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Malerfürst Konrad Optenhövel residiert auf den Ruhrhöhen. In jedem Herbst bevorratet er sich im Elsass mit ausgesuchten Rieslingweinen. Auf der Rückfahrt verfährt er sich an der Grenze zu Deutschland in einer unübersichtlichen Baustelle in Oberhoffen-lès-Wissembourg, muss in einer Sackgasse wenden, durchbricht dabei einen maroden Maschendrahtzaun und sorgt zeitnah für Aufruhr in den Zwingern für Hunde in Not. Jean-Jaques Hirsinger, "Patron Chiens Perdus, Trouvés Et À Adopter", öffnet konziliant und zielführend eine Flasche Marc Gewürztraminer, schenkt ein und beim zweiten Gläschen geht der Deal des Tages über die Bühne: Konrad berappt 100 EURO für den Zaun, behält die angebrochene Flasche des superben Destillates als Souvenir und bekommt als Zugabe JO, die Occasion im kleinsten Zwinger, in dem ein schwarzer Hund hockt, der sich schon seit drei Tagen im Hungerstreik befindet, weil sein hippes Pariser Bänker-Pärchen ihn hier herzlos entsorgte beim Umzug nach Frankfurt. JO, ehemals gegoogelt und gekauft über ebay als trendiger Frenchie und süßes Hundewelpen-Puppy − just for fun, for a laugh, ha-ha-ha − schnuppert hernach Pariser Luft im Parc Monceau und im möblierten Studio in einer Wohnanlage mit Hausmeister am Boulevard de Courcelles im 8ème Arrondissement. Nach einem Jahr ist er unerwartet zu einem massigen Bello von 15 Kilogramm explodiert und kann auf stylischen Partys nicht mehr punkten. Malerfürst Konrad Optenhövel betritt langsam den Drahtkäfig, kauert sich nieder, streckt seine rechte Hand aus und murmelt: "JO, ein toller Hundename, komm her, na komm schon!" Und JO kommt langsam angekrochen auf angewinkelten Läufen, mit schleifendem Bauch auf Betonboden, in rudimentärer wölfischer Demutsgebärde. Konrad fährt ihm mit der Hand über die die Schnauze, blickt ihm in die Augen, ganz tief in die Augen, ahnt eine treue, liebevolle Hundeseele und lässt seine Worte weiter im beruhigenden Fluss auf den Hund wie eine Beschwörungsformel wirken.
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Seitenzahl: 180
Veröffentlichungsjahr: 2021
JO ZIEGLER
2021
BELLO
JO
ERLEBNISSE
UND
EINSICHTEN
I M
HUNDELEBEN
VOM
BELLO
JO
VORWORT
Malerfürst Konrad Optenhövel residiert auf den Ruhrhöhen. In jedem Herbst bevorratet er sich im Elsass mit ausgesuchten Rieslingweinen.
Auf der Rückfahrt verfährt er sich an der Grenze zu Deutschland in einer unübersichtlichen Baustelle in Oberhoffen-lès-Wissembourg, muss in einer Sackgasse wenden, durchbricht dabei einen maroden Maschendrahtzaun und sorgt zeitnah für Aufruhr in den Zwingern für Hunde in Not.
Jean-Jaques Hirsinger, “Patron Chiens Perdus, Trouvés Et À Adopter“, öffnet konziliant und zielführend eine Flasche Marc Gewürztraminer, schenkt ein und beim zweiten Gläschen geht der Deal des Tages über die Bühne: Konrad berappt 100 EURO für den Zaun, behält die angebrochene Flasche des superben Destillates als Souvenir und bekommt als Zugabe JO, die Occasion im kleinsten Zwinger, in dem ein schwarzer Hund hockt, der sich schon seit drei Tagen im Hungerstreik befindet, weil sein hippes Pariser Bänker-Pärchen ihn hier herzlos entsorgte beim Umzug nach Frankfurt.
