Black Knights Inc. - Wilde Sehnsucht - Julie Ann Walker - E-Book

Black Knights Inc. - Wilde Sehnsucht E-Book

Julie Ann Walker

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Beschreibung

Neues von den Black Knights Inc.! "Wild" Bill Reichert weiß, wie man mit hochexplosivem Material umgehen muss. Der ehemalige Navy SEAL kann praktisch mit geschlossenen Augen eine Bombe entschärfen. Aber gegen die Explosion der Gefühle, die seine ehemalige Freundin Eve Eden in ihm auslöst, war er nicht gewappnet. Die junge Frau braucht Bills Hilfe: Jemand hat es auf sie abgesehen, und die Polizei von Chicago glaubt Eve nicht. Ihre einzige Chance sind die Black Knights ... (ca. 400 Seiten)

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmungMottoProlog1234567891011121314151617181920212223242526Anmerkung der AutorinDanksagungDie AutorinDie Romane von Julie Ann Walker bei LYX Impressum

JULIE ANN WALKER

Black Knights Inc.

Wilde Sehnsucht

Ins Deutsche übertragen von Kerstin Fricke

Zu diesem Buch

»Wild« Bill Reichert weiß, wie man mit hochexplosivem Material umgehen muss. Der ehemalige Navy SEAL kann praktisch mit geschlossenen Augen eine Bombe entschärfen. Aber gegen die Explosion der Gefühle, die seine ehemalige Freundin Eve Eden in ihm auslöst, war er nicht gewappnet. Die junge Frau braucht Bills Hilfe: Jemand hat es auf sie abgesehen, und die Polizei von Chicago glaubt Eve nicht. Ihre einzige Chance sind die Black Knights …

Für meine Schwester Shelly. Du hast mir Schlaflieder vorgesungen, Makkaroni mit Käse gemacht und warst wie eine zweite Mutter für mich. Du hast dich nie davor gescheut, immer so zu sein, wie du bist, und mich stets akzeptiert, wie ich bin. Danke, dass du mich all die Jahre so unerschütterlich unterstützt hast. A-weema-weh, a-weema-weh …

Tapferkeit ist der Mut,

noch eine Minute länger durchzuhalten.

General George S. Patton

Prolog

Chicago, Illinois

Donnerstag, 17:38 Uhr

Jemand versuchte, sie umzubringen.

Als Eve Edens die Bremse ihrer klassischen 1966er Vespa betätigte und nicht die geringste Reaktion spürte, ging ihr auf, dass das ganze Pech, das sie in letzter Zeit gehabt hatte, nicht länger nur auf bloße Zufälle zurückzuführen war. Der Überfall, der Brand – und jetzt das? Selbst sie konnte keine derartige Pechsträhne erleben.

Dann war es also offiziell: Jemand wollte sie tot sehen.

Wer genau das war, darüber musste sie sich natürlich später Gedanken machen. Im Moment war es viel wichtiger, dass sie einen Weg fand, ihren Motorroller zu stoppen, bevor sie in den Verkehr geriet, der sich keine zwanzig Meter vor ihr staute.

Sie stieß die Luft aus, und ihre Gedanken rasten, während sie wie verrückt auf die Hupe drückte. Aber das armselige Miep, Miep, Miep reichte nicht aus, um die Autofahrer, die vor ihr auf der Straße standen, auf sie aufmerksam zu machen. Selbst wenn ihr das gelungen wäre, hätten sie sich ja auch nicht einfach in Luft auflösen können. Noch immer war auf keiner der Spuren eine Bewegung zu erkennen. Für sie gab es keinen anderen Weg als …

Großer Gott! Sie würde auf den See zuhalten müssen.

Sie riss die Gabel hart nach rechts, biss die Zähne aufeinander und raste mit atemberaubender Geschwindigkeit über den Bordstein des Lake Shore Drives. Im nächsten Augenblick hatte sie auch schon die Wiese erreicht, die die Straße vom Joggerweg trennte sowie dem Grünstreifen, der am Stadtrand entlanglief. Dann sauste sie auch schon mit fünfundsechzig Stundenkilometern über den Weg und fuhr beinahe einen Mann in knallroten Laufshorts um. Sie verfehlte ihn um Haaresbreite und raste die steile Böschung auf der anderen Seite hinunter. Während sie den Bäumen auswich und immer schneller wurde – was ihr gerade noch gefehlt hatte –, wappnete sie sich für das Unausweichliche.

Gott steh mir bei!

Und dann geschah es. Sie flog durch die Luft. Der Geruch von Abgasen und heißem Asphalt wurde ersetzt durch den nach Süßwasseralgen und Fisch, als sie über die hohe Absperrung des Jachthafens auf das kobaltblaue Wasser des Lake Michigan hinaussegelte. Die Vespa unter ihr jaulte auf, und Eve blieb gerade noch ein Sekundenbruchteil, um ihre fünf Sinne zusammenzunehmen. Sie ließ die Gabel los und stieß sich vom Roller ab, bevor sie auch schon mit lautem Platschen ins Wasser stürzte.

Oh weh! Es war, als wäre sie gegen eine Mauer geknallt. Eine sehr kalte Mauer. Denn selbst im Spätsommer erreichte das Wasser des Sees höchstens zehn Grad. Einen Augenblick lang war sie aufgrund des Aufpralls und des eisigen Wassers wie gelähmt, und sie wurde nach unten in die Finsternis gezogen. Doch dann nahm ihr Gehirn den Betrieb schlagartig wieder auf, und sie schwamm mit ganzer Kraft zurück an die Oberfläche. Doch so sehr sie auch mit Armen und Beinen strampelte, die gekräuselte Wasseroberfläche, auf der sich das Sonnenlicht spiegelte, schien sich weiter und weiter zu entfernen, und die Kälte, die von allen Seiten auf sie eindrang, wurde immer durchdringender und glich eiskalten Zähnen, die in die nackte Haut ihrer Gliedmaßen bissen.

Sie war am Ertrinken.

Die Frau, die am Wasser aufgewachsen war und eher Segel setzen als lesen gelernt hatte, ertrank. Die Frau, die ihr ganzes Erwachsenenleben damit verbracht hatte, Meerestiere über und unter dem Wasser zu studieren. Die Frau, die in einigen Wochen ihre Doktorarbeit über die Auswirkungen schnorchelnder und tauchender Touristen auf die großen Korallenriffe der Welt abgeben wollte.

Ihre Doktorarbeit?

Die Bücher! Ihr Rucksack war randvoll mit Forschungsmaterial und bleischwer. Und er zog sie hinab in ihr nasses Grab.

Sie griff nach dem Gurt um ihren Bauch und schaffte es, den Verschluss mit den Fingern, die vom kalten Wasser schon ganz taub geworden waren, zu öffnen. Dann streifte sie die Schulterriemen ab und schwamm sofort Richtung Oberfläche. Ihre Lunge gierte nach Sauerstoff, das Blut dröhnte mit jedem donnernden Herzschlag in den Ohren, und der Drang, Luft zu holen, wurde so übermächtig, dass sie es kaum noch ertragen konnte. Aber das hätte ihren sicheren Tod bedeutet. Daher biss sie sich auf die Unterlippe und kämpfte dagegen an, während sie sich den Weg nach oben erkämpfte.

So nah. Die Wasseroberfläche war jetzt so nah. Vor ihren Augen tanzten Sterne, und am Rand ihres Sichtfelds machte sich Dunkelheit breit. Nein! Nein! Ich werde es nicht schaffen! Und dann …

»Uuuuh!«, stieß sie hervor und rang in dem Augenblick nach Luft, in dem sie hustend und spuckend aus dem Wasser schnellte, wobei sie nicht nur wundervollen, herrlichen Sauerstoff, sondern auch einige Wassertropfen einatmete.

Sie konnte hören, dass einige Menschen ihr von der Mauer des Jachthafens etwas zuriefen und sich erkundigten, ob alles okay wäre, aber sie war zu sehr mit Atmen beschäftigt, um antworten zu können. Sobald sie das Wasser wieder ausgehustet hatte, drehte sie sich auf den Rücken und konzentrierte sich nur noch darauf, zu treiben und ihr rasendes Herz zu beruhigen. Als ihr das Wasser bis über die Ohren reichte und die Geräusche der besorgten Menge nicht mehr zu hören waren, die sich am Ufer versammelt hatten, ließ sie den Blick auf den weißen Wölkchen ruhen, die über den blauen Himmel wanderten.

Einige Sekunden lang fand sie Trost in der Ruhe des sie umfangenden Wassers und der Schwerelosigkeit, die es ihren Gedanken erlaubte, einfach dahinzutreiben. Aber dieser Moment war schnell vergangen, da der Geschmack von Blut, das aus ihrer aufgebissenen Lippe quoll, sie schlagartig in die Realität zurückholte. Ob es ihr nun gefiel oder nicht – wobei sie eindeutig zu Letzterem tendierte –, sie konnte die Tatsache nicht länger ignorieren, dass es irgendjemand auf sie abgesehen hatte.

