Black Knights Inc. - Fest im Griff - Julie Ann Walker - E-Book

Black Knights Inc. - Fest im Griff E-Book

Julie Ann Walker

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Beschreibung

Atemberaubende Spannung und fesselnde Leidenschaft


Einem korrupten CIA-Agenten dicht auf den Fersen, führt Dan "The Man" Curringtons dringliche Mission ihn bis nach Peru. Doch kurz bevor er den Schurken dingfest machen kann, wird das Mitglied der Black Knights Inc. abrupt gestört, als Penni DePaul seinen Weg kreuzt. Und plötzlich ist alles anders: Nichts ist wichtiger für Dan, als für die Sicherheit der jungen Frau zu garantieren. Denn seit Penni und er sich das erste Mal getroffen haben, gehen sie einander nicht aus dem Kopf. Und während das Knistern zwischen ihnen immer heftiger wird, liegt ein Geheimnis zwischen ihnen, dass ihrer beider Leben grundlegend verändern könnte ...

"Diese ausgezeichnete Liebesroman garantiert Spannung und Action vom Anfang bis zum Ende!" Publishers Weekly


Band 8 der Black-Knights-Inc.-Reihe von New-York-Times- und USA-Today-Bestseller-Autorin Julie Ann Walker


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Seitenzahl: 555

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmungZitatProlog1234567891011121314151617181920212223DanksagungDie AutorinJulie Ann Walker bei LYXImpressum

JULIE ANN WALKER

Black Knights Inc.

Fest im Griff

Ins Deutsche übertragen von Michael Krug

Zu diesem Buch

Black Knights Inc.: Nach außen hin ein High-End-Motorradladen – in Wirklichkeit eine Elitespezialeinheit der Regierung, die für die riskantesten und geheimsten Einsätze gerufen wird …

Einem korrupten CIA-Agenten dicht auf den Fersen, führt Dan »The Man« Curringtons dringliche Mission ihn bis nach Peru. Doch kurz bevor er den Schurken dingfest machen kann, wird das Mitglied der Black Knights Inc. abrupt gestört, als Penni DePaul seinen Weg kreuzt … und plötzlich ist alles anders: Nichts ist wichtiger für Dan, als für die Sicherheit der jungen Frau zu garantieren. Denn seit Penni und er sich das erste Mal getroffen haben, gehen sie einander nicht aus dem Kopf. Und während das Knistern zwischen ihnen immer heftiger wird, liegt ein Geheimnis zwischen ihnen, das ihr beider Leben grundlegend verändern könnte …

Für die Autorinnen, die mir durch tägliche E-Mails Gesellschaft leisten, die meinen Verstand beisammenhalten, wenn sich meine Schrauben zu locker drehen, und die mich immer wieder mit »Schreib gefälligst das nächste verdammte Buch, Jules!« ermutigen. Danke!

Der wahre Soldat kämpft nicht, weil er hasst,

was er vor sich hat, sondern weil er liebt,

was er hinter sich hat.

– G. K. Chesterton

Prolog

Goose Island, Chicago, Illinois

Donnerstag, 17:28 Uhr

»Beruhig dich, Mann. Wenn du so weitermachst, explodiert dir noch das Hirn. Und davon will ich echt nichts abbekommen.«

Penni DePaul erkannte die Stimme des Mannes, der sprach, als sie dem rothaarigen Hünen namens Geralt durch das schmale Tor an der Seite des großen Lagerhauses folgte, das Black Knights Inc. beherbergte.

»Um meinen Kopf mach’ ich mir keine Sorgen«, erwiderte ein dröhnender Bass. »Eher um deinen. Ich meine, Ozzie, Alter, dir ist schon klar, dass die Frau total durchgeknallt ist, oder?«

»Kann sein«, gab Ozzie zurück, als Penni um die Ecke bog und stehen blieb, weil die riesigen Bikerstiefel von Geralt vor ihr wie angewurzelt auf den Pflastersteinen der Terrasse verharrten. »Aber falls sie es ist, steht sie für das heiß in psychotischer Scheiß. Hab’ ich nicht recht?«

Als Penni um den breiten Rücken von Geralt herumspähte, landete ihr Blick auf Ethan »Ozzie« Sykes. Er saß mit dem Rücken zu ihr auf einem knallroten Adirondack-Gartensessel. Und soweit sie das beurteilen konnte, sah er ziemlich gut für einen Mann aus, dem beinah das Bein weggesprengt worden wäre. Das fragliche Bein steckte in einem Stützverband und ruhte hochgelagert auf dem Steinsims einer großen, in der Mitte des Hofs hinter dem Lagerhaus errichteten Feuergrube. Den Hof umgaben Nebengebäude und eine viereinhalb Meter hohe Ziegelmauer mit Stacheldraht und einem Arschvoll Überwachungskameras oben drauf.

Für Uneingeweihte und Unerfahrene sah Black Knights Inc. genau so aus, wie es aussehen sollte, nämlich wie der Arbeits- und Wohnbereich einer Gruppe grobschlächtiger, derber Kerle, die fantastisch gepimpte Motorräder in einem nicht sonderlich beschaulichen Stadtteil bauten. Und wegen des letzten Aspekts ist all die Hightech-Sicherheitsausrüstung nötig, klar? Aber Penni war weder uneingeweiht noch unerfahren. Sie kannte die kalten, harten Fakten hinter der aus Chrom und Leder bestehenden Fassade von BKI bestens. Bei ihrem letzten Einsatz hatte sie mit Ozzie und zwei weiteren Black Knights zusammengearbeitet – und sie konnte ohne den geringsten Zweifel bestätigen, dass diese Jungs wesentlich mehr taten, als chromglänzende Maschinen zu gestalten, die Asphalt zum Abendessen verschlangen und röhrten wie Ungetüme aus Stahl.

Die Motorradwerkstatt diente lediglich als Fassade für das geheimste für die Regierung arbeitende Unternehmen, das man je aus sämtlichen Akten von Vater Staat geschwärzt hatte und über das bestenfalls gemunkelt wurde. Es war, das musste man zugeben, eine wirklich hervorragende Tarnung. Vor allem, wenn man berücksichtigte, dass die drei Kerle, mit denen Penni beim verhängnisvollen Auftrag – so dachte sie mittlerweile über die Mission, die ihr Leben für immer verändert hatte – zusammengearbeitet hatte, alle ein klein wenig ungepflegt und dafür reichlich tätowiert gewesen waren. Sündhaft gut aussehende Doppelgänger der Hells Angels …

»Und wenn du’s unbedingt wissen willst«, fuhr Ozzie fort, »zufällig steh’ ich auf verrückt. Das sorgt für echt interessante Unterhaltungen. Außerdem« – er trank einen Schluck von einem Bier mit einem roten Etikett, auf dem »Honker’s Ale« stand – »macht sie mir den Eindruck, dass sie eine echte Furie im Schlafzimmer sein könnte.«

»Herr, wirf Hirn vom Himmel!« Der Mann, dem die Bassstimme gehörte, saß an einem mit riesigen Schüsseln beladenen Picknicktisch. Sie schienen Kartoffelsalat, Krautsalat und gebackene Bohnen zu enthalten. Er knallte seine eigene Bierflasche so wuchtig auf die Tischplatte, dass aus dem langen Hals der Schaum wie aus einem Geysir spritzte.

»Ich weiß, du bist durch deine hübsche Visage dran gewöhnt, dass sich dir die Frauen zu Füßen werfen«, fügte er hinzu. »Aber sie hat in der Kneipe gestern Nacht nur deshalb mit dir geflirtet, weil sie ’ne verfluchte Reporterin ist, die hier schon seit Jahren auf der Suche nach ’ner verfickten Story rumschnüffelt. Selbst wenn eine Irre in Nylons dein perverses Ding ist, sollte ihr beknackter Job ihre Anziehungskraft für dich schneller schrumpeln lassen als den Sack von ’nem Eskimo, der im Freien pinkelt.«

Der Mann hatte unbestreitbar einen unheimlichen Hang zu blumigen Beschreibungen. Und zu Kraftausdrücken. Und zu Narben. Von Letzteren hatte er im zerklüfteten Gesicht mehr als genug.

Penni wusste nicht genau, womit sie gerechnet hatte, nachdem sie vom Taxi vor den kolossalen Toren von BKI abgesetzt worden war und Geralt im Torhaus mitgeteilt hatte, sie müsste mit Dan »The Man« Currington reden. Aber sicher nicht damit, zu einem Hinterhofbarbecue mit rauchendem Grill und drei Typen geführt zu werden, die auf nicht zusammenpassenden Gartenmöbeln lümmelten, während sie über das Für und Wider des Bettsports mit einer namenlosen Zeitungsreporterin diskutierten. Der dritte Mann trug eine grüne Baseballmütze mit dem Logo von John Deere, zupfte auf einer alten, sechssaitigen Martin und schien die anderen beiden vollkommen zu ignorieren.

Der Geruch von bratendem Fleisch hing durchdringend in der kühlen Brise. Er konkurrierte mit dem feuchten, fischigen Aroma des nahen Chicago River und der hopfigen Köstlichkeit der offenen Bierflaschen. Ohne all die Überwachungskameras und den Stacheldraht hätte Penni glatt gesagt, Black Knights Inc. vermittle weniger den Eindruck einer supergeheimen Festung von Spionen, sondern eher den einer entspannten Junggesellenhöhle, in der alte Kumpel miteinander abhingen.

»Ja.« Ozzie nickte vage und kratzte sich am Kinn. »Die Sache mit der Reporterin ist tatsächlich ein klitzekleiner Nachteil.«

»Ein klitzekleiner?« Der Narbengesichtige bedachte Ozzie mit einem ungläubigen Blick, der den Gitarre spielenden Mann bewog, sich letztlich doch noch ins Verbalgefecht zu werfen.