JO, ehemals gegoogelt und gekauft über ebay als trendiger Frenchie und süßes Hundewelpen-Puppy – just for fun, for a laugh, ha-ha-ha – schnuppert hernach Pariser Luft im Parc Monceau und im möblierten Studio in einer Wohnanlage mit Hausmeister am Boulevard de Courcelles im 8ème Arrondissement. Nach einem Jahr ist er unerwartet zu einem massigen Bello von 15 Kilogramm explodiert, kann auf stylischen Partys nicht mehr punkten, macht im Parc Monceau Jagd auf Enten und läufige Hündinnen, dabei kaum gebremst vom Hausmeister als sein Dogsitter, der sich eins ins Fäustchen lacht und gleichzeitig im Rhythmus von JOE LE TAXI wippt.
Malerfürst Konrad Optenhövel betritt langsam den Drahtkäfig, kauert sich nieder, streckt seine rechte Hand aus und murmelt: „JO, ein toller Hundename, komm her, na komm schon!“
Und JO kommt langsam angekrochen auf angewinkelten Läufen, mit schleifendem Bauch auf Betonboden, in rudimentärer wölfischer Demutsgebärde. Konrad fährt ihm mit der Hand über die Schnauze, blickt ihm in die Augen, ganz tief in die Augen, ahnt eine treue, liebevolle Hundeseele und lässt seine Worte weiter im beruhigenden Fluss auf den Hund wie eine Beschwörungsformel wirken. Bevor JO sich erhebt, schenkt er Konrad einen Blick voller bereitwilliger Treue, erhascht im Gegenzug Konrads weiteren Blick mit dem irren Mut eines Lächelns im Seitenblick, gepaart mit kreativer Leichtigkeit, und folgt ihm auf dem Fuß bis zur Beifahrertür eines Kombis. Hopp, hinein in den Fußraum − und hintendrein gleitet Konrads voluminöser Matrix-Künstlerschal als erste
Schmusedecke.
JO, angekommen nach einer längeren Autofahrt, schnuppert hernach Ruhrgebietsluft. Zuerst auf Konrads Anwesen, dann im pulsierenden Revier, im neuen Revier, wo es an den Wegesrändern riecht aus Multikulti-Lokalen. Wo es komatös duftet nach Döner, Pizza, Crêpes, Steaks, Fritten und Fisch. Überall gut markierte Wege. Hier werde ich mich nicht verlaufen. Hier, in meinem neuen Revier. Mein neuer Boss lächelt, summt vor sich hin, blickt himmelwärts und sagt:
„Tempi passati.
JO, hier ist unser gemeinsames neues Heim. Kein Wetter-Wirbelwind wird uns vertreiben – was soll‘s? Wir bleiben einfach unterm Vordach sitzen. Und JO, wir denken niemals an die Zukunft. Sie kommt früh genug!“
JO mit Malerfürst Konrad Optenhövel gestalten nun gemeinsam ihr Leben neu, wobei JO die Eigenheiten sowohl seines Herrchens als auch diejenigen einer umfangreichen Zweibeiner-Sippschaft als kritischer und einfühlsamer Beobachter erlebt, verinnerlicht, treffend kommentiert – und dabei turbulente Episoden sowohl an markanten Orten im Ruhrgebiet als auch sehr weit auswärts erlebt.
Voller Sprachwitz, Dialogdichte und Situationskomik, reihen sich dreiundzwanzig Episoden teilweise mit dem Zungenschlag des Ruhrgebietes aneinander. Die tiefe Verbundenheit zwischen Hund und Herrchen scheint auf und gleichwohl vermittelt das Buch ein amüsantes und manchmal auch ein melancholisches Lese-Abenteuer.
„Dass mir mein Hund das Liebste sei, sagst du, oh Mensch, sei Sünde!
Doch mein Hund bleibt mir im Sturme treu, der Mensch nicht mal im Winde.“
(Franz von Assisi, Patron der Tiere)
INHALT
1
MAGIC TREE
2
MABOMONGO
3
SEX IN THE CITY
4
KEEP COOL
5
ALLE SIND DOOF
6
DIE KRAFTPAPIER-TONNE
7
SUPERTOUR
8
RAUHNACHTTRAUM
9
SOMMERSONNENSEE
10
KULTURLAUBE
11
HOTTOHOTTO
12
SLINKY SPRINGS TO FAME
13
AN EINEM SONNIGEN SONNTAG
14
IM NACHTIGALLEN-TAL
15
HOT SPOT NRW
16
AUF DEM HAUSBOOT
17
KURZ UND BÜNDIG
18
RUMKUGELN FÜR ALLE
19
JAGGER UND SO WEITER
20
FEUER IM OFFENEN KAMIN UND
RAUCH ÜBER DEM WASSER
21
BULLY VERSUS PLATTFUß
22
ILLEGALE ENTSORGUNG
23
TRÜFFEL À GOGO
HINWEIS
Buch-Cover auf S. 227
UNSER NEUER DALMATINER
©2020 Carolyn Pini
carolyn.pini.org
1
MAGIC TREE
Der Tag beginnt mit einem bonfortionösen Stinker eines magischen Baumes auf Spiegelgrund, denn mein Herrchen hat eine aktuelle Schaffensphase und vollendet mitten in der Nacht seine neue Collage.