Und wenn die Polizei diesen neuesten Zwischenfall ebenso wie die beiden vorangegangenen als Zufall abtat, als Pech oder dass sie einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, dann würde ihr kein anderer Ausweg bleiben, als sich an den Mann zu wenden, dem sie ebenso aus dem Weg gehen wollte, wie sie es beim Tauchen mit Tigerhaien tat. Denn dann würde sie »Wild Bill« Reichert und seine Gruppe aus verdeckt agierenden Agenten namens Black Knights Inc. um Hilfe bitten müssen.

Verdammt!

1

Hauptquartier Black Knights Inc. auf Goose Island

Samstag, 15:54 Uhr

»Es sieht ganz so aus, als hätte die bekannteste Salonlöwin Chicagos erneut einen Unfall gehabt.«

Bill Reichert ließ das Ledertuch, mit dem er gerade den verchromten Auspuff seiner Phönix genannten selbst gebauten Harley polierte, vor Schreck auf den verdreckten Boden fallen.

Er schluckte schwer, um den Kloß loszuwerden, den er auf einmal in der Kehle spürte, ging rasch um das Motorrad herum und verschränkte die Arme vor der Brust, um sein rasendes Herz ein wenig zu beruhigen. »Ist sie …« Erst, nachdem er sich die trockenen Lippen geleckt und tief Luft geholt hatte, wobei er die vertrauten Gerüche nach Motoröl, frischer Farbe und starkem Kaffee einatmete, hatte er die Sprache so weit wiedergefunden, dass er herauspressen konnte: »Ist sie verletzt?«

Bryan »Mac« McMillian, der auf dem Ledersofa lag, das sie in die Werkstatt geschleppt und neben die Treppe gestellt hatten, die in den Loftbereich im ersten Stock führte, knickte eine Ecke des Chicago Tribune um. Er musterte Bills Gesicht mit fragender Miene, und Bill vermutete, dass er kreidebleich geworden war. Denn trotz der Tatsache, dass sein Herz zwar hämmerte wie verrückt, anstatt nur zu klopfen, bezweifelte er, dass etwas von dem Blut tatsächlich in seinem Gesicht ankam. Ihm war ganz flau geworden.

»Jetzt renn nicht gleich mit gezogener Knarre los«, erwiderte Mac in seinem lang gezogenen texanischen Akzent. »Es geht ihr gut.« Die Erleichterung, die Bill empfand, war derart überwältigend, dass er sich gegen den handgegerbten Ledersitz seiner Phönix lehnen musste, um nicht Gefahr zu laufen, auf dem Boden zusammenzubrechen. »Hier steht«, fuhr Mac fort, »dass sie mit ihrem Motorroller am Donnerstagabend irgendwo zwischen dem Museumscampus und dem Buckingham-Brunnen über die Mauer des Jachthafens gerast ist. Sie wäre beinahe ertrunken, weil sie so einen schweren Rucksack aufhatte.« Bei diesen Worten standen Bills Arm- und Nackenhaare zu Berge. »Das muss ein ganz schöner Schock für sie gewesen sein.«

Eine Million halb ausformulierter Fragen schossen ihm durch das Gehirn, das plötzlich unter Sauerstoffmangel zu leiden schien. Er sprach die erste aus, die er irgendwie zu fassen bekommen konnte. »Was in aller Welt hatte sie auf einem Motorroller zu suchen? Diese Dinger sind gefährlich, insbesondere im dichten Verkehr.« Er klappte den Mund zu, als Mac ihn erneut über die Zeitung hinweg mit dieser Miene ansah, die ihn so auf die Palme brachte. »Was ist?«, verlangte er zu erfahren.

»Die Dinger sind gefährlich?« Mac schnaubte. »Und das aus dem Mund eines Mannes, der mehrere Hundert Kilogramm gewalzten Stahl fährt.«

Bill verzog das Gesicht und warf einen schnellen Blick auf den großen Tank seines Motorrads mit dem verschnörkelten, fast schon albernen Design: dem mystischen Phönix, der aus der Asche auferstand. »Okay«, gab er widerstrebend zu. »Du hast ja recht. Aber der Unterschied zwischen mir und ihr ist, dass ich mit meinem Motorrad umgehen kann, wohingegen sie dazu offensichtlich nicht in der Lage ist. Was ist überhaupt passiert? Wieso ist sie im See gelandet? Lass mich raten – sie hatte während der Fahrt das Handy in der Hand.«

Das konnte er sich bildlich vorstellen. Schließlich wurde in den Klatschspalten immer wieder über die öffentlichen Auftritte dieser Frau berichtet. Das war auch einer der Hauptgründe, warum er die Lokalnachrichten weitestgehend ignorierte.

Schließlich war es schon schlimm genug, dass er ihre Gegenwart hin und wieder ertragen musste, weil sie die beste Freundin seiner kleinen Schwester war. Aber auch noch lesen zu müssen, auf welcher piekfeinen Party sie am Arm eines stinkreichen Schnösels auftauchte, der zur jungen Elite Chicagos gehörte? Nein, danke! Da stellte er sich lieber zwischen mehrere scharfe Bomben, deren Timer bereits tickte, um sich ins Nirwana befördern zu lassen.

»Hier steht«, Mac ließ die Zeitung sinken und deutete mit einem Finger auf den Artikel, »dass die Polizei ihren Motorroller aus dem See gefischt und untersucht hat, wobei festgestellt wurde, dass eine der Muffen an der Bremsleitung verrostet war und sich gelockert hat. Anscheinend hat Eve erst gemerkt, dass etwas nicht stimmt, als sie bereits mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs war. Da sich der Verkehr vor ihr gestaut hat, blieb ihr nichts anderes übrig, als in den See zu fahren und zu riskieren, dabei umzukommen, da sie keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährden wollte.«

Verdammt! Bill schluckte schwer und sah die Szene deutlich vor seinem inneren Auge. Viel zu deutlich. Und er hatte sie noch der Nachlässigkeit beschuldigt, dabei hatte sie die unter diesen Umständen klügste Entscheidung getroffen.

Tja, Eve Edens hatte es noch nie an Intelligenz gemangelt. Was Loyalität, Aufrichtigkeit und Treue anging, das stand auf einem ganz anderen Blatt.

»Laut Polizei war es ein Unfall«, meinte Mac und runzelte die Stirn.

Oh, oh. Bill kannte diesen Blick. Er legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen. »Aber dein sechster Sinn sagt dir, dass dem nicht so ist?«

Mac hatte früher beim FBI gearbeitet, und wenn der Mann sagte, dass etwas nicht ganz koscher aussah, dann hatte er im Allgemeinen auch recht.

»Es scheint mir einfach ein seltsamer Zufall zu sein. So großes Pech kann doch kein Mensch haben, oder?«

Bill runzelte die Stirn, ließ sich Macs Worte durch den Kopf gehen und dachte an das ganze Drama, das Eve anscheinend unausweichlich auf dem Fuß folgte. Doch bevor er noch etwas dazu sagen konnte, klingelte sein Handy, das in seiner Hosentasche steckte. Er zog es heraus und sah die Nummer des Mannes, der das BKI-Tor momentan bewachte, auf dem Display.

»Was gibt’s, Toran?«, erkundigte er sich, nachdem er den Anruf angenommen hatte.

»Gerade ist ein Taxi vorgefahren. Eve Edens ist da«, erwiderte der Wachmann. Na, wenn man vom Teufel sprach … Bills Herz, das sich gerade erst wieder beruhigt hatte, schlug sofort schneller.

Du liebe Güte! Eve hätte beinahe den Kopf geschüttelt und einen Pfiff ausgestoßen, als sie sich in dem Loft im ersten Stock umsah und die zahlreichen Büros und hochmodernen Computer musterte. Sie würde sich vermutlich nie an die Tatsache gewöhnen, dass Billy und ihre beste Freundin Becky einem Team angehörten, das verdeckt für die amerikanische Regierung arbeitete – einem realen James-Bond-Unternehmen unter dem Tarnmantel einer Motorradwerkstatt. Aber das hatte vermutlich auch viel damit zu tun, dass sie Becky schon seit sehr langer Zeit kannte, als diese noch ein Teenager mit Komplexen von der Größe von Texas gewesen war und Billy ein junger Offizier, der davon träumte, sich einer Spezialeinheit anschließen zu können.

Wie sich später herausstellte, waren diese Träume durchaus realistisch gewesen, denn er hatte sie sich erfüllt. Er war zu einem der großen, bösen Navy-SEALs geworden, die heutzutage in den Medien derart bejubelt wurden. Und als sie ihm jetzt quer über den Konferenztisch hinweg ins Gesicht sah, versuchte sie, den jungen Mann darin wiederzuerkennen, in den sie sich einst verliebt hatte.