»Ich weiß nicht, warum du so überrascht bist, mon ami«, ergriff er das Wort. Penni erkannte seine seidenweiche Stimme und seinen sirupsüßen Akzent sofort von einem Telefongespräch, das sie mit ihm während des verhängnisvollen Auftrags geführt hatte. Sein Name war Rock. Aber während der berühmtere Rock – der Filmstar – groß und muskelbepackt war, erwies sich dieser Rock als schlank und drahtig … und er trug ein ziemlich schickes Paar abgewetzter Krokodillederstiefel. »Du weißt doch, dass Ozzie nie etwas anderes als die Vorteile von etwas oder jemandem sieht, schon gar nicht von jemandem mit Möpsen. Bis man ihn auf die Nachteile hinweist.«

Ozzie drehte sich um und grinste Rock an. Und obwohl ihn Penni dadurch lediglich im Profil sah, fiel ihr auf, dass sich der Ausdruck in seinem Gesicht ein wenig von dem unterschied, den sie vor drei Monaten gesehen hatte. Er wirkte stumpfer. Trauriger. Irgendwie härter.

Ihre Gedanken kehrten zu den Bombenanschlägen in dem Hotel in Kuala Lumpur zurück – den Anschlägen, bei denen ihre Kollegen, ihre Freunde umgekommen waren – und begannen, an der Erinnerung wie an einem Schorf zu kratzen. Was darunterlag, brannte und schmerzte, doch Penni hatte in den vergangenen Monaten das eine oder andere gelernt. Dazu gehörte, wie man tief durchatmete und die hässlichen Gedanken vertrieb, bevor sie sich aufbäumen und einen unter einer Welle von Kummer begraben konnten. Sie war sich nicht sicher, ob die Zeit wirklich alle Wunden heilte, wie es hieß, oder ob sie einem bloß beibrachte, wie man die chronischen Blutungen stillen konnte.

Geralt, den sie sich davor nur in Gedanken als karottenköpfigen Koloss vorgestellt hatte, musste eine Pause in der Debatte der Männer gewittert haben. Er räusperte sich und sagte: »Apropos Rockträgerinnen« – sein Akzent stammte zu hundert Prozent aus Chicago, der »Windy City«, denn die Worte kollidierten miteinander wie Autos bei einer Karambolage auf dem Eisenhower Expressway – »wir haben eine hier, die sagt, sie sucht nach Dan Man.«

Penni versuchte noch, zu entscheiden, ob sie Anstoß daran nehmen sollte, als »Rockträgerin« bezeichnet worden zu sein, als der Narbengesichtige und Rock von ihren Sitzen aufsprangen. Ozzie streckte den Kopf um die Seite des Gartensessels herum. Und plötzlich fühlte sie sich…

Nein, nicht verängstigt, jedenfalls nicht ganz. In ihren siebenunddreißig Lebensjahren war sie schon mit Schlimmerem konfrontiert gewesen als mit vier patriotischen, waffenverliebten Männern, die sich als Motorradmechaniker ausgaben. Nun jedoch, da sie sich zu Black Knights Inc. gewagt hatte und kurz davorstand, Dan zu gestehen, dass es ihr seit dem verhängnisvollen Auftrag nicht gelungen war, ihn aus dem Kopf zu bekommen, und dass sie…

»Agent DePaul!«, rief Ozzie, stemmte sich aus dem Sessel hoch und griff sich die Krücken, die daran lehnten. Er humpelte zu ihr, schlang ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie kräftig. Die Geste gestaltete sich durch die unter seine Achselhöhle geklemmte Krücke etwas linkisch. »Vergesst meine Fantasie von einem Intiminterview mit Starreporterin Samantha Tate«, sagte er zu Rock und dem Narbengesicht. Intiminterview? Gott Allmächtiger. »Meine künftige Gemahlin ist nämlich gerade eingetroffen!«

M-hm. Klar. Denn während ihrer Zusammenarbeit in Kuala Lumpur hatte Ozzie sie mindestens ein halbes Dutzend Mal unbekümmert – und total unaufrichtig – gefragt, ob sie ihn heiraten würde.

Grinsend wandte sie sich ihm zu, dankbar für die überschwängliche Begrüßung und den Balsam, den er für ihre angespannten Nerven verhieß. Doch ihr Lächeln geriet ins Stocken, als sie seine Augen sah.

Er hatte sich verändert.

Verschwunden war jener Funke, jenes strahlende, goldene Leuchten, das in seinem Innersten zu nisten schien. Stattdessen lauerten Schatten hinter seinen saphirblauen Iriden. Tiefe Schatten. Dunkle Schatten. Schatten, die Penni verrieten, dass seine gutmütigen Scherze ein einstudierter Akt waren, ein aalglatter Anstrich, um zu überdecken, was in ihm zerbrochen war und litt.

Penni war unschlüssig, ob sie sich besser oder schlechter durch das Wissen fühlte, nicht als Einzige von jenem verhängnisvollen Auftrag unwiderruflich verändert worden zu sein. Bei näherer Überlegung wurde sie sich doch sicher: schlechter. Sie fühlte sich dadurch definitiv schlechter.

Aber was kann man schon groß tun?

Weitermachen mit dem Weitermachen, sonst nichts. Eine Weisheit, nach der zu leben Penni von ihrem Vater eingebläut worden war.

»Deine künftige Frau, ja?«, fragte sie Ozzie, nachdem sie beschlossen hatte, mitzuspielen. Wenn er unbedingt falsche Fröhlichkeit ausstrahlen wollte, lag es ihr fern, ihm die Maske vom Gesicht zu reißen. »Wie kommst du darauf, ich könnte jetzt auf deinen Antrag zurückkommen, nachdem ich ihn davor jedes Mal abgelehnt habe?«

»Na ja, warum solltest du wohl sonst hier sein?« Er wackelte mit den blonden Augenbrauen. »Ich meine, mir erscheint offensichtlich, dass du endlich zur Vernunft gekommen bist und beschlossen hast, mich zum glücklichsten Mann auf dem Pl…«

»Jetzt schalt mal die Hormonschleuder ’nen Gang runter, du sexbesessener Vollpfosten«, schnitt ihm der Narbengesichtige das Wort ab und verschränkte die Arme vor der Brust, als er sich vor ihnen aufbaute. Er war ein Berg von einem Mann. Fast zwei Meter pralle, definierte Muskelmasse. »Mir wird schlecht von dem ganzen Mist, den du damit versprühst.«

»Sexbesessen? Ich?« Ozzies Tonfall und Gesichtsausdruck waren der Inbegriff von Ungläubigkeit. »Du musst grade reden. Mich überrascht jeden Morgen, dass Becky noch aufrecht aus deinem Schlafzi…«

»Nicht vor unserem Gast«, fiel ihm der Narbengesichtige knurrend erneut ins Wort. Penni überraschte, dass Ozzie bei dem Blick, den ihm der Mann zuschleuderte, nicht die Kronjuwelen in die Bauchhöhle flüchteten. »Und schon gar nicht, bevor wir einander vorgestellt worden sind.«

»Typisch.« Ozzie schüttelte den Kopf. »Austeilen kannst du, aber einstecken nicht.«

Als eine Ader des Durchmessers eines Gartenschlauchs auf der Stirn des Narbengesichts erschien, lenkte Ozzie rasch ein und stellte Penni offiziell Richard »Rock« Babineaux und Frank »Boss« Knight alias Narbengesicht vor. Nachdem Penni den Männern die Hand geschüttelt hatte, drehte sie sich um und wiederholte die Geste bei Geralt, dem sie außerdem dafür dankte, dass er sie begleitet hatte.

Der karottenköpfige Hüne fuhr sich mit einer Hand über den Bürstenschnitt und erwiderte mit dramatisch anzüglicher Miene: »Glaub mir, das Vergnügen war ganz auf meiner Seite. Und falls du schlau bist und dich doch nicht von Ozzie an die Kette legen lässt, wie wär’s, wenn du und ich ein Tässchen Kaffee schlürfen, bevor du gehst? Also dann, bis später.« Er besaß doch tatsächlich die Dreistigkeit, ihr langsam zuzuzwinkern, bevor er sich mit einem selbstgefälligen Lächeln Ozzie zuwandte. »Ich hatte schon immer ’n Faible für Akzente aus New York City, erst recht, wenn zum Akzent ’ne Braut mit Beinen ganz nach oben gehört.«

Von der »Rockträgerin« zur »Braut«. Penni war nicht sicher, ob sie das als Verbesserung betrachten sollte. Und hatte nicht jeder Beine, die ganz nach oben reichten bis … na ja, bis dorthin, wo Beine eben endeten? In der Regel an den Hüften.

»Halt dich gefälligst zurück, du Tölpel von ’nem riesigen Rotschopf!« Ozzie versetzte Geralts Schulter einen Stoß, mit dem es ihm jedoch nicht gelang, den karottenförmigen Koloss auch nur einen Zentimeter zu bewegen. »Ich hab’ sie zuerst gesehen!«

»Oh, klar.« Geralt verzog das Gesicht. »›Ich hab’ sie zuerst gesehen.‹ Der Standardspruch kleingeistiger Typen mit noch kleineren …«

»Gentlemen, bitte«, ging Penni dazwischen. Ihr drehte sich alles von dem Wirbelwind, als der sich ihre ersten fünf Minuten bei Black Knights Inc. erwiesen. Und dann war da noch ihr Magen … Der wurde beim Gedanken daran, was sie zu tun gedachte, dermaßen nervös, es kam einem Wunder gleich, dass sie ihr Mittagessen bei sich behielt. Dabei hatte sie sich so friedlich, so gelassen gefühlt, als sie die Entscheidung getroffen hatte, herzukommen. Nun jedoch, da sie sich tatsächlich hier befand, kurz davor, alles zu beichten? Vorbei mit friedlich, vorbei mit gelassen. Und Ozzie und Geralt? Tja, die halfen auch nicht im Geringsten.

Die Stimme ihres Vaters hallte durch ihren Kopf. Wenn du in der Zwickmühle steckst, Penelope Ann DePaul, ist der einzige Weg hinaus stur geradeaus.

Ihr Dad war randvoll mit kleinen Weisheiten und Sprüchen wie diesem gewesen.