Er benutzt dabei Acryl-Farben, Nitro-Farben, Öl-Farben, Klebstoffe, Materialien und Pigmente. Er signiert sein Oeuvre, stellt es im Hausflur auf ausgetretenen Pantoffeln ab – und vergisst dabei das Lüften!
Also beginnt der Tag mit einem stinkenden magischen Baum auf Spiegelgrund, abgestellt auf seinen Pantoffeln. Dass ich sowohl durch das Bild als auch aus dem Bilde gehe, bewirkt der Spiegelgrund. Es ist eine optische Offenbarung, die mir erst nach wiederholten Parademärschen vor dem Objekt einleuchtet.
Mit Kopfschmerzen aufgrund diverser chemischer Ausdünstungen sowie nach einem komatösen Langschlaf, erkenne ich den heutigen Morgen als bereits sehr weit fortgeschritten.
Ich muss müssen. Doch ich muss meinen angeborenen Trieb bremsen, um nicht am stinkenden Baumstamm mein Hinterbein zu heben. Meine gute Erziehung siegt und zum Glück stellt sich alsbald mein Herrchen Konrad ein, öffnet mir die Haustür und schließt sie sofort wieder.
Aha!
Ein Alleingang ist angesagt. Na, dann mal los! Denn nur wer bereit ist zu Aufbruch und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Triebgesteuert laufe ich zum großen Bauernhaus am Ende der Straße im Wendehammer, denn dort wohnt Renate, diese Granate! Mir gleichwohl bekannt von vielen Werbespots – und gleich werde ich dabei sein und zuschauen, denn da wuselt bereits ein Kamerateam herum mit menschlichen extremen Duftnoten, die mein Riesen-Riech-Hirn fluten vermittels androgyner Geruchspartikel sowie eines Cocktails in Puma-C-16-Qualität, ausgedünstet von einem juvenilen Hormonstinker, der sich anschickt, Renate, diese Granate, an einer langen Stange Gassi zu führen.
Er macht mal Pause, fabriziert eine selbstgedrehte Zigarette und pafft langsam, genüsslich langsam…
Oh!
Ah!
Unterm Hollerbusch bei frischer Morgenluft vergnügen wir uns ausgiebig.
Danach, als der juvenile Hormonstinker ins Haus zurückkehrt mit Renate, dieser Granate an Stange, mutmaßte einer der heimlich dabei gewesenen Spanner, also einer der lustvollen Beobachter meines morgendlichen Ritts, dass Bully auf Bully die absolut abgerundete Mischung ergibt, womit er durchschlagend recht behielt, er, der nachfolgend zielgerecht aus dem Renate-Granate-Wurf den kräftigsten Rüden in seine Patchwork-Zweibeiner-Familie holte, dessen großes grünes Oberhaupt er verkörpert.
Neuerdings schaut sich mein Herrchen Konrad häufig ein aus dem sogenannten sozialen Netzwerk heruntergeladenes Hunde-Video an, während ich zwischen seinen Füßen schlafe, doch bei abgehenden Fleischfürzen mal kurz linse und dabei Renate und mich in eindeutiger Stellung auf dem Bildschirm erkenne.
Aha!
Jetzt verstehe ich die vertrackte Konstellation:
Die Überwachungskamera am breiten Bauernhaus filmt mich mit Renate, filmt den juvenilen Hormonstinker beim Drehen und langsamen genussvollen Rauchen seiner Zigarette und filmt auch den filmenden lustvollen Beobachter, diesen anwesenden Spanner mit Foto-Handy, dieses große grüne Oberhaupt einer Patchwork-Familie sowie Besitzer des Bauernhauses, in dem mir keine Neuigkeiten verborgen bleiben, denn ich habe dort neuerdings freien Zugang mit ausdrücklicher Erlaubnis vom großen Grünling namens JoJo.