Nun, das war wohl etwas, das die Black Knights als Tabu bezeichneten. Denn sein ständiges Lächeln und sein lockeres Lachen waren verschwunden. Ebenso ausgestorben wie die Mammuts oder die Brieftauben. Nicht mehr zu sehen. Jetzt wirkte sein unglaublich attraktives Gesicht unnachgiebig, grimmig entschlossen und ungeduldig. Der Unterkiefer war breiter als in ihrer Erinnerung und sah aus, als wäre er von einem Beil in Form gebracht worden. Seine Lippen wirkten härter und die gebräunte Haut zäher. Um die schokoladebraunen Augen zeichneten sich kleine Fältchen ab, die von den vielen Jahren zeugten, die er den Elementen ausgesetzt gewesen war und während derer er sie gegen die Wüstensonne hatte zusammenkneifen müssen. Da war tatsächlich nichts auch nur ansatzweise Jugendliches mehr an ihm, abgesehen von den dichten Wimpern und seiner vollen Unterlippe.

Dieser Billy Reichert – dieser harte, der Welt überdrüssige Soldat – erinnerte sie überhaupt nicht mehr an den jungen Mann, der mit ihr gelacht, sie geneckt und geliebt hatte und der ihr das Gefühl gegeben hatte, sie wäre … das einzige Mädchen auf der Welt.

Okay, großartig, jetzt dachte sie schon in Rihanna-Songs. Was nur bedeuten konnte, dass sie innerlich ziemlich lange ins Stocken geraten war.

»Ich glaube, ich stecke in Schwierigkeiten«, stieß sie hervor, und die Worte hallten durch den höhlenartigen Raum, in dem sich die getarnte Geheimagentenanlage befand, wie ein Nebelhorn über das offene Wasser. »Wo stecken die anderen? Wo ist Becky?«

»Was für Schwierigkeiten?« Billy ignorierte ihre Fragen und kniff gefährlich die Augen zusammen.

Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der hätte sie jeden ausgelacht, der Billy Reichert als gefährlich bezeichnet hätte. Aber jetzt war ihr nicht zum Lachen zumute. Seine Miene glich der eines Scharfrichters. Sie war kalt. Hart. Unnachgiebig. Beinahe wäre Eve erschaudert, aber sie schaffte es gerade noch, es wie ein halbherziges Achselzucken aussehen zu lassen.

»Äh.« Sie biss sich auf die Unterlippe und ließ den Blick zu Mac wandern, der am Kopfende des Konferenztischs saß. Schon besser. Zumindest sieht dieser Mann nicht so aus, als würde er zum Frühstück Babys verspeisen. »Ich … Ich glaube, jemand versucht, mir zu schaden.«

Schaden. Ja, genau. Man versuchte wohl eher, sie umzubringen. Aber sie wollte die Sache ganz in Ruhe angehen.

»Wenn du nicht zu den Menschen gehörst, die über ein kabelloses Telefon fallen, dann scheinst du in letzter Zeit eine ausgemachte Pechsträhne zu haben«, meinte Mac, dem das dunkle Haar in die breite Stirn fiel, sodass seine tiefen, freundlichen blauen Augen nur noch mehr auffielen. Obwohl er sie mitfühlend ansah und seine Worte ebenso klangen, spürte Eve, wie ihr das Blut in die Wangen stieg.

Diese unmöglich helle Hautfarbe! Und diese dämlichen neugierigen Reporter! Sie war schon ihr ganzes Leben lang von Journalisten heimgesucht worden, die versuchten, sie auf Film oder Bildern bei jeder Dummheit, jedem Missgeschick und jeder peinlichen Aktion festzuhalten. Das hatte sie davon, dass sie in die Familie einer Ostküstenerbin und eines Immobilienmoguls von der Westküste hineingeboren worden war. Viel Geld brachte eben eine eigene Art von Ruhm mit sich – gewissermaßen.

»Ihr habt anscheinend fleißig Zeitung gelesen«, murmelte sie kopfschüttelnd, da ihre Kopfhaut prickelte bei der Vorstellung, Billy könnte diese Artikel gesehen haben. Denn da war sie nun wirklich nicht gerade in Hochform gewesen.

Wie auf dem Bild, das heute im Tribune zu sehen gewesen war. Das Standbild aus einem Handyvideo, auf dem sie auf ihrer Vespa über den Lake Michigan flog, war so unschmeichelhaft, wie es nur ging. Natürlich war der Schnappschuss nicht ansatzweise so peinlich wie das ganze Video, das irgendein netter, aufmerksamer Bürger freundlicherweise auf YouTube hochgeladen hatte – begleitet von der Musik aus Der Zauberer von Oz in der FilmszenemitMiss Gulch auf dem Fahrrad. Bisher war das Video fünfzigtausendmal aufgerufen worden. Und das war … einfach perfekt. Es reihte sich nahtlos in die Ansammlung von Katastrophen ein, aus denen ihr Leben in letzter Zeit zu bestehen schien.

Aber so peinlich das YouTube-Video auch war, es änderte nichts an der Tatsache, dass es bei Weitem nicht so schrecklich war wie das Foto, das man letzten Monat in der Zeitung sehen konnte, nachdem es ihr mit Mühe und Not gelungen war, dem Brand in ihrer Wohnung zu entkommen. Auf diesem ganz besonderen Bild wirkte sie irre, hatte die Augen weit aufgerissen und einen Rußfleck unter der Nase, der genauso aussah wie Hitlers Schnurrbart. Die Bildunterschrift war die Krönung des Ganzen gewesen: Die Erbin und ihr erstaunlicher Tanz mit dem Feuer!

Himmel noch mal! Vielleicht wollte derjenige, der ihr das alles antat, sie ja gar nicht mit Kugeln, Feuer oder durchgeschnittenen Bremsschläuchen umbringen, sondern sie dazu bringen, sich zu Tode zu schämen.

»Möchtest du uns nicht erklären, was passiert ist?«, drängte Mac sie, und als sie aufblickte, sah er sie ermutigend an. Doch was war mit Billy?

Fehlanzeige. Da war keine Ermutigung zu finden. Er kniff bloß nachdenklich die Augen zusammen, und sah sie da nicht auch …? Ja. Das sah doch ärgerlicherweise fast schon nach Skepsis aus.

Oh nein, das wagt er nicht! Sie schüttelte innerlich den Kopf, runzelte grimmig die Stirn und erklärte vehement: »Ich denke mir das alles nicht nur aus, Billy.«

Seine rechte Augenbraue zuckte, und das gab ihr den Rest. Sie ging sofort in die Defensive – was eigentlich nichts Neues war. Er hatte meist genau diese Wirkung auf sie, weil er ihr … na ja, eigentlich an allem die Schuld gab. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie nervös genug geworden war, um hierherzukommen, da wollte sie sich nicht auch noch mit seiner Feindseligkeit und seiner höhnischen, herablassenden Haltung herumschlagen müssen. »Das bilde ich mir nicht ein, verflixt!« Sie schlug mit einer Handfläche auf den Tisch und versuchte, nicht zusammenzuzucken, als der laute Knall durch den großen Raum hallte. »Wo ist Becky? Sie wird mir glauben.«

Zumindest ging Eve davon aus, dass Becky ihre Geschichte glaubte, auch wenn sie selbst einen winzigen Hauch von Zweifel im Hinterkopf spürte. Die Erklärungen, die sie von der Polizei gehört hatte, klangen so logisch.

Aber nein. Nein! Sie war nicht verrückt, und sie war auch nicht paranoid. Jemand wollte sie umbringen. Punkt. Ende der Geschichte. Sollte die vermaledeite Presse doch das schreiben!

»Du hast noch nicht das Geringste gesagt, das mich dazu bringen könnte, dir zu glauben oder es nicht zu tun«, entgegnete Bill ruhig, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Dabei fiel ihr Blick auf seinen Bizeps, der den dünnen Stoff seines grauen T-Shirts mit dem »Black Knights Inc. Motorräder«-Logo ausbeulte, und seine harten Brustmuskeln.

»Oh.« Sie schüttelte den Kopf und wandte den Blick rasch von dieser maskulinen Versuchung ab, die Billy Reichert darstellte, damit sie nicht schon wieder rot anlief. »Stimmt, da hast du nicht ganz unrecht.« Verdammt. Billy schaffte es noch immer, sie durcheinanderzubringen. Und es war nur noch schlimmer geworden, seitdem sie vor vierzehn Monaten wieder aufeinandergetroffen waren, nachdem sie sich ein Jahrzehnt lang nicht gesehen hatten. Er war zurück in ihr Leben gestiefelt, als er ihr den klitzekleinen Gefallen getan hatte, sie vor einer Bande blutrünstiger somalischer Piraten zu retten. Sie hatte in Begleitung von Becky auf dem Indischen Ozean einige Forschungen für ihre Doktorarbeit betrieben, als sie von diesen waffenschwingenden Seeräubern entführt worden waren. Später war sie auch in das kleine Geheimnis der Black Knights eingeweiht worden. Da hatte sie begriffen, dass Billy ebenso wie die Männer, mit denen er zusammenarbeitete, weitaus mehr als ein einfacher Motorradschrauber war.

Und seit diesem Tag hatten sowohl sie als auch Billy ihr Möglichstes getan, um einander weiterhin aus dem Weg zu gehen.