»Ist keineswegs so, dass ich mich nicht extrem geschmeichelt fühle, auf ein Kauspielzeug reduziert zu werden, um das sich zwei große, geifernde Rüden streiten …« Sie zog eine Augenbraue hoch, um die beiden Männer wissen zu lassen, dass sie den Begriff nicht abwertend meinte. Ihr war voll bewusst, dass dieses kleine Kräftemessen nichts mit ihr und alles damit zu tun hatte, dass beide Männer nur so vor Testosteron strotzten, das sie zwang, sich auf jede sich bietende Gelegenheit zu stürzen, um einander anzuknurren, sich gegeneinander zu behaupten und einander zu beleidigen. Männer. Penni schüttelte den Kopf. »Aber ich muss wirklich mit Dan reden.«

Geralt besaß so viel Anstand, sich auf die Innenseite der Wange zu beißen und so rot anzulaufen wie die Kirschen, die sie damals zu Hause in Brooklyn auf Kirschkuchen gepackt hatten. Aber Ozzie? Der grinste nur noch breiter. Dieser unverschämt gut aussehende Flegel.

»Wir lassen dich mit Dan reden«, sagte Boss, dann verengte er die Augen zu Schlitzen. »Wenn du mir glaubhaft versichern kannst, dass es nichts mit der üblen Kacke in Malaysia zu tun hast«, schränkte er ein.

Als Penni den Mund öffnete, drang zu ihrem totalen Entsetzen zuerst heraus: »Ich-ich…« Hallo? Welcher jämmerliche Mistkerl hatte ihr gerade die Zunge verknotet? Sie schluckte und nahm einen neuen Anlauf. »Ich würde das wirklich lieber mit Dan persönlich besprechen, und ich …«

Bevor sie den Satz beenden konnte, kamen drei ausgelassen lachende Frauen durch die Hintertür der Lagerhalle heraus. Unter ihnen befand sich eine zierliche Blondine, aus deren Mund der Stiel eines Lollis ragte. Sie trug eine riesige Kasserolle mit … Pfirsich-Cobbler, dem Geruch nach. Neben ihr befand sich eine große, kurvenreiche Frau mit einer erstaunlichen Mähne kastanienbrauner Haare. Sie hielt ein in eine Decke mit dem Logo der Chicago Cubs gewickeltes Baby – das kleine Bündel gluckste und brabbelte und schwenkte ein pummeliges Fäustchen durch die Luft. Das Schlusslicht des Trios bildete eine dunkelhäutige, dunkeläugige Schönheit, die schnurstracks auf Rock zuhielt und ihm auf den Hintern klatschte, bevor sie bemerkte, dass sich eine Fremde unter ihnen befand.

»Wen haben wir denn da?«, erkundigte sich die Schwarzhaarige und schlang einen Arm um Rocks Taille. Rock strich ihr eine tiefschwarze, lockige Strähne aus dem Gesicht und bückte sich, um ihr einen zarten Kuss auf die Schläfe zu drücken.

»Vanessa«, sagte er mit jenem bezaubernden, gedehnten südlichen Akzent, der Bilder vom Bayou in Louisiana wachrief, »das ist Agent Penni DePaul.«

Penni öffnete den Mund, um ihn daran zu erinnern, dass Vanessa und sie während des verhängnisvollen Auftrags am Telefon miteinander gesprochen hatten, und um ihn zu korrigieren, was die Sache mit »Agent« anging. Sie schloss ihn jedoch wieder, als er ihr gleich darauf Becky vorstellte, die Blondine, und Michelle, die Kastanienbraune. Penni machte außerdem die Bekanntschaft des glucksenden Babys namens Jacob Michael Sommers, Jr. Oder kurz JJ.

Diese Leute sind mehr als Kollegen, erkannte Penni leicht erschrocken, als Becky die Kasserolle auf den Picknicktisch stellte, zur Gruppe zurückkehrte und den Lutscher aus dem Mund nahm, damit sie Boss zu sich herabziehen und sich einen lauten Schmatz von ihm holen konnte. Die sind eine Familie. Eine große, laute, liebevolle Familie. Dans Familie. Und ich dringe bei ihnen ein. Bei ihm.

Gut, schon klar. Nur weil Malaysia sie dazu bewogen hatte, einige große Entscheidungen für ihren weiteren Lebensweg zu treffen, musste dasselbe noch lange nicht für Dan gelten. Das war ihr natürlich klar gewesen, bevor sie in das Flugzeug gestiegen war, das in westlicher Richtung vom Reagan National Airport abgehoben hatte. Und nur weil das, was in jenen höllischen vierundzwanzig Stunden zwischen ihnen vorgefallen war, für sie eine enorme Tragweite hatte, musste er dem noch lange nicht dieselbe Bedeutung beimessen, auch das war ihr sonnenklar. Nun jedoch, nachdem sie sich mit eigenen Augen davon überzeugt hatte, wie beeindruckend Black Knights Inc. war, und nachdem sie den Menschenschlag kennengelernt hatte, der Dans Leben erfüllte, fragte sie sich unwillkürlich, ob er seither auch nur flüchtig an sie gedacht hatte.

Penni spielte ernsthaft mit dem Gedanken, den Schwanz einzuziehen und das Weite zu suchen. Es wäre so einfach, sich umzudrehen, durch das Tor hinauszumarschieren und zu vergessen, dass sie je …

Nein. Nein! Penni war nicht feige. Sie war hergekommen, um loszuwerden, was sie auf dem Herzen hatte. Und man konnte den Hintern darauf verwetten, dass sie genau das tun würde. Sie straffte die Schultern, ließ den Blick über die Gesichter wandern, die sie erwartungsvoll anstarrten, und platzte hervor: »Ich komme mir ja ein bisschen wie eine Schallplatte mit Sprung vor, aber ich muss wirklich …«

»Mit Dan reden«, beendete Boss den Satz für sie. »Sobald du uns verraten hast, worum es geht. Denn falls der Secret Service ein Problem damit hat, wie die Dinge in Kuala Lumpur von ihm gehandhabt worden sind, dann bin ich es, mit dem du dich unterhalten musst, nicht er. Wenn es um BKI geht, ist genau hier Endstation.« Er deutete mit einem Daumen auf seine footballfeldgroße Brust.

Was hab’ ich gesagt? Familie. Diese Leute traten füreinander ein und rückten zusammen, als es danach aussah, dass sie versuchte, sich in ihre Mitte zu drängen. Wieder nistete sich ein Fünkchen von Zweifeln in ihrem Hinterkopf ein. Na schön, wem wollte sie etwas vormachen? Mehr als nur ein Fünkchen. Eher ein ausgewachsener Waldbrand.

»Damit hat es nichts zu tun, ich schwör’s«, beteuerte sie. »Worüber ich mit Dan reden will, ist irgendwie … na ja …« Herrje, allmählich wird es peinlich. »Es ist persönlich.«

»Hmmm«, brummte Boss.

Hmmm? Das war alles, was er zu sagen hatte? Nur … Hmmm?

Anscheinend, denn während die Uhr eine gefühlte Ewigkeit tickte, standen sie alle einfach nur da. Penni sah die Anwesenden an. Die Anwesenden sahen sie an. Das Baby brabbelte vor sich hin, das Fleisch brutzelte auf dem Grill. Irgendwo auf dem Fluss hinter der Außenmauer kreuzte ein Ausflugsboot vorbei, auf dem die Passagiere von einem Fremdenführer mit Geschichten über Baby Face Nelson und Al Capone bespaßt wurden.

Schließlich wischte Becky mit einer Hand durch die Luft und lachte. »Puh! Bilde ich mir das nur ein? Oder haben sich gerade ein paar unschöne Spannungen über diese Grillparty gelegt? Penni« – sie biss auf den Lutscher und kaute geräuschvoll – »du musst diesem großen Klotz hier gar nichts erzählen.« Die Blondine stupste Boss mit dem Ellbogen, entlockte ihm ein Grunzen. »Denn die Wahrheit ist: Dan ist nicht hier.«

»Ist er nicht? Wo steckt er?« Penni hätte wissen müssen, dass sie sich die Frage hätte schenken können. Sie erntete damit nur verschlossene Blicke. »M-hm.« Penni nickte. »Alles klar, schon verstanden.« Als sie sich dabei ertappte, dass sie mit einem Finger über die kleine Erhebung in ihrem Nasenrücken rieb, ließ sie die Hand rasch sinken und ballte die Finger zur Faust. »Könnt ihr mir zumindest sagen, wann er zurück sein wird?«

Becky schaute zu Boss auf. Offensichtlich sah sie Zustimmung in seinem Gesicht – wenngleich Penni hinter seiner stockfinsteren Miene nicht das Geringste ausmachen konnte –, denn sie gestand: »Wir wissen es nicht. Könnten Tage sein. Oder auch Monate.«

»Monate!«, krächzte Penni. Ihr Herz sackte so rasant abwärts, es überraschte sie, dass sie es nicht auf dem Rasengitter zu ihren Füßen liegen sah. Und die Schultern, die sie gerade gestrafft gehabt hatte? Trotz aller Bemühungen sanken sie niedergeschlagen herab. Sie hatte allen Mut zusammengenommen, war so weit gereist …

»Ich finde, wir sollten ihr sagen, wo er ist«, murmelte Michelle, die ersten Worte von ihr seit der Vorstellungsrunde.

Penni schaute auf und stellte fest, dass die Frau sie eindringlich musterte, während sie das Baby wiegte. Penni blinzelte und spielte mit dem Gedanken, sich den Finger ins Ohr zu stecken und es gründlich durchzuschütteln, weil sie glaubte, sich verhört zu haben.