„Soll doch der Kleine vom Großen beschützt und angelernt werden!“
Hört! Hört!
„Wie nennen wir denn das neue Hündchen?“
Na, da bin ich aber gespannt!
„Krummbein.“
Frechheit!
„Ein knubbeliger Prachtkerl, nicht wahr?“
Schon hat mein Sohn den Perser eingenässt, der Anfang wäre also gemacht!
Wie weiter?
Ganz einfach, das übliche Programm: Geregelte Mahlzeiten, erzieherisches Stöcklein und Einstielung in die Hierarchie. In ihm als Jungspund, dem plötzlich die ersten Beißerchen ausfallen, regt sich kein Widerstand, keine Hinterlist, kein Simulantentum, kein unkontrollierter Jagdausflug, kein Spontanriss im gepflegten Garten des Nachbarn, nein, noch nicht! Denn nur Fressen und Verdauung heißt heuer seine juvenile Lebensanschauung.
Im Lift lernt er beim Starten und Stoppen sehr stark einzuhalten – denn wir Bullys haben von Geburt her eine sensible Blase, und die macht manchmal hops! Später dann, sicherer geworden, konkurriert sie noch auf zwölf oberflächlich porösen und hervorragend saugenden Sandsteinstufen mit der aktuellen Not.
Dank einer grünen Ernährung hat mein Sohn keine Probleme mit der Verdauung. Da nerven uns eher die mannigfachen Kotknicker auf dem Rasen und wir machen gemeinsam Jagd auf Karnickel. Meiner Figur bekommt die jagdliche Bewegung gut und, ich muss neidlos erkennen, dass der Kleine wendiger im Gelände operiert als ich.
Ha!
Mein Sohn Krummbein zeigt sich als Sport-Bully. Zur weiteren körperlichen Ertüchtigung kommt hinzu, dass uns das große grüne Oberhaupt regelmäßig auf eine lange Quälpiste mitschleift, was zwar unser gemeinsam gefühltes Gesundheitsbewusstsein sehr hebt – aber warum denn diese plötzliche körperliche Ertüchtigung?
Mehr zu diesem Thema erfahren Krummbein und ich bei einem gemeinsamen Spaziergang meines Herrchens mit Frau Micksa, der Tante des großen grünen Oberhauptes.
Entschuldigung, von seiner Ziehtante!
In diesem Zusammenhang muss man unbedingt mehr von Tante Micksa erfahren!
Nichts einfacher als das, derweil mein Sohn und ich während ihrer endlos langen Diskussionen mit JoJo in Inhalte politischer Aktivitäten vor-vor-maliger Geschehnisse und aktueller Turbulenzen tief ins politische Geschehen eintauchen, uns dabei in einer Wolke von komatösem Fußschweiß auf den Rücken rollen, alle Viere von uns strecken und vorgeben, im Tiefschlaf märchenhaft mäandernd abzufahren, natürlich vormals kontrolliert von Schwester Euphemias deregulierenden Fragen:
„Machen wir in Schläfchen? Haben wir schon Wasser gelöst?“
Haben wir!
Das Telefon klingelt. Klingelt uns hellwach mit Ohren offen und mit Augen weit geschlossen und hören:
„Hallo, JoJo, auf geht’s!“
Dermaßen diktiert in einem schneidenden Hochdeutsch einer schrillen Stimme inmitten einer Aura zwischen Er oder Sie, und weiter:
„Greenpeace braucht sofort deine Präsenz in Form eines gewichtigen Grünen Ministers.
Bei XY gilt es gegen eine Genmais-Anpflanzung Flagge zu zeigen. Bringe unbedingt deine Bellos mit, denn wir rechnen mit bäuerlichem Gegendruck, und mit deinen tierischen Wadenzwickern bist du uns eine willkommene praktische Hilfe.“
Tante Micksa trimmt ihr hautfarbenes Hörgerät hinter ihrer rechten Ohrmuschel auf Höchstform und zischt zeitgleich in JoJo’s Richtung:
„Hallo!