Ha! Das war noch die Untertreibung des Jahrhunderts! Denn aus dem Weg ging man einem Hundehaufen auf dem Bürgersteig und ähnlichen Dingen, aber das, was sie und Billy getan hatten, fiel eher in die Kategorie »Dreh dich auf dem Absatz um und renn um dein Leben.«

Dummerweise ließ ihre aktuelle missliche Lage es nicht zu, dass dieser Status quo aufrechterhalten werden konnte, daher wurde es Zeit, dass sie ihre Gedanken bündelte und aussprach, was sie vermutete. Allerdings wäre ihr das deutlich leichter gefallen, wenn sie gewusst hätte, dass Becky auf ihrer Seite stand.

Wo steckt diese Frau nur, verflixt noch mal?

Sie stellte die Frage noch einmal und fügte außerdem hinzu: »Und wo sind all die anderen? Hier ist es ja ausgestorben wie in einem Grab.« Normalerweise hörte man bei den Black Knights laute Musik, jaulende Werkzeuge, die gurgelnde Kaffeemaschine und schwere Stiefel, die die Metalltreppe auf- und abliefen – nicht zu vergessen Beckys Ehemann Frank »Boss« Knight, der ständig irgendjemanden anschrie, er solle gefälligst in die Gänge kommen.

»Becky und Boss sind für ein langes Wochenende weggefahren«, teilte ihr Bill unverhofft mit, der offenbar wieder darauf zurückkommen wollte, warum sie sich verfolgt fühlte. Und ja, jetzt, wo er es erwähnte, fiel ihr wieder ein, dass Becky das in einer ihrer letzten SMS erwähnt hatte.

Mist. Wenn ihr das heute Morgen schon eingefallen wäre, nachdem sie den Polizeibericht gelesen hatte, dann hätte sie es sich zweimal überlegt, ob sie die Fahrt nach Goose Island wirklich antreten wollte. Andererseits konnte sie sich auch an niemand anderen wenden. Die Black Knights … äh, Billy und Mac, die letzten Überreste davon, waren ihre letzte Hoffnung.

»Die anderen sind entweder auf Mission oder sie kümmern sich um ihre Privatangelegenheiten«, fuhr Billy fort, der ihr abgelenktes Schweigen anscheinend so deutete, dass sie auch die Antwort auf ihre zweite Fragen hören wollte. »Mit Ausnahme von Ace, der bald wieder hier sein müsste. Und da wir das jetzt geklärt hätten, würdest du uns nun bitte verraten, was zum Teufel eigentlich bei dir los ist? Warum bist du auf einmal in die Haut von Violet Jessop geschlüpft?«

»Von wem?«, fragte sie und rümpfte die Nase, da in ihrem Kopf alles durcheinanderging und sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.

»Du weißt schon«, er schnitt eine Grimasse, »der größte Pechvogel in der Weltgeschichte. Die Frau, die sowohl an Bord der Olympic als auchder Titanic und der Britannic gewesen war, als die drei Schiffe ihre Schicksalsfahrt gemacht haben.«

Eve warf einen Blick zu Mac hinüber, da sie diese Wendung erneut ablenkte. Und, okay, vielleicht ließ sie es auch nur zu gern zu. Denn obwohl sie wusste, dass sie Billys Frage beantworten musste, ließ sich die Tatsache nicht leugnen, dass sie sich sehr davor fürchtete, er könnte ihr möglicherweise nicht glauben. Immerhin hatte er ja schon jetzt keine besonders hohe Meinung von ihr – die zweite Untertreibung des Jahrhunderts –, warum sollte er ihrem paranoiden Gestammel dann glauben, wenn es selbst die Polizei von Chicago nicht getan hatte? »Hast du schon mal von dieser Frau gehört?«, wollte sie von Mac wissen.

»Nein.« Der große Texaner zuckte mit den Achseln. »Aber ich stelle die Worte dieses Kerls nur selten infrage«, er deutete mit einem Daumen auf Billy, »da er seine Nase im Allgemeinen in einem Buch stecken hat.«

Sie schaute über den Konferenztisch zu Billy hinüber, der sie ruhig und selbstbewusst ansah.

»Wow.« Eve schüttelte den Kopf. »Und ich dachte schon, mich hätte es schlimm erwischt. Das klingt ja ganz so, als wäre die arme Violet Wie-auch-immer der Grund dafür gewesen, dass Murphys Gesetz entstanden ist. Irgendwie fühle ich mich jetzt doch ein bisschen besser, trotz allem, was ich durchgemacht habe.« Doch dann sickerten Macs Worte endlich in ihren Verstand. Und um ja nicht mit den beiden über ihre Ängste und Vermutungen reden zu müssen, obwohl ihr Selbstverteidigungslehrer immer sagte, sie müsste sich »Eier wachsen lassen und damit aufhören, kniffligen Situationen aus dem Weg zu gehen«, legte sie den Kopf schief und meinte: »Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass du früher schon so viel gelesen hast. Eigentlich hast du mich ständig damit aufgezogen, dass ich immerzu ein Buch vor der Nase hatte und –«

Eve stockte, da Billy sie mit einem schneidenden Blick bedachte und wirkte, als wäre er ein Adler und sie seine Beute.

Sie schluckte schwer, und ihr Unbehagen schien sich auf einen Schlag zu verdreifachen – denn nach ihrer jämmerlichen Geschichte und seinem offensichtlichen Abscheu gegen sie gab es, wenn sie sich beide in einem Raum aufhielten, keinen einzigen Augenblick, an dem sie sich nicht unwohl fühlte. Und wenn er den Mund aufmachte? Mann, oh Mann, dann wurde es nur noch viel schlimmer. Denn seine Worte waren wie Messerstiche, die ihr ohnehin schon arg angeschlagenes Selbstbewusstsein nur noch mehr in die Knie zwangen, und sie bereute nicht nur ihre Feigheit, weil sie nicht sofort das Hauptproblem angesprochen hatte, sondern auch die Tatsache, überhaupt hierhergekommen zu sein.

»Und ich erinnere mich nicht daran, dass du eine Motorroller fahrende geschiedene Frau mit einer Vorliebe für knappe Kleider, schicke Partys und reiche Männer gewesen wärst. Aber die Dinge ändern sich anscheinend, was?«

Heilige Scheiße. Mac blickte zwischen Bill und Eve hin und her, und die Anspannung, die in der Luft lag, reichte aus, dass sich ihm die Haare auf den Armen und im Nacken aufstellten. Er strich sich mit einer Hand über den Hinterkopf und machte den Mund auf, um etwas zu sagen, als plötzlich die Hintertür der Werkstatt aufgerissen wurde und Ace schrie: »Hey, Lucy! Ich bin zu Hause!«

»Hier oben!«, brüllte Mac nach unten und war heilfroh über die Ablenkung, denn diese beiden hier waren ja reizbarer als zwei Klapperschlangen. Die nicht gerade unterschwellige Feindseligkeit, die sie beide ausstrahlten, machte ihn ebenfalls ganz nervös.

Aces Stiefel polterten über die Metalltreppe. »Und wie Big Gay Al«, fuhr der Mann fort, der die angespannte Stimmung überhaupt nicht mitzubekommen schien, »habe ich ein paar salzige Schokobällchen aus dem neuen Süßwarenladen ein Stück die Straße hoch mitgebracht, und ich muss sagen, sie schmecken wirklich … Oh, Eve.« Ace lächelte sie an, als er den oberen Treppenabsatz erreichte.« Was führt dich an diesem sonnigen Samstagnachmittag in unser schönes Etablissement?«

»Es ist der Chefkoch«, korrigierte ihn Eve mit leicht zitternder Stimme, was zweifellos an den Giftpfeilen lag, die Bill abgefeuert hatte.

Mac hatte keine Ahnung, was die beiden in der Vergangenheit miteinander erlebt hatten, aber es war offenbar unschön und schmerzhaft gewesen, und er war unglaublich dankbar dafür, dass er seine Lektion, eine schöne Frau zu lieben, schon früh gelernt hatte. Und Eve war definitiv wunderschön. Hübscher als ein gefleckter Hund, wie Macs verstorbener, durch und durch texanischer Vater gesagt hätte. Doch aufgrund ihres rabenschwarzen Haars, ihrer klaren blauen Augen und der milchfarbenen Haut war Mac geneigt, Bill zuzustimmen, dass sie eher wie eine dieser teuren Porzellanpuppen und nicht etwa wie ein Hund aussah.

»Was hast du gesagt, Süße?«, fragte Ace und stellte die Schachtel mit den Schokoladentrüffeln auf den Konferenztisch. Er sah sich um, bemerkte jetzt auch, wie angespannt die Stimmung im Raum war, und runzelte die Stirn.

»Es ist der Chefkoch, der bei South Park die salzigen Schokobällchen macht, nicht Big Gay Al«, antwortete Eve, deren Stimme jetzt etwas fester klang.