Anscheinend hatte Boss dasselbe Problem. Er schüttelte den Kopf. »Wie war das, Shell? Was zum Henker hast du grade gesagt?«

»Ja.« Michelle nickte, während sie Penni weiter musterte. »Ich finde definitiv, wir sollten ihr sagen, wo sie ihn finden kann.«

1

Cusco, Peru

Freitag, 16:55 Uhr

»Ich schwör’ dir, wenn du noch einen Bissen von diesem verfluchten Meerschweinchen nimmst, siehst du mich in voller Pracht rückwärts essen.«

Dan »The Man« Currington schaute zu seinem Freund und Teamkameraden hinüber und zog eine Augenbraue hoch. In den zwei Tagen, die sie sich bereits in der kleinen, in einem Hochtal der Anden gelegenen Ortschaft aufhielten, hatte sich Dagan Zoelner standhaft geweigert, die lokale Spezialität zu kosten. Und da es als ungeschriebene Regel unter Agenten für Sondereinsätze – oder bei näherer Betrachtung unter Männern im Allgemeinen – galt, dass Ekelwettbewerbe gleich dahinter rangierten, sich gegenseitig bei Beleidigungen, beim Schießen oder beim Kämpfen zu übertrumpfen, griff er zu dem in Alufolie gewickelten Snack, den er von einem Straßenverkäufer erstanden hatte, riss eine Keule davon ab und schlürfte geräuschvoll das saftige, gegrillte Fleisch vom Knochen. Der Teufel in ihm bestand darauf, dass er als Zugabe extra langsam kaute und laute Schmatzgeräusche von sich gab.

Zoelners Oberlippe zog sich angewidert zurück. Es schüttelte ihn, und er rutschte zum gegenüberliegenden Ende der Bank, wo er das Kinn in seinem Halstuch vergrub.

Ein Punkt für den Dan Man! Dan setzte ein Häkchen in die Sieg-Spalte seiner imaginären Wertungstafel des Lebens.

»Nur fürs Protokoll«, sagte er und leckte sich die Finger ab. Am Rande nahm er wahr, wie die kühle, trockene Luft von den Berggipfeln herabflüsterte, das rhythmische Plätschern des Springbrunnens hinter ihnen unterbrach und seine Haarenden vibrieren ließ. »Ich habe schon entschieden Schlimmeres gegessen. Halbgares, mehrere Tage altes Ziegenfleisch aus den Kandil-Bergen kommt mir da zum Beispiel in den Sinn. Die Scheiße lässt dir echt radikal Haare auf der Brust sprießen. Unter Garantie.«

Obwohl sie gemütlich auf einer Parkbank auf dem großen Platz in der Stadtmitte herumlungerten, verfolgten Dans Augen die Bewegungen jedes Touristen, der ihn passierte, aufmerksam mit. Cusco strotzte vor Reisenden, die hofften, es hinunter nach Machu Picchu zu schaffen, bevor die Regenzeit anbrach und das Gebiet um die uralten Inka-Ruinen in eine einzige Nebelsuppe verwandelte. Aber er hielt nach einem bestimmten Gesicht Ausschau – einem Gesicht, das zu finden sich allmählich wie eine Ewigkeit anfühlte. Verfluchte Scheiße.

»Und noch was fürs Protokoll«, fuhr er im Plauderton fort, um den Anschein zu wahren, dass Zoelner und er bloß ein gewöhnlicher Bestandteil der Menschenmenge wären, Touristen, die den Tag genossen. »Die nennen das hier nicht Meerschweinchen. Sie nennen es Cuy. Und es ist in gewisser Weise …«

»Da wir heute anscheinend alles ins Protokoll aufnehmen«, fiel ihm Zoelner ins Wort, »möchte ich fürs Protokoll hinzufügen, dass es ein Nagetier ist.«

»Das sind Kaninchen auch. Ein Typ wie du muss doch schon irgendwann mal Kaninchen gegessen haben, richtig?«

»Falsch.« Zoelner warf ihm einen eindringlichen Blick zu. »Wenn es um Fleisch geht, bin ich ein Fan der großen drei. Rind, Huhn und Schwein. Die heilige Dreifaltigkeit der essbaren Nutztiere. Und was zum Teufel meinst du eigentlich mit ›ein Typ wie du‹?«

Dan klemmte die Zunge in die Wange. Die letzten achtundvierzig Stunden war Zoelner kratzbürstiger als ein Stachelschwein gewesen. Und Dan hätte seine üble Laune ja dem Umstand zugeschrieben, dass sie ihre Mission – den Hombre Numero Uno auf der schwarzen Liste des guten, alten Väterchen Staats zu fassen und aus dem Land zu schmuggeln – immer noch nicht abgeschlossen hatten. Allerdings hatte sich vor zwei Tagen Chelsea Duvall ihrem kleinen, heimlichen Unterfangen angeschlossen. Und dadurch war aus ihrem dynamischen Duo ein spannungsgeladenes Trio geworden, und …

»Er meint damit, dass du nicht nur eine unleidliche Nervensäge bist, sondern auch ein Kerl mit einem Job, der Missionen am Arsch der Welt mit sich bringt, wo die heilige Dreifaltigkeit der essbaren Nutztiere mitunter nicht auf dem Speiseplan steht«, dröhnte eine rauchig klingende Frauenstimme aus ihren winzigen Ohrstöpseln.

Wenn man vom Teufel spricht …

»Komisch. Ich kann mich gar nicht erinnern, bei dieser Unterhaltung zu Kommentaren von den billigen Plätzen aufgerufen zu haben.« Zoelner schaute finster drein. Er schaute immer finster drein, wenn er mit Chelsea sprach … oder über Chelsea. Die beiden waren früher mal Kollegen gewesen. Und Dan vermutete, man konnte sie wohl gewissermaßen wieder als Kollegen bezeichnen, zumal Chelsea offiziell zur Verbindungsperson der CIA zu Black Knights Inc. ernannt worden war.

»Und fürs Protokoll«, fuhr Chelsea fort, als hätte Zoelner nichts gesagt, »Kaninchen haben bis irgendwann um die Wende des zwanzigsten Jahrhunderts der wissenschaftlichen Ordnung der Rodentia angehört. Seither wurden sie umklassifiziert und gehören etwas an, das man als Lagomorpha oder Hasenartige bezeichnet, und das bedeutet, technisch gesehen sind sie keine Nagetiere mehr, sondern …«

»Ist mir vollkommen schnuppe, als was sie klassifiziert sind«, schnitt ihr Zoelner das Wort ab. »Tatsache ist, ich habe noch nie eines gegessen. Und falls ihr beide es nicht wisst« – er warf einen argwöhnischen Blick auf Dans halb gegessenen Snack – »Hühnchen gibt es immer. Immer. Oder Bohnen! Herrgott, was ist so falsch daran, sich seine tägliche Proteindosis von einem harmlosen kleinen Gemüse zu holen?«

»Gar nichts ist falsch daran«, räumte Chelsea ein. Ein unterschwelliges Schmatzgeräusch drang über die Funkverbindung. »Ist nur so, dass Bohnen fad sind, nicht annähernd so lecker wie andere, sprich fleischigere Optionen.«

Zoelner erbleichte, als ein Bus mit einem Design, das ihn wie einen Straßenbahnwagen aussehen ließ, auf der kopfsteingepflasterten Straße vor ihnen vorbeirollte und Auspuffgase in die frische Bergluft rülpste. »Isst du gerade etwas, Chels?«, erkundigte er sich vorsichtig.

»Ich hab’ das Mittagessen ausfallen lassen«, antwortete Chelsea. »Und als ich Dan kauen gehört hab’, ist mir klar geworden, dass mir der Magen um die Knie schlottert. Also hab’ ich den Sohn des Bäckers gebeten, loszulaufen und mir einen Imbiss zu besorgen.«

»Und welchen Imbiss?«, wagte Zoelner zu fragen.

»Cuy.«

Zoelner gab Würgelaute von sich, und Chelseas leises, rauchiges Lachen hallte durch ihre Ohren.

Dan schüttelte den Kopf. Er für seinen Teil war froh, dass sie zu ihnen gestoßen war. Sie brachte eine dringend benötigte, humorvolle Auflockerung in ein Team aus zwei Kerlen, die aufgrund ihres Wesens und einiger Schicksalsschläge, die ihnen das Leben verpasst hatte, in der Regel mürrisch und verschlossen waren.

»Ich hab’ mir Gedanken über die Aufteilung unserer Schlafplätze gemacht, Chels«, sprudelte Dan heraus. Einerseits, weil er überzeugt davon war, es würde Zoelner zur Weißglut treiben. Andererseits, weil ihm stinklangweilig war. Dieser Auftrag hatte von Anfang an nur darin bestanden, von einer südamerikanischen Stadt zur nächsten zu zockeln und Hinweisen nachzugehen, die sich entweder als völliger Humbug erwiesen oder deshalb nichts ergaben, weil sich die CIA ständig wie ein verfluchter Elefant im Porzellanladen aufführte. Übereifrige Vollpfosten. Und fürs Protokoll: Auch diese aktuelle Spur sah danach aus, als würde sie in eine totale Sackgasse münden. Was konnte es also groß schaden, ein wenig den Topf mit Dagan Zoelner und Chelsea Duvall darin umzurühren und ein bisschen Schwung in den Tag zu bringen?

Wie zu erwarten, drehte sich ihm Zoelner mit geweiteten Augen zu, im Gesicht einen Ausdruck, der besagte: Was zum Geier soll das werden? Dan ließ die Lider auf Halbmast sinken und ergänzte den anzüglichen Ausdruck um ein vielsagendes Grinsen.

»Was meinst du damit?« Chelseas Ton klang vorsichtig.

Dans Grinsen wurde breiter. »Na ja, ich dachte mir bloß, es ist irgendwie unfair, dass Zoelner und ich das weiche Federbett haben und dich auf der wackeligen alten Pritsche pennen lassen.« Das Zimmer, das sie über der Bäckerei ungefähr einen halben Kilometer von ihrer gegenwärtigen Position entfernt gemietet hatten, besaß ungefähr so viel Bodenfläche wie ein Cracker, roch durchdringend nach Staubzucker und Hefe und verfügte über ein Doppelbett und eine winzige Pritsche. Sich als Gruppe von Rucksacktouristen mit schmalem Budget zu tarnen, um nicht aufzufallen, war mit gewissen Nachteilen verbunden.