Du propagierst gewaltfrei bei Greenpeace zu agieren und willst tatsächlich in der nächsten Woche mit Krummbein und Vater als Geleitschutz in Form tierischer Waffen aufkreuzen – großer Junge, mach’ dich doch nicht lächerlich! Rekapituliere konzentriert einmal mehr deine Ziele im Greenpeace-Bekenntnis, die da lauten: Wir sind gewaltfrei und unabhängig! Unabhängig von Regierungen, politischen Parteien und wirtschaftlichen Interessengruppen. Und wir sind international, denn Naturzerstörung kennt keine Grenzen!
Also!
Was sagt dir dieser Basis-O-Ton?
Er sagt dir klipp und klar: Heuer flankiert von Köter Krummbein mit Vater, die auf Kommandos wie Fuß! oder Sitz! oder Fass! nur freudig mit den Knickruten wackeln, verkörperst du den Lach-Mich-Tot-Faktor-1-A.
Willst du das?
Nein!
Das willst du nicht!
In diesem Zusammenhang war dein vorbereitendes Training wahrlich das Beste. Du bist sehr wohl geschrumpft vom schlabberigen schwitzenden Fettkloß zum wohl proportionierten Mannsbild und stehst dabei wieder in der Gunst junger Frauen. Nutze diese einmalige wie definitiv letzte Chance. Und dazu gehört: Bleib daheim mit Krummbein und Vater an deiner Seite, kopiere deren treue Hundeblicke und erhöhe damit deine Begehrlichkeit.“
JoJo öffnet deregulierend die nächste Flasche Rotwein, sieht auf dem Etikett sein eigenes Konterfei – dynamisch strahlend und vivaktiv.
Na ja!
Damals, kurz vor Wendezeiten, und noch vor Einführung der neuen EURO-Währung, war dieses günstig erworbene toskanische Landgut ein wirkliches Schnäppchen, womit sich nahtlos die Einreihung in die grüne Toskana-Fraktion vollzog.
Lang ist’s her.
Damals – ja damals!
Während ich Krummbein anstifte, mit feuchter Nase den linken Fußknöchel seines Herrchens anzustubsen, diesen sodann mit heißer rauer Zunge langsam zu lecken, da hervorlugend aus strumpflos getragenen feinen italienischen Leder-Slippern, nippt JoJo, der große Grüne, wiederholt an der säuerlichen Provenienz seines hauseigenen Weines toskanischen Ursprungs, nippt, nippt wiederholt und stellt sich dabei missmutig die große Frage, warum wer wen im täglichen Leben – aus welchen Gründen auch immer – über den Tisch ziehen will.
Denkt dann aber aufbauend an die morgige früh abendlich angesetzte Sondertanzstunde im INCROWD-PLAZA-Hotel, wo ihn eine junge Frau auf dem glänzenden Parkett als seine neue Tanzpartnerin erwartet. Kongenial pulst ihm im Rhythmus neudeutscher Befindlichkeit folgender historische Satz durchs Hirn:
Ich denke nicht über die Zukunft nach, sie kommt früh
genug. (Albert Einstein 1879-1955).
Er lässt dabei knatternd einen fliegen und fragt sich gleichzeitig, warum Knoblauch kleinasiatischer Provenienz diese knallharte Schubkraft entwickelt.
Nicht nur wegen JoJo’s vehementer Verdauung, sondern primär politisch angepeppt, stellt Tante Micksa demonstrativ den kredenzten Rotwein beiseite, um zielgerecht ein hochprozentiges Schweizer Pflümli zu schlucken – eine Schluckimpfung der besonderen Sorte, wie sie tönt, um nachfolgend den ihr anbefohlenen JoJo bei einer kurzzeitigen Freischaltung seines Haupt-Hirn-Strom-Kreises auf Vordermann zu trimmen.
Ihr halb geleertes Pflümli-Glas entgleitet ihr, da total geschockt wegen JoJo’s bekundeter abstruser Aktionismus-Planung. Pflümli fällt, Pflümli fällt federnd weich auf den Perser, Pflümli fällt abgefedert weich zwischen Krummbeins Gemächt, an dem er kongenial nasal eincheckt und das Pflümli schleckt.
Zugegeben!