»Ich wusste doch, dass es neben deinem guten Geschmack und den super Plätzen in allen wichtigen Shows noch einen dritten Grund gibt, aus dem ich dich mag.« Ace kicherte, gab ihr einen schmatzenden Kuss auf die Wange und setzte sich neben sie. Er ließ seinen schlanken Körper auf den Stuhl sinken und legte Eve einen Arm um die Schultern. »Jeder, der das Vulgäre und Anstößige bei South Park zu schätzen weiß, hat bei mir einen Stein im Brett.« Er drückte sie fest an sich, und Mac glaube, aus den Augenwinkeln zu sehen, wie Bill betreten auf seinem Stuhl herumrutschte. Als er sich fragend zu ihm umdrehte, stellte er fest, dass der Muskel an Bills Kiefer tatsächlich so schnell zuckte, dass es einen anständigen Beat ergeben hätte.

Mann, was denkst du denn, was gleich passiert? Dass Ace plötzlich einfällt, er würde doch auf Frauen stehen, und über Eve herfällt, oder was? Großer Gott. Wieder einmal gratulierte sich Mac dafür, dass er so schlau war, derart unangenehmen Situationen von vorneherein aus dem Weg zu gehen. Rasch und um Bill einen Augenblick Zeit zu geben, die Fassung wiederzuerlangen – allein die Tatsache, dass er das tun musste, sprach Bände, denn Wild Bill Reichert blieb normalerweise auch in dem heißesten Feuergefecht eiskalt –, klärte er Ace darüber auf, dass sich Eve bedroht fühlte.

»Aber wer in aller Welt würde dir denn wehtun wollen, Schätzchen?«, fragte Ace und drückte sie erneut. Dieses Mal stieß Bill sogar ein leises Knurren aus.

Mac schürzte die Lippen, starrte den Mann durchdringend an und trat ihn unter dem Tisch, wofür er mit einem Blick belohnt wurde, der Vergeltung versprach. Ace, der von dem Ganzen nichts mitbekam, fuhr fort: »Hast du denn einen Verdacht?«

»Genau das ist das Problem«, erwiderte Eve, deren Stimme jetzt immer mehr an Volumen gewann. Anscheinend bekam sie überhaupt nicht mit, dass Bill gerade einer Zeitbombe glich und mit jeder von Aces Liebkosungen der Explosion näherkam. »Da will mir eigentlich nur ein Mensch einfallen. Aber ich dachte nicht, dass er zu Gewalt fähig wäre.«

»Wie meinst du das?«, verlangte Bill zu erfahren, der sich aufrecht hinsetzte und dessen Gesicht Mordlust widerspiegelte.

Großer Gott. Dich hat es echt schwer erwischt, mein Freund, schoss es Mac durch den Kopf. »Wer fällt dir da ein?«

»Dale Pennyworth«, erwiderte Eve, zwischen deren schmalen dunklen Augenbrauen sich eine Falte abzeichnete. »Mein Stalker.«

2

Ihr Stalker.

Der Raum schien sich zu drehen, und Bill musste sich an der Kante des Konferenztischs festhalten, um nicht umzukippen. »Du hast einen Stalker? Warum in Gottes Namen hast du das nicht gleich gesagt?«

»Ich hatte einen Stalker«, betonte Eve mit blitzenden Augen und reckte das Kinn in die Luft. »Vergangenheitsform. Ich habe Dale seit über einem Jahr nicht mehr gesehen oder Kontakt mit ihm gehabt. Und er neigt, wie gesagt, nicht zu Gewalt. Er ist ein bisschen verrückt und besessen, aber nicht gewalttätig.«

War sie verrückt oder einfach nur naiv? Denn Stalking endete selten mit einem Blumenstrauß und einem rührenden Abschiedsbrief.

»Ich sage dir das nur ungern, Süße«, begann er und hätte sich am liebsten auf die Unterlippe gebissen, als ihre Nasenflügel bebten. Er hatte dieses Kosewort vor Jahren während ihrer Beziehung benutzt, und als er es jetzt aussprach, stieg ihm die Galle die Speiseröhre hinauf und brannte höllisch. Im nächsten Augenblick hatte er auch schon ein Kaleidoskop von Bildern vor seinem inneren Auge. Die Art, wie sie ihn immer voller Vertrauen und Überzeugung angesehen hatte – und in ihren großen blauen Augen hatte sich auch immer Bewunderung abgezeichnet. Die Art, wie sie ihn berührt hatte, so zaghaft, neugierig und gottverdammt sexy, dass er bei jeder sich bietenden Gelegenheit über sie hergefallen war. Die Art, wie sie … Verdammt! Nur mit Mühe gelang es ihm, das alles zu verdrängen und auszublenden. »Aber es ist nun mal allseits bekannt, dass Stalker nicht einfach aufgeben und sich vom Objekt ihrer Begierde abwenden. Wenn sie erst einmal von einer Person besessen sind, dann bleibt das auch so.«

Da sprach er durchaus aus eigener Erfahrung. Denn seit über einem Jahrzehnt war kein Tag vergangen, an dem er nicht an Eve dachte, nicht von ihr träumte.

»Können wir mal kurz einen Schritt zurückgehen?«, schaltete sich Mac mit seinem trägen texanischen Akzent ein, der so gar nicht zu seinem rasiermesserscharfen Verstand zu passen schien. »Bevor wir hier über Verdächtige reden, sollten wir erst einmal herausfinden, warum Eve nicht wie die Polizei der Meinung ist, dass die Ereignisse nichts als eine Aneinanderreihung unglücklicher Zufälle sind.«

Eve schnitt eine Grimasse, die ihre Selbstzweifel erkennen ließ, und Bill hätte am liebsten über den Tisch gegriffen und ihre Hand genommen. Doch das übernahm Ace für ihn, und auf einmal hatte er vor Wut einen roten Schleier vor Augen. Er knirschte so energisch mit den Zähnen, dass sein Zahnschmelz absplitterte, und vermutlich würden gleich ein paar Plomben herausbrechen. Und ja, es war lächerlich, auf einen Mann eifersüchtig zu sein, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte. Ace hatte sich schon vor langer Zeit geoutet.

Aber es ließ sich nicht leugnen, dass er eindeutig Eifersucht empfand. Denn Ace durfte Eve anfassen, sie küssen und trösten. Auch wenn Bill all diese Dinge eigentlich gar nicht tun wollte – nein, wirklich nicht! –, erinnerte er sich trotzdem noch sehr gut daran, wie schön es sich angefühlt hatte, als er einundzwanzig, dumm und geil gewesen war, also den Hattrick junger Männer erlebt hatte. Es war ein riesiges Durcheinander gewesen, aber er vermisste es. So! Jetzt hatte er es sich doch eingestanden.

Eigentlich hätte er sich jetzt besser fühlen müssen, aber das tat er nicht. Verdammt!

»Das soll nicht heißen, dass ich dir nicht glaube, Eve«, fügte Mac schnell hinzu. »Aber ich würde gern alle Fakten kennen.«

»Ich habe nur Angst, dass ihr mich alle für paranoid halten könntet«, murmelte Eve und starrte ihre Fingernägel an, als könnte sie dort die Antwort auf all ihre Fragen finden. Bill wollte gar nicht erst daran denken, dass Ace ihre andere Hand noch immer festhielt. Nein, das blendete er lieber aus. Dieser Mistkerl! Jetzt verschränkte er auch noch die Finger mit ihren! Ihre waren so blass und schmal im Vergleich zu denen des Hubschrauberpiloten der Black Knights. »Das hat zumindest die Polizei geglaubt, als ich sagte, dass jemand versucht, mich umzubringen.«

Das reichte aus, um seine Aufmerksamkeit von Eves und Aces Händen abzulenken. Denn diese letzten beiden Worte ließen das Blut in seinen Kopf steigen, bis da nichts mehr war als das laute Dröhnen in seinen Ohren.

Jemand wollte sie umbringen? Das war weitaus mehr, als sie anfangs hatte durchblicken lassen, als sie nur gesagt hatte, jemand wollte ihr schaden. Heilige Sch… Als er blinzelte, sah er Sterne hinter seinen Augenlidern, und er merkte, dass er den Atem anhielt. Daher holte er tief Luft, saugte den Sauerstoff in seine Lunge und versuchte, sich einzureden, dass sie vielleicht wirklich nur paranoid war.

Ja, vielleicht ist das alles nur ein Produkt ihrer übereifrigen Fantasie. Dummerweise hielt der Teil von ihm, der in zu vielen sehr riskanten Operationen darauf trainiert worden war, immer hellwach zu sein, dagegen, dass es bei mehreren lebensgefährlichen »Unfällen« in relativ kurzer Zeit so etwas wie Paranoia schlichtweg nicht mehr geben konnte.

»Laut der Feuerwehr«, berichtete Eve leise, »kam es zu dem Brand in meiner Wohnung, als eine starke Brise durch mein offenes Wohnzimmerfenster hereinkam und die Vorhänge gegen eine brennende Kerze geweht hat. Aber ich puste immer alle Kerzen aus, bevor ich ins Bett gehe. Das habe ich auch an jenem Abend getan. Vielleicht ist sie wieder angegangen, ohne dass ich es bemerkt habe, aber …« Sie schüttelte den Kopf und hob die Hand, um an einem Fingernagel herumzuknabbern.