»Außerdem«, fuhr Dan fort, »mag es Zoelner nicht, wenn ich den großen Löffel mache. Und ich weigere mich, der kleine Löffel zu sein. Also hab’ ich mir gedacht, wenn diese Spur nichts ergibt, könnten heute Nacht ja du und ich die Plätze tauschen und …«

»Nein!«, stießen Chelsea und Zoelner gleichzeitig hervor. Dan musste sich auf die Innenseite der Wange beißen, um nicht laut aufzulachen. Zoelner zeigte ihm den Stinkefinger, indem er so tat, als kratze er sich mit dem Mittelfinger an der Augenbraue.

»Ich bin mit der Pritsche rundum zufrieden«, beteuerte Chelsea rasch.

»Und ich lasse dich deshalb nicht den großen Löffel machen, weil ich Schiss davor habe, was du im Schlaf vielleicht mit mir anstellen würdest«, fügte Zoelner hinzu. »Du träumst jede verdammte Nacht von der Schnecke, mit der du in Kuala Lumpur zusammengearbeitet hast. Und dann stöhnst du und flüsterst ›Penni, oh, Penni!‹ Das ist widerlich.«

Wäre Dan ein Typ gewesen, der zum Erröten neigte, wäre er wohl von den Zehen bis zu den Ohrenspitzen hochrot angelaufen. So jedoch schluckte er nur und hoffte, Zoelner würde nicht mitbekommen, wie die bloße Erwähnung von Pennis Namen sein Blut in Wallung versetzte.

»Penni?«, fragte Chelsea mit dem Tonfall einer Frau, die interessanten Klatsch in der Luft wittert. »Ooooh, erzähl, Dan. Und lass bloß nichts aus. Ich könnte gerade eine gute, romantische Geschichte vertragen. Dieser öde Auftrag schlägt mir allmählich aufs Gemüt.«

Das fiese Grinsen, mit dem ihn Zoelner bedachte, hätte dem Teufel höchstpersönlich eine Gänsehaut beschert, und Dan konnte nur anerkennend nicken und dem Mann zugestehen, dass er den Spieß gekonnt umgedreht hatte. »Die Runde geht an dich, du große Vorhautfalte«, raunte er leise aus dem Mundwinkel. Mit lauterer Stimme versuchte er, das Thema zu umschiffen. »Und öde, Chels? Echt jetzt? Du bist gerade mal seit zwei Tagen dabei. Versuch’s erst mal drei Monate!«

»Ja, ja, schon gut«, erwiderte sie. »Ihr armen, ach so schlecht behandelten Geheimagenten der Regierung. Ich bin sicher, es wächst schon Moos auf euren Knarren, während wir hier plaudern. Jetzt hör auf, Zeit zu schinden, und spuck’s aus.«

So viel zum Umschiffen …

»Da gibt’s nichts zu erzählen«, behauptete er. Der Appetit auf Cuy war ihm vergangen. Er wickelte den kleinen Kadaver in die Alufolie und warf das Ding in die Mülltonne, die ein paar Meter von der Bank entfernt stand. Dann kramte er in der Gesäßtasche seiner Jeans, holte eine Packung Chiclets hervor – der einzige Kaugummi, den er in ganz Peru finden konnte – und steckte sich ein paar der zuckerbeschichteten Quader in den Mund. Der Geschmack von Grüner Minze explodierte auf seiner Zunge.

»Netter Versuch.« Chelsea schnaubte.

»Na schön.« Dan seufzte und warf Zoelner einen Blick zu, der ihm langsame, qualvolle Vergeltung dafür versprach, dass er dieses spezielle Thema aufgeworfen hatte. »Agent Penni DePaul war Mitglied der zum Schutz der Präsidententochter eingeteilten Leute vom Secret Service, als sich el Jefe« – so bezeichneten die Jungs und Mädels von BKI den Oberbefehlshaber immer … natürlich nur, wenn er sich nicht im selben Raum mit ihnen aufhielt – »bemüßigt gesehen hat, Solido, Ozzie und mich als zusätzliche Unterstützung hinzuschicken. Penni und ich mussten zusammenarbeiten, als wegen Winterfields dreckigem Verrat alles mit Vollgas den Bach runtergegangen ist.«

Selbst, wenn BKI und insbesondere Dan nicht von el Jefe damit beauftragt worden wären, das Arschloch zu schnappen, hätte Dan es als seine persönliche Mission betrachtet. Angesichts der Hölle, die er in Malaysia durchgemacht hatte, war es ihm nicht nur eine Herzensangelegenheit, er war außerdem zu dem Schluss gelangt, dieser Job wäre die perfekte Gelegenheit für ihn, seinen Freunden und Teamkameraden zu beweisen, dass er wieder einen wertvollen Aktivposten und nicht bloß einen von Kummer zerfressenen Penner darstellte. Und um ihnen dafür zu danken, dass sie ihn in seinem jämmerlichen Zustand ertragen hatten, als er ein Jahr damit verbracht hatte, am Boden einer Whiskeyflasche zu hocken, gefolgt von einem weiteren, in dem er darum gekämpft hatte, wieder rauszukriechen.

Nur bin ich leider bisher nicht wirklich mit der Mission vorangekommen. Winterfield befand sich immer noch auf freiem Fuß. Und Dan fiel kein lächerlicherer Weg ein, den Kerl zu fangen, als einfach in der Hoffnung herumzusitzen, ihn vorbeischlendern zu sehen. Allerdings ging aus ihren Geheimdienstinformationen nur hervor, dass Winterfield vielleicht einen Käufer in Cusco treffen würde, daher … ja. Gekauft wie gesehen …

»Und nachdem alles vorbei war?«, bohrte Chelsea nach und zerrte seine Gedanken zurück zu Penni. Obwohl sie sich, um der Wahrheit gerecht zu werden, in den drei Monaten seither nie allzu weit von der Frau entfernten. Was ein Problem darstellte. »Was ist dann passiert?«

»Was glaubst du denn wohl, was passiert ist? Das Einzige, was passieren konnte, wenn man die Umstände bedenkt. Sie ist Agentin beim Secret Service, und ich bin…« Witwer. Ein Säufer. Ein…

»Ein Möchtegern-Streetpunk aus Detroit, der Rock City?«, schlug Zoelner vor und betonte den Namen der Stadt als Diii-troit.

»He, zieh mir bloß nicht über die Motown-Stadt her, Mann«, warnte Dan und knurrte missbilligend. »Wie Kid Rock mal gesagt hat: ›Autos und Rock ’n’ Roll. Ist ’ne gute Kombination.‹«

»Ich glaube, Dan hat eher gemeint, dass sie Agentin beim Secret Service ist und er ein supergeheimer, rechtlich fragwürdiger, verdeckter als verdeckt arbeitender Agent«, warf Chelsea wenig hilfreich ein.

»Rechtlich fragwürdig?« Nun war es Zoelner, der missbilligend knurrte. »Wie oft müssen wir das denn noch durchkauen? Es ist überhaupt gar nicht so, dass zwingend illegal ist, was wir von BKI für den Präsidenten tun. Es ist lediglich so, dass wir die Ränder internationalen Rechts umgehen … oder die Schlupflöcher darin finden. Außerdem hast gerade du gut reden. Die fiese Scheiße, die dein Laden bekanntermaßen schon abgezogen hat, lässt uns bei Black Knights Inc. wie Engel geradewegs aus dem Himmel erscheinen.«

»Das ist jetzt vielleicht ein bisschen übertrieben«, murmelte Dan, der hoffte, Zoelner würde Chelsea damit vom eigentlichen Thema abgebracht haben.

Er hätte es besser wissen müssen. »Halt die Klappe, Z«, sagte sie, »und lass Dan zu Ende erzählen.«

Dan stellte sich vor, wie sie sich eine Schüssel mit Popcorn auf den Schoß stellte und es sich für eine lange Schilderung mit schmutzigen Einzelheiten gemütlich machte. Also konnte er sie nur enttäuschen, indem er recht lapidar zum Schluss kam: »Um es abzukürzen: Wir sind getrennte Wege gegangen.«

Ein paar Sekunden lang herrschte Stille in seinem Ohrstöpsel. Dann gab die CIA-Agentin einen derben Laut von sich. »Warum machen Männer das?«

»Was?«, fragte Zoelner.

»Die guten Teile immer überspringen«, brummelte sie.

»Weil die guten Teile in der Kategorie ›Das geht verdammt noch mal niemanden was an‹ archiviert sind«, klärte Dan sie auf. Gleichzeitig zuckte ein Bild von Penni durch seine Gedanken, wie er sie zuletzt gesehen hatte: trauernd und ausgelaugt.

Agent Penelope Ann DePaul besaß die subtile, aufrichtige Art von Schönheit, die dem Großteil der Männer nicht auf Anhieb ins Auge sprang. Aber je mehr man sie ansah, desto umwerfender wurde sie. Denn sie besaß nicht nur dunkles, glänzendes Haar, tiefbraune Augen – freundliche Augen, das war ihm als Erstes an ihr aufgefallen – und ein Paar Beine, das verboten sein müsste, sondern war zudem eine Frau mit angeborener Anmut und der Tendenz, geradeheraus zu reden. Eine Frau der Art, die nie ein Lachen vortäuschte, oder einen Orgasmus oder …

Oh, perfekt.

Der Gedanke an Penni in Ekstase, daran, wie sie mit zurückgeworfenem Kopf aussah, den langen Hals durchgewölbt, genügte, damit sich der Schwachkopf hinter seinem Reißverschluss voll Interesse regte. Und nur für den Fall, dass Zoelner die ungelegene Ausbuchtung in seinem Schritt wider Erwarten nicht bemerkt hatte – der Mann besaß ein fieses Auge für Details –, hievte Dan ein Fußgelenk über das andere Knie und steckte unauffällig die Hände in die Taschen seiner Jacke, um deren Stoff über seinen Schoß zu ziehen.