Da habe ich weder schnell genug geschaltet noch schnell genug reagiert. Ich hätte mich zumindest beim Schlecken beteiligen sollen.
Krummbein, bereits vom Pflümli angeduselt, verschiebt die anschließende abseitige Konversation in Richtung seiner nachgelagerten Traumsequenzen, während ich voll und ganz den Wortsalat der schrägen Zweibeiner-Sippschaft serviert bekomme:
„JoJo, du solltest zusammen mit Krummbein und seinem Vater JO eine Gesellschaft der Blähungsdeuter gründen, doch vorab, schämt euch!“
„Meiner Beichttante Micksa bekenne ich nunmehr meine Sünden und ich bitte um deren Vergebung, denn Krummbein mit Vater bilden im Greenpeace-Event nur die Spitze vom Eisberg, weil ich nachfolgend beabsichtige, mit ihnen als Beistand einer gewaltfreien politisch übergreifenden Aktion stramm zu stehen, sozusagen als erste allgemeine Verunsicherung.
Äh, als erste allgemeine Bello-Verunsicherung, um mit uns bei der Durchbrechung der Blockade in Nahost auf einem Schiffskonvoi zusammen mit Journalisten, Aktivisten, Menschenrechtlern und Ministern aus verschiedenen Ländern Flagge zu zeigen, wobei sogar aus Deutschland die Bundestagsabgeordnete Inge Höger und Annette Groth teilnehmen werden, mal ganz abgesehen von der medial gewichtigen Präsenz des Schriftstellers Henning Mankell.“
„Hä? Hast’n Knall? JoJo, du tickst wohl nicht mehr sauber! Hat dir etwa steter Konsum deines sauren Rotweins sowohl dein Hirn als auch deinen Blick auf diverse politische Realitäten verätzt? Großer Junge, jetzt hör’ mal gut zu, welchen Satz dir deine Tante Micksa ins Hirn mixt:
JoJo, lass den Blödsinn sein!
JoJo, hast du verstanden, was dir deine lebenskluge Tante empfiehlt, beziehungsweise befiehlt?“
JoJo nippt wiederholt missmutig an seinem sauren Wein und dann, wie zum Trotz, leert er sein Glas in einem Zuge und springt spontan auf.
Aua!
Da bekommen wir gleichzeitig einen Fußtritt vom großen grünen Oberhaupt. Darf das sein – wo sind wir denn?!
Pardon, JoJo muss mal müssen und eilt in Richtung Toilette, wobei wir uns sicher sind, dass er seine Naturmedizin-Kapseln entweder einzunehmen vergessen oder wieder ausgespuckt hat, denn diese lindernden Naturmittel haben nämlich einen moderigen Gras-Geschmack, den auch wir überhaupt nicht goutieren!
Nicht zum ersten Mal würgt er die Kapsel wieder hervor und spuckt sie unkontrolliert aus. Dass ausgerechnet mir etwas Klebriges am linksdrehenden Fell-Wirbel direkt neben meiner Rute anhaftete, fand ich echt ätzend.
Und, wirklich, beim Blick in den Panoramaspiegel im Flur, entdeckte ich dort die halb zerbissene Kapsel. Musste dann so lange warten, bis die Putzfrau aus dem Haus war, um sodann in aller Ruhe auf dem Perser herumzurutschen. Allein die Erinnerung daran lässt mich hochfahren, ich schüttele mich, fiepe leise und lege dabei die Nase in den Falz der Terrassentür, um somit Tante Micksa zu signalisieren, uns mal kurz in den Garten zu lassen.
So!
Nach dem Nässen gönnen wir uns noch einen Leckerbissen, ein unter Blättern und Hornspänen verbuddeltes Schmankerl der besonderen Sorte. Wir zermalmen zwei kleine angegammelte Stückchen eines Puten-Röhrenknochens, kommen pünktlich zurück vor JoJo’s Eintreffen im Wohnzimmer und vernehmen dabei Tante Micksas despektierliche Bemerkung:
„Dieser kleine Krummbein stinkt mit seinem Erzeuger um die Wette!“
Wir trollen uns in Richtung des offenen Kamins und machen uns dort auf der vorgelagerten Funkenschutzplatte lang, jedoch nur als Zwischenlösung, da das Bohren, Knacken, Raspeln und Reiben der Holzwürmer in den daneben gestapelten Holzscheiten unser feines Gehör unsäglich nervt – ebenso wie Tante Micksas nächste Bemerkung:
„Und jetzt noch ein weiterer Stinker. JoJo, sag mal, musst du unbedingt diesen Fidel in deiner Zigarre rauchen?“
„Muss ich!