Bill erkannte das als Zeichen dafür, wie sehr sie die ganze Sache mitnahm. Manchmal durchschaute er sie einfach zu gut, obwohl sie gerade mal drei Monate zusammen gewesen waren. Dann wieder passierte es aber auch, dass er glaubte, sie noch bei Weitem nicht gut genug zu kennen.

Als hätte er einen eigenen Willen, wanderte sein Blick an ihrem schlanken Hals herunter zu ihrer Kette, an der eine kleine Perle hing. Ja, die Frau trug tatsächlich eine Kette mit einer Perle. Und das machte ihn ganz verrückt, denn dieses Schmuckstück war so zart, so feminin und so klassisch, und es erinnerte ihn an all das, was er an ihr so anziehend gefunden hatte, was ihn sogar heute noch anzog, verdammt noch mal. Er musterte den sanften Schwung ihrer Brüste unter der züchtigen pastellfarbenen Bluse.

Ja, es gab sehr vieles an ihr, das er immer noch nicht wusste. Wie sie unter ihm den Rücken durchbog, wenn er in sie eindrang, wie sie zufrieden seufzte, nachdem er sie zum Höhepunkt gebracht hatte, wie sie schmeckte, wenn sie …

Großer Gott! Reiß dich endlich zusammen, Mann!

Er rutschte auf seinem Stuhl herum und versuchte, mit seinem Ständer, der anscheinend zu seiner Standardausrüstung gehörte, sobald sich Eve mit ihm in einem Raum aufhielt, eine bequemere Position zu finden. Dazu kam noch eine gehörige Portion Vorsicht, und, okay, reden wir nicht um den heißen Brei herum, auch sehr viel Schmerz, denn er litt noch immer wegen dem, was sie alles hatte durchstehen müssen, und aufgrund der Art und Weise, wie es passiert war.

So! Jetzt hatte er das auch endlich zugegeben. Warum er sich danach nicht besser fühlte, war ihm selbst schleierhaft. Sollte denn Ehrlichkeit nicht der beste Weg sein, insbesondere wenn es darum ging, dass man ehrlich zu sich selbst war?

Tja, bisher schienen seine persönlichen Offenbarungen diesen furchtbaren Tag nur noch schlimmer zu machen. Und das war doch mal wieder perfekt.

»Was ist mit dem Überfall?« Macs Frage riss ihn aus seinen finsteren Grübeleien.

Eve hörte auf, an ihrem Nagel herumzukauen, und zuckte mit den Achseln. Dabei wurden ihre Brüste gegen den dünnen Stoff der Bluse gedrückt, sodass er die Spitze an ihrem BH erkennen konnte. Doch dort würde er nicht hinstarren. Oh nein, er würde sie ganz bestimmt nicht anstarren.

Ace gab ihm unter dem Tisch einen Tritt, und er bemerkte, dass er doch hinschaute. Verdammt! Was war denn heute nur los? Hatte man ihn zum allgemeinen Punchingball erklärt?

»Das war merkwürdig«, gab Eve zu, die von dem Geschehen unter dem Tisch nichts mitbekommen hatte. »Ich habe noch spät im Shedd-Aquarium gearbeitet und ging gerade über den Parkplatz zu meiner Vespa, als ein maskierter Mann aus den Büschen sprang und mich mit einer Waffe bedrohte.«

Okay, das war genau das, was Bill gebraucht hatte, um wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Denn die Vorstellung, dass sie – damals so erschreckend schüchtern, dass er drei Wochen gebraucht hatte, bis er sie das erste Mal küssen durfte – mit einer geladenen, schussbereiten Pistole bedroht wurde, war einfach viel zu entsetzlich.

Dann bewies Eve, wie sehr sie sich von dieser ruhigen, unsicheren jungen Frau, in die er sich damals verliebt hatte, inzwischen unterschied, als sie fortfuhr: »Ich habe ihm gesagt, er kann meine Handtasche haben. Ich wollte sie in eine Richtung schleudern und in die andere laufen, so, wie es einem immer geraten wird. Aber der Mann hat mich einfach nur angestarrt und so stark gezittert, dass die Waffe in seiner Hand geklappert hat. Und da habe ich mich plötzlich an mein Training erinnert und ihm mit einem gezielten Tritt die Waffe aus der Hand befördert. Im nächsten Augenblick rannte ich zu meinem Roller, und ich habe mich nicht noch einmal nach ihm umgedreht.«

Bills Gehirn schien die Notbremse zu ziehen, und alles darin kam zum Stillstand. Er glaubte beinahe, das Quietschen der angehaltenen Zahnräder hören zu können, denn … Eve hatte trainiert und einen gut gezielten Tritt platziert?

Ihm war klar, dass er sie mit offenem Mund anstarrte, als Eve ihm einen Blick zuwarf und das Kinn in die Luft reckte. »Seit diesem Erlebnis mit den Piraten habe ich Selbstverteidigungskurse genommen und war auf dem Schießstand. Ich bin ziemlich gut geworden«, prahlte sie, doch die Wirkung wurde dadurch ruiniert, dass ihre Unterlippe leicht zitterte.

»Heilige Scheiße«, murmelte Ace. »Du bist eine echt heiße und knallharte Braut, weißt du das?«

Eve errötete und starrte die Tischplatte an. Das glich schon eher der Eve von früher. »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Das war nichts als Instinkt, den ich mir bei einem guten Lehrer antrainiert habe. Als ich am Lake Shore Drive ankam, habe ich so sehr gezittert, dass ich am Straßenrand anhalten musste. Mir wird noch immer ganz anders, wenn ich daran zurückdenke.«

Um es zu beweisen, hob sie eine Hand, die tatsächlich zitterte wie ein trockenes Blatt in einer steifen Brise.

Bill verspürte den überwältigenden Drang aufzustehen und diesen Dale Wer-auch-immer-der-Mistkerl-war ordentlich in den Schwitzkasten zu nehmen. Selbst, wenn er an diesem Abend nicht selbst aus den Büschen gekommen und Eve mit einer Waffe bedroht hatte, blieb die Tatsache doch bestehen, dass der Mann ihr nachgestellt hatte, und Bill musste die ganze Aggression, die sich mit einem Mal in ihm aufstaute, irgendwie rauslassen.

Glücklicherweise behielt Mac einen kühlen Kopf. »Dann glaubst du nicht, dass dir dieser Mann nur die Handtasche stehlen wollte?«

Eve schüttelte den Kopf, zögerte dann und nagte erneut an ihrer Unterlippe – was bewies, wie nervös sie war –, um dann mit den Achseln zu zucken. »Vielleicht wollte er das ja, wer weiß? Möglicherweise war das sein erster Raubüberfall – es schien zwar so, als überlegte er tatsächlich, mich umzubringen, aber möglicherweise war das nur Nervosität, weil er das zum ersten Mal gemacht hat. Das hat die Polizei zumindest gesagt. Ich habe es von allen Seiten zu hören bekommen«, sie runzelte die Stirn, »nur nicht von Jeremy. Er glaubt nicht an diese Erklärung, aber was soll er schon machen? Es ist nicht sein Fall. Und er steht ohnehin schon kurz vor der Kündigung, weil er seinen Vorgesetzten beim Chicago Police Department ständig wegen dieser Vorfälle in den Ohren liegt.«

»Jeremy?«, hakte Mac nach, beugte sich ein wenig vor und legte den Kopf schief.

»Er ist mein Cousin«, erklärte Eve. »Unsere Mütter waren Zwillingsschwestern. Ich war gerade erst sieben, als meine Mom gestorben ist, und Tante Betty war eine Art Ersatzmutter für mich. Daher ist Jeremy beinahe so etwas wie mein Bruder.«

Bill konnte sich noch genau an den Mann erinnern. Vor allem an dessen unglaubliche Überheblichkeit.

»Er arbeitet für das CPD«, fuhr Eve fort, »und ich wohne seit dem Brand in meiner Wohnung bei ihm.«

Das überraschte Bill nun doch, denn er hatte sie eher so eingeschätzt, dass sie bei jedem kleinsten Problem zu ihrem Daddy laufen würde.

»Du wohnst nicht bei deinem Vater?«, hakte er nach und achtete genau darauf, ob sich auf ihrem hübschen Gesicht irgendwelche Empfindungen abzeichneten. Normalerweise hatte Eve nur zwei verschiedene Varianten: Entweder war sie ein offenes Buch oder ein weit offenes Buch.

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf, sah ihm aber nicht in die Augen. »Dad und ich, wir kommen in letzter Zeit nicht gut miteinander aus. Er heißt einige der … äh … Veränderungen, die ich in meinem Leben vorgenommen habe, nicht gut.« Ihre leicht finstere Miene verriet ihm, dass hinter der Sache weitaus mehr steckte. Und da er nun einmal ein Mistkerl war, konnte er nicht behaupten, es würde ihm auch nur im Geringsten leidtun, dass sich Eve mit ihrem Riesenarsch von Vater überworfen hatte. Danach gab sie mit leiser Stimme zu: »Ich glaube, er wollte, dass ich für immer sein schüchternes kleines Mädchen bleibe.«

Weil er dich so besser kontrollieren kann, dachte Bill. Und Patrick Edens ist der kontrollsüchtigste Scheißkerl, der je das Licht der Welt erblickt hat.