»Fein«, grummelte Chelsea. »Von mir aus. Aber sag mir wenigstens eins.« Dan stöhnte, als klemmten seine Kronjuwelen in einem Schraubstock. »Du träumst jede Nacht von ihr, stimmt’s?«

So ist es. So heiße, so lebhafte Träume, dass ihn wunderte, warum noch keiner davon feucht ausgefallen war. Und wenn man bedachte, dass er sich derzeit das Bett mit Zoelner teilte … Ja, da würde ein solches Missgeschick einiges an Erklärungsbedarf aufwerfen.

Andererseits fand Dan seine aktuellen Träume trotzdem besser als die Albträume, an denen er den Großteil der mittlerweile mehr als zwei letzten Jahre gelitten hatte. Albträume von seiner blutüberströmten Frau, tot in seinen Armen, erschossen von einem Irren – im Hof von BKI, wo sie in Sicherheit hätte sein sollen, wo er für ihre Sicherheit hätte sorgen müssen …

Schaudernd rutschte er tiefer in seine Jacke. Seiner Ansicht nach hatte er den schlimmsten Kummer überwunden. Zumindest verbrachte er seine Tage nicht mehr nur damit, sich den Tod herbeizusehnen. Aber an jenen schrecklichen Abend zurückzudenken, fühlte sich immer noch an, als kratze ein Fingernagel über einen freiliegenden Nerv. Dan vermutete, so würde es wohl für immer bleiben.

In der Vergangenheit zu leben, ist sich selbst gegenüber nicht fair. In der Zukunft zu leben, ist Manipulation. Lebe in der Gegenwart …

Eines der vielen Mantras, die er bei den Anonymen Alkoholikern gelernt hatte, ging ihm flüsternd durch den Kopf, und er bemühte sich bestmöglich, die schwermütigen Gedanken an Kummer und Leid abzuschütteln, die in ihm die Sehnsucht nach einem Drink weckten. Stattdessen konzentrierte er sich auf das Hier und Jetzt. Was nicht schwerfiel, als es Chelsea satthatte, auf eine Antwort von ihm zu warten, und sich proaktiv erkundigte: »Und warum hast du nicht versucht, Verbindung mit ihr aufzunehmen?«

»Na ja, weil sie ziemlich klar zum Ausdruck gebracht hat, dass sie nicht …« Seine Worte kamen so abrupt zum Stillstand, dass er dachte, in seinen Kehlkopf wäre vielleicht eine Druckluftbremse eingebaut.

»Was?«, verlangte Chelsea ungeduldig zu erfahren. »Was hat sie so klar zum Ausdruck gebracht?«

Dan ignorierte sie und rieb sich mit einer Hand über den Nacken.

Zoelner spürte die Veränderung in ihm sofort. »Was?«, fragte er und fasste unauffällig in seine Jackentasche, um die Hand um seine Waffe zu legen. »Hast du wieder dieses Gefühl?«

Damit spielte er auf dieses unheimliche Kribbeln an, das Dan heimsuchte, seit sie in Cusco gelandet waren. In der einen Minute ging es ihm gut. In der nächsten vermeinte er, eine ganze Kolonie von unsichtbaren Ameisen wusle über sein Genick und seine Kopfhaut. »Spürst du es nicht?«, fragte Dan.

»Kumpel«, erwiderte Zoelner. »Überleg mal, mit wem du redest. Ich lebe so ziemlich in einem dauerhaften Zustand von Paranoia. Ich glaube, das ist eine Werkseinstellung, die in Langley installiert wird.«

»Das und die Fähigkeiten, in einer Menschenmenge unterzutauchen und schlagartig zur Salzsäule zu erstarren«, fügte Dan hinzu. Er war noch nie jemandem begegnet, der mehr an ein Chamäleon erinnerte als Zoelner.

»Tja.« Zoelner zuckte mit den Schultern. »Das hat weniger mit Langley als mit meinem alten Herrn zu tun.«

»Oh, mach schon, erzähl«, meldete sich Chelsea wieder zu Wort. Sie war fest entschlossen, wenigstens aus einem der beiden eine Geschichte herauszukitzeln.

»Ein andermal«, entgegnete Zoelner. »Vielleicht im nächsten Jahrhundert.«

Was immer Chelsea darauf zu erwidern hatte, entging Dan, weil ihn ein weiterer jäher Anflug einer unguten Ahnung überkam.

Verdammt! Was war das?

Während er den Blick so unauffällig wie möglich über den Platz schwenkte, fragte er sich, ob ihn die schier endlose Jagd auf Winterfield und die damit verbundene Langeweile letztlich durchdrehen ließen. Hatte sein Unterbewusstsein entschieden, ein wenig Schwung in die Dinge zu bringen, indem es ihn etwas wahrnehmen ließ, was gar nicht vorhanden war?

Niemand in der Nähe des Springbrunnens sah zwielichtig oder verdächtig aus. Auch niemand auf der Parkbank an der gegenüberliegenden Seite des Wegs. Und an den Fahnenmasten …

Seine Augäpfel bremsten so jäh ab, dass sie vermutlich Reifenspuren an der Innenseite der Höhlen hinterließen. Blinzelnd rieb er sich mit einer Hand übers Gesicht. Okay, seine Augen spielten ihm also Streiche. Er schüttelte den Kopf. Heftig. In der Hoffnung, zu entwirren, was an Leitungen von seinen Netzhäuten zum Gehirn durcheinandergeraten war.

»Oha. Ist dir ’ne Mücke ins Ohr geflogen oder so? Was zum Henker ist los mit dir?«, fragte Zoelner.

Dan schluckte. Sein Herz stotterte, setzte aus, raste, stotterte erneut. »S-siehst du die Frau da drüben?« Er deutete mit dem Kinn in die Richtung. »Die aussieht, als könnte sie Marisa Tomeis Schwester sein?«

»Wo?«

»Am Fahnenmast.« Dan konnte kaum atmen.

»An welchem? Da ist nicht bloß einer.«

»Am Schwulenmast.«

»Was?«

»An dem mit der Regenbogenfahne! Herrgott!« Dan konnte sich kaum davon abhalten, unverhohlen hinzuzeigen. Ein eigenartiges Summen dröhnte durch seine Ohren. Vielleicht hatte Zoelner recht wegen der Mücke.

»Wer ist jetzt die unleidliche Nervensäge? Und nur zu deiner Information, hier in der Gegend hat eine Regenbogenfahne nichts mit der Schwulenbewegung zu tun. Sie repräsentiert die Inka-Kultur und …« Bevor ihn Dan auffordern konnte, die Schnauze zu halten, bremste sich Zoelner selbst. »Ich glaub’, mich knutscht ein Hochlandlama«, murmelte er. »Offensichtlich hatte ich entschieden zu viel Zeit. Ich muss tatsächlich den gesamten Peru-Reiseführer gelesen haben.«

»Himmel, Arsch und Zwirn!« Dan riss allmählich der Geduldsfaden. »Siehst du sie jetzt oder nicht? Die mit der Eistüte!«

»Ja, ich seh’ sie«, bestätigte Zoelner endlich. »Und weiter?«

»Soll ich die Drohne herumfliegen lassen?«, ertönte Chelseas aufgeregte Stimme in Dans Ohrstöpsel.

Ein Teil der vor knapp mehr als achtundvierzig Stunden getroffenen Abmachung sah vor, dass die CIA aufhörte, selbst nach Winterfield zu suchen, und Dan und Zoelner den Fall allein bearbeiten ließ, wenn Chelsea Duvall gestattet wurde, sich der Mission anzuschließen und jegliche Fortschritte an die hohen Tiere der Behörde zu melden. Als zusätzlichen Bonus hatte die CIA eine Drohne mit in den Deal geworfen. Allerdings keine, die Bomben abwerfen konnte. Nur ein kleines Fluggerät von der ungefähren Größe einer Pizzaschachtel, aber ausreichend, um eine Kamera mit hoher Reichweite und den nötigen technischen Kram für eine direkte Verbindung zu militärischen und staatlichen Satelliten zu befördern. Chelsea hatte mit aufgeklapptem Laptop in dem gemieteten Zimmer die Drohne durch den Luftraum über Cusco gesteuert und Fotos von den Leuten in der Stadt und der unmittelbaren Umgebung aufgenommen, in der Hoffnung, dass sich irgendetwas ergeben würde.

»Nein«, antwortete Dan mit Nachdruck. »Die Drohne ist nicht nötig.«

»Woher weißt du das?«, verlangte sie zu erfahren.

»Weil es Penni DePaul ist.«

Zoelner kicherte – kicherte doch tatsächlich – neben ihm. Ausgerechnet jetzt entwickelte der Kerl einen Sinn für Humor. »Heilige Scheiße! Ist das dein Ernst?«, fragte Zoelner.