Muss unbedingt deinen pipi-pieseligen Mentholstängeln Paroli bieten“, während er sich in den ausladenden Klubsessel fallen lässt, auf dem wir beide unser Mittagsschläfchen hielten, während uns feuchte Verdauungswinde überraschten, offensichtlich ausgelöst durch mehrere konsumierte Schnapspralinen, gespinstig bepudert wie weißlich überzogen, jedoch himmlisch angegoren duftend und pikanterweise erschnüffelt hinterm Weidenkörbchen des privaten Posteingangs sowie in direkter Nähe des Humidors mit den kasernierten stinkenden Zigarrenwickeln. Wir sehen simultan eine riesige Rauchwolke, aus deren Zentrum es tönt:
„Ich habe gerade gegoogelt. Tante, deine Bedenken sind gerechtfertigt!
Habe parallel per SMS summa summarum abgesagt und werde stattdessen zusammen mit Krummbein und Vater an einem Wölflingscamp im Eifeldorf Überkyll oder Overkill oder so ähnlich teilnehmen.“
„Großer Junge! Guter Junge!
Es freut mich, dass du den Rat deiner Tante annimmst. Und jetzt ab in die Eifel mit euch.“
Ich vernehme halb dösend das Zauberwort: Wölfling!
Wie aufregend!
Meine nächste Granate?
Krummbeins erste Gespielin?
Wuff!
Wuff!
2
MABOMONGO
Der Herbst kommt.
Der Herbst kommt mit Bauarbeiten, kommt mit nervenden Bauarbeiten in Form eines seitlichen ebenerdigen Hausanbaus, der weit in den Garten hineinreicht.
Da werden polierte Granitplatten als Bodenbelag vor einem Kaminofen verlegt, auf denen ich spontan den Adler mache. Aber nur das erste Mal, denn ich bin lernfähig! Und da werden außenverspiegelte Panoramafenster bis in Bodennähe eingebaut, vor denen Karnickel aufreizend posieren und herumhoppeln und mich nicht sehen können, während ich sie seibernd und zitternd vor Erregung auf der Panoramafensterlänge von langen zehn Metern verfolge. Das geschieht auf griffigen naturbelassenen Holzbohlen, denn dieser neue Anbau dient als Atelier, als Wohnung und als Ausstellungsraum.
Zur Einweihung kommen viele Zweibeiner, deren Gerüche mir neu sind. Komisch, sie bewegen sich im Kreis um einen Tannenbaum herum. Sie haben dabei in der einen Hand ein Glas und in der anderen Fingerfood. Ich folge ihnen kreisend bis mir schwindelig wird und mir bei den herabfallenden Essensresten klar wird, dass es sich um geräucherten Fisch auf weichem Brot handelt.
Wie schön, dass auch der Zweibeiner JoJo als großes grünes Oberhaupt nebst Tante Micksa mit Schwester Euphemia in Begleitung meines Sohnes Krummbein erscheinen!
Krummbein ist noch immer sauer auf seinen unsensiblen zweibeinigen Obertrampel, der ihn eine Woche lang im Hundecamp Heimaterde trainieren ließ bei Drill, Scheißfraß und stupiden Aktivitäten wie Agility und Weight Pulling und dabei permanent umgeben war von notorischen Pudeln, von Nackthunden und von kastrierten Hündinnen, kaum dass ein gesichertes Eingangstor durchschritten worden war, über dem eine eiserne Mahnung an die Gegenwart prangte:
Wahret Deutsche Art / Der Väter Geist, er lebe fort! Und am Stahlmast daneben klirrte die Fahne mit dem German Herzilein in Schwarz-Rot-Gold.
Nanu! Nana!
Was macht denn da mein Sohn gerade?
Nein, er hebt nicht sein Bein unterm Tannenbaum, doch wie aus der Pistole geschossen platziert er neben dem Stamm mehrere wohlgeformte Kotkugeln, deren dominante Geruchsverbreitung etwas länger auf sich warten lassen wird, da Tante Micksa Menthol-Zigaretten raucht und JoJo just einen Zigarrenwickel in Brand setzt.