»Kommen wir zur Vespa«, schlug Mac vor und riss Bill aus seinen Gedanken und der Wut, die diese hervorriefen. Das war auch gut so, denn schon jetzt nahm seine Magensäure überhand, und er wusste, wenn er nicht aufpasste und seine Gefühle bald unter Kontrolle brachte, würde er sich wieder ohne Ende Magenmedikamente einwerfen müssen. »In der Zeitung stand, es hätte nur an einer verrosteten Muffe der Bremsleitung gelegen.«

Mit einem Mal war jegliche Unsicherheit aus Eves Gesicht verschwunden, die sich bisher darin abgezeichnet hatte. Ihre Miene wirkte entschlossener, ihre Augen schienen Funken zu sprühen, und sie entzog Ace ihre Hand – na endlich! –, um mit einem Finger auf die Tischplatte zu pochen. »Nein.« Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Als ich den Motorroller vor vier Monaten gekauft habe, hat Becky ihn gründlich durchgecheckt. Wäre da eine Muffe verrostet gewesen, dann hätte sie das entdeckt. Jemand hat meine Vespa sabotiert. Es kann einfach nicht anders gewesen sein.«

Okay, jetzt war Billy überzeugt und hatte nicht den geringsten Zweifel mehr. Denn seine kleine Schwester war eine überragende Mechanikerin und machte keine Fehler. »Ich glaube dir, Eve«, sprudelte es aus ihm heraus, bevor er überhaupt realisierte, dass er den Mund aufgemacht hatte.

Sie starrte ihn an und öffnete leicht die pfirsichfarbenen Lippen, während sich in ihren Augen Überraschung widerspiegelte. »Wirklich?« Die Hoffnung, die in ihrer Stimme mitschwang, ging ihm durch Mark und Bein.

Großer Gott. Manchmal hätte er sich selbst am liebsten in den Hintern getreten für die Art, wie er sie seit ihrem Wiedersehen behandelte. War es denn ihre Schuld, dass sie dasselbe getan hatte wie viele junge Mädchen in ihrem Alter und aus ihrer wirtschaftlichen und sozialen Schicht, indem sie sich in einen Jungen verguckte, der überhaupt nicht zu ihr passte? War es ihre Schuld, dass sie, sobald er zu seinem SEAL-Training abgereist und sie zurück am College war, begriff, dass ihr Daddy in Bezug auf einen Mann wie ihn – der den Unterschied zwischen einer Speisegabel, Salatgabel und Dessertgabel nicht kannte – recht hatte und dieser nicht in ihr Leben gehörte? War es ihre Schuld, dass ihr ein Elitestudent mit Ralph-Lauren-Klamotten und guten Manieren den Kopf verdreht hatte, der außerdem alles repräsentierte, was für sie vertraut und sicher war?

Nein. Wenn er ehrlich war, dann musste er sich eingestehen, dass das alles nicht ihre Schuld war. Schließlich war sie noch sehr jung gewesen. So jung und so naiv. Als er jetzt zurückblickte, wurde ihm bewusst, dass die Trennung eigentlich absehbar gewesen war und er nie derart schockiert hätte sein müssen.

Allerdings war die Art, wie sie sich von ihm getrennt hatte, eine ganz andere Sache.

Seufzend verdrängte er den alten Schmerz und die Enttäuschung, setzte eine sanfte Miene auf und nickte. »Ja, Eve, ich glaube dir. Irgendetwas an dieser ganzen Angelegenheit stinkt.«

»Und dieses Mal«, warf Ace ein, »ist es nicht nur deine Einstellung.«

Bill runzelte die Stirn. »Du gehst mir heute echt auf den Zeiger, Ace-Loch.« Normalerweise reichte der Gebrauch dieses Spitznamens aus, um Aces Grinsen verschwinden zu lassen.

Dummerweise hatte es jetzt den gegenteiligen Effekt, da der Pilot nur noch breiter grinste. »Das ist mir schon aufgefallen.«

Eve sah zwischen den beiden Männern hin und her und blinzelte verwirrt.

Dann schaltete sich Mac ein und riss sie aus dem testosterongeladenen Blickduell. »Ich werde mal bei Washington anrufen und versuchen, mir die Fallakten zu besorgen.«

»Washington?«, fragte Eve.

»Chief Washington vom CPD«, erklärte Mac.

»Ach, das ist nicht nötig. Jeremy hat alles kopiert und gibt es dir bestimmt sehr gern.«

»Na gut.« Mac nickte, und Bill fragte sich, wie gern Jeremy Buchanan wohl irgendetwas mit ihnen teilen würde – erst recht die Polizeiakten. »In der Zwischenzeit wäre es vermutlich das Beste, wenn du bei deinem Cousin aus- und vorerst hier einziehst.«

Bei dieser Ankündigung begehrte Bills Magengeschwür auf, von dem er eigentlich geglaubt hatte, er hätte es unter Kontrolle. Er presste sich eine Hand auf das Brustbein, schnitt eine Grimasse und versuchte, Eves besorgten Blick zu ignorieren, die ihn fragend ansah. Doch so sehr ihm das auch gegen den Strich ging, so sah er die Notwendigkeit durchaus ein. »Mac hat recht. Ich fahre mit dir zu deinem Cousin, damit du ein paar Sachen packen kannst. Sobald wir wieder hier sind, sehen wir uns die Akten an und entscheiden, wie wir weiter vorgehen.«

Sie schluckte schwer, und in ihren Augen schimmerte Dankbarkeit. Er musste daran denken, wie er sie das erste Mal gesehen hatte. Damals hatte er einen längeren Heimaturlaub von der Navy bekommen und darauf gewartet, dass sein SEAL-Training anfing, und er war mit seiner Schwester zu deren Lauftreffen gegangen, um sich die Zeit zu vertreiben.

Da hatte er sie gesehen. Evelyn Rose Edens, die beim Dreitausendmeterlauf der Damen gerade die Ziellinie überquerte. Sie hatte ausgesehen wie eine Gazelle, geschmeidig und schlank und mit endlos langen Beinen. Er hatte Becky gebeten, sie einander vorzustellen, und Eve war unglaublich schüchtern gewesen und hatte ihm kaum in die Augen sehen können. Aber als sie dann doch aufgeblickt hatte …… erwischte es ihn eiskalt. Ihr gerötetes, zartes Gesicht war die reinste Perfektion gewesen, und erst ihre Augen. Es war das tiefste, wundervollste Blau, das er je gesehen hatte, so süß und unschuldig, so behütet, dass sich sofort sein Beschützerinstinkt meldete. Am liebsten hätte er ihr damals sofort verteidigend einen Arm um die Schultern gelegt. Bis in alle Ewigkeit …

Tja, diese Ewigkeit hatte sich dann doch als bemerkenswert kurz herausgestellt und gerade mal einen sonnigen, heißen Sommer angedauert.

»Danke, Billy«, stammelte sie und holte ihn in die Gegenwart zurück. Sie war jetzt zwölf Jahre älter. Geschieden. Eine angesehene und bekannte Marinebiologin. Und dem Anschein nach dazu in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Und dennoch wirkte sie weiterhin so süß und unschuldig. Es gelang ihr auch heute mit einem Blick, in ihm den Wunsch zu wecken aufzuspringen, sich auf die Brust zu trommeln, einen Speer zu zücken und sie vor der großen, bösen Welt zu beschützen.

Wie schafft sie das nur? Er schüttelte den Kopf und ärgerte sich über sich selbst und diese verzwickte Situation. »Gern geschehen«, murmelte er, und damit sie nicht auf falsche Gedanken kam und glaubte, er würde das aus reiner Herzensgüte tun – denn, mal ehrlich, wenn es um sie und sein Herz ging, war da nicht mehr viel Güte übrig –, fügte er hinzu: »Becky würde es mir niemals vergeben, wenn ich dir meine Hilfe verweigere.«

Das Licht in ihren Augen erstarb, und sie nickte ruckartig. »Ich verschwinde mal kurz, und danach können wir gern sofort zu Jeremys Wohnung fahren.«

Während er ihr nachsah, wie sie durch den langen Flur ging, fragte er sich, wie er die nächsten Tage überleben sollte. Auf einmal merkte er, dass Mac ihn mit gerunzelter Stirn anstarrte. »Was guckst du denn so?«, verlangte Bill zu erfahren.

»Würdest du uns mal verraten, warum du immer zum Neandertaler mutierst, sobald sie in der Nähe ist?« Mac deutete mit einem Daumen in die Richtung, in der Eve verschwunden war.