Dan schaute zu seinem Teamkameraden hinüber und musste feststellen, dass der Penner Penni ausgiebig betrachtete, den Blick genüsslich über ihre schlanke Gestalt mit den Kurven an den richtigen Stellen wandern ließ. Auch mit Jeans, Stiefeln und einem offenen Anorak bekleidet – die Höchsttemperaturen in Cusco lagen um die zwanzig Grad Celsius, aber im Oktober konnten sie bis auf den Gefrierpunkt sinken – war sie unübersehbar ein groß gewachsenes, schlankes Sahneschnittchen, genau, wie Ozzie sie einst beschrieben hatte. Es war keine Eifersucht, die Dan empfand, als er beobachtete, wie Zoelner sie auf sich wirken ließ. Denn Eifersucht wäre lächerlich gewesen, immerhin hatte er keinerlei Ansprüche auf sie. Aber irgendetwas empfand er unbestreitbar dabei. Vielleicht einen nahen Verwandten der Eifersucht. Einen, der ihn veranlasste, zurück in seine Teenagerjahre zu verfallen und zu sagen: »Mach doch ein Foto, Lustmolch. Das hält länger.«

»Und das wollte ich hören!«, kam triumphierend von Chelsea. »Die Drohne ist unterwegs!«

2

»Ich muss zugeben, ich hab’ ja schon damit gerechnet, verrückten Scheiß in Cusco zu sehen.« Eine tiefe Stimme mit der vertrauten Gewohnheit, zwei Wörter miteinander kollidieren zu lassen, ertönte hinter Pennis Schulter. Sie vibrierte durch sie hindurch, brachte ihre Knochen von innen heraus zum Schmelzen. Und ihr Herz beschloss spontan, mit dem Magen den Platz zu tauschen. »Aber das Verrückteste, was mir bis jetzt untergekommen ist, bist du.«

Verfl… Ihre Knochen mochten sich verflüssigt haben, aber ihre Muskeln verhärteten sich zu Stein, ihre Schultern spannten sich an und schossen beinah zu den Ohren hoch. Penni war nicht dagegen gewappnet gewesen, ihn zu sehen. Noch nicht. Erst in ein paar Stunden. Da wollte sie an seine Tür klopfen und ihn zum Abendessen einladen, damit sie ihn mit Essen und Wein vorbereiten konnte, bevor sie ihm ihr Herz offenlegte und …

»Was zum sturzbesoffenen Kuckuck machst du hier, Agent DePaul?«

Agent DePaul? Nach allem, was sie zusammen durchgemacht und erlebt hatten, sollte doch zumindest der Vorname drin sein. Oder vielleicht hatte sie, wie befürchtet, zu viel in ihre gemeinsame Zeit hineininterpretiert. Und das verhieß nichts Gutes für den Grund, weshalb sie hergekommen war …

Penni wirbelte herum und wappnete sich für die Wirkung seiner Augen. Jawohl. Genau, wie sie sich daran erinnerte. Exakt dieselbe Farbe wie die Kletterpflanzen, die an der hinteren Mauer ihres Elternhauses in der Hancock Street gewachsen waren. Sie war auch gewappnet für die Wirkung seines attraktiven Gesichts – seine kantige Kieferpartie schien immer von hellbraunen Bartstoppeln bestäubt zu sein, und in die breite Stirn hing ihm regelmäßig eine lockige Strähne seiner gewellten, sandblonden Haare. Nicht gewappnet war sie für seine Miene. Um es harmlos auszudrücken: Er sah aus, als hätte man ihm ein überfahrenes Tier als Abendessen vorgesetzt.

Als Reaktion darauf entschied ihr Herz – wankelmütiges Organ, das es war –, diesmal spontan mit den Zehen den Platz zu tauschen.

»Tja, auch dir einen guten Tag, Dan«, sagte sie und beglückwünschte sich innerlich dazu, relativ lässig geblieben zu sein, wenn man bedachte, dass sie mit verflüssigten Knochen, versteinerten Muskeln und Organen zu kämpfen hatte, die sich weigerten, dort zu bleiben, wo sie hingehörten.

»Lass den Blödsinn, DePaul«, brummte er. Bei jedem anderen Mann hätte dieser tiefe, grollende Klang lächerlich gewirkt. Bei ihm? Na ja, bei ihm passte er irgendwie ins Bild. Denn schon, bevor sie gewusst hatte, was er in Wirklichkeit war, hatte sie bemerkt, dass er Gefahr so auszustrahlen schien wie Trockeneis Rauch.

Er sah sich in ihrer Umgebung um, als rechne er damit, sie könnte Begleitung haben. »Ich glaub’ nicht an Zufälle«, sagte er … äh, brummte er. Irgendwie zeigte er sich insgesamt überaus brummig. »Ich bin hier. Du bist hier. Und falls man beim Secret Service denkt, man könnte wegen dem, was in Malaysia gelaufen ist, ein Kätzchen in unsere Löwenshow einschleusen, dann hab’ ich Neuigkeiten für dich, Schätzchen.«

Schätzchen? Schätzchen? Oh, nein, das hat er jetzt nicht wirklich gesagt! Mit »Rockträgerin« konnte sie umgehen. »Braut« war auch noch okay. Aber »Schätzchen«? Also, definitiv nicht, wenn es in diesem Ton ausgesprochen wurde! Penni hievte die Handtasche höher auf die Schulter und malte sich volle zwei Sekunden lang aus, wie befriedigend es wäre, ihm ihre Eistüte über den Kopf zu stülpen.

Letztlich konnte sie sich jedoch nicht dazu durchringen. Verdammt, dafür liebe ich Schokoeis einfach zu sehr!

»Wir mussten an etlichen Rädchen drehen, bis die Vollpfosten von der CIA endlich bereit waren, sich zurückzuziehen und Zoelner und mich die Sache allein erledigen zu lassen. Wenn du denkst, ich lass’ euch jetzt antanzen und dort weitermachen, wo die aufgehört haben, und an jeder Ecke herumgammeln, bis sich Winterfield den Kopf gar nicht mehr aus seinem Loch zu stecken traut, dann hast du dich gründlich geschnitten. Und nur, damit du’s weißt, ich bin kein Idiot. Ich weiß schon seit zwei Tagen, dass uns jemand beobachtet, und …«

»Dan?«, fiel Penni ihm ins Wort und achtete darauf, ihrer Stimme einen zuckersüßen Klang zu verleihen. Obwohl sie alle Mühe hatte, sich zurückzuhalten und ihm keinen leichten Schlag zum Erhöhen des Denkvermögens auf den herrlichen, fast schon lächerlich attraktiven Hinterkopf zu verpassen. Diese Begegnung verlief ganz und gar nicht nach Plan.

»Hm?«

»Wie wär’s, wenn du jetzt mal die Futterluke hältst?« Wenn sich Penni aufregte, kam ihre Herkunft aus Brooklyn deutlich zum Tragen. »Ich hab’ nämlich nicht den leisesten Schimmer, wovon du da laberst. Und ich bin auch noch keine zwei Tage hier. Bin erst vor zwei Stunden eingetroffen.« Und dann sickerten ihr Teile dessen ins Bewusstsein, was er gesagt hatte. »Warte … Du bist hier, um Winterfield festzunehmen? Winterfield ist in Cusco?«

Allein die Erwähnung des Mannes, der in letzter Instanz für den Tod ihrer Kollegen verantwortlich war, jagte ihr Schießpulver ins Blut und ließ ihr Herz einen Todesmarsch trommeln.

»Wir glauben es jedenfalls«, erwiderte Dan. »Aber wir haben ihn davor schon an etlichen anderen Orten vermutet und mussten feststellen, dass er dort nicht war, Agent DePaul.«

Agent DePaul. Agent DePaul. Wenn er ihr noch einmal mit Agent DePaul käme … »Ich bin nicht mehr Agent DePaul«, ließ sie ihn wissen. »Du kannst die Förmlichkeiten also bleiben lassen. Ich bin nur noch schlicht und ergreifend Penni.«

»Hä?« Sein Kinn zuckte zurück, als hätte sie ihm tatsächlich einen Klaps auf den Hinterkopf verpasst. Grund genug, ein wenig Befriedigung zu verspüren, fand sie.

»Mein Name«, erklärte sie ihm, als wäre er minderbemittelt. »Er lautet Penni. Penni DePaul.«

Blinzelnd starrte er sie an und schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wie du heißt. Herrgott noch mal! Hast du allen Ernstes gedacht, ich könnte dich vergessen? Nach allem, was …«

»Hallöchen!« Ein Mann mit einem Schopf dichter brauner Haare und einem Paar gewitterwolkengrauer Augen kam auf sie beide zu. Und nun hätte Penni am liebsten ihm einen Klaps auf den Hinterkopf verpasst. Mann, irgendwie war ihr an diesem Tag voll danach zumute. Dan war gerade im Begriff gewesen, etwas Gutes zu sagen – die ersten guten Worte aus seinem Mund an diesem Tag –, und dieser Armleuchter unterbrach ihn dabei. »Du musst die unnachahmliche Agentin Penni DePaul sein. Dieser große Tölpel hier hat mir alles von dir erzählt.«

Der Neuankömmling schlang einen Arm um Dans Schultern. Penni zog die Augenbrauen hoch und richtete den Blick auf Dan. Ihr dämliches Herz entschied, sich Flügel wachsen zu lassen und außerhalb ihres Körpers herumzuflattern. Mit dem Organ würde sie später wirklich ein ernstes Wort reden müssen. Im Augenblick jedoch beschäftigte sie zu sehr der Gedanke, dass Dan tatsächlich von ihr erzählt haben könnte.

Bedeutete das, es bestand noch Hoffnung? Konnte es möglich sein, dass es eine Chance gäbe für …

Sachte, Penni, nicht vorgreifen, immer langsam mit den jungen Pferden!

Richtig. Guter Rat.

»Ach ja? Hat er das?«, fragte sie. Wieder durch und durch unbekümmert. Verdammt, bin ich gut!

»Auf jeden Fall.« Der Neuankömmling nickte mit einem eigenartigen Funkeln in den Augen. »Er redet jede Nacht von dir, während er träu…«

Dan rammte dem Grauauge den Ellbogen hart genug in die Rippen, um ihm die Luft aus der Lunge zu pressen. Der Mann krümmte sich. Als er sich wieder aufrichtete, heftete er einen ungläubigen Blick auf Dan. »Äh … aua!«, stieß er hervor und rieb sich die Seite.

»Du glaubst, das hat wehgetan?« Dan setzte eine finstere Miene auf. »Dann dürfte die fünffingrige Eierklammer, die ich dir gleich anlege, wenn du nicht sofort die Schnauze hältst, ein echter Killer für dich werden.«

»Ach ja?« Grauauge trat einen Schritt vor. »Versuch’s doch. Ist ’ne Weile her seit unserem letzten gemeinsamen Ausflug in die Stadt der fliegenden Fäuste.«

Penni verdrehte die Augen so heftig, es kam einem Wunder gleich, dass sie nicht nach oben in den Kopf gerollt stecken blieben. Irgendwie schien es ihr Schicksal zu sein, im Leben von Männern umgeben zu sein, die an einem schweren Fall von Testosteronüberdosis litten.