Mein Sohn Krummbein und ich verdrücken uns diskret in Richtung der Haustür, um weitere Gäste bei ihrer Ankunft zu melden. Und tatsächlich, da kommt noch ein Zweibeiner-Pärchen mit Renate.
Ich höre, dass die Schnabels ihr Haus der aufgehenden Sonne mit Sammlerstücken ausstaffiert haben und dass wir gerne zu einem Besuch eingeladen sind, während ich schwanzwedelnd herumwusele, natürlich besonders um Granate Renate. Dabei fällt das Gastgeschenk scheppernd zu Boden und eine Maske aus Kupfer in Treibarbeit mit riesigen Augen springt mich unheimlich an.
Mein Herrchen hängt das Gebilde an den Tannenbaum, nunmehr umweht von einem Duftpotpourri der besonderen Sorte. Jedenfalls haben Tante Micksa mit Schwester Euphemia den tierischen Basisduft eruiert und uns in den Garten geschickt.
Lange bleiben wir nicht, denn das einsetzende Winterwetter lockt uns wieder vor den Kaminofen.
Wir schütteln uns kräftig und befreien uns von feinen Schneekügelchen, die ein scharfer schneidender Nordostwind zum Winterauftakt ins Fell pustet.
Anfang Januar berichtet der Deutsche Wetterdienst: So ein Tag, so arktisch kalt wie heute, den gab es lange schon nicht mehr. Beim Gassi gehen bibbere ich und hacke zügig ab.
Mitte Januar berichtet der Deutsche Wetterdienst: Seit 5: 45 Uhr wird der Vorstoß arktischer Kaltluft bis nach Süddeutschland erwartet. Zum Aufwärmen springe ich im Dreieck, wenn der Postmann klingelt.
Ende Januar berichtet der Deutsche Wetterdienst: Die ungewöhnlich scharf ausgeprägte Grenze zwischen der milden Meeresluft über dem südlichen Mitteleuropa und der extrem kalten arktischen Festlandluft über Nord- und Osteuropa schaffen zunehmende Winde mit Böen bis zu 102 km/h.
Anfang Februar berichtet der Deutsche Wetterdienst: Mit Eisregen, einhergehend mit Dauer-Schneefällen zwischen 40 und 80 cm und anhaltendem Dauerfrost bis minus 18,6 Grad ist zu rechnen, ebenso mit Schneeverwehungen.
Mein Herrchen kommentiert:
„Wohl dem, der Heimat hat – Kaminofen, Kaminofen über alles!“, während ich fiepe:
„Spiel mir das Lied vom heißen Sand im Doggy-Land!“
Mitte Februar berichtet der Deutsche Wetterdienst: Keine Wetteränderung in Sicht, während ich schniefe und denke:
JO! Was meinst denn du dazu? Schnee, Schnee, Schnee und nochmals Schnee.
Und ich höre:
„Klanghölzer werden uns erquicken. Und durch den Schnee, der leise fällt, schroten wir, schroten wir – und auf den kantig scharfen, schneeverwehten Crossroads triumphieren wir, ja, triumphieren wir. Hier, in unserem Revier.
Uuuh!
Über’s Dach fegt der Wind, der Wind, der Wind.
Das himmlische Kind.
Im Abendland, wo wir uns finden, wohl unterm Bankenschirm.
Beim Tanzen mit Schranzen im schönen Balkanrund.
Mit Griechen beim Kriechen.
Zur späten Stund.
Mit Nachtgestirn am Himmelsrund.
Dem Mond von Wanne-Eickel über Slinky Springs To Fame.
Über Gasometer, Manometer und Tetraeder als Ankerpunkte im industrialisierten Land. Gesäumt von Abraumhalden, von Hochöfen und von Kohlehalden. Wo in Reih und Glied die Schlote stehen und wo die Förderräder sich am Turm wie Geister drehen und gleichzeitig aus dem Bilde gehen. Wo Feuerbälle wabern, Lichtergarben stieben – im Wind, im Wind, im Wind…. Und wo Volltrefferstorys uns in Mark und Bein erschüttern.
Uuuh!