinend in den Armen. Einige stießen mit Sekt an. Andere redeten ununterbrochen. Deutschland war wiedervereinigt! Wie wunderbar, wie zauberhaft war doch diese eine Nacht! So geheimnisvoll und anders als jede andere bisher. Ich mischte mich unter diese wilde, fröhliche Menge. Doch was war das? Ich erschrak, ich konnte nicht lachen, ich konnte einfach nicht mehr lachen! Das Erlebnis mit Pippi schien mehr und mehr in den Hintergrund zu treten. Die Lichter dieser riesigen Stadt überschwemmten mich, als ich zusammen mit den anderen in Richtung „Alexanderplatz“ lief. Sprechchöre und Autosirenen hallten durch die Straßen! Leuchtraketen verbanden jetzt Ost und West! Der Fernsehturm blinkte in allen Farben, kündete von einer neuen Zeit! Ja, da begann etwas ganz Neues, ich spürte es, jeder spürte es! Was lag da noch vor uns? Heute muss ich sagen, es waren lediglich meine ganz eigenen Fragen. Ich wollte wohl einfach keine Antworten haben. Nicht einmal die Fragen schienen wichtig. In dieser Stunde „Null“ waren alle Menschen Brüder und Schwestern. Jeder fühlte das Gleiche. Alle waren sich plötzlich so einig. Und nur so konnte es gelingen! Selbst die Grenzsoldaten, die ziellos durch die Grenzbefestigungen irrten, kannten sich nicht mehr aus. Einige hatten ihre Mützen abgenommen, andere fingen einfach an zu weinen. Es schien, als fiel selbst von diesen einstmals so harten Bluthunden die Starre von den Gesichtern. Es schien, als hätte diese gewaltige Kraft der Millionen Herzen auch ihr Herz erweicht. So manche Mutter drückte einen schluchzenden Soldaten an ihre Brust. Ach, es waren doch noch Kinder. Und irgendwo rief jemand durch die Nacht: „Menschen, wir sind ein Volk!“ Die Einzigartigkeit dieses Augenblickes ließ mich nicht mehr los, hielt mich gefangen. Und weit vor mir sah ich plötzlich ein mir bekanntes Gesicht! Ein junges Mädchen stieg gerade in ein Taxi. Vorher küsste sie den Taxifahrer und drehte sich noch einmal um. Ein Blitz durchzuckte mich – Pippi, ja, da war sie wieder, Pippi Langstrumpf! Ich versuchte, schneller zu gehen, schrie immer wieder ihren Namen: „Pippi, Pippi, warte doch auf mich! Lass mich mit Dir ziehen!“ Doch ich schaffte es nicht, mich durch all die taumelnden und glückslethargischen Menschen zu kämpfen. Ich stolperte, sah nur noch, wie Pippi zu mir herüberschaute. Sie winkte, warf mir einen Kuss zu und rief lachend: „Bis mal wieder, weißt ja, auf dem Rummelplatz!“ Ich erkannte Tränen in ihrem Gesicht. Und ich lachte nicht, ich weinte. „Nein“, rief ich mit letzter Kraft, bis auch mir die Stimme versagte, „nein, geh nicht! Pippi warte auf mich!“ Krampfhaft umklammerte ich einen Laternenpfahl, rutschte weinend an ihm herunter. „Nein, geh nicht“, wimmerte ich mit letzter Kraft. Doch ich konnte sie nicht halten. Durch den einsetzenden Regen sah ich noch, wie sie sich in die Autositze fallen ließ. Dann fuhr der Wagen langsam davon. In einer plötzlich vorbeiwehenden, seltsam silbrigen Nebelwolke verschwand sie auf Nimmerwiedersehen. Und in diesem Augenblick wusste ich es genau: Ich musste sie wiedersehen, ich musste mein Lachen wiederfinden!

Aufbruch

Drei Jahre waren vergangen. Längst hatte ich einen tollen Farbfernseher, Designerjeans und ein kleines West-Auto. Und ich brauchte keinen Intershop-Laden mehr, um mir von geschachertem Westgeld ein Glas Schokoladencreme zu kaufen. Nein, wir waren ja nun auch „Westen“!