»Wenn ich mich recht erinnere«, konterte Dan, »bist du davon ziemlich lädiert zurückgekommen, während ich nicht mal ’nen Kratzer …« Er verstummte so plötzlich, dass Penni unwillkürlich die Stirn in Falten legte. Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich, als ein Ausdruck blanken Grauens über Dans Züge huschte. Und dann, zu ihrer Verblüffung, entschuldigte sich Grauauge unverhofft.

»Tut mir leid, Mann«, sagte er. »Ich wollte den Tag nicht erwähnen und …«

»Nein.« Dan schüttelte den Kopf, wodurch ihm eine lockige blonde Strähne über die Augenbraue fiel. Sah ziemlich reizvoll aus. Diese Strähne. Grrrr. Dämliche Hormone! Und apropos Testosteronüberdosis: Seit dem ersten Moment, in dem sich Dans und ihr Blick begegnet waren, litt Penni unter einer chronischen Östrogenüberdosis. »Das war mein Fehler«, fügte Dan hinzu.

Aha, alles klar. Offensichtlich entging Penni hier irgendetwas. Sie ließ den Blick zwischen den beiden Männern hin und her wandern und versuchte, die Wahrheit aus ihren Mienen zu ermitteln. Aber beide Gesichtsausdrücke waren irgendwie … nun ja … ausdruckslos. Während sie weiter die Stirn runzelte, leckte sie an ihrer Eiscreme.

»Lass uns das Thema wechseln, ja?«, schlug Grauauge schließlich vor und streckte die Hand in Pennis Richtung aus. »Hi, ich bin Dagan Zoelner.«

»Scheiße. Tut mir leid.« Dan schüttelte den Kopf, als wolle er den Schatten, der ihn vorübergehend befallen hatte, physisch abwerfen. »Dagan Zoelner, das ist Agent Penni DePaul.«

»Hi.« Penni schüttelte Zoelner die Hand. »Und es heißt inzwischen schlicht und ergreifend Penni DePaul«, korrigierte sie zum gefühlt zigsten Mal in den vergangenen vierundzwanzig Stunden.

»Hä?« Dan glotzte sie mit finsterer Miene an. Schien an diesem Tag sein Lieblingsgesichtsausdruck zu sein.

»Es heißt nur noch schlicht und ergreifend Penni DePaul«, wiederholte sie. »Es steht kein ›Agent‹ mehr vor meinem Namen.«

»Was soll das heißen?«, verlangte er zu erfahren.

»Ich glaube, sie will damit sagen, dass sie nicht mehr beim Secret Service ist«, warf Zoelner hilfreich ein.

Gott sei Dank funktionierten noch irgendjemandes Synapsen. Vor drei Monaten hätte sie stolz erzählt, Dan wäre einer der intelligentesten Männer, mit denen sie je das Vergnügen gehabt hatte, zusammenzuarbeiten. Aber jetzt … Aus irgendeinem Grund schien er fest entschlossen zu sein, das stumpfeste Messer in der Besteckschublade zu mimen.

»Stimmt das?«, bohrte Dan nach und legte ihr eine Hand auf den Arm. Falten der Besorgnis furchten seine Stirn. Ihr fiel nicht auf, wie die von seiner großen Handfläche ausgehende Wärme durch den Stoff ihres Anoraks sickerte oder dass die Berührung sie daran erinnerte, wie er ihre Bluse beiseitegeschoben hatte, damit er sie auf die Schulter küssen konnte…

Na schön. Korrektur. Natürlich fiel es ihr auf. Natürlich erinnerte sie sich daran!

»Genau.« Penni nickte, gebannt von den goldenen Einsprengseln um das Grün, das Dans Pupillen umgab. Sie erinnerte sich daran, dass er wie die Luft nach einem Gewitter roch … voll und sauber und elektrisch. »Zivilistin Penni DePaul.« Zackig salutierte sie mit der Eistüte vor ihm. »Zu Ihren Diensten.«

Und auf einmal roch er nicht nur nach einem Gewitter, sondern sah auch ganz so aus. In seine Miene trat eine solche Wut, dass es Penni nicht überrascht hätte, wenn Blitze aus seinen Augen geschossen wären. Er biss die Zähne so fest zusammen, dass sie vermeinte, den Schmelz knirschend aufeinander reiben zu hören. »Wenn dich diese Pissvisagen gefeuert haben, weil du« – Pissvisagen? Das war neu – »in der Nacht gegen das Protokoll verstoßen hast und nicht zu diesem lächerlichen Zapfenstreich in deinem Zimmer warst«, presste er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor, »dann …«

»Nein«, fiel Penni ihm rasch ins Wort. »Darum ist es nicht gegangen.«

»Welches Protokoll?«, fragte Zoelner dazwischen und schaute von Dan zu Penni und wieder zurück. »Welcher Zapfenstreich? Wovon redet ihr da?«

»Vom mitternächtlichen Zapfenstreich, den der Secret Service nach der Riesenscheiße« – Riesenscheiße kannte sie gut von ihm – »in Kolumbien eingeführt hat, wo man eine Handvoll seiner Agenten mit Kurtisanen in den Hotelzimmern erwischt hat«, spie Dan hervor.

»Kurtisanen?« Zoelner grinste. »Drückst du dich jetzt wegen unserer gemischten Gesellschaft so gewählt aus, oder hast du wieder historische Schnulzen gelesen?« Die Vorstellung des großen, krassen Dan »The Man« Currington mit einem Roman von Georgette Heyer in der Hand brachte Pennis Mundwinkel unwillkürlich zum Zucken.

»Das ist doch verdammt noch mal nicht der springende Punkt«, brummte Dan genervt. Und da war er wieder, Mr Bruno Brummerton.

»Und was ist der springende Punkt?«, fragte Zoelner.

»Dass der Secret Service dachte, er könnte seinen Agenten vorschreiben, wann es Zeit ist, ins Bett zu gehen.«

Zoelner drehte sich Penni zu. »Und du hast wohl gegen den Zapfenstreich verstoßen, was?«

»So ist es«, gestand Penni, die noch immer nicht ihren Frieden damit gefunden hatte, was der Verstoß gegen den Zapfenstreich in jener Nacht bedeutet hatte. »Und das hat mich vor dem Brandsatz gerettet, den Terroristen unter meinem Hotelbett platziert hatten.« Allerdings war sie dadurch zur einzigen Überlebenden der Agenten des Secret Service geworden, die zum verhängnisvollen Auftrag entsandt worden waren.

»Scheiß die Wand an. Dann war das wohl ’n ziemlicher Glücksfall«, meinte Zoelner und beäugte sie neugierig. Schließlich fügte er hinzu: »Wenn die Frage gestattet ist: Was hat dich bewogen, gegen das Protokoll zu verstoßen?«

Penni schaute zu Dan und dachte daran zurück, wie sie nur Sekunden davon entfernt gewesen waren, es in seinem Hotelzimmer heftig und versaut miteinander zu treiben. In jener Nacht hatten sie endlich der Chemie nachgegeben, die sie schon zuvor zwischen sich wahrgenommen hatten. Nein, bei genauerer Überlegung stimmte Chemie nicht ganz. Eher Astronomie. Denn Penni hatte dem Mond geglichen, Dan der Erde. Seine schiere Anziehungskraft hatte sie in seinen Orbit gesogen.

»Aha.« Zoelner nickte wissend. »Schon kapiert.« Er rieb sich mit einer Hand das Kinn. »Und das erklärt mehr, als du ahnst.«

»Was meinst du damit?« Penni streckte die Zunge raus, um einen verirrten Tropfen Eiscreme abzulecken, der ihr über die Finger zu laufen drohte.

»Nichts«, kam Dan seinem Kollegen zuvor, ehe dieser antworten konnte. Sein Blick schnellte dabei zu ihrer Zunge wie der eines Scharfschützen, der ein Ziel anvisiert. Schlagartig schwappte von oben bis unten Hitze über ihren Körper und ließ sie unwillkürlich die Zehen in den Stiefeln einrollen. Da ihr Herz den Platz nicht länger ausfüllte, hatten die Zehen wieder ihre übliche Position eingenommen. »Und um auf den eigentlichen Punkt zurückzukommen …« Er machte mit der Hand eine Rollbewegung. »Du bist also nicht mehr beim Secret Service?«

»Richtig, bin ich nicht.« Nun kamen sie endlich zur Sache.

»Warum?«, verlangte er zu erfahren. »Was ist passiert?«

»Na ja, ich …«

»Egal«, schnitt er ihr schnell das Wort ab, was sie frustriert die Stirn runzeln ließ. »Warum du nicht mehr beim Secret Service bist, ist weniger wichtig als die Tatsache, dass du jetzt hier bist. Denn wenn du kein Teil eines Versuchs bist, Winterfield zu schnappen, dann bist du in Cusco, um …« Wieder diese Rollbewegung mit der Hand.

»Um mit dir zu reden.« So. Sie hatte es zugegeben.

»Mit mir?«

»Mit dir.« Unerklärlicherweise ging Penni das vom Hutmacher und dem Märzhasen in Alice im Wunderland gesungene Lied durch den Kopf. Viiiel Glück zum Nichtgeburtstag … für mich! Für wen? Ach, dich! Und wie bei den Unterhaltungen des Hutmachers schien auch bei diesem Gespräch alles drunter und drüber zu gehen.

Schließlich fragte Dan: »Warum?«

Na schön, Penni hatte nicht wirklich geplant, das mitten auf einem stark frequentierten öffentlichen Platz in Peru zu sagen, erst recht nicht vor einem Publikum, aber so, wie sich die Dinge entwickelten, musste sie diese Gelegenheit wohl nutzen, um ihm mitzuteilen, was in ihrem Kopf vorging, was in ihrem Herzen vorging, sonst …

Pennilein, jetzt zieh dir endlich deine Erwachsenenhose an und bring’s hinter dich! Der Rat ihres Vaters hallte durch ihren Kopf, allzeit die Stimme der Weisheit und der Vernunft.

Penni nahm allen Mut zusammen und platzte hervor: »Weil ich …«