»Warum sollte ich das tun? Sind wir etwa beste Freundinnen oder so?«

Ace beugte sich über den Tisch, tätschelte Bills Hand und klimperte mit seinen blonden Wimpern. »Nur, wenn du das auch willst, Süßer.«

Bill zog die Hand weg, konnte aber nicht verhindern, dass sich ein Grinsen auf seine Lippen stahl. »Lass das«, knurrte er und versuchte sich an einer grimmigen Miene, was ihm jedoch gründlich misslang. »Willst du nicht deine Schokobällchen essen und eine Folge Glee gucken?«

»Jetzt, wo du es sagst …« Ace schnappte sich die Packung mit der Schokolade, zwinkerte ihnen noch einmal zu und ging dann die Treppe nach oben in den Wohnbereich, der die ganze zweite Etage einnahm. Auf dem ersten Treppenabsatz blieb er jedoch noch einmal stehen, drehte sich um und wurde mit einem Mal wieder ernst. »Falls ihr mich brauchen solltet, dann wisst ihr ja, wo ihr mich findet. Und, Bill?«

Bill seufzte, weil er wusste, was jetzt kommen würde. Es war Ace deutlich anzusehen. »Ja?«

»Du musst nett zu Eve sein. Die arme Frau sehnt sich nach Aufmerksamkeit. Warum versuchst du es nicht mal mit ein bisschen Zärtlichkeit, hm?«

»Bist du jetzt etwa Otis Redding oder was?«, grummelte Bill.

»Nein, ich sehe nur, wie du hier auf allen vieren durch die Gegend kriechst und dass du vermutlich nicht gerade sanft mit ihr umgehen wirst.«

»Ach, nein?«, entgegnete Bill. »Für dich habe ich auch einen guten Rat. Ich habe ihn mir aufgeschrieben und gleich hier in der Hosentasche.« Er steckte eine Hand in die Tasche und zog die leere Faust mit ausgestrecktem Mittelfinger wieder heraus.

Ace lachte, wurde aber sofort wieder ernst. »Lass es mich mal anders ausdrücken: Wenn du gemein zu Eve bist, werde ich dein strahlend weißes Lächeln richten müssen, capisce?«

Diese Drohung hätte durchaus witzig gemeint sein können, aber Ace war dummerweise ein Meister im Muay Thai, der brutalsten Nahkampfform der Welt. Der Mann mochte zwar so einschüchternd wirken wie ein glitzerndes Einhorn, das bei einem Justin-Bieber-Konzert unter einem Regenbogen saß, aber als Feind wollte Bill ihn definitiv nicht haben.

»Ich werde nett zu ihr sein«, versprach er mit zusammengebissenen Zähnen, weil Ace recht hatte, auch wenn Bill es nur ungern zugab. Es wurde Zeit, Vergangenes zu vergessen. Immerhin war es zwölf Jahre her, verflucht noch mal!

Der Pilot der Knights legte den Kopf schief und beäugte Bill misstrauisch.

»Hör mal.« Bill schnaufte vor Verzweiflung. »Ich war noch nie besonders gut darin, Süßholz zu raspeln, aber ich werde es versuchen, okay?«

Mit einem triumphierenden Lächeln stapfte Ace weiter die Treppe hinauf.

Dann erschien Eve auch schon am Ende des Flurs und sah so wunderschön aus wie eh und je – nein, eigentlich sah sie sogar noch schöner aus –, und sein alter Schmerz war mit einem Mal wieder da. Jetzt erst ging ihm auf, wie schwer es werden würde, sein Versprechen zu halten.

3

Jeremy Buchanans Wohnung

17:33 Uhr

»Ich könnte auf dich aufpassen«, erklärte Jeremy und umarmte Eve fest, die spürte, wie ihre Unterlippe zu zittern begann. »Und mir einige Zeit freinehmen. Sag, was ich für dich tun kann, Cousinchen, und ich mache es.«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf und machte einen Schritt nach hinten, um sich aus Jeremys enger Umarmung zu lösen, wobei sie Trost in seiner weiterhin aufmunternden Miene fand. »Ich werde bei Black Knights Inc. bleiben, bis wir entweder herausgefunden haben, wer hinter der ganzen Sache steckt, oder deine Kollegen bei der Polizei wenigstens davon überzeugen können, dass ich nicht verrückt bin. Aber ich kann dir versichern, dass es keinen Ort gibt, an dem ich besser beschützt werde als dort.«

Jeremy schnaubte und warf Billy über ihre Schulter einen Blick zu, der in seiner ausgeblichenen Jeans, den dicken Motorradstiefeln und dem hautengen BKI-T-Shirt, das seinen Waschbrettbauch betonte und ihre Körpertemperatur um zehn Grad ansteigen ließ, vor der Balkontür stand.

Zehn Grad? Wohl eher zehntausend. Aber wen interessierte das schon? Sie ganz bestimmt nicht. Oh nein!

Na gut, vielleicht doch ein bisschen. Es war schwer, ihn zu ignorieren, wenn er da im Sonnenlicht stand und aussah, als wäre er einer Folge Sons of Anarchy entsprungen, nur mit weniger Gesichtsbehaarung und Piercings, dafür aber einem weitaus entschlosseneren Blick in den dunklen Augen, während er auf die Straße hinabblickte.

»Du bist bei ein paar Bikern in Sicherheit?« Jeremy starrte sie ungläubig an. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst.«

Oje. Sie konnte ihm dummerweise nicht die Wahrheit über die Black Knights sagen, da sie geschworen hatte, es geheim zu halten. Daher blieb ihr kein anderer Ausweg, als ihm genügend Informationen zu geben, damit er besänftigt war. »Das Gelände ist von einer drei Meter hohen Mauer umgeben und wird rund um die Uhr überwacht. Es ist dort wie in einer Festung. Mach dir bitte keine Sorgen.«

»Ich bin nicht unbedingt besorgt, dass dort jemand einbrechen könnte.« Jeremy schürzte die Lippen. »Vielmehr beunruhigt mich, dass du dich mit diesem halslosen Kerl abgeben musst.« Er deutete mit dem Kinn auf Billy. »Wie ich sehe, haben sich seine Manieren im Laufe der Jahre nicht gerade verbessert.«

»Du konntest ihn nie leiden, nicht wahr?«, fragte sie kopfschüttelnd.

»Er hat dich nicht verdient, Eve.«

Sie sah ihrem Cousin in die Augen, die den ihren so ähnlich waren, und runzelte die Stirn. »Du hörst zu sehr auf das, was Dad sagt, Jeremy. Dieses elitäre Denken steht dir nicht.«

»Das ist kein elitäres Denken, Cousinchen, sondern eine schlichte, unverfälschte Tatsache, die ich mit oder ohne Zutun deines Vaters erkannt hätte. Dieser Mann ist ein Scheißkerl ersten Grades. Verzeih mir die Wortwahl.«

»Die Entschuldigung ist nicht notwendig«, warf Billy ein, der noch immer vor der Balkontür stand.

Eve wurde am ganzen Körper puterrot. Der Mann hatte offenbar alles mitgehört, auch wenn das nicht so beabsichtigt war. Merk dir, dass er ein Gehör wie eine Fledermaus hat.

»Vorausgesetzt, Sie verwenden den Begriff als Fachausdruck.«

»Wenn ich von Ihnen rede«, Jeremy hob die Stimme, obwohl das gar nicht nötig war, »dann meine ich alles als Fachausdruck. Und falls Sie meine Cousine auch nur schief von der Seite ansehen, dann werde ich –«

»Ja, ja.« Billy klang gelangweilt. »Sie werden mich härter und länger rannehmen als Ihren gurkenartigen Schwanz?«

Jeremy machte einen Schritt in Billys Richtung, aber Eve legte ihm eine Hand auf den Arm. »Vergiss nicht, dass du ihn zuerst beleidigt hast«, flüsterte sie.

»Er ist ein Wichser«, zischte Jeremy.

»Ich gehe davon aus, dass auch das ein Fachausdruck war«, merkte Billy an, zog die Augenbrauen hoch und hatte ein teuflisches Grinsen auf den Lippen.

Eve beschloss, dass es Zeit war, von hier zu verschwinden. Was sie zu dem zweiten Grund führte, aus dem sie in Jeremys Wohnung gekommen waren. »Ich, äh …« Sie zögerte, denn ihr lieber, süßer Cousin war schon jetzt wütend, weil sie seinen Schutz zugunsten der Knights aufgab, daher wollte sie sein Ego nicht noch weiter ankratzen, indem sie ihre nächste Bitte stellte. Er wollte für sie den großen, starken Mann und den Helden spielen, was es eigentlich umso witziger erscheinen ließ, dass er und Billy nicht miteinander auskamen, da sie sich doch so ähnlich waren. Aber es führte kein Weg drum herum. Jeremy hatte getan, was er konnte, um zu beweisen, dass sie nicht paranoid war, was ihre ständig länger werdende Liste an »Unfällen« anging. Jetzt wurde es Zeit, dass er jemand anderem diese Aufgabe überließ. »Ich brauche meine Fallakten«, stieß sie schließlich hervor.

Jeremy sah sie erstaunt an. »Was? Warum?«

»Weil für uns auch ein ehemaliger FBI-Agent arbeitet«, erläuterte Billy, der noch immer hoch konzentriert durch die Balkontür nach draußen starrte. »Und er kann vielleicht etwas in den Akten entdecken, was Ihnen oder Ihren Kollegen vom CPD entgangen ist